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Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907.

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Fälle. Bei chronischen Alkoholisten findet man zumeist Steigerung,
aber auch Fehlen des Gaumenreflexes. Diese Anomalien sind sicherlich
nicht als Folgezustände des Alkoholismus anzusehen. Sie weisen viel-
mehr darauf hin, daß der chronische Alkoholismus eines organischen
Entgegenkommens bedarf, der Grundlage eines minderwertigen Magen-
darmtraktes. Auch einen Fall von Diabetes insipidus sah ich mit
mangelndem Gaumen- und Rachenreflex. Die Stellung der Fettsucht
zur Minderwertigkeit des Ernährungstraktes habe ich schon hervor-
gehoben. Die besprochenen Reflexanomalien sind bei ihr häufig anzu-
treffen.

Bezüglich des mangelnden Konjunktivalreflexes als Zeichen der
Augenminderwertigkeit habe ich einen Fall bei den "Grundzügen" an-
geführt. Ich kann einen zweiten an dieser Stelle nachtragen.

Elsa R., 22 Jahre alt, kommt wegen eines Fremdkörpers im
rechten Auge zur Behandlung. Die blaugefärbte Iris des rechten
Auges zeigt sich an einer Stelle des oberen äußeren Quadranten bräun-
lich verfärbt
. Sehschärfe normal. Kein Konjunktivalreflex. Das
Zusammentreffen von Stigma, Reflexanomalie und Fremdkörper rufen
auch hier den Verdacht auf Minderwertigkeit hervor.

Des Malers Karl v. R. -- Lichtscheu, Conjunctivitis lymphatica in
der Jugend, dünner Cilienbesatz, Blinzeln des Bruders -- habe ich bereits
Erwähnung getan. Ich füge hinzu, daß auch in diesem Falle der Kon-
junktivalreflex fehlt.

In ähnlicher Weise finden sich Reflexanomalien, zumeist mangeln-
der Gaumenreflex bei Personen, die durch Überwindung der ursprüng-
lichen Minderwertigkeit ihres Respirationstraktes oder Ernährungsappa-
rates zu höheren Arbeitsweisen gelangten. Ich habe drei Kategorien
bereits öfters in anderem Zusammenhange hervorgehoben, Sänger,
Redner und Köchinnen
; ich erwähne noch Gourmands, bei denen
ich fast immer, und zwar an einem beträchtlichen Material, den Gaumen-
reflex erloschen fand. Ich kann diesen Kategorien noch hinzufügen:
einen Oboebläser, einen Trompetenbläser und starke Raucher.

V. Mehrfache Organminderwertigkeiten.

Falls die von mir vorläufig aufgestellten Grundlagen einer Minder-
wertigkeitslehre, woran ich nicht zweifle, Bestätigung finden werden,
so ist es doch immerhin auffallend, daß ihre Beziehungen zur Pathologie
bisher nicht deutlich erkannt wurden. Der letzte Grund scheint mir

Fälle. Bei chronischen Alkoholisten findet man zumeist Steigerung,
aber auch Fehlen des Gaumenreflexes. Diese Anomalien sind sicherlich
nicht als Folgezustände des Alkoholismus anzusehen. Sie weisen viel-
mehr darauf hin, daß der chronische Alkoholismus eines organischen
Entgegenkommens bedarf, der Grundlage eines minderwertigen Magen-
darmtraktes. Auch einen Fall von Diabetes insipidus sah ich mit
mangelndem Gaumen- und Rachenreflex. Die Stellung der Fettsucht
zur Minderwertigkeit des Ernährungstraktes habe ich schon hervor-
gehoben. Die besprochenen Reflexanomalien sind bei ihr häufig anzu-
treffen.

Bezüglich des mangelnden Konjunktivalreflexes als Zeichen der
Augenminderwertigkeit habe ich einen Fall bei den „Grundzügen“ an-
geführt. Ich kann einen zweiten an dieser Stelle nachtragen.

Elsa R., 22 Jahre alt, kommt wegen eines Fremdkörpers im
rechten Auge zur Behandlung. Die blaugefärbte Iris des rechten
Auges zeigt sich an einer Stelle des oberen äußeren Quadranten bräun-
lich verfärbt
. Sehschärfe normal. Kein Konjunktivalreflex. Das
Zusammentreffen von Stigma, Reflexanomalie und Fremdkörper rufen
auch hier den Verdacht auf Minderwertigkeit hervor.

Des Malers Karl v. R. — Lichtscheu, Conjunctivitis lymphatica in
der Jugend, dünner Cilienbesatz, Blinzeln des Bruders — habe ich bereits
Erwähnung getan. Ich füge hinzu, daß auch in diesem Falle der Kon-
junktivalreflex fehlt.

In ähnlicher Weise finden sich Reflexanomalien, zumeist mangeln-
der Gaumenreflex bei Personen, die durch Überwindung der ursprüng-
lichen Minderwertigkeit ihres Respirationstraktes oder Ernährungsappa-
rates zu höheren Arbeitsweisen gelangten. Ich habe drei Kategorien
bereits öfters in anderem Zusammenhange hervorgehoben, Sänger,
Redner und Köchinnen
; ich erwähne noch Gourmands, bei denen
ich fast immer, und zwar an einem beträchtlichen Material, den Gaumen-
reflex erloschen fand. Ich kann diesen Kategorien noch hinzufügen:
einen Oboebläser, einen Trompetenbläser und starke Raucher.

V. Mehrfache Organminderwertigkeiten.

Falls die von mir vorläufig aufgestellten Grundlagen einer Minder-
wertigkeitslehre, woran ich nicht zweifle, Bestätigung finden werden,
so ist es doch immerhin auffallend, daß ihre Beziehungen zur Pathologie
bisher nicht deutlich erkannt wurden. Der letzte Grund scheint mir

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[55/0067] Fälle. Bei chronischen Alkoholisten findet man zumeist Steigerung, aber auch Fehlen des Gaumenreflexes. Diese Anomalien sind sicherlich nicht als Folgezustände des Alkoholismus anzusehen. Sie weisen viel- mehr darauf hin, daß der chronische Alkoholismus eines organischen Entgegenkommens bedarf, der Grundlage eines minderwertigen Magen- darmtraktes. Auch einen Fall von Diabetes insipidus sah ich mit mangelndem Gaumen- und Rachenreflex. Die Stellung der Fettsucht zur Minderwertigkeit des Ernährungstraktes habe ich schon hervor- gehoben. Die besprochenen Reflexanomalien sind bei ihr häufig anzu- treffen. Bezüglich des mangelnden Konjunktivalreflexes als Zeichen der Augenminderwertigkeit habe ich einen Fall bei den „Grundzügen“ an- geführt. Ich kann einen zweiten an dieser Stelle nachtragen. Elsa R., 22 Jahre alt, kommt wegen eines Fremdkörpers im rechten Auge zur Behandlung. Die blaugefärbte Iris des rechten Auges zeigt sich an einer Stelle des oberen äußeren Quadranten bräun- lich verfärbt. Sehschärfe normal. Kein Konjunktivalreflex. Das Zusammentreffen von Stigma, Reflexanomalie und Fremdkörper rufen auch hier den Verdacht auf Minderwertigkeit hervor. Des Malers Karl v. R. — Lichtscheu, Conjunctivitis lymphatica in der Jugend, dünner Cilienbesatz, Blinzeln des Bruders — habe ich bereits Erwähnung getan. Ich füge hinzu, daß auch in diesem Falle der Kon- junktivalreflex fehlt. In ähnlicher Weise finden sich Reflexanomalien, zumeist mangeln- der Gaumenreflex bei Personen, die durch Überwindung der ursprüng- lichen Minderwertigkeit ihres Respirationstraktes oder Ernährungsappa- rates zu höheren Arbeitsweisen gelangten. Ich habe drei Kategorien bereits öfters in anderem Zusammenhange hervorgehoben, Sänger, Redner und Köchinnen; ich erwähne noch Gourmands, bei denen ich fast immer, und zwar an einem beträchtlichen Material, den Gaumen- reflex erloschen fand. Ich kann diesen Kategorien noch hinzufügen: einen Oboebläser, einen Trompetenbläser und starke Raucher. V. Mehrfache Organminderwertigkeiten. Falls die von mir vorläufig aufgestellten Grundlagen einer Minder- wertigkeitslehre, woran ich nicht zweifle, Bestätigung finden werden, so ist es doch immerhin auffallend, daß ihre Beziehungen zur Pathologie bisher nicht deutlich erkannt wurden. Der letzte Grund scheint mir

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Zitationshilfe: Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/67>, abgerufen am 28.03.2024.