Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite
Siebenzehntes Kapitel.
Vater und Sohn.

Wer den jungen blassen Mann gesehen, der in
vernachlässigtem Anzuge, unfrisirtem Haar, die Hände
auf dem Rücken, durch die Straßen schlenterte, von
der frühen Nachmittagsstunde bis zum späten Abend,
bald die Augen in den Himmel, bald auf das Pflaster
gerichtet, wäre versucht gewesen, in ihm ein unheim¬
liches Wesen zu entdecken, das losgerissen aus den
Kreisen einer Ordnung, denen es in anderen Zeiten
angehört, nun spukhaft durch sie wandelt, neugierig,
gleichgültig, schadenfroh, wie man will. Entweder
einen Bummler oder ein Hoffmannisch Gespenst. Jene
gab es noch nicht; an Gespenster durfte damals kein
Gebildeter in der Residenz des Staates der In¬
telligenz glauben. Und doch war es etwas Ver¬
wandtes.

Louis Bovillard war entlassen. Er war ein
stiller Gefangener gewesen; die Beamten waren er¬
staunt darüber, er hatte diesmal keinen Streit an¬
gefangen, keine Scheibe zerschlagen, keinen Wärter

Siebenzehntes Kapitel.
Vater und Sohn.

Wer den jungen blaſſen Mann geſehen, der in
vernachläſſigtem Anzuge, unfriſirtem Haar, die Hände
auf dem Rücken, durch die Straßen ſchlenterte, von
der frühen Nachmittagsſtunde bis zum ſpäten Abend,
bald die Augen in den Himmel, bald auf das Pflaſter
gerichtet, wäre verſucht geweſen, in ihm ein unheim¬
liches Weſen zu entdecken, das losgeriſſen aus den
Kreiſen einer Ordnung, denen es in anderen Zeiten
angehört, nun ſpukhaft durch ſie wandelt, neugierig,
gleichgültig, ſchadenfroh, wie man will. Entweder
einen Bummler oder ein Hoffmanniſch Geſpenſt. Jene
gab es noch nicht; an Geſpenſter durfte damals kein
Gebildeter in der Reſidenz des Staates der In¬
telligenz glauben. Und doch war es etwas Ver¬
wandtes.

Louis Bovillard war entlaſſen. Er war ein
ſtiller Gefangener geweſen; die Beamten waren er¬
ſtaunt darüber, er hatte diesmal keinen Streit an¬
gefangen, keine Scheibe zerſchlagen, keinen Wärter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0322" n="[312]"/>
      <div n="1">
        <head>Siebenzehntes Kapitel.<lb/><hi rendition="#b #g">Vater und Sohn.</hi><lb/></head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Wer den jungen bla&#x017F;&#x017F;en Mann ge&#x017F;ehen, der in<lb/>
vernachlä&#x017F;&#x017F;igtem Anzuge, unfri&#x017F;irtem Haar, die Hände<lb/>
auf dem Rücken, durch die Straßen &#x017F;chlenterte, von<lb/>
der frühen Nachmittags&#x017F;tunde bis zum &#x017F;päten Abend,<lb/>
bald die Augen in den Himmel, bald auf das Pfla&#x017F;ter<lb/>
gerichtet, wäre ver&#x017F;ucht gewe&#x017F;en, in ihm ein unheim¬<lb/>
liches We&#x017F;en zu entdecken, das losgeri&#x017F;&#x017F;en aus den<lb/>
Krei&#x017F;en einer Ordnung, denen es in anderen Zeiten<lb/>
angehört, nun &#x017F;pukhaft durch &#x017F;ie wandelt, neugierig,<lb/>
gleichgültig, &#x017F;chadenfroh, wie man will. Entweder<lb/>
einen Bummler oder ein Hoffmanni&#x017F;ch Ge&#x017F;pen&#x017F;t. Jene<lb/>
gab es noch nicht; an Ge&#x017F;pen&#x017F;ter durfte damals kein<lb/>
Gebildeter in der Re&#x017F;idenz des Staates der In¬<lb/>
telligenz glauben. Und doch war es etwas Ver¬<lb/>
wandtes.</p><lb/>
        <p>Louis Bovillard war entla&#x017F;&#x017F;en. Er war ein<lb/>
&#x017F;tiller Gefangener gewe&#x017F;en; die Beamten waren er¬<lb/>
&#x017F;taunt darüber, er hatte diesmal keinen Streit an¬<lb/>
gefangen, keine Scheibe zer&#x017F;chlagen, keinen Wärter<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[312]/0322] Siebenzehntes Kapitel. Vater und Sohn. Wer den jungen blaſſen Mann geſehen, der in vernachläſſigtem Anzuge, unfriſirtem Haar, die Hände auf dem Rücken, durch die Straßen ſchlenterte, von der frühen Nachmittagsſtunde bis zum ſpäten Abend, bald die Augen in den Himmel, bald auf das Pflaſter gerichtet, wäre verſucht geweſen, in ihm ein unheim¬ liches Weſen zu entdecken, das losgeriſſen aus den Kreiſen einer Ordnung, denen es in anderen Zeiten angehört, nun ſpukhaft durch ſie wandelt, neugierig, gleichgültig, ſchadenfroh, wie man will. Entweder einen Bummler oder ein Hoffmanniſch Geſpenſt. Jene gab es noch nicht; an Geſpenſter durfte damals kein Gebildeter in der Reſidenz des Staates der In¬ telligenz glauben. Und doch war es etwas Ver¬ wandtes. Louis Bovillard war entlaſſen. Er war ein ſtiller Gefangener geweſen; die Beamten waren er¬ ſtaunt darüber, er hatte diesmal keinen Streit an¬ gefangen, keine Scheibe zerſchlagen, keinen Wärter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/322
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. [312]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/322>, abgerufen am 28.03.2024.