Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite
Achtes Kapitel.
Wir werden Alle Blut sehn müssen.

Die bleigraue Dämmerung eines Nebelmorgens
drang noch kaum durch die von der innern Wärme
angeschlagenen Scheiben in das Zimmer der Fürstin,
als diese im Neglige aus ihrem Cabinet trat. Wan¬
del, der hinter ihr die Thür schloß, war schon fertig
angezogen. Er sah blasser als gewöhnlich aus und
schlang ein wollenes Tuch gegen die Morgenkälte
um den Hals, ehe er sich anschickte, den Mantel um¬
zuwerfen.

Die Fürstin wies auf die Thür zur Hinter¬
treppe: "Sie können durch den Gartensalon. Adel¬
heid schläft schon seit gestern nicht mehr hier."

"Der Abschied von der Tugendprinzessin war
wohl sehr rührend?"

Die Gargazin sagte nach einigem Besinnen:
"Ja -- ich habe geweint." Was sie noch sagen
wollte, verschluckte sie.

"Tant mieux, Madame, sie kann uns nun prote¬
giren. Le temps se change, mais pas les hommes."

Achtes Kapitel.
Wir werden Alle Blut ſehn müſſen.

Die bleigraue Dämmerung eines Nebelmorgens
drang noch kaum durch die von der innern Wärme
angeſchlagenen Scheiben in das Zimmer der Fürſtin,
als dieſe im Negligé aus ihrem Cabinet trat. Wan¬
del, der hinter ihr die Thür ſchloß, war ſchon fertig
angezogen. Er ſah blaſſer als gewöhnlich aus und
ſchlang ein wollenes Tuch gegen die Morgenkälte
um den Hals, ehe er ſich anſchickte, den Mantel um¬
zuwerfen.

Die Fürſtin wies auf die Thür zur Hinter¬
treppe: „Sie können durch den Gartenſalon. Adel¬
heid ſchläft ſchon ſeit geſtern nicht mehr hier.“

„Der Abſchied von der Tugendprinzeſſin war
wohl ſehr rührend?“

Die Gargazin ſagte nach einigem Beſinnen:
„Ja — ich habe geweint.“ Was ſie noch ſagen
wollte, verſchluckte ſie.

„Tant mieux, Madame, ſie kann uns nun prote¬
giren. Le temps se change, mais pas les hommes.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0180" n="[170]"/>
      <div n="1">
        <head>Achtes Kapitel.<lb/><hi rendition="#b">Wir werden Alle Blut &#x017F;ehn mü&#x017F;&#x017F;en.</hi><lb/></head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Die bleigraue Dämmerung eines Nebelmorgens<lb/>
drang noch kaum durch die von der innern Wärme<lb/>
ange&#x017F;chlagenen Scheiben in das Zimmer der Für&#x017F;tin,<lb/>
als die&#x017F;e im Neglig<hi rendition="#aq">é</hi> aus ihrem Cabinet trat. Wan¬<lb/>
del, der hinter ihr die Thür &#x017F;chloß, war &#x017F;chon fertig<lb/>
angezogen. Er &#x017F;ah bla&#x017F;&#x017F;er als gewöhnlich aus und<lb/>
&#x017F;chlang ein wollenes Tuch gegen die Morgenkälte<lb/>
um den Hals, ehe er &#x017F;ich an&#x017F;chickte, den Mantel um¬<lb/>
zuwerfen.</p><lb/>
        <p>Die Für&#x017F;tin wies auf die Thür zur Hinter¬<lb/>
treppe: &#x201E;Sie können durch den Garten&#x017F;alon. Adel¬<lb/>
heid &#x017F;chläft &#x017F;chon &#x017F;eit ge&#x017F;tern nicht mehr hier.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Der Ab&#x017F;chied von der Tugendprinze&#x017F;&#x017F;in war<lb/>
wohl &#x017F;ehr rührend?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Gargazin &#x017F;agte nach einigem Be&#x017F;innen:<lb/>
&#x201E;Ja &#x2014; ich habe geweint.&#x201C; Was &#x017F;ie noch &#x017F;agen<lb/>
wollte, ver&#x017F;chluckte &#x017F;ie.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#aq">&#x201E;Tant mieux, Madame,</hi> &#x017F;ie kann uns nun prote¬<lb/>
giren. <hi rendition="#aq">Le temps se change, mais pas les hommes.&#x201C;</hi></p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[170]/0180] Achtes Kapitel. Wir werden Alle Blut ſehn müſſen. Die bleigraue Dämmerung eines Nebelmorgens drang noch kaum durch die von der innern Wärme angeſchlagenen Scheiben in das Zimmer der Fürſtin, als dieſe im Negligé aus ihrem Cabinet trat. Wan¬ del, der hinter ihr die Thür ſchloß, war ſchon fertig angezogen. Er ſah blaſſer als gewöhnlich aus und ſchlang ein wollenes Tuch gegen die Morgenkälte um den Hals, ehe er ſich anſchickte, den Mantel um¬ zuwerfen. Die Fürſtin wies auf die Thür zur Hinter¬ treppe: „Sie können durch den Gartenſalon. Adel¬ heid ſchläft ſchon ſeit geſtern nicht mehr hier.“ „Der Abſchied von der Tugendprinzeſſin war wohl ſehr rührend?“ Die Gargazin ſagte nach einigem Beſinnen: „Ja — ich habe geweint.“ Was ſie noch ſagen wollte, verſchluckte ſie. „Tant mieux, Madame, ſie kann uns nun prote¬ giren. Le temps se change, mais pas les hommes.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/180
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. [170]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/180>, abgerufen am 18.04.2024.