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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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den F[ra]nzösischen Hof, und von da nach Deutschland und die
übrige [c]ivilisirte Welt kam, und sich bis auf unsere Zeit weiter
ausbilde[t]e, hat bereits Herr von Rumohr trefflich dargethan,
worauf ich verweise.

Mö[ge]n die gegebenen Andeutungen genügen, um zu zeigen, wie
die Mensch[h]eit vom Essen zur Eßkunst sich emporzuarbeiten gerungen.

Wie [a]ber die älteren Helden überhaupt mehr durch die
Stärke ihr[e]r Knochen und die Kraft ihrer Muskeln vor der
übrigen He[verlorenes Material - 1 Zeichen fehlt]rde hervorragten, wie überhaupt da die Quantität
den Ausschl[a]g gab, so haben auch diejenigen, welche in früheren
Zeiten im Essen Ausgezeichnetes leisteten, es zunächst durch die
Massenhaftigkeit und Menge des Genossenen bewährt. Milo
von Kroton, so erzählt die Sage, schlug mit Einem Streich
einen Ochsen tod, lud ihn auf die Schulter und trug ihn im
Lauf davon; -- aß ihn aber auch vollkommen auf. Lepraeus
Elaus
, mit dem Zunamen: der Ochsenfresser, that es ihm
gleich, und überw[a]nd in einem Eßwettstreite selbst die gewaltige
Kraft des Her[a]kles. Der berühmte Musiker und Tänzer
Herodot von Megara aß gewöhnlich 20 Pfund Fleisch und
eben so viel Brod. Kaiser Maximinius verzehrte auf einmal
40 -- 60 Pfund Fleisch und trank einen Eimer Wein dazu. Aber er
zog auch einen stark beladenen Wagen mit Einer Hand und schlug
einem Pferd mit einem einzigen Streich alle Zähne in den Rachen.

Eine spätere Zeit setzte nun die eigentliche Form in die
Kraft des Kopfs. Es galt Plan, Gedanken, Bewußtsein. Es
galt Sinn, Wahl, Kunst!

Ludwig XIII. machte Consituren, Ludwig XV. kochte
sich seinen Caffee selbst. -- Friedrich der Große ließ sich jeden
Abend den Küchenzettel für den folgenden Tag, mit derselben
Pünktlichkeit wie irgend einen Rapport, bringen. Mit Inter-
esse las er ihn durch, freute sich, wenn er Lieblingsspeisen (Po-
lenta und Aalpastete) darauf fand, wie ein Mensch, wählte und
corrigirte. Der Tiefdenker Kant besorgte mit liebendem Eifer

den F[ra]nzoͤſiſchen Hof, und von da nach Deutſchland und die
uͤbrige [c]iviliſirte Welt kam, und ſich bis auf unſere Zeit weiter
ausbilde[t]e, hat bereits Herr von Rumohr trefflich dargethan,
worauf ich verweiſe.

Moͤ[ge]n die gegebenen Andeutungen genuͤgen, um zu zeigen, wie
die Menſch[h]eit vom Eſſen zur Eßkunſt ſich emporzuarbeiten gerungen.

Wie [a]ber die aͤlteren Helden uͤberhaupt mehr durch die
Staͤrke ihr[e]r Knochen und die Kraft ihrer Muskeln vor der
uͤbrigen He[verlorenes Material – 1 Zeichen fehlt]rde hervorragten, wie uͤberhaupt da die Quantitaͤt
den Ausſchl[a]g gab, ſo haben auch diejenigen, welche in fruͤheren
Zeiten im Eſſen Ausgezeichnetes leiſteten, es zunaͤchſt durch die
Maſſenhaftigkeit und Menge des Genoſſenen bewaͤhrt. Milo
von Kroton, ſo erzaͤhlt die Sage, ſchlug mit Einem Streich
einen Ochſen tod, lud ihn auf die Schulter und trug ihn im
Lauf davon; — aß ihn aber auch vollkommen auf. Lepraeus
Elaus
, mit dem Zunamen: der Ochſenfreſſer, that es ihm
gleich, und uͤberw[a]nd in einem Eßwettſtreite ſelbſt die gewaltige
Kraft des Her[a]kles. Der beruͤhmte Muſiker und Taͤnzer
Herodot von Megara aß gewoͤhnlich 20 Pfund Fleiſch und
eben ſo viel Brod. Kaiſer Maximinius verzehrte auf einmal
40 — 60 Pfund Fleiſch und trank einen Eimer Wein dazu. Aber er
zog auch einen ſtark beladenen Wagen mit Einer Hand und ſchlug
einem Pferd mit einem einzigen Streich alle Zaͤhne in den Rachen.

Eine ſpaͤtere Zeit ſetzte nun die eigentliche Form in die
Kraft des Kopfs. Es galt Plan, Gedanken, Bewußtſein. Es
galt Sinn, Wahl, Kunſt!

Ludwig XIII. machte Conſituren, Ludwig XV. kochte
ſich ſeinen Caffee ſelbſt. — Friedrich der Große ließ ſich jeden
Abend den Kuͤchenzettel fuͤr den folgenden Tag, mit derſelben
Puͤnktlichkeit wie irgend einen Rapport, bringen. Mit Inter-
eſſe las er ihn durch, freute ſich, wenn er Lieblingsſpeiſen (Po-
lenta und Aalpaſtete) darauf fand, wie ein Menſch, waͤhlte und
corrigirte. Der Tiefdenker Kant beſorgte mit liebendem Eifer

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[39/0053] den Franzoͤſiſchen Hof, und von da nach Deutſchland und die uͤbrige civiliſirte Welt kam, und ſich bis auf unſere Zeit weiter ausbildete, hat bereits Herr von Rumohr trefflich dargethan, worauf ich verweiſe. Moͤgen die gegebenen Andeutungen genuͤgen, um zu zeigen, wie die Menſchheit vom Eſſen zur Eßkunſt ſich emporzuarbeiten gerungen. Wie aber die aͤlteren Helden uͤberhaupt mehr durch die Staͤrke ihrer Knochen und die Kraft ihrer Muskeln vor der uͤbrigen He_rde hervorragten, wie uͤberhaupt da die Quantitaͤt den Ausſchlag gab, ſo haben auch diejenigen, welche in fruͤheren Zeiten im Eſſen Ausgezeichnetes leiſteten, es zunaͤchſt durch die Maſſenhaftigkeit und Menge des Genoſſenen bewaͤhrt. Milo von Kroton, ſo erzaͤhlt die Sage, ſchlug mit Einem Streich einen Ochſen tod, lud ihn auf die Schulter und trug ihn im Lauf davon; — aß ihn aber auch vollkommen auf. Lepraeus Elaus, mit dem Zunamen: der Ochſenfreſſer, that es ihm gleich, und uͤberwand in einem Eßwettſtreite ſelbſt die gewaltige Kraft des Herakles. Der beruͤhmte Muſiker und Taͤnzer Herodot von Megara aß gewoͤhnlich 20 Pfund Fleiſch und eben ſo viel Brod. Kaiſer Maximinius verzehrte auf einmal 40 — 60 Pfund Fleiſch und trank einen Eimer Wein dazu. Aber er zog auch einen ſtark beladenen Wagen mit Einer Hand und ſchlug einem Pferd mit einem einzigen Streich alle Zaͤhne in den Rachen. Eine ſpaͤtere Zeit ſetzte nun die eigentliche Form in die Kraft des Kopfs. Es galt Plan, Gedanken, Bewußtſein. Es galt Sinn, Wahl, Kunſt! Ludwig XIII. machte Conſituren, Ludwig XV. kochte ſich ſeinen Caffee ſelbſt. — Friedrich der Große ließ ſich jeden Abend den Kuͤchenzettel fuͤr den folgenden Tag, mit derſelben Puͤnktlichkeit wie irgend einen Rapport, bringen. Mit Inter- eſſe las er ihn durch, freute ſich, wenn er Lieblingsſpeiſen (Po- lenta und Aalpaſtete) darauf fand, wie ein Menſch, waͤhlte und corrigirte. Der Tiefdenker Kant beſorgte mit liebendem Eifer

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/53>, abgerufen am 20.04.2024.