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Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

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Unser Credo.
Einleitung von Hermann Conradi.


"Die Geister erwachen."
Hutten.

"Unser Credo!"

Wir wissen, daß dieser Titel etwas kühn und stolz klingt. Es werden
mit der Zeit sogar genug Stimmen laut werden, die ihn anmaßend schelten,
womöglich noch härtere Ausdrücke dafür haben. Man wird uns in allen
Farben und Tönen, die ganze prismatische Farbenkarte, die ganze Tonscala
hinauf und hinunter, "heimleuchten" und uns unsere Unbescheidenheit, unsere Ver-
messenheit parlamentarisch und -- unparlamentarisch ad oculos demonstriren.

Ob wir aber zerknirscht sein werden?

Ob wir büßen werden in Sack und Asche?

Ich glaube kaum.

Warum auch?

Wir wissen ganz genau, was wir in dieser Anthologie ausgeben.

Wir sind uns, um diesen Punkt hier gleich zu erwähnen, ihrer Schwächen
vollkommen bewußt.

Wir machen nicht den Anspruch, Vollkommenes, Makelloses nach Form
und Inhalt zu bieten.

Wir begreifen vollkommen, daß manches Poem, das wir aufgenommen,
nicht originell ist; daß es in tausendmal angestimmte Weisen einfällt; daß
es, absolut genommen, vielleicht nicht einmal werthvoll ist.

Und doch erheben wir den Anspruch, endlich die Anthologie geschaffen
zu haben, mit der vielleicht wieder eine neue Lyrik anhebt; durch die vielleicht
wieder weitere Kreise, die der Kunst untreu geworden, zurückgewonnen und
zu neuer, glühaufflammender Begeisterung entzündet werden; und durch die
alle die Sänger und Bildner zu uns geführt werden, um mit uns zu
Schöpfern einer neuen Lyrik zu werden, die bisher abseits stehen mußten,
weil sie kein Organ gefunden, durch das sie zu ihrem Volke in neuen, freien,
ungehörten Weisen reden durften, weil nur das Alte, Conventionelle, Bedingte,
Unschuldige oder das Frivole, Gemeine, Schmutzige -- nie aber das Intime,

Unſer Credo.
Einleitung von Hermann Conradi.


„Die Geiſter erwachen.“
Hutten.

Unſer Credo!“

Wir wiſſen, daß dieſer Titel etwas kühn und ſtolz klingt. Es werden
mit der Zeit ſogar genug Stimmen laut werden, die ihn anmaßend ſchelten,
womöglich noch härtere Ausdrücke dafür haben. Man wird uns in allen
Farben und Tönen, die ganze prismatiſche Farbenkarte, die ganze Tonſcala
hinauf und hinunter, „heimleuchten“ und uns unſere Unbeſcheidenheit, unſere Ver-
meſſenheit parlamentariſch und — unparlamentariſch ad oculos demonſtriren.

Ob wir aber zerknirſcht ſein werden?

Ob wir büßen werden in Sack und Aſche?

Ich glaube kaum.

Warum auch?

Wir wiſſen ganz genau, was wir in dieſer Anthologie ausgeben.

Wir ſind uns, um dieſen Punkt hier gleich zu erwähnen, ihrer Schwächen
vollkommen bewußt.

Wir machen nicht den Anſpruch, Vollkommenes, Makelloſes nach Form
und Inhalt zu bieten.

Wir begreifen vollkommen, daß manches Poem, das wir aufgenommen,
nicht originell iſt; daß es in tauſendmal angeſtimmte Weiſen einfällt; daß
es, abſolut genommen, vielleicht nicht einmal werthvoll iſt.

Und doch erheben wir den Anſpruch, endlich die Anthologie geſchaffen
zu haben, mit der vielleicht wieder eine neue Lyrik anhebt; durch die vielleicht
wieder weitere Kreiſe, die der Kunſt untreu geworden, zurückgewonnen und
zu neuer, glühaufflammender Begeiſterung entzündet werden; und durch die
alle die Sänger und Bildner zu uns geführt werden, um mit uns zu
Schöpfern einer neuen Lyrik zu werden, die bisher abſeits ſtehen mußten,
weil ſie kein Organ gefunden, durch das ſie zu ihrem Volke in neuen, freien,
ungehörten Weiſen reden durften, weil nur das Alte, Conventionelle, Bedingte,
Unſchuldige oder das Frivole, Gemeine, Schmutzige — nie aber das Intime,

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[[I]/0011] Unſer Credo. Einleitung von Hermann Conradi. „Die Geiſter erwachen.“ Hutten. „Unſer Credo!“ Wir wiſſen, daß dieſer Titel etwas kühn und ſtolz klingt. Es werden mit der Zeit ſogar genug Stimmen laut werden, die ihn anmaßend ſchelten, womöglich noch härtere Ausdrücke dafür haben. Man wird uns in allen Farben und Tönen, die ganze prismatiſche Farbenkarte, die ganze Tonſcala hinauf und hinunter, „heimleuchten“ und uns unſere Unbeſcheidenheit, unſere Ver- meſſenheit parlamentariſch und — unparlamentariſch ad oculos demonſtriren. Ob wir aber zerknirſcht ſein werden? Ob wir büßen werden in Sack und Aſche? Ich glaube kaum. Warum auch? Wir wiſſen ganz genau, was wir in dieſer Anthologie ausgeben. Wir ſind uns, um dieſen Punkt hier gleich zu erwähnen, ihrer Schwächen vollkommen bewußt. Wir machen nicht den Anſpruch, Vollkommenes, Makelloſes nach Form und Inhalt zu bieten. Wir begreifen vollkommen, daß manches Poem, das wir aufgenommen, nicht originell iſt; daß es in tauſendmal angeſtimmte Weiſen einfällt; daß es, abſolut genommen, vielleicht nicht einmal werthvoll iſt. Und doch erheben wir den Anſpruch, endlich die Anthologie geſchaffen zu haben, mit der vielleicht wieder eine neue Lyrik anhebt; durch die vielleicht wieder weitere Kreiſe, die der Kunſt untreu geworden, zurückgewonnen und zu neuer, glühaufflammender Begeiſterung entzündet werden; und durch die alle die Sänger und Bildner zu uns geführt werden, um mit uns zu Schöpfern einer neuen Lyrik zu werden, die bisher abſeits ſtehen mußten, weil ſie kein Organ gefunden, durch das ſie zu ihrem Volke in neuen, freien, ungehörten Weiſen reden durften, weil nur das Alte, Conventionelle, Bedingte, Unſchuldige oder das Frivole, Gemeine, Schmutzige — nie aber das Intime,

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Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. [I]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/11>, abgerufen am 28.03.2024.