Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

aber stellt zwei Hände vor, die eine ist weiß, die andere schwarz.
-- Am schauerlichsten klang indessen doch das eigene Erlebniß
mit dem Gespenst, dem Mann ohne Kopf. Ein Dieb, welcher
der Nandl ihren großen Kessel gestohlen hatte, mußte nämlich
nach seinem Tod ohne Kopf so lang auf der Halserspitz' umher-
wandeln, bis endlich die Nandl dem Geist den Kessel geschenkt
hat, dann wurde er erlöst und verschwand. -- Dagegen lauschten
die jungen Dirndeln mit freudiger Begierde, wenn ihnen erklärt
wurde, wie sie sich bemühen müssen, einen Kreuzschlüssel über
den Urschein*) zu werfen, dann höre man eine Unmasse Geld
klingen. -- Jetzt nahte auch die Zeit, wo man den Weihbüschel
binden mußte, der am Himmelfahrtstag unserer lieben Frau in
der Kirche auf den Altar gelegt wird, wo ihn der Priester weiht.
Genau beschrieb die Nandl, was alles hinein gehört: Steinraute
mit einem weißen Blümel, Wohlmuth mit einem rothen, Widri-
tod mit einer gelben Blüth', der zottige, graue Petrusbart,
Frauenhaar und unseres Herrn Bart. -- War aber die Nandl
ganz besonders gut aufgelegt, wenn z. B. ein Stoßgebet um
Almnudeln erhört wurde, und die Bäuerin welche hinauf schickte,
dann sang sie wohl auch einmal am Abend ein lustiges Schnada-
hipfel, und die vier Sennerinnen tanzten in ihrer Nationalweise
vor der Sennhütte, und mit einem fröhlichen, weitklingenden
Jodler war die unschuldige Freud' zu Ende.

16. Ein schlimmer Besuch.

Bei all den Freuden auf der Alm, dem schönen Himmel,
der reinen Luft, der prächtigen Bergwelt, und vor Allem der
liebgewordenen, stillen Sennhütte, um welche ein Kranz von
großen, wohlriechenden Bergvergißmeinnicht blühte, -- ja, bei
alledem wandelte die Resl jetzt doch zuweilen das Verlangen
an, sich wieder einmal gegen einen Menschen auszusprechen, wie
sie es gegen die anderen Sennerinnen nicht thun konnte. --
"Wäre nur der Vater noch rüstiger!" bedauerte sie. "Freilich

*) Der Regenbogen.

aber ſtellt zwei Hände vor, die eine iſt weiß, die andere ſchwarz.
— Am ſchauerlichſten klang indeſſen doch das eigene Erlebniß
mit dem Geſpenſt, dem Mann ohne Kopf. Ein Dieb, welcher
der Nandl ihren großen Keſſel geſtohlen hatte, mußte nämlich
nach ſeinem Tod ohne Kopf ſo lang auf der Halſerſpitz’ umher-
wandeln, bis endlich die Nandl dem Geiſt den Keſſel geſchenkt
hat, dann wurde er erlöſt und verſchwand. — Dagegen lauſchten
die jungen Dirndeln mit freudiger Begierde, wenn ihnen erklärt
wurde, wie ſie ſich bemühen müſſen, einen Kreuzſchlüſſel über
den Urſchein*) zu werfen, dann höre man eine Unmaſſe Geld
klingen. — Jetzt nahte auch die Zeit, wo man den Weihbüſchel
binden mußte, der am Himmelfahrtstag unſerer lieben Frau in
der Kirche auf den Altar gelegt wird, wo ihn der Prieſter weiht.
Genau beſchrieb die Nandl, was alles hinein gehört: Steinraute
mit einem weißen Blümel, Wohlmuth mit einem rothen, Widri-
tod mit einer gelben Blüth’, der zottige, graue Petrusbart,
Frauenhaar und unſeres Herrn Bart. — War aber die Nandl
ganz beſonders gut aufgelegt, wenn z. B. ein Stoßgebet um
Almnudeln erhört wurde, und die Bäuerin welche hinauf ſchickte,
dann ſang ſie wohl auch einmal am Abend ein luſtiges Schnada-
hipfel, und die vier Sennerinnen tanzten in ihrer Nationalweiſe
vor der Sennhütte, und mit einem fröhlichen, weitklingenden
Jodler war die unſchuldige Freud’ zu Ende.

16. Ein ſchlimmer Beſuch.

Bei all den Freuden auf der Alm, dem ſchönen Himmel,
der reinen Luft, der prächtigen Bergwelt, und vor Allem der
liebgewordenen, ſtillen Sennhütte, um welche ein Kranz von
großen, wohlriechenden Bergvergißmeinnicht blühte, — ja, bei
alledem wandelte die Resl jetzt doch zuweilen das Verlangen
an, ſich wieder einmal gegen einen Menſchen auszuſprechen, wie
ſie es gegen die anderen Sennerinnen nicht thun konnte. —
„Wäre nur der Vater noch rüſtiger!“ bedauerte ſie. „Freilich

*) Der Regenbogen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter">
        <p><pb facs="#f0047"/>
aber &#x017F;tellt zwei Hände vor, die eine i&#x017F;t weiß, die andere &#x017F;chwarz.<lb/>
&#x2014; Am &#x017F;chauerlich&#x017F;ten klang inde&#x017F;&#x017F;en doch das eigene Erlebniß<lb/>
mit dem Ge&#x017F;pen&#x017F;t, dem Mann ohne Kopf. Ein Dieb, welcher<lb/>
der Nandl ihren großen Ke&#x017F;&#x017F;el ge&#x017F;tohlen hatte, mußte nämlich<lb/>
nach &#x017F;einem Tod ohne Kopf &#x017F;o lang auf der Hal&#x017F;er&#x017F;pitz&#x2019; umher-<lb/>
wandeln, bis endlich die Nandl dem Gei&#x017F;t den Ke&#x017F;&#x017F;el ge&#x017F;chenkt<lb/>
hat, dann wurde er erlö&#x017F;t und ver&#x017F;chwand. &#x2014; Dagegen lau&#x017F;chten<lb/>
die jungen Dirndeln mit freudiger Begierde, wenn ihnen erklärt<lb/>
wurde, wie &#x017F;ie &#x017F;ich bemühen mü&#x017F;&#x017F;en, einen Kreuz&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;el über<lb/>
den Ur&#x017F;chein<note place="foot" n="*)">Der Regenbogen.<lb/></note> zu werfen, dann höre man eine Unma&#x017F;&#x017F;e Geld<lb/>
klingen. &#x2014; Jetzt nahte auch die Zeit, wo man den Weihbü&#x017F;chel<lb/>
binden mußte, der am Himmelfahrtstag un&#x017F;erer lieben Frau in<lb/>
der Kirche auf den Altar gelegt wird, wo ihn der Prie&#x017F;ter weiht.<lb/>
Genau be&#x017F;chrieb die Nandl, was alles hinein gehört: Steinraute<lb/>
mit einem weißen Blümel, Wohlmuth mit einem rothen, Widri-<lb/>
tod mit einer gelben Blüth&#x2019;, der zottige, graue Petrusbart,<lb/>
Frauenhaar und un&#x017F;eres Herrn Bart. &#x2014; War aber die Nandl<lb/>
ganz be&#x017F;onders gut aufgelegt, wenn z. B. ein Stoßgebet um<lb/>
Almnudeln erhört wurde, und die Bäuerin welche hinauf &#x017F;chickte,<lb/>
dann &#x017F;ang &#x017F;ie wohl auch einmal am Abend ein lu&#x017F;tiges Schnada-<lb/>
hipfel, und die vier Sennerinnen tanzten in ihrer Nationalwei&#x017F;e<lb/>
vor der Sennhütte, und mit einem fröhlichen, weitklingenden<lb/>
Jodler war die un&#x017F;chuldige Freud&#x2019; zu Ende.</p><lb/>
      </div>
      <div type="chapter">
        <head>16. Ein &#x017F;chlimmer Be&#x017F;uch.</head><lb/>
        <p>Bei all den Freuden auf der Alm, dem &#x017F;chönen Himmel,<lb/>
der reinen Luft, der prächtigen Bergwelt, und vor Allem der<lb/>
liebgewordenen, &#x017F;tillen Sennhütte, um welche ein Kranz von<lb/>
großen, wohlriechenden Bergvergißmeinnicht blühte, &#x2014; ja, bei<lb/>
alledem wandelte die Resl jetzt doch zuweilen das Verlangen<lb/>
an, &#x017F;ich wieder einmal gegen einen Men&#x017F;chen auszu&#x017F;prechen, wie<lb/>
&#x017F;ie es gegen die anderen Sennerinnen nicht thun konnte. &#x2014;<lb/>
&#x201E;Wäre nur der Vater noch rü&#x017F;tiger!&#x201C; bedauerte &#x017F;ie. &#x201E;Freilich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0047] aber ſtellt zwei Hände vor, die eine iſt weiß, die andere ſchwarz. — Am ſchauerlichſten klang indeſſen doch das eigene Erlebniß mit dem Geſpenſt, dem Mann ohne Kopf. Ein Dieb, welcher der Nandl ihren großen Keſſel geſtohlen hatte, mußte nämlich nach ſeinem Tod ohne Kopf ſo lang auf der Halſerſpitz’ umher- wandeln, bis endlich die Nandl dem Geiſt den Keſſel geſchenkt hat, dann wurde er erlöſt und verſchwand. — Dagegen lauſchten die jungen Dirndeln mit freudiger Begierde, wenn ihnen erklärt wurde, wie ſie ſich bemühen müſſen, einen Kreuzſchlüſſel über den Urſchein *) zu werfen, dann höre man eine Unmaſſe Geld klingen. — Jetzt nahte auch die Zeit, wo man den Weihbüſchel binden mußte, der am Himmelfahrtstag unſerer lieben Frau in der Kirche auf den Altar gelegt wird, wo ihn der Prieſter weiht. Genau beſchrieb die Nandl, was alles hinein gehört: Steinraute mit einem weißen Blümel, Wohlmuth mit einem rothen, Widri- tod mit einer gelben Blüth’, der zottige, graue Petrusbart, Frauenhaar und unſeres Herrn Bart. — War aber die Nandl ganz beſonders gut aufgelegt, wenn z. B. ein Stoßgebet um Almnudeln erhört wurde, und die Bäuerin welche hinauf ſchickte, dann ſang ſie wohl auch einmal am Abend ein luſtiges Schnada- hipfel, und die vier Sennerinnen tanzten in ihrer Nationalweiſe vor der Sennhütte, und mit einem fröhlichen, weitklingenden Jodler war die unſchuldige Freud’ zu Ende. 16. Ein ſchlimmer Beſuch. Bei all den Freuden auf der Alm, dem ſchönen Himmel, der reinen Luft, der prächtigen Bergwelt, und vor Allem der liebgewordenen, ſtillen Sennhütte, um welche ein Kranz von großen, wohlriechenden Bergvergißmeinnicht blühte, — ja, bei alledem wandelte die Resl jetzt doch zuweilen das Verlangen an, ſich wieder einmal gegen einen Menſchen auszuſprechen, wie ſie es gegen die anderen Sennerinnen nicht thun konnte. — „Wäre nur der Vater noch rüſtiger!“ bedauerte ſie. „Freilich *) Der Regenbogen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Andreas Hungeling / https://www.stimm-los.de/: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-06-17T10:39:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-06-17T10:39:18Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; I/J in Fraktur: wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: dokumentiert; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875/47
Zitationshilfe: Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875/47>, abgerufen am 29.03.2024.