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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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dem Fidelbogen um den Kopf schlagen, bis Sie ein-
sieht, der Himmel ist Musik. Sie war ganz frappirt,
und nach langer Pause sagte sie: Mädchen, Du kannst
Recht haben.


Was mache ich denn Goethe, meine halben Nächte
verschreib' ich an Dich, gestern früh im Nachen da schlief
ich; wir fuhren bis St. Goar und träumte über Musik,
und was ich Dir gestern Abend halb ermüdet und halb
besessen niedergeschrieben habe, ist kaum eine Spur von
dem, was sich in mir aussprach, aber Wahrheit liegt
drinnen; es ist eben ein großer Unterschied zwischen dem,
was einem schlafend der Geist eingiebt, und dem, was
man wachend davon behaupten kann. Ich sage Dir,
ich hoffe in Zukunft mehr bei Sinnen zu sein, wenn ich
Dir schreibe; ich werde mich mäßigen und alle kleine
Züge sammlen, unbekümmert, ob sie aus einer Anschau-
ung hervorgehen, ob sie ein System begründen. Ich
möchte selbst gerne wissen, was Musik ist, ich suche sie,
wie der Mensch die ewige Weisheit sucht. Glaube nicht,
daß, was ich geschrieben habe, nicht mein wahrer Ernst
sei, ich glaube dran, grad' weil ich's gedacht habe, ob-

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dem Fidelbogen um den Kopf ſchlagen, bis Sie ein-
ſieht, der Himmel iſt Muſik. Sie war ganz frappirt,
und nach langer Pauſe ſagte ſie: Mädchen, Du kannſt
Recht haben.


Was mache ich denn Goethe, meine halben Nächte
verſchreib' ich an Dich, geſtern früh im Nachen da ſchlief
ich; wir fuhren bis St. Goar und träumte über Muſik,
und was ich Dir geſtern Abend halb ermüdet und halb
beſeſſen niedergeſchrieben habe, iſt kaum eine Spur von
dem, was ſich in mir ausſprach, aber Wahrheit liegt
drinnen; es iſt eben ein großer Unterſchied zwiſchen dem,
was einem ſchlafend der Geiſt eingiebt, und dem, was
man wachend davon behaupten kann. Ich ſage Dir,
ich hoffe in Zukunft mehr bei Sinnen zu ſein, wenn ich
Dir ſchreibe; ich werde mich mäßigen und alle kleine
Züge ſammlen, unbekümmert, ob ſie aus einer Anſchau-
ung hervorgehen, ob ſie ein Syſtem begründen. Ich
möchte ſelbſt gerne wiſſen, was Muſik iſt, ich ſuche ſie,
wie der Menſch die ewige Weisheit ſucht. Glaube nicht,
daß, was ich geſchrieben habe, nicht mein wahrer Ernſt
ſei, ich glaube dran, grad' weil ich's gedacht habe, ob-

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[267/0299] dem Fidelbogen um den Kopf ſchlagen, bis Sie ein- ſieht, der Himmel iſt Muſik. Sie war ganz frappirt, und nach langer Pauſe ſagte ſie: Mädchen, Du kannſt Recht haben. Am 25. Was mache ich denn Goethe, meine halben Nächte verſchreib' ich an Dich, geſtern früh im Nachen da ſchlief ich; wir fuhren bis St. Goar und träumte über Muſik, und was ich Dir geſtern Abend halb ermüdet und halb beſeſſen niedergeſchrieben habe, iſt kaum eine Spur von dem, was ſich in mir ausſprach, aber Wahrheit liegt drinnen; es iſt eben ein großer Unterſchied zwiſchen dem, was einem ſchlafend der Geiſt eingiebt, und dem, was man wachend davon behaupten kann. Ich ſage Dir, ich hoffe in Zukunft mehr bei Sinnen zu ſein, wenn ich Dir ſchreibe; ich werde mich mäßigen und alle kleine Züge ſammlen, unbekümmert, ob ſie aus einer Anſchau- ung hervorgehen, ob ſie ein Syſtem begründen. Ich möchte ſelbſt gerne wiſſen, was Muſik iſt, ich ſuche ſie, wie der Menſch die ewige Weisheit ſucht. Glaube nicht, daß, was ich geſchrieben habe, nicht mein wahrer Ernſt ſei, ich glaube dran, grad' weil ich's gedacht habe, ob- 12*

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/299>, abgerufen am 24.04.2024.