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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Ich hatte mir's vorgenommen, noch einmal hier
herauf zu gehen, wo ich in Gedanken so glückliche Stun-
den mit Dir verlebt habe, und vom Rhein Abschied zu
nehmen, der in alle Empfindungen eingeht, und der
größer, feuriger, kühner und lustiger, und überirdischer
als alle ist; -- ich komme um 5 Uhr Nachmittags hier
oben an; finde alles im friedlichen Sonnenlicht, die
Bienen angesiedelt, von der Nordseite geschützt durch
die Mauer; Beichtstuhl und Altar stehen gegen Morgen.
Meine Pflanzen hab' ich alle eingesetzt mit Hülfe des
Schiffsjungen, der sie mir herauf bringen half; die Rebe
im Topf, welche schon an 6 Fuß hoch ist und voll
Trauben hängt, hab' ich am Altar zwischen eine ge-
brochne Steinplatte gesetzt; den Topf hab' ich zerschla-
gen und die Scherben leise abgenommen, damit die
Erde hübsch an den Wurzeln bleibt; es ist eine Muska-
tellerart, die sehr feine Blätter hat; dann hab' ich ihn
am Kreuz auf dem Altar festgebunden; die Trauben
hängen grade über den Christusleib; -- wenn er schön
einwächst und gedeiht, da werden sich die Menschen
wundern, die hier oben herkommen; des Schäfers Bie-
nen im Beichtstuhl mit dem Geisblatt, das ihn umzieht,


Ich hatte mir's vorgenommen, noch einmal hier
herauf zu gehen, wo ich in Gedanken ſo glückliche Stun-
den mit Dir verlebt habe, und vom Rhein Abſchied zu
nehmen, der in alle Empfindungen eingeht, und der
größer, feuriger, kühner und luſtiger, und überirdiſcher
als alle iſt; — ich komme um 5 Uhr Nachmittags hier
oben an; finde alles im friedlichen Sonnenlicht, die
Bienen angeſiedelt, von der Nordſeite geſchützt durch
die Mauer; Beichtſtuhl und Altar ſtehen gegen Morgen.
Meine Pflanzen hab' ich alle eingeſetzt mit Hülfe des
Schiffsjungen, der ſie mir herauf bringen half; die Rebe
im Topf, welche ſchon an 6 Fuß hoch iſt und voll
Trauben hängt, hab' ich am Altar zwiſchen eine ge-
brochne Steinplatte geſetzt; den Topf hab' ich zerſchla-
gen und die Scherben leiſe abgenommen, damit die
Erde hübſch an den Wurzeln bleibt; es iſt eine Muska-
tellerart, die ſehr feine Blätter hat; dann hab' ich ihn
am Kreuz auf dem Altar feſtgebunden; die Trauben
hängen grade über den Chriſtusleib; — wenn er ſchön
einwächſt und gedeiht, da werden ſich die Menſchen
wundern, die hier oben herkommen; des Schäfers Bie-
nen im Beichtſtuhl mit dem Geisblatt, das ihn umzieht,

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[340/0372] Rochusberg. Ich hatte mir's vorgenommen, noch einmal hier herauf zu gehen, wo ich in Gedanken ſo glückliche Stun- den mit Dir verlebt habe, und vom Rhein Abſchied zu nehmen, der in alle Empfindungen eingeht, und der größer, feuriger, kühner und luſtiger, und überirdiſcher als alle iſt; — ich komme um 5 Uhr Nachmittags hier oben an; finde alles im friedlichen Sonnenlicht, die Bienen angeſiedelt, von der Nordſeite geſchützt durch die Mauer; Beichtſtuhl und Altar ſtehen gegen Morgen. Meine Pflanzen hab' ich alle eingeſetzt mit Hülfe des Schiffsjungen, der ſie mir herauf bringen half; die Rebe im Topf, welche ſchon an 6 Fuß hoch iſt und voll Trauben hängt, hab' ich am Altar zwiſchen eine ge- brochne Steinplatte geſetzt; den Topf hab' ich zerſchla- gen und die Scherben leiſe abgenommen, damit die Erde hübſch an den Wurzeln bleibt; es iſt eine Muska- tellerart, die ſehr feine Blätter hat; dann hab' ich ihn am Kreuz auf dem Altar feſtgebunden; die Trauben hängen grade über den Chriſtusleib; — wenn er ſchön einwächſt und gedeiht, da werden ſich die Menſchen wundern, die hier oben herkommen; des Schäfers Bie- nen im Beichtſtuhl mit dem Geisblatt, das ihn umzieht,

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/372>, abgerufen am 23.04.2024.