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Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin, 1753.

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Das zweyte Hauptstück, erste Abtheilung.
beygefügt haben, als wenn sie ihre Sachen der Discretion unge-
schickter Ausüber hätten überlassen sollen.

§. 4.

Auch hierinnen muß man den Frantzosen Gerechtig-
keit wiederfahren lassen, daß sie in der Bezeichnung ihrer Stücke
besonders sorgfältig sind. Die größten Meister unsres Jnstru-
ments in Deutschland haben dasselbe, wiewohl nicht mit solchem
Ueberfluß, gethan, und wer weiß, ob sie nicht durch diese ver-
nünftige Wahl und Anzahl der Manieren Gelegenheit gegeben
haben, daß die Frantzosen anjetzo nicht mehr, wie vordem, fast
jede Note mit einem solchen Zierrath beschweren, und dadurch die
nöthige Deutlichkeit und edle Einfalt des Gesanges verstecken.

§. 5.

Wir sehen hieraus, daß man lernen müsse, die guten
Manieren von den schlechten zu unterscheiden, die guten recht
vorzutragen und sie an ihrem bestimmten Orte in gehöriger An-
zahl anzubringen.

§. 6.

Die Manieren lassen sich sehr wohl in zwey Classen
abtheilen. Zu der ersten rechne ich diejenigen, welche man theils
durch gewisse angenommene Kennzeichen, theils durch wenige kleine
Nötgen anzudeuten pflegt; zu der andern können die übrigen
gehören, welche keine Zeichen haben und aus vielen kurtzen No-
ten bestehen.

§. 7.

Da die letztere Art von Manieren von dem Geschma-
cke in der Musick besonders abhänget und folglich der Verände-
rung gar zu sehr unterworfen ist; da man sie bey den Clavier-
Sachen mehrentheils angedeutet antrift, und da man sie allenfalls
bey der hinlänglichen Anzahl der übrigen missen kan: so werde
ich nur etwas weniges am Ende, bey Gelegenheit der Fermaten
davon anführen, im übrigen aber blos mit denen aus der ersten
Classe zu thun haben, indem sie mehrentheils schon von langen
Zeiten her gleichsam zum Wesen des Clavier-Spielens gehört ha-

ben

Das zweyte Hauptſtuͤck, erſte Abtheilung.
beygefuͤgt haben, als wenn ſie ihre Sachen der Diſcretion unge-
ſchickter Ausuͤber haͤtten uͤberlaſſen ſollen.

§. 4.

Auch hierinnen muß man den Frantzoſen Gerechtig-
keit wiederfahren laſſen, daß ſie in der Bezeichnung ihrer Stuͤcke
beſonders ſorgfaͤltig ſind. Die groͤßten Meiſter unſres Jnſtru-
ments in Deutſchland haben daſſelbe, wiewohl nicht mit ſolchem
Ueberfluß, gethan, und wer weiß, ob ſie nicht durch dieſe ver-
nuͤnftige Wahl und Anzahl der Manieren Gelegenheit gegeben
haben, daß die Frantzoſen anjetzo nicht mehr, wie vordem, faſt
jede Note mit einem ſolchen Zierrath beſchweren, und dadurch die
noͤthige Deutlichkeit und edle Einfalt des Geſanges verſtecken.

§. 5.

Wir ſehen hieraus, daß man lernen muͤſſe, die guten
Manieren von den ſchlechten zu unterſcheiden, die guten recht
vorzutragen und ſie an ihrem beſtimmten Orte in gehoͤriger An-
zahl anzubringen.

§. 6.

Die Manieren laſſen ſich ſehr wohl in zwey Claſſen
abtheilen. Zu der erſten rechne ich diejenigen, welche man theils
durch gewiſſe angenommene Kennzeichen, theils durch wenige kleine
Noͤtgen anzudeuten pflegt; zu der andern koͤnnen die uͤbrigen
gehoͤren, welche keine Zeichen haben und aus vielen kurtzen No-
ten beſtehen.

§. 7.

Da die letztere Art von Manieren von dem Geſchma-
cke in der Muſick beſonders abhaͤnget und folglich der Veraͤnde-
rung gar zu ſehr unterworfen iſt; da man ſie bey den Clavier-
Sachen mehrentheils angedeutet antrift, und da man ſie allenfalls
bey der hinlaͤnglichen Anzahl der uͤbrigen miſſen kan: ſo werde
ich nur etwas weniges am Ende, bey Gelegenheit der Fermaten
davon anfuͤhren, im uͤbrigen aber blos mit denen aus der erſten
Claſſe zu thun haben, indem ſie mehrentheils ſchon von langen
Zeiten her gleichſam zum Weſen des Clavier-Spielens gehoͤrt ha-

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[46/0054] Das zweyte Hauptſtuͤck, erſte Abtheilung. beygefuͤgt haben, als wenn ſie ihre Sachen der Diſcretion unge- ſchickter Ausuͤber haͤtten uͤberlaſſen ſollen. §. 4. Auch hierinnen muß man den Frantzoſen Gerechtig- keit wiederfahren laſſen, daß ſie in der Bezeichnung ihrer Stuͤcke beſonders ſorgfaͤltig ſind. Die groͤßten Meiſter unſres Jnſtru- ments in Deutſchland haben daſſelbe, wiewohl nicht mit ſolchem Ueberfluß, gethan, und wer weiß, ob ſie nicht durch dieſe ver- nuͤnftige Wahl und Anzahl der Manieren Gelegenheit gegeben haben, daß die Frantzoſen anjetzo nicht mehr, wie vordem, faſt jede Note mit einem ſolchen Zierrath beſchweren, und dadurch die noͤthige Deutlichkeit und edle Einfalt des Geſanges verſtecken. §. 5. Wir ſehen hieraus, daß man lernen muͤſſe, die guten Manieren von den ſchlechten zu unterſcheiden, die guten recht vorzutragen und ſie an ihrem beſtimmten Orte in gehoͤriger An- zahl anzubringen. §. 6. Die Manieren laſſen ſich ſehr wohl in zwey Claſſen abtheilen. Zu der erſten rechne ich diejenigen, welche man theils durch gewiſſe angenommene Kennzeichen, theils durch wenige kleine Noͤtgen anzudeuten pflegt; zu der andern koͤnnen die uͤbrigen gehoͤren, welche keine Zeichen haben und aus vielen kurtzen No- ten beſtehen. §. 7. Da die letztere Art von Manieren von dem Geſchma- cke in der Muſick beſonders abhaͤnget und folglich der Veraͤnde- rung gar zu ſehr unterworfen iſt; da man ſie bey den Clavier- Sachen mehrentheils angedeutet antrift, und da man ſie allenfalls bey der hinlaͤnglichen Anzahl der uͤbrigen miſſen kan: ſo werde ich nur etwas weniges am Ende, bey Gelegenheit der Fermaten davon anfuͤhren, im uͤbrigen aber blos mit denen aus der erſten Claſſe zu thun haben, indem ſie mehrentheils ſchon von langen Zeiten her gleichſam zum Weſen des Clavier-Spielens gehoͤrt ha- ben

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Zitationshilfe: Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin, 1753, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch01_1759/54>, abgerufen am 28.03.2024.