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Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 2. Berlin, 1762.

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Zwey und dreyßigstes Capitel.
eine elende Begleitung ungemein verliehret, weil ihm alle Schön-
heiten verdorben werden, und was das vornehmste ist, weil er
dadurch aus der guten Disposition, worin er war, kommen muß.
Mit einem Worte, ein discreter Accompagnist muß eine gute
musicalische Seele haben, welche vielen Verstand und guten
Willen hat.

§. 4.

Mit Discretion accompagniren heisset auch
zuweilen die Fehler anderer übertragen, und denenselben nach-
geben. Oft befiehlet dieses die Höflichkeit, oft auch die Noth-
wendigkeit, wenn z. E. ein vielstimmiges Stück von vielen Ausfüh-
rern, welche nicht gleiche Fähigkeiten besitzen, ordentlich ausge-
führet werden soll. Der beste Anführer muß alsdenn nachgeben,
und folglich auch der Accompagnist.

§. 5.

Mit Discretion accompagniren heisset auch ge-
wissen Freyheiten, welche sich die Ausführer der Hauptstimme zu-
weilen herausnehmen, nachgeben. Diese letztern pflegen alsdenn
bey der Auszierung oder Veränderung des Gesanges, ohne daß
es eigentlich seyn solte, von der Vorschrift in etwas abzuge-
hen. Dem verständigsten Ausführer der Hauptstimme kann dieses
begegnen, wenn er weiß, daß er einen tüchtigen Accompagnisten
hat, und sich folglich mit aller möglichen Freyheit dem Affecte
überlässet. Diese Freyheiten müssen also nicht aus einer Unwis-
senheit, sondern aus einer vernünftigen Sonverainität herrühren,
und betreffen nur gewisse Kleinigkeiten, welche einem erfahrnen Ac-
compagnisten nichts, als ein wenig Aufmerksamkeit kosten. In
den unten angeführten Exempeln (a) pflegen die Ausführer der
Hauptstimme zuweilen in der Ausschmückung ihres Vortrages eine
Bezifferung für die andere zu nehmen. Der Accompagnist muß
seine Harmonie hiernach einrichten. Ausser dieser Verwechselung
der Aufgaben muß man bey der Begleitung auch aufmerksam seyn

und

Zwey und dreyßigſtes Capitel.
eine elende Begleitung ungemein verliehret, weil ihm alle Schön-
heiten verdorben werden, und was das vornehmſte iſt, weil er
dadurch aus der guten Dispoſition, worin er war, kommen muß.
Mit einem Worte, ein discreter Accompagniſt muß eine gute
muſicaliſche Seele haben, welche vielen Verſtand und guten
Willen hat.

§. 4.

Mit Discretion accompagniren heiſſet auch
zuweilen die Fehler anderer übertragen, und denenſelben nach-
geben. Oft befiehlet dieſes die Höflichkeit, oft auch die Noth-
wendigkeit, wenn z. E. ein vielſtimmiges Stück von vielen Ausfüh-
rern, welche nicht gleiche Fähigkeiten beſitzen, ordentlich ausge-
führet werden ſoll. Der beſte Anführer muß alsdenn nachgeben,
und folglich auch der Accompagniſt.

§. 5.

Mit Discretion accompagniren heiſſet auch ge-
wiſſen Freyheiten, welche ſich die Ausführer der Hauptſtimme zu-
weilen herausnehmen, nachgeben. Dieſe letztern pflegen alsdenn
bey der Auszierung oder Veränderung des Geſanges, ohne daß
es eigentlich ſeyn ſolte, von der Vorſchrift in etwas abzuge-
hen. Dem verſtändigſten Ausführer der Hauptſtimme kann dieſes
begegnen, wenn er weiß, daß er einen tüchtigen Accompagniſten
hat, und ſich folglich mit aller möglichen Freyheit dem Affecte
überläſſet. Dieſe Freyheiten müſſen alſo nicht aus einer Unwiſ-
ſenheit, ſondern aus einer vernünftigen Sonverainität herrühren,
und betreffen nur gewiſſe Kleinigkeiten, welche einem erfahrnen Ac-
compagniſten nichts, als ein wenig Aufmerkſamkeit koſten. In
den unten angeführten Exempeln (a) pflegen die Ausführer der
Hauptſtimme zuweilen in der Ausſchmückung ihres Vortrages eine
Bezifferung für die andere zu nehmen. Der Accompagniſt muß
ſeine Harmonie hiernach einrichten. Auſſer dieſer Verwechſelung
der Aufgaben muß man bey der Begleitung auch aufmerkſam ſeyn

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[270/0280] Zwey und dreyßigſtes Capitel. eine elende Begleitung ungemein verliehret, weil ihm alle Schön- heiten verdorben werden, und was das vornehmſte iſt, weil er dadurch aus der guten Dispoſition, worin er war, kommen muß. Mit einem Worte, ein discreter Accompagniſt muß eine gute muſicaliſche Seele haben, welche vielen Verſtand und guten Willen hat. §. 4. Mit Discretion accompagniren heiſſet auch zuweilen die Fehler anderer übertragen, und denenſelben nach- geben. Oft befiehlet dieſes die Höflichkeit, oft auch die Noth- wendigkeit, wenn z. E. ein vielſtimmiges Stück von vielen Ausfüh- rern, welche nicht gleiche Fähigkeiten beſitzen, ordentlich ausge- führet werden ſoll. Der beſte Anführer muß alsdenn nachgeben, und folglich auch der Accompagniſt. §. 5. Mit Discretion accompagniren heiſſet auch ge- wiſſen Freyheiten, welche ſich die Ausführer der Hauptſtimme zu- weilen herausnehmen, nachgeben. Dieſe letztern pflegen alsdenn bey der Auszierung oder Veränderung des Geſanges, ohne daß es eigentlich ſeyn ſolte, von der Vorſchrift in etwas abzuge- hen. Dem verſtändigſten Ausführer der Hauptſtimme kann dieſes begegnen, wenn er weiß, daß er einen tüchtigen Accompagniſten hat, und ſich folglich mit aller möglichen Freyheit dem Affecte überläſſet. Dieſe Freyheiten müſſen alſo nicht aus einer Unwiſ- ſenheit, ſondern aus einer vernünftigen Sonverainität herrühren, und betreffen nur gewiſſe Kleinigkeiten, welche einem erfahrnen Ac- compagniſten nichts, als ein wenig Aufmerkſamkeit koſten. In den unten angeführten Exempeln (a) pflegen die Ausführer der Hauptſtimme zuweilen in der Ausſchmückung ihres Vortrages eine Bezifferung für die andere zu nehmen. Der Accompagniſt muß ſeine Harmonie hiernach einrichten. Auſſer dieſer Verwechſelung der Aufgaben muß man bey der Begleitung auch aufmerkſam ſeyn und

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Zitationshilfe: Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch02_1762/280>, abgerufen am 29.03.2024.