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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Stadtthore. XVII.
Ringmauer und überragt dieselbe um drei Stockwerke mit hölzernen
Galerieen unter vorspringenden Dächern. Davor liegt ein halb-
kreisförmiger oder viereckiger mauerumschlossener Hof, in welchen
man durch den äusseren festungsartigen Thorbau gelangt: auf massi-
vem bis zur Höhe der Ringmauer ragendem Unterbau aus Quadern
erheben sich zunächst drei Stockwerke aus Backstein mit je zwölf
Schiessscharten in der Hauptfront und vier auf den die Mauer flan-
kirenden schmalen Seiten. Ueber dem dritten Stockwerk läuft ein
Dach um das Gebäude, und darüber steht eine vierte Etage mit der
gleichen Anzahl Scharten. Der schwere Dachstuhl beider Thor-
gebäude ist mit grünen und gelben glasirten Ziegeln bekleidet; die
Ecken der Hauptfirst schmücken aufgerollte Drachenschwänze, die
herablaufenden Dachkanten groteske Thiergestalten. Die Schiess-
scharten sind durch Bretterläden geschlossen, auf denen gemalte
Kanonenlöcher prangen; für wirkliches Geschütz soll das tragende
Gebälk zu morsch sein. Die äusseren Thorbauten haben Mandschu-
Inschriften und ein neueres Aussehn als die inneren und die von
Yon-lo, dem dritten Kaiser des Min-Hauses 1403 erbauten Ring-
mauern. Dieser verlegte den Sitz der Regierung von Nan-kin --
dem südlichen Hof -- nach der alten Mongolenresidenz Tsan-
tien
und nannte sie Pe-kin, -- den nördlichen Hof. Nur der Sockel
der Mauern besteht aus Quadern, alles Uebrige aus gelbgrauen,
scheinbar nur an der Luft getrockneten Backsteinen, die in den
unteren Schichten mehrere Fuss lang und wenig verwittert sind.
Bei einiger Sorgfalt hielten die Mauern wohl noch Jahrhunderte;
sie dienen aber den Nachbarn als Steinbruch, und die Behörden
hindern kaum die Verschleppung. Zahlreiche dem inneren Sockel
angeklebte Hütten verrathen deutlich diesen Ursprung; die Gelegen-
heit ist zu bequem, um nicht reichlich benutzt zu werden.

Das Mittelthor in der Südmauer der Tartarenstadt heisst
Tien-men, Himmelsthor. Wie bei allen Südthoren dient als ge-
wöhnlicher Eingang eine seitliche Pforte des Vorhofes. Einmal
jährlich aber wird das grosse Flügelthor für den Kaiser geöffnet,
der sich zur feierlichen Verrichtung des Pflügens nach dem in der
chinesischen Stadt gelegenen Tempel des Ackerbaues begiebt. Die
Mauern und Thore dieser "Aeusseren" Stadt sind schlechter und
niedriger als die der tartarischen; sie wurden 1544 erbaut, um die
Tempel des Himmels und des Ackerbaues und die in der Vorstadt
angesiedelten Kaufleute gegen Angriffe räuberischer Horden zu

Stadtthore. XVII.
Ringmauer und überragt dieselbe um drei Stockwerke mit hölzernen
Galerieen unter vorspringenden Dächern. Davor liegt ein halb-
kreisförmiger oder viereckiger mauerumschlossener Hof, in welchen
man durch den äusseren festungsartigen Thorbau gelangt: auf massi-
vem bis zur Höhe der Ringmauer ragendem Unterbau aus Quadern
erheben sich zunächst drei Stockwerke aus Backstein mit je zwölf
Schiessscharten in der Hauptfront und vier auf den die Mauer flan-
kirenden schmalen Seiten. Ueber dem dritten Stockwerk läuft ein
Dach um das Gebäude, und darüber steht eine vierte Etage mit der
gleichen Anzahl Scharten. Der schwere Dachstuhl beider Thor-
gebäude ist mit grünen und gelben glasirten Ziegeln bekleidet; die
Ecken der Hauptfirst schmücken aufgerollte Drachenschwänze, die
herablaufenden Dachkanten groteske Thiergestalten. Die Schiess-
scharten sind durch Bretterläden geschlossen, auf denen gemalte
Kanonenlöcher prangen; für wirkliches Geschütz soll das tragende
Gebälk zu morsch sein. Die äusseren Thorbauten haben Mandschu-
Inschriften und ein neueres Aussehn als die inneren und die von
Yoṅ-lo, dem dritten Kaiser des Miṅ-Hauses 1403 erbauten Ring-
mauern. Dieser verlegte den Sitz der Regierung von Nan-kiṅ
dem südlichen Hof — nach der alten Mongolenresidenz Tšan-
tien
und nannte sie Pe-kiṅ, — den nördlichen Hof. Nur der Sockel
der Mauern besteht aus Quadern, alles Uebrige aus gelbgrauen,
scheinbar nur an der Luft getrockneten Backsteinen, die in den
unteren Schichten mehrere Fuss lang und wenig verwittert sind.
Bei einiger Sorgfalt hielten die Mauern wohl noch Jahrhunderte;
sie dienen aber den Nachbarn als Steinbruch, und die Behörden
hindern kaum die Verschleppung. Zahlreiche dem inneren Sockel
angeklebte Hütten verrathen deutlich diesen Ursprung; die Gelegen-
heit ist zu bequem, um nicht reichlich benutzt zu werden.

Das Mittelthor in der Südmauer der Tartarenstadt heisst
Tien-men, Himmelsthor. Wie bei allen Südthoren dient als ge-
wöhnlicher Eingang eine seitliche Pforte des Vorhofes. Einmal
jährlich aber wird das grosse Flügelthor für den Kaiser geöffnet,
der sich zur feierlichen Verrichtung des Pflügens nach dem in der
chinesischen Stadt gelegenen Tempel des Ackerbaues begiebt. Die
Mauern und Thore dieser »Aeusseren« Stadt sind schlechter und
niedriger als die der tartarischen; sie wurden 1544 erbaut, um die
Tempel des Himmels und des Ackerbaues und die in der Vorstadt
angesiedelten Kaufleute gegen Angriffe räuberischer Horden zu

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[108/0122] Stadtthore. XVII. Ringmauer und überragt dieselbe um drei Stockwerke mit hölzernen Galerieen unter vorspringenden Dächern. Davor liegt ein halb- kreisförmiger oder viereckiger mauerumschlossener Hof, in welchen man durch den äusseren festungsartigen Thorbau gelangt: auf massi- vem bis zur Höhe der Ringmauer ragendem Unterbau aus Quadern erheben sich zunächst drei Stockwerke aus Backstein mit je zwölf Schiessscharten in der Hauptfront und vier auf den die Mauer flan- kirenden schmalen Seiten. Ueber dem dritten Stockwerk läuft ein Dach um das Gebäude, und darüber steht eine vierte Etage mit der gleichen Anzahl Scharten. Der schwere Dachstuhl beider Thor- gebäude ist mit grünen und gelben glasirten Ziegeln bekleidet; die Ecken der Hauptfirst schmücken aufgerollte Drachenschwänze, die herablaufenden Dachkanten groteske Thiergestalten. Die Schiess- scharten sind durch Bretterläden geschlossen, auf denen gemalte Kanonenlöcher prangen; für wirkliches Geschütz soll das tragende Gebälk zu morsch sein. Die äusseren Thorbauten haben Mandschu- Inschriften und ein neueres Aussehn als die inneren und die von Yoṅ-lo, dem dritten Kaiser des Miṅ-Hauses 1403 erbauten Ring- mauern. Dieser verlegte den Sitz der Regierung von Nan-kiṅ — dem südlichen Hof — nach der alten Mongolenresidenz Tšan- tien und nannte sie Pe-kiṅ, — den nördlichen Hof. Nur der Sockel der Mauern besteht aus Quadern, alles Uebrige aus gelbgrauen, scheinbar nur an der Luft getrockneten Backsteinen, die in den unteren Schichten mehrere Fuss lang und wenig verwittert sind. Bei einiger Sorgfalt hielten die Mauern wohl noch Jahrhunderte; sie dienen aber den Nachbarn als Steinbruch, und die Behörden hindern kaum die Verschleppung. Zahlreiche dem inneren Sockel angeklebte Hütten verrathen deutlich diesen Ursprung; die Gelegen- heit ist zu bequem, um nicht reichlich benutzt zu werden. Das Mittelthor in der Südmauer der Tartarenstadt heisst Tien-men, Himmelsthor. Wie bei allen Südthoren dient als ge- wöhnlicher Eingang eine seitliche Pforte des Vorhofes. Einmal jährlich aber wird das grosse Flügelthor für den Kaiser geöffnet, der sich zur feierlichen Verrichtung des Pflügens nach dem in der chinesischen Stadt gelegenen Tempel des Ackerbaues begiebt. Die Mauern und Thore dieser »Aeusseren« Stadt sind schlechter und niedriger als die der tartarischen; sie wurden 1544 erbaut, um die Tempel des Himmels und des Ackerbaues und die in der Vorstadt angesiedelten Kaufleute gegen Angriffe räuberischer Horden zu

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/122>, abgerufen am 29.03.2024.