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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XVII. Die älteren russischen Beziehungen.
Nähe. -- Dass in Pe-kin alle Uhrmacher Christen sind, erklärt sich
aus der Berührung ihrer Ahnen mit den geschickten Jesuiten. Ihre
Uhren, Gläser und Instrumente sind schweizer Arbeit, gelten aber,
von Russen eingeführt, als russische.

Die griechisch-katholische Gemeinde unter dem russischen
Archimandriten scheint weniger zahlreich zu sein, als die römische;
die Mission bestand 1860 aus vier Geistlichen und sechs Laien,
welche dem Studium der Sprache, der chinesischen Institutionen
und Wissenschaften lebten. Seit Jahrhunderten strebten die Czaaren
nach Erweiterung der Handelsbeziehungen zum chinesischen Reich,
Vorschiebung ihrer Grenzen nach Süden und Einrichtung einer
stehenden Gesandtschaft in Pe-kin, erlangten aber die Anerkennung
ihrer politischen Gleichberechtigung nicht früher als England und
Frankreich. -- Die erste russische Gesandtschaft scheint 1656, also
bald nach dem Sturz der Min nach China gekommen zu sein: "Der
König der Oros", berichten die chinesischen Annalen, "schickte einige
Grosse seines Hofes nach Pe-kin, um Handelsfreiheit zwischen bei-
den Staaten einzurichten. Der Kaiser befahl sie ehrenvoll zu be-
handeln und liess ihnen ein Haus anweisen, vor welchem Wachen
aufgestellt wurden. Die Soldaten hatten Befehl sie zu begleiten,
so oft sie ausgingen. Der Hof von Pe-kin forderte als Vorbedingung,
dass der russische Monarch China's Oberhoheit anerkenne und seine
Geschenke als Tribut einsende. Auf diese Bedingung gingen die
Russen nicht ein und kehrten unverrichteter Sache in die Heimath
zurück." 25) -- Die Holländer, welche zu derselben Zeit in Pe-kin
waren, bezeugen, dass die Russen die Verrichtung der Ko-to be-
harrlich verweigerten.

1688 kam eine russische Gesandtschaft an die chinesische
Grenze und meldete ihre Ankunft nach Pe-kin; Kaiser Kan-gi
schickte einige Mandschu-Fürsten nach "Selinga", welche ein por-
tugiesischer und ein französischer Missionar als Dolmetscher be-
gleiteten. Bei Nip-tsu, dem Nertsinsk der Russen, trafen die Be-
vollmächtigten am 22. August 1688 zusammen; der Gesandte des
Czaaren forderte schon damals, was Russland erst 170 Jahre später
im Vertrage von Tien-tsin erlangte: dass der Sakalien-ula oder
Amur in der ganzen Ausdehnung seines Laufes als Grenze beider
Reiche angesehen werde. Am 8. September 1688 unterzeichnete

25) S. Pauthier, Histoire des relations de la Chine avec les puissances occi-
dentales.

XVII. Die älteren russischen Beziehungen.
Nähe. — Dass in Pe-kiṅ alle Uhrmacher Christen sind, erklärt sich
aus der Berührung ihrer Ahnen mit den geschickten Jesuiten. Ihre
Uhren, Gläser und Instrumente sind schweizer Arbeit, gelten aber,
von Russen eingeführt, als russische.

Die griechisch-katholische Gemeinde unter dem russischen
Archimandriten scheint weniger zahlreich zu sein, als die römische;
die Mission bestand 1860 aus vier Geistlichen und sechs Laien,
welche dem Studium der Sprache, der chinesischen Institutionen
und Wissenschaften lebten. Seit Jahrhunderten strebten die Czaaren
nach Erweiterung der Handelsbeziehungen zum chinesischen Reich,
Vorschiebung ihrer Grenzen nach Süden und Einrichtung einer
stehenden Gesandtschaft in Pe-kiṅ, erlangten aber die Anerkennung
ihrer politischen Gleichberechtigung nicht früher als England und
Frankreich. — Die erste russische Gesandtschaft scheint 1656, also
bald nach dem Sturz der Miṅ nach China gekommen zu sein: »Der
König der Oros«, berichten die chinesischen Annalen, »schickte einige
Grosse seines Hofes nach Pe-kiṅ, um Handelsfreiheit zwischen bei-
den Staaten einzurichten. Der Kaiser befahl sie ehrenvoll zu be-
handeln und liess ihnen ein Haus anweisen, vor welchem Wachen
aufgestellt wurden. Die Soldaten hatten Befehl sie zu begleiten,
so oft sie ausgingen. Der Hof von Pe-kiṅ forderte als Vorbedingung,
dass der russische Monarch China’s Oberhoheit anerkenne und seine
Geschenke als Tribut einsende. Auf diese Bedingung gingen die
Russen nicht ein und kehrten unverrichteter Sache in die Heimath
zurück.« 25) — Die Holländer, welche zu derselben Zeit in Pe-kiṅ
waren, bezeugen, dass die Russen die Verrichtung der Ko-to be-
harrlich verweigerten.

1688 kam eine russische Gesandtschaft an die chinesische
Grenze und meldete ihre Ankunft nach Pe-kiṅ; Kaiser Kaṅ-gi
schickte einige Mandschu-Fürsten nach »Selinga«, welche ein por-
tugiesischer und ein französischer Missionar als Dolmetscher be-
gleiteten. Bei Nip-tšu, dem Nertšinsk der Russen, trafen die Be-
vollmächtigten am 22. August 1688 zusammen; der Gesandte des
Czaaren forderte schon damals, was Russland erst 170 Jahre später
im Vertrage von Tien-tsin erlangte: dass der Sakalien-ula oder
Amur in der ganzen Ausdehnung seines Laufes als Grenze beider
Reiche angesehen werde. Am 8. September 1688 unterzeichnete

25) S. Pauthier, Histoire des rélations de la Chine avec les puissances occi-
dentales.
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[127/0141] XVII. Die älteren russischen Beziehungen. Nähe. — Dass in Pe-kiṅ alle Uhrmacher Christen sind, erklärt sich aus der Berührung ihrer Ahnen mit den geschickten Jesuiten. Ihre Uhren, Gläser und Instrumente sind schweizer Arbeit, gelten aber, von Russen eingeführt, als russische. Die griechisch-katholische Gemeinde unter dem russischen Archimandriten scheint weniger zahlreich zu sein, als die römische; die Mission bestand 1860 aus vier Geistlichen und sechs Laien, welche dem Studium der Sprache, der chinesischen Institutionen und Wissenschaften lebten. Seit Jahrhunderten strebten die Czaaren nach Erweiterung der Handelsbeziehungen zum chinesischen Reich, Vorschiebung ihrer Grenzen nach Süden und Einrichtung einer stehenden Gesandtschaft in Pe-kiṅ, erlangten aber die Anerkennung ihrer politischen Gleichberechtigung nicht früher als England und Frankreich. — Die erste russische Gesandtschaft scheint 1656, also bald nach dem Sturz der Miṅ nach China gekommen zu sein: »Der König der Oros«, berichten die chinesischen Annalen, »schickte einige Grosse seines Hofes nach Pe-kiṅ, um Handelsfreiheit zwischen bei- den Staaten einzurichten. Der Kaiser befahl sie ehrenvoll zu be- handeln und liess ihnen ein Haus anweisen, vor welchem Wachen aufgestellt wurden. Die Soldaten hatten Befehl sie zu begleiten, so oft sie ausgingen. Der Hof von Pe-kiṅ forderte als Vorbedingung, dass der russische Monarch China’s Oberhoheit anerkenne und seine Geschenke als Tribut einsende. Auf diese Bedingung gingen die Russen nicht ein und kehrten unverrichteter Sache in die Heimath zurück.« 25) — Die Holländer, welche zu derselben Zeit in Pe-kiṅ waren, bezeugen, dass die Russen die Verrichtung der Ko-to be- harrlich verweigerten. 1688 kam eine russische Gesandtschaft an die chinesische Grenze und meldete ihre Ankunft nach Pe-kiṅ; Kaiser Kaṅ-gi schickte einige Mandschu-Fürsten nach »Selinga«, welche ein por- tugiesischer und ein französischer Missionar als Dolmetscher be- gleiteten. Bei Nip-tšu, dem Nertšinsk der Russen, trafen die Be- vollmächtigten am 22. August 1688 zusammen; der Gesandte des Czaaren forderte schon damals, was Russland erst 170 Jahre später im Vertrage von Tien-tsin erlangte: dass der Sakalien-ula oder Amur in der ganzen Ausdehnung seines Laufes als Grenze beider Reiche angesehen werde. Am 8. September 1688 unterzeichnete 25) S. Pauthier, Histoire des rélations de la Chine avec les puissances occi- dentales.

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/141>, abgerufen am 16.04.2024.