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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Erratische Blöcke.
berechtigt sind. Man nannte sie deshalb "Fündlinge oder Irr¬
blöcke
". Sie zeigen theils abgerundete Flächen, wie Rollsteine
und Flußkies, theils frische scharfkantige Bruchlinien, als ob sie
eben erst vom Mutterfelsen abgesprengt wären, -- in allen Größen,
vom Umfange einer Kegelkugel bis zu solchen kubischen Körpern,
daß aus dem Material eines einzigen, bei Zürich im Felde ge¬
legenen s. g. "rothen Ackersteines" anno 1674 in Höngg ein
respectables, zweistöckiges, massives Haus gebaut werden konnte,
welches folgende Inschrift trägt:

Ein großer rother Ackerstein
In manches Stück zerbrochen klein
Durch Menschenhänd und Pulversg'walt
Macht jezund dieses Hauses G'stalt.
Vor Unglück und Zerbrechlichkeit
Bewahr es Gottes Gütigkeit.

Früher hat es einmal dem Grafen Benzel-Sternau gehört.
Der Block aber, aus dessen Gestein das Haus erbaut wurde,
stammt aus der Tiefe der Glarner Gebirge, etwa vom Freiberge
oder aus dem Sernf-Thale.

Das "Woher?" hat der Wissenschaft wenig Mühe gemacht;
aus der Struktur, Farbe und mineralischen Mischung der Granit-,
Gneis-, Glimmer-, Verrucano- und Schiefer-Fündlinge, so wie aus
der Lage des Fundortes zu den Thalsystemen der Alpen, konnte
man bald entziffern, zu welcher Centralmasse sie gehörten. Aber
das "Wie?" des Transportes machte den Naturforschern der letz¬
ten fünfzig Jahre viel zu schaffen. Die Einen vermutheten, es
habe einst, bei den letzten Gebirgshebungen, ein extraordinär¬
großartiges, vulkanisches Natur-Bomben-Werfen stattgefunden, bei
welchem die Alpen diese Fragmente ausgespien und meilenweit
über Berg und Thal geschleudert hätten. Diese kühne Phantasie
wurde aber bald zerstört durch die thatsächliche Nachweisung einer¬
seits der Regelmäßigkeit, mit welcher viele dieser Blöcke wie in
einer Linie an den Bergeshalden abgelagert wurden, anderseits

Erratiſche Blöcke.
berechtigt ſind. Man nannte ſie deshalb „Fündlinge oder Irr¬
blöcke
“. Sie zeigen theils abgerundete Flächen, wie Rollſteine
und Flußkies, theils friſche ſcharfkantige Bruchlinien, als ob ſie
eben erſt vom Mutterfelſen abgeſprengt wären, — in allen Größen,
vom Umfange einer Kegelkugel bis zu ſolchen kubiſchen Körpern,
daß aus dem Material eines einzigen, bei Zürich im Felde ge¬
legenen ſ. g. „rothen Ackerſteines“ anno 1674 in Höngg ein
reſpectables, zweiſtöckiges, maſſives Haus gebaut werden konnte,
welches folgende Inſchrift trägt:

Ein großer rother Ackerſtein
In manches Stück zerbrochen klein
Durch Menſchenhänd und Pulversg'walt
Macht jezund dieſes Hauſes G'ſtalt.
Vor Unglück und Zerbrechlichkeit
Bewahr es Gottes Gütigkeit.

Früher hat es einmal dem Grafen Benzel-Sternau gehört.
Der Block aber, aus deſſen Geſtein das Haus erbaut wurde,
ſtammt aus der Tiefe der Glarner Gebirge, etwa vom Freiberge
oder aus dem Sernf-Thale.

Das „Woher?“ hat der Wiſſenſchaft wenig Mühe gemacht;
aus der Struktur, Farbe und mineraliſchen Miſchung der Granit-,
Gneis-, Glimmer-, Verrucano- und Schiefer-Fündlinge, ſo wie aus
der Lage des Fundortes zu den Thalſyſtemen der Alpen, konnte
man bald entziffern, zu welcher Centralmaſſe ſie gehörten. Aber
das „Wie?“ des Transportes machte den Naturforſchern der letz¬
ten fünfzig Jahre viel zu ſchaffen. Die Einen vermutheten, es
habe einſt, bei den letzten Gebirgshebungen, ein extraordinär¬
großartiges, vulkaniſches Natur-Bomben-Werfen ſtattgefunden, bei
welchem die Alpen dieſe Fragmente ausgeſpien und meilenweit
über Berg und Thal geſchleudert hätten. Dieſe kühne Phantaſie
wurde aber bald zerſtört durch die thatſächliche Nachweiſung einer¬
ſeits der Regelmäßigkeit, mit welcher viele dieſer Blöcke wie in
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[28/0046] Erratiſche Blöcke. berechtigt ſind. Man nannte ſie deshalb „Fündlinge oder Irr¬ blöcke“. Sie zeigen theils abgerundete Flächen, wie Rollſteine und Flußkies, theils friſche ſcharfkantige Bruchlinien, als ob ſie eben erſt vom Mutterfelſen abgeſprengt wären, — in allen Größen, vom Umfange einer Kegelkugel bis zu ſolchen kubiſchen Körpern, daß aus dem Material eines einzigen, bei Zürich im Felde ge¬ legenen ſ. g. „rothen Ackerſteines“ anno 1674 in Höngg ein reſpectables, zweiſtöckiges, maſſives Haus gebaut werden konnte, welches folgende Inſchrift trägt: Ein großer rother Ackerſtein In manches Stück zerbrochen klein Durch Menſchenhänd und Pulversg'walt Macht jezund dieſes Hauſes G'ſtalt. Vor Unglück und Zerbrechlichkeit Bewahr es Gottes Gütigkeit. Früher hat es einmal dem Grafen Benzel-Sternau gehört. Der Block aber, aus deſſen Geſtein das Haus erbaut wurde, ſtammt aus der Tiefe der Glarner Gebirge, etwa vom Freiberge oder aus dem Sernf-Thale. Das „Woher?“ hat der Wiſſenſchaft wenig Mühe gemacht; aus der Struktur, Farbe und mineraliſchen Miſchung der Granit-, Gneis-, Glimmer-, Verrucano- und Schiefer-Fündlinge, ſo wie aus der Lage des Fundortes zu den Thalſyſtemen der Alpen, konnte man bald entziffern, zu welcher Centralmaſſe ſie gehörten. Aber das „Wie?“ des Transportes machte den Naturforſchern der letz¬ ten fünfzig Jahre viel zu ſchaffen. Die Einen vermutheten, es habe einſt, bei den letzten Gebirgshebungen, ein extraordinär¬ großartiges, vulkaniſches Natur-Bomben-Werfen ſtattgefunden, bei welchem die Alpen dieſe Fragmente ausgeſpien und meilenweit über Berg und Thal geſchleudert hätten. Dieſe kühne Phantaſie wurde aber bald zerſtört durch die thatſächliche Nachweiſung einer¬ ſeits der Regelmäßigkeit, mit welcher viele dieſer Blöcke wie in einer Linie an den Bergeshalden abgelagert wurden, anderſeits

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/46>, abgerufen am 29.03.2024.