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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§§. 102. 103. Beleidigung der Kammern etc.
andererseits dieser Schutz für die Freiheit der Kritik eine ungerechtfertigte
und wegen der Unbestimmtheit der Ausdrücke möglicherweise selbst ge-
fährliche Beschränkung herbeiführe."

"Die Kommission lehnte aber diesen Antrag ab, nachdem geltend
gemacht worden, daß das Ansehen der Autorität gegen Schmähungen
oder Verhöhnungen geschützt werden müsse, und daß die Kritik der Ein-
richtungen oder Anordnungen sachlich nicht im Geringsten beschränkt
werde, wenn ihr durch bestimmte, keineswegs vage Ausdrücke verwehrt
werde, zu "Schmähungen oder Verhöhnungen" ihre Zuflucht zu neh-
men. u) Auch der zweite Antrag, als Requisit des Thatbestandes die
Wissenschaft des Thäters von der Erdichtung oder Entstellung der That-
sachen hinzustellen, lehnte die Kommission ab, nachdem der Vertreter
der Regierung die Analogie dieses Vergehens mit den Beleidigungen
und Verleumdungen angeführt, und hervorgehoben hatte, daß auch bei
Verleumdungen die Behauptung von falschen Thatsachen nicht blos
dann, wenn der Thäter wisse, daß sie falsch seien, bestraft werde, son-
dern auch dann, wenn er fahrlässiger Weise unterlassen, die Richtigkeit
von Thatsachen, welche der Verachtung aussetzen, zu untersuchen, ehe
er sie veröffentliche. Dieselben Grundsätze wollte die Kommission hier
um so mehr festgehalten wissen, als die frechen Entstellungen, welche
so häufig besonders in den kleinen Lokalblättern vorkommen, der Be-
strafung fast immer entgehen würden, wenn der Beweis der Wissenschaft
des Verbreiters von der Erdichtung oder Entstellung geliefert werden
müsse."

Ueber den Grad der Fahrlässigkeit, der in einem solchen Fall vor-
ausgesetzt wird, um die Bestrafung eintreten zu lassen, kommen die all-
gemeinen Grundsätze zur Anwendung; v) auch ist nach dem Beschluß
der Kommission das in der Regierungsvorlage aufgestellte Minimum
der Strafe von beziehungsweise zwanzig Thalern Geldbuße oder Ge-
fängniß von Einem Monate für das in diesem Paragraphen vorgesehene
Vergehen weggefallen.

§. 102.

Wer durch Wort, Schrift, Druck, Zeichen, bildliche oder andere Darstellung
eine der beiden Kammern, ein Mitglied der beiden Kammern, eine andere
politische Körperschaft, eine öffentliche Behörde, einen öffentlichen Beamten,
einen Religionsdiener, ein Mitglied der bewaffneten Macht, einen Geschwore-

u) Ein Antrag, den der Abgeordnete Veit in der ersten Kammer einbrachte, die
Worte "oder Verhöhnungen" zu streichen, kam nicht zur Abstimmung; s. Verhand-
lungen der ersten Kammer vom 12. April 1851.
v) S. oben S. 49-56.

§§. 102. 103. Beleidigung der Kammern ꝛc.
andererſeits dieſer Schutz für die Freiheit der Kritik eine ungerechtfertigte
und wegen der Unbeſtimmtheit der Ausdrücke möglicherweiſe ſelbſt ge-
fährliche Beſchränkung herbeiführe.“

„Die Kommiſſion lehnte aber dieſen Antrag ab, nachdem geltend
gemacht worden, daß das Anſehen der Autorität gegen Schmähungen
oder Verhöhnungen geſchützt werden müſſe, und daß die Kritik der Ein-
richtungen oder Anordnungen ſachlich nicht im Geringſten beſchränkt
werde, wenn ihr durch beſtimmte, keineswegs vage Ausdrücke verwehrt
werde, zu „Schmähungen oder Verhöhnungen“ ihre Zuflucht zu neh-
men. u) Auch der zweite Antrag, als Requiſit des Thatbeſtandes die
Wiſſenſchaft des Thäters von der Erdichtung oder Entſtellung der That-
ſachen hinzuſtellen, lehnte die Kommiſſion ab, nachdem der Vertreter
der Regierung die Analogie dieſes Vergehens mit den Beleidigungen
und Verleumdungen angeführt, und hervorgehoben hatte, daß auch bei
Verleumdungen die Behauptung von falſchen Thatſachen nicht blos
dann, wenn der Thäter wiſſe, daß ſie falſch ſeien, beſtraft werde, ſon-
dern auch dann, wenn er fahrläſſiger Weiſe unterlaſſen, die Richtigkeit
von Thatſachen, welche der Verachtung ausſetzen, zu unterſuchen, ehe
er ſie veröffentliche. Dieſelben Grundſätze wollte die Kommiſſion hier
um ſo mehr feſtgehalten wiſſen, als die frechen Entſtellungen, welche
ſo häufig beſonders in den kleinen Lokalblättern vorkommen, der Be-
ſtrafung faſt immer entgehen würden, wenn der Beweis der Wiſſenſchaft
des Verbreiters von der Erdichtung oder Entſtellung geliefert werden
müſſe.“

Ueber den Grad der Fahrläſſigkeit, der in einem ſolchen Fall vor-
ausgeſetzt wird, um die Beſtrafung eintreten zu laſſen, kommen die all-
gemeinen Grundſätze zur Anwendung; v) auch iſt nach dem Beſchluß
der Kommiſſion das in der Regierungsvorlage aufgeſtellte Minimum
der Strafe von beziehungsweiſe zwanzig Thalern Geldbuße oder Ge-
fängniß von Einem Monate für das in dieſem Paragraphen vorgeſehene
Vergehen weggefallen.

§. 102.

Wer durch Wort, Schrift, Druck, Zeichen, bildliche oder andere Darſtellung
eine der beiden Kammern, ein Mitglied der beiden Kammern, eine andere
politiſche Körperſchaft, eine öffentliche Behörde, einen öffentlichen Beamten,
einen Religionsdiener, ein Mitglied der bewaffneten Macht, einen Geſchwore-

u) Ein Antrag, den der Abgeordnete Veit in der erſten Kammer einbrachte, die
Worte „oder Verhöhnungen“ zu ſtreichen, kam nicht zur Abſtimmung; ſ. Verhand-
lungen der erſten Kammer vom 12. April 1851.
v) S. oben S. 49-56.
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[269/0279] §§. 102. 103. Beleidigung der Kammern ꝛc. andererſeits dieſer Schutz für die Freiheit der Kritik eine ungerechtfertigte und wegen der Unbeſtimmtheit der Ausdrücke möglicherweiſe ſelbſt ge- fährliche Beſchränkung herbeiführe.“ „Die Kommiſſion lehnte aber dieſen Antrag ab, nachdem geltend gemacht worden, daß das Anſehen der Autorität gegen Schmähungen oder Verhöhnungen geſchützt werden müſſe, und daß die Kritik der Ein- richtungen oder Anordnungen ſachlich nicht im Geringſten beſchränkt werde, wenn ihr durch beſtimmte, keineswegs vage Ausdrücke verwehrt werde, zu „Schmähungen oder Verhöhnungen“ ihre Zuflucht zu neh- men. u) Auch der zweite Antrag, als Requiſit des Thatbeſtandes die Wiſſenſchaft des Thäters von der Erdichtung oder Entſtellung der That- ſachen hinzuſtellen, lehnte die Kommiſſion ab, nachdem der Vertreter der Regierung die Analogie dieſes Vergehens mit den Beleidigungen und Verleumdungen angeführt, und hervorgehoben hatte, daß auch bei Verleumdungen die Behauptung von falſchen Thatſachen nicht blos dann, wenn der Thäter wiſſe, daß ſie falſch ſeien, beſtraft werde, ſon- dern auch dann, wenn er fahrläſſiger Weiſe unterlaſſen, die Richtigkeit von Thatſachen, welche der Verachtung ausſetzen, zu unterſuchen, ehe er ſie veröffentliche. Dieſelben Grundſätze wollte die Kommiſſion hier um ſo mehr feſtgehalten wiſſen, als die frechen Entſtellungen, welche ſo häufig beſonders in den kleinen Lokalblättern vorkommen, der Be- ſtrafung faſt immer entgehen würden, wenn der Beweis der Wiſſenſchaft des Verbreiters von der Erdichtung oder Entſtellung geliefert werden müſſe.“ Ueber den Grad der Fahrläſſigkeit, der in einem ſolchen Fall vor- ausgeſetzt wird, um die Beſtrafung eintreten zu laſſen, kommen die all- gemeinen Grundſätze zur Anwendung; v) auch iſt nach dem Beſchluß der Kommiſſion das in der Regierungsvorlage aufgeſtellte Minimum der Strafe von beziehungsweiſe zwanzig Thalern Geldbuße oder Ge- fängniß von Einem Monate für das in dieſem Paragraphen vorgeſehene Vergehen weggefallen. §. 102. Wer durch Wort, Schrift, Druck, Zeichen, bildliche oder andere Darſtellung eine der beiden Kammern, ein Mitglied der beiden Kammern, eine andere politiſche Körperſchaft, eine öffentliche Behörde, einen öffentlichen Beamten, einen Religionsdiener, ein Mitglied der bewaffneten Macht, einen Geſchwore- u) Ein Antrag, den der Abgeordnete Veit in der erſten Kammer einbrachte, die Worte „oder Verhöhnungen“ zu ſtreichen, kam nicht zur Abſtimmung; ſ. Verhand- lungen der erſten Kammer vom 12. April 1851. v) S. oben S. 49-56.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/279>, abgerufen am 23.04.2024.