Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Volksrecht als gemeines Ständerecht.
III. Der Bürgerstand.

Wir haben es hier nicht mit dem Staatsbürgerthume zu
thun, noch mit dem sogenannten dritten Stande im Gegensatz
zu den beiden bevorzugten Classen des mittelalterigen Feudal-
wesens. Der Bürgerstand, von dem hier die Rede, ist der
städtische, wie er sich aus dem städtischen Gemeinwesen und
dem gewöhnlichen Betriebe städtischer Gewerbe herausgebildet
hat. In dieser bestimmten Erscheinung ist das Bürgerthum
ein Product des späteren Mittelalters, und hängt mit der be-
sondern Gestaltung der Stadtverfassung im Gegensatz zu der
Ritterschaft und den Landgemeinden nahe zusammen; seine
letzte Entwicklung ist namentlich in der Zeit zu suchen, als es
den Handwerkerinnungen fast allgemein gelang, die Herrschaft
der Geschlechter und der Kaufherren zu stürzen, oder doch ne-
ben ihnen in selbständiger Berechtigung sich bei dem Stadtre-
gimente zu betheiligen. Denn nun ging der Genuß der Frei-
heitsrechte, welche die städtische Verfassung gewährte, auf die
ganze Bürgerschaft über, und diese strebte in ihrem einseitigen
Interesse nach einer ausschließlichen Ausübung ihrer Gewerbe,
wodurch die Trennung von Stadt und Land erst recht ausge-
bildet und befestigt ward. Aber auch diese Verhältnisse sind
den mächtigen Einwirkungen der modernen Zeit nicht entgan-
gen, und die Alles erfassende Kraft des Staates so wie der
große Umschwung, der im Handel und in der Industrie statt
gefunden, haben die wichtigsten Veränderungen hervorgerufen.

Die besonderen Corporationsrechte, in welche die städtische
Gemeinde früher ihre Ehre und ihre Sicherheit setzte, haben
in der neuesten Zeit, welche ein würdig ausgestattetes Commu-
nalwesen als eine organische Gliederung des Staates mit einer
allgemeinen Wirksamkeit in Anspruch nimmt, schon Vieles von

Das Volksrecht als gemeines Staͤnderecht.
III. Der Buͤrgerſtand.

Wir haben es hier nicht mit dem Staatsbuͤrgerthume zu
thun, noch mit dem ſogenannten dritten Stande im Gegenſatz
zu den beiden bevorzugten Claſſen des mittelalterigen Feudal-
weſens. Der Buͤrgerſtand, von dem hier die Rede, iſt der
ſtaͤdtiſche, wie er ſich aus dem ſtaͤdtiſchen Gemeinweſen und
dem gewoͤhnlichen Betriebe ſtaͤdtiſcher Gewerbe herausgebildet
hat. In dieſer beſtimmten Erſcheinung iſt das Buͤrgerthum
ein Product des ſpaͤteren Mittelalters, und haͤngt mit der be-
ſondern Geſtaltung der Stadtverfaſſung im Gegenſatz zu der
Ritterſchaft und den Landgemeinden nahe zuſammen; ſeine
letzte Entwicklung iſt namentlich in der Zeit zu ſuchen, als es
den Handwerkerinnungen faſt allgemein gelang, die Herrſchaft
der Geſchlechter und der Kaufherren zu ſtuͤrzen, oder doch ne-
ben ihnen in ſelbſtaͤndiger Berechtigung ſich bei dem Stadtre-
gimente zu betheiligen. Denn nun ging der Genuß der Frei-
heitsrechte, welche die ſtaͤdtiſche Verfaſſung gewaͤhrte, auf die
ganze Buͤrgerſchaft uͤber, und dieſe ſtrebte in ihrem einſeitigen
Intereſſe nach einer ausſchließlichen Ausuͤbung ihrer Gewerbe,
wodurch die Trennung von Stadt und Land erſt recht ausge-
bildet und befeſtigt ward. Aber auch dieſe Verhaͤltniſſe ſind
den maͤchtigen Einwirkungen der modernen Zeit nicht entgan-
gen, und die Alles erfaſſende Kraft des Staates ſo wie der
große Umſchwung, der im Handel und in der Induſtrie ſtatt
gefunden, haben die wichtigſten Veraͤnderungen hervorgerufen.

Die beſonderen Corporationsrechte, in welche die ſtaͤdtiſche
Gemeinde fruͤher ihre Ehre und ihre Sicherheit ſetzte, haben
in der neueſten Zeit, welche ein wuͤrdig ausgeſtattetes Commu-
nalweſen als eine organiſche Gliederung des Staates mit einer
allgemeinen Wirkſamkeit in Anſpruch nimmt, ſchon Vieles von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0231" n="219"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Das Volksrecht als gemeines Sta&#x0364;nderecht</hi>.</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#aq">III.</hi><hi rendition="#g">Der Bu&#x0364;rger&#x017F;tand</hi>.</head><lb/>
            <p>Wir haben es hier nicht mit dem Staatsbu&#x0364;rgerthume zu<lb/>
thun, noch mit dem &#x017F;ogenannten dritten Stande im Gegen&#x017F;atz<lb/>
zu den beiden bevorzugten Cla&#x017F;&#x017F;en des mittelalterigen Feudal-<lb/>
we&#x017F;ens. Der Bu&#x0364;rger&#x017F;tand, von dem hier die Rede, i&#x017F;t der<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;dti&#x017F;che, wie er &#x017F;ich aus dem &#x017F;ta&#x0364;dti&#x017F;chen Gemeinwe&#x017F;en und<lb/>
dem gewo&#x0364;hnlichen Betriebe &#x017F;ta&#x0364;dti&#x017F;cher Gewerbe herausgebildet<lb/>
hat. In die&#x017F;er be&#x017F;timmten Er&#x017F;cheinung i&#x017F;t das Bu&#x0364;rgerthum<lb/>
ein Product des &#x017F;pa&#x0364;teren Mittelalters, und ha&#x0364;ngt mit der be-<lb/>
&#x017F;ondern Ge&#x017F;taltung der Stadtverfa&#x017F;&#x017F;ung im Gegen&#x017F;atz zu der<lb/>
Ritter&#x017F;chaft und den Landgemeinden nahe zu&#x017F;ammen; &#x017F;eine<lb/>
letzte Entwicklung i&#x017F;t namentlich in der Zeit zu &#x017F;uchen, als es<lb/>
den Handwerkerinnungen fa&#x017F;t allgemein gelang, die Herr&#x017F;chaft<lb/>
der Ge&#x017F;chlechter und der Kaufherren zu &#x017F;tu&#x0364;rzen, oder doch ne-<lb/>
ben ihnen in &#x017F;elb&#x017F;ta&#x0364;ndiger Berechtigung &#x017F;ich bei dem Stadtre-<lb/>
gimente zu betheiligen. Denn nun ging der Genuß der Frei-<lb/>
heitsrechte, welche die &#x017F;ta&#x0364;dti&#x017F;che Verfa&#x017F;&#x017F;ung gewa&#x0364;hrte, auf die<lb/>
ganze Bu&#x0364;rger&#x017F;chaft u&#x0364;ber, und die&#x017F;e &#x017F;trebte in ihrem ein&#x017F;eitigen<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;e nach einer aus&#x017F;chließlichen Ausu&#x0364;bung ihrer Gewerbe,<lb/>
wodurch die Trennung von Stadt und Land er&#x017F;t recht ausge-<lb/>
bildet und befe&#x017F;tigt ward. Aber auch die&#x017F;e Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ind<lb/>
den ma&#x0364;chtigen Einwirkungen der modernen Zeit nicht entgan-<lb/>
gen, und die Alles erfa&#x017F;&#x017F;ende Kraft des Staates &#x017F;o wie der<lb/>
große Um&#x017F;chwung, der im Handel und in der Indu&#x017F;trie &#x017F;tatt<lb/>
gefunden, haben die wichtig&#x017F;ten Vera&#x0364;nderungen hervorgerufen.</p><lb/>
            <p>Die be&#x017F;onderen Corporationsrechte, in welche die &#x017F;ta&#x0364;dti&#x017F;che<lb/>
Gemeinde fru&#x0364;her ihre Ehre und ihre Sicherheit &#x017F;etzte, haben<lb/>
in der neue&#x017F;ten Zeit, welche ein wu&#x0364;rdig ausge&#x017F;tattetes Commu-<lb/>
nalwe&#x017F;en als eine organi&#x017F;che Gliederung des Staates mit einer<lb/>
allgemeinen Wirk&#x017F;amkeit in An&#x017F;pruch nimmt, &#x017F;chon Vieles von<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0231] Das Volksrecht als gemeines Staͤnderecht. III. Der Buͤrgerſtand. Wir haben es hier nicht mit dem Staatsbuͤrgerthume zu thun, noch mit dem ſogenannten dritten Stande im Gegenſatz zu den beiden bevorzugten Claſſen des mittelalterigen Feudal- weſens. Der Buͤrgerſtand, von dem hier die Rede, iſt der ſtaͤdtiſche, wie er ſich aus dem ſtaͤdtiſchen Gemeinweſen und dem gewoͤhnlichen Betriebe ſtaͤdtiſcher Gewerbe herausgebildet hat. In dieſer beſtimmten Erſcheinung iſt das Buͤrgerthum ein Product des ſpaͤteren Mittelalters, und haͤngt mit der be- ſondern Geſtaltung der Stadtverfaſſung im Gegenſatz zu der Ritterſchaft und den Landgemeinden nahe zuſammen; ſeine letzte Entwicklung iſt namentlich in der Zeit zu ſuchen, als es den Handwerkerinnungen faſt allgemein gelang, die Herrſchaft der Geſchlechter und der Kaufherren zu ſtuͤrzen, oder doch ne- ben ihnen in ſelbſtaͤndiger Berechtigung ſich bei dem Stadtre- gimente zu betheiligen. Denn nun ging der Genuß der Frei- heitsrechte, welche die ſtaͤdtiſche Verfaſſung gewaͤhrte, auf die ganze Buͤrgerſchaft uͤber, und dieſe ſtrebte in ihrem einſeitigen Intereſſe nach einer ausſchließlichen Ausuͤbung ihrer Gewerbe, wodurch die Trennung von Stadt und Land erſt recht ausge- bildet und befeſtigt ward. Aber auch dieſe Verhaͤltniſſe ſind den maͤchtigen Einwirkungen der modernen Zeit nicht entgan- gen, und die Alles erfaſſende Kraft des Staates ſo wie der große Umſchwung, der im Handel und in der Induſtrie ſtatt gefunden, haben die wichtigſten Veraͤnderungen hervorgerufen. Die beſonderen Corporationsrechte, in welche die ſtaͤdtiſche Gemeinde fruͤher ihre Ehre und ihre Sicherheit ſetzte, haben in der neueſten Zeit, welche ein wuͤrdig ausgeſtattetes Commu- nalweſen als eine organiſche Gliederung des Staates mit einer allgemeinen Wirkſamkeit in Anſpruch nimmt, ſchon Vieles von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/231
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/231>, abgerufen am 19.04.2024.