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Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 12. Aufl. Wien, 1832.

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§. 140.

In der Gestalt, wie diese Insecten, die sich einer Meta-
morphose unterziehen, zuerst aus dem Ei kriechen, heißen sie
Larven. Meist kommen sie äußerst klein aus Licht, so daß z.
B. eine erwachsene Weidenraupe 72,000 Mal schwerer wiegt als
da sie eben ans dem Ei gekrochen war. Dagegen wachsen sie aber
auch desto schneller, so daß z. B. die Maden der blauen Schmeiß-
fliege 24 Stunden nach dem Auskriechen schon 155 Mal schwe-
rer sind als da sie aus dem Ei kamen.

Theils haben diese Larven Füße, wie die Raupen und En-
gerlinge: theils aber keine, wie die Maden. Flügel haben sie
gar noch nicht. Auch sind sie in diesem Zustande zur Fortpflan-
zung noch gänzlich unfähig: sie ernähren sich bloß, und wach-
sen, und häuten sich mit unter einige Mal.

§. 141.

In der Gestalt, worein die Larve umgebildet wird, heißt
sie Nymphe. Manche können sich während dieses Zustandes
herum bewegen, auch Nahrungsmittel zu sich nehmen. Andere
hingegen verschließen sich als Puppe (chrysalis, aurelia),
und bringen diesen Theil ihres Lebens in einem betäubenden To-
desschlaf, ohne Nahrungsmittel, und ohne sich von der Stelle
zu bewegen, zu.

§. 142.

Allein während der Zeit, da das Geschöpf so ganz fühllos
und erstarrt in seiner Hülse vergraben scheint, geht mit ihm
selbst die große Palingenesie vor, daß es aus seinem Larvenstand
zum vollkommenen Insect (insectum declaratum,
imago
) umgebildet wird, und zu bestimmter Zeit aus seinem
Kerker hervorbrechen kann. Manche Insecten absolviren diese
letzte Rolle ihres Lebens in einer sehr kurzen Zeit. Verschiedene
bringen, wenn sie aus ihrer Hülfe kriechen, nicht ein Mal einen
Mund mit zur Welt, sie fressen nicht mehr, sie wachsen nicht
weiter; jene beiden Bestimmungen eines organisirten Körpers
hatten sie schon als Larven erfüllt; jetzt ist ihnen nur noch die
dritte übrig: sie sollen ihr Geschlecht fortpflanzen, und dann der
Nachkommenschaft Platz machen, und sterben.

§. 143.

Die unmittelbare Brauchbarkeit*) der Insecten für
den Menschen ist ziemlich einfach: dagegen aber ist der Antheil,
den diese kleinen wenig bemerkten Thiere an der großen Haus-
haltung der Natur haben, desto mannichfaltiger und ganz un-

*) Kirby and Spence vol. I. p. 250 u. f.
§. 140.

In der Gestalt, wie diese Insecten, die sich einer Meta-
morphose unterziehen, zuerst aus dem Ei kriechen, heißen sie
Larven. Meist kommen sie äußerst klein aus Licht, so daß z.
B. eine erwachsene Weidenraupe 72,000 Mal schwerer wiegt als
da sie eben ans dem Ei gekrochen war. Dagegen wachsen sie aber
auch desto schneller, so daß z. B. die Maden der blauen Schmeiß-
fliege 24 Stunden nach dem Auskriechen schon 155 Mal schwe-
rer sind als da sie aus dem Ei kamen.

Theils haben diese Larven Füße, wie die Raupen und En-
gerlinge: theils aber keine, wie die Maden. Flügel haben sie
gar noch nicht. Auch sind sie in diesem Zustande zur Fortpflan-
zung noch gänzlich unfähig: sie ernähren sich bloß, und wach-
sen, und häuten sich mit unter einige Mal.

§. 141.

In der Gestalt, worein die Larve umgebildet wird, heißt
sie Nymphe. Manche können sich während dieses Zustandes
herum bewegen, auch Nahrungsmittel zu sich nehmen. Andere
hingegen verschließen sich als Puppe (chrysalis, aurelia),
und bringen diesen Theil ihres Lebens in einem betäubenden To-
desschlaf, ohne Nahrungsmittel, und ohne sich von der Stelle
zu bewegen, zu.

§. 142.

Allein während der Zeit, da das Geschöpf so ganz fühllos
und erstarrt in seiner Hülse vergraben scheint, geht mit ihm
selbst die große Palingenesie vor, daß es aus seinem Larvenstand
zum vollkommenen Insect (insectum declaratum,
imago
) umgebildet wird, und zu bestimmter Zeit aus seinem
Kerker hervorbrechen kann. Manche Insecten absolviren diese
letzte Rolle ihres Lebens in einer sehr kurzen Zeit. Verschiedene
bringen, wenn sie aus ihrer Hülfe kriechen, nicht ein Mal einen
Mund mit zur Welt, sie fressen nicht mehr, sie wachsen nicht
weiter; jene beiden Bestimmungen eines organisirten Körpers
hatten sie schon als Larven erfüllt; jetzt ist ihnen nur noch die
dritte übrig: sie sollen ihr Geschlecht fortpflanzen, und dann der
Nachkommenschaft Platz machen, und sterben.

§. 143.

Die unmittelbare Brauchbarkeit*) der Insecten für
den Menschen ist ziemlich einfach: dagegen aber ist der Antheil,
den diese kleinen wenig bemerkten Thiere an der großen Haus-
haltung der Natur haben, desto mannichfaltiger und ganz un-

*) Kirby and Spence vol. I. p. 250 u. f.
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[208/0218] §. 140. In der Gestalt, wie diese Insecten, die sich einer Meta- morphose unterziehen, zuerst aus dem Ei kriechen, heißen sie Larven. Meist kommen sie äußerst klein aus Licht, so daß z. B. eine erwachsene Weidenraupe 72,000 Mal schwerer wiegt als da sie eben ans dem Ei gekrochen war. Dagegen wachsen sie aber auch desto schneller, so daß z. B. die Maden der blauen Schmeiß- fliege 24 Stunden nach dem Auskriechen schon 155 Mal schwe- rer sind als da sie aus dem Ei kamen. Theils haben diese Larven Füße, wie die Raupen und En- gerlinge: theils aber keine, wie die Maden. Flügel haben sie gar noch nicht. Auch sind sie in diesem Zustande zur Fortpflan- zung noch gänzlich unfähig: sie ernähren sich bloß, und wach- sen, und häuten sich mit unter einige Mal. §. 141. In der Gestalt, worein die Larve umgebildet wird, heißt sie Nymphe. Manche können sich während dieses Zustandes herum bewegen, auch Nahrungsmittel zu sich nehmen. Andere hingegen verschließen sich als Puppe (chrysalis, aurelia), und bringen diesen Theil ihres Lebens in einem betäubenden To- desschlaf, ohne Nahrungsmittel, und ohne sich von der Stelle zu bewegen, zu. §. 142. Allein während der Zeit, da das Geschöpf so ganz fühllos und erstarrt in seiner Hülse vergraben scheint, geht mit ihm selbst die große Palingenesie vor, daß es aus seinem Larvenstand zum vollkommenen Insect (insectum declaratum, imago) umgebildet wird, und zu bestimmter Zeit aus seinem Kerker hervorbrechen kann. Manche Insecten absolviren diese letzte Rolle ihres Lebens in einer sehr kurzen Zeit. Verschiedene bringen, wenn sie aus ihrer Hülfe kriechen, nicht ein Mal einen Mund mit zur Welt, sie fressen nicht mehr, sie wachsen nicht weiter; jene beiden Bestimmungen eines organisirten Körpers hatten sie schon als Larven erfüllt; jetzt ist ihnen nur noch die dritte übrig: sie sollen ihr Geschlecht fortpflanzen, und dann der Nachkommenschaft Platz machen, und sterben. §. 143. Die unmittelbare Brauchbarkeit *) der Insecten für den Menschen ist ziemlich einfach: dagegen aber ist der Antheil, den diese kleinen wenig bemerkten Thiere an der großen Haus- haltung der Natur haben, desto mannichfaltiger und ganz un- *) Kirby and Spence vol. I. p. 250 u. f.

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Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 12. Aufl. Wien, 1832, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1832/218>, abgerufen am 29.03.2024.