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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
Das Familienrecht ist daher auch ein Theil des Privat-, nicht
des öffentlichen Rechtes.

Aber allerdings sind die Anfänge der Statenbildung, sogar
der arischen Völker an die Familien und die Geschlechter ge-
bunden. In dem Familien- und Geschlechtsverband fanden
die ersten väterlichen Führer, Richter, Obrigkeiten noch die
unentbehrliche Stütze ihrer Autorität. Nur allmählich konnte
der Stat aus diesen Verbänden zu einer politischen Ordnung
herauswachsen.

Die Geschlechterverfassung diente zur Brücke aus
dem bloszen Familienverband in den Stat. Als dieser einmal
gesichert war, wurde dann jene Brücke abgetragen und weg-
geräumt. Bei den meisten alten Nationen finden sich anfäng-
lich Geschlechter mit politischer Bedeutung, die später ver-
schwinden. Die alt-mosaische Verfassung kennt sie so gut
wie die alt-hellenische oder alt-römische Verfassung. Wie bei
den alt-arabischen Stämmen die Geschlechter ihre Häuptlinge
wie Väter ehren, so zeigen sich die ähnlichen Verbände der
Klans bei den alten Schotten. Die alten germanischen Dörfer-
namen weisen ebenso auf die Ansiedlung und den Gemeinde-
verband der Geschlechter hin, welche sich zu Genossen-
schaften organisirt haben, 4 wie die alte slavische Bauern-
gemeinde einen familienartigen Charakter hat.

Der Geschlechtsverband unterscheidet sich von dem Fa-
milienverband durch die Ausdehnung über den Kreis Einer
Sippschaft hinaus, indem das Geschlecht auch mehrere Fami-
lien und Sippschaften zusammenfaszt, aber er bleibt mit diesem
insofern verwandt, als er seine Ordnung nach Art der Fami-
lienordnung gestaltet. Die Geschlechtshäuptlinge sind meistens
hierin durch ihre erhöhte Familienstellung bezeichnet. Indessen
zwingt das Bedürfnisz nach Einheit dazu, nur Ein Familien-
haupt als Geschlechtshaupt zu ehren, und es kommt wohl vor,

4 Gierke Genossenschaftsrecht 1868. I. S. 29.

Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
Das Familienrecht ist daher auch ein Theil des Privat-, nicht
des öffentlichen Rechtes.

Aber allerdings sind die Anfänge der Statenbildung, sogar
der arischen Völker an die Familien und die Geschlechter ge-
bunden. In dem Familien- und Geschlechtsverband fanden
die ersten väterlichen Führer, Richter, Obrigkeiten noch die
unentbehrliche Stütze ihrer Autorität. Nur allmählich konnte
der Stat aus diesen Verbänden zu einer politischen Ordnung
herauswachsen.

Die Geschlechterverfassung diente zur Brücke aus
dem bloszen Familienverband in den Stat. Als dieser einmal
gesichert war, wurde dann jene Brücke abgetragen und weg-
geräumt. Bei den meisten alten Nationen finden sich anfäng-
lich Geschlechter mit politischer Bedeutung, die später ver-
schwinden. Die alt-mosaische Verfassung kennt sie so gut
wie die alt-hellenische oder alt-römische Verfassung. Wie bei
den alt-arabischen Stämmen die Geschlechter ihre Häuptlinge
wie Väter ehren, so zeigen sich die ähnlichen Verbände der
Klans bei den alten Schotten. Die alten germanischen Dörfer-
namen weisen ebenso auf die Ansiedlung und den Gemeinde-
verband der Geschlechter hin, welche sich zu Genossen-
schaften organisirt haben, 4 wie die alte slavische Bauern-
gemeinde einen familienartigen Charakter hat.

Der Geschlechtsverband unterscheidet sich von dem Fa-
milienverband durch die Ausdehnung über den Kreis Einer
Sippschaft hinaus, indem das Geschlecht auch mehrere Fami-
lien und Sippschaften zusammenfaszt, aber er bleibt mit diesem
insofern verwandt, als er seine Ordnung nach Art der Fami-
lienordnung gestaltet. Die Geschlechtshäuptlinge sind meistens
hierin durch ihre erhöhte Familienstellung bezeichnet. Indessen
zwingt das Bedürfnisz nach Einheit dazu, nur Ein Familien-
haupt als Geschlechtshaupt zu ehren, und es kommt wohl vor,

4 Gierke Genossenschaftsrecht 1868. I. S. 29.
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[218/0236] Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur. Das Familienrecht ist daher auch ein Theil des Privat-, nicht des öffentlichen Rechtes. Aber allerdings sind die Anfänge der Statenbildung, sogar der arischen Völker an die Familien und die Geschlechter ge- bunden. In dem Familien- und Geschlechtsverband fanden die ersten väterlichen Führer, Richter, Obrigkeiten noch die unentbehrliche Stütze ihrer Autorität. Nur allmählich konnte der Stat aus diesen Verbänden zu einer politischen Ordnung herauswachsen. Die Geschlechterverfassung diente zur Brücke aus dem bloszen Familienverband in den Stat. Als dieser einmal gesichert war, wurde dann jene Brücke abgetragen und weg- geräumt. Bei den meisten alten Nationen finden sich anfäng- lich Geschlechter mit politischer Bedeutung, die später ver- schwinden. Die alt-mosaische Verfassung kennt sie so gut wie die alt-hellenische oder alt-römische Verfassung. Wie bei den alt-arabischen Stämmen die Geschlechter ihre Häuptlinge wie Väter ehren, so zeigen sich die ähnlichen Verbände der Klans bei den alten Schotten. Die alten germanischen Dörfer- namen weisen ebenso auf die Ansiedlung und den Gemeinde- verband der Geschlechter hin, welche sich zu Genossen- schaften organisirt haben, 4 wie die alte slavische Bauern- gemeinde einen familienartigen Charakter hat. Der Geschlechtsverband unterscheidet sich von dem Fa- milienverband durch die Ausdehnung über den Kreis Einer Sippschaft hinaus, indem das Geschlecht auch mehrere Fami- lien und Sippschaften zusammenfaszt, aber er bleibt mit diesem insofern verwandt, als er seine Ordnung nach Art der Fami- lienordnung gestaltet. Die Geschlechtshäuptlinge sind meistens hierin durch ihre erhöhte Familienstellung bezeichnet. Indessen zwingt das Bedürfnisz nach Einheit dazu, nur Ein Familien- haupt als Geschlechtshaupt zu ehren, und es kommt wohl vor, 4 Gierke Genossenschaftsrecht 1868. I. S. 29.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/236>, abgerufen am 28.03.2024.