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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
lische Krone ihre Herrschaft über den nordamerikanischen Continent damit, daß in
ihrem Auftrag ein kühner Seefahrer, der Venetianer Caboto zuerst, im Jahre
1496, die amerikanische Küste vom 56sten bis zum 38sten Grad nördlicher Breite
entdeckt habe, wenn gleich er nur der Küste entlang gefahren war und in keiner
Weise das ungeheure Land besetzt hatte. Nicht anders leiteten die Spanier und
Portugiesen ihr Recht im Süden und in Centralamerika zunächst von ihrer Ent-
deckung her und die Vertheilung der neuen Welt unter die beiden Völker, welche der
Papst Alexander VI. im Jahr 1493 vornahm, war eine Schlichtung und Aus-
gleichung ihrer streitigen Ansprüche, und eine Bestätigung ihrer auf die Entdeckung
eher als auf die Besitznahme gegründeten Ansprüche durch die vornehmste Autorität
der Christenheit. Die Entdeckung ist aber nur ein Act der Wissenschaft, nicht
der Politik und daher auch nicht geeignet, Statsgewalt zu begründen. Viel-
mehr besteht die öffentlich-rechtliche Besitznahme in der thatsächlichen Aus-
übung der ordnenden und schützenden Statsgewalt
, verbunden mit
dem Willen, das statenlose Land auf die Dauer statlich zu beherrschen. Die
Symbole der Herrschaft, wie Auspflanzen einer Fahne u. dgl. können diese Absicht
klar machen, aber nicht den Mangel einer realen Statsherrschaft ersetzen.

279.

Diese Besitznahme kann auch im Auftrag oder mit Vollmacht einer
Statsgewalt durch Privatpersonen, insbesondere durch Colonisten vollzogen
werden, aber nur, indem sie in dem bisher statenlosen Lande eine öffent-
liche Gewalt aufrichten oder sogar ohne vorherigen Auftrag, aber unter
der Voraussetzung nachheriger Genehmigung durch die Statsgewalt.

Die Erweiterung der europäischen Statsherrschaft in den außereuropäischen
Ländern ist großentheils durch solche Vermittlung der Colonisten bewirkt
worden, welche sich in unbewohnten und verlassenen Gegenden ansiedelten und ihre
heimische Statsordnung dahin verpflanzten. Der vorherige Auftrag des durch solche
Vermittler Besitz ergreifenden Stats kann unbedenklich durch die nachherige Geneh-
migung ersetzt werden. Es hindert nichts, in dieser Beziehung die Analogie der
privatrechtlichen Occupation anzuwenden. Auch kann im Princip nicht bestritten
werden, daß sogar ohne Statsvollmacht und Statsgenehmigung eine ganz neue
Statenbildung
dadurch entstehen kann, daß Auswanderer auf einer unbewohnten
Insel einen neuen Stat gründen, wie es z. B. die ausgewanderten Norweger
auf Island während des Mittelalters gethan haben. Eine Reihe neuer Staten in
Nordamerika sind in dieser Weise durch Privaten gegründet worden und erst später
ist die Anerkennung, früher des europäischen Mutterstats, später der Amerikanischen
Union hinzugekommen. Wenn aber neue Staten so entstehen können, so können
noch eher vorhandene Staten in dieser Weise erweitert werden.

280.

Ist die statenlose Gegend im Besitz und Genuß von barbarischen

Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
liſche Krone ihre Herrſchaft über den nordamerikaniſchen Continent damit, daß in
ihrem Auftrag ein kühner Seefahrer, der Venetianer Caboto zuerſt, im Jahre
1496, die amerikaniſche Küſte vom 56ſten bis zum 38ſten Grad nördlicher Breite
entdeckt habe, wenn gleich er nur der Küſte entlang gefahren war und in keiner
Weiſe das ungeheure Land beſetzt hatte. Nicht anders leiteten die Spanier und
Portugieſen ihr Recht im Süden und in Centralamerika zunächſt von ihrer Ent-
deckung her und die Vertheilung der neuen Welt unter die beiden Völker, welche der
Papſt Alexander VI. im Jahr 1493 vornahm, war eine Schlichtung und Aus-
gleichung ihrer ſtreitigen Anſprüche, und eine Beſtätigung ihrer auf die Entdeckung
eher als auf die Beſitznahme gegründeten Anſprüche durch die vornehmſte Autorität
der Chriſtenheit. Die Entdeckung iſt aber nur ein Act der Wiſſenſchaft, nicht
der Politik und daher auch nicht geeignet, Statsgewalt zu begründen. Viel-
mehr beſteht die öffentlich-rechtliche Beſitznahme in der thatſächlichen Aus-
übung der ordnenden und ſchützenden Statsgewalt
, verbunden mit
dem Willen, das ſtatenloſe Land auf die Dauer ſtatlich zu beherrſchen. Die
Symbole der Herrſchaft, wie Auſpflanzen einer Fahne u. dgl. können dieſe Abſicht
klar machen, aber nicht den Mangel einer realen Statsherrſchaft erſetzen.

279.

Dieſe Beſitznahme kann auch im Auftrag oder mit Vollmacht einer
Statsgewalt durch Privatperſonen, insbeſondere durch Coloniſten vollzogen
werden, aber nur, indem ſie in dem bisher ſtatenloſen Lande eine öffent-
liche Gewalt aufrichten oder ſogar ohne vorherigen Auftrag, aber unter
der Vorausſetzung nachheriger Genehmigung durch die Statsgewalt.

Die Erweiterung der europäiſchen Statsherrſchaft in den außereuropäiſchen
Ländern iſt großentheils durch ſolche Vermittlung der Coloniſten bewirkt
worden, welche ſich in unbewohnten und verlaſſenen Gegenden anſiedelten und ihre
heimiſche Statsordnung dahin verpflanzten. Der vorherige Auftrag des durch ſolche
Vermittler Beſitz ergreifenden Stats kann unbedenklich durch die nachherige Geneh-
migung erſetzt werden. Es hindert nichts, in dieſer Beziehung die Analogie der
privatrechtlichen Occupation anzuwenden. Auch kann im Princip nicht beſtritten
werden, daß ſogar ohne Statsvollmacht und Statsgenehmigung eine ganz neue
Statenbildung
dadurch entſtehen kann, daß Auswanderer auf einer unbewohnten
Inſel einen neuen Stat gründen, wie es z. B. die ausgewanderten Norweger
auf Island während des Mittelalters gethan haben. Eine Reihe neuer Staten in
Nordamerika ſind in dieſer Weiſe durch Privaten gegründet worden und erſt ſpäter
iſt die Anerkennung, früher des europäiſchen Mutterſtats, ſpäter der Amerikaniſchen
Union hinzugekommen. Wenn aber neue Staten ſo entſtehen können, ſo können
noch eher vorhandene Staten in dieſer Weiſe erweitert werden.

280.

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[165/0187] Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. liſche Krone ihre Herrſchaft über den nordamerikaniſchen Continent damit, daß in ihrem Auftrag ein kühner Seefahrer, der Venetianer Caboto zuerſt, im Jahre 1496, die amerikaniſche Küſte vom 56ſten bis zum 38ſten Grad nördlicher Breite entdeckt habe, wenn gleich er nur der Küſte entlang gefahren war und in keiner Weiſe das ungeheure Land beſetzt hatte. Nicht anders leiteten die Spanier und Portugieſen ihr Recht im Süden und in Centralamerika zunächſt von ihrer Ent- deckung her und die Vertheilung der neuen Welt unter die beiden Völker, welche der Papſt Alexander VI. im Jahr 1493 vornahm, war eine Schlichtung und Aus- gleichung ihrer ſtreitigen Anſprüche, und eine Beſtätigung ihrer auf die Entdeckung eher als auf die Beſitznahme gegründeten Anſprüche durch die vornehmſte Autorität der Chriſtenheit. Die Entdeckung iſt aber nur ein Act der Wiſſenſchaft, nicht der Politik und daher auch nicht geeignet, Statsgewalt zu begründen. Viel- mehr beſteht die öffentlich-rechtliche Beſitznahme in der thatſächlichen Aus- übung der ordnenden und ſchützenden Statsgewalt, verbunden mit dem Willen, das ſtatenloſe Land auf die Dauer ſtatlich zu beherrſchen. Die Symbole der Herrſchaft, wie Auſpflanzen einer Fahne u. dgl. können dieſe Abſicht klar machen, aber nicht den Mangel einer realen Statsherrſchaft erſetzen. 279. Dieſe Beſitznahme kann auch im Auftrag oder mit Vollmacht einer Statsgewalt durch Privatperſonen, insbeſondere durch Coloniſten vollzogen werden, aber nur, indem ſie in dem bisher ſtatenloſen Lande eine öffent- liche Gewalt aufrichten oder ſogar ohne vorherigen Auftrag, aber unter der Vorausſetzung nachheriger Genehmigung durch die Statsgewalt. Die Erweiterung der europäiſchen Statsherrſchaft in den außereuropäiſchen Ländern iſt großentheils durch ſolche Vermittlung der Coloniſten bewirkt worden, welche ſich in unbewohnten und verlaſſenen Gegenden anſiedelten und ihre heimiſche Statsordnung dahin verpflanzten. Der vorherige Auftrag des durch ſolche Vermittler Beſitz ergreifenden Stats kann unbedenklich durch die nachherige Geneh- migung erſetzt werden. Es hindert nichts, in dieſer Beziehung die Analogie der privatrechtlichen Occupation anzuwenden. Auch kann im Princip nicht beſtritten werden, daß ſogar ohne Statsvollmacht und Statsgenehmigung eine ganz neue Statenbildung dadurch entſtehen kann, daß Auswanderer auf einer unbewohnten Inſel einen neuen Stat gründen, wie es z. B. die ausgewanderten Norweger auf Island während des Mittelalters gethan haben. Eine Reihe neuer Staten in Nordamerika ſind in dieſer Weiſe durch Privaten gegründet worden und erſt ſpäter iſt die Anerkennung, früher des europäiſchen Mutterſtats, ſpäter der Amerikaniſchen Union hinzugekommen. Wenn aber neue Staten ſo entſtehen können, ſo können noch eher vorhandene Staten in dieſer Weiſe erweitert werden. 280. Iſt die ſtatenloſe Gegend im Beſitz und Genuß von barbariſchen

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/187>, abgerufen am 28.03.2024.