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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Viertes Buch.
Aber die Angehörigkeit der Handelsschiffe an den Stat, dessen Flagge sie führen,
ist ebenso unzweifelhaft.

318.

Wenn die Schiffe auf offener See fahren, so erstreckt sich die Gebiets-
hoheit ihres States ungehemmt auf den Bereich der Schiffe und den Theil
des Meeres, in welchem das Schiff sich gerade befindet.

Eine bloße Folge dieses Satzes ist die Begründung der statlichen Gerichts-
barkeit
in allen Vergehensfällen, welche sich während der Seefahrt ereignen, und
die Ausschließung einer fremden Gerichtsbarkeit. Das gilt aber nicht bloß von Ver-
gehen, die innerhalb des Schiffes, sondern auch von solchen, welche etwa von schwim-
menden Schiffsgenossen um dasselbe her verübt worden sind.

319.

Wenn aber die Schiffe in ein fremdes Statsgebiet einfahren, indem
sie in einem fremden Seehafen Anker werfen oder einen Strom oder Fluß
befahren u. dgl., so werden sie der fremden Statshoheit so lange unter-
geordnet, als sie sich in deren Bereich aufhalten.

Die fremden Schiffe können sich so wenig als fremde Reisende der Statshoheit
entziehen, in deren Herrschaftsbereich sie gekommen sind. Es gibt keinen Grund,
diese Statshoheit innerhalb ihres Gebiets zu hemmen, und fremden Schiffen Im-
munitätsrechte zuzugestehen. Die Policei des Hafenstats erstreckt sich daher über
alle fremde Schiffe im Hafen und die Gerichte desselben sind competent zur Ver-
waltung der Rechtspflege, auch wenn die Schiffsleute Streit unter einander haben
oder ein Vergehen verüben, weil dieselben sich innerhalb dieses Statsgebiets
befinden
.

320.

Indessen wirkt die Unterordnung der Schiffe und ihrer Mannschaft
unter ihre nationale Statsgewalt insoweit fort, als entweder das Völker-
recht dieselbe verlangt oder die Statsgewalt des Aufenthaltsorts dieselbe
gewähren läßt. Die Consuln vermitteln jene Unterordnung unter die
nationale Statshoheit.

Vgl. oben § 260. Die französische Jurisprudenz erkennt die fremde
Gerichtsbarkeit
in den Fällen an, wo lediglich unter den fremden Schiffs-
leuten
Streit ist, ohne daß derselbe die gemeine Ordnung und den Frieden ge-
fährdet, und ebenso in Disciplinarfällen der Schiffsmannschaft. So-
gar als ein Matrose des amerikanischen Schiffs The Sally im Hafen von Marseille

Viertes Buch.
Aber die Angehörigkeit der Handelsſchiffe an den Stat, deſſen Flagge ſie führen,
iſt ebenſo unzweifelhaft.

318.

Wenn die Schiffe auf offener See fahren, ſo erſtreckt ſich die Gebiets-
hoheit ihres States ungehemmt auf den Bereich der Schiffe und den Theil
des Meeres, in welchem das Schiff ſich gerade befindet.

Eine bloße Folge dieſes Satzes iſt die Begründung der ſtatlichen Gerichts-
barkeit
in allen Vergehensfällen, welche ſich während der Seefahrt ereignen, und
die Ausſchließung einer fremden Gerichtsbarkeit. Das gilt aber nicht bloß von Ver-
gehen, die innerhalb des Schiffes, ſondern auch von ſolchen, welche etwa von ſchwim-
menden Schiffsgenoſſen um dasſelbe her verübt worden ſind.

319.

Wenn aber die Schiffe in ein fremdes Statsgebiet einfahren, indem
ſie in einem fremden Seehafen Anker werfen oder einen Strom oder Fluß
befahren u. dgl., ſo werden ſie der fremden Statshoheit ſo lange unter-
geordnet, als ſie ſich in deren Bereich aufhalten.

Die fremden Schiffe können ſich ſo wenig als fremde Reiſende der Statshoheit
entziehen, in deren Herrſchaftsbereich ſie gekommen ſind. Es gibt keinen Grund,
dieſe Statshoheit innerhalb ihres Gebiets zu hemmen, und fremden Schiffen Im-
munitätsrechte zuzugeſtehen. Die Policei des Hafenſtats erſtreckt ſich daher über
alle fremde Schiffe im Hafen und die Gerichte desſelben ſind competent zur Ver-
waltung der Rechtspflege, auch wenn die Schiffsleute Streit unter einander haben
oder ein Vergehen verüben, weil dieſelben ſich innerhalb dieſes Statsgebiets
befinden
.

320.

Indeſſen wirkt die Unterordnung der Schiffe und ihrer Mannſchaft
unter ihre nationale Statsgewalt inſoweit fort, als entweder das Völker-
recht dieſelbe verlangt oder die Statsgewalt des Aufenthaltsorts dieſelbe
gewähren läßt. Die Conſuln vermitteln jene Unterordnung unter die
nationale Statshoheit.

Vgl. oben § 260. Die franzöſiſche Jurisprudenz erkennt die fremde
Gerichtsbarkeit
in den Fällen an, wo lediglich unter den fremden Schiffs-
leuten
Streit iſt, ohne daß derſelbe die gemeine Ordnung und den Frieden ge-
fährdet, und ebenſo in Disciplinarfällen der Schiffsmannſchaft. So-
gar als ein Matroſe des amerikaniſchen Schiffs The Sally im Hafen von Marſeille

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[186/0208] Viertes Buch. Aber die Angehörigkeit der Handelsſchiffe an den Stat, deſſen Flagge ſie führen, iſt ebenſo unzweifelhaft. 318. Wenn die Schiffe auf offener See fahren, ſo erſtreckt ſich die Gebiets- hoheit ihres States ungehemmt auf den Bereich der Schiffe und den Theil des Meeres, in welchem das Schiff ſich gerade befindet. Eine bloße Folge dieſes Satzes iſt die Begründung der ſtatlichen Gerichts- barkeit in allen Vergehensfällen, welche ſich während der Seefahrt ereignen, und die Ausſchließung einer fremden Gerichtsbarkeit. Das gilt aber nicht bloß von Ver- gehen, die innerhalb des Schiffes, ſondern auch von ſolchen, welche etwa von ſchwim- menden Schiffsgenoſſen um dasſelbe her verübt worden ſind. 319. Wenn aber die Schiffe in ein fremdes Statsgebiet einfahren, indem ſie in einem fremden Seehafen Anker werfen oder einen Strom oder Fluß befahren u. dgl., ſo werden ſie der fremden Statshoheit ſo lange unter- geordnet, als ſie ſich in deren Bereich aufhalten. Die fremden Schiffe können ſich ſo wenig als fremde Reiſende der Statshoheit entziehen, in deren Herrſchaftsbereich ſie gekommen ſind. Es gibt keinen Grund, dieſe Statshoheit innerhalb ihres Gebiets zu hemmen, und fremden Schiffen Im- munitätsrechte zuzugeſtehen. Die Policei des Hafenſtats erſtreckt ſich daher über alle fremde Schiffe im Hafen und die Gerichte desſelben ſind competent zur Ver- waltung der Rechtspflege, auch wenn die Schiffsleute Streit unter einander haben oder ein Vergehen verüben, weil dieſelben ſich innerhalb dieſes Statsgebiets befinden. 320. Indeſſen wirkt die Unterordnung der Schiffe und ihrer Mannſchaft unter ihre nationale Statsgewalt inſoweit fort, als entweder das Völker- recht dieſelbe verlangt oder die Statsgewalt des Aufenthaltsorts dieſelbe gewähren läßt. Die Conſuln vermitteln jene Unterordnung unter die nationale Statshoheit. Vgl. oben § 260. Die franzöſiſche Jurisprudenz erkennt die fremde Gerichtsbarkeit in den Fällen an, wo lediglich unter den fremden Schiffs- leuten Streit iſt, ohne daß derſelbe die gemeine Ordnung und den Frieden ge- fährdet, und ebenſo in Disciplinarfällen der Schiffsmannſchaft. So- gar als ein Matroſe des amerikaniſchen Schiffs The Sally im Hafen von Marſeille

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/208>, abgerufen am 28.03.2024.