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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Viertes Buch.
dere die Verträge mit Frankreich (Verträge von 1831. 1833. 1845), mit Spa-
pien
(1817. 1822. 1835), mit Portugal (1826), mit den europäischen Nord-
und Ostmächten Oesterreich, Preußen und Rußland (1845), mit den Ver-
einigten Staten
von Nordamerika (1842).

In vielen Verträgen und Gesetzen wird dieser verbotene Handel der See-
räuberei gleichgestellt
und werden die Sclavenschiffe wie Piraten-
schiffe
bedroht. Indessen ist diese Gleichstellung durchaus nicht selbstverständlich
und es läßt sich der völkerrechtliche Begriff der Piraterie nicht ohne weiters auf ganz
andere Handlungen übertragen. Die Piraterie gefährdet die Sicherheit des gesamm-
ten Seeverkehrs, der Sclavenhandel bedroht den Seeverkehr gar nicht, sondern bedroht
nur das Menschenrecht in seiner eigenen Ladung. Die Piratenschiffe erkennen keine
geordnete Statsgewalt über sich an, die Sclavenschiffe fahren unter nationaler Flagge.
Die Unterdrückung des Sclavenhandels hat daher auch nicht denselben nationalen
Charakter wie die Verfolgung der Seeräuber. Deßhalb besteht auch keine allge-
meine Concurrenz aller Staten
in der Gerichtsbarkeit über das weggenom-
mene Sclavenschiff, sondern ist zunächst die nationale Gerichtsbarkeit
begründet.

352.

Soweit durch Statenverträge ein Besuchs- oder Durchsuchungsrecht
gegen die eigenen Schiffe fremden Kriegsschiffen zu dem Behuf gestattet
worden ist, um verdächtige Sclavenschiffe anzuhalten und je nach Umstän-
den zur Verantwortung zu ziehen, ist dieselbe auszuüben.

Aber es versteht sich ein solches Recht nicht von selbst, auch nicht
gegen Schiffe eines Stats, welcher die Zufuhr von Negersclaven mit den
Strafen gegen Seeraub bedroht.

Die Schwierigkeit, das Verbot des Sclavenhandels auf offener See durchzu-
führen, ohne zugleich die völkerrechtliche Selbständigkeit der Flagge
und die freie Schiffahrt zu gefährden, ist bei den diplomatischen Verhand-
lungen sehr entscheidend hervorgetreten. Als eine englische Parlamentsacte vom Jahr
1839 die englischen Kreuzer ermächtigte, auf verdächtige Portugiesische Sclavenschiffe
zu fahnden, wurde dieselbe vielseitig als eine völkerrechtswidrige Anmaßung Englands
getadelt. Durch den Vertrag Englands mit Portugal von 1842 wurde ein
wechselseitiges Untersuchungsrecht (right of search) zugestanden. In dem Ver-
trag der fünf europäischen Großmächte von 1841 war erklärt, daß die
Sclavenschiffe "den Schutz der Flagge" einbüßen und daß die Mächte ihren bevoll-
mächtigten Kreuzern das Recht wechselseitig zugestehn, jedes Schiff, das einer der be-
treffenden Nationen angehört, aus verständigen Verdachtsgründen zu untersuchen.
Indessen soll dieses Recht, "droit de visite" genannt, nicht im Mittelländischen
Meer und nur bis zum 32° nördlicher und zum 45. Grad südlicher Breite in dem
atlantischen Meere geübt werden. Indessen wurde dieser Vertrag von dem franzö-

Viertes Buch.
dere die Verträge mit Frankreich (Verträge von 1831. 1833. 1845), mit Spa-
pien
(1817. 1822. 1835), mit Portugal (1826), mit den europäiſchen Nord-
und Oſtmächten Oeſterreich, Preußen und Rußland (1845), mit den Ver-
einigten Staten
von Nordamerika (1842).

In vielen Verträgen und Geſetzen wird dieſer verbotene Handel der See-
räuberei gleichgeſtellt
und werden die Sclavenſchiffe wie Piraten-
ſchiffe
bedroht. Indeſſen iſt dieſe Gleichſtellung durchaus nicht ſelbſtverſtändlich
und es läßt ſich der völkerrechtliche Begriff der Piraterie nicht ohne weiters auf ganz
andere Handlungen übertragen. Die Piraterie gefährdet die Sicherheit des geſamm-
ten Seeverkehrs, der Sclavenhandel bedroht den Seeverkehr gar nicht, ſondern bedroht
nur das Menſchenrecht in ſeiner eigenen Ladung. Die Piratenſchiffe erkennen keine
geordnete Statsgewalt über ſich an, die Sclavenſchiffe fahren unter nationaler Flagge.
Die Unterdrückung des Sclavenhandels hat daher auch nicht denſelben nationalen
Charakter wie die Verfolgung der Seeräuber. Deßhalb beſteht auch keine allge-
meine Concurrenz aller Staten
in der Gerichtsbarkeit über das weggenom-
mene Sclavenſchiff, ſondern iſt zunächſt die nationale Gerichtsbarkeit
begründet.

352.

Soweit durch Statenverträge ein Beſuchs- oder Durchſuchungsrecht
gegen die eigenen Schiffe fremden Kriegsſchiffen zu dem Behuf geſtattet
worden iſt, um verdächtige Sclavenſchiffe anzuhalten und je nach Umſtän-
den zur Verantwortung zu ziehen, iſt dieſelbe auszuüben.

Aber es verſteht ſich ein ſolches Recht nicht von ſelbſt, auch nicht
gegen Schiffe eines Stats, welcher die Zufuhr von Negerſclaven mit den
Strafen gegen Seeraub bedroht.

Die Schwierigkeit, das Verbot des Sclavenhandels auf offener See durchzu-
führen, ohne zugleich die völkerrechtliche Selbſtändigkeit der Flagge
und die freie Schiffahrt zu gefährden, iſt bei den diplomatiſchen Verhand-
lungen ſehr entſcheidend hervorgetreten. Als eine engliſche Parlamentsacte vom Jahr
1839 die engliſchen Kreuzer ermächtigte, auf verdächtige Portugieſiſche Sclavenſchiffe
zu fahnden, wurde dieſelbe vielſeitig als eine völkerrechtswidrige Anmaßung Englands
getadelt. Durch den Vertrag Englands mit Portugal von 1842 wurde ein
wechſelſeitiges Unterſuchungsrecht (right of search) zugeſtanden. In dem Ver-
trag der fünf europäiſchen Großmächte von 1841 war erklärt, daß die
Sclavenſchiffe „den Schutz der Flagge“ einbüßen und daß die Mächte ihren bevoll-
mächtigten Kreuzern das Recht wechſelſeitig zugeſtehn, jedes Schiff, das einer der be-
treffenden Nationen angehört, aus verſtändigen Verdachtsgründen zu unterſuchen.
Indeſſen ſoll dieſes Recht, „droit de visite“ genannt, nicht im Mittelländiſchen
Meer und nur bis zum 32° nördlicher und zum 45. Grad ſüdlicher Breite in dem
atlantiſchen Meere geübt werden. Indeſſen wurde dieſer Vertrag von dem franzö-

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[202/0224] Viertes Buch. dere die Verträge mit Frankreich (Verträge von 1831. 1833. 1845), mit Spa- pien (1817. 1822. 1835), mit Portugal (1826), mit den europäiſchen Nord- und Oſtmächten Oeſterreich, Preußen und Rußland (1845), mit den Ver- einigten Staten von Nordamerika (1842). In vielen Verträgen und Geſetzen wird dieſer verbotene Handel der See- räuberei gleichgeſtellt und werden die Sclavenſchiffe wie Piraten- ſchiffe bedroht. Indeſſen iſt dieſe Gleichſtellung durchaus nicht ſelbſtverſtändlich und es läßt ſich der völkerrechtliche Begriff der Piraterie nicht ohne weiters auf ganz andere Handlungen übertragen. Die Piraterie gefährdet die Sicherheit des geſamm- ten Seeverkehrs, der Sclavenhandel bedroht den Seeverkehr gar nicht, ſondern bedroht nur das Menſchenrecht in ſeiner eigenen Ladung. Die Piratenſchiffe erkennen keine geordnete Statsgewalt über ſich an, die Sclavenſchiffe fahren unter nationaler Flagge. Die Unterdrückung des Sclavenhandels hat daher auch nicht denſelben nationalen Charakter wie die Verfolgung der Seeräuber. Deßhalb beſteht auch keine allge- meine Concurrenz aller Staten in der Gerichtsbarkeit über das weggenom- mene Sclavenſchiff, ſondern iſt zunächſt die nationale Gerichtsbarkeit begründet. 352. Soweit durch Statenverträge ein Beſuchs- oder Durchſuchungsrecht gegen die eigenen Schiffe fremden Kriegsſchiffen zu dem Behuf geſtattet worden iſt, um verdächtige Sclavenſchiffe anzuhalten und je nach Umſtän- den zur Verantwortung zu ziehen, iſt dieſelbe auszuüben. Aber es verſteht ſich ein ſolches Recht nicht von ſelbſt, auch nicht gegen Schiffe eines Stats, welcher die Zufuhr von Negerſclaven mit den Strafen gegen Seeraub bedroht. Die Schwierigkeit, das Verbot des Sclavenhandels auf offener See durchzu- führen, ohne zugleich die völkerrechtliche Selbſtändigkeit der Flagge und die freie Schiffahrt zu gefährden, iſt bei den diplomatiſchen Verhand- lungen ſehr entſcheidend hervorgetreten. Als eine engliſche Parlamentsacte vom Jahr 1839 die engliſchen Kreuzer ermächtigte, auf verdächtige Portugieſiſche Sclavenſchiffe zu fahnden, wurde dieſelbe vielſeitig als eine völkerrechtswidrige Anmaßung Englands getadelt. Durch den Vertrag Englands mit Portugal von 1842 wurde ein wechſelſeitiges Unterſuchungsrecht (right of search) zugeſtanden. In dem Ver- trag der fünf europäiſchen Großmächte von 1841 war erklärt, daß die Sclavenſchiffe „den Schutz der Flagge“ einbüßen und daß die Mächte ihren bevoll- mächtigten Kreuzern das Recht wechſelſeitig zugeſtehn, jedes Schiff, das einer der be- treffenden Nationen angehört, aus verſtändigen Verdachtsgründen zu unterſuchen. Indeſſen ſoll dieſes Recht, „droit de visite“ genannt, nicht im Mittelländiſchen Meer und nur bis zum 32° nördlicher und zum 45. Grad ſüdlicher Breite in dem atlantiſchen Meere geübt werden. Indeſſen wurde dieſer Vertrag von dem franzö-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/224>, abgerufen am 24.04.2024.