Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Völkerrechtliche Verträge.
person nicht über öffentliche Rechte und Verbindlichkeiten verfügen kann. Wenn
er den andern Stat betrogen hatte, indem er sich für ermächtigt angab, ohne er-
mächtigt zu sein, so mag er dieses Betrugs wegen verantwortlich gemacht und be-
straft werden. Das hat mit der Gültigkeit des Vertrags nichts zu thun. -- Das
alt-römische Fecialrecht befolgte andere Grundsätze. Der Sponsor haftete mit
seiner Person
für die Erfüllung des von ihm eingegangenen Vertrags und wurde
daher von dem nicht genehmigenden State zur Sühne an den andern Stat ausge-
liefert. Die moderne Rechtsbildung ist insofern consequenter, als sie die öffent-
lich-rechtliche Natur der Statenverträge
vollständiger beachtet. Würde
ein dritter Stat ohne Ermächtigung für einen andern Stat einen Vertrag
abschließen, so würde er sich allerdings als Stat verpflichten können, für die Ge-
nehmigung zu sorgen.

407.

Hat der Stat Vortheil von dem Vertragsgeschäft gezogen, das für
ihn, aber ohne seine Vollmacht abgeschlossen worden ist, so ist er im Fall
der Nichtgenehmigung des Vertrags verpflichtet, den ohne Grund empfan-
genen Vortheil, so weit das nach der Lage der Dinge möglich ist, wieder
aufzugeben, beziehungsweise eine empfangene Bereicherung zurück zu er-
statten.

Z. B. Der Unterhändler hat den Loskauf von Gefangenen vermittelt und
vorläufig eine Summe bezahlt. Wird der Vertrag nicht genehmigt, und werden die
Gefangenen zurückbehalten, so muß auch diese Summe wieder herausgegeben werden.
Oder ein Gouverneur einer Colonie gestattet gegen zugesicherte Handelsvortheile
einem andern State die Gründung eines Marineetablissements innerhalb der Colonie.
Wird der Vertrag nicht genehmigt, so ist auch dieses Etablissement wieder zu räu-
men. Hat aber ein Stat im Vertrauen auf die nachfolgende Genehmigung durch
den andern Stat einen momentanen Vortheil seiner Machtstellung aus der Hand
gegeben, und wird der Vertrag nicht ratificirt, so ist er selten in der Lage, jenen
Vortheil wieder zu gewinnen und muß die Folgen seiner unvorsichtigen Handlungs-
weise tragen. Das Beispiel der Samniter, welche das römische Heer in den Can-
dinischen Pässen gefangen hatten und nachdem Rom den Frieden nicht ratificirte,
ihr Uebergewicht nicht mehr herstellen konnten, bleibt eine Warnung der Geschichte.

408.

Es wird angenommen, die Willensfreiheit des States sei nicht auf-
gehoben, wenn gleich der Stat in seiner Noth und Schwäche genöthigt ist,
den Vertrag einzugehen, wie ihn ein übermächtiger anderer Stat ihm
vorschreibt.

Völkerrechtliche Verträge.
perſon nicht über öffentliche Rechte und Verbindlichkeiten verfügen kann. Wenn
er den andern Stat betrogen hatte, indem er ſich für ermächtigt angab, ohne er-
mächtigt zu ſein, ſo mag er dieſes Betrugs wegen verantwortlich gemacht und be-
ſtraft werden. Das hat mit der Gültigkeit des Vertrags nichts zu thun. — Das
alt-römiſche Fecialrecht befolgte andere Grundſätze. Der Sponſor haftete mit
ſeiner Perſon
für die Erfüllung des von ihm eingegangenen Vertrags und wurde
daher von dem nicht genehmigenden State zur Sühne an den andern Stat ausge-
liefert. Die moderne Rechtsbildung iſt inſofern conſequenter, als ſie die öffent-
lich-rechtliche Natur der Statenverträge
vollſtändiger beachtet. Würde
ein dritter Stat ohne Ermächtigung für einen andern Stat einen Vertrag
abſchließen, ſo würde er ſich allerdings als Stat verpflichten können, für die Ge-
nehmigung zu ſorgen.

407.

Hat der Stat Vortheil von dem Vertragsgeſchäft gezogen, das für
ihn, aber ohne ſeine Vollmacht abgeſchloſſen worden iſt, ſo iſt er im Fall
der Nichtgenehmigung des Vertrags verpflichtet, den ohne Grund empfan-
genen Vortheil, ſo weit das nach der Lage der Dinge möglich iſt, wieder
aufzugeben, beziehungsweiſe eine empfangene Bereicherung zurück zu er-
ſtatten.

Z. B. Der Unterhändler hat den Loskauf von Gefangenen vermittelt und
vorläufig eine Summe bezahlt. Wird der Vertrag nicht genehmigt, und werden die
Gefangenen zurückbehalten, ſo muß auch dieſe Summe wieder herausgegeben werden.
Oder ein Gouverneur einer Colonie geſtattet gegen zugeſicherte Handelsvortheile
einem andern State die Gründung eines Marineetabliſſements innerhalb der Colonie.
Wird der Vertrag nicht genehmigt, ſo iſt auch dieſes Etabliſſement wieder zu räu-
men. Hat aber ein Stat im Vertrauen auf die nachfolgende Genehmigung durch
den andern Stat einen momentanen Vortheil ſeiner Machtſtellung aus der Hand
gegeben, und wird der Vertrag nicht ratificirt, ſo iſt er ſelten in der Lage, jenen
Vortheil wieder zu gewinnen und muß die Folgen ſeiner unvorſichtigen Handlungs-
weiſe tragen. Das Beiſpiel der Samniter, welche das römiſche Heer in den Can-
diniſchen Päſſen gefangen hatten und nachdem Rom den Frieden nicht ratificirte,
ihr Uebergewicht nicht mehr herſtellen konnten, bleibt eine Warnung der Geſchichte.

408.

Es wird angenommen, die Willensfreiheit des States ſei nicht auf-
gehoben, wenn gleich der Stat in ſeiner Noth und Schwäche genöthigt iſt,
den Vertrag einzugehen, wie ihn ein übermächtiger anderer Stat ihm
vorſchreibt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0255" n="233"/><fw place="top" type="header">Völkerrechtliche Verträge.</fw><lb/>
per&#x017F;on nicht über öffentliche Rechte und Verbindlichkeiten verfügen kann. Wenn<lb/>
er den andern Stat betrogen hatte, indem er &#x017F;ich für ermächtigt angab, ohne er-<lb/>
mächtigt zu &#x017F;ein, &#x017F;o mag er die&#x017F;es Betrugs wegen verantwortlich gemacht und be-<lb/>
&#x017F;traft werden. Das hat mit der Gültigkeit des Vertrags nichts zu thun. &#x2014; Das<lb/>
alt-römi&#x017F;che Fecialrecht befolgte andere Grund&#x017F;ätze. Der Spon&#x017F;or <hi rendition="#g">haftete mit<lb/>
&#x017F;einer Per&#x017F;on</hi> für die Erfüllung des von ihm eingegangenen Vertrags und wurde<lb/>
daher von dem nicht genehmigenden State zur Sühne an den andern Stat ausge-<lb/>
liefert. Die moderne Rechtsbildung i&#x017F;t in&#x017F;ofern con&#x017F;equenter, als &#x017F;ie die <hi rendition="#g">öffent-<lb/>
lich-rechtliche Natur der Statenverträge</hi> voll&#x017F;tändiger beachtet. Würde<lb/>
ein <hi rendition="#g">dritter Stat</hi> ohne Ermächtigung für einen andern Stat einen Vertrag<lb/>
ab&#x017F;chließen, &#x017F;o würde er &#x017F;ich allerdings als Stat verpflichten können, für die Ge-<lb/>
nehmigung zu &#x017F;orgen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>407.</head><lb/>
              <p>Hat der Stat Vortheil von dem Vertragsge&#x017F;chäft gezogen, das für<lb/>
ihn, aber ohne &#x017F;eine Vollmacht abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en worden i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t er im Fall<lb/>
der Nichtgenehmigung des Vertrags verpflichtet, den ohne Grund empfan-<lb/>
genen Vortheil, &#x017F;o weit das nach der Lage der Dinge möglich i&#x017F;t, wieder<lb/>
aufzugeben, beziehungswei&#x017F;e eine empfangene Bereicherung zurück zu er-<lb/>
&#x017F;tatten.</p><lb/>
              <p>Z. B. Der Unterhändler hat den Loskauf von Gefangenen vermittelt und<lb/>
vorläufig eine Summe bezahlt. Wird der Vertrag nicht genehmigt, und werden die<lb/>
Gefangenen zurückbehalten, &#x017F;o muß auch die&#x017F;e Summe wieder herausgegeben werden.<lb/>
Oder ein Gouverneur einer Colonie ge&#x017F;tattet gegen zuge&#x017F;icherte Handelsvortheile<lb/>
einem andern State die Gründung eines Marineetabli&#x017F;&#x017F;ements innerhalb der Colonie.<lb/>
Wird der Vertrag nicht genehmigt, &#x017F;o i&#x017F;t auch die&#x017F;es Etabli&#x017F;&#x017F;ement wieder zu räu-<lb/>
men. Hat aber ein Stat im Vertrauen auf die nachfolgende Genehmigung durch<lb/>
den andern Stat einen momentanen Vortheil &#x017F;einer Macht&#x017F;tellung aus der Hand<lb/>
gegeben, und wird der Vertrag nicht ratificirt, &#x017F;o i&#x017F;t er &#x017F;elten in der Lage, jenen<lb/>
Vortheil wieder zu gewinnen und muß die Folgen &#x017F;einer unvor&#x017F;ichtigen Handlungs-<lb/>
wei&#x017F;e tragen. Das Bei&#x017F;piel der Samniter, welche das römi&#x017F;che Heer in den Can-<lb/>
dini&#x017F;chen Pä&#x017F;&#x017F;en gefangen hatten und nachdem Rom den Frieden nicht ratificirte,<lb/>
ihr Uebergewicht nicht mehr her&#x017F;tellen konnten, bleibt eine Warnung der Ge&#x017F;chichte.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>408.</head><lb/>
              <p>Es wird angenommen, die Willensfreiheit des States &#x017F;ei nicht auf-<lb/>
gehoben, wenn gleich der Stat in &#x017F;einer Noth und Schwäche genöthigt i&#x017F;t,<lb/>
den Vertrag einzugehen, wie ihn ein übermächtiger anderer Stat ihm<lb/>
vor&#x017F;chreibt.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0255] Völkerrechtliche Verträge. perſon nicht über öffentliche Rechte und Verbindlichkeiten verfügen kann. Wenn er den andern Stat betrogen hatte, indem er ſich für ermächtigt angab, ohne er- mächtigt zu ſein, ſo mag er dieſes Betrugs wegen verantwortlich gemacht und be- ſtraft werden. Das hat mit der Gültigkeit des Vertrags nichts zu thun. — Das alt-römiſche Fecialrecht befolgte andere Grundſätze. Der Sponſor haftete mit ſeiner Perſon für die Erfüllung des von ihm eingegangenen Vertrags und wurde daher von dem nicht genehmigenden State zur Sühne an den andern Stat ausge- liefert. Die moderne Rechtsbildung iſt inſofern conſequenter, als ſie die öffent- lich-rechtliche Natur der Statenverträge vollſtändiger beachtet. Würde ein dritter Stat ohne Ermächtigung für einen andern Stat einen Vertrag abſchließen, ſo würde er ſich allerdings als Stat verpflichten können, für die Ge- nehmigung zu ſorgen. 407. Hat der Stat Vortheil von dem Vertragsgeſchäft gezogen, das für ihn, aber ohne ſeine Vollmacht abgeſchloſſen worden iſt, ſo iſt er im Fall der Nichtgenehmigung des Vertrags verpflichtet, den ohne Grund empfan- genen Vortheil, ſo weit das nach der Lage der Dinge möglich iſt, wieder aufzugeben, beziehungsweiſe eine empfangene Bereicherung zurück zu er- ſtatten. Z. B. Der Unterhändler hat den Loskauf von Gefangenen vermittelt und vorläufig eine Summe bezahlt. Wird der Vertrag nicht genehmigt, und werden die Gefangenen zurückbehalten, ſo muß auch dieſe Summe wieder herausgegeben werden. Oder ein Gouverneur einer Colonie geſtattet gegen zugeſicherte Handelsvortheile einem andern State die Gründung eines Marineetabliſſements innerhalb der Colonie. Wird der Vertrag nicht genehmigt, ſo iſt auch dieſes Etabliſſement wieder zu räu- men. Hat aber ein Stat im Vertrauen auf die nachfolgende Genehmigung durch den andern Stat einen momentanen Vortheil ſeiner Machtſtellung aus der Hand gegeben, und wird der Vertrag nicht ratificirt, ſo iſt er ſelten in der Lage, jenen Vortheil wieder zu gewinnen und muß die Folgen ſeiner unvorſichtigen Handlungs- weiſe tragen. Das Beiſpiel der Samniter, welche das römiſche Heer in den Can- diniſchen Päſſen gefangen hatten und nachdem Rom den Frieden nicht ratificirte, ihr Uebergewicht nicht mehr herſtellen konnten, bleibt eine Warnung der Geſchichte. 408. Es wird angenommen, die Willensfreiheit des States ſei nicht auf- gehoben, wenn gleich der Stat in ſeiner Noth und Schwäche genöthigt iſt, den Vertrag einzugehen, wie ihn ein übermächtiger anderer Stat ihm vorſchreibt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/255
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/255>, abgerufen am 19.04.2024.