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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Völkerrechtliche Verträge.
zelnen Artikeln unter die Garantie (Gewährschaft) einer dritten Macht ge-
stellt und dadurch gesichert werden.

Dieser Garantievertrag ist ein accessorischer Nebenvertrag, durch
welchen der Hauptvertrag verstärkt wird. Der Garant (Gewähre) erscheint als ein
accessorischer Paciscent. Zur Entstehung dieses Garantievertrags genügt daher nicht nur
die Willenserklärung des Garanten, sondern es ist auch die Zustimmung der Staten
erforderlich, deren Vertrag gewährleistet werden soll. Diese Art der Garantie kann
nicht aufgenöthigt werden, weil dadurch die Selbständigkeit des States gefährdet
würde, über den die Garantie sich schützend erstreckt.

431.

Wenn die Garantie eines dritten States nur zur Verstärkung des
Hauptvertrags dient, so darf und soll der Garant nur dann einschreiten
und seinerseits auf Vertragserfüllung dringen, wenn

a) der vorgesehene Fall des Bedürfnisses einer Hülfe eingetreten ist
und
b) der Garant von der berechtigten Vertragspartei um Hülfe ange-
rufen worden ist.

Es sind das die Folgen des Grundcharakters dieses Garantievertrags als
bloßen Nebenvertrags, verbunden mit dem allgemeinen völkerrechtlichen Inter-
esse, gegen die Einmischung dritter Mächte und für die Selbsthülfe
der betheiligten Hauptparteien
. Der Garant darf daher nicht willkürlich
interveniren, wenn kein Bedürfnißfall vorliegt, also keine widerrechtliche Zögerung
oder Weigerung der Erfüllung vorhanden ist, aber er darf es auch noch nicht, wenn
zwar ein äußerer Grund zum Einschreiten sich zeigt, aber die zunächst berechtigte
Hauptpartei der Hülfe des Garanten nicht bedarf oder sie nicht will, sondern es
vorzieht, sich selber zu helfen.

432.

Nur wenn der Garantievertrag als selbständiger Vertrag zum Schutz
einer allgemeinen völkerrechtlichen oder statsrechtlichen Anordnung abgeschlossen
worden ist, sind die Garanten berechtigt, je nach Umständen auch von sich
aus einzuschreiten, wenn ihr eigenes Interesse an jener Anordnung verletzt
oder bedroht erscheint.

Es sind offenbar zwei verschiedene Rechtsverhältnisse, welche unter dem einen
Namen der Garantie zusammengefaßt werden: a) der Nebenvertrag, durch wel-

16*

Völkerrechtliche Verträge.
zelnen Artikeln unter die Garantie (Gewährſchaft) einer dritten Macht ge-
ſtellt und dadurch geſichert werden.

Dieſer Garantievertrag iſt ein acceſſoriſcher Nebenvertrag, durch
welchen der Hauptvertrag verſtärkt wird. Der Garant (Gewähre) erſcheint als ein
acceſſoriſcher Paciſcent. Zur Entſtehung dieſes Garantievertrags genügt daher nicht nur
die Willenserklärung des Garanten, ſondern es iſt auch die Zuſtimmung der Staten
erforderlich, deren Vertrag gewährleiſtet werden ſoll. Dieſe Art der Garantie kann
nicht aufgenöthigt werden, weil dadurch die Selbſtändigkeit des States gefährdet
würde, über den die Garantie ſich ſchützend erſtreckt.

431.

Wenn die Garantie eines dritten States nur zur Verſtärkung des
Hauptvertrags dient, ſo darf und ſoll der Garant nur dann einſchreiten
und ſeinerſeits auf Vertragserfüllung dringen, wenn

a) der vorgeſehene Fall des Bedürfniſſes einer Hülfe eingetreten iſt
und
b) der Garant von der berechtigten Vertragspartei um Hülfe ange-
rufen worden iſt.

Es ſind das die Folgen des Grundcharakters dieſes Garantievertrags als
bloßen Nebenvertrags, verbunden mit dem allgemeinen völkerrechtlichen Inter-
eſſe, gegen die Einmiſchung dritter Mächte und für die Selbſthülfe
der betheiligten Hauptparteien
. Der Garant darf daher nicht willkürlich
interveniren, wenn kein Bedürfnißfall vorliegt, alſo keine widerrechtliche Zögerung
oder Weigerung der Erfüllung vorhanden iſt, aber er darf es auch noch nicht, wenn
zwar ein äußerer Grund zum Einſchreiten ſich zeigt, aber die zunächſt berechtigte
Hauptpartei der Hülfe des Garanten nicht bedarf oder ſie nicht will, ſondern es
vorzieht, ſich ſelber zu helfen.

432.

Nur wenn der Garantievertrag als ſelbſtändiger Vertrag zum Schutz
einer allgemeinen völkerrechtlichen oder ſtatsrechtlichen Anordnung abgeſchloſſen
worden iſt, ſind die Garanten berechtigt, je nach Umſtänden auch von ſich
aus einzuſchreiten, wenn ihr eigenes Intereſſe an jener Anordnung verletzt
oder bedroht erſcheint.

Es ſind offenbar zwei verſchiedene Rechtsverhältniſſe, welche unter dem einen
Namen der Garantie zuſammengefaßt werden: a) der Nebenvertrag, durch wel-

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[243/0265] Völkerrechtliche Verträge. zelnen Artikeln unter die Garantie (Gewährſchaft) einer dritten Macht ge- ſtellt und dadurch geſichert werden. Dieſer Garantievertrag iſt ein acceſſoriſcher Nebenvertrag, durch welchen der Hauptvertrag verſtärkt wird. Der Garant (Gewähre) erſcheint als ein acceſſoriſcher Paciſcent. Zur Entſtehung dieſes Garantievertrags genügt daher nicht nur die Willenserklärung des Garanten, ſondern es iſt auch die Zuſtimmung der Staten erforderlich, deren Vertrag gewährleiſtet werden ſoll. Dieſe Art der Garantie kann nicht aufgenöthigt werden, weil dadurch die Selbſtändigkeit des States gefährdet würde, über den die Garantie ſich ſchützend erſtreckt. 431. Wenn die Garantie eines dritten States nur zur Verſtärkung des Hauptvertrags dient, ſo darf und ſoll der Garant nur dann einſchreiten und ſeinerſeits auf Vertragserfüllung dringen, wenn a) der vorgeſehene Fall des Bedürfniſſes einer Hülfe eingetreten iſt und b) der Garant von der berechtigten Vertragspartei um Hülfe ange- rufen worden iſt. Es ſind das die Folgen des Grundcharakters dieſes Garantievertrags als bloßen Nebenvertrags, verbunden mit dem allgemeinen völkerrechtlichen Inter- eſſe, gegen die Einmiſchung dritter Mächte und für die Selbſthülfe der betheiligten Hauptparteien. Der Garant darf daher nicht willkürlich interveniren, wenn kein Bedürfnißfall vorliegt, alſo keine widerrechtliche Zögerung oder Weigerung der Erfüllung vorhanden iſt, aber er darf es auch noch nicht, wenn zwar ein äußerer Grund zum Einſchreiten ſich zeigt, aber die zunächſt berechtigte Hauptpartei der Hülfe des Garanten nicht bedarf oder ſie nicht will, ſondern es vorzieht, ſich ſelber zu helfen. 432. Nur wenn der Garantievertrag als ſelbſtändiger Vertrag zum Schutz einer allgemeinen völkerrechtlichen oder ſtatsrechtlichen Anordnung abgeſchloſſen worden iſt, ſind die Garanten berechtigt, je nach Umſtänden auch von ſich aus einzuſchreiten, wenn ihr eigenes Intereſſe an jener Anordnung verletzt oder bedroht erſcheint. Es ſind offenbar zwei verſchiedene Rechtsverhältniſſe, welche unter dem einen Namen der Garantie zuſammengefaßt werden: a) der Nebenvertrag, durch wel- 16*

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/265>, abgerufen am 29.03.2024.