Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Buch.
auch die Privathäuser. Wird eine andere Stellung vertheidigt, so müssen vielleicht
die Bäume eines Privatgartens umgehauen oder gar ein Privathaus niedergerissen
werden. Die Bewegung des Marsches und der Schlacht geht oft durch die Saat-
felder verheerend hindurch. Alle diese Schädigungen des Privateigenthums sind Fol-
gen des kriegerischen Nothrechts. Inwiefern der einheimische Stat dafür den
Privateigenthümern Entschädigung leisten solle, ist keine Frage des Völkerrechts,
sondern eher des besondern Stats- und Landesrechts, meistens auch der be-
sonderen Landespolitik und der Finanzwirthschaft. Der feindliche
Stat leistet keine Entschädigung.

653.

Die herrschende Kriegsgewalt ist berechtigt, die durch die Kriegs-
führung nothwendig gewordenen Leistungen der Bevölkerung für die Ver-
pflegung und Transportirung der Truppen und des Kriegszeugs soweit
ohne Entschädigung zu fordern, als diese Leistungen der Kriegssitte und
Uebung gemäß als öffentliche Pflichten anzusehen sind.

1. Die Armee bedarf der Quartiere, der Lebensmittel, der Beklei-
dung
, der Transportmittel. Die neuere Sitte der civilisirten Kriegsführung
ist die, daß möglichst durch vertragsmäßig bezahlte Lieferungen für
die Nahrung und Kleidung der Armee gesorgt wird. Indessen nicht immer langen
die bestellten Transporte rechtzeitig an, oder sie sind überall nicht zu erwarten, oder
ungenügend. Unter Umständen kann es auch ungefährlich und zweckmäßig sein, die
Steuerkräfte des besetzten Landes für diese Zwecke anzuspannen. Da die Kriegs-
gewalt auch die Kriegs- und Steuerhoheit ausübt, so weit ihre Gewalt sich
thatsächlich erstreckt, so kann sie auch von der Bevölkerung dieses Gebietes die erfor-
derliche Beihülfe für die Verpflegung der Truppen fordern.

2. Sie übt vorerst das Recht der Einquartierung aus, wenn gleich zu-
nächst durch Vermittlung der einheimischen Behörden und möglichst den Landesein-
richtungen und Landessitten gemäß. Besondere Immunitäten und Privilegien ein-
zelner Personen oder Classen braucht sie freilich nicht anzuerkennen. Ebenso kann
sie die Hauswirthe anhalten, den einquartierten Officieren und Soldaten ihren
Kräften gemäß und nach Bedürfniß die erforderliche Speise zu geben und den Ge-
meinden, soweit nöthig und ausführbar, Beiträge
von Fleisch, Brod,
Hafer, Heu u. s. f. für die Ernährung von Mannschaft und Pferden auferlegen.
Auch hier bildet das: "Ultra posse nemo tenetur" eine natürliche Schranke
für die zugemutheten Leistungen, und übermäßige Ansprüche brauchen auch
dann nicht befriedigt zu werden, wenn es möglich wäre, sie zu gewähren.

3. Ueberdem bedarf die Kriegsgewalt unter Umständen auch Kleidungs-
stücke
, besonders Schuhe, für die Mannschaft.

4. Sie kann endlich Wagen und Pferde requiriren zum Transport zu
der nächsten Station, auf welcher neue taugliche Transportmittel zu haben sind.

Achtes Buch.
auch die Privathäuſer. Wird eine andere Stellung vertheidigt, ſo müſſen vielleicht
die Bäume eines Privatgartens umgehauen oder gar ein Privathaus niedergeriſſen
werden. Die Bewegung des Marſches und der Schlacht geht oft durch die Saat-
felder verheerend hindurch. Alle dieſe Schädigungen des Privateigenthums ſind Fol-
gen des kriegeriſchen Nothrechts. Inwiefern der einheimiſche Stat dafür den
Privateigenthümern Entſchädigung leiſten ſolle, iſt keine Frage des Völkerrechts,
ſondern eher des beſondern Stats- und Landesrechts, meiſtens auch der be-
ſonderen Landespolitik und der Finanzwirthſchaft. Der feindliche
Stat leiſtet keine Entſchädigung.

653.

Die herrſchende Kriegsgewalt iſt berechtigt, die durch die Kriegs-
führung nothwendig gewordenen Leiſtungen der Bevölkerung für die Ver-
pflegung und Transportirung der Truppen und des Kriegszeugs ſoweit
ohne Entſchädigung zu fordern, als dieſe Leiſtungen der Kriegsſitte und
Uebung gemäß als öffentliche Pflichten anzuſehen ſind.

1. Die Armee bedarf der Quartiere, der Lebensmittel, der Beklei-
dung
, der Transportmittel. Die neuere Sitte der civiliſirten Kriegsführung
iſt die, daß möglichſt durch vertragsmäßig bezahlte Lieferungen für
die Nahrung und Kleidung der Armee geſorgt wird. Indeſſen nicht immer langen
die beſtellten Transporte rechtzeitig an, oder ſie ſind überall nicht zu erwarten, oder
ungenügend. Unter Umſtänden kann es auch ungefährlich und zweckmäßig ſein, die
Steuerkräfte des beſetzten Landes für dieſe Zwecke anzuſpannen. Da die Kriegs-
gewalt auch die Kriegs- und Steuerhoheit ausübt, ſo weit ihre Gewalt ſich
thatſächlich erſtreckt, ſo kann ſie auch von der Bevölkerung dieſes Gebietes die erfor-
derliche Beihülfe für die Verpflegung der Truppen fordern.

2. Sie übt vorerſt das Recht der Einquartierung aus, wenn gleich zu-
nächſt durch Vermittlung der einheimiſchen Behörden und möglichſt den Landesein-
richtungen und Landesſitten gemäß. Beſondere Immunitäten und Privilegien ein-
zelner Perſonen oder Claſſen braucht ſie freilich nicht anzuerkennen. Ebenſo kann
ſie die Hauswirthe anhalten, den einquartierten Officieren und Soldaten ihren
Kräften gemäß und nach Bedürfniß die erforderliche Speiſe zu geben und den Ge-
meinden, ſoweit nöthig und ausführbar, Beiträge
von Fleiſch, Brod,
Hafer, Heu u. ſ. f. für die Ernährung von Mannſchaft und Pferden auferlegen.
Auch hier bildet das: „Ultra posse nemo tenetur“ eine natürliche Schranke
für die zugemutheten Leiſtungen, und übermäßige Anſprüche brauchen auch
dann nicht befriedigt zu werden, wenn es möglich wäre, ſie zu gewähren.

3. Ueberdem bedarf die Kriegsgewalt unter Umſtänden auch Kleidungs-
ſtücke
, beſonders Schuhe, für die Mannſchaft.

4. Sie kann endlich Wagen und Pferde requiriren zum Transport zu
der nächſten Station, auf welcher neue taugliche Transportmittel zu haben ſind.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0376" n="354"/><fw place="top" type="header">Achtes Buch.</fw><lb/>
auch die Privathäu&#x017F;er. Wird eine andere Stellung vertheidigt, &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en vielleicht<lb/>
die Bäume eines Privatgartens umgehauen oder gar ein Privathaus niedergeri&#x017F;&#x017F;en<lb/>
werden. Die Bewegung des Mar&#x017F;ches und der Schlacht geht oft durch die Saat-<lb/>
felder verheerend hindurch. Alle die&#x017F;e Schädigungen des Privateigenthums &#x017F;ind Fol-<lb/>
gen des kriegeri&#x017F;chen Nothrechts. Inwiefern der <hi rendition="#g">einheimi&#x017F;che</hi> Stat dafür den<lb/>
Privateigenthümern <hi rendition="#g">Ent&#x017F;chädigung</hi> lei&#x017F;ten &#x017F;olle, i&#x017F;t keine Frage des Völkerrechts,<lb/>
&#x017F;ondern eher des be&#x017F;ondern <hi rendition="#g">Stats-</hi> und <hi rendition="#g">Landesrechts</hi>, mei&#x017F;tens auch der be-<lb/>
&#x017F;onderen <hi rendition="#g">Landespolitik</hi> und der <hi rendition="#g">Finanzwirth&#x017F;chaft</hi>. Der <hi rendition="#g">feindliche</hi><lb/>
Stat lei&#x017F;tet keine Ent&#x017F;chädigung.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>653.</head><lb/>
                <p>Die herr&#x017F;chende Kriegsgewalt i&#x017F;t berechtigt, die durch die Kriegs-<lb/>
führung nothwendig gewordenen Lei&#x017F;tungen der Bevölkerung für die Ver-<lb/>
pflegung und Transportirung der Truppen und des Kriegszeugs &#x017F;oweit<lb/>
ohne Ent&#x017F;chädigung zu fordern, als die&#x017F;e Lei&#x017F;tungen der Kriegs&#x017F;itte und<lb/>
Uebung gemäß als öffentliche Pflichten anzu&#x017F;ehen &#x017F;ind.</p><lb/>
                <p>1. Die Armee bedarf der <hi rendition="#g">Quartiere</hi>, der <hi rendition="#g">Lebensmittel</hi>, der <hi rendition="#g">Beklei-<lb/>
dung</hi>, der <hi rendition="#g">Transportmittel</hi>. Die neuere Sitte der civili&#x017F;irten Kriegsführung<lb/>
i&#x017F;t die, daß möglich&#x017F;t <hi rendition="#g">durch vertragsmäßig bezahlte Lieferungen</hi> für<lb/>
die Nahrung und Kleidung der Armee ge&#x017F;orgt wird. Inde&#x017F;&#x017F;en nicht immer langen<lb/>
die be&#x017F;tellten Transporte rechtzeitig an, oder &#x017F;ie &#x017F;ind überall nicht zu erwarten, oder<lb/>
ungenügend. Unter Um&#x017F;tänden kann es auch ungefährlich und zweckmäßig &#x017F;ein, die<lb/>
Steuerkräfte des be&#x017F;etzten Landes für die&#x017F;e Zwecke anzu&#x017F;pannen. Da die Kriegs-<lb/>
gewalt auch die <hi rendition="#g">Kriegs-</hi> und <hi rendition="#g">Steuerhoheit</hi> ausübt, &#x017F;o weit ihre Gewalt &#x017F;ich<lb/>
that&#x017F;ächlich er&#x017F;treckt, &#x017F;o kann &#x017F;ie auch von der Bevölkerung die&#x017F;es Gebietes die erfor-<lb/>
derliche <hi rendition="#g">Beihülfe</hi> für die Verpflegung der Truppen fordern.</p><lb/>
                <p>2. Sie übt vorer&#x017F;t das Recht der <hi rendition="#g">Einquartierung</hi> aus, wenn gleich zu-<lb/>
näch&#x017F;t durch Vermittlung der einheimi&#x017F;chen Behörden und möglich&#x017F;t den Landesein-<lb/>
richtungen und Landes&#x017F;itten gemäß. Be&#x017F;ondere Immunitäten und Privilegien ein-<lb/>
zelner Per&#x017F;onen oder Cla&#x017F;&#x017F;en braucht &#x017F;ie freilich nicht anzuerkennen. Eben&#x017F;o kann<lb/>
&#x017F;ie die <hi rendition="#g">Hauswirthe</hi> anhalten, den einquartierten Officieren und Soldaten ihren<lb/>
Kräften gemäß und nach Bedürfniß die erforderliche Spei&#x017F;e zu geben und den <hi rendition="#g">Ge-<lb/>
meinden, &#x017F;oweit nöthig und ausführbar, Beiträge</hi> von Flei&#x017F;ch, Brod,<lb/>
Hafer, Heu u. &#x017F;. f. für die Ernährung von Mann&#x017F;chaft und Pferden auferlegen.<lb/>
Auch hier bildet das: <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">&#x201E;Ultra posse nemo tenetur&#x201C;</hi></hi> eine natürliche Schranke<lb/>
für die zugemutheten Lei&#x017F;tungen, und <hi rendition="#g">übermäßige An&#x017F;prüche</hi> brauchen auch<lb/>
dann nicht befriedigt zu werden, wenn es möglich wäre, &#x017F;ie zu gewähren.</p><lb/>
                <p>3. Ueberdem bedarf die Kriegsgewalt unter Um&#x017F;tänden auch <hi rendition="#g">Kleidungs-<lb/>
&#x017F;tücke</hi>, be&#x017F;onders Schuhe, für die Mann&#x017F;chaft.</p><lb/>
                <p>4. Sie kann endlich <hi rendition="#g">Wagen</hi> und <hi rendition="#g">Pferde</hi> requiriren zum Transport zu<lb/>
der näch&#x017F;ten Station, auf welcher neue taugliche Transportmittel zu haben &#x017F;ind.</p><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[354/0376] Achtes Buch. auch die Privathäuſer. Wird eine andere Stellung vertheidigt, ſo müſſen vielleicht die Bäume eines Privatgartens umgehauen oder gar ein Privathaus niedergeriſſen werden. Die Bewegung des Marſches und der Schlacht geht oft durch die Saat- felder verheerend hindurch. Alle dieſe Schädigungen des Privateigenthums ſind Fol- gen des kriegeriſchen Nothrechts. Inwiefern der einheimiſche Stat dafür den Privateigenthümern Entſchädigung leiſten ſolle, iſt keine Frage des Völkerrechts, ſondern eher des beſondern Stats- und Landesrechts, meiſtens auch der be- ſonderen Landespolitik und der Finanzwirthſchaft. Der feindliche Stat leiſtet keine Entſchädigung. 653. Die herrſchende Kriegsgewalt iſt berechtigt, die durch die Kriegs- führung nothwendig gewordenen Leiſtungen der Bevölkerung für die Ver- pflegung und Transportirung der Truppen und des Kriegszeugs ſoweit ohne Entſchädigung zu fordern, als dieſe Leiſtungen der Kriegsſitte und Uebung gemäß als öffentliche Pflichten anzuſehen ſind. 1. Die Armee bedarf der Quartiere, der Lebensmittel, der Beklei- dung, der Transportmittel. Die neuere Sitte der civiliſirten Kriegsführung iſt die, daß möglichſt durch vertragsmäßig bezahlte Lieferungen für die Nahrung und Kleidung der Armee geſorgt wird. Indeſſen nicht immer langen die beſtellten Transporte rechtzeitig an, oder ſie ſind überall nicht zu erwarten, oder ungenügend. Unter Umſtänden kann es auch ungefährlich und zweckmäßig ſein, die Steuerkräfte des beſetzten Landes für dieſe Zwecke anzuſpannen. Da die Kriegs- gewalt auch die Kriegs- und Steuerhoheit ausübt, ſo weit ihre Gewalt ſich thatſächlich erſtreckt, ſo kann ſie auch von der Bevölkerung dieſes Gebietes die erfor- derliche Beihülfe für die Verpflegung der Truppen fordern. 2. Sie übt vorerſt das Recht der Einquartierung aus, wenn gleich zu- nächſt durch Vermittlung der einheimiſchen Behörden und möglichſt den Landesein- richtungen und Landesſitten gemäß. Beſondere Immunitäten und Privilegien ein- zelner Perſonen oder Claſſen braucht ſie freilich nicht anzuerkennen. Ebenſo kann ſie die Hauswirthe anhalten, den einquartierten Officieren und Soldaten ihren Kräften gemäß und nach Bedürfniß die erforderliche Speiſe zu geben und den Ge- meinden, ſoweit nöthig und ausführbar, Beiträge von Fleiſch, Brod, Hafer, Heu u. ſ. f. für die Ernährung von Mannſchaft und Pferden auferlegen. Auch hier bildet das: „Ultra posse nemo tenetur“ eine natürliche Schranke für die zugemutheten Leiſtungen, und übermäßige Anſprüche brauchen auch dann nicht befriedigt zu werden, wenn es möglich wäre, ſie zu gewähren. 3. Ueberdem bedarf die Kriegsgewalt unter Umſtänden auch Kleidungs- ſtücke, beſonders Schuhe, für die Mannſchaft. 4. Sie kann endlich Wagen und Pferde requiriren zum Transport zu der nächſten Station, auf welcher neue taugliche Transportmittel zu haben ſind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/376
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/376>, abgerufen am 25.04.2024.