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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Recht der Neutralität.

Vgl. zu 224. Es ist das freilich nur die Hauptregel, welche allerdings durch
die Rücksichten auf den Krieg einige Modificationen erleidet, wie z. B. bezüglich der
Enthaltung von jeder Kriegshülfe, des Blocaderechts, des Durchsuchungsrechts u. s. f.

784.

Die feindlichen Staten sind verpflichtet, die Gebietshoheit der neutralen
Staten auch während ihres Krieges vollständig zu achten und sich jeden
Eingriffs in dieselbe zu enthalten, auch wenn das Bedürfniß der Kriegs-
führung denselben verlangen sollte.

Das Nothrecht der Kriegsgewalt ist auf das Kriegsfeld be-
schränkt
. Es darf sich nicht in das neutrale Gebiet hinein erstrecken, denn
dieses Gebiet ist Friedensgebiet, in welchem die fremde Kriegsgewalt Nichts zu
befehlen hat.

785.

Wenn feindliche Truppen auf der Flucht das neutrale Gebiet errei-
chen, so ist der neutrale Stat berechtigt, sie vor der Verfolgung zu
schützen (774) und die Verfolger zurückzuweisen. Er darf innerhalb seines
Gebietes die Kriegsgefangenen des Feindes und die gemachte Beute wie-
der frei geben.

786.

Wenn innerhalb der neutralen Eigengewässer von einem feindlichen
Schiff ein feindliches Schiff weggenommen worden ist, so ist der neutrale
Stat berechtigt, die Herausgabe der Prise zu fordern und dieselbe frei zu
geben.

1. Alle Wegnahmen innerhalb der neutralen Eigengewässer sind
rechtswidrig, denn es sind das feindliche Acte innerhalb des fremden Friedensgebiets.
Darin liegt immer eine Verletzung der neutralen Rechte. Der neutrale Stat ist
daher berechtigt, die Wegnahme als ungültig zu behandeln und die Prise frei zu
geben und ebenso berechtigt, die Personen, welche seine Neutralitätsrechte verletzt
haben, wenn sie sich in dem Bereiche seiner Gerichtsgewalt finden, zur Verantwortung
und Strafe zu ziehen.

2. Einen merkwürdigen Fall, in welchem die obige Regel zur Anwendung
kam, berichtet Dana in der Anmerkung zu Wheaton Int. L. § 428. Die
Mannschaft eines amerikanischen Handelsschiffs Chesapeake empörte sich während

Recht der Neutralität.

Vgl. zu 224. Es iſt das freilich nur die Hauptregel, welche allerdings durch
die Rückſichten auf den Krieg einige Modificationen erleidet, wie z. B. bezüglich der
Enthaltung von jeder Kriegshülfe, des Blocaderechts, des Durchſuchungsrechts u. ſ. f.

784.

Die feindlichen Staten ſind verpflichtet, die Gebietshoheit der neutralen
Staten auch während ihres Krieges vollſtändig zu achten und ſich jeden
Eingriffs in dieſelbe zu enthalten, auch wenn das Bedürfniß der Kriegs-
führung denſelben verlangen ſollte.

Das Nothrecht der Kriegsgewalt iſt auf das Kriegsfeld be-
ſchränkt
. Es darf ſich nicht in das neutrale Gebiet hinein erſtrecken, denn
dieſes Gebiet iſt Friedensgebiet, in welchem die fremde Kriegsgewalt Nichts zu
befehlen hat.

785.

Wenn feindliche Truppen auf der Flucht das neutrale Gebiet errei-
chen, ſo iſt der neutrale Stat berechtigt, ſie vor der Verfolgung zu
ſchützen (774) und die Verfolger zurückzuweiſen. Er darf innerhalb ſeines
Gebietes die Kriegsgefangenen des Feindes und die gemachte Beute wie-
der frei geben.

786.

Wenn innerhalb der neutralen Eigengewäſſer von einem feindlichen
Schiff ein feindliches Schiff weggenommen worden iſt, ſo iſt der neutrale
Stat berechtigt, die Herausgabe der Priſe zu fordern und dieſelbe frei zu
geben.

1. Alle Wegnahmen innerhalb der neutralen Eigengewäſſer ſind
rechtswidrig, denn es ſind das feindliche Acte innerhalb des fremden Friedensgebiets.
Darin liegt immer eine Verletzung der neutralen Rechte. Der neutrale Stat iſt
daher berechtigt, die Wegnahme als ungültig zu behandeln und die Priſe frei zu
geben und ebenſo berechtigt, die Perſonen, welche ſeine Neutralitätsrechte verletzt
haben, wenn ſie ſich in dem Bereiche ſeiner Gerichtsgewalt finden, zur Verantwortung
und Strafe zu ziehen.

2. Einen merkwürdigen Fall, in welchem die obige Regel zur Anwendung
kam, berichtet Dana in der Anmerkung zu Wheaton Int. L. § 428. Die
Mannſchaft eines amerikaniſchen Handelsſchiffs Cheſapeake empörte ſich während

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[423/0445] Recht der Neutralität. Vgl. zu 224. Es iſt das freilich nur die Hauptregel, welche allerdings durch die Rückſichten auf den Krieg einige Modificationen erleidet, wie z. B. bezüglich der Enthaltung von jeder Kriegshülfe, des Blocaderechts, des Durchſuchungsrechts u. ſ. f. 784. Die feindlichen Staten ſind verpflichtet, die Gebietshoheit der neutralen Staten auch während ihres Krieges vollſtändig zu achten und ſich jeden Eingriffs in dieſelbe zu enthalten, auch wenn das Bedürfniß der Kriegs- führung denſelben verlangen ſollte. Das Nothrecht der Kriegsgewalt iſt auf das Kriegsfeld be- ſchränkt. Es darf ſich nicht in das neutrale Gebiet hinein erſtrecken, denn dieſes Gebiet iſt Friedensgebiet, in welchem die fremde Kriegsgewalt Nichts zu befehlen hat. 785. Wenn feindliche Truppen auf der Flucht das neutrale Gebiet errei- chen, ſo iſt der neutrale Stat berechtigt, ſie vor der Verfolgung zu ſchützen (774) und die Verfolger zurückzuweiſen. Er darf innerhalb ſeines Gebietes die Kriegsgefangenen des Feindes und die gemachte Beute wie- der frei geben. 786. Wenn innerhalb der neutralen Eigengewäſſer von einem feindlichen Schiff ein feindliches Schiff weggenommen worden iſt, ſo iſt der neutrale Stat berechtigt, die Herausgabe der Priſe zu fordern und dieſelbe frei zu geben. 1. Alle Wegnahmen innerhalb der neutralen Eigengewäſſer ſind rechtswidrig, denn es ſind das feindliche Acte innerhalb des fremden Friedensgebiets. Darin liegt immer eine Verletzung der neutralen Rechte. Der neutrale Stat iſt daher berechtigt, die Wegnahme als ungültig zu behandeln und die Priſe frei zu geben und ebenſo berechtigt, die Perſonen, welche ſeine Neutralitätsrechte verletzt haben, wenn ſie ſich in dem Bereiche ſeiner Gerichtsgewalt finden, zur Verantwortung und Strafe zu ziehen. 2. Einen merkwürdigen Fall, in welchem die obige Regel zur Anwendung kam, berichtet Dana in der Anmerkung zu Wheaton Int. L. § 428. Die Mannſchaft eines amerikaniſchen Handelsſchiffs Cheſapeake empörte ſich während

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/445>, abgerufen am 29.03.2024.