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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Neuntes Buch.
5. Blocade.
827.

Die Kriegsstaten sind berechtigt, im Interesse wirksamer Kriegs-
führung feindliche Häfen, Festungen, unter Umständen eine bestimmte feind-
liche Küstenstrecke gegen jede Handelsverbindung auch mit den Neutralen
abzusperren.

1. Das Recht der Kriegsstaten, einen Hafen oder eine Küste des feindlichen
Gebiets für den Handel abzusperren, zu blokiren, wird in Kriegszeiten von Alters
her geübt und völkerrechtlich anerkannt. Aber über den Grund dieses Rechts gehen
die Meinungen aus einander. Die Uebung bezeugt nur die verbreitete Rechtsüber-
zeugung, aber erklärt dieselbe nicht. Manche Publicisten, wie Hübner, Ortolan
und Hautefeuille erklären sie aus der souveränen Gewalt, welche die Kriegs-
macht über die feindlichen Küstengewässer ergreife und ausübe. Aber einmal ist
diese Gewalt (die Besitznahme) nicht unbestritten, denn die blokirte Küste selbst ist
meistens noch im Besitze des Feindes, der seine Gewalt, soweit die Strandbatterien
schießen, auch über den Hafen und den Küstensaum behauptet und ausübt. Sodann
wird das Blocaderecht in das offene Meer hinein geübt, wo die Wachschiffe stationirt
sind und auf offenem Meere gibt es keine besondere Souveränetät eines Stats gegen-
über andern Staten. Endlich erklärt die Gebietshoheit -- zumal eine bloß provi-
sorische -- nicht das allgemeine Verbot des an sich berechtigten, vielleicht vertrags-
mäßig geschützten Handelsverkehrs.

2. Der Grund kann nicht in der Souveränetät, sondern wieder nur in dem
Nothrecht des Kriegs gefunden werden. Die energische, auf raschen Erfolg hin-
arbeitende Kriegsführung kann der Blocade nicht entbehren. Gewiß ist jede Blocade
auch eine schwere Schädigung der neutralen Interessen, aber man nimmt
an, die Neutralen müssen sich dieselbe als eine unvermeidliche Folge des Kriegs, wie
diesen selber, gefallen lassen, welcher die neutralen Interessen auch sonst vielfältig
verletzt. Schon Grotius und Bynkershoek, neuerlich auch Geßner (Droit
des Neutres.
Berlin 1865) erklären das Blocaderecht mit guten Gründen aus der
Kriegsnothwendigkeit. Gerade weil es Nothrecht ist, muß es auf die
Fälle und das Maß der Noth eingeschränkt werden.

828.

Die Neutralen sind verpflichtet, eine wirksame Blocade während des
Kriegs zu beachten.

Als wirksam gilt dieselbe, wenn der blokirende Kriegsstat die Zu-

Neuntes Buch.
5. Blocade.
827.

Die Kriegsſtaten ſind berechtigt, im Intereſſe wirkſamer Kriegs-
führung feindliche Häfen, Feſtungen, unter Umſtänden eine beſtimmte feind-
liche Küſtenſtrecke gegen jede Handelsverbindung auch mit den Neutralen
abzuſperren.

1. Das Recht der Kriegsſtaten, einen Hafen oder eine Küſte des feindlichen
Gebiets für den Handel abzuſperren, zu blokiren, wird in Kriegszeiten von Alters
her geübt und völkerrechtlich anerkannt. Aber über den Grund dieſes Rechts gehen
die Meinungen aus einander. Die Uebung bezeugt nur die verbreitete Rechtsüber-
zeugung, aber erklärt dieſelbe nicht. Manche Publiciſten, wie Hübner, Ortolan
und Hautefeuille erklären ſie aus der ſouveränen Gewalt, welche die Kriegs-
macht über die feindlichen Küſtengewäſſer ergreife und ausübe. Aber einmal iſt
dieſe Gewalt (die Beſitznahme) nicht unbeſtritten, denn die blokirte Küſte ſelbſt iſt
meiſtens noch im Beſitze des Feindes, der ſeine Gewalt, ſoweit die Strandbatterien
ſchießen, auch über den Hafen und den Küſtenſaum behauptet und ausübt. Sodann
wird das Blocaderecht in das offene Meer hinein geübt, wo die Wachſchiffe ſtationirt
ſind und auf offenem Meere gibt es keine beſondere Souveränetät eines Stats gegen-
über andern Staten. Endlich erklärt die Gebietshoheit — zumal eine bloß provi-
ſoriſche — nicht das allgemeine Verbot des an ſich berechtigten, vielleicht vertrags-
mäßig geſchützten Handelsverkehrs.

2. Der Grund kann nicht in der Souveränetät, ſondern wieder nur in dem
Nothrecht des Kriegs gefunden werden. Die energiſche, auf raſchen Erfolg hin-
arbeitende Kriegsführung kann der Blocade nicht entbehren. Gewiß iſt jede Blocade
auch eine ſchwere Schädigung der neutralen Intereſſen, aber man nimmt
an, die Neutralen müſſen ſich dieſelbe als eine unvermeidliche Folge des Kriegs, wie
dieſen ſelber, gefallen laſſen, welcher die neutralen Intereſſen auch ſonſt vielfältig
verletzt. Schon Grotius und Bynkershoek, neuerlich auch Geßner (Droit
des Neutres.
Berlin 1865) erklären das Blocaderecht mit guten Gründen aus der
Kriegsnothwendigkeit. Gerade weil es Nothrecht iſt, muß es auf die
Fälle und das Maß der Noth eingeſchränkt werden.

828.

Die Neutralen ſind verpflichtet, eine wirkſame Blocade während des
Kriegs zu beachten.

Als wirkſam gilt dieſelbe, wenn der blokirende Kriegsſtat die Zu-

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[448/0470] Neuntes Buch. 5. Blocade. 827. Die Kriegsſtaten ſind berechtigt, im Intereſſe wirkſamer Kriegs- führung feindliche Häfen, Feſtungen, unter Umſtänden eine beſtimmte feind- liche Küſtenſtrecke gegen jede Handelsverbindung auch mit den Neutralen abzuſperren. 1. Das Recht der Kriegsſtaten, einen Hafen oder eine Küſte des feindlichen Gebiets für den Handel abzuſperren, zu blokiren, wird in Kriegszeiten von Alters her geübt und völkerrechtlich anerkannt. Aber über den Grund dieſes Rechts gehen die Meinungen aus einander. Die Uebung bezeugt nur die verbreitete Rechtsüber- zeugung, aber erklärt dieſelbe nicht. Manche Publiciſten, wie Hübner, Ortolan und Hautefeuille erklären ſie aus der ſouveränen Gewalt, welche die Kriegs- macht über die feindlichen Küſtengewäſſer ergreife und ausübe. Aber einmal iſt dieſe Gewalt (die Beſitznahme) nicht unbeſtritten, denn die blokirte Küſte ſelbſt iſt meiſtens noch im Beſitze des Feindes, der ſeine Gewalt, ſoweit die Strandbatterien ſchießen, auch über den Hafen und den Küſtenſaum behauptet und ausübt. Sodann wird das Blocaderecht in das offene Meer hinein geübt, wo die Wachſchiffe ſtationirt ſind und auf offenem Meere gibt es keine beſondere Souveränetät eines Stats gegen- über andern Staten. Endlich erklärt die Gebietshoheit — zumal eine bloß provi- ſoriſche — nicht das allgemeine Verbot des an ſich berechtigten, vielleicht vertrags- mäßig geſchützten Handelsverkehrs. 2. Der Grund kann nicht in der Souveränetät, ſondern wieder nur in dem Nothrecht des Kriegs gefunden werden. Die energiſche, auf raſchen Erfolg hin- arbeitende Kriegsführung kann der Blocade nicht entbehren. Gewiß iſt jede Blocade auch eine ſchwere Schädigung der neutralen Intereſſen, aber man nimmt an, die Neutralen müſſen ſich dieſelbe als eine unvermeidliche Folge des Kriegs, wie dieſen ſelber, gefallen laſſen, welcher die neutralen Intereſſen auch ſonſt vielfältig verletzt. Schon Grotius und Bynkershoek, neuerlich auch Geßner (Droit des Neutres. Berlin 1865) erklären das Blocaderecht mit guten Gründen aus der Kriegsnothwendigkeit. Gerade weil es Nothrecht iſt, muß es auf die Fälle und das Maß der Noth eingeſchränkt werden. 828. Die Neutralen ſind verpflichtet, eine wirkſame Blocade während des Kriegs zu beachten. Als wirkſam gilt dieſelbe, wenn der blokirende Kriegsſtat die Zu-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/470>, abgerufen am 28.03.2024.