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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.

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Vorrede.

ES ist zwar eine eckelhafte und verdrüß-
liche Arbeit, in einer übersezten Kunst-
schrift, die nichts anders ist, als ein Gemische
von Fehlern, alle verkehrten Ausdrückungen,
und regellosen Abweichungen sowohl in den Be-
griffen als derselben Verbindung genau aufzu-
zeichnen, und so deutlich aus einander zu setzen,
daß man zugleich die Ordnung und die Schön-
heiten der Grundschrift empfindlich macht:
Aber wenn ein geschickter Mann sich diese Mü-
he nimmt, so ist es von vortrefflichem Nuzen;
zwar nicht für den, der geprüffet wird, als der
zu dergleichen Empfindung kein Naturell hat,
sondern für diejenigen unbefestigten Köpfe, die
durch das pralerische Geschwäze des Ueberse-
zers von den gesunden und natürlichen Begrif-
fen des Originals auf hundert Jrrwege abge-
führt worden. Jn dieser Betrachtung verdienet
der Verfasser folgender Prüffung des Gottsche-
dischen Horazens allen Danck, daß er seine Ge-
duld, die zu Aufräumung dieses Chaotischen
Schuttes nöthig war, bis auf ein Hundert Verse
unterhalten hat. Er hat mir bekennet, daß ihm
dieses nicht möglich gewesen wäre, wenn er seinen
arbeitsamen Fleiß nicht bald mit der Jronie,
bald mit einer andern Figur belebet und aufge-
muntert hätte: dennoch sey seine Geduld mit
diesen hundert Versen völlig zu Ende gegangen,
und er zweifle, ob er sobald wieder eine gnug-
same Dose neuer Geduld werde sammeln kön-

nen,
Vorrede.

ES iſt zwar eine eckelhafte und verdruͤß-
liche Arbeit, in einer uͤberſezten Kunſt-
ſchrift, die nichts anders iſt, als ein Gemiſche
von Fehlern, alle verkehrten Ausdruͤckungen,
und regelloſen Abweichungen ſowohl in den Be-
griffen als derſelben Verbindung genau aufzu-
zeichnen, und ſo deutlich aus einander zu ſetzen,
daß man zugleich die Ordnung und die Schoͤn-
heiten der Grundſchrift empfindlich macht:
Aber wenn ein geſchickter Mann ſich dieſe Muͤ-
he nimmt, ſo iſt es von vortrefflichem Nuzen;
zwar nicht fuͤr den, der gepruͤffet wird, als der
zu dergleichen Empfindung kein Naturell hat,
ſondern fuͤr diejenigen unbefeſtigten Koͤpfe, die
durch das praleriſche Geſchwaͤze des Ueberſe-
zers von den geſunden und natuͤrlichen Begrif-
fen des Originals auf hundert Jrrwege abge-
fuͤhrt worden. Jn dieſer Betrachtung verdienet
der Verfaſſer folgender Pruͤffung des Gottſche-
diſchen Horazens allen Danck, daß er ſeine Ge-
duld, die zu Aufraͤumung dieſes Chaotiſchen
Schuttes noͤthig war, bis auf ein Hundert Verſe
unterhalten hat. Er hat mir bekennet, daß ihm
dieſes nicht moͤglich geweſen waͤre, wenn er ſeinen
arbeitſamen Fleiß nicht bald mit der Jronie,
bald mit einer andern Figur belebet und aufge-
muntert haͤtte: dennoch ſey ſeine Geduld mit
dieſen hundert Verſen voͤllig zu Ende gegangen,
und er zweifle, ob er ſobald wieder eine gnug-
ſame Doſe neuer Geduld werde ſammeln koͤn-

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[[77]/0077] Vorrede. ES iſt zwar eine eckelhafte und verdruͤß- liche Arbeit, in einer uͤberſezten Kunſt- ſchrift, die nichts anders iſt, als ein Gemiſche von Fehlern, alle verkehrten Ausdruͤckungen, und regelloſen Abweichungen ſowohl in den Be- griffen als derſelben Verbindung genau aufzu- zeichnen, und ſo deutlich aus einander zu ſetzen, daß man zugleich die Ordnung und die Schoͤn- heiten der Grundſchrift empfindlich macht: Aber wenn ein geſchickter Mann ſich dieſe Muͤ- he nimmt, ſo iſt es von vortrefflichem Nuzen; zwar nicht fuͤr den, der gepruͤffet wird, als der zu dergleichen Empfindung kein Naturell hat, ſondern fuͤr diejenigen unbefeſtigten Koͤpfe, die durch das praleriſche Geſchwaͤze des Ueberſe- zers von den geſunden und natuͤrlichen Begrif- fen des Originals auf hundert Jrrwege abge- fuͤhrt worden. Jn dieſer Betrachtung verdienet der Verfaſſer folgender Pruͤffung des Gottſche- diſchen Horazens allen Danck, daß er ſeine Ge- duld, die zu Aufraͤumung dieſes Chaotiſchen Schuttes noͤthig war, bis auf ein Hundert Verſe unterhalten hat. Er hat mir bekennet, daß ihm dieſes nicht moͤglich geweſen waͤre, wenn er ſeinen arbeitſamen Fleiß nicht bald mit der Jronie, bald mit einer andern Figur belebet und aufge- muntert haͤtte: dennoch ſey ſeine Geduld mit dieſen hundert Verſen voͤllig zu Ende gegangen, und er zweifle, ob er ſobald wieder eine gnug- ſame Doſe neuer Geduld werde ſammeln koͤn- nen,

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749, S. [77]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung09_1743/77>, abgerufen am 29.03.2024.