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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Walpurgisnacht.

Die Eulen rufen im schwarzen Kiefernforst. Sie locken
sich, folgen sich, antworten, -- eine schaurig-lustige Zwiesprache.
Jetzt ganz fern wie ein einzelner harter Metallklang. Jäh
dann dicht über uns als grelles gespenstisches Meckern. Das
schläft nicht und hat den ganzen Wald zu dieser Stunde vor
Morgengrauen für sich allein.

Halt, hier jetzt nicht weiter. Zwischen den kohlraben¬
schwarzen Säulen spannt es sich wie ein senkrechtes weißgrün¬
liches Tuch herab. Wie dürre Spinnenarme dringt es da¬
gegen vor. Halte dich fest an solchem Spinnenarm, setz dich
rittlings darauf. Es sind Kiefernwurzeln, die wie Polypen
frei über den Sandsturz hängen. Das Ufer geht hier hohl
und steil hinab. In dieser Nebelmasse, die greifbar wie eine
bleiche Wand unmittelbar gegen dich steht, steckt der See. Es
ist etwas Mondlicht in dem Nebel, von ferner Silberscheibe
irgendwo hinter dir über dem Walde. Du riechst den herben
Nebelhauch wie Geruch eines dampfenden Ungetüms, das auf
moorigem Schilfufer liegt und prustet; der ganze Sumpfgrund,
in den es sich eingesielt hat, raucht mit herauf.

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Walpurgisnacht.

Die Eulen rufen im ſchwarzen Kiefernforſt. Sie locken
ſich, folgen ſich, antworten, — eine ſchaurig-luſtige Zwieſprache.
Jetzt ganz fern wie ein einzelner harter Metallklang. Jäh
dann dicht über uns als grelles geſpenſtiſches Meckern. Das
ſchläft nicht und hat den ganzen Wald zu dieſer Stunde vor
Morgengrauen für ſich allein.

Halt, hier jetzt nicht weiter. Zwiſchen den kohlraben¬
ſchwarzen Säulen ſpannt es ſich wie ein ſenkrechtes weißgrün¬
liches Tuch herab. Wie dürre Spinnenarme dringt es da¬
gegen vor. Halte dich feſt an ſolchem Spinnenarm, ſetz dich
rittlings darauf. Es ſind Kiefernwurzeln, die wie Polypen
frei über den Sandſturz hängen. Das Ufer geht hier hohl
und ſteil hinab. In dieſer Nebelmaſſe, die greifbar wie eine
bleiche Wand unmittelbar gegen dich ſteht, ſteckt der See. Es
iſt etwas Mondlicht in dem Nebel, von ferner Silberſcheibe
irgendwo hinter dir über dem Walde. Du riechſt den herben
Nebelhauch wie Geruch eines dampfenden Ungetüms, das auf
moorigem Schilfufer liegt und pruſtet; der ganze Sumpfgrund,
in den es ſich eingeſielt hat, raucht mit herauf.

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[1/0017] [Abbildung] Walpurgisnacht. Die Eulen rufen im ſchwarzen Kiefernforſt. Sie locken ſich, folgen ſich, antworten, — eine ſchaurig-luſtige Zwieſprache. Jetzt ganz fern wie ein einzelner harter Metallklang. Jäh dann dicht über uns als grelles geſpenſtiſches Meckern. Das ſchläft nicht und hat den ganzen Wald zu dieſer Stunde vor Morgengrauen für ſich allein. Halt, hier jetzt nicht weiter. Zwiſchen den kohlraben¬ ſchwarzen Säulen ſpannt es ſich wie ein ſenkrechtes weißgrün¬ liches Tuch herab. Wie dürre Spinnenarme dringt es da¬ gegen vor. Halte dich feſt an ſolchem Spinnenarm, ſetz dich rittlings darauf. Es ſind Kiefernwurzeln, die wie Polypen frei über den Sandſturz hängen. Das Ufer geht hier hohl und ſteil hinab. In dieſer Nebelmaſſe, die greifbar wie eine bleiche Wand unmittelbar gegen dich ſteht, ſteckt der See. Es iſt etwas Mondlicht in dem Nebel, von ferner Silberſcheibe irgendwo hinter dir über dem Walde. Du riechſt den herben Nebelhauch wie Geruch eines dampfenden Ungetüms, das auf moorigem Schilfufer liegt und pruſtet; der ganze Sumpfgrund, in den es ſich eingeſielt hat, raucht mit herauf. 1

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/17>, abgerufen am 29.03.2024.