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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

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Heute gehe ich zum erstenmale wieder aus, nach¬
dem ich, wegen meiner Zahnschmerzen, drei Tage
das Zimmer nicht verlassen. Ich habe dabei gewon¬
nen, daß ich drei Tage lang den stinkenden Nebel
auf der Straße nicht zu trinken, und so lange die
stinkenden deutschen Zeitungen nicht zu lesen brauchte.
Der Geschmack der Letzten, die ich vor einigen Ta¬
gen las, liegt mir heute noch auf der Zunge. Nein
es ist nicht zu ertragen. Die Deutschen müssen Ner¬
ven haben wie von Eisendrath, eine Haut von Sohl¬
leder und ein gepöckeltes Herz. Diese Unverschämt¬
heit der Fürstenknechte, dieses freche Ausstreichen eines
ganzen Jahrhunderts, dieser weintolle Uebermuth,
dieses Einwerfen aller Fensterscheiben, weil das Licht
dadurch fällt, als wenn sie mit dem Glase auch die
Sonne zerstörten -- es übersteigt meine Erwartung.
Aber das steigert auch meine Hoffnung. Man muß
mit den dummen Aristokraten Mitleiden haben, man
muß ihnen nicht eher sagen, daß das Cassations-Ge¬
richt dort oben ihre Appellation verworfen hat, bis
an dem Tage wo sie hingerichtet werden. Das deut¬


Heute gehe ich zum erſtenmale wieder aus, nach¬
dem ich, wegen meiner Zahnſchmerzen, drei Tage
das Zimmer nicht verlaſſen. Ich habe dabei gewon¬
nen, daß ich drei Tage lang den ſtinkenden Nebel
auf der Straße nicht zu trinken, und ſo lange die
ſtinkenden deutſchen Zeitungen nicht zu leſen brauchte.
Der Geſchmack der Letzten, die ich vor einigen Ta¬
gen las, liegt mir heute noch auf der Zunge. Nein
es iſt nicht zu ertragen. Die Deutſchen müſſen Ner¬
ven haben wie von Eiſendrath, eine Haut von Sohl¬
leder und ein gepöckeltes Herz. Dieſe Unverſchämt¬
heit der Fürſtenknechte, dieſes freche Ausſtreichen eines
ganzen Jahrhunderts, dieſer weintolle Uebermuth,
dieſes Einwerfen aller Fenſterſcheiben, weil das Licht
dadurch fällt, als wenn ſie mit dem Glaſe auch die
Sonne zerſtörten — es überſteigt meine Erwartung.
Aber das ſteigert auch meine Hoffnung. Man muß
mit den dummen Ariſtokraten Mitleiden haben, man
muß ihnen nicht eher ſagen, daß das Caſſations-Ge¬
richt dort oben ihre Appellation verworfen hat, bis
an dem Tage wo ſie hingerichtet werden. Das deut¬

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[91/0103] Freitag, den 14. Dezember. Heute gehe ich zum erſtenmale wieder aus, nach¬ dem ich, wegen meiner Zahnſchmerzen, drei Tage das Zimmer nicht verlaſſen. Ich habe dabei gewon¬ nen, daß ich drei Tage lang den ſtinkenden Nebel auf der Straße nicht zu trinken, und ſo lange die ſtinkenden deutſchen Zeitungen nicht zu leſen brauchte. Der Geſchmack der Letzten, die ich vor einigen Ta¬ gen las, liegt mir heute noch auf der Zunge. Nein es iſt nicht zu ertragen. Die Deutſchen müſſen Ner¬ ven haben wie von Eiſendrath, eine Haut von Sohl¬ leder und ein gepöckeltes Herz. Dieſe Unverſchämt¬ heit der Fürſtenknechte, dieſes freche Ausſtreichen eines ganzen Jahrhunderts, dieſer weintolle Uebermuth, dieſes Einwerfen aller Fenſterſcheiben, weil das Licht dadurch fällt, als wenn ſie mit dem Glaſe auch die Sonne zerſtörten — es überſteigt meine Erwartung. Aber das ſteigert auch meine Hoffnung. Man muß mit den dummen Ariſtokraten Mitleiden haben, man muß ihnen nicht eher ſagen, daß das Caſſations-Ge¬ richt dort oben ihre Appellation verworfen hat, bis an dem Tage wo ſie hingerichtet werden. Das deut¬

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/103>, abgerufen am 28.03.2024.