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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

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Als ich gestern Abend nach Hause kam fand ich
eine schwarze Visitenkarte vor, mit dem Namen weiß
darauf. Es war ein Schauer wie sie da lag auf
dem schwarzen Marmortische im röthlichen Scheine
der Lampe; es war wie der Besuch eines Geistes.
Es war der Name eines Polen. Ich habe solche
schwarze Karte hier nie gesehen. Sollten sie viel¬
leicht die Polen als ein Zeichen der Trauer ange¬
nommen haben? Ich werde es erfahren. Da haben
Sie sie, ich schicke sie Ihnen, bewahren Sie sie gut.
Und haben Sie je eine Thräne für einen König ver¬
gossen, und sollte das Glück es wollen, daß Sie noch
ferner eine weinten; dann sehen Sie diese Karte an,
daß Ihr Herz zur Wüste werde und der Sand alle
Brunnen der Empfindung verschütte. Denn wahrlich
es ist edler die ganze Menschheit hassen, als nur eine
einzige Thräne für einen König weinen.

Ein sterbendes Volk zu sehen, das ist zu schreck¬
lich; Gott hat dem Menschen keine Nerven gegeben
solches Mitleid zu ertragen. Jahre, ein Jahrhundert
lang in den Zuckungen des Todes liegen und doch
nicht sterben! Glied nach Glied unter dem Beile
des Henkers verlieren und all das Blut, alle die
Nerven der verstorbenen Glieder erben, und dem ar¬


Als ich geſtern Abend nach Hauſe kam fand ich
eine ſchwarze Viſitenkarte vor, mit dem Namen weiß
darauf. Es war ein Schauer wie ſie da lag auf
dem ſchwarzen Marmortiſche im röthlichen Scheine
der Lampe; es war wie der Beſuch eines Geiſtes.
Es war der Name eines Polen. Ich habe ſolche
ſchwarze Karte hier nie geſehen. Sollten ſie viel¬
leicht die Polen als ein Zeichen der Trauer ange¬
nommen haben? Ich werde es erfahren. Da haben
Sie ſie, ich ſchicke ſie Ihnen, bewahren Sie ſie gut.
Und haben Sie je eine Thräne für einen König ver¬
goſſen, und ſollte das Glück es wollen, daß Sie noch
ferner eine weinten; dann ſehen Sie dieſe Karte an,
daß Ihr Herz zur Wüſte werde und der Sand alle
Brunnen der Empfindung verſchütte. Denn wahrlich
es iſt edler die ganze Menſchheit haſſen, als nur eine
einzige Thräne für einen König weinen.

Ein ſterbendes Volk zu ſehen, das iſt zu ſchreck¬
lich; Gott hat dem Menſchen keine Nerven gegeben
ſolches Mitleid zu ertragen. Jahre, ein Jahrhundert
lang in den Zuckungen des Todes liegen und doch
nicht ſterben! Glied nach Glied unter dem Beile
des Henkers verlieren und all das Blut, alle die
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[117/0129] Dienſtag, den 18. Dezember. Als ich geſtern Abend nach Hauſe kam fand ich eine ſchwarze Viſitenkarte vor, mit dem Namen weiß darauf. Es war ein Schauer wie ſie da lag auf dem ſchwarzen Marmortiſche im röthlichen Scheine der Lampe; es war wie der Beſuch eines Geiſtes. Es war der Name eines Polen. Ich habe ſolche ſchwarze Karte hier nie geſehen. Sollten ſie viel¬ leicht die Polen als ein Zeichen der Trauer ange¬ nommen haben? Ich werde es erfahren. Da haben Sie ſie, ich ſchicke ſie Ihnen, bewahren Sie ſie gut. Und haben Sie je eine Thräne für einen König ver¬ goſſen, und ſollte das Glück es wollen, daß Sie noch ferner eine weinten; dann ſehen Sie dieſe Karte an, daß Ihr Herz zur Wüſte werde und der Sand alle Brunnen der Empfindung verſchütte. Denn wahrlich es iſt edler die ganze Menſchheit haſſen, als nur eine einzige Thräne für einen König weinen. Ein ſterbendes Volk zu ſehen, das iſt zu ſchreck¬ lich; Gott hat dem Menſchen keine Nerven gegeben ſolches Mitleid zu ertragen. Jahre, ein Jahrhundert lang in den Zuckungen des Todes liegen und doch nicht ſterben! Glied nach Glied unter dem Beile des Henkers verlieren und all das Blut, alle die Nerven der verſtorbenen Glieder erben, und dem ar¬

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/129>, abgerufen am 19.04.2024.