Von der politischen Arbeit
der proletarischen Frauen.
Sozialdemokratischer Frauentag. Eine Massenaktion für das
Frauenstimmrecht! Welch ein Gegensatz zu der Zeit, als ich
in die Bewegung eintrat. Ein kleines Häuflein von Genossinnen
bemühte sich eifrig, eine Bewegung der Proletarierinnen in Fluß
zu bringen. Die Beteiligung der Frauen am politischen Leben
war gering. Wohl hatte der Kapitalismus das Wirtschafts-
leben revolutioniert, Millionen Frauen vom häuslichen Herd in
die Erwerbsarbeit getrieben, aber ihr Denken und Fühlen stand
noch unter dem Einfluß der Tradition. Erschwert wurde die
Agitation unter den Frauen noch durch den fortwährenden
Kampf gegen Polizeiwillkür und Justiz. Jnsbesondere waren
es die vielen reaktionären Vereinsgesetze, die hindernd wirkten.
Als endlich die Frauen sich zu sammeln begannen, erdrosselte
das Sozialistengesetz jedes politische Leben, zerstörte und hinderte
es jede Organisation der proletarischen Frauen. Nach seinem
endlichen Falle nahm die proletarische Frauenbewegung einen
kräftigen Aufschwung. Die unter dem Sozialistengesetz aus-
gestreute Saat schoß in die Halme. Frauenbildungsvereine
wuchsen wie Pilze aus der Erde. Die Mitglieder dieser un-
politischen Organisationen trugen die Forderung der politischen
Gleichberechtigung des Weibes. Jn den Bundesstaaten, in
denen das Vereinsgesetz es zuließ, wurden die Frauen Mit-
glieder der politischen Organisationen.
Mit dem Falle des Sozialistengesetzes war jedoch die Reaktion
nicht überwunden. Viele Frauenbildungsvereine verfielen wegen
angeblich politischer Betätigung der Auflösung. Es hagelte An-
klagen. Die Agitationskommissionen – auch wenn sie nur aus
drei Personen bestanden – wurden als politische Vereine er-
klärt, ihre Mitglieder wurden angeklagt und verurteilt. Da
fanden die Genossinnen den Ausweg, einzelne Vertrauens-
personen mit der politischen Agitation zu betrauen. Das System
hat sich als vortrefflich bewährt. Weibliche Beitragszahler scharten
sich in immer größerer Zahl um die Vertrauenspersonen, und
damit wuchs auch die Zahl der nach Bürgerrechten rufenden
Frauen.
Die sozialdemokratische Partei hat stets die Gleichberechti-
gung des Weibes anerkannt, auch in ihren Einrichtungen kommt
dies zum Ausdruck. Die Arbeit in der Partei, die Wahlen zu
den Parteitagen und Konferenzen, die Betätigung auf diesen
Tagungen und bei allen sozialdemokratischen Veranstaltungen
wurden als Schule für die öffentliche Betätigung der Frau ge-
würdigt. Bei jeder Wahl beteiligten sich die Genossinnen mit
gesteigertem Eifer an der Parteiarbeit. Jn zahllosen sozialdemo-
kratischen Versammlungen ist von je das Frauenwahlrecht ge-
fordert worden.
Als die Erwerbegerichte und später die Kaufmannsgerichte
geschaffen wurden, kämpften die Genossinnen um Wahlrecht
und Wählbarkeit zu diesen Körperschaften. Einen Beweis poli-
tischer Reife erbrachten die Genossinnen in Preußen dadurch,
daß sie 1903 für die Dauer der Wahlperiode politische Wahl-
vereine gründeten. Prächtige Erfolge wurden erzielt. Kurz vor
dem Jnkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes riefen die Berliner
Genossen einen Wahlverein für die Agitation zu den Landtags-
wahlen 1908 ins Leben. Jhm traten alsbald 5000 weibliche Mit-
glieder bei; den Frauen selbst war vom Polizeipräsidenten die
Gründung eines eigenen Vereins verboten worden. Die Be-
teiligung der Genossinnen an den Straßendemonstrationen wie
anderen Aktionen des Wahlrechts- und Wahlkampfes und aller
damit verbundener Arbeiten war eine höchst eifrige und stets
steigende. Der Sieg krönte die Mühe.
Nach dem Jnkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes war es
den Genossinnen endlich möglich, den politischen Organisationen
der Genossen sich einzugliedern. Jm Jahre 1909 musterten wir
in Deutschland 62000 weibliche Mitglieder der Sozialdemo-
kratie, und jetzt ist die Zahl von 100000 sicher überstiegen.
Der Frauentag wird eine gewaltige Demonstration sein, die
uns neue Scharen von Anhängerinnen zuführt, zugleich aber
auch ein Zähltag der weiblichen Wahlrechtskämpfer.
Ottilie Baader.