Einiges über Frauenstimmrecht.
Die Frauenbewegung beginnt in der That
diese ihre Bezeichnung zu verdienen. Ueberall
regt es sich ; und zwar nicht mehr in der auf-
geregten, die von der sittlichen Weltordnung
festgesetzten Grenzen überspringenden Weise,
wie wir sie aus der ersten Emanzipationszeit
kennen und gegen deren letzte extravagierende
Ueberreste Ethiker, wie Otto von Seixner Berliner Tägliche Rundschau.
noch anzukämpfen glauben müssen, – sondern
im Geiste eines ernsten, selbstvergessenden und
zielbewussten Strebens. Wenn sich die deutschen
Frauen bei der Erringung der ihnen nothwen-
digen Existenzbedingungen zur Socialdemokratie
neigen, so ist das beklagenswerth, aber nicht
ganz unbegreiflich. Es ist die Partei, welche
die Sache der Unterdrückten zu der ihren macht.
dort finden sie Verständnis für ihre Bedürfnisse,
ߝ dort erwarten sie Hülfe. Je mehr sich aber
in ihnen die Kraft eines edlen Selbstgefühles
entwickelt, um so weniger werden sie sich
auf Parteien stützen.
Welch´ mächtigen Fortschritt hat nicht die
Erziehungsfrage gemacht. Gymnasium- und
Universitätsstudium werden bald keine Aus-
nahmen mehr sein. Es ist zwar nicht wahr-
scheinlich, dass dieselben den Beweis liefern
werden einer vollkommenen Gleichheit der
geistigen Anlagen von Frauen und Männern,
wie John Stuart Mill sie feststellt, noch auch
einer in Inferiorität der Frau, wie Sombroso und
Konsorten sie behaupten. Sie werden aber zeigen,
dass ein weit grösserer Theil der Mädchen, als
man bisher glaubte, das Bedürfnis und die
Fähigkeit für wissenschaftliches Studium und
höhere Berufe besitzen, und es steht zu erwarten,
dass ihre Zahl steigen wird, denn dass mit der
Möglichkeit des Erlangens ein Bedürfnis wächst,
ist eine alte Regel. Getäuschte Erwartungen
werden freilich auch nicht ausbleiben; schweres
Studium wird bei Vielen zu nichts führen. Das
müssen die Mädchen riskieren, wie die Knaben.
Eine jede prüfe sich selbst, hat sie sich aber
in ihrer Fähigkeit getäuscht, ist sie dem Kampf
mit den Schwierigkeiten einer zu erringenden
Lebensstellung nicht gewachsen, so hat sie doch
in freier Wahl geirrt, in freier Ausübung eines
menschenwürdigen Rechtes die Niederlage er-
litten. Durch Einschränkung vor solchen Irr-
thümern bewahrt zu werden ist den Frauen
weder Hilfe noch Schutz.
(Fortsetzung folgt.)
Einiges über Frauenstimmrecht.
Von Carola Blacker
(Fortsetzung.)
Auf dem Felde der Erwerbebefähigung und
Thätigkeit haben sie sich in Deutschland manchen
Zoll schon errungen. Wo soll es aber hinaus?
hört man fragen im Sinne Eduard von Hart-
mann’s; der Kampf um’s Dasein ist schon arg
genug unter den Männern, nun soll er noch
hoffnungsloser werden durch den Mitbewerb
der Frauen? Ich glaube aber: Jedem gebürt
das Recht zu kämpfen! Unterliegen einige Männer
mehr, so gewinnt durch die größere Concurrenz
die Qualität der Leistungen; unterliegen manche
Frauen, so sind sie nicht schlechter daran, als
wenn sie ohne Versuch zur Selbsthilfe trotz
schützender Gesetze verhungern. Hartmann’s
Vorschlag eines Gnadengehaltes für alte Jungfern
hat in Hamburg seine Verwirklichung gefunden,
wenn auch durch die öffentliche Wohltätigkeit,
anstatt wie er meinte, durch den Staat.
Weil man sie nichts rechtes lernen ließ,
weil man sie zu keinem einträglichen Berufe
beiließ, und so viele von ihnen zwang, ihr Talent
zu begraben, statt damit zu wuchern, müssen
sie sich jetzt von Almosen erhalten lassen! Und
wie viele unglückliche Ehen, von den in der
Dunkelheit bestehenden Schrecken „die Gesell-
schaft‟ nicht erfährt, würden verhütet, wenn
zu dieser andern Art der „Versorgung‟ arme
Mädchen nicht getrieben wären? Sollen aus
ihnen vielleicht die guten Mütter hervorgehen,
die nach Otto vom Leixner der Gegenwart so
noth thun, und derentwegen er das Studium für
Mädchen nicht gut heißt?
Menschenrechte sind gar oft nur Männer-
rechte, hat Gottfried von Hippel schon im
vorigen Jahrhundert gesagt. Wie es mit diesen
Rechten für die Frauen bestellt ist, zeigt das
deutsche bürgerliche Gesetzbuch in seinen Be-
stimmungen über Ehe, Gütergemeinschaft, Vor-
mundschaft. Die Gründung eines Rechtschutz-
vereines (Dresden), um ihnen die Gesetze,
wenigstens so wie sie bestehen, zu Gute kommen
zu lassen, spricht auch hier für ihre beginnende
Selbsthilfe. Die Zeiten, wo wir zufrieden waren,
als Unmündige durch’s Leben zu gehen, sind
vorbei! Damit ein Mann sich zu voller Männ-
lichkeit entwickle, braucht er die Freiheit;
damit die Frau zur höchsten und umfassendsten
Weiblichkeit sich entwickle, braucht sie das
Gleiche.
Dazu müssen wir selber Mitgesetzgeber
werden.
Bei seiner bisherigen geschichtlichen Ent-
wicklung und der jetzigen Lage der Verhältnisse
ist es dafür in Deutschland noch zu früh; und
ein weites Vorgreifen, in welcher Art der Be-
strebung es auch sei, schadet nur dem sich in
der Gegenwart Entfaltenden.
Wenn ich Ihnen dennoch einige Worte über
Frauenstimmrecht hier sage, so geschieht es
mehr von einem allgemeinen als einem speciell
deutschen Geschichtspunkte aus.
Zu allen Zeiten haben in Culturländern
Frauen Einfluß auf die Politik gehabt. In
Griechenland, wo man die legitime Frau ins
Haus verwies, als bloßes Werkzeug zur Hervor-
bringung neuer Generationen, ersetzte man das
dem öffentlichen Leben so entzogene Element
durch hochgebildete geistreiche Courtisanen.
Zur Zeit der Renaissance waren es sogar
demüthige Heilige, wie Katharina von Siena,
und edle, in der Zurückgezogenheit lebende
Damen, wie Vittoria Colonna, welche in be-
geistertem Interesse am Wohle der Nationen ihre
Stimmen ertönen ließen, oder die Männer zu
vereinten Entschlüssen und Handlungen um sich
versammelten. Und ihre Worte sind nicht nutz-
los verhallt, weil sie nur Frauen waren! –
Unter den weiblichen Herrscherinnen der Ge-
schichte übersteigt die Zahl der vorzüglichen
bei weitem die der unwürdigen; und selbst Jene
deren Charaktereigenschaften ächter Weiblich-
keit entbehren, wie Katharina II. von Rußland,
Elisabeth von England, zeigen eine hohe Fähig-
keit für politischen Ueberblick und staats-
männische Leitung. Noch vor ein paar Jahr-
hunderten hatten Aebtissinnen, so gut als
Bischöfe einen Sitz im englischen Parlament;
und nur durch die Abnahme des kirchlichen
Lebens erlosch dieser Gebrauch, nicht aber
durch die Ansicht, als seien Frauen untauglich
dazu. Bedeutenden politischen Einfluß hat
man ihnen auch in unserer Zeit gewährt. Bis
vor kurzem begnügten sie sich mit dieser
„schleichenden anonymen Macht‟, durch welche
unvermeidlich unlautere Elemente der Intrigue
in das Staatsleben kommen mussten. Heute
verlangen sie freie und offene Einwirkung
unter dem Banner der Verantwortlichkeit. Das
Verlangen des Stimmrechtes ist deshalb ein
Kulturfortschritt.
Daß wir dazu nicht befähigt seien,
wird wohl Niemand mehr behaupten. Selbst
die Frau, die keinen Anspruch auf Bildung
macht, liest doch immerhin ein Tages- oder
Sonntagsblatt; sie kann sich auch nicht völlig
von jeder Besprechung der Ereignisse fernhalten,
besonders heutzutage, wo die politische Partei-
wühlerei in den meisten Kulturländern bis in
die niedern Volksschichten gedrungen ist. Jeden-
falls besitzen wir, – ich und die Arbeiterfrau, –
so viel Aufklärung über politische Dinge, als
der halbsimple Anstreicher, der eben mein Haus
bemalt und der für befähigt gilt, seinen Ver-
treter im Parlament zu wählen. Und wenn es
wahr ist, daß die Frauen mehr von Gefühls-
als von Verstandsgründen sich leiten lassen, wovon
ich in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens
eher das Gegentheil beobachte, so wäre das
nur eine nützliche und sogar nothwendige Er-
gänzung. Denn der Mensch soll Verstand und
Gemüth, Kopf und Herz bei Allem vereint
zu Rathe ziehen. Jedenfalls aber besteht eine
Nation aus Männern und aus Frauen. Ungezählt
viele Frauen sind erfüllt von einem begeisterten
und gewissenhaften Empfinden für ihr Vater-
land, welches ihnen leicht machte, auch neben
den Pflichten der Familie seine großen Interessen
im Herzen zu hegen. Solche aber, die dessen
ermangeln, würden durch die höhere Verant-
wortlichkeit selbst gehoben. Der erweiterte
Lebensblick könnte nur veredelnd auf die Ge-
fährtin des Mannes wirken; und die Frau, die
sich heimisch fühlte in seinen geistigen Interessen-
kreis, würde auch besser verstehen, ihre Knaben
an Männern zu erziehen. Denn mit der Möglich-
keit einer Bethätigung kommt auch das Interesse
an einem Ideal und die daraus erwachsende
nothwendige Befähigung. John Stuart Mill
meint sogar, ein ganz ausgeprägtes Talent
zur Politik liege in jeder Frau.
Eine politische Richtung in Deutschland
betrachtet das allgemeine Stimmrecht als ein
Unglück, weil es die Macht in die Hand des
Proletariates giebt; in ihr findet man die eif-
rigsten Gegner einer Ausdehnung desselben auf
die Frauen.
(Fortsetzung folgt.)
Einiges über Frauenstimmrecht.
Von Carola Blacker
(Fortsetzung.)
Mir scheint aber gerade, dass die über-
wiegende Zahl gebildeter Frauen – denn ich
nehme an, dass nur die selbständig Situierten
das Stimmrecht bekämen – ein heilsames
Gegengewicht hervorbringen würde. Wäre dem
aber auch nicht so, so kann ein misslicher Zu-
stand doch niemals durch eine Ungerechtigkeit
verbessert werden. Und eine solche ist unsere
Ausschließung.
In mittelbarer Weise ihre Bedürfnisse bei
der Regierung zu vertreten hat die Frau, so
gut wie der Mann, das Recht. Sie erfüllt alle
Bedingungen und Pflichten des Bürgers, sie
arbeitet an der Erhaltung sowie der sittlichen
und materiellen Wohlfahrt der Familie; sie
gebärt und erzieht dem Staat seine zukünftigen
Bürger. Für die ihr mangelnde Kriegsdienst-
befähigung könnte dies letztere als Ersatz gelten.
Es ist eine sclavische Stellung, sich unter Gesetze
zu beugen, zu deren Herstellung sie keine
Stimme abgeben darf; es folgt daraus ganz
logisch die Überherrschaft des Mannes, wie sie
in ihrer Roheit uns täglich in jedem Polizei-
berichte vor Augen tritt. Es gibt spezielle
Fraueninteressen so wichtiger Art, dass es un-
begreiflich scheint, wie man sie dem zufälligen
Wohlwollen, oder dem noch zufälligeren Ver-
ständnis eines männlichen Abgeordneten über-
lassen mag. Würde die doppelte Moral vor
dem Gesetz und dadurch im öffentlichen und
Privatleben heute noch bestehen, wenn die
Frauen in solchen Lebensfragen der Nation eine
Stimme hätten? Jeder Mensch im Staate soll
frei sein ohne Rücksicht auf Geschlecht. Eine
Classe aber, die jedes gesetzlichen Mittels zur
Einflussnahme auf ihre eigene Rechtstellung be-
raubt ist, ist nicht frei, sagt Charles Secrétan
in seinem „Recht der Frau‟ ; und er geht weiter
und zieht die Schlussfolgerung, die für jeden,
der die Dinge ohne die alte conventionelle
Färbung betrachtet, eine unbestrittene Thatsache
ist: „Die männlichen Gesetzgeber haben das
Schicksal der Frau in einem Sinne geregelt, der
dem Interesse des männlichen Geschlechtes ver-
meintlich am besten entsprach‟.
Ob aus dem Stimmrecht der Frauen auch
ihre Wahlbefähigung hervorgehen würde –
das kann man einer folgenden Entwicklungs-
periode überlassen. Wenn es als schrecken-
erregend erscheint, wenn auch Frauen im Par-
lamente säßen und vielleicht mit beruhigend
eingehendem Verständnis über eine sociale An-
gelegenheit sprächen, der tröste sich damit, dass
sich solche Dinge nicht ganz von selbst voll-
ziehen. Es würde ein Damenansturm auf Par-
lamentssitze gemacht werden; die Ernennung
eines weiblichen Abgeordneten wäre dem langen
und umständlichen Wahlhergange unterworfen,
gerade so, wie die eines männlichen. – Die
Frauen würden aber immer für eine Frau
stimmen! Nun ja (ich glaube es jedoch nicht)
– dann können ja alle Männer für einen Mann
stimmen!
Die Mehrzahl der deutschen Frauen der
gebildeten Stände finden solche Bestrebungen
überflüssig. In ihrem geschützten Familienleben
sind sie zufrieden und verlangen keine Rechte.
– Gut, das steht jedem frei. Man ist aber
nicht mit seinen nächsten Angehörigen allein auf
der Welt, und an die Wohlfahrt der vielen Un-
bekannten zu denken, das ist Pflicht. Kennt
Ihr, glückliche Frauen, die fürchterlichen Ehen
des niedern Volkes der Millionenstädte, in
welchen die Frau ganz schutzlos preisgegeben
ist? Kennt Ihr die rechtlose Stellung der
Mütter den Männern gegenüber? Habt Ihr Euch
von den Arbeiterinnen erzählen lassen, wie eine
unverstandene Gesetzgebung durch falsch ver-
standenes Wohlwollen ihren Verdienst schmälert
und unter dem angeblichen Schutz sie auf die
Seite geschoben und die Männer dadurch von
einer lästigen Concurrenz befreit werden? –
Wisst ihr von dem psychischen und sittlichen
Elend, das sich wegen ungenügender Inspection
(weil nur von Männern ausgeübt) in den
Fabriken abspielt? Habt Ihr eine Idee des
grenzenlosen Jammers der Prostitution, wo das
Gefühl des Abscheus weit zurückbleibt hinter
dem des Mitleids für die unglücklichen Opfer,
denen jeder Rückweg abgeschnitten ist? –
Wer aber einmal die Erkenntnis gewonnen
hat, dass alles dies besteht und nach Abhilfe
ruft, der kann sich der innern Nothwendigkeit
nicht verschließen, dass er selbst mit seiner
ganzen Kraft dafür eintreten muss. Die Männer
haben es zu diesen Zuständen kommen lassen:
uns liegt es ob, sie zu ändern. Ein wirksames
Interesse an der Frauenbewegung ist deshalb
der Frauen Pflicht. Es zeigt sich nicht in Wort-
gefechten, seien sie mündlicher oder schrift-
stellerischer Art; sondern zu allererst in der
„Pflege des Grundsatzes von Wahrheit und Ge-
rechtigkeit‟ im eigenen Gemüth; im eingehenden
Kennenlernen der Verhältnisse und des Lebens
unserer armen und ärmsten Schwestern, im liebe-
vollen Verständnis derselben und der Hilfe-
bereitwilligkeit für alle, welche das Opfer der
Unfreiheit und Ungerechtigkeit sind. Ohne sie
zu suchen, kommen dann die Gelegenheiten zu
Wort und That, und das Pflichtgefühl gibt dazu
den Muth.
Man darf sagen, das ethische Wohl eines
Volkes hängt von seinen Frauen ab; zu allen
Zeiten hat man uns auch die Stellung der
Pflegerinnen der Sitte gewährt. Wir sind es
innerhalb der Familie, der Schule, der Gesell-
schaft; aber warum dann nicht in weiteren
Bezirken des nationalen Lebens? Haben da
plötzlich die Männer alle Sitte für sich allein?
Hätten die Frauen einen Einfluss bei der Gesetz-
gebung, die sittlichen und socialen Übel, die
ich soeben streifte, beständen nicht. Auch
politische edle Bestrebungen in den Beziehungen
der Völker, wie z.B. jene für Frieden, wären
ernster und energischer; denn Frauen sind nicht
leicht entmutigt und halten zäh an ihren Idealen.
Sie würden auch hier, mit ihren höheren Zielen
wachsend, zu einer ethisierenden Macht.
(Fortsetzung folgt)
Einiges über Frauenstimmrecht.
Von Carola Blacker
(Schluss.)
In England arbeiten wir für das Stimmrecht,
seit John Stuart Mill im Jahre 1867 sein Amende-
ment der Reform Bill einreichte und mit seiner
Autorität des bedeutenden Denkers die Frauen-
frage ernstlich vor das Publicum brachte. Es
bildete sich damals der Verein für Women’s
Suffrage, der seitdem unermüdlich dafür wirkt:
durch festes Zusammenhalten der sich beständig
mehrenden Mitglieder, sowie die gewissenhaften
Bemühungen der Einzelnen; durch Aufklärung
und Beeinflussung der öffentlichen Meinung in
Druckschriften, Vorträgen, privaten und öffent-
lichen Versammlungen; durch Beeinflussung von
Parlamentsgliedern; durch Petitionen an die Re-
gierung. Rastlose aber zielsichere Thätigkeit,
verbunden mit immer gleicher Mäßigkeit und
einer unanfechtbaren Kenntnis der Verhältnisse
bezeichnen ihn und seine Leiterinnen, Miss
Blackburn und die auch in weiteren Kreisen
bekannte geistvolle Miss Fawcett. Heute kann
man sagen, dass tausende und hunderttausende
der besten und intellectuell hochstehendsten
Frauen Englands das Stimmrecht wünschen.
Die Zahl der Gleichgültigen hält sich noch in
den Kreisen, wo der alte Zopf nicht ausge-
storben ist, oder in denen der Fashion, wo egoi-
stische Genussucht das Lebensziel ist; in diesen
letzteren recrutiert sich auch noch die Zahl der
„Emancipierten‟ im schlimmen Sinne. – Keine
parlamentarischen Intriguen gegen das Lesen
der Bill, wie sie voriges Jahr Sir A. Rollet er-
fuhr, konnten die Frauen, noch ihre Freunde im
Unterhaus entmuthigen. Jahr für Jahr mehren
sich dort die Anhänger des Frauenstimmrechts
und stetig geht die tapfere Minorität der end-
lichen Majorität entgegen.
Als Basis des politischen Stimmrechtes der
Frauen schlägt man das schon seit Jahren von
ihnen ausgeübte Stimmrecht für die Localad-
ministration vor. Wer die bestimmte Summe
von Abgaben zahlt, welche zur Abstimmung
bei Localwahlen berechtigt, soll das gleiche Recht
bei den Parlamentswahlen haben. Dies ist mit
Weglassung einzelner Detailbestimmungen die
einfache Forderung. – Über den günstigen
Einfluss der Frauen bei diesen Wahlen nicht
nur, sondern über ihr segensreiches Wirken als
„Gewählte‟ in Ausübung wichtiger Ämter bei
der Armenpflege, Fabriksinspection und Sanitäts-
verwaltung ist hier nicht der Ort zu sprechen.
Es genügt zu bemerken, dass ihre eingehende
Kenntnis der Lebensbedingungen des Volkes,
verbunden mit den speciell weiblichen Charakter-
eigenschaften der Beobachtung, Geduld und
Menschenliebe, sie so sehr dazu befähigen, dass
im Parlament der Antrag gestellt wurde, sie
auch als Districtsfriedensrichter zu erwählen.
Die Erlangung des Stimmrechtes der Frauen
Neuseelands hat auch hier seine Wirkung nicht
verfehlt. Sie ist um so bedeutender als von
den etwa 5000 stimmberechtigten Frauen der
Provinz Auckland 4500, also nahezu alle, ihr
neuerlangtes Recht benutzten; und zwar, so viel
zu ermitteln war, in der Richtung der conser-
vativen Ordnung, der Religion, der Sittlichkeits-
und Mäßigkeits-Idee.
Als Zusammenfassung meiner Bemerkungen
möchte ich einen Satz des berühmten Natur-
forschers Russel Wallace, in der Wissenschaft
ein Bruder Darwin’s, hier anführenDaily Chronical 4. December 1899.:
„Wenn Männer und Frauen die Freiheit
haben, ihren besten Impulsen zu folgen, wenn
beide die bestmöglichste Erziehung erhalten,
wenn keine falschen Beschränkungen einem
menschlichen Wesen wegen des Zufalls des Ge-
schlechtes auferlegt werden, und wenn die öffent-
liche Meinung von den Weisesten und den Besten
reguliert und der Jugend systematisch einge-
schärft werden wird, dann werden wir finden,
dass ein System der menschlichen Auswahl sich
geltend machen wird, welche eine reformierte
Menschheit zur Folge haben muss. Solange
Frauen gezwungen sind die Heirat als ein
Mittel anzusehen, vermöge dessen sie der Ar-
mut entgehen und der Verlassenheit sich ent-
ziehen können, sind und bleiben sie im Vergleich
mit den Männern im Nachtheil. Der erste
Schritt daher in der Emancipation der Frauen
ist die Hinwegräumung aller Beschränkungen,
welche sie verhindern, mit den Männern auf
allen Gebieten der Beschäftigungen zu concurrieren.
Aber wir müssen weiter gehen und den Frauen
die Ausübung ihrer politischen Rechte ge-
statten. Viele der Beschränkungen,
unter denen die Frauen bisher gelitten,
wären ihnen erspart worden, hätten
sie eine directe Vertretung im Parla-
ment gehabt‟.
Aber nicht nur der Mann der modernen
Wissenschaft, sondern auch der alte Riese Bis-
marck will für die Frauen eine bestimmende Stel-
lung in der Politik; und uns allen, die wir die
große Frage am Herzen haben, muss seine An-
rede an die Frauendeputation, bei Gelegenheit
seines 70. Geburtstages, mit Freude erfüllen.
Er nennt die Kundgebung der Damen eine
„große politische Genugthuung‟ für sich, denn
„in ihrer Begrüßung liegt ein volles und freies
Anerkenntnis für das deutsche Reich … Hat
der Reichsgedanke einmal die Anerkennung der
deutschen Weiblichkeit gewonnen, dann ist er
unzerstörbar und wird da bleiben … Mein
Vertrauen in die Zukunft beruht auf der
Stellung, welche die deutsche Frau genommen
hat …‟
„Ob zum Glück der Frau?‟ fragt Carola
Bruch-Sinn am Ende ihres Aufsatzes „Die Frauen-
emancipation als Weltgesetz‟,Kewroit, Heft Nr. 2. und meint, die
Antwort bleibe vorläufig eine Hypothese.
Ich möchte die Frage mit einem offenen,
entschiedenen Ja beantworten. Freiheit und
Gleichberechtigung auferlegen den Frauen höhere
Verantwortungen, weitere und größere Pflichten,
schwere Lebensarbeiten, wodurch manche Ein-
zelnen vielleicht das selbstische Glück der ver-
hältnismäßigen Sorgenlosigkeit einer engum-
grenzten Existenz entbehren würden. Dafür
aber würden sie das Bewusstsein voller Menschen-
würde in sich tragen; ihre uneingeschränkten
Menschenrechte würden sie bethätigen in den
höchsten Angelegenheiten ihrer Nation, in dem
edelsten Streben für ihre Mitmenschen, in der
Hebung ihrer geistig und materiell gedrückten
Schwestern; – sie würden, mit einem Wort,
das Recht und die Freiheit haben für jedes
ideale Gut, vom größten und allgemeinsten bis
zum kleinsten und individuellsten, ihre Stimme
zu erheben und zu wirken.
Und wäre das nicht zum Glück der Frau?