Virginia an Adele .
Philadelphia , im December 1814 .
S ey gegruͤßt , tauſend Mahl gegruͤßt aus der
neuen Welt , meine Adele ! Es iſt ein eigenes
Gefuͤhl mit den Einwohnern eines andern Welt-
theils zu reden , und es faͤllt mir auf Augen-
blicke ordentlich ſchwer aufs Herz , daß ich nun
bei keiner Lebensverrichtung mehr denken kann ,
jetzt thut vielleicht Adele daſſelbe . Wenn ich ,
von Gegenſtand zu Gegenſtand , betrachtend , irre ,
und dabei Deiner gedenke , ſo ſchlaͤfſt Du , und
mein Bild begegnet Dir nur in Deinen Traͤu-
men . Wenn mir die Sonne ſtrahlend aus dem
Meere aufgeht , und mich mit neuer Lebensluſt
durchſtroͤmt , rufe ich Dir ſanften Schlummer
zu , und wenn ſie ſinkt hinter die fernen blauen
Gebirge , bringe ich ihr meinen Morgengruß
*
fuͤr Dich. O , wie iſt Alles um uns her ſo ver-
ſchieden ! und doch denke ich , bleiben wir einig
und unveraͤnderlich . Goͤttliche Abkunft der Gei-
ſter ! ſie ſind unabhaͤngig von Raum und Zeit .
Der Anblick meines neuen Vaterlandes iſt
mir gar fremd und wunderſam geweſen . Die
Kuͤſten Europa’s ſind meiſt unbewachſen , und bie-
ten faſt uͤberall einen offenen Landſtrich dar ; hier
ziehen ſich die dunkeln Urwaͤlder noch haͤufig
bis an das Meer hin , die Kuͤſten ſind bewach-
ſen , buſchig , der Eindruck romantiſch , aber ernſt .
Die Ufer des Delaware ſind mit Staͤdten und
Anſiedelungen geſchmuͤckt , und uͤberall herrſcht
Fleiß und Thaͤtigkeit , doch vermißte ich jene
Lebendigkeit ſehr , welche mich an meiner hei-
miſchen Kuͤſte ergetzte .
Philadelphia iſt groß und ſchoͤn , und die
Regelmaͤßigkeit ſeiner Anlagen , ſpricht ſogleich
deutlich den Geiſt der Ordnung und Geſetzlichkeit
aus , welcher hier herrſcht . Elliſon hat mich in ſeine
Familie eingefuͤhrt , in welcher ich mit patriar-
chaliſchem Wohlwollen empfangen wurde . Da
ich meinen Aufenthalt wenigſtens auf laͤngere
Zeit hier zu nehmen gedenke , ſo will ich Dich
mit den Perſonen bekannt machen , mit wel-
chen ich lebe . Elliſon , der Vater , iſt ein klei-
ner hagerer Mann , mit klugen Augen , ein
thaͤtiger Kaufmann und meiſt nur auf dem
Comptoire einheimiſch . Jn Geſchaͤften mag
er gern den Karakter als Quaͤcker behaup-
ten , ob er gleich ſich ſonſt , in Kleidung und
Sitte , nicht an ihre ſtrengen Regeln haͤlt ,
und nur hoͤchſt ſelten ihre Verſammlungen
beſucht . Seine Frau iſt eine wohlbeleibte le-
bendige Matrone , welche die herrlichſten weib-
lichen Eigenſchaften einzig durch eine zu ſtarke
Beimiſchung von Pedanterie verdunkelt . Sie
iſt wirthſchaftlich , aber ein zu viel verbrann-
ter Schwefelfaden entflammt ihren heftigſten
Zorn , ein zu kurz geputztes Licht , ein nicht
ganz gerade gezogenes Rouleau , veranlaſſen
ihre Ordnungsliebe zu den laͤngſten Strafpre-
digten . Jhre Waͤſche iſt , nach loͤblicher Sitte ,
numerirt ; aber ſie wuͤrde lieber nackt gehn , als
zu einer Schlafhaube Nr. 15 ein Hemde Nr.
14 anziehen , oder Nr. 4 auf Nr. 2 folgen
laſſen . Neulich brach uͤber ihre Tochter ein ge-
waltiges Ungewitter los , weil es ſich entdeckte ,
daß ſie in ihrer Taſche No. 9 ein Schnupf-
tuch No. 10 trug . Sogleich wurde eine Re-
viſion ihrer Waͤſche verhaͤngt , es fand ſich nun
daß auch die Struͤmpfe mit No. 10. bezeichnet
waren , Sturm und ſtarker Unwille brachen aus .
Die arme Verbrecherinn vertheidigte ſich verge-
bens damit , daß ſie unverſehenes in eine Pfuͤtze
getreten , und dabei vor Schreck ihr Tuch habe
fallen laſſen . Sie haͤtte ſogleich auch das erſt vor
zwei Stunden angezogene Hemde wechſeln , und
Taſche , Halstuch , Schlafhaube u. ſ. w. unge-
braucht in die Waͤſche liefern ſollen . Bei Ge-
legenheit des Beſchmutzens , erfolgte eine neue
Predigt uͤber die geziemende Ehrbarkeit , da es
nicht wohl denkbar ſey , daß , wenn man den
Blick immer feſt auf den Boden hefte , man
eine Pfuͤtze uͤberſehen ſollte . Das gute Maͤd-
chen , die einzige Tochter des Hauſes , lei-
det vorzuͤglich von der Pedanterie ihrer Mut-
ter . Es iſt ein liebes , frohes Geſchoͤpf von
Deinem Alter , eine bildſchoͤne Blonde Na-
mens Philippine . Sie freut ſich am meiſten
uͤber meine Anweſenheit , welche ihr manche Er-
leichterung verſchafft . Elliſon , der Sohn , hat
mich ihr auf das angelegentlichſte empfohlen ;
ſie liebt ihren Bruder uͤber Alles , und er
verdient es in der That . Wenn ich ihn in die-
ſen Umgebungen betrachte , ſo ſtellt er ſich als
eine ſchoͤne fremde Erſcheinung dar , und man
bemerkt nur an der Liebe , womit ihn Alle um-
faſſen , und womit er Allen begegnet , daß er
Sohn des Hauſes iſt . Die ganze Familie macht
die Bemerkung , daß er dieß Mahl heiterer als
jemahls von ſeiner Reiſe heimgekehrt ſey , und
man ſcheint ſich dabei , faſt mit einer Art von
Dankbarkeit , gegen mich zu neigen , was mich
etwas verlegen macht . Seit einigen Tagen hat
ſich die Scene um etwas veraͤndert , und macht
eine eigene Wirkung auf mich .
Jch fand es , nachdem ich gehoͤrig Beſcheid
zu wiſſen glaubte , fuͤr gut , eines Morgens mich
mit dem Jnhalte des bewußten Kaͤſtchens zu Vater
Elliſon auf das Comptoir zu begeben , um ſol-
chen bei ſeiner Ehrlichkeit und Jnduſtrie unter
zu bringen . Er war uͤberraſcht , und nahm mich
recht wohlbehaglich auf . Eine volle Stunde
unterhielt er mich von den verſchiedenen Fonds ,
in welchen die Gelder , mit anſehnlichem Vortheil ,
arbeiten koͤnnten . Jch bat ihn , die Angelegen-
heit zwiſchen uns beruhen zu laſſen , glaube
aber ſchwerlich , daß er im Stande geweſen iſt ,
ſein Wort puͤnktlich zu erfuͤllen . Seitdem iſt
ſein gaſtfreundlicher Ton viel ruͤckſichtlicher ge-
worden . Sein anfaͤngliches Anſehn von Wohl-
wollen iſt in eine Art von Ehrerbietigkeit uͤber-
gegangen , welches jedem bemerklich werden muß .
Mutter Elliſon uͤberhaͤuft mich mit Liebkoſun-
gen , und iſt gegen ihre Gewohnheit ſinnreich , mir
Zerſtreuungen zu verſchaffen . Sie veranlaßt
kleine Spazierfahrten mit ihrem Sohn und ih-
rer Tochter , und fordert die letztere taͤglich auf ,
hier und dorthin mit mir zu gehen , um mir
dieß und das zu zeigen . Philippine macht mit
Entzuͤcken von dieſer neuen Freiheit Gebrauch ,
und liebt mich aufrichtig , als die Schoͤpferinn
ihrer Freuden . Nur William Elliſon iſt nicht
ſo heiter als bisher ; eine truͤbe Wolke lagert
auf ſeiner Stirn , und ein fremdes Etwas , ſcheint
zwiſchen uns getreten zu ſeyn . Geſtern , als wir
am Ufer des Delaware ſpazieren fuhren , blickte
er lange ſchweigend dem Fluſſe entgegen . So
nachdenkend William ? ſagte ich , und legte die
Hand auf ſeinen Arm . Er fuhr aus ſeinen
Traͤumen auf , preßte meine Hand , und ſagte
wie erſt halb erwacht : Waͤre unſer Waſhington
dort untergegangen ! Schoͤn , rief Philippine
lachend , dann koͤnnten wir uns heute nicht der
lieblichen Winterlandſchaft erfreuen . Doch , ſagte
er nach ſeiner lakoniſchen Weiſe , Virginia iſt
leicht , ich ſchwimme gut . Wir ließen das Ge-
ſpraͤch fallen . Guter William ! daß Virginia
mehr gerettet , als das nackte Leben , das ſcheint
dir ein Hinderniß deiner Wuͤnſche ? O , waͤre
nichts als das , zartſinniger Mann , ich wuͤrde
es freudig in den Fluß werfen , und mich in
deinen Arm .
Aber es thuͤrmt ſich eine andere Scheide-
wand zwiſchen uns auf , welche du nicht ſiehſt ,
nicht ahndeſt , die ich ſelber hinweg ſchieben
moͤchte , die aber nur ſtaͤrker wird , ſo oft ich
Hand daran legen will . Sieh , William iſt ſo
lieb und gut , ich achte ihn hoch , ich habe ihn
ſo gern , ich kann mir ſtundenlang denken , wie
gluͤcklich eine Gattinn mit ihm leben wird ; aber
wenn mir dann einfaͤllt , daß ich dieſe Gattinn
ſeyn koͤnnte , dann verſinkt ploͤtzlich , wie durch
einen Zanberſchlag , das ganze Gemaͤhlde , und Mu-
cius Bild erſcheint auf derſelben Stelle , und droht
mir mit wehmuͤhtigem Laͤcheln . Ja Mucius
ich bin dein ! du haſt recht ! fuͤr die Ewigkeit !
ſo ſprachen wir . Guter William , ich kann nim-
mer die Deine ſeyn . Wenn ich meine erſten
Schwuͤre braͤche , welche Buͤrgſchaft haͤtteſt du
fuͤr die zweiten ?
Das Leben hier ſagt mir recht wohl zu , nur
fuͤr die Laͤnge mag es in der Stadt ein wenig
langwetlig werden . Die Geſellſchaft der Freunde ,
woraus der groͤßere Theil der Einwohner be-
ſteht , ſind ſehr brave rechtliche Menſchen , nur
etwas zu pedantiſch in ihren Sitten . Jch ſtimme
den meiſten ihrer Grundſaͤtze und Einrichtun-
gen mit inniger Ueberzeugung bei , kann aber
durchaus nicht begreifen , warum der Geiſt der
Froͤhlichkeit damit unvereinbar ſeyn ſollte . Kann
es dem hoͤchſten Weſen wohlgefaͤllig ſeyn , auf
lauter ernſte oder traurige Geſichter zu blicken ,
und koͤnnen Tanz und Spiel der wahren Tugend
zuwider ſeyn ? Daß doch des Menſchen Wahn
immer auf Uebertreibungen faͤllt , er in ſeinem gei-
ſtigen Stolze nicht auf die Winke ſeiner Lehre-
rinn , der Natur , achtet ! Das hoͤchſte Gluͤck wel-
ches ich hier finde , iſt die voͤllige Freiheit der
Meinungen . Niemahls hoͤrt , man weder einen
religioͤſen noch politiſchen Streit ; ein jeder ſagt
ohne Ruͤckhalt ſein Urtheil , und hoͤrt ruhig ein
entgegengeſetztes an . Es iſt moͤglich daß du
recht haſt , ſagt der eine , mir ſcheint es jedoch
ſo , aber ich kann irren ; der andre aͤußert
ſich eben ſo , und kein Tropfen Wermuth faͤllt
in den Becher der Freundſchaft . Dieſe Maͤßi-
gung iſt um ſo bewundernswuͤrdiger im gegen-
waͤrtigen Augenblick , wo der Krieg und die daraus
entſprungenen Ungluͤcksfaͤlle , die Gemuͤther mehr
als gewoͤhnlich ſpannen . Nur unter dieſem ru-
higen Volke , konnte die Freiheit ihren Sitz auf-
ſchlagen , ohne daß ihr Weg mit Blut bezeignet
wurde . Mir iſt als ob ich hier ausruhte , von
all dem Weh , welches mein armes Herz in den
letzten Jahren unaufhoͤrlich beſtuͤrmt hat , als ob
ich nach langer Pilgerſchaft , Quarantaine hielte .
Dieſe iſt freilich nicht ſehr ergetzlich , aber ſie
ſichert die Geſundheit , und deßhalb ſey ſie mei-
nem Geiſte willkommen . Zwar ſchuͤttelt er oft
ungeduldig die Schwingen , und will mich hin
ziehen und tragen , zu jener erhabenen Bundes-
ſtadt , wo ſich das neue Kapitolium baut , zu
Schutz und Huth der koͤſtlichen Freiheit . Aber
ach ! die Gothen aus Albion , haben Frevlerhaͤnde ,
an die entſtehenden Heiligthuͤmer gelegt , und wei-
len noch immer in die Naͤhe . Tief wird dieß
hier empfunden , doch hofft man bald den Frieden
hergeſtellt zu ſehn , und die empfangenen Wun-
den zu heilen . Wie aber auch Europa ſich dage-
gen ſtraͤuben mag , die neue Welt wird , in kur-
zen , zur rieſenſtarken Manneskraft gelangen ,
und wehe Europa , wenn ſie jemahls den Gedan-
ken faßt , die Beleidigungen zu raͤchen , welche
ihre Kindheit erfuhr . Nicht der Norden allein
iſt frei , auch im Suͤden ſchuͤttelt man die uͤber-
ſeeiſchen Ketten ab . Wenige Jahre noch , und
das Panier der Freiheit weht von der Hudſons-
bay bis zur Magellaniſchen Meerenge , und un-
ter ſeinem Schatten bluͤhen Wiſſenſchaften und
Kuͤnſte , aus allen uͤbrigen Weltgegenden dahin
verpflanzt .
Das neue Jahr iſt hier mit viel ſchoͤnen
Hoffnungen und tauſend guten Wuͤnſchen begon-
nen worden . Jch hatte am erſten Tage deſſel-
ben , eine lange Unterredung mit William , welche
unſern unſichern Standpunkt gegen einander ,
wieder einiger Maßen feſtgeſtellt hat . Er ſchickte
mir am Morgen , nach der Sitte meines Vater-
landes , einen großen Korb voll der auserleſen-
ſten Treibhausfruͤchte und Blumen ; ich hatte
ihm dagegen , ſo wie der uͤbrigen Familie , einige
kuͤnſtliche Arbeiten verfertigt , welche hier noch
neu waren , und viel Bewunderung erregten .
Sehr natuͤrlich hatte er das vorzuͤglichſte er-
halten . Er kam , mir mit vieler Freude zu dan-
ken . Es iſt fuͤr meine Verbindlichkeit und fuͤr
meinen guten Willen ſehr wenig , ſagte ich ab-
lehnend , ich wollte , ich koͤnnte mehr fuͤr ſie
thun . Sie koͤnnen nicht ? fragte er . Ach , ſie
koͤnnten unendlich viel gewaͤhren , wenn ich nur
wuͤnſchen duͤrfte . Hoͤren ſie , William , ſagte
ich , ſie haben ſich mir zum Bruder erboten , ſo
laſſen ſie uns auch geſchwiſterliches Vertrauen
bewahren . Geſchwiſterliches ? ſagte er kleinlaut .
Ja , fuhr ich fort , als Schweſter will ich jetzt
mit Jhnen reden . Alles was ich habe und be-
ſitze , habe ich durch Sie gerettet , und ich lege
nur in ſo fern einigen Werth darauf ; ſonſt
weiß ich die Zufaͤlligkeit der Erdenguͤter zu wuͤr-
digen , und ſchaͤtze nichts als den Geiſt . Jch
kenne den ihrigen , der meinige iſt ihm ver-
wandt . ( Er ruͤckte mir freudig naͤher . ) Es
gibt aber der verwandten Geiſter mehr , fuhr
ich fort , und die erſten Bande , duͤrfen nicht
durch ſpaͤtere geloͤſet werden . Fruͤhere Bande ?
rief er erſchrocken . Nein , nein , unmoͤglich , wie
haͤtten ſie da ihr Vaterland ſo willig verlaſſen
koͤnnen , wie koͤnnten ſie in der Fremde ſo hei-
ter ſeyn ! Fremd iſt mir der ganze Erdkreis ,
ſagte ich , meine Heimath iſt ſeit langer Zeit
dort oben . Tod ? fragte er , — Tod , erwiederte
ich , und nachdem ich mich etwas gefaßt hatte ,
erzaͤhlte ich ihm die Geſchichte meines Her-
zens . Er hoͤrte mich mit Teilnahme an , und
oft glaͤnzten Thraͤnen in ſeinen Augen . Wir
ſchwiegen beide lange , nachdem ich geendet ,
dann beugte er ſich uͤber meine Hand , und als
er ſich wieder empor richtete , flog ein Schim-
mer von Freude uͤber ſein Geſicht . Mit einem
edlen Todten die Neigung dieſes ſchoͤnen Her-
zens zu theilen , ſcheint mir ein ſeeliges Loos ,
ſagte er , und in jenen Regionen des Lichts
fordert man kein Eigenthum mehr . So will
es auch mir oft ſcheinen , antwortete ich , doch
widerſpricht ein unerklaͤrliches Gefuͤhl augenblick-
lich dem Verſtande . Laſſen Sie mir Zeit , lie-
ber William , ob vielleicht dieſer Zwieſpalt in
meinem Jnnern ſich loͤſt , viel , viel Zeit , und
mag es ausfallen wie es wolle , wir muͤſſen
Freunde bleiben , feſt und unzertrennlich fuͤr
dieſes Leben . Jch hielt ihm die Hand hin ,
er ſchlug verſichernd ein . Seitdem iſt er wie-
der heiterer ; er hofft . Jch hege keine Hoffnung ,
aber ich fuͤhle mich erleichtert , und darf ganz
vertraulich mit ihm umgehen . Jn meiner
Bruſt herrſcht tiefer Friede ; um die lieben
Verlorenen fließt zwar manche einſame Thraͤne ,
doch trocknet ſie das Bewußtſein des Wieder-
ſehens . An die uͤbrige Vergangenheit werde ich
nur ſelten erinnert , und meide es faſt , von
meinem lieben Frankreich zu hoͤren . Ach wenn
das Vaterhaus abgebrannt iſt , dann uͤberfaͤllt uns
Grauen , die Brandſtaͤtte zu ſehn ; und wird
ſchon gleich an derſelben Stelle ein Pallaſt auf-
gebaut , es iſt die freundliche Wohnung nicht mehr ,
woran ſo ſchoͤne Erinnerungen haften . Nur von
Dir moͤchte ich ſo gern Nachrichten haben , und
ſehne mich vergebens danach ; der boͤſe Krieg
hemmt den freien Verkehr der Laͤnder gar ſehr .
Sonſt waͤre auch William ſchon laͤngſt in See
gegangen , um mir Kunde von Dir zu verſchaf-
fen , und dieß neben mir liegende , ungeheure
Pack Geſchriebenes , ſicher in Deine Haͤnde zu
befoͤrdern . Bis dahin muß ich ſchon fortfahren .
Ein guͤnſtiges Geſchick wird es wohl zu Deinen
Haͤnden bringen . O thaͤteſt Du doch ein Glei-
ches ! Jch kann mir das Leben und Treiben
in Paris kaum mehr denken , es iſt bei uns
alles ſo ganz anders . Kein Schauſpiel , keine
Maskeraden , wenig kirchliches Gepraͤnge , we-
nig Muſik , aber viel Familien-Feſte , viel Thee-
zirkel , haͤufiges Spazierengehen und Fahren . Die
Gegend iſt ſchoͤn , der Winter gemaͤßigt , wie in
dem ſuͤdlichſten Frankreich . Bald wird er ganz
von uns ſcheiden , und dann muß die Landſchaft
entzuͤckend ſeyn , wenn mit dem ernſten Gruͤn der
Zedern und Tannen ſich das helle Laub des
Pla-
Platanus , und der zahlloſen Nußbaͤume miſcht .
Als ich hier ankam hatte das Ganze ſchon ein
falbes und braͤunliches Anſehn . Jch freue mich
wie ein Kind , uͤber das Aufkeimen der jungen
Pflanzenwelt , immer war ſie es , wohin ich
mich fluͤchtete , wenn das Leben mich zu rauh be-
ruͤhrte . Hier duftet mir heilender Balſam fuͤr
jede Wunde , und der Odem des Friedens haucht
durch die zarten Halme und Bluͤthen . Ueberall
in der belebten Natur zeigt ſich das widrige Bild
der kaͤmpfenden Leidenſchaften ; nur die Pflanzen
bluͤhen friedlich beiſammen , liebend ſich zu einan-
der neigend , und ſtrebend , ſich mit zarten Ran-
ken zu umarmen . Darum ſey mir gegruͤßt freund-
liche Blumenwelt , ihr ſaͤuſelnden Baͤume , und
ihr zarten Halme des Graſes , zwiſchen wel-
chen ich ſo oft Stundenlang lagerte , und mit
inniger Luſt den Wanderungen kleiner glaͤnzen-
den Kaͤferchen , dem Spiel bunter Schmetterlinge
zuſah , und mich und die uͤbrige Welt vergaß .
Nirgend auf dem Erdenrund kann Virginia un-
gluͤcklich ſeyn wo ſie frei , und die Natur nur
nicht ganz oͤde iſt . Der Menſch macht ſo viel An-
Zweiter Theil. [2]
ſtalten , um gluͤcklich zuſeyn , und er bedarf ſo
wenig ! —
Noch keine Nachricht von Dir , und der
Fruͤhling iſt ſchon in ſeiner vollen Pracht bei
uns eingezogen . Man hat um meinetwillen
ein ſehr mahleriſch gelegenes Landhaus unweit
der Stadt bezogen , und faſt bin ich froh , wie
einſt an der Durance . Den groͤßten Theil des
Tages bin ich mit meiner Philippine allein ,
weil der Vater nicht das Comptoir , die geſchaͤf-
tige Mutter nicht das Hausweſen verlaſſen mag .
William beſorgt die Befrachtung ſeines Schiffes
mit welchem er wieder nach Europa zu ſegeln
gedenkt , da der Friede ſo gut als abgeſchloſſen
iſt . Nach Tiſche aber verſammelt ſich die ganze
Familie , dann und an Feiertagen , werden koͤſt-
liche Spazierfahrten am Delaware , oder am
Schamuny gemacht , und Beſuche auf mancher
freundlichen Pflanzung . Morgens ſchwaͤrme ich
oft mit Philippinen umher , und kehre , wenn wir
ermuͤden , auf dem Meierhofe eines ehrlichen
Quaͤkers , oder auf der kleinen Beſitzung eines
Negers ein , wo wir , ohne Unterſchied , mit glei-
cher Herzlichkeit empfangen werden . Die ſchwar-
zen Pflanzer ſtehen an Betriebſamkeit den Wei-
ßen nicht nach , und werden ihnen nach 50 Jah-
ren vielleicht an Vermoͤgen ziemlich nahe kom-
men , da ſie fleißig die Schulen zu beſuchen an-
fangen , und ihre Bildung in der Naͤhe der
Staͤdte merklich fortſchreitet . Unfern Paris
wuͤrde es wohl ſehr auffallen , zwey junge Maͤd-
chen , im Morgenkleide und im Sonnenhute , durch
Felder und Gehoͤlze ſtreifen zu ſehen ; hier iſt
dieß , Dank ſey den ſchuldloſen Sitten des
Landes , gar nichts ungewoͤhnliches . Die treu-
herzigen Penſilvanier gruͤßen uns uͤberall mit
freundlicher Unbefangenheit , und reden uns mit
dem vertraulichen Du an , welches ich ſo gern
hoͤre , weil ich es in meiner Kindheit ſo allgemein
vernahm . Philippine hat ſich mit leidenſchaftli-
cher Liebe an mich gehaͤngt , und ich umfaſſe das
holde Maͤdchen mit ſchweſterlicher Zaͤrtlichkeit ,
freilich nicht in dem Sinne , wie es die Familie
zu erwarten ſcheint . Ueberhaupt iſt dieß die
Kehrſeite meines ſonſt ſo gluͤcklichen Lebens ,
daß man etwas vorausſetzt , wovon ich mich noch
weit entfernt fuͤhle . Der Vater iſt voll Eifer
*
fuͤr die Benutzung meines Vermoͤgens , macht
dabei ſo liſtige Anmerkungen , nennt mich oft
ſein liebes Toͤchterchen , und gibt mir zu verſte-
hen , daß ich einſt um das dreifache reich ſeyn
wuͤrde . Die geſchaͤftige Mutter ſchuͤrt noch em-
ſiger zu , und ſpricht oft ſchon weitlaͤufig uͤber
kuͤnftige haͤusliche Einrichtungen . Der arme
William iſt dabei auf Kohlen , und wendet all
ſeinen Fleiß an , ſolche Geſpraͤche abzubrechen ,
weßhalb er manches unwillige Geſicht von der
Mutter erhaͤlt , wenn er den Fluß ihrer Rede
unterbricht . Es iſt ein kleiner Sturm zu be-
fuͤrchten .
William hat ſchon erklaͤrt daß er naͤchſtens
in See gehe , aber man rechnet darauf er
werde zuvor noch eine Verbindung mit mir un-
aufloͤslich machen . Was wird man aber ſagen
wenn man ſieht , daß dieß nicht der Fall iſt ?
was , wenn man erfaͤhrt , daß ich eine große Reiſe
nach Waſhington , und von da zu den Seen
und dem Niagara , zu machen gedenke . Wil-
liam , welcher gern auf alles eingeht , was mir
Freude macht , hat zu dieſer Reiſe ſchon im
Stillen die beſten Anſtalten getroffen . Er gibt
mir ſeinen eigenen Bedienten mit , einen treuen
und erfahrenen Menſchen , welcher ſchon einen
großen Strich jener Gegenden durchreiſt iſt ,
dann zwei ehrliche Schwarzen , auf welche er ſich
verlaſſen kann , Vater und Sohn . Der Vater ,
John , war in ſeiner fruͤheren Jugend als Sklave
in Virginien , entlief damahls ſeinem ſtrengen
Herrn , und gerieth zu den Wilden , welche ihn
aufnahmen . Er war ſechs Jahr unter ihnen ,
und lernte ihre Sprache und ihre Sitten voll-
kommen . Jm Kriege zog der Stamm , bei
welchem er ſich befand , den Englaͤndern zu Huͤlfe ,
wurde aber in einem Gefechte mit den Ameri-
kanern zerſtreut , und John gerieth auf ſeinem
Jrrwege nach Penſilvanien , wo die menſchen-
freundlichen Begegnung ihm ſo wohl gefiel , daß
er dort ſeinen Aufenthalt nahm . Er fand bald
Arbeit , erwarb ſich nach und nach ein kleines
Eigenthum , heirathete eine freie Schwarze , und
iſt jetzt Vater von fuͤnf Kindern , drei Soͤhne ,
und zwei Toͤchtern , welche alle verheirathet ſind ,
bis auf die juͤngſte Tochter , welche mich , ſo wie
einer ihrer Bruͤder ebenfalls begleiten wird .
Seine Huͤtte und ſein kleines Feld graͤnzen nahe
an Elliſons Landhaus , deßhalb kennt ihn Wil-
liam ſeit ſeiner fruͤheſten Jugend , und wird von
dem Alten , faſt mehr als ſeine eigenen Kinder ,
geliebt . Ueberhaupt iſt Anhaͤnglichkeit und un-
erſchuͤtterliche Treue ein vorzuͤglicher Karak-
terzug dieſer guten , bis jetzt ſo unterdruͤckten
Menſchengattung . Wer nur irgend Wohlwollen
und Aufmerkſamkeit gegen ſie blicken laͤßt , kann
ihrer innigen Liebe verſichert ſeyn . Jch habe
oft auf unſern Morgenſtreifereien die kleinen
ſchwarzen Buben geherzt , und mit dem Alten
freundlich geredet , aber dafuͤr koͤnnte ich auch mit
ihm bis zu den Huronen reiſen , er wuͤrde jede
Gefahr von mir abwenden , und mich nur mit
ſeinem letzten Lebenshauche verlaſſen . Zittre da-
her nicht , liebe Adele , vor den Schreckniſſen
welche dieſe Reiſe fuͤr mich haben koͤnnten . Das
Land iſt ſo wuͤſt nicht mehr , als du es vielleicht
noch aus fruͤheren Reiſebeſchreibungen kennſt .
Es gehen regelmaͤßig Landkutſchen von hier auf
Baltimore und Waſhington , Landſtraßen und
Wirthshaͤuſer ſind nach allen Richtungen ange-
legt , und wo dieſe in der Gegend der Seen auf-
hoͤren , da geht fuͤr mich der romantiſche Theil
der Reiſe erſt recht an . Ein leichtes Fuhrwerk
iſt bald gekauft , ja ſelbſt fuͤr eine Fußreiſe habe
ich hinreichende Kraft und Luſt . Wenn Du dieſen
Brief erhaͤltſt , welchen William heilig gelobt hat ,
nach zwei Monaten , in Deine Haͤnde zu liefern ,
dann kannſt Du denken , daß ich an dem großen
Waſſerfalle ſitze , wohin mein Herz mich mit ei-
ner unwiderſtehlichen Sehnſucht zieht , wie den
Wilden welcher dort hin geht , um den großen
Geiſt anzubeten .
Vor der Abſchiedsſtunde graut mir recht von
Herzen . Soll ich den armen William ohne
Hoffnung ziehen laſſen ? und kann ich ihm Hoff-
nung geben ? So eben war er hier und mel-
dete mir , daß ſein Schiff ſegelfertig liege , und
der Wind ſich guͤnſtig zu wenden ſcheine . Meine
Augen wurden feucht , der Gedanke den Freund
den Beſchuͤtzer meines Lebens zu verlieren , drang
ſchmerzlich auf mich ein . Er trocknete ſchnell meine
Thraͤnen mit ſeinem Tuche ab , und druͤckte dieß
an ſeine Lippen . Du ſollſt mich begleiten , und
mich ſtaͤrken , rief er , wenn die Niedergeſchlagen-
heit zu maͤchtig werden will ! Guter William ,
ſagte ich , und meine Thraͤnen floſſen ſtaͤrker , ich
wuͤnſchte , ich koͤnnte ihnen mehr geben . Sie
wuͤnſchen es , und koͤnnen nicht ? ſagte er erblaſ-
ſend . Jetzt noch nicht . Wann aber ? Wenn
wir beide unſre Reiſe beendigt haben . Was
kann da veraͤndert ſeyn ? Viel , o viel , lieber
William ! Das Leben ſteht ja nie ſtill , und in
vier , fuͤnf Monden , veraͤndert ſich die Erde ſo
ſehr . Auch das Herz ? auch das Herz , Virginia ?
rief er heftig . O welche Ausſicht eroͤffnen ſie
mir ! Sie kennen die ſeltſame Lage meines
Herzens , ſagte ich , ich habe ihnen niemahls
meine Gefuͤhle verhehlt , und auch jetzt mag ich
ihnen , einen faſt mir ſelbſt laͤcherlichen Gedanken
nicht bergen . Es ſcheint mir naͤmlich , als koͤnne
nur am Fall des Niagara der Zwieſpalt ſich loͤ-
ſen , welcher in meiner Seele ſich erhoben hat , ſeit
ich unter ihrem Schutze lebe . Ach es iſt nur
der Wunſch nach weiter Entfernung von mir ,
ſagte er , mit traurigem Kopfſchuͤtteln . Nein , nein !
rief ich , ich verlaſſe ſie mit Schmerz , aber ein
unerklaͤrliches Etwas reißt mich fort . Am Niagara !
toͤnt es in meinen Traͤumen ; und wie andre
Pilger ſich gen Oſten wenden , ſo ſcheint mir im
Weſten , die Sonne der Verheißung zu glaͤnzen .
Jhr Weg geht dem Oſten zu , o moͤchte die
freundliche Morgenroͤthe auch ihrem Herzen Hoff-
nung ſchimmern ! Jch laſſe die Hoffnung hier zu
ruͤck , erwiederte er . Ach , das Meer zieht mich
nicht mehr an , wie ehemahls , mit ſeinem ewigen
Wechſel ! Waͤre es nicht , um Jhnen Nachrich-
ten zu verſchaffen , ich wuͤrde ſchon dieſe nicht
mehr unternehmen ; es wird die letzte ſeyn . Der
ſtille Reiz des heimathlichen Lebens , ſpricht
maͤchtig zu meinem Herzen , mein Sinn ſtrebt
nicht mehr in die Weite hinaus . Was iſt der Lohn
des Weltumſeglers ? des Welteroberers ? Ruhm ,
kalter Ruhm . Aber auch Gluͤck ? Nein , das Gluͤck
wird ewig vor ihm fliehen , es wohnt nur in der
ſtillen Huͤtte , wo ein treues Weib ihm laͤchelt ,
und muntre Kinder um ihn ſpielen . Wohl , wohl !
ſagte ich geruͤhrt , auch ich kannte den ſeligen
Frieden der begraͤnzten Heimath , und mein Herz
ſehnt ſich dahin zuruͤck , wie nach dem Paradieſe
der Unſchuldswelt . Aber ein feindſeliges Ge-
ſchick vernichtete mein Eden , und , wie die Truͤm-
mer einer zerſtoͤhrten Welt , muß ich irren durch
den Raum , bis ich meinen Pol finde und meine
Bahn . Sie glaubten hier die Ruhe zu finden ,
ſagte er mit halben Vorwurf . Was glaubt ,
was hofft nicht der Menſch ! erwiederte ich . Auch
fand ich viel . Schon fuͤhle ich mich im Vor-
hof des Heiligthums , die Balſamduͤfte der Pa-
radieſesbluͤthen wehen ſchon zu mir heruͤber , o
laſſen ſie mir Zeit , den Eingang zu ſuchen .
Jch habe nur Wuͤnſche , ſagte er , und verneigte
ſich mit Entſagung : die erſten und heißeſten
ſind fuͤr ihr Gluͤck . Jch bin auf Alles gefaßt ,
nur ſie auf immer zu verlieren , der Gedanke
uͤberſteigt meine Kraft . Auch ich darf ihn nicht
denken ! rief ich , und ergriff ſeine Hand : empfan-
gen ſie meinen Schwur , daß , wie auch unſer
Verhaͤltniß ſich wende , ich mich nicht von ihrer lie-
ben Naͤhe trennen will , bis der Tod uns ſcheidet .
O , Virginia ! rief er , und hob meine Hand zwi-
ſchen ſeinen gefalteten Haͤnden empor , welch ei-
nen himmliſchen Troſt geben ſie mir zum Rei-
ſegefaͤhrten . Nimmer will ich mehr verlangen ,
wenn ſie es nicht ſelber wuͤnſchen . Mit freu-
deſtrahlendem Geſicht verließ er mich .
Er hat der Familie ſeine Abreiſe angekuͤndigt ,
die mißvergnuͤgten Geſichter aber augenſcheinlich
durch den Zuſatz aufgehellt , daß dieß die letzte
Fahrt ſeyn ſolle , und daß er dann eine Lebens-
art aufgeben werde , welche der Vater immer nur
ungern zugelaſſen hat . Dieſer hofft ihn fuͤr ſein
Handlungshaus zu gewinnen , ich glaube er truͤgt
ſich ; Williams Sinn ſtrebt nach der Stille des
Landlebens , ihm fehlt der ſpekulative Geiſt deſ-
ſen der Kaufmann bedarf .
So muß ich denn dieſe Blaͤtter ſchließen
und ſiegeln ; moͤgen ſie gluͤcklich zu Dir gelan-
gen , meine Adele . Mein ganzes Seyn haucht
Dir aus ihnen entgegen , nimm ſie freundlich
auf und tauſche ſie gegen andere von Deiner
Hand aus , worauf ich ſo ſehnlich hoffe . Gib
mir Kunde von den Deinen , vorzuͤglich von
Deiner guten Mutter ; gruͤße dieſe herzlich von
mir . Schreib mir auch , ach , nur in wenigen Wor-
ten , was mein armes , liebes Frankreich macht .
Gluͤcklich ſcheint es nicht zu ſeyn , es kommen
viel Ausgewanderte hier an . Seit einigen Ta-
gen verbreitet ſich ein Geruͤcht , welchem ich aber
keinen Glauben beimeſſe , die Schiffernachrichten
ſind oͤfters falſch .
Uebermorgen reiſe ich mit meinem kleinen
Gefolge ab . Die Mutter ſchuͤttelt zwar ſehr
den Kopf zu dieſer Wallfahrt , doch ſie iſt mit
ſorglicher Geſchaͤftigkeit bemuͤht , alles zu ordnen
und herbei zu ſchaffen , was ihr zu meiner Be-
quemlichkeit noͤthig ſcheint . Der Vater gibt mir
Empfehlungsſchreiben nach Baltimore und Wa-
ſhington mit . Philippine weint ſchon im vor-
aus , uͤber die lange Trennung , und troͤſtet ſich
nur durch mein Verſprechen , daß ich dann auf
immer bei ihr bleiben wolle . Es wird mir in
der That ſchwer , mich von dieſem Maͤdchen und
von dieſem freundſchaftlichen Hauſe zu trennen ;
aber der Zug nach Weſten iſt ſtaͤrker als die
Freundſchaft , ja ſelbſt ſtaͤrker als meine Vernunft .
Lebe wohl meine Adele ! Tauſend Mahl Lebe
wohl ! William eilt an Bord , und nimmt Ab-
ſchied von Deiner
Virginia . Virginia an Adele .
Baltimore .
Gluͤcklich bin ich hier mit meinem Gefolge
angelangt , und ein Handelsfreund von Elliſon
hat ſich nicht abhalten laſſen , mich auf zu
nehmen . Unſre Reiſe war nur wenig ver-
ſchieden von einer Reiſe in Frankreich , ſo kulti-
virt iſt ſchon der Diſtrikt , zwiſchen hier und
Philadelphia ; nur waldiger iſt das Land , als
dort , und der Baumwuchs uͤppiger , ſaftvoller ,
auch gibt es mehr Viehzucht , und mehr kleine
zerſtreute Beſitzungen . An das Gemiſch der
verſchiedenfarbigen Menſchen welches dem Reiſen-
den anfangs ſehr auffaͤllt , habe ich mich ſchon
gewoͤhnt . Von hier aus will ich erſt nach
Waſhington , um die Nachbildung jenes Kapi-
tols zu ſehen , wohin mein Geiſt ſo oft mich
trug , und welches jemahls wirklich zu ſehen ,
mir nun jede Hoffnung entſchwunden iſt .
Dann kehre ich hier her zuruͤck , um von hier
aus die große Wanderung zu den Seen
anzutreten . Baltimore iſt freundlich , und um
vieles lebhafter als Philadelphia . Es wohnen hier
viele Franzoſen . Meine Wirthsleute ſind noch
jung , beſonders die Frau , eine Jrlaͤnderinn , voll
Lebhaftigkeit , und beweglich wie Queckſilber . Sie
erzaͤhlt mir unaufhoͤrlich ; ſchade nur , daß ich mich
mit ihr ſo ſchlecht verſtaͤndigen kann , denn ſie ſpricht
das Engliſche nach ihrer vaterlaͤndiſchen Mundart
aus , und kann wenig franzoͤſiſch . Beſonders
wuͤnſchte ich mich uͤber einen Theil ihrer Erzaͤhlun-
gen vollſtaͤndig unterrichten zu koͤnnen , welcher
mich ſeltſam anzieht . Sie ſpricht naͤmlich oft von
den Freiwilligen von Baltimore , welche im vo-
rigen Jahre Waſhington zu Huͤlfe gezogen , und
daß darunter mehrere Auslaͤnder geweſen . Un-
ter dieſen erwaͤhnt ſie oft eines jungen Franzo-
ſen , welcher lange in ihrem Hauſe gewohnt habe .
Die Beſchreibung ſcheint mir , wunderbarer Weiſe ,
auf Mucius zu paſſen , auch der Nahme hat in
ihrer Ausſprache einige Aehnlichkeit , und ſo feſt ich
von der Unmoͤglichkeit ſeines Lebens uͤberzeugt
bin , ſo nimmt mein thoͤrichtes Herz doch einen An-
theil an dieſen Erzaͤhlungen , der mich mit Un-
ruhe erfuͤllt . Gern moͤchte ich nun etwas naͤhe-
res uͤber dieſen Fremdling erfahren , moͤchte ſeine
ferneren Schickſale , ſeinen jetzigen Aufenthalt
wiſſen ; aber entweder weiß die gute Davſon
nur wenig , oder ich verſtehe ſie ſchlecht . Jch
kann nicht ein Mahl mit Beſtimmtheit erfahren ,
ob er mit den Freiwilligen zuruͤck gekehrt iſt , ſie
ſpricht immer , der gute junge Herr iſt gegan-
gen . Jch entſchloß mich , mit einer kleinen Scham-
roͤthe , den Mann deßhalb zu befragen . Hat
Jhnen meine Frau davon geſagt ? fragte er mit
einem finſtern Blick , welchen ich noch gar nicht
an ihm geſehen hatte . Jch weiß nicht mehr als
Betty , ſetzte er hinzu , es hat mich nicht intereſſirt .
Und damit brach er das Geſpraͤch ab , welches
ich nicht wieder an zu knuͤpfen wagte .
Der Fremde iſt ein Zankapfel zwiſchen dem
Ehepare geweſen , das bemerke ich wohl . Aber
weßhalb beunruhigt mich das ? warum iſt mir
ſeitdem die Schoͤnheit der jungen Frau auffal-
lender ? warum bemerke ich ſie mit halben
Neide ? warum faͤllt mir ihre Lebhaftigkeit dop-
pelt auf , wenn ſie von dem Fremden ſpricht ?
was geht das mich an ? wahrhaftig , Deine Vir-
ginia iſt recht kindiſch ! lache ſie nur tuͤchtig aus ,
und ſchilt ſie zugleich . Sie ſcheint eiferſuͤchtig
auf einen Schatten , und war es nie auf den
lebenden Mucius .
Auf jeden Fall aber wird dieſer Umſtand
meine Abreiſe nach Waſhington beſchleunigen .
Es draͤngt mich hin zu dem Schauplatze , wo
der Unbekannte gekaͤmpft , vielleicht geblutet hat .
Vergib mir William ! dich konnte das thoͤrichte ,
undankbare Maͤdchen verlaſſen , und hier jagt es
dem Truggebilde einer kranken Phantaſie nach ,
deſſen Urbild uͤber den Sternen lebt . Gu-
ter William ! ich fuͤrchte , ſo wird es immer ſeyn .
Mein Gefolge iſt es ſehr wohl zufrieden , daß
wir bald weiter reiſen . Meinen Negern gefaͤllt
der ſtaͤdtiſche Aufenthalt nicht . Corally , das
ſchwarze Maͤdchen , kann gar nicht begreifen ,
wie man ſich in einen ſo großen Ort einſper-
ren koͤnne , wo man gar keine Raſenplaͤtze zum
tanzen , keine Bluͤthengebuͤſche vor ſeiner Haus-
thuͤr habe . Jhr Bruder Jsmael horchte auf
die Erzaͤhlungen ſeines Vaters , von der Lebens-
art der Wilden . Er hofft immer einigen Staͤm-
men am Ontario oder Erie zu begegnen und mit
eigenen Augen ihr Treiben zu ſehen . Dann
aber ſehnt er ſich nach ſeiner Frau und ſeinen
klei-
kleinen Buben zuruͤck . Corally hat mir auch
ganz heimlich vertraut , daß ſie einen jungen
Schwarzen gar lieb habe , er ſey aber arm ,
muͤſſe noch verdienen und ſparen , denn Vaters
kleines Feld koͤnne keine neue Familie mehr er-
naͤhren . Gutes Kind der Natur , wie wenig
bedarf es , dich zu begluͤcken ! einige Morgen Land ,
eine Huͤtte , ein paar Kuͤhe , und daran ſoll es dir
bei unſerer Ruͤckkunft nicht fehlen .
Waſhington .
So bin ich denn geſtern eingezogen in
dieſe Hauptſtadt des freien Amerika , vielleicht
beſtimmt , dereinſt der neuen Welt Geſetze ,
Sprache und Sitten zu geben , wie Rom
ſie vormahls der alten gab . Moͤge ſie ſich nie
zu Roms Ueppigkeit und Uebermuth erheben ,
um einſt zu ſinken wie ſie ! Welche Verglei-
chungen , welche Erinnerungen und Betrachtun-
gen bieten ſich hier bei jedem Schritte dar .
Kuͤhn und groß iſt der Entwurf zu dieſer großen
Bundesſtadt , wie uͤberhaupt der Rieſenbund die-
Zweiter Theil. [3]
ſer freien Staaten . Gebe das Schickſal Gedei-
hen ! die Saat iſt vollwichtig , die Saͤemaͤnner
ſind voll redlichen Eifers und nur der Sonnen-
ſchein des Friedens iſt noth . Das Hagelwet-
ter welches juͤngſt voruͤber geflogen , hat vieles
zerſtoͤrt . Prachtvolle Gebaͤude ſtehen dachlos
und ausgebrannt , und der Mond ſcheint ver-
wundert in die leeren Raͤume hinab zu blik-
ken . Die Saͤulen des Kapitols ſind beſchaͤdigt
von dem feindlichen Geſchuͤtz , aber die Saͤulen
der Republik trotzen jedem Anfall , hier wird
ſich die Macht des neuen Karthago brechen .
Unter Kaͤmpfen ward hier das Rieſenkind der
Freiheit gebohren , Kaͤmpfe und Gefahren ſtaͤr-
ken ſeine Kraͤfte , und ziehen es groß , wie die
junge Eiche mitten unter Stuͤrmen empor waͤchſt .
Mit ſtiller Ehrfurcht habe ich das noch nicht
ganz vollendete Denkmahl des großen Mannes
beſucht , deſſen Nahme , durch die Stadt ſelbſt ,
der ſpaͤten Nachwelt uͤberliefert wird , und deſſen
Andenken in dem Herzen jedes Amerikaners
lebt . Wahrlich , ein beneidenswerther Sterbli-
cher , den ſelbſt ſeine Gegner nicht zu verun-
glimpfen wagen ! Die einfachen Sitten ſeines
Landes , die ruhige Art der hieſigen Entwicke-
lung , bewahrten ihn vor dem kuͤhnen Auffluge , wel-
chen unſer franzoͤſcher Adler nahm . Napoleon
uͤbertraf Waſhington an Geiſt und Energie ,
wurde aber von ihm an Maͤßigung und ſtil-
ler Buͤrgertugend weit uͤbertroffen . Waſhing-
ton war der Cincinnatus des tugendhaften Roms ,
Napoleon der Caͤſar des verderbten . Beider
Karakter leiden ſo wenig eine Vergleichung , als
die Lage ihrer Umgebungen .
Das Gewuͤhl des Hafens , und die Thaͤtig-
keit , womit man die Brandſtaͤtte abraͤumt , und
den Schaden zu heilen ſtrebt , hat mich mehrere
Tage ergetzt und feſt gehalten ; daneben habe
ich manche Forſchung nach dem Unbekannten an-
geſtellt . Humphry Dyk , der Bediente von Elli-
ſon iſt mir dabei ſehr nuͤtzlich geweſen , und ich
habe dieſen Menſchen recht lieb gewonnen , ſei-
nes Dienſteifers wegen . Aber ach , es iſt alles
vergebens , man weiß hier nichts von einem
ſchwarzlockigen Franzoſen , welcher unter den Frei-
*
willigen von Baltimore ſich befunden . Alle Be-
hoͤrden ſind befragt , alle Krankenanſtalten beſucht
worden ; hier iſt er nicht , wenn er uͤberhaupt noch
lebt . Was geht es mich an ! rufe ich trotzig aus ,
oder verlache mich ſelbſt mit dieſer kindiſchen
Grille ; aber es hilft wenig , ich kann den Gedan-
ken nicht los werden . Das beſte wird ſeyn , daß ich
mich bald von hier entferne , die Anſtalten zu
einer Reiſe und die immer wechſelnden Ge-
genſtaͤnde werden mich zerſtreuen . Wann wird
Virginia die Ruhe ihres Herzen wieder finden !
Baltimore .
Hier bin ich wieder , und in voller Geſchaͤf-
tigkeit fuͤr meinen großen Zug . Wir haben uns ,
in der That , wie zu einer Entdeckungsreiſe ge-
ruͤſtet . Humphry hat fuͤrchterliche Vorſtellungen
von der Ungaſtlichkeit der Gegenden wohin wir
gehen , ich laſſe ſie ihm , weil mir beilaͤufig
der romantiſche Gedanke , durch Wildniſſe zu
irren , ein geheimes Vergnuͤgen macht .
Wir haben einen Wagen , mit zwei Pferden
beſpannt , gekauft , und fuͤr den Zweck zurichten
laſſen . Gegen Regen und Sonne wird er durch
eine Art von Zelt gefchuͤtzt , welches nicht nur an den
Seiten in die Hoͤhe gewunden , ſondern auch
abgenommen , und durch Stangen vergroͤßert wer-
den kann . Jn dieſem Wagen ſitzen Corally und
ich auf Sitzkaſten , welche mit Decken und
Waͤſche angefuͤllt ſind . Außerdem befindet ſich
ein großer Faͤcherkorb voll Lebensmittel , und ein
tuͤchtiges Flaſchenfutter mit Wein und Rum ,
ein Bratſpieß , nebſt dazu gehoͤrender blechernen
Pfanne , ſechs Teller aus Silberblech , ein klei-
ner kupferner Keſſel , Meſſer , Gabeln und Loͤffel ,
einige leere Korbflaſchen , einige hoͤrnerne Becher ,
ein Beil , eine Matratze und ein Tragekorb auf dem-
ſelben . Da haſt Du unſre ganze wandernde Haus-
haltung . John haͤlt uns fuͤr fuͤrſtlich ausgeſtattet ,
Humphry haͤtte gern noch mehr hinzu gethan .
Er und John befinden ſich , zu unſrer Bedeckung ,
zu Pferde , ſind mit guten Flinten bewaffnet ,
und reichlich mit Pulver und Blei verſehen ;
Jsmael macht den Kutſcher . So werden wir
nun morgen , in aller Fruͤhe , unſere Wallfahrt
antreten . Jch habe mich mit einem kleinen Rei-
ſeſchreibzeuge verſehen , und werde ein ordentli-
ches , an Dich gerichtetes Tagebuch halten , wel-
ches Du vielleicht einſt erhaͤltſt . Mir huͤpft
das Herz vor Freude , bei dem Gedanken an
dieſe Pilgerfahrt . Das neue , ungekannte Leben
reizt mich , und ich werde dieſe Nacht kaum ſchla-
fen koͤnnen , wie die Kinder , welchen das ganze Le-
ben meiſt noch fremd iſt , ſchon vor einer Spa-
zierfahrt nicht ſchlafen . O , wie iſt man ſo ſelig
wenn man noch Kind iſt ! da zieht uns nur der
Blumenhuͤgel an , welchen wir erreichen koͤn-
nen , jetzt ſchließen kaum die blauen Berge und
das Meer mein Sehnen ein .
Den 20ſten Junius .
Wir ſind vor Tage aufgebrochen , um in
der Morgenkuͤhle zu reiſen . Die Sonnen-
hitze in den Mittagsſtunden iſt jetzt unertraͤg-
lich , wir werden dann an einem ſchattigen Orte
raſten , wo Waſſer in der Naͤhe iſt , und Weide
fuͤr unſere Pferde . Heute trafen wir einige artige
Meiereien an , wo wir uns mit herrlicher Milch
und mit Eiern verſahen , welche , nebſt dem friſchen
Fleiſch , welches wir aus Baltimore mit gebracht
hatten , eine leckere Mahlzeit gaben . Zur Nacht
haben wir bei dem Hauſe eines Pflanzers Halt
gemacht . Mein Gefolge wird draußen , bei Vieh
und Geraͤth , Corally und ich werden in dem Hauſe
ſchlafen . Von hier aus moͤchten wir wohl nicht
oft mehr ein Obdach finden ; je weiter wir ge-
gen das Gebuͤrge kommen , deſto ſparſamer werden
die Wohnungen , und doch habe ich dieſen Weg
vorgezogen , ſtatt auf Albany zu gehen , die Ge-
gend wird hier viel romantiſcher .
Die Kinder unſres Wirthes ſehen mir neu-
gierig zu , wie ich beim Schein ihres Kuͤchen-
feuers ſchreibe . Was machſt du da ? fragt ein
kleiner Knabe . Jch ſpreche mit meiner Schwe-
ſter , erwiedere ich , welche da uͤber dem gro-
ßen Waſſer wohnt , Mit den Fingern ? ſagt er ,
und ſieht mich kopfſchuͤttelnd an . Jch zeichne die
Worte auf dieß Papier , wie du dort ein Pferd
mit Kohle auf die Wand gemahlt haſt , gebe ich zur
Antwort . Er blickt hinein , und ſagt : du mußt an
kein Pferd , an keinen Vogel , keinen Baum ,
kein Haus gedacht haben , ich kenne kein einzi-
ges von deinen Worten .
Den 26ſten Junius .
Die Landſchaft wird wilder , aber unbeſchreib-
lich ſchoͤn . Wir machen nur kleine Tagereiſen ,
um unſer Vieh bei der Hitze zu ſchonen . Bis
jetzt haben wir noch immer Wohnungen ange-
troffen , wo wir Gefluͤgel , Milch , Eier und
Fruͤchte kaufen konnten . Dieſe Nacht brachten
wir zum erſten Mahl im Freien , am Saum ei-
nes Waldes zu , wo ein klarer Quell uns mit
vortrefflichem Waſſer verſorgte , und auch jetzt
indem ich dieß ſchreibe , lagern wir am Fuß
eines Berges welcher dicht mit Ahorn und wei-
ßen Zedern bewachſen iſt ; hundert Schritte von
uns , brauſt ein Waldſtrom durch eine Berg-
ſchlucht hinab . John und Humphry ſind auf
die Jagd gegangen , und Jsmael dreht den Brat-
ſyieß , Korally hat Waſſer geſchoͤpft in unſern
Keſſel , und bereitet die Lager , ich ſtehe der klei-
nen Kuͤche vor , die Pferde weiden neben uns .
Du glaubſt nicht , welchen eigenthuͤmlichen Reiz
dieſes Nomadenleben hat , ſelbſt fuͤr den kultivir-
ten Menſchen ; ich wundre mich gar nicht , daß
die Eingebohrenen es nicht verlaſſen moͤgen .
Den 30ſten Junius .
Schon ſeit vier Tagen irren wir in den Ge-
birgen umher , uns bloß nach der Sonne und
den Geſtirnen richtend , worauf ſich John ſehr
gut verſteht . Oft denke ich mir , wie Du dich
aͤngſtigen wuͤrdeſt , Du weinteſt ja ehmahls faſt
jedes Mahl , wenn auf unſern Spaziergaͤngen
die Thurmſpitze von Chaumerive ſich uns ver-
ſteckte , aus Furcht Dich zu verirren . Hier ſind
wir deßhalb ganz unbeſorgt , denn dieſe Wild-
niſſe ſind ſo uͤberraſchend ſchoͤn , daß man ſie nie
wieder verlaſſen moͤchte . Die Waldvoͤgel uͤber
unſern Haͤuptern , laſſen ihre hundertfaͤltigen ,
oft ſo fremden und ſeltſamen Stimmen hoͤren ,
Erdbeeren und die Beeren anderer Rankengewaͤchſe
roͤthen den Raſen an den Abhaͤngen der Berge ,
von deren Wipfeln neugierige Gazellen auf uns
hernieder blicken . Wir leben zum Theil von dem
Ertrage der Jagd , welche hier nicht muͤhſam
iſt , da das Wild ſich nicht ſehr ſcheu und furcht-
ſam zeigt ; auch die Eier einiger Waſſervoͤgel
haben wir ſchon haͤufig an ſumpfigen Stellen
gefunden . Jch ſchlafe unter dem Zelte ; die
Naͤchte ſind kalt , aber entzuͤckend ſchoͤn , durch
ihre Klarheit , und mit Vergnuͤgen betrachte ich die
neuen Sternbilder , welche ich ſonſt nur auf der
Himmelskarte antraf . Mein Schlaf iſt vortreff-
lich , ein wenig Rum , mit Waſſer , Ei und Zuk-
ker vermiſcht , mein Fruͤhſtuͤck , wenn wir , mit
dem erſten Anbruch der Morgenroͤthe , uns auf
den Weg machen .
Den 5ten Julius .
Wir haben , auf mancherlei Umwegen , die ſuͤd-
liche Spitze des Erie-Sees gluͤcklich erreicht , und
muͤſſen hier einen Raſttag halten , denn unſere
Pferde ſind ziemlich erſchoͤpft . Das Land war ſchon
in den letzten Tagereiſen flach und offen . Der
See gewaͤhrt einen ſchoͤnen Anblick , die jenſei-
tigen Ufer ſind nur in einzelnen nebeligen Punk-
ten bemerkbar . John hat mehrere Waſſervoͤgel
geſchoſſen , welche unſere Mahlzeiten wuͤrzen .
Er ſpaͤht uͤberall nach den Wilden umher , deren
Widerſehen ihm ſehr am Herzen liegt ; ich ſel-
ber bin auf ein ſolches Zuſammentreffen hoͤchſt
geſpannt .
Den 8ten Julius .
Unſer Wunſch wurde erfuͤllt . Der Zufall
wollte , daß grade von dem Stamme , mit welchen
John verſchwiſtert iſt , ein Trupp von ſechs
Maͤnnern und vier Weibern in ihren Kanots
uͤber den See kam , um auf die Rehjagd zu
gehen , welche hier am Fuße des Allegany-Ge-
buͤrges ſehr ergiebig iſt . John wurde ſehr bald
von ihnen als ihr Bruder erkannt , und die
Freude war von beiden Seiten unbeſchreiblich .
Er zeigte ihnen ſeine Kinder , und ſie erklaͤrten ,
daß dieſe auch die ihrigen waͤren . Sie brachten
uns mit großer Gaſtfreiheit die Beute ihrer
Jagd zum Geſchenk ; wir bewirtheten Sie dage-
gen mit Rum und gekochten Speiſen , und theil-
ten unſern Vorrath an Reis und Zwieback mit
ihnen , unſre Maͤnner gaben ihnen den groͤßten
Theil ihres Tabaks . Jch ſchmuͤckte die Weiber
mit allem , was ich an Glasperlen , einfachen
Ringen , Baͤndern und entbehrlichen Tuͤchern
beſaß ; das Freundſchaftsbuͤndniß war in kurzen
auf das engſte geknuͤpft . Sie lagerten ſich in un-
ſerer Naͤhe , und geleiteten uns heute eine ganze
Strecke . Der Abſchied ſchien ihnen ſehr wehe
zu thun , doch troͤſteten ſie ſich mit der Hoffnung ,
uns , bei unſerer Ruͤckkunft von dem großen
Waſſerfalle , wohin wir nach ihrer Meinung wall-
fahrten um den großen Geiſt anzubeten , wider
zu ſehn . Auch John war geruͤhrt bei dem Schei-
den von dieſen herzlichen Kindern der Natur ,
und er hat mir nachher wiederholt verſichert daß ,
wenn er nicht Frau und Kinder daheim haͤtte , er der
Verſuchung kaum wuͤrde haben wiederſtehen koͤn-
nen , mit ihnen in ihr Land zuruͤck zu kehren .
Jch begreife leicht , wie anziehend dieſe ungebun-
dene Lebensart fuͤr den ſeyn muß , welcher die
Sprache dieſer Voͤlker kennt , und ſeine Beduͤrf-
niſſe noch nicht zu weit uͤber die ihrigen hinaus
geſteigert hat .
Den 11ten Julius .
Wir ſind heute zu einer mittelmaͤßigen Meie-
rei gelangt , welche an den Ufern eines klei-
nen Fluſſes liegt , der ſich ungefaͤhr vier Stun-
den von hier in den Erie-See ergießt . Der
Boden iſt ſehr fruchtbar , der Mais ſteht
vortrefflich , und verſpricht einen funfzigfaͤltigen
Ertrag . Obſtbaͤume umgeben die niedere Woh-
nung , und verſtecken ſie faſt , alle beugen ihre
Zweige unter der Laſt der Fruͤchte . Kirſchen ,
Abrikoſen , Birnen , Melonen ſind von ganz vor-
zuͤglicher Guͤte , die Pfirſich roͤthet ſich ſchon ,
und der Cyder wird gewiß eben ſo trefflich
und reichlich gewonnen werden , als im vorigem
Herbſte . Wir trinken jetzt davon , und werden
unſer faſt geleertes Flaſchenfutter damit fuͤllen .
Auch herrliches Gemuͤſe gibt es hier . Kuͤhe
weiden umher , und an Gefluͤgel fehlt es nicht .
Die Natur verſorgt dieſe gluͤckliche Familie mit
allem im Ueberfluß , was das phyſiſche Leben
angenehm machen kann . Woͤchentlich bringt
der aͤlteſte Sohn des Hauſes , die Produkte ,
welche man nicht verzehren kann , auf einem
einſpaͤnnigen Karren nach Venago welches fuͤnf
Stunden entfernt iſt . Die Familie beſteht ,
ſammt den Kindern , aus 19 Perſonen , worunter
zwei deutſche Knechte ſich befinden , welche ſich
auf 6 Jahre vermiethet haben ; dieß iſt bei
dem aͤrmern Theil der Ausgewanderten ſehr ge-
braͤuchlich . Nach Ablauf der Dienſtzeit , erhal-
ten ſie eine Summe Geldes , Vieh , Getreide
und dergleichen , um ſich anzuſiedeln . Bis da-
hin werden ſie voͤllig zur Familie gerechnet , und
den Soͤhnen des Hauſes gleich behandelt , ge-
naͤhrt , und gekleidet . Heiterkeit und Frohſinn
mahlt ſich auf allen Geſichtern der hieſigen
Hausbewohner , und ich muß ſie gluͤcklich prei-
ſen , in ihrer Abgeſchiedenheit welche ſie gegen
die tauſend Plagen der Geſellſchaft ſicher ſtellt .
Nur ſelten kehrt hier ein Reiſender ein , wird
aber dann auch mit der groͤßten Gaſtfreund-
ſchaft empfangen , und man gedenkt ſeiner noch
lange . Als etwas ſeltenes wurde bemerkt , daß
in dieſer Woche ſchon zwei Fremden , nebſt ihrem
Fuͤhrer , hier geweſen , welche gleichfalls nach dem
Waſſerfall wallfahrten . Wie es ſcheint waren
es Mahler , denn der eine hatte die Landſchaft
gezeichnet , und der zweiten Tochter ein kleines
Stuͤck von ſeiner Arbeit zum Andenken geſchenkt .
Das muntere Maͤdchen lobt deßhalb ihn am
meiſten , waͤhrend ihre aͤltere Schweſter ſeinen
ſchwermuͤthigen Gefaͤhrten ruͤhmt .
Wir haben uns hier mit einer großen Men-
ge friſcher Lebensmittel verſehn , es iſt mir aber
kaum gelungen , den guten Leuten den wahren
Werth aufzudringen .
Den 13ten Julius .
Wir ſind nur noch 3 Stunden vom Niagara
entfernt , und hoͤren den Fall , wie das Rollen
eines maͤchtigen Donners . Schon geſtern den
ganzen Tag toͤnte ſein Getoͤſe in der Ferne ,
und in der Nacht hinderte es mich lange am
Schlaf . Wir haben hier Halt gemacht , weil
ich erſt morgen zur Stelle kommen will ; ich
habe mir dieſes groſſe Feſt zu meinem Geburts-
tage aufgeſpart . Tauſend Erinnerungen und
Gefuͤhle werden da auf mich einſtuͤrmen an die-
ſem merkwuͤrdigen Tage , wo die Kraft meines
Volkes hochaufſchaͤumte , wie dieſe Fluth , die thuͤr-
menden Felſen uͤberwand , und dann , auch in
den Abgrund fiel . Wird dieſer maͤchtigen Welle ,
eine zweite folgen ? Es wuͤrde mir ſehr unlieb
ſeyn wenn ich morgen die beiden Reiſenden ,
dort faͤnde , von welchen man in Woodhouſe
erzaͤhlte ; ich waͤre gern allein . Heute ſahen
wir in einer ziemlichen Entfernung einige menſch-
liche Figuren auf einer Huͤgelſpitze ſitzen . Js-
mael , deſſen Auge am weiteſten traͤgt , behaup-
tete ſie ſchrieben , wie ich es oft Abends zu thun
pflegte ; wahrſcheinlich aber zeichneten ſie . Mein
Herz fuͤhlte ſich zu ihnen hingezogen , ſo maͤch-
tig wirkt der Trieb der Geſelligkeit im Men-
ſchen uͤberall , und doch moͤchte ich , wie geſagt ,
gerade morgen nicht gern mit ihnen zuſammen
treffen , an einem Tage , wo ich ſo viel abzu-
machen gedenke mit meinem eigenen Herzen .
Mein ganzes Leben , wird mit den Bildern
aller meiner Geliebten , an mir voruͤber gehen .
Hier
Hier will ich das Trauerfeſt feiern um meine
theuern Verlorenen , und hier , wo der rohe
Jrokeſe betet zu dem großen Geiſt , will auch
ich zu ihm beten daß er mich erleuchte in dem ,
was mir noth thut . Noch immer erhaͤlt ſich
in mir die Ahndung , als werde hier der Wen-
depunkt meiner Gefuͤhle ſeyn , kaum werde ich
ſchlafen koͤnnen , vor unruhiger Erwartung .
Schon jetzt klopft mein Herz hoͤher , und ſchnel-
ler mein Puls — ich bin ein Kind , was wirds
denn ſeyn ?
Jch muß etwas kuͤhlendes trinken , und mit
Corally ſchwatzen , das ſchreiben erhitzt mich .
Lebe wohl , Adele ! Gedenke Deiner Virginia .
Den 14ten Julius .
O Himmel und Erde , Adele , er iſts ! Wie
iſt die Welt ſo anders , anders der Mond , die Ge-
ſtirne anders ! Er iſts ! meine Ahndung , der Unbe-
kannte , der Geliebte , Alles Eins . Laß mich zu
mir ſelbſt kommen , mir ſchwindelt . Jch moͤchte
Dir ſo gern mein Gluͤck in ſeiner ganzen Fuͤlle
Zweiter Theil. [4]
mittheilen , wie bisher meinen Schmerz , aber
meine Hand zittert . Doch nur eines Nahmens
bedarf es , und hundert Mahl rufe ich ihn dem
Echo der Felſen zu , das Echo antwortet , als
theilte es mein Gefuͤhl . Warum kannſt Du
mir nicht antworten , Adele ! Auch Dir rufe ich
ihn zu : Mucius ! Ja Mucius ! die Todten
kehren wieder . O koͤnntet ihr auch wiederkeh-
ren , mein Vater , mein Emil , meine Mutter !
Aber ich umfaſſe euch alle in dem lieben Wie-
dergefundenen , auch Dich Adele ; Er iſt mir
Vater , Bruder Freund . Auch mein Vater-
land habe ich wieder , wo Mucius athmet , iſt
meine Welt ! Mein Kopf iſt wuͤſt , ich muß ei-
nige Stunden ruhen . Das hoͤchſte Gluͤck iſt faſt
ſchwerer zu tragen als der heftigſte Schmerz .
Welch ein Tag , der mir zum zweiten Mahl
mein Leben , mein Gluͤck , das Ziel meiner Wuͤn-
ſche ſchenkte ! Schlafe wohl , Adele , ich vermag
nicht weiter !
Einige Tage ſpäter .
Fuͤr mich gibt es keine Zeit mehr . Jn mei-
ner Seligkeit vergeſſe ich zu zaͤhlen wie oft die
Sonne auf- und untergeht . Nur die Kranken
berechnen die Stunden , und die Gefangenen
zeichnen einen Ungluͤckstag nach dem andern
an die Wand ihres Kerkers auf . Gern ſchreibt
der Ungluͤckliche ſeine Leidensgeſchichte , der Gluͤck-
liche erzaͤhlt lieber , die Feder theilt ſeine Wonne
zu langſam mit . Und doch muß ich ſchreiben ,
wenn Du erfahren ſollſt , was ich vor allen
gern zu Deiner Kenntniß braͤchte ; ich werde
alſo oft ein Stuͤndchen aufopfern muͤſſen , um
Dir von meinem Gluͤcke Kenntniß zu geben ,
an welchem doch niemand ſo innigen Antheil
nehmen kann , als Du . Meine Erzaͤhlung wird
ſehr oft unterbrochen werden , da jedoch noch
eine ziemliche Weile verlaufen wird , ehe Du
dieſe Blaͤtter erhaͤltſt , ſo werden die Bruchſtuͤcke
ſich ſchon nach und nach zu einem Ganzen ge-
ſtalten , und ſo fange ich denn mit jenem wun-
derreichen Tage , des Wiederſehns an .
Wir hatten fruͤh , den letzten Ort unſeres
Nachtlagers verlaſſen , und fuhren bis zum Fuße
*
der Felſen uͤber welche ſich der Niagara ſtuͤrzt ;
hier ließen wir Vieh und Geraͤth unter Js-
maels Obhuth , und John fuͤhrte uns auf ſtei-
len Fußpfaden bis zu einer Hoͤhe , von welcher
wir den betaͤubenden , jede Beſchreibung uͤbertref-
fenden Waſſerſturz uͤberſehen konnten . Wir wa-
ren alle ergriffen von dieſem einzigen Schau-
ſpiele . Donnernd ſtuͤrzt ſich der Strom von
Fels zu Fels , himmelhoch ſpritzt der Schaum
empor , von der Sonne durchſchienen , einem
Goldregen gleich ; hundertfaͤltige Regenbogen bil-
den ſich an dem dichter herabfallenden Gewaͤſſer .
Die Sprache iſt zu mangelhaft den Eindruck
wieder zu geben , den das Auge kaum im Gan-
zen auf zu faſſen vermag . Sprachlos ſtanden
wir lange , und ſtaunten vor uns hin , dann gab
ich meine Dienerſchaft durch Winke zu verſte-
hen , daß ich bis zu einer Abſtufung des Felſens
ohne Begleitung hinunter ſteigen wolle , wohin
ein bequemer Pfad fuͤhrte , und wo einige Woͤl-
bungen einen kuͤhlen Aufenthalt zu bieten ſchie-
nen ; ich wollte ungeſtoͤrt ſeyn . Als ich um
eine Ecke bog , erblickte ich ein maͤnnliches We-
ſen , welches in Gedanken verloren zu ſeyn
ſchien , und trat zuruͤck . Der Fremde wurde mich
gewahr , und machte ſeiner Seits gleichfalls eine
Bewegung , um den Ort zu verlaſſen , ſo daß wir
einander nach entgegen geſetzten Richtungen aus-
wichen , oft ſchuͤchtern ruͤckwaͤrts ſehend . Nach
vielleicht hundert ungewiſſen Schritten , traten
wir beide zugleich auf eine Anhoͤhe hinauf , und
ſtanden , Bildſaͤulen gleich , einander gegenuͤber .
Welche Geſtalt ? ich zitterte . Der Fremde beugte
ſich vorwaͤrts , er hob die Arme : „ Geben die
Graͤber ihre Todten zuruͤck ‟ ? rief eine bekannte
Stimme , Mucius oder ſein Geiſt ? fragte ich
faſt zu gleicher Zeit , und lag in ſeinen Ar-
men , verlor an ſeiner Bruſt das Bewußtſeyn .
Als ich erwachte befand ich mich im Schatten
eines Felſenuͤberhanges , Mucius hielt mich
umfaßt , Korally kniete zu meinen Fuͤßen und
ſuchte meine kalten Haͤnde mit ihren Kuͤſſen
zu erwaͤrmen . Erhoͤhete Lebenskraft und Waͤrme
kehrten durch meinen ganzen Koͤrper zuruͤck , ſobald
ich die Augen aufſchlug , ich blickte ja in meinen
Himmel . Des Weines bedurfte ich nicht , welchen
der ehrliche John herbeigeholt hatte . Miß Vir-
ginias Bruder ? fragte Humphry etwas befrem-
det . Ja wohl Bruder , Vater und Vaterland !
rief ich , und umſchlang den Heißgeliebten . Mehr ,
mehr ſagte Korally mit ſchlauem Laͤcheln , und
Humphry blickte zweifelnd und finſter vor ſich
hin . Mucius bat ihn und John , ſich nach ſei-
nen Gefaͤhrten um zu ſehen , welche tiefer gegen
die Waſſerwand hinab geſtiegen waren , und ſie
hier her zu fuͤhren , Korally ſetzte ſich ſchweigend
hinter einen entfernten Stein . So waren wir
denn allein , und die unermeßliche Seligkeit ,
welche uns faſt den Buſen zerſprengte , machte
ſich in Thraͤnen , Worten und Kuͤſſen Luft .
Jch bin unfaͤhig Dir die ganze Wonne dieſer
erſten gluͤcklichen Stunden zu ſchildern . Wir
hatten nur Sinn fuͤr das ungehoffte Gluͤck des
Wiederſehens , keine andre Erinnerung truͤbte
unſern ſonnenhellen Himmel . Endlich langten
unſere Fuͤhrer und Mucius Freund bei uns an ;
dieſer war die ſogenannten Jndianer-Leitern hin-
unter geſtiegen , um den oͤſtlichen Waſſerfall recht
in der Naͤhe zu ſehen , waͤhrend Mucius vorge-
zogen hatte , hier oben in der Einſamkeit ſeinen
Gedanken Raum zu geben . Er wußte es war
mein Feſt , und hier wollte er es in wehmuͤthi-
ger Erinnerung begehen . So ſeltſam , auf ſo
wunderbarem Wege fuͤhrte uns die liebende
Vorſicht zuſammen , denn nimmer kann ich
es fuͤr den Gluͤckswurf des blinden Zufalls
halten .
Virginia ! rief Mucius ſeinem Freunde ent-
gegen . Der bloße Nahme erklaͤrte dieſem das
Ganze , er ſtuͤrzte ſich jauchzend an Mucius
Bruſt . Gebenedeiet ſey die Jungfrau , und alle
Jungfrauen die ihr gleichen ! rief er in toller
Luſtigkeit ; nun wird doch dieß Auge wieder la-
chen , und dieſer Mund nicht mehr ſeufzen , wenn
ich das Leben preiſe mit all ſeinen Launen , Tuͤk-
ken , und Faſtnachtspoſſen .
Der Fremde , ein junger Mahler aus Baſ-
ſano im Venetianiſchen , welchen Mucius in Spa-
nien kennen lernte , wo er mit ihm in einem
Regimente diente , wurde mir vorgeſtellt . Er
hat ein ſchoͤnes freundliches Geſicht , und iſt voll
unerſchoͤpflich heiterer Laune . Seine treue Freund-
ſchaft koͤnnte den Muſtern des Alterthums an
die Seite geſetzt werden . Das Gluͤck ſeines
Freundes war jetzt das ſeinige , er hatte ihm
lange genug die Laſt des Daſeyns ertragen hel-
fen . Das Geraͤuſch des Falls fiel ſeiner Rede-
luſt beſchwerlich , und wir kehrten , auf ſeinen
Wunſch , zu meinen Fuhrwerk zuͤruͤck . Hier um
ein gutes Mahl gelagert , welches Jsmael bereit
gehalten , erzaͤhlten die beiden Freunde ſich abwech-
ſelnd ihre Schickſale , in franzoͤſiſcher Sprache ,
welche ihnen die gelaͤufigſte , unſeren Leuten aber
wenig verſtaͤndlich war .
Pinelli lernte Mucius in den Tagen der Hoff-
nung kennen , wo dieſer ſich ſchon wieder die roſen-
farbigſten Bilder der heimathlichen Zukunft ſchuf .
Des Freundes heitere Laune erhoͤhete die hellen
Farben des ſchoͤnen Gemaͤldes , und beide fingen
an , einander unentbehrlich zu werden . Nach
einiger Zeit ſetzte das gaͤnzliche Ausbleiben
meiner Briefe Mucius in große Unruhe ; Pi-
nelli troͤſtete nach Moͤglichkeit . Die Kriegsvor-
faͤlle konnten leicht die Urſache ſeyn , wie ſie es
denn auch wirklich waren ; aber das leidenſchaft-
liche Gemuͤth eines Liebenden , welcher ſchon ſo viel
truͤbes erfahren , fuͤrchtet leicht das aͤrgſte . Am
Morgen jenes Tages als man ſich zum Sturm
auf eine ſpaniſche Feſtung anſchickte , ward Mu-
cius eines Soldaten gewahr , welchen er als
Landsmann aus Aix erkannte , und welcher erſt
vor kurzen bei dem Corps eingetroffen war .
Jn ſeiner Naͤhe reitend , fragte er ihn , ob er
den Beſitzer von Chaumerive kenne . Freilich
kenne ich den guten Herren , er war ſonſt oft
in Aix . Weißt du jetzt nichts von ihm ? fragte
Mucius zitternd . Als ich durch Avignon ging ,
entgegnete jener , war ihm vor einigen Tagen die
Tochter geſtorben . Virginia ? ſchrie Mucius mit
Entſetzen . Den Nahmen weiß ich nicht , ſagte
jener , man beklagte jedoch , ihrer Guͤte und Wohl-
thaͤtigkeit wegen , allgemein ihren fruͤhen Hintritt .
Lebt die Mutter noch ? ſtammelte Mucius . Jch
glaube nein , ſprach der Soldat . Wenige Sekun-
den darauf wurde der Ungluͤckliche von einer
Kanonenkugel zerſchmettert . Mucius Zuſtand
war halbe Geiſteszerruͤttnng . Kurz darauf wurde
der Sturmmarſch geſchlagen . Wie außer ſich
ſprang Mucius vom Pferde , ergriff gewaltſam
einen Adler , und eilte die Bruͤcke hinauf , aber
ſchwankend und halb bewußtlos wurde er bald von
der Menge hinab gedraͤngt . Pinelli war , in der
groͤßten Unruhe , dem Freunde gefolgt , er ſahe ihn
ſtuͤrzen , noch ehe er zu ihm gelangen konnte ,
und nur die Stimme der Freundſchaft hoͤrend
warf er ſein Pferd herum , und jagte am Ufer
des reißenden Fluſſes entlang . Nach einigen
Minuten ſahe er Mucius auftauchen , und matt
mit den Wellen kaͤmpfen , der Strom ſchlang
ihn immer wieder in ſeine Strudel . Endlich
blieb der ſchon faſt Entſeelte mit den Kleidern
an einem Geſtraͤuch hangen , und mit der groͤß-
ten Muͤhe gelang es dem Freunde , ihn ans Ufer
zu ziehn , mit noch groͤßerer , ihn voͤllig ins Le-
ben zuruͤck zu rufen . Beide waren weiter als
eine Viertelſtunde von der Feſtung entfernt .
Jn dieſer Lage wurden ſie ploͤtzlich von einer
Abtheilung engliſcher Reiterei umringt , und ge-
fangen genommen . Mucius fuͤhlte und begriff
wenig von dem , was um ihn her vorging , er
glich einem Seelenloſen , ſein Freund mußte fuͤr
ihn denken und handeln .
Jn dieſem Zuſtande wurden ſie bis Liſſabon
gebracht , und von dort , mit mehreren Gefangenen ,
auf einem Transportſchiffe nach England gefuͤhrt .
Der Kapitaͤn ſchien geruͤhrt von der tiefen Nie-
dergeſchlagenheit des Einen , und von der auf-
opfernden Freundſchaft des Andern , und behan-
delte beide Freunde mit einiger Auszeichnung ,
Pinelli erkundigte ſich oft nach dem Schickſale ,
welches ihnen bei ihrer Ankunft in England
bevorſtaͤnde . Die Antwort war allgemein , daß
ſie , wie alle Subalternen , nebſt den Soldaten ,
auf die Gefangenſchiffe gebracht werden wuͤrden .
Er hatte von dieſen Waſſergefaͤngniſſen eine ſo
furchtbare Vorſtellung , daß er Tag und Nacht
darauf ſann , ſich und ſeinen Freund dieſem Elende
zu entziehen . Das Gluͤck , oder das Schickſal ,
erleichterte ſein Vorhaben . Die Hitze , oder die
Hand eines Frevlers , ſprengte nach wenigen
Tagen die beiden groͤßten Waſſerfaͤſſer des Fahr-
zeuges , zugleich trennte ein Windſtoß daſſelbe von
der Convoy , und trieb es gegen die franzoͤſiſche
Kuͤſte . Jn dieſer Verlegenheit zog der Kapitaͤn
die amerikaniſche Flagge auf , und ging auf der
Rhede von La Rochelle vor Anker , wo eben
kein franzoͤſiſches Fahrzeug von Bedeutung lag ,
ſich aber zwei amerikaniſche Fregatten befanden .
Man hielt ſich ſo weit als moͤglich von den
Batterien entfernt , und ſchickte die Schaluppe
aus Land , um einen Vorrath von Waſſer ein
zu nehmen . Die Amerikaner kuͤmmerten ſich we-
nig um die Ankoͤmmlinge , ſondern waren be-
ſchaͤftigt die Anker zu lichten , und die Segel
bei zu ſetzen , um mit dem eben umſetzenden
Winde in See zu gehen . Der Mond war auf-
gegangen , und erhellte wechſelnd den wolkigen
Himmel ; die Freunde waren auf dem Verdeck ,
und betrachteten das eilende Gewoͤlk . Da blitzte
in Pinelli’s Seele ein Gedanke an Rettung auf .
Unvermerkt ergriff er ein da liegendes Tau ,
ſchlang es um ſeinen Freund , und ſtuͤrzte ſich
muthig mit ihm uͤber Bord . Die Wellen ſchlu-
gen hoch auf , der kuͤhne Schwimmer arbeitete
ſich jedoch maͤchtig empor , und zog den Gefaͤhr-
ten mit ſich , welcher ſich bald begriff , und eben-
falls ſeine Kraͤfte anſtrengte , ihm zu folgen .
Gewoͤlk verdunkelte den Mond , und man ward
die Schwimmer vom Schiffe aus nicht gewahr .
Sie nahmen ihre Richtung den abſegelnde Fre-
gatten zu , welche ſie auch bald erreichten , und
von welchen ſie , bei einem aufblitzenden Licht-
ſtrahle , bemerkt wurden . Man warf ihnen ein
Tau zu , und brachte ſie gluͤcklich an Bord . Hier ga-
ben ſie Kunde von ihrem Schickſal , und von der fal-
ſchen Flagge des Englaͤnders , ihre Rettung war
vollendet . Die Fregatte war in wenigen Minu-
ten außer dem Geſichte des Schiffes , welches
ohnehin an kein Verfolgen denken konnte . Die
Fahrt ging gerade auf Boſton , wo man ohne
alle Abentheuer einlief . Die beiden Freunde
waren hinreichend mit Golde verſehen , und man
richtete ſich genuͤgſam ein . Pinelli’s froher Muth
und ſeine Lebensluſt , halfen dem ſchwermuͤthigen
Mucius tragen . Er brachte , zu ſeiner Zerſtreu-
ung , eine Reiſe ins Jnnere in Vorſchlag , und
zu den Denkmaͤhlern der Vorzeit am Ohio , zu
den Wildenvoͤlkern am Miſſouri , und wirklich
hatte dieſe Reiſe einen guͤnſtigen Einfluß auf
Mucius gramvolles Gemuͤth . Noch jetzt ſpricht
er mit Entzuͤcken , von der Schoͤnheit der ſuͤdli-
chen Provinzen , verliert ſich noch in philoſophi-
ſche Betrachtungen , uͤber den Urzuſtand dieſes
Welttheils , uͤber die untergegangene Kultur die-
ſer zerſprengten Staͤmme . Nach faſt zwei Jah-
ren kehrten die Pilger nach Boſton zuruͤck , ihre
Barſchaft war indeſſen ſehr verringert . Pinelli
ſuchte ſeine Kunſt , mit vielem Gluͤck , geltend zu
machen . Er fuͤhrte die auf der Reiſe entwor-
fenen Landſchaften mit großem Fleiße aus , und
fand Kaͤufer zu ihnen . Auch die Portraͤtmah-
lerei uͤbte er wieder , und man war entzuͤckt von
dem eigenthuͤmlichen Karakter und der Jdeali-
ſirung , welche er ſeinen Phyſiognomien , bei al-
ler Aehnlichkeit , zu geben wußte . Mucius be-
foͤrderte ſeine Reiſe , mit ſeinen Alterthumsfor-
ſchungen , zum Druck , und gab daneben Unter-
richt in alten Sprachen . Mitten unter dieſen
Beſchaͤftigungen , erhielten ſie die Nachricht von
den großen Umwaͤlzungen im Vaterlande , welche
ihnen fuͤr immer den Wunſch zur Ruͤckkehr be-
nahmen . Sie betrachteten nunmehr das fremde ,
freie Amerika als ihre Heimath , und eilten , zu
ſeiner Vertheidigung , die Waffen zu ergreifen ,
als es von den Englaͤndern in ſeinem Jnnern
bedroht wurde . Jn Baltimore hatte Mucius
wirklich im Hauſe des Herrn Davſon gewohnt ,
wie mein ahndendes Herz , es mir damahls
ſagte . Miſtriß Davſon fuͤhlte ſich von der ſanf-
ten , freundlichen Schwermuth ergriffen , welche
den ſchoͤnen jungen Mann ſo anziehend machte .
Herr Davſon fing nach und nach an Eiferſucht
zu hegen , welches die Freunde veranlaßte , bald
nach ihrer Ruͤckkehr aus der Gegend von Wa-
ſhington , eine Reiſe zu den Waſſerfaͤllen zu un-
ternehmen . Sie durchſtrichen lange die umlie-
genden Gegenden . Mucius konnte ſich nicht
wieder losreißen von dieſer wildromantiſchen
Natur , und hier , wo er nur Nahrung fuͤr ſeinen
Schmerz ſuchte , fand er die Heilung deſſelben .
Laut dankte ich Gott , nach Endigung jener
Erzaͤhlung , fuͤr ſeine vaͤterliche Fuͤhrung ; naͤchſt
ihm dem treuen Pinelli , denn ohne ihn , den
Schutzgeiſt meines Mucius , haͤtte ich dieſen
nicht wieder geſehen . O , wie unendlich theuer
muß dieſer neue Freund mir ſeyn ! Aber , auch
ohne dieſe Ruͤckſicht , muß man den Mann lieb
gewinnen . Er lebt nur fuͤr ſeine Freunde ,
und hegt ein gefuͤhlvolles Herz fuͤr die ganze
Welt . Seine gute Laune iſt unerſchoͤpflich , je-
der Unanehmlichkeit weiß er eine heitere Seite
ab zu gewinnen . Von unſerer Reiſegeſellſchaft
wird er allgemein geliebt . Er unterhaͤlt ſich
mit Humphry , laͤßt ſich von ihm uͤber Amerika
belehren , und bewundert ſeine Kenntniße ; John
muß ihm von den wilden Staͤmmen erzaͤhlen ,
und er ſchuͤttelt ihm treuherzig die Hand ; den
ehrlichen Jsmael umarmt er , und ſagt der kleinen
Korally tauſend ſchmeichelhafte Dinge . Er will
damit niemand gewinnen , es iſt der nothwen-
dige Ausdruck ſeines heiteren Herzens ſeiner
warmen Menſchenliebe , aber er nimmt jeder-
mann ein . Mucius , bloß mit ſeiner Liebe be-
ſchaͤftigt , hat in dem Herzen unſerer Reiſege-
faͤhrten nur den zweiten Rang , ja in Humphry’s
Augen begegne ich ſogar zuweilen einem zweideu-
tigen , vorwurfsvollen Blicke . Er iſt wohl , nach
und nach , von ſeinem erſten Gedanken zu Korally’s
Vorausſetzung uͤber gegangen , und dieß muß dem
ehrlichen Kerl wehe thun , welcher ſich gewoͤhnt
hatte , mich im ſtillen als die Braut ſeines
Herrn zu betrachten . Sein ſtummer Vorwurf
erinnert mich oft mit einiger Aengſtlichkeit an
Elliſon , welcher jetzt meinetwegen die Meere
durchkreuzt . Was wird der gute William ſagen
wenn er zuruͤckkehrt ? Zwar ſpricht mein Ge-
wiſſen mich frei , ich habe ihn nicht getaͤuſcht ,
aber ich habe nicht jede Hoffnung in ihm nie-
der geſchlagen , und werfe mir jetzt faſt die
kleinſte
kleinſte freundſchaftliche Aeußerung vor , welche
mein dankbares Herz fuͤr ihn gezeigt hat ; auch
fuͤrchte ich die unangenehmen Empfindungen ſei-
ner Familie , deren Guͤte ich mit getaͤuſchter Hoff-
nung lohnen muß . Mein Gluͤck wird nicht eher
ganz rein ſeyn , als bis bei dieſen guten Men-
ſchen wieder Zufriedenheit herrſcht . Mucius
nimmt die Sache leichter , wie wohl meiſtens
die Maͤnner . Konnte William die Vergaͤng-
lichkeit der Liebe hoffen ? ſpricht er , begriff er
das Herz meiner Virginia ſo wenig ? kennt er
uͤberhaupt wohl die wahre Liebe ? Wer die fruͤ-
here Neigung eines anderen zu uͤberwinden
hofft , muß auch auf die Ueberwindlichkeit der
ſeinigen ſchließen . Und ſeine Aeltern ? Du lohnſt
ihnen Gaſtfreundſchaft mit Dankbarkeit , und
kannſt jeden Aufwand verguͤten , welch ein Recht
haben ſie zu hoͤheren Forderungen ? Wenn der
Geliebte ſo troͤſtend ſpricht , kann meine Vernunft
nichts dagegen einwenden , aber mein Herz
hoͤrt doch nicht auf , etwas aͤngſtlich zu ſchlagen
und ich ſehe es recht gern , daß unſere Reiſe
ſich noch laͤnger verzoͤgert .
Zweiter Theil. [5]
Wir ſind bis zum Fort Niagara in kurzen
Tagereiſen , meiſt zu Fuß , gelangt . Hier haben
ſich Mucius und Pinelli beritten gemacht , ih-
ren Fuͤhrer verabſchiedet , und neue Lebensmit-
tel eingehandelt . Dann ſind wir bis zum See
Ontario hinauf gezogen , und haben auf mehre-
ren herrlichen Pflanzungen verweilt . Heute ſind
wir bis Woodhouſe zuruͤckgekehrt , wo wir mit
lauter Freude empfangen wurden , und , auf in-
ſtaͤndiges Bitten der Familie , zwei Raſttage
halten werden . Dieſe einzelnen Niederlaſſun-
gen haben einen unbeſchreiblichen Reiz fuͤr uns ,
beſonders fuͤr Mucius , welcher ſich , ſeit den
neueſten Umwaͤlzungen in unſerem Vaterlande ,
mit dem Zeitgeiſte von Europa entzweiet hat .
Schon mahlen wir uns , mit wahrer Liebe , das
Bild einer einſamen Kolonie aus , welche bei al-
ler Geiſteskultur der gebildeten Welt , doch die
ganze Einfachheit der Sitten des goldenen Zeit-
alters bewahrt . Pinelli iſt unerſchoͤpflich an
neuen Einfaͤllen und Entwuͤrfen fuͤr dieſen
unſern Lieblingsgedanken , welcher leicht in Wirk-
lichkeit verwandelt werden koͤnnte , wenn wir
noch einige gleichgeſtimmte Menſchen traͤfen .
Wir begleiten hier die juͤngeren Mitglieder
der Familie bei ihren leichten Arbeiten . Heute
Abend gab uns der gute Vater vom Hauſe einen
laͤndlichen Ball , wobei er die Geige mit vieler
Leichtigkeit ſpielte . Wir tanzten ſaͤmmtlich auf
einem kurzen , ebenen Raſen , mit gleicher , herzli-
cher Froͤhlichkeit . Ruͤmpfe nur das Naͤschen im-
mer ein wenig , liebe Adele , uͤber die Art unſrer
Vergnuͤgungen , ich ziehe ſie euren glaͤnzenden
Hoffbaͤllen weit vor . Welch ein ſeliges Ge-
fuͤhl fuͤr mich , nichts als Menſch zu ſeyn !
Jch bin nicht mehr die Graͤfinn Montorin , ich
bin auf ewig nur Virginia .
Philadelphia .
Jch habe Dir lange nicht geſchrieben , meine
Adele . Deſto oͤfter denke ich an Dich und
ſpreche von Dir , und unſere Freundſchaft leidet
nicht darunter , daß Du nicht mehr meines Bu-
ſens einzige Vertraute biſt . Gewiß Du freueſt
Dich mit Deiner ſonſt ſo verlaſſenen , und jetzt
ſo gluͤcklichen , ſo uͤberreichen Virginia .
*
Wir ſind hier , nach einigen Umwegen , gluͤck-
lich angekommen . Mucius und Pinelli haben
eine Wohnung gemiethet , und ich wuͤrde gern ein
gleiches gethan haben , haͤtte ich nicht Elliſons
dadurch noch mehr zu kraͤnken geglaubt . Es
gibt hier im Hauſe veraͤnderte Geſichter , vor-
zuͤglich von Seiten der Mutter , welche meine
offene Erzaͤhlung mit einem unglaͤubigen Kopf-
ſchuͤtteln anhoͤrte , und mit ſpitzen Anmerkungen
begleitete . Sie haͤlt die Begebenheit fuͤr eine
offenbare Fabel , und Reiſe und Zuſammentref-
fen fuͤr einen heimlich verabredeten Plan , das
ſchmerzt mich tief . Waͤre nur erſt William
hier ; was wird Er dazu ſagen ? wird er ſeiner
Freundinn mehr Gerechtigkeit wiederfahren la-
ßen ? Haͤtte ich doch erſt hieruͤber Gewißheit !
Nur Philippine iſt die alte . Sie warf ſich
mir , mit einem Freudengeſchrei , in die Arme ; und
als ich ihr Mucius vorſtellte , huͤpfte ſie dieſem
mit kindlicher Froͤhlichkeit entgegen , und ſchuͤt-
telte ihm freundlich die Hand . Dieſer findet
das Maͤdchen ſo liebenswuͤrdig , als ich , und Pi-
nelli ſchwoͤrt , bei allen ſeinen mythologiſchen Goͤt-
tern , ſie ſey die juͤngſte der Grazien . Jch
fuͤrchte ſehr , er wird kuͤnftig keine andere Ge-
ſtalten mehr mahlen wollen , als ihren Nym-
phenwuchs , und ihr liebliches griechiſches Profil ;
auch Philippinchen ſieht den muntern Juͤngling
gern . Es iſt ein lieber Menſch , ſagt ſie ganz
offen und ohne Erroͤthen , man ſieht ihm durch
die klaren Augen bis in die Seele hinein . Nun ,
wer weiß was mir auch von dieſer Seite fuͤr
Gluͤck erbluͤht , wenn mein eigenes Schickſal nur
erſt entſchieden ſeyn wird .
Ein Brief von Dir , Adele , und von Lon-
don ? Welche Neuigkeiten , welche unerwarteten
Begebenheiten ! Du Arme wieder gefluͤchtet ,
wieder heimathlos ? Welch ein prophetiſcher Geiſt
ſprach aus mir , als ich ſagte Du ſtaͤndeſt auf
einem glimmenden Vulkane !
So habe ich mich doch nicht getaͤuſcht uͤber
die Geſinnungen meiner Landsleute ; denn , was
man auch ſagen mag und wird , mit einigen
hundert Mann erobert man kein Reich in we-
nigen Tagen . Auch werden die Geſchichtsfor-
kuͤnftiger Jahrhunderte ſchließen : daß wer einen
Thron zum zweiten Mahle beſteigen konnte , bloß
durch die Macht ſeines Nahmens und die Liebe
ſeines Volkes , dieſes Thrones nicht ganz un-
wuͤrdig ſeyn koͤnne ; Millionen irren nicht
leicht uͤber ihr Jntereſſe , und ihre Neigung .
Wird aber der wieder auftretende Held dem
allgemeinen Sturme widerſtehen koͤnnen , wel-
cher ſich ſogleich in ſeiner Naͤhe erheben muß , ehe
ſeine Stellung noch Feſtigkeit gewinnt ? ich zwei-
fle ſehr , und beklage das ungluͤckliche Frankreich .
Hier iſt man mit den Neuigkeiten ſehr zufrie-
den , England wird dadurch wieder in Europa
beſchaͤftigt , und laͤßt uns in Frieden . Jch ſage
uns ; denn welches auch immer Frankreichs
Schickſal ſeyn mag , ich kehre nimmer dahin
zuruͤck ! Hier iſt nunmehr mein Vaterland ! mit
ihm , dem Lande der Freiheit , kann ſich kein
europaͤiſcher Staat meſſen , wo dieſes große Wort
bedeutungslos iſt . Alles was Du mir uͤbrigens
ſchreibſt , macht mir große Freude . Du liebſt
mich noch , das iſt die Hauptſache . Du haſt
meinen Brief aus Marſeille erhalten , auch den ,
welchen ich einem Kauffahrer am Ausfluß des
Delaware mit gab , und haſt Dich uͤber mein
Schickſal beruhigt . Deine gute Mutter zuͤrnt
mir nicht , und hat Dir erlaubt , mir von Lon-
don aus zu ſchreiben . Das iſt viel ! faſt mehr
als ich hoffte . Moͤge doch Dein Vater lebens-
lang dieſes ſtrenge Stillſchweigen uͤber mich be-
obachten , ich werde ihn niemahls an mein Da-
ſeyn erinnern . Man denkt auf eine Heirath
fuͤr Dich ? Moͤge die Wahl gluͤcklich ſeyn , moͤ-
geſt Du ſo gluͤcklich werden , als ich zu ſeyn
hoffe . Du gibſt mir doppelte Adreſſe unter
welcher ich Dir ſchreiben ſoll . Das macht mir
unbeſchreibliche Freude , und ich danke Dir tau-
ſend Mahl fuͤr dieſe Maßregel . Nun ſcheint
es mir , als waͤren wir gar nicht getrennt , hoͤch-
ſtens nur durch Meilen , durch einige Berge ,
einige Fluͤſſe . Was iſt es denn mehr ? ein
Schnellſegler kann Dir meine Gedanken in we-
nigen Wochen uͤberbringen , und eben ſo ſchnell
kann ich Deine Antwort erhalten ! Mucius
gruͤßt Dich aufs herzlichſte . Er liebt Dich in
dem Bilde , welches ich ihm , immer von neuen ,
von Dir entwerfen muß , und wozu ich jetzt oft
einige Aehnlichkeiten von Philippinen borge ,
welche Dir wirklich , in manchen Stuͤcken , vergli-
chen werden kann . Auch ſind es dieſe Aehnlich-
keiten welche mich zuerſt zu dem lieben Maͤdchen
hin zogen .
Wir leben hier ein ſeliges , obwohl erwar-
tungsvolles Leben , und ſehnen uns von allen
Seiten nach Williams Ankunft , die Mutter
weil ſie fuͤr ihn fuͤrchtet , wir andern weil wir
auf ihn hoffen . Gewiß wird ſeine Gegenwart
die Spannung loͤſen , welche man jetzt nur zu
verbergen ſucht . Philippine und Pinelli ſchei-
nen heimlich auf ſeine Verwendung zu rechnen .
Jhre Wuͤnſche ſtehn leſerlich in ihren Mienen
geſchrieben , aber die Aeltern geben ſich das An-
ſehn , ſie nicht zu verſtehen ; zu reden wagt nie-
mand , Philippine iſt ſtumm , aus Schuͤchternheit ,
wir Fremden ſchweigen , aus Mangel an Recht .
— Die Freunde haben die Bekanntſchaft zweier
trefflichen Maͤnner gemacht , eines Schweizers
und eines Deutſchen Nahmens Stauffach , und
Walter , und auch dieſe bei uns eingefuͤhrt ;
beide gefallen uns ſehr . Der erſte iſt ein jun-
ger Apotheker , welcher , aus leidenſchaftlicher Liebe
zur Gewaͤchskunde , einen großen Theil der ſuͤd-
lichen Provinzen , bis Mexiko durchwandert hat ;
der zweite ſtammt aus einer hannoͤveriſchen Fa-
milie , und ſtudierte in Hofwyl die Landwirth-
ſchaft , wo er mit Stauffach bekannt wurde . Seine
Mutter gewann einſt in einer engliſchen Lot-
terie anſehnliche , aber wuͤſte Laͤndereien am
Ohio . Bei der Entfernung , und dem langen
Kriege , waren alle Nachforſchungen fruchtlos .
Man nannte die Beſitzungen , ſcherzend , die Guͤ-
ter im Monde . Der Vater war todt , der Bru-
der blieb im Kriege , die Mutter folgte ihren
Lieben in kurzen nach , und hinterließ ihrem
juͤngſten Sohne ein kleines Vermoͤgen , nebſt
den Urkunden uͤber die amerikaniſchen Laͤndereien .
Walter hatte keine nahen Verwandten , und
keine lockenden Ausſichten in den bedraͤngten
Laͤndern der alten Welt , daher nahm er ſein
ganzes Eigenthum zuſammen , und folgte ſeinem
ſchweizeriſchen Freunde luſtig in die neue . Er
wurde der unzertrennliche Gefaͤhrte ſeiner Wan-
derungen , und durchſtreifte auf dieſen auch ſeine
Beſitzungen . Jhre Lage und ihr ergiebiger
Boden entzuͤckten ihn . Sie wurden , unter Auf-
ſicht der Ohio-Geſellſchaft , verwaltet , doch nur
aͤußerſt nachlaͤſſig , da ſich kein Eigenthuͤmer mel-
dete ; kaum der funfzigſte Theil war urbar , und
dennoch fand er dieſen ſchon hinreichend ſeinen
Unterhalt zu ſichern . Er eilte , ſich als rechtmaͤ-
ßigen Beſitzer auszuweiſen , und denkt jetzt dar-
auf , ſich in den Stand zu ſetzen , dort angenehm
und bequem zu leben . Dieſe Angelegenheit , iſt
eine Hauptunterhaltung der jungen Maͤnner ,
woran auch ich immer mehr Theil nehme . Der
Jtaliener nennt den jungen Mann , ſcherzend ,
bald Fuͤrſt Walter , bald Walter Robinſon ,
Stauffach und Mucius nennen ihn nur den
Penn von Kentucky .
Einige Wochen ſpäter .
Große Freude ! gedraͤngte Neuigkeiten und
Begebenheiten ! Was ſoll ich Dir zuerſt er-
zaͤhlen ? und in welcher Reihefolge ? Doch mit
dem , was das Herz beſchaͤftigt , fange ich an .
William iſt angekommen , und ich habe Deine
lieben Briefe erhalten . William iſt hier , und
ich athme aus , voller leichter Bruſt . Als die
Nachricht aus dem Hafen einlief , der Wa-
ſhinton gehe vor Anker , erblaßten wir alle , und
mein Herz ſchlug kaum hoͤrbar . Doch als der
edle Menſch , mit ſeiner feſten Haltung , ins Zim-
mer trat , und ſein freundliches , Zutrauen for-
derndes Auge auf mich warf , da war ploͤtzlich
meine Aengſtlichkeit verſchwunden , und ich eilte
ihm mit ſchweſterlicher Zaͤrtlichkeit entgegen . Er
bewillkommte mich mit ſeiner alten Herzlichkeit ;
ſein Blick ruhete lange auf mir , und uͤberflog
dann die kleine Verſammlung . Jch finde ſie ſo
gluͤcklich wieder , ſagte er , wie meine Freund-
ſchaft es nur wuͤnſchen konnte ; ihre Geſundheit
ſcheint auf ihrer Reiſe viel bluͤhender geworden ,
und der Kreis ihrer Freunde hat ſich angenehm
vermehrt . Jch habe den aͤlteſten wieder gefunden ,
erwiederte ich , und in demſelben Augenglicke warf
ſich Mucius an ſeine Bruſt , und bat mit ſeiner
ruͤhrenden ſchoͤnen Stimme : O laſſen ſie mich
auch der ihrige werden , edler Mann . William
war betroffen , aber bald fragte er : Mucius ? —
Er iſts ! mein verlorener , wieder gefundener
Mucius , rief ich . Er blickte von ihm auf mich ;
ein leichter Krampf zuckte um ſeinen Mund ,
und eine Blaͤſſe uͤberflog ploͤtzlich ſein Geſicht ,
doch mit ſchnellem Uebergange ſchoß der ge-
hemmte Blutſtrom verdoppelt in ſeine Wangen ;
er ſchloß uns beide zugleich , mit Heftigkeit , in
ſeine Arme , und rief : willkommen an dem Her-
zen eures Bruders ! dann gruͤßte er die Uebri-
gen , und beantwortete die Fragen ſeines Vaters
mit der gewohnten Klarheit und Ruhe . Die
Mutter betrachtete ihn oft unvermerkt von der
Seite , und ſchuͤttelte heimlich den Kopf , doch
ſchien auch ſie froh , daß der gefuͤrchtete Augen-
blick voruͤber war . Nun ging es an ein er-
zaͤhlen und erkundigen , daß die Mitternacht ,
ganz unbemerkt , uͤber unſre Verſammlung herein
brach . Jm Ganzen hoͤrten Mucius und ich
nichts Unerwartetes . Daß ein einziger Schlag
entſcheiden wuͤrde , hatten wir freilich nicht vor-
aus ſehn koͤnnen ; wenn es aber doch ſo enden
mußte , ſo war es gut fuͤr Frankreich , daß es
ſchnell endete . Der Held des Trauerſpiels wird
hier ſehr verſchieden beurtheilt . Bei Extremen ,
denke ich , liegt die Wahrheit ziemlich in der Mitte ,
die Zeit , das Endurtheil zu ſprechen , iſt noch und
lange nicht erſchienen . Der Ort ſeines kuͤnfti-
gen Aufenthalts intereſſirt mich ſehr , ich kenne
die gluͤckliche Jnſel . O , koͤnnte ich ihm meine
Ruhe geben , er wuͤrde dort gluͤcklich leben ! Frei-
lich macht der Gedanke , gefangen zu ſeyn , eine
Aenderung ; aber auch in Feſſeln iſt der Weiſe
frei , und ein koͤniglicher Gefangener , gebietet
ſeinen Waͤchtern .
Wie ſehr die neueſten Begebenheiten Europa
erſchuͤttern , davon ſpuͤrt man hier beſonders
die Wirkungen an dem Heere der Ausgewander-
ten , welche in den hieſigen Haͤfen landen .
Wie die Moͤven , beim drohenden Sturme , an
das Ufer eilen , ſo verlaſſen die Menſchen den
gaͤhrenden Welttheil und fliehen zu unſeren
Friedenskuͤſten . Auch Elliſons Schiff hat inter-
eſſante Fluͤchtlinge an Bord genommen , waͤh-
rend es in einem niederlaͤndiſchen Hafen ankerte ;
einen deutſchen Mechaniker Nahmens Franke ,
nebſt Frau und zwei Schweſtern , einen Bau-
meiſter aus Verona , einen florentiniſchen Arzt ,
mit ſeiner Schweſter , und einen niederlaͤndiſchen
Kunſtgaͤrtner , mit ſeiner Frau , ſaͤmtlich gebil-
dete Menſchen , jung und lebensfroh , welche
hier ein beſſeres Fortkommen , und ein freieres
Daſeyn ſuchen . Die lange Reiſe hat ſie mit
William eng befreundet , welchem beſonders die
Maͤdchen mit unſchuldiger Freundlichkeit entge-
gen kommen . Er zeichnet darunter die juͤngſte
der deutſchen , mit einigem Wohlgefallen , aus .
Philippine iſt innig vergnuͤgt uͤber dieſen Zuwachs
unſerer weiblichen Geſellſchaft , und macht die
Wirthinn mit ſo vieler Anmuth , daß die Frem-
den ſich ſchon ganz einheimiſch finden .
Seit geſtern Abend iſt unſer munterer
Kreis etwas verſtoͤrt , durch die Unpaͤßlichkeit
des Vaters Elliſon . Die Symptome ſind be-
denklich , unſer Florentiner fuͤrchtet das gelbe
Fieber , und ermahnt uns alle , einen andern
Aufenthalt zu waͤhlen , er ſelbſt weicht nicht
von dem Kranken , hat aber um den Beiſtand
des Hausarztes gebeten . Die Geſellſchaft ver-
ſammelt ſich jetzt auf dem Landhauſe . Jch
werde die Nacht in der Stadt zubringen , um
Philippinen abzuloͤſen , welche , nebſt der Mutter
die vorige Nacht durchwacht hat . Mucius
und William wollten mich daran verhindern ,
ich ſtellte ihnen aber vor , wie oft der eine den
Schlacht- der andere den Seeſturm beſtanden ,
mit feſter Treue in ihrem Beruf . Des Wei-
bes Beruf iſt , am Krankenbette Pflege zu lei-
ſten , ſezte ich hinzu .
Die Lage wird gefaͤhrlicher . Das gelbe
Fieber iſt nicht mehr zu bezweifeln ; auch die
Mutter huͤthet das Bett . Das Haus iſt geſperrt ,
die Gemeinſchaft mit dem Landhauſe iſt gaͤnz-
lich aufgehoben , wozu ich freiwillig das meiſte
beigetragen habe . Wie koͤnnte ich Mucius ,
Philippine und William in Gefahr wiſſen !
Jch habe den erſteren in einigen Zeilen beſchwo-
ren , die Geſchwiſter mit Gewalt zuruͤck zu halten
wie es ſelbſt die Aeltern wuͤnſchen ; uͤber mich
mag die Vorſicht walten . Sollte mich die
Krankheit ergreifen , ſo konnte dieß ſchon bei
der erſten Nachtwache geſchehen ; aber ich
hoffe auf meinen Muth , und vernachlaͤſſige
keines der Mittel , welche mir Salvito , der
Florentiner , empfiehlt . Dieſer haͤlt treulich mit
mir aus . Das Studium ſeiner Kunſt verdraͤngt
bei ihm jede , andere Ruͤckſicht ; mich beſeelt
Dankbarkeit und Freundſchaft , ich kann die gu-
ten Alten nicht unter fremde , bezahlte Waͤrter
wiſſen , und theile meine Pflege zwiſchen ihnen .
Jhr zufriedenes Winken , ſo oft ſie zum Be-
wußtſeyn kommen , lohnt mir dafuͤr .
Es iſt voruͤber . Dieſes Uebel endet ſchnell .
Armer William ! arme Philippine ! verwaiſt ,
ganz verwaiſt ! mein Herz blutet mit . Ach
ich habe ihren Schmerz empfunden ! Sie ſind
um vieles gluͤcklicher , als ich es war , ſie trauern
gemeinſchaftlich .
Noch immer bin ich die Schaffnerinn dieſes
veroͤdeten Hauſes , welches kein fremder Fuß zu
betreten
betreten wagt . Heute , in der Stille der Mit-
ternacht , werden Salvito und ich die dichtver-
ſchloſſenen Saͤrge der verſtorbenen Gatten zur
Gruft geleiten . Verhuͤllte , ſcheue Leichentraͤger
werden die einzigen Begleiter ſeyn , und John ,
der treue John , welchen nichts abhalten konnte ,
ſeinem Wohlthaͤter noch ein Mahl zu ſehen .
William hat auch zu uns gewollt , aber man
hat es verhindert . Philippine liegt krank , wie
mir John ſagt , Gott verhuͤthe daß ſie ſchon
von dieſer fuͤrchterlichen Krankheit ergriffen
iſt , deren Ausbreitung die Geſundheits-Po-
lizei , mit großer Wachſamkeit , zu verhindern
ſtrebt . Morgen werden wir , auf dem Hofe
des Hauſes , das ſaͤmmtliche Mobiliar , mit Waͤ-
ſche und Kleidungsſtuͤcken , verbrennen . Jch werde
ein Bad nehmen , und mich unmittelbar darauf
in friſche Waͤſche und Kleider huͤllen , welche
man mir von außen reichen wird . Dann ver-
laſſe ich dieß traurige Haus des Todes , um wie-
der aufzuleben in den Armen der Liebe , und
den leidenden Freunden bei zu ſtehn ; Salvito und
John werden mich begleiten .
Zweiter Theil. [6]
Vom Landhauſe , nach 14 Tagen .
Alles iſt gluͤcklich uͤberſtanden . Trotz der
beobachteten Vorſicht , war ich doch nicht ohne
Beſorgniß fuͤr meine Lieben , und naͤherte mich
ihnen , nur auf einem weiten Umwege , laͤngs den
Ufern des Delaware . Aber wir ſind ſaͤmmtlich
geſund geblieben , und Philippinens Krankheit
war nur eine Wirkung ihres bewegten Gemuͤths ,
uͤber welches die Zeit und des Freundes Troſt
ſchon einige Macht gewinnen . Wir trauern ge-
meinſchaftlich uͤber den Tod des gaſtfreundlichen
Paares , deſſen kleine Schwaͤchen , mit der irdi-
ſchen Huͤlle abgelegt wurden . Gluͤcklich preiſen
wir ihr Loos , daß ſie , nach langer Vereinigung ,
faſt zugleich und ſo ſchnell , die Erde verließen .
Jeder von uns wuͤnſcht , ſo dereinſt mit dem Ge-
faͤhrten ſeines Lebens , Hand in Hand , die große
Reiſe an zu treten .
Wir haben uns hier foͤrmlich mit einander
eingerichtet , eine kleine freundliche Kolonie , und
es iſt uns ganz undenkbar , uns wieder von ein-
ander zu trennen . Der Plan , mit Walter an
den Ohio zu ziehen , gewinnt immer mehr Fe-
ſtigkeit ; ſelbſt Elliſon will ſein , und ſeiner Schwe-
ſter Vermoͤgen aus der Handlung nehmen , und
uns begleiten . Die Maͤnner gedenken noch in
dieſem Herbſt eine Reiſe dahin zu machen , und
das noͤthige zu ordnen . Wir zaͤrtliche Dulci-
neen werden ihre Ruͤckkunft mit Sehnſucht er-
warten , denn unſre Herzen ſtehen ſaͤmmtlich
unter Amors Macht , und der Fruͤhling wird
mehr als ein Eheband knuͤpfen . Philippine und
Pinelli werden Mucius und mich zum Altar
begleiten , wahrſcheinlich auch William und die
ſanfte Marie Frank ; Salvito wirbt um Thereſe
Frank , und Antonio , der Veroneſer , ſcheint die
ſchoͤne Florentinerinn Roſalva zu lieben . Noch
ein liebendes Paar iſt , ſeit einigen Tagen , zu
uns gekommen : Dupont , ein Franzoſe , iſt mit
ſeiner jungen Braut hier her gefluͤchtet , um ein
Buͤndniß zu ſchließen , dem in ihrer Heimath
große Hinderniſſe im Wege ſtanden . Er iſt
Proteſtant , und die beginnenden Verfolgungen
ſeiner Glaubensgenoſſen , drohten ihn auf immer
von ſeiner katholiſchen Geliebten zu trennen .
*
Welch ein Verein von jungen muntern Koloni-
ſten ! Noch nie iſt wohl ein kleiner Staat , unter
ſo guͤnſtigen Vorbedeutungen , gegruͤndet worden .
Die kuͤhlere Herbſtluft hat den Fieberſtoff
zerſetzt , und die Beſorgniß einer allgemeinen An-
ſteckung iſt verſchwunden , es zeigt ſich keine
Spur mehr davon . Unſre Geliebten ſind ab-
gereiſt , von John und ſeinen Soͤhnen begleitet ,
Humphry iſt zu unſrem Schutze hier geblieben .
Wir verlaſſenen Frauen vertreiben uns die Zeit ,
ſo gut es ſich thun laͤßt ; wir gehen und fahren
aus , machen Muſik , und arbeiten . An Stoff zur
Unterhaltung fehlt es uns nicht . Die furchtſa-
men Weibchen zittern vor den Gefahren , welche
ihre Maͤnner in dem wuͤſten Lande treffen koͤnnten ,
und nehmen mit ihren tauſend Fragen ihre Zu-
flucht zu mir , ich bin ihre Heldinn , die Allen Muth
zuſpricht . Jch darf reden , meinen ſie , denn ich
habe ja die Gebirge durchreiſt , habe die Waſ-
ſerfaͤlle geſehen , und die Wilden , Gazellen und
Woͤlfe , ja ſelbſt in einiger Entfernung einen
Baͤren , und ich lebe noch . Was noch mehr , ich
ſehne mich in die Urwaͤlder zuruͤck , in die Frei-
heit des goldenen Zeitalters . Meine Beredtſam-
keit reißt alles mit ſich fort ; man wuͤnſcht die
Zeit herbei , wo der Voͤlkerzug beginnen ſoll ,
unfehlbar geſchieht dieß in den erſten Fruͤhlings-
tagen .
Es ſcheint als ob wir auch noch ganz junge
Koloniſten mit nehmen ſollten . Die junge Frank
und Vanhuſens niedliches Weibchen ſind guter
Hoffnung . Wir Maͤdchen haben uns vereinigt ,
den kleinen Ankoͤmmlingen eine foͤrmliche Aus-
ſteuer zu bereiten , und da iſt denn ein Wett-
eifer im ſticken , ſtricken und naͤhen , daß es eine
Luſt iſt , unſern emſigen Zirkel zu ſehen , welcher
ſich um den flammenden Kamin bildet , oder um
den dampfenden Theetiſch . Hin und her gau-
kelt das freundliche Koſen , manch nackendes
Wort von den Lippen der ſchalkhaften Weibchen
roͤthet die Wangen der Maͤdchen . Zephyrine ,
meine junge , muntre Landsmaͤnninn , vergilt ihnen
Arges mit Argem , und uͤberfluͤgelt ſie oft mit
ihren Witz . Dieß liebliche Maͤdchen hat die
Neigung Aller im vorzuͤglichen Maße . Sie nennt
ſich ſelbſt unſer verzogenes Kind , ſpielt tauſend
kleine Eulenſpiegelſtreiche , und wir lieben ſie da-
rum nur deſto mehr . Sie gleicht ihrem Na-
mensbruder , dem Weſtwinde , der unter Blumen
ſpielt , und Balſamduͤfte ſtiehlt und gibt .
Freude uͤber Freude ! Unſre Ritter ſind gluͤck-
lich zuruͤck gekehrt , und haben die froheſten Nach-
richten mit gebracht ; alles iſt vortrefflich gefun-
den worden . Elliſon und Mucius haben noch
einen großen Bezirk hinzu gekauft , wovon der
kultivirte Theil mit Walters Erbſchaft zuſam-
men hangt . John und ſeine Soͤhne ſind zuruͤck-
geblieben , um uͤber die Arbeiter die Aufſicht
zu fuͤhren , wozu Walter Tageloͤhner aus Louis-
ville gedungen hat . Unſer Baumeiſter hat die
Riſſe zu den vorlaͤufigen Gebaͤuden entworfen ,
und auch dieſe werden wir , durch den Fleiß
reichlich bezahlter Handwerker , fertig finden .
Dann aber werden wir aller Außenhuͤlfe entſa-
gen , und die junge Kolonie wird fuͤr ihre Be-
duͤrfniſſe ſelbſt ſorgen . Hierzu werden alle noͤ-
thigen Vorkehrungen getroffen . Alles iſt voll
Leben und Thaͤtigkeit , wir Alle ſind nur von
einem großen Gedanken begeiſtert . Mucius ent-
wirft den Plan zu einem kleinen Staate , in wel-
chem Freiheit und Gleichheit verwirklicht werden
ſollen ; jeder Abſchnitt des Entwurfs wird der
Generalverſammlung , in welcher auch wir Wei-
ber eine halbe Stimme haben , vorgelegt und ,
nach Stimmenmehrheit , angenommen , oder ab-
geaͤndert , und ich denke , es wird eine Verfaſſung
zu Stande kommen , woran mehrere Menſchen-
alter nichts zu flicken finden werden . Ewig iſt
am Ende nichts , ſelbſt das Sonnenſyſtem be-
kommt nach Jahrtauſenden einen andern Po-
larſtern .
Unſre jungen Weibchen ſind von zwei mun-
tern Knaben entbunden worden . Wir werden
den Tag , an welchem ihnen Nahmen beigelegt
werden ſollen , mit der Vermaͤhlung ſaͤmmtlicher
Paare feiern , und erwarten dazu nur die gaͤnz-
liche Wiederherſtellung der Muͤtter . Auch wir
haben manches zu beſchicken fuͤr den neuen
Haushalt , welcher zwar ſehr einfach , aber doch
aͤußerſt bequem eingerichtet wird ; ſelbſt unſre
Kleidung wird gaͤnzlich umgeſtaltet .
Der Mechanikus iſt beſchaͤftiget , unter den
erfundenen Maſchinen die zweckmaͤßigſten zu
waͤhlen ; denn in einer jungen Kolonie allein
iſt es von unbeſtrittenem Vortheil , Menſchen-
kraft und Haͤnde zu erſparen . Es wird jetzt
von nichts geſprochen , als von Saͤemaſchinen ,
Dreſchmaſchinen , Spinnmaſchinen , Webemaſchi-
nen , u. ſ. w. Auf der andern Seite , zieht
Walter Erkundigungen ein , wo die beſten Arten
des Rindviehes , der Schafe , u. ſ. w. zu haben
ſind . Vanhuſen handelt Saͤmereien , Setzbaͤume ,
und Pfropfreiſer ein . Johns ganze Familie ,
( meine Korally iſt verheirathet ) nebſt noch zwei
Schwaͤgern und ihren Kindern , ruͤſten ſich zum
Aufbruch , und werden uns begleiten , ſechzehn
Neger und Negerinnen , die Kinder ungerechnet .
Sie werden ein Doͤrfchen , in der Naͤhe des un-
ſrigen , beziehen , und uns beim Feldbau zur
Hand gehen , auf welchen ſich die meiſten voll-
kommen verſtehn . Daneben werden Sie hin-
reichende Laͤndereien und Vieh erhalten , und
uͤberhaupt ſo geſetzt werden , daß ſie , als wohl-
habende Grundbeſitzer , faſt uns gleich leben koͤn-
nen . Unter den ſcharenweiſe ankommenden deut-
ſchen Ausgewanderten , haben Walter und Frank
zehn tuͤchtige und wackere Handwerker ausgewaͤhlt ,
welche mit ihren Familien gleichfalls ein Dorf in
unſrer Naͤhe , Landeigenthum und vortheilhafte
Bedingungen erhalten . Mit ihnen ſowohl , als
mit den Negern , ſind Vertraͤge auf zehn Jahre
geſchloſſen , und ich hoffe , ſie werden , nach ihrem
Ablaufe , von beiden Seiten , gern verlaͤngert
werden .
Schon ſcheint die Sonne waͤrmend auf das
junge Jahr , die Tulpenbaͤume in unſren Gaͤr-
ten treiben mit den Tulpen der Beete um die
Wette , und die geſelligen Sangvoͤgel kehren aus
den waͤrmeren Zonen unter unſre Zederngebuͤſche
zuruͤck . Morgen iſt die große Feier der Hyme-
naͤen ; morgen vereint mich ein oͤffentlicher Schwur ,
auf ewig , mit meinem Mucius . O , koͤnnteſt
Du uns heute ſehen , an dieſem Tage der ſeligen
Vorfeier ! Jedes Auge glaͤnzt noch ein Mahl
ſo hell , jede Rede klingt gleich einer Jubel-
hymne . Die ganze Verſammlung ſcheint ein
wenig naͤrriſch . Pinelli und Philippine , Du-
pont und Zephyrine , Salvito und Thereſe , tan-
zen um die Wette , Antonio und Roſalva ver-
ſtecken und ſuchen ſich durch alle Lauben , waͤh-
rend William und ſeine ſanfte Marie , Walter ,
und ſein Freund , der Schweizer , mit einem paar
ſchoͤner Maͤdchen , den Jugendgeſpielinnen Phi-
lippinens , ſich , innerer Seligkeit voll , die Haͤnde ,
druͤcken , und ſchweigend in die blauen Augen
ſchauen . Von mir und Mucius muͤßte ich ei-
gentlich auch ſprechen , meinſt Du ? Je nun ,
liebe Adele , uns wird unſer Schellenkaͤppchen
auch nicht fehlen , wir bemuͤhen uns nur , es mit
Anſtande zu tragen , wie es ſo alten Liebesleute
geziemt . Die Stuͤrme des Schickſals haben
ihr moͤgliches gethan , einen Theil des Bluͤthen-
ſtaubes von den Schmetterlingsfluͤgeln unſrer
Liebesgoͤtter ab zu ſtreifen ; an dem Laͤcheln der
Ehepaare ſehe ich jedoch , daß die loſen Buben
uͤberall hervorgucken . O koͤnnteſt Du mir doch
den Brautkranz winden , meine traute Adele !
Mucius uͤbernimmt es au Deiner Statt , jeder
Verlobte flicht ihn der Verlobten . Lebe wohl Du
Freundinn meiner Kindheit ! zum letzten Mahle
ſchreibt Dir das Maͤdchen Virginia , das naͤchſte
Mahl Mucius Gattinn .
Wir ruͤſten uns zur Abreiſe . Alle verlaſſen
dieſe gaſtliche Gegend , ohne die leiſeſte Reue . An
der Hand des Geliebten wandelt man ja freudig
zur Unterwelt , um wie viel lieber alſo einem ſtil-
len Paradieſe entgegen , wie wir es zu finden hof-
fen . Selbſt Walters und Stauffachs Gattinnen ,
Fanny und Lucia , verlaſſen ihre Verwandten , ohne
Schmerz . Jn ihren Familien iſt dieſe Tren-
nung nichts mehr , als wenn man bei Euch von
Lyon nach Avignon zoͤge . Die Wanderungsluſt
iſt hier uͤberhaupt faſt anſteckend . Der Ameri-
kaner hangt bei weiten nicht ſo feſt an der
Erdſcholle , auf welcher er gebohren wurde , als
der Europaͤer , und liebt die Ortsveraͤnderung .
Ob dieß in allen Kolonien der Fall ſeyn mag ,
oder ob es der Reichthum des Bodens iſt , wel-
cher die Anſiedler ſo maͤchtig nach dem Jnnern
zieht ? haͤufig verlaſſen ſie ihre muͤhſam ange-
baueten Pflanzungen nach wenig Jahren , und
ſuchen weiterhin einen fetten Erdſtrich , wo ſie
mit gleicher Anſtrengung einen neuen Anbau
beginnen . Selbſt die Pflanzer auf unſern nun-
mehrigen Beſitzungen , haben dieſe mit Freuden
verkauft , um ſich in Louiſiana und an dem Miſ-
ſouri anzuſiedeln , mitten unter wilden kriegeri-
chen Staͤmmen . Ob dieſer Geiſt ſich auch un-
ſrer jungen Kolonie bemaͤchtigen wird ? ich glaube
nein . Wir werden gluͤcklicher ſeyn , als dieſe
vereinzelten Pflanzer , und unſere Kinder wer-
den den Boden lieben , wo ſie ihre gluͤckliche
Kindheit durchſpielten ; wir werden eine Verfaſ-
ſung haben , und Vortheile genießen , welche man
außer unſern Graͤnzen vergebens ſuchen wuͤrde .
Du kennſt unſere froͤhliche Geſellſchaft ,
welche ſich in Marſch geſetzt hat . Wahrlich
ein Voͤlkerzug . Saͤmtliche Maͤnner zu Pferde ,
die Frauen und das Geraͤth , Proviant und
Maſchinen , auf ſechzehn Wagen , die Herden .
unter Leitung der Neger . Unſere Handwerker be-
ſtehen in einem Schmid , Stellmacher , Zimmer-
mann , Tiſchler , Schuhmacher , Toͤpfer , Glas-
macher , Kupferſchmid , Leinweber und in einem
Tuchweber , ſaͤmmtlich verheirathet und , zum
Theil , mit halb erwachſenen Kindern ; alles
ruͤſtige Menſchen , welche auch bei dem Feldbau
von Nutzen ſeyn werden . Humphry wollte
ſich durchaus nicht von ſeinem Herrn trennen ,
und wird ſich bei uns anſiedeln , wo er dann
unter einigen huͤbſchen deutſchen Maͤdchen die
Wahl haben wird . Wir gehen durch Virginien ,
und am Fuß der Gebirge hin . Die Weide-
plaͤtze fuͤr unſer Vieh beſtimmen unſern Weg ,
weßhalb wir die Staͤdte , und auch groͤßten
Theils die Pflanzungen vermeiden , wo das
Eigenthumsrecht uns Streitigkeiten zuziehen
koͤnnte . Um friſchen Proviant einzuhandeln wer-
den Seiten-Patrouillen abgeſchickt , das meiſte
verſchafft uns die Jagd . Wir lagern unter
freiem Himmel , welches ich ſchon von meiner
Reiſe her ſehr gewohnt bin , meinen Gefaͤhr-
tinnen aber anfangs ſehr ſonderbar vorkam .
Zephyrine nennt uns nicht anders , als die Zigeu-
nerhorde , und Mucius den Hauptmann . Sie
iſt aͤußerſt , drollig , wenn ſie Abends um die
Feuer her gauckelt und , in ihrem angenommenen
Zigeuner-Karakter , uns allen wahrſagt . Am
poſſierlichſten iſt es dann , wenn ſie unter die
Deutſchen geraͤth , welchen ſie ſich nicht ver-
ſtaͤndlich machen kann , und welchen ſie kein
Wort verſteht . O , wie ſchoͤn iſt hier die Na-
tur ! Die Tulpenbaͤume ſtehen in voller Bluͤthe ,
neben ihnen die zarte Akazie mit ihren weißen
duftenden Bluͤthenbuͤſcheln ; Der ſchattende
Plantan und ſein Bruder , der Zuckerahorn ,
ſchuͤtzen uns gegen die Strahlen der brennend
heißen Sonne ; Jasmin , Geißblatt und Roſen
bilden Lauben und Waͤnde , und erfuͤllen die
Luft mit Balſamduͤften ; die Hoͤhen ſind mit
Zedern , Tannen und Eichen bekraͤnzt , uͤberall
vermaͤhlt ſich der Norden mit dem heißeren
Suͤden . Wie wird es ſeyn in unſerem lauen
Thale am ſchoͤnen Ohio ! Wir werden auf Louis-
wille gehen , um uns noch mit einigen Beduͤrf-
niſſen zu verſehn ; dann gehts nach Eldorado ,
wie wir unſere Landſchaft getauft haben , um
es nimmer wieder zu verlaſſen . Moͤchte es
doch , wie jenes Eldorado des Kandide , jedem
Fremden unauffindbar ſeyn ! Zwar wird er
dort keine Goldſtuͤcke , keine Rubinen zu entwen-
den finden , aber er wuͤrde die Ruhe und den
Frieden unterbrechen , welche dort ihren Wohnſitz
aufſchlagen werden . Fern von dem unruhigen
Treiben der Welt , werden unſere Tage dahin
fließen , wie der Wieſenbach deſſen Wellen , kein
Sturm empoͤrt ; kein Ehrgeiz kein Gelddurſt :
wird unſre Herzen bewegen , welche nur fuͤr die
Liebe und die ſanften Gefuͤhle der Freundſchaft
ſchlagen ; politiſche Meinungen werden uns ſo
fremd ſeyn , als Religionsſtreitigkeiten ; keine Mo-
dethorheit wird uns beruͤhren , kein Nichter
Streitigkeiten veranlaſſen , kein Fuͤrſt Befehle
ertheilen , kein Prieſter unſern Glauben meiſtern .
Das goldene patriarchaliſche Daſeyn hebt fuͤr
uns an , wo alle Menſchen Bruͤder waren ; und
welchen Schatz von Kenntniſſen und Fertigkeiten
nehmen wir mit in dieſes Leben hinuͤber ! Wie
doch ſo anders muß es ſich geſtalten , als in
jener Urzeit menſchlicher Kindheit .
Eldorado , im Junius 1816
Angelangt ſind wir in Edens bluͤhendem
Garten . Kein erzuͤrnter Engel wehrte uns den
Eingang ; freundlich wurden wir von dem Graͤnz-
gott , freundlich von den friedlichen Laren em-
pfangen . Wir mußten den Kentucky hinauf
gehen , bis faſt zu ſeinem Urſprung , um einen
Uebergang zu finden in unſer Paradies . Sehn-
ſuͤchtig blickten wir hinuͤber , wie einſt die Kin-
der Jſrael nach den blauen Bergen , welche
ſie noch von dem gluͤckſeligen Arabien trennten .
Zephyrine verglich uns hundert Mahl mit ihnen ,
und Mucius mit ihrem Fuͤhrer und Geſetzgeber .
Jn ihrer froͤhlichen Laune , reich an Anſpielun-
gen und Gleichniſſen , nannte ſie Walter und
Stauffach Joſua und Kaleb , welche uns die
goldene Traube gezeigt , damit wir geduldig durch
die Wuͤſte folgen moͤchten , wie die Rinder dem
ſalzſpendenden Hirten ; die Deutſchen , meinte ſie ,
waͤren die aͤgyptiſchen Ziegelſtreicher und Frohn-
knechte , welche durch den langen Zug erſt gelaͤu-
tert werden muͤßten , und wuͤrdig gemacht , zur
Gruͤndung der neuen Kolonie . Nur bat ſie , daß
die Pruͤfungszeit nicht auf vierzig Jahre aus-
gedehnt
gedehnt werden moͤge , weil ſie noch wuͤnſche ,
im gelobten Lande um den Bundesaltar zu tan-
zen , ehe ſie Runzeln habe , und der Kruͤcke be-
duͤrfe .
Endlich fuhren wir durch den Fluß und ,
nach einer Tagereiſe , uͤber eine Huͤgelkette von
ziemlicher Hoͤhe . Auf der Spitze des letzten
Berges , rief Walter : wir ſind am Ziel ! Und
zu unſern Fuͤßen lagen weit hin die gruͤnen be-
bluͤmten Savannen , wie ein geſtickter Teppich ,
welchen links ein dunkler Urwald , rechts der
blaue Kentucky mit ſeinen Silberpappeln und
babiloniſchen Weiden beſaͤumt . Ein allgemei-
ner Freudenruf , toͤnte durch die Luͤfte ; wir
ſprangen alle zu gleicher Zeit auf , und liefen
mit ausgebreiteten Armen jauchzend den Berg
hinunter . Hier , auf der Graͤnze unſres Gebie-
tes , fielen wir alle , mit namenloſem Entzuͤcken ,
auf den heiligen Boden nieder , wie vom Sturm
verſchlagene Seefahrer , am Ufer eines wirth-
baren Eilandes . Wir umarmten die Pflanzen ,
umarmten einander , die Buſen ſchlugen hoch
auf , und Thraͤnen der ſuͤßeſten Freude traͤufel-
ten auf die Blumen herab . Es dauerte lange
Zweiter Theil. [7]
ehe dieſer ſelige Rauſch ſich in Betrachtung der
neuen Gegenſtaͤnde aufloͤſte . Selbſt die kaͤltern
Deutſchen , ſelbſt die ungebildeten Schwarzen
theilten dieſe ſchwaͤrmeriſche Freude , ſie umarm-
ten einander und uns . Dieſer Augenblick machte
uns zu einem Volke , aller Unterſchied der Farbe ,
der Heimath , der Bildung , war vernichtet , wir
wurden alle Bruͤder , mit gleichen Rechten und
gleichen Pflichten .
Nun ging der froͤhliche Zug laͤngs dem Ken-
tucky hin , welcher geraume Zeit unſer Wegweiſer
blieb . Erſt am folgenden Morgen verließen
wir ſeine reichen Ufer , um durch einen Ahorn-
wald einen naͤhern Weg zu unſern Wohnungen
zu nehmen , welche wir im letzten Schimmer
der Abendſonne vor uns liegen ſahen ; Du kannſt
daraus auf die Groͤße unſeres Gebietes ſchlie-
ßen . Es wird gegen Norden vom Kentucky ,
gegen Weſten vom Ohio , gegen Suͤden vom
Schawanoe begraͤnzt , im Oſt-Nord ſchließt
eine Huͤgelkette , an welche ſich eine undurch-
dringliche Waldung lehnt , in welcher noch
nie der Schall einer Axt gehoͤrt worden , und
deren Alter vielleicht bis zur juͤngſten Umgeſtal-
tung der Erde hinauf reicht . Ganze Baumge-
ſchlechter gingen hier unter , und neue wuchſen
auf ihren Truͤmmern , ſtark und friſch empor .
Unſer Wohnort liegt am Schawanoe , unweit
ſeines Eiufluſſes in den Ohio , den ſchoͤnen ,
welcher mit Recht dieſen Nahmen fuͤhrt ; es
iſt eine lachende Ebene , deren Fruchtbarkeit jede
Beſchreibung uͤbertrifft . Freundliche Gebuͤſche
wechſeln mit den grasreichen Matten , und be-
pflanzte Huͤgel durchlaufen die Aehrengefilde .
Jenſeits des Ohio erhebt ſich ein dichtbewachſe-
ner Gebirgsruͤcken welcher uns gegen den Nord-
weſtwind ſchuͤtzt , und viel zur Milde unſres
Klima beitraͤgt . Als einzelnes , abgetrenntes
Ueberbleibſel dieſes Gebirges , lehnt ſich ein ein-
zelner Fels an den Schawanoe und reicht bis zu
unſern Wohnungen , deren Lage er einen mah-
leriſchen , romantiſchen Anblick gibt . Wir waren
alle davon ergriffen , ganz beſonders aber Pinelli ,
welcher nicht muͤde wird , die verſchiedenen An-
ſichten zu zeichnen . John und ſeine Soͤhne
empfingen uns mit hoher Freude . Die noth-
wendigſten Arbeiten waren vollendet , und die
Arbeiter ſchon ſeit einigen Tagen entlaſſen wor-
den . So ſahen wir denn nur lauter wohlbe-
kannte Geſtalten , und hatten nichts kennen zu
lernen , als die bleibenden Gegenſtaͤnde . Kein
Abſchied ſoll in dieſem gluͤcklichen Erdſtrich ge-
hoͤrt werden , als einſt der Abſchied zur Reiſe
in ein noch ſchoͤneres Land .
Mit freudiger Ruͤhrung fuͤhrten die Maͤnner
jede Familie in ihr bluͤthenumranktes Haus .
Hier zuͤndeten wir ein kleines Feuer in dem
Kamine an , warfen Weihrauch in die gaſtliche
Flamme , umarmten uns , dankten laut dem
Schoͤpfer der Welten , fuͤr dieß kleine Aſyl , und
flehten ihn , uns hier lange und gluͤcklich ver-
einigt zu erhalten . Dann traten wir alle aus
unſern Huͤtten , und gingen vereinigt zu der gro-
ßen Halle , welche die gemeinſchaftliche Kuͤche
und den Verſammlungsſaal enthaͤlt . Auf dem
Herde wurde das Feuer entzuͤndet , Weihrauch
und Mais hinein geſtreut , und weihend der
Herd mit Milch und Wein beſprengt . Nun
wurde das Mahl gemeinſam bereitet , und ge-
meinſam an der langen , mit Blumen beſtreueten
Tafel verzehrt . Der Mond blickte hell durch
die offenen Fenſter , und leuchtete uns erſt ſpaͤt
zu unſren verſchwiegenen Huͤtten . Mit der
Sonne dem Lager enteilt , kleidete ſich jeder ,
nach Uebereinkunft , in die gewaͤhlte Landestracht .
Die Maͤnner tragen lange weite , Beinkleider
aus baumwollenem Zeuge , Weſte und Hemds-
aͤrmel , an den Fuͤßen kurze Schnuͤrſtiefeln , ohne
Struͤmpfe , auf dem Kopf einen leichten Stroh-
hut . Wir Frauen hingegen ein weißes kattune-
nes Hemd , mit offenen Aermeln , welches bis an
die Knoͤchel reicht , und die Bruſt bis drei Finger
breit vom Halſe bedeckt , daruͤber ein farbiges
griechiſches Gewand , ohne Aermel , nur bis uͤber
das Knie herab fallend , und unter dem Buſen
geguͤrtet ; das Haar wird geflochten , und gegen
die Sonnenſtrahlen ſchuͤtzt ein Strohhut ; die
Fußbekleidung iſt fuͤr beide Geſchlechter gleich .
Dieſe einfache Tracht wird unabaͤnderlich die
unſre ſeyn , und ſoll der Mode auf ewige Zei-
ten den Eingang verwehren . Bei Regen , oder
rauher Witterung , werden beide Geſchlechter ei-
nen Tuchmantel tragen , und bei ſchmutziger Ar-
beit einen Ueberwurf aus grauer Leinwand . Du
glaubſt nicht , wie unbeſchreiblich reizend dieſe
neue griechiſche Kolonie ſich ausnahm , als ſie
durch das roͤthlich beſonnte Thal , mit Blumen-
kraͤnzen in den Haͤnden , zur Tempel-Weihe zog .
Glaͤnzend in der Morgenſonne , lag auf einer
ſanften Anhoͤhe , der heitere Tempel vor uns .
Stufen fuͤhren ringsum zu ihm hinauf , zwoͤlf
Saͤulen tragen die einfache runde Kuppel , keine
Waͤnde wehren dem Lichte ; in der Mitte ſteht der
Altar , rund wie das Gebaͤude , mit der Jnſchrift :
dem Unbegreiflichen , Ewigen , Einzi-
gen ; ein breiter Marmorrand ſchließt , oben die
Vertiefung ein , wo die Opferflamme lodert .
Hier hingen wir unſere Kraͤnze an dem Altar und
den Saͤulen auf , Mucius zuͤndete das Feuer
an , und ſprach : „ wir weihen dieſen Tempel dem
Ewigen , dem Schoͤpfer und Regierer des Welt-
alls , der in jeder Menſchenbruſt wohnt ! Jhm
weihen wir unſere Herzen ! Wir erkennen , daß
menſchliche Vernunft , ſich nicht bis zu ihm er-
heben kann , ſo wenig , als wir uns von der
Ewigkeit und Unendlichkeit einen klaren Begriff
zu machen vermoͤgen , daß alſo die verſchiedenen
Vorſtellungen und Mythen der Voͤlker menſch-
liche Erkenntniſſe ſind , und mehr und minder
irren , daß aber in allen eine und dieſelbe Wahr-
heit herrſcht . Er iſt unſer Schoͤpfer und Er-
halter , der Geber alles Guten , Jhm ſind wir
Dankbarkeit und Ergebung ſchuldig . ‟ Wir knie-
ten alle um die heilige Flamme , und im ſtillen ,
heißen Gebet erhoben ſich unſre Herzen zum
Ewigen . Froͤhlich kehrten wir zuruͤck zum ein-
fachen Fruͤhmahle . Dann durchgingen wir un-
ſere naͤchſten Umgebungen , ein wahres Paradies ,
in welchem ſich faſt alle Zonen des Erdkreiſes
zu verbinden ſcheinen . Jtaliens Orangenbaͤume
duften dicht neben den deutſchen Eichen ; die
Dattelpalme Aſiens und der ſuͤdliche Kokos ver-
ſchmaͤhen die Nachbarſchaft der nordiſchen Tanne
nicht , und Libanons Zeder prangt neben den
heimiſchen Tulpenbaͤumen , Zipreſſen , Lerchenbaͤu-
men und Pappeln ; Ahorn , Buchen , Platanen ,
und die weiße Birke der Sumach und die Ta-
marinde , Kaſtanien-Nuß- und Mandelbaͤume ſte-
ſten einzeln und gemiſcht , in mahleriſchen Grup-
pen . Alle Obſtarten der bekannten Welt ge-
deihen hier in einem hohen Grade der Verede-
lung . Kirſchen , Abrikoſen , Apfelſienen , Pfirſi-
chen , Pflaumen , Birnen , Aepfel , Piſang und
Bananen gibt es in groͤßer Menge ; Stauden-
und Rankengewaͤchſe , voll Bluͤthen und Beeren ,
laden alle Sinne zum Genuß . Myrthen und
Roſengeſtraͤuche bilden die Hecken um die umheg-
ten , mit Sorgfalt angelegten Pflanzungen , wo
Vanhuſen die koͤſtlichſten Ananas und Melonen
zieht . Auch den Kaffebaum und die chineſiſche
Theeſtaude hat der Muͤhſame hierher verpflanzt ,
und es iſt Hoffnung zu ihrem Gedeihen . Der
Mais ſteht mit ſeinen breiten Blaͤttern in Man-
neshoͤhe da , und das wallende Korn neigt die
ſchweren Aehren zu Boden . Kartoffeln und
Yams wetteifern an Ergiebigkeit ; die Baum-
wollenſtaude , Lein und Hanf ſtreiten um
den Vorzug ; auch die feineren Gemuͤſe feh-
len nicht , und was mich vor allen entzuͤckt , ich
habe den Oel- und den Maulbeerbaum mei-
ner Provence , und die koͤſtlichſten Rebenhuͤgel
wider gefunden . Wir koͤnnten hier eben ſo , wie
Moſes erſte Menſchen , ein Leben ohne Muͤhe
und Arbeit fuͤhren ; fuͤr alle unſere Beduͤrfniſſe
hat die uͤberreiche Natur im Ueberfluß geſorgt .
Die Dattel , der Kokos , die Kartoffel , die Yams ,
die Kaſtanie , wuͤrden uns nie Mangel leiden
laſſen ; die ſaftigſten Fruͤchte wachſen ohne Pflege ,
der Zuckerahorn und die Palme bieten , ihren
ſuͤßen Saft , der Schawanve fuͤhrt die ſchmack-
hafteſten Fiſche und Krebſe , die Herden und
das Gefluͤgel ſuchen und finden leicht ihre Nah-
rung , und die Waͤlder wimmeln von Wild .
Das wahre Gluͤck kann nur bei den Thaͤti-
gen wohnen , und das wohlthuendſte Gefuͤhl iſt
das Gefuͤhl des erfuͤllten Berufs . Wir haben
daher unſre Zeit , kluͤglich zwiſchen Arbeit und
Erholung , und die verſchiedenen Zweige der
großen gemeinſamen Haushaltung wieder unter
uns getheilt . Mucius , Walter und Elliſon
haben die Beſorgung des Ackerbaues uͤbernom-
men , Pinelli , Stauffach und Vanhuſen warten
der Baumpflanzungen , der Gartengewaͤchſe und
der Rebenhuͤgel , Salvito und Dupont fuͤhren
die Aufſicht uͤber die Herden , und Frank und
Antonio ſorgen fuͤr Wildbret und Fiſche . Die
beiden Muͤtter haben ſich das Kuͤchengeſchaͤft
nicht nehmen laſſen , die raſche Thereſe und ich be-
ſorgen die Milchkammer , Zephyrine und Philip-
pine , den Huͤnerhof , Roſalva und Fanny ſam-
meln die Fruͤchte ein , und die Bereitung der
Baumwolle , des Leins und Hanfs ſteht unter
Mariens und Luciens Aufſicht . Jeder iſt , nach
ſeiner beſondern Neigung und Faͤhigkeit , ange-
wieſen , und huͤpfend und ſingend wird die leichte
Arbeit vollbracht . Die neuen Maſchinen , uͤber
deren Verbeſſerung und Vermehrung , Frank ,
Walter und Antonio vieles berathen , haben die
meiſten Geſchaͤfte weniger beſchwerlich gemacht .
Die verſchiedenen Arten der Pfluͤge machen die
Hacke faſt entbehrlich , und an Zugſtieren haben
wir Ueberfluß .
Mein Milchgewoͤlbe iſt in einer Felſengrotte
durch welche eine immer ſprudelnde Quelle ſich er-
gießt . Bei der jetzigen Hitze ſtellen wir die Gefaͤße
mit Milch auf vier und zwanzig Stunden in den fla-
chen Bach , um dadurch das zu ſchnelle Gerinnen
zu verhuͤthen . An einer tieferen Stelle deſſelben
werden die leeren Gefaͤße geſpuͤlt , nachdem ſie
zuvor in heißem Waſſer gereinigt ſind . Wenige
Schritte davon , bildet der Bach einen Waſſerfall ,
welchen Frank zur Treibung eines Rades benutzt
hat , und dadurch die Buttermaſchine in Be-
wegung ſetzt . Jn dieſem wird auch die Butter
gewaſchen , dann unter eine Preſſe gebracht und ,
mit einem kammaͤhnlichen Jnſtrumente , von allen
Faſern geſaͤubert . So iſt die Muͤhe nicht groß ,
mit welcher wir die koͤſtlichſte Butter bereiten .
Auch fuͤr das Kaͤſe-Stellen , Schoͤpfen und Preſ-
ſen , ſind leichte Vorrichtungen erfunden . Nichts
gleicht dem Wohlgeſchmack unſeres Milchwerks
und unſerer Kaͤſe , und Thereſe und ich freuen
uns nicht wenig , wenn bei dem Fruͤhſtuͤck alle
in laute Lobeserhebungen daruͤber ausbrechen .
Die Herden werden von den Negern mit den
ihrigen gehuͤthet , und das Milchvieh wird von
den Negerinnen gemolken , dicht neben der Grotte .
Stauffach und Walter verſichern , daß ſelbſt das
Schweizervieh der fetteſten Alpen nicht ſo viele
und ſo gute Milch liefere , als das unſere . Die
Schafmilch iſt ganz vorzuͤglich , und der Ziegen-
kaͤſe unuͤbertrefflich . Dabei bedarf das Vieh
das ganze Jahr hindurch keiner Wartung . Nach
Johns Ausſage , fiel den Winter hindurch nicht
ein einziges Mahl Schnee , einige Regentage
bildeten den Uebergang der Jahreszeit , darauf
folgte Reif und ein leichter Froſt , deſſen Spu-
ren jedoch die Sonne ſchon nach wenigen Stun-
den verſchwinden ließ . Dieſe Wintertemperatur
dauerte kaum vier Wochen , worauf die Baͤume
neu trieben , und das junge Gras unter dem
alten hervor wuchs . Wir werden daher auch
nur eine Kleinigkeit an Heu ſammeln , welches
ſonſt nie geſchehen iſt , um den Thieren , zur
beſſeren Erhaltung ihrer Geſundheit , an Regen-
tagen und wenn Reif faͤllt , ein Morgenfutter
geben zu koͤnnen .
Du ſollteſt uns ſehen , liebe Adele , wie nett
uns die Geſchaͤftigkeit kleidet . Wir vergleichen
einander oft mit den Maͤdchen in der Odyſſee
oder mit Labans Toͤchtern , wenn wir zum Brun-
nen gehen und ſchoͤpfen , und der Lorber neben
uns ſaͤuſelt . Zephyrine vorzuͤglich iſt reizend in
ihrem gefiederten Reiche , wenn ſie mit dem
Futterkoͤrbchen hinein tritt , und das ganze Heer
ſie jubelnd umringt ; Taͤubchen ſetzen ſich ihr auf
die Schultern , und ſie koſet mit allen , auf das
anmuthigſte , oder tritt mit dem Anſehen einer
Koͤniginn zwiſchen kaͤmpfende Haͤhne , um ſie zu
trennen . Die herzige , muntere Philippine er-
freut ſich an dem Spiel ihrer reizenden Ge-
faͤhrtinn , und beide taͤndeln in Kindesunſchuld
ihre Stunden hin . Die ſanfte Marie und die
ſtille Lucia ſondern die Baumwolle , wenden
den roͤſtenden Lein und Hanf , bringen ihn
unter die Klopf- , Schwing- und Hechelmaſchi-
nen , und freuen ſich ſchon auf die Zeit wo er
als Gewebe , unter ihrer Anfſicht , bleichen wird .
Roſalva und Fanny ſammeln , in der Morgen-
fruͤhe , Gemuͤſe und Fruͤchte fuͤr die Kuͤche , und
gegen Abend fuͤr die Vorrathsgrotte . Die Haus-
muͤtterchen bereiten das Mittagsmahl , wobei auch
wir ihnen beiſtehen , wenn unſere Geſchaͤfte fruͤh
vollendet ſind , und ſie unſerer beduͤrfen . Der
Mittag verſammelt die ganze frohe Geſellſchaft ,
unter den dichtbelaubten Platanen , um den ſtei-
nernen Tiſch . Die Geraͤthe ſind einfach , das
Tiſchzeug fehlt , aber die Speiſen ſind trefflich
bereitet . Feine Gemuͤſe , ſaftiges Fleiſch , herrliche
Braten von Gefluͤgel und Wild , Fiſchſpeiſen
Backwerk aller Art , und ein Nachtiſch der aus-
erleſenſten Fruͤchte wuͤrden auch dem verwoͤhn-
teſten Schmecker genuͤgen . Der Becher geht
umher und belebt den Scherz . Jetzt iſt er noch
vom mitgebrachten Vorrath gefuͤllt , kuͤnftig perlt
eigener Wein , Palmenſect , Birk- und Ahorn-
waſſer , darin ; jetze iſt Milch und des Quells
Kryſtall , an ſeiner Stelle , geſunder .
Die Nachmittagsſtunden gehoͤren der Ruhe
und der Erholung . Erſt wenn die Sonne tie-
fer ſinkt , und ein kuͤhleres Luͤftchen weht , wid-
men wir noch eine oder ein paar Stunden der
noͤthigen Arbeit . Mit ihrem Untergange hoͤren
die Geſchaͤfte auf , man verſammelt ſich zur kal-
ten Abendkoſt , welche aus Milch , Eiern , Butter ,
Kaͤſe , Honig und Backwerk beſteht . Darauf
wird Muſik gemacht , getanzt , geſpielt , bis der
Mond oder die Sterne uns ſpaͤt zur Ruhe
leuchten . So fließen unſere Tage einfoͤrmig
aber reich an Freuden dahin . Die Einrichtung
der Deutſchen , wie der Neger , iſt der unſrigen
gleich . Mucius erwirbt ſich um ihre Ausbil-
dnng ein hohes Verdienſt ; er hat einige Tage
feſtgeſetzt , wo er ihnen , unter der Form freund-
ſchaftlicher Betrachtung , die zweckmaͤßigſten Leh-
ren gibt . Beſonders ſorgt er fuͤr die Erziehung
der Jugend , und wird eine eigene Bildungsan-
ſtalt gruͤnden , in welcher ſie fuͤr jetzt allein , kuͤnf-
tig mit unſern Kindern gemeinſchaftlich , Unterricht
erhalten wird . Der Lehrſtunden werden nur
wenige ſeyn , und jeder der Maͤnner wird in
ſeinem Lieblingsfache unterrichten . Bei den
Alten nehmen wir jetzt ſelbſt in manchen Stun-
den Unterricht , beſonders wir Frauen . Zum
kuͤnftigen Winter werden wir geſchickte Webe-
rinnen beſitzen . Das Material faͤllt uns faſt
von ſelbſt in die Hand ; die Schafſchur iſt uͤber
alle Erwartung guͤnſtig geweſen , die Baum-
wolle von der beſten Gattung , der Leiu fein
und ſtark ; Spinnmaſchienen liefern das Garn .
Die Witterung iſt in den Sommermonden ſo
gleich , daß die Seidenraupe im Freien fort-
kommt ; der erſte Verſuch damit iſt ſehr genuͤ-
gend ausgefallen , wir haben keine andre Muͤhe
damit , als die Kokons zu ſammeln , und ſie un-
ter die Haſpelmaſchine zu bringen .
Bei allen Arbeiten , welche viele Haͤnde auf
ein Mahl erfordern , helfen Deutſche und Ne-
ger gemeinſchaftlich , mit ſolcher Bereitwilligkeit ,
daß wir ihre Dienſtleiſtungen eher abzulehnen ,
als zu erbitten haben . Aber auch wir helfen
ihnen , wenn es noth thut , und wie ſie die Guͤ-
ter der Natur mit uns theilen , ſo benutzen ſie
auch die Vortheile unſerer Maſchinen- und
Muͤhlenwerke , mit demſelben Rechte , als wir .
Wir behandeln ſie als Bruͤder , und ſie betrach-
ten die Maͤnner faſt wie Vaͤter .
Die Getreide-Ernte iſt uͤberreich geweſen .
Die Dreſchmaſchinen ſind im Gange , und die
Kornmuͤhle klappert , hoch aufgeſpeichert liegen
die goldenen Kolben des Mais ; die Trauben
ſchwellen , die Aepfel roͤthen ſich , und verſpre-
chen koͤſtlichen Cyder . Wir haben das Ernte-
feſt gefeiert , und werden noch vor dem Herbſt-
feſte eine Wanderung laͤngs unſerer ſuͤdlichen
Graͤnze hin unternehmen , welche die meiſten
der Maͤnner noch nicht kennen . Von den Frauen
haben nur wenige den Muth , uns zu beglei-
ten , aus Scheu vor den Chikasſah’s und den
Jrokeſen , welche unſere Graͤnznachbarn ſind .
Zephhrine und Philippine waren die erſten , welche
ſich
ſich erboten , mit uns die Gefahr zu beſtehen ,
ſie wollen ihren Huͤnerhof Korallys Sorgfalt
uͤbergeben ; auch die muthige Roſalva , und die
ſanfte Marie werden ſich an uns anſchließen ,
indem die Liebe fuͤr ihren William , uͤber der
letzteren natuͤrliche Furchtſamkeit ſiegt . Wir wer-
den in einer Barke den Schawanoe hinauf fah-
ren , ſo weit er ſchiffbar iſt , um ſo auf die leich-
teſte Art unſere Lebensmittel mit zu fuͤhren und
eine Partie Taback , welcher , beilaͤufig geſagt , ganz
vortrefflich gerathen iſt , als Geſchenk fuͤr die Wil-
den , wenn uns benachbarte Staͤmme begegnen
ſollten . Alles iſt Leben und Bewegung zu die-
ſer kleinen Ausflucht , es wird gebraten und ge-
backen , als gelte es eine Reiſe um die Welt ;
und doch werden wir kaum zehn bis zwoͤlf Mei-
len machen , aber ganz durch Einoͤden , und auf
mancherlei Kruͤmmungen .
Unſere Schifffahrt , und unſere Wanderung
ſind gluͤcklich vollendet . Elliſon war auf beiden
unſer Fuͤhrer , Marie blieb muthig an ſeiner
Zweiter Theil. [8]
Seite , John und Humphry begleiteten uns .
Nach einem Wege von anderthalb Meilen floß
der Schawanoe durch einen dichten Wald , oder
kam vielmehr aus ihm uns entgegen , und an
einigen Stellen faßten bluͤhende Wieſen die Ufer
ein . Als wir gegen Abend an einer derſelben
gelandet waren , bemerkten wir in dem nahen
Gebuͤſch einige Wilde ; John wurde ihnen ent-
gegen geſchickt , aber die Nacht brach an , ohne
daß er zuruͤck kehrte . Wir geriethen in die leb-
hafteſte Unruhe , ſchliefen nur abwechſelnd und
wenig , und erwarteten mit Sehnſucht den Mor-
geu . Herrlich ging die Sonne uͤber der Wild-
niß auf , und vielartige Papagoyen durchhuͤpften
die Zweige und ſonneten am Morgenſtrahl ihr
buntes Gefieder ; fuͤr uns Unruhige ging die
Schoͤnheit dieſes Schauſpiel faſt verloren . End-
lich nach mehrſtuͤndigem Harren , und nachdem
man den Saum der Gebuͤſche vergebens durch-
ſpaͤht hatte , jauchzte uns der ſehnlich erwartete
aus weiter Entfernung zu . Bald wurde er , in
Begleitung von wohl zwanzig Wilden , ſichtbar ,
zu deren , einige Meilen entferntem Lager man
ihn geſtern Abend gefuͤhrt hatte . Die Wilden
gehoͤrten zu dem Stamm der Chikasſah’s , und
ihr Oberhaupt befand ſich unter ihnen . John
konnte ſich nothduͤrftig mit ihnen unterreden ,
obgleich ihre Mundart etwas von der des Stam-
mes abwich , welcher ihn unter ſich aufgenom-
men hat . Sie hatten die Tatoirung erkannt ,
welche er bei der Aufnahme erhalten , und be-
handelten ihn als Bruder . Wir wurden von
ihnen ſehr freundſchaftlich begruͤßt , und ſie
rauchten mit unſeren Maͤnnern die Bundespfeife ,
Von ihnen erfuhren wir , daß eine Tagereiſe
jenſeits des Fluſſes ſich Salzquellen befinden ,
aus welchen ſie eine Menge Salz gewinnen ,
welches freilich noch einiger Reinigung bedarf ,
dann aber vortrefflich werden wird . Sie ſchenk-
ten uns einen Beutel voll und wir gaben ihnen
dagegen Taback , Backwerk , und einiges buntes
Toͤpfer-Geraͤth , mit welchem Tauſche ſie hoͤchſt
zufrieden ſchienen . Sie erklaͤrten uns fuͤr viel
beſſere Nachbarn , als die , welche mit ihnen
gegen Suͤden graͤnzen , wahrſcheinlich die Spanier .
Von jenen , klagten ſie , waͤren ihnen die Pocken
mitgetheilt worden , welche jaͤhrlich ſo viele ih-
rer Bruͤder hinrafften , und ihrem ganzen Ge-
*
ſchlechte den Untergang drohten . Salvito ließ ſich
mit ihnen , uͤber dieſen Gegenſtand , mit Johns
Huͤlfe , in ein langes Geſpraͤch ein . Er ſuchte ihnen
den Nutzen , der Kuhblattern-Jmpfung begreif-
lich zu machen , und ließ ſie die Narben ſehen ,
welche wir faſt alle davon an den Armen tragen .
Die Sache ſchien ihnen am Ende ein zu leuchten ,
und auf Salvitos Zureden , entſchloſſen ſich ei-
nige der juͤngern , und die Weiber , welche
dieſe Krankheit noch nicht gehabt hatten , ſich
impfen zu laſſen . Salvito trug , aus loͤblicher
Vorſicht , ein Glaͤschen mit Lymphe und das
noͤthige Jmpfgeraͤth bei ſich . Ehe wir Abſchied
nahmen , um den Fluß weiter hinauf zu fahren ,
verſprachen wir ihnen , auf dem Ruͤckwege hier
wieder anzulegen , und ließen uns dagegen das
Wort von ihnen geben , ſich alsdann wieder
einzufinden , und ſowohl alle Kinder ihres
Stammes , als auch die Erwachſenen , welche
die Krankheit noch nicht gehabt hatten , mit
bringen zu wollen . Auf unſrer Fahrt beluſtigte
uns der Fiſchfang einige Stunden , auch ſchoſſen
die Jaͤger mehrere Waſſervoͤgel ; um Mittag
landeten wir , das Mahl zu bereiten , und ſchiff-
ten erſt in der Kuͤhle des Abends weiter . Nicht
lange mehr vermochte , am folgenden Tage , der
ſeichter werdende Fluß unſre Baracke zu tragen ;
wir verlieſſen ſie daher , vertheilten die Lebens-
mittel und wanderten froͤhlich neben dem Ufer
hin . Nach Eintritt der Nacht , machten wir
uns das Vergnuͤgen , bei Fackelſchein Krebſe zu
fangen . Maleriſch ſchoͤn wirkte die Erleuchtung
gegen die dunklen Waldgruppen , und Pinelly
konnte ſich nicht enthalten , das herrliche Nacht-
ſtuͤck aufzunehmen . Der naͤchſte Morgen fuͤhrte
uns einen Haufen Jrokeſen zu , welche , der
Rehjagd wegen , den Graͤnzwald zu beſuchen
kommen . Jhnen hatte ehemals dieſe ganze Ge-
gend gehoͤrt , und war ihnen ſpaͤterhin von der
Ohio-Geſellſchaft abgekauft worden , da ihre
Bevoͤlkerung abgenommen hatte . Sie kannten
noch alle Wege durch den Wald und die Wech-
ſelplaͤtze des Wildes ; in ihrer Begleitung gin-
gen wir ein betraͤchtliches Stuͤck in dieſe kaum
durchdringliche Wildniß hinein .
Dieſe Ur-Amerikaner , welche man Wilde nennt ,
ſind aͤußerſt gutmuͤthige Menſchen , und ihre
Sitten beſchaͤmen die der Europaͤer . Jn dem
noͤrdlichen Kanada mag die Noth und die
rauhere Natur ſie wohl gefuͤhlloſer und roher
machen , doch hier trifft man nur Zuͤge der ſanf-
teſten Menſchlichkeit . Jn der Kultur ſind ſie
freilich ruͤckwaͤrts gegangen , wie ihre Sagen
und die Denkmaͤhler am Ohio deutlich beweiſen .
Schauderhafter Gedanke , wenn einſt Europas
Verfeinerung auch ſo bis auf die ſchwaͤchſten
Spuren , verſchwaͤnde ! und doch liegt in dem
ewigen Wechſel der Dinge nur zu viel , was
fuͤr die Moͤglichkeit ſpricht . Auch hier lebte ,
vor kaum dreihundert Jahren , ein großes maͤch-
tiges Volk , welches Staͤdte und Tempel erbauete
und jene befeſtigte , Theater und Kuͤnſte beſaß ,
und ſelbſt ſchon die Lapidarſchrift kannte und
uͤbte . Jetzt , welch ein Wechſel ! Von den
Europaͤern und den Nachbarvoͤlkern verdraͤngt ,
durch Schwert und Hunger , durch die Pok-
ken-Krankheit und den Genuß der berau-
ſchenden Getraͤnke , bis zu einem unbedeuten-
den Haͤufchen zuſammen geſchmolzen , fluͤchtet
der Ueberreſt , wie das geſcheuchte Wild , immer
tiefer in die nahrungsloſen Einoͤden . Ruͤh-
rend ſind die Klagen , welche durch die Geſaͤnge ,
durch die Sagen dieſer Voͤlker toͤnen . Mit
Johns Huͤlfe , habe ich einiges von ihrer
Sprache verſtehen lernen . Sie erinnerten mich
oft an Oſſian , mit welchem ich uͤberhaupt auf die-
ſer Reiſe , in dieſen ernſten Waͤldern , viel ge-
lebt habe . Daheim um unſern Wohnſitz ſpielt
das heitere , griechiſche Kinderleben , hier in die-
ſen Einoͤden herrſcht die Trauer um eine unter-
gegangene Welt . Selbſt die Voͤgel der Nacht
ſtoͤhnen ſo tiefe , durchdringende , fremde Klage-
toͤne aus , daß es mir oft wie fernes Grabge-
laͤute klang , und Zephyrine zum Ruͤckweg trieb .
Salvito ſuchte ſich den guten Jrokeſen auf
alle Weiſe verſtaͤndlich zu machen , ſie uͤber die
Pocken und andere Krankheiten zu belehren , und
ſie mit den Heilkraͤften in einheimiſchen Kraͤutern
bekannt zu machen ; er warnte ſie vor dem Ge-
nuß des Branntweins , mit allem Ernſte , und
ſchien ſie zu uͤberzeugen . Wir ſelbſt fuͤhrten
keine gebrannten Waſſer bei uns , ſondern nur
etwas Wein , wovon wir ihnen zu koſten gaben .
Sie fanden ihn nicht ſehr nach ihrem Ge-
ſchmack , nahmen aber ein Geſchenk an Taback
mit vieler Freude an . Salvito impfte einige ,
und gab ihnen weitlaͤufige Anweiſung , wie
ſie , nach einer beſtimmten Zahl von Tagen , den
Jmpfſtoff andern mittheilen , auf dieſe Weiſe
die Lymphe erhalten , und ihren Stamm gegen
die Anſteckung der wirklichen Blattern ſichern
koͤnnten . Sie trennten ſich , mit vielen Freund-
ſchaftsbezeugungen , von uns , und wir kehrten
zu unſrer Barke zuruͤck . Die Fahrt hinab
ging nun ſchneller und bequemer . Die Chi-
kasſah’s warteten ſchon am Ankerplatz , zahlrei-
cher als das erſte Mahl . Die Jmpfung hatte
guten Erfolg gehabt , ſie wurde fortgeſetzt , und
fernerer Unterricht deßhalb ertheilt . Gegen eine
Menge Salz welche jene mitgebracht hatten , er-
hielten ſie von uns alle Lebensmittel , deren
wir entbehren konnten . Es wurde feſtgeſetzt ,
daß jaͤhrlich , um dieſe Zeit , einige von unſeren
Maͤnnern hierher kommen , und Salz gegen
Taback und andere Produkte eintauſchen ſollten .
Die Chikasſah’s machten beſonders zur Bedin-
gung , daß Salviro , welchen ſie fuͤr einen
Halbgott hielten , mit kommen moͤchte , um die
ſpaͤter gebohrenen zu impfen . Wir trennten
uns mit wahrhaſt nachbarlichen Geſinnungen .
Am folgenden Abend , langten wir froͤhlich
bei unſeren Wohnungen an , vor welchen uns
unſere Freundinnen entgegen kamen . Wie un-
endlich ſchoͤn fanden wir unſern reizenden Auf-
enthaltsort , bei der Ruͤckkunft aus jenen wilde-
ren Gegenden , und gleichwohl moͤcht’ ich um
keinen Preis ſie nicht geſehen haben . Unſere
Hausmuͤtter gaben uns einen feſtlichen Schmaus ;
dann begruͤßten wir noch im Mondenſchein
alle die Gegenſtaͤnde umher , welche uns vor-
zuͤglich lieb waren . Ganz allein ſchwaͤrmte ich
noch bis zu den Palmen , welche den Tempel
umgeben , und deren Schatten , neben den be-
leuchteten weißen Saͤulen , wie Geiſtergeſtalten
wiegten . Freudig ſprang ich die Stufen hin-
auf , und umfaßte den Altar , Worte hatte ich
nicht , doch galt , was ich fuͤhlte , dem Uner-
forſchlichen gewiß fuͤr ein heißes Gebet .
Die Fruͤchte ſind eingeſammelt , die Trauben
gekeltert , die Bienenkoͤrbe verſchnitten , wir ha-
ben das Herbsfeſt gefeiert , und dem Ewigen
gedankt fuͤr ſeinen reichen Segen . Jetzt ma-
chen ſich John und Humphry bereit , um den
Ueberfluß unſrer Erzeugniſſe , den Ohio hinauf ,
nach Louisville zu fuͤhren . Sie bringen dage-
gen die wenigen Beduͤrfniſſe zuruͤck , welche uns
Anfaͤngern fuͤr jetzt noch fehlen ; der Ueberſchuß
an Geld wird dort in einem Handlungshauſe
nieder gelegt . Es iſt eins der Grundgeſetze un-
ſrer Republik , daß im Umkreiſe ihres Gebie-
tes , kein Geld umlaͤuft . Dieſes unſelige Me-
tall , welches drei Viertheile des Erdkreiſes verbin-
det und entzweit , ſoll bei uns keinen Einfluß er-
langen . Was von Elliſons und meinem ehma-
ligen Vermoͤgen uͤbrig geblieben iſt , ſteht in der
fortgefuͤhrten Handlung des Vaters Elliſon
welche dem treuen Buchhalter uͤbergeben wor-
den iſt , und bleibt , wie die Summe welche
jaͤhrlich ſich in Louisville ſammeln wird , fuͤr
ein etwaniges kuͤnftiges Beduͤrfniß der Kolonie ,
unberuͤhrt . Es iſt das Gemeingut derſelben ,
und nur mit Zuſtimmung aller Mitglieder ,
kann daruͤber verfuͤgt werden . Moͤchten doch
unſere Kinder und Enkel niemahls in den Fall
kommen , davon Gebrauch zu machen !
Waͤhrend dieſe Reiſe berathen und einge-
leitet wird , will ich Dir noch alles ſchreiben ,
was Du wohl gern uͤber unſer hieſiges Daſeyn
wiſſen moͤchteſt . Humphry wird das Briefpacket
in Louisville , unter Umſchlag an das Haus El-
liſon , nach Philadelphia ſenden , thue Du mit
Deinen Briefen ein gleiches . Auf dieſe Art
werden wir jedes Jahr ein Mahl Du von mir ,
ich von Dir , Nachricht erhalten , die einzige ,
welche mich aus der europaͤiſchen Welt intereſ-
ſirt . Die Maͤnner bekommen auf demſelben
Wege Kenntniß von den Ereigniſſen und Bege-
benheiten auf dem großen Welttheater , im letzt-
verfloſſenen Jahre , und zugleich das leſenswer-
theſte in allen Faͤchern der Wiſſenſchaften , wie
es , ſcheidend , mit dem ehrlichen Handelsherrn
ausgemacht worden . Hier iſt alſo Stoff ge-
nug fuͤr die kurze Winterzeit , wo die Natur ,
ſelbſt noch in ihrem leichten Schlummer , ſchoͤn
bleibt . Dann werden wir uns am Abend um
den Herd , oder um den Kamin verſammeln ,
und Erzaͤhlungen der naͤchſten und der ferneren
Vergangenheit werden uns die Stunden kuͤr-
zen . Fuͤr dieſe Winterzeit ſparen wir einzig
den Thee und den Kaffee auf , auch iſt waͤhrend
derſelben den Maͤnnern der Genuß der gebrann-
ten Waͤſſer erlaubt , welche Stauffach in großer
Vollkommenheit zu bereiten verſteht , und , wie
ſchon erwaͤhnt , wird in dieſer Jahreszeit Bier
gebrauet , und getrunken werden ; mit dem Fruͤh-
linge kehren wir zur Milch zuruͤck . Noch iſt be-
ſchloſſen worden , bei dem naͤchſten Froſt , Eis
von dem nahen Gebirge zu holen , und in der
tiefſten Grotte des Felſens einen Eiskeller an zu
legen , damit wir , in großer Hitze , uns an Ge-
frorenem laben koͤnnen .
Am 14ten Julius dieſes Jahres wurde
mein Geburtstag dadurch gefeiert , daß die
Grundgeſetze der Kolonie allen Einwohnern der
drei Doͤrfer im Tempel vorgeleſen , und dann
in einem Behaͤltniſſe unter dem Altare nieder
gelegt wurden . Jm jedem Jahre ſollen ſie an
dieſem Tage aufs neue verleſen , und ſo ſoll
dieſer , uns allen merkwuͤrdige , mir aber ins be-
ſondere beziehungsreiche Tag , auf ferne Zeiten
hin geweiht werden . Dieſer Geſetze , oder viel-
mehr Grundſaͤtze , einfach , wie unſere ganze
Einrichtung , ſind nur wenige . Sie beſtehen
in Anerkennung eines Einigen Gottes , welchen
der menſchliche Verſtand ſich nicht klar dar zu
ſtellen vermag ; ſein Dienſt iſt , die Erhebung
des Herzens zu ihm , die Ergebung in ſeinen
Willen , Vertrauen , Dankbarkeit , gegen ihn , und
das Streben gut und menſchlich zu handeln ;
kein Goͤtzendienſt , kein Symbol ſoll die erha-
bene Jdee des Einigen entweihen . Seine Pro-
pheten und viele der Heiligen , waren achtungs-
werthe Menſchen deren Andenken uns theuer
bleiben wird . Jn ihnen lebte die reine Jdee ,
mehr und minder klar , ſie ſtrebten , ſie dem
Volke mit zu theilen , welches ſie aber nur we-
nig verſtand , und die reine Wahrheit bald wie-
der mit bunten Zierrathen umhing ; ſogar den
Propheten , welcher ſich ihm zeigte , oder deſſen
Bild , hoͤher hielt , als den Geiſt , den niemand
dar zu ſtellen vermag , und ſo den goͤttlichen
Menſchen , zum Gott erhob .
Der Tempel iſt der Ort , wo jede feierliche
Handlung Statt findet . Hier her bringen wir
am Fruͤhlingsfeſte die ſchoͤnſten Blumen , am
Erntefeſte , die vollſten Aehren aller Art , um-
haͤngen damit Saͤulen und Altar , und werfen
davon , mit Weihrauch vermiſcht , in die leuch-
tende Flamme . Am Herbſtfeſte brennen Oli-
ven , Kaſtanien und Datteln auf dem Altar , er
wird mit Traubenſaft beſprengt , und am Neu-
jahrsfeſte lodert hoͤher die Flamme , von Zweigen
aller Art und den koͤſtlichſten Harzen , entzuͤndet .
Lobgeſaͤnge , zum Preiſe des Ewigen , werden in
Choͤren geſungen , und , um den Altar kniend ,
ſteigt unſer vereintes , heißes Gebet zu dem All-
guͤtigen auf . Dieſe Abſchnitte der vier Jahres-
zeiten , und das Stiftungsfeſt , ſind die einzigen
verordneten oͤffentlichen Feſte . Außerdem ſteht
es bei jedem Einzelnen , ſo oft er hierzu Beruf
fuͤhlt , den Ewigen an zu rufen und zu ihm zu
beten . Fuͤr die Abtheilung der Woche haben
wir die moſaiſchen Einrichtung beibehalten ,
nach ſechs Arbeitstagen folgt ein Ruhetag .
Sobald am Sonnabende die letzten Strahlen
des Lichts hinter den blauen Gebirgen ver-
ſchwinden , verlaͤßt jeder ſein Tagewerk , und
traͤgt ſein Arbeitsgeraͤth zu den Saͤulen des
Tempels . Hier lehnt der Pfluͤger ſeine Pflug-
ſchar und das Joch ſeiner Stiere an , der
Schnitter haͤngt hier ſeine Sichel auf , die Bin-
derin ihren Rechen . Jeder kniet oder ſetzt ſich
auf die Stufen nieder , und dankt dem Ewigen ,
fuͤr ſeinen Beiſtand , im ſtillen oder lauten Ge-
bet , je nachdem er ſich allein , oder in Geſell-
ſchaft befindet . Der Feiertag wird mit Unter-
haltungen und Spielen hingebracht ; kein Ge-
ſchaͤft wird vorgenommen , die Wartung des
Viehs , und die Beſchickung des Herdes aus-
genommen , wobei wir alle gemeinſchaftlich hel-
fen . Am Montage holt jeder , in aller Fruͤhe ,
ſein Geraͤth aus der Obhut des Tempels , und
faͤngt ſein Wochenwerk mit dankbaren Gedan-
ken an Gottes Schutz und Fuͤhrung an . Kein
Prieſterthum ſoll je die lautere Quelle unſerer
Ueberzeugung truͤben . — Du ſchuͤttelſt miß-
trauiſch den Kopf , Adele ! O , ich weiß wohl ,
man glaubt , die Lehre des Deismus koͤnne in
einer groͤßern Geſellſchaft nicht Anwendung fin-
den , ein Wahn , welchen wir einſt wiederlegen
werden . Warum beſteht ſie denn unter ta-
tariſchen Horden , bei einem geringen Grade
von Bildung ? und das Prieſterthum ? die Pen-
ſilvanier haben keines , und ſind ſo brav und gut ,
daß ſie der Welt als Muſter aufgeſtellt werden
koͤnnten . Von ihnen haben wir entlehnt , oder
ſind mit ihnen zuſammen getroffen ; nur ihr
finſtrer Ernſt findet bei uns keinen Eingang .
Griechenlands kindlicher Frohſinn ſpielt um
unſren Tempel ;
ſchoͤne lichte Bilder
ſchweben ſelbſt um die Nothwendigkeit ,
und das ernſte Schickſal blicket milder
durch den Schleier ſanfter Menſchlichkeit .
Der zweite Grundſatz unſerer Verfaſſung
iſt , voͤllige Freiheit und Gleichheit der vereinten
Familien ; nie ſoll darin ein Oberhaupt herrſchen ,
und waͤre ein ſolches einſt , zu beſonderem Zwecke ,
nothwendig , ſo wird es gewaͤhlt , und dann er-
liſcht ſeine Wuͤrde mit Erreichung des Zweckes .
Alle Angelegenheiten werden durch Stimmen-
mehrheit entſchieden . Die Verwaltung der Ge-
ſchaͤfte
ſchaͤfte der Kolonie wird vertheilt , der Ueber-
fluß zu gemeinſchaftliche Zwecken verwendet .
Am Genuß hat jeder gleichen Antheil und
gleiches Recht . Der Gebrauch des Geldes iſt
im Umkreiſe des Staates unterſagt , auch außer
demſelben hat niemand Eigenthum , alles iſt
Gemeingut . Kein Mitglied darf , vor dem vol-
lendeten zwanzigſten Lebensjahre , die Graͤnzen
der Republik verlaſſen , die Kolonie aber nur
bis zu einer beſtimmten Anzahl von Einwohnern
wachſen ; uͤberſteigt ſie dieſe , ſo bilden die aͤlte-
ren Soͤhne eine neue , in dem großen Umfange
der Beſitzungen . Es wird , zu dieſem Endzweck ,
jaͤhrlich eine Anzahl Morgen von uns urbar
gemacht ; ſchon jetzt haben wir mehr als wir
beſtellen moͤgen , und es wird manches Ackerſtuͤck
in Ruhe gelegt . Die Toͤchter-Kolonien fuͤhren eine
eigene Oekonomie , ſind aber im uͤbrigen , durch
gleiche Grundſaͤtze und gleiche Vortheile , auf das
engſte mit der Muttergeſellſchaft verbunden ; ihr
etwaniger Ueberſchuß fließt zur allgemeinen Kaſſe .
Alle Menſchen , außer den Graͤnzen unſerer Re-
publik , werden als unſere Bruͤder betrachtet .
Jhre Lebensweiſe paßt nicht zu der unſrigen , ſie
Zweiter Theil. [9]
haben aber dieſelben Rechte , uͤber die ihrige zu
entſcheiden , als wir uͤber die unſere , und kein
Streit darf je deßhalb zwiſchen ihnen und uns
entſtehen . Man wird unſere harmloſe Friedlich-
keit ehren , die Denkart der Nachbaren iſt edel .
Es iſt kaum glaublich , daß unſre Maͤnner je-
mahls gezwungen werden ſollten , unſern recht-
maͤßig erworbenen Boden , mit den Waffen in
der Hand , zu vertheidigen . Geſchaͤhe es aber ,
ſo wuͤrde der Sieg gewiß auf unſerer , auf der
Seite des ſtrengſten Rechtes ſeyn , und Muth
und Geſchicklichkeit unſerer Maͤnner wuͤrde ihn
zu feſſeln wiſſen . Wahrheit und Gerechtigkeit
ſind die Hauptgrundſaͤtze unſerer einfachen Mo-
ral ; ihre Ausuͤbung wird , durch unſere Lebens-
weiſe , unſeren Kindern ſo nothwendig ſeyn , als
das Athemholen . Wahrheit und Gerechtigkeit ,
dieſe einzig ſicheren Stuͤtzen des haͤuslichen und
des geſellſchaftlichen Gluͤcks , koͤnnen nur unter
dem Schutze der Freiheit vollkommen gedeihen !
Sieh , meine Adele , ſo denken , ſo leben
wir . Jhr werdet wohl etwas mitleidig laͤcheln ,
wenn ihr in Gedanken das einfache Gewand
unſerer Republikanerinnen mit euren Modeklei-
dern vergleichet , aber wir tauſchen nicht ; unſer
Klima fordert nicht mehr , und mit welchem ge-
ringen Aufwand und mit wie wenig Muͤhe
ſind wir gekleidet . Die kunſtreiche Nadel ruhet
darum nicht ganz , wir verzieren , mit ihrer Huͤlfe ,
zuweilen den Saum der Gewaͤnder , doch in
der Hauptſache , darf nichts geaͤndert werden ;
wir wollen nur keine Kunſtfertigkeit untergehen
laſſen , ſo wie unſere Maͤnner darauf bedacht
ſind , jede Wiſſenſchaft zu pflegen . Wir haben
uns ein Mahl vorgeſetzt , die große Aufgabe
zu loͤſen , Kultur mit Sitteneinfalt auf das
engſte zu verbinden ; wie und ob wir das große
Ziel erreichen werden , daruͤber wird ein kuͤnf-
tiges Jahrhundert entſcheiden . Feſt richten
wir den Blick , auf das Wohlſeyn kuͤnftiger
Geſchlechter , ſaͤen muthig den Samen dazu
in den Schoß der Zeit , und Gott ſieht gewiß
wohlgefaͤllig auf unſern redlichen Willen , auf
unſern heiligen Eifer herab .
*
Die Reiſeanſtalten ſind vollendet , ich muß
dieſe Blaͤtter ſchließen . So lebe denn wohl ,
meine traute Adele ! Der Himmel uͤberſchuͤtte
Dich mit ſo viel Gluͤckſeligkeit , als Dein gaͤh-
rendes Europa , Dein , mit ſich ſelbſt zerfalle-
nes , Frankreich Dir nur bieten kann . Gedenke
meiner oft , Du Gute ! Du kannſt es ohne
Sorgen um mein Geſchick . Freundlich laͤchelt mir
die lange Zukunft entgegen , wie mich jede Mor-
genſonne freundlich begruͤßt . Nur in Kentucky’s
Hainen ſaͤuſelt ewiger Friede nur am Schawanoe
herrſcht ſuͤße Ruhe . O , lebte mein hochherzi-
ger Vater , lebte mein guter Emil mit uns un-
ter dieſen Palmen , kein Seufzer wuͤrde je-
mahls meinen Buſen heben ! Doch ſie wandeln
unter den himmliſchen Palmen , und harren
freundlich auf uns . Mucius , mein theurer
Mucius iſt mir Erſatz fuͤr alles ! er gruͤßt
Dich tauſend Mahl , der herrliche Menſch .
O koͤnnte ich ihn Dir ſo ganz ſchildern , wie
er iſt ! ſo groß und hehr , ſo lieb und gut . Er
traͤgt das Schickſal einer Welt in ſeiner Bruſt ,
und iſt doch nur Gatte , nur Freund ; an
Geiſt vielleicht der Erſte unter unſeren Gefaͤhr-
ten , iſt er der Beſcheidenſte , von Allen geliebt .
Und dieſer ſeltene Menſch iſt mein ! fuͤhle die
Seligkeit , welche in dem Gedanken liegt . Jch
muß nur ſchnell ſiegeln , damit Mucius dieſe
Worte nicht lieſt ; er iſt dem Stolze ſo feind ,
daß es ihn ſchmerzen wuͤrde , der Gegenſtand
des meinigen zu ſeyn . Lebe wohl , Adele !
Tauſend Mahl Lebewohl ! Ueber ’s Jahr er-
haͤlſt Du wieder frohe Bothſchaft von Deiner
Virginia .
Eldorado , in Kentucky . Jm Julius 1817 .
Sey mir gegruͤßt , Freundinn meines Her-
zens ! Du , in deren Buſen ich ehemals meine
Klagen ergoß , nimm jetzt das Ueberſtroͤmen
meines Entzuͤckens mit gleicher Theilnahme
auf . Der Gluͤckliche bedarf des Ohres eines
Freundes mehr , als der Ungluͤckliche , denn
wohl laͤßt ſich der Schmerz unterdruͤcken , die
Freude nicht . So vernimm denn die Wieder-
holung alles deſſen , was mich in dem Zeit-
raume dieſes Jahres beſeligte . Jm ganzen
iſt mein Leben eine fortlaufende Kette von
gluͤcklichen Tagen , nur wenige darunter zeich-
nen ſich durch ein wichtiges Ereigniß aus .
Unter dieſen ſind wohl die denkwuͤrdigſten
diejenigen , wo unſerer Republik junge Buͤr-
ger geboren wurden . Ja , meine Adele , ich
wiege einen lieblichen Knaben auf meinem
Schoße , Mucius Ebenbild , welcher mit die-
ſem Kinde zum Kinde wird . Aus meinen Ar-
men geht es in die ſeinigen ; er forſcht in
dem kleinen Geſichte , nach Aehnlichkeiten von
mir , ich will es ſoll ihm aͤhneln , und dieß
gibt die einzige Veranlaſſung zu kleinen , freund-
lichen Streitigkeiten zwiſchen uns . Außer un-
ſerm Knaben ſind noch 18 Kinder im Laufe
des Maimonats gebohren , naͤmlich 4 von den
Negern , 6 in dem deutſchen Dorfe 8 bei uns ,
ſo viel Knaben als Maͤdchen , unſere Haus-
muͤtterchen , erwarten in einigen Monaten
ihre zweite Niederkunft . Das wird ein Leben
werden in der kleinen Republik ! Schon jetzt
verfuͤhren die Vaͤter einen Laͤrm mit den jun-
gen Mitbuͤrgern , beſonders Pinelli , daß wir
alle lachen muͤſſen , und die Wiegenlieder der
Muͤtter bilden ein ordentliches Konzert .
Vom Klima beguͤnſtigt , ſind wir alle leicht
und wohlgemuth entbunden worden . Schon
am zehnten Tage , ſo wollte es Salvito , ging
jede der Muͤtter , ihren Saͤugling im Ar-
me , zum Tempel . Hier war der Altar mit
Blumen bedeckt , die Mutter legte das Kind
auf die Blumen nieder , dankte dem Ewigen
kniend fuͤr das theure Geſchenk , und bat um
Erhaltung des zarten Lebens . Der Vater
trat hinzu , ſegnete das Kind , nahm es auf ,
nannte , es der Verſammlung zeigend , laut den
Nahmen deſſelben , und gab es der Mutter
zuruͤck . Wir haben unſern Kleinen , zum An-
denken an ſeinen Großvater , Leo genannt ,
moͤchte er ihm aͤhnlich werden !
Seit dieſer Zeit wird oſt die Erziehung der
Kleinen erwogen . Jm Ganzen wird ſie , der
allgemeinen Meinung nach , ſehr einfach ſeyn .
Liebe und Beiſpiel ſollen , ſtatt aller Strafen
und Ermahnungen , hinreichen , ſpielend die
Kraͤfte der Kinder , ſowohl lieblich , als geiſtig ,
ausgebildet , und beide Geſchlechter , bis zum
zwoͤlften Jahre , ganz gleich beſchaͤftigt , und
unterrichtet werden , auch ihre Kleidung wird
dieſelbe ſeyn , ein farbiger Ueberwurf , nur bis
zur Wade reichend . Sie werden klettern ,
ringen , fechten , wettlaufen , tanzen , ſchwim-
men , und an den Arbeiten , nach ihren Kraͤf-
ten , Theil nehmen . Leſen , ſchreiben , rechnen ,
lernen ſie dabei , als geſellſchaftliche Vergnuͤ-
gungen , in den Stunden der Muße , unter
den ſchattenden Platanen , oder am flammenden
Kamin ; Muſik und Zeichnen ſollen eben ſo
behandelt werden . Die Naturbeſchreibung
wird in Erzaͤhlungen vorgetragen , oder auf
Spaziergaͤngen , welche beſonders der leiden-
ſchaftliche Botaniker Stauffach dazu benutzen
wird . An dieſe wird ſich die Erdbeſchreibung ,
jedoch erſt ſpaͤter , anſchließen , Geſchichte am
ſpaͤteſten gelehrt werden . Mucius wird zu
dem Ende eine kleine Weltgeſchichte ausarbei-
ten und in Philadelphia drucken laſſen . Sie
wird treu , aber aus einem anderen Geſichts-
punkte aufgefaßt , mehr die Geſchichte der Voͤl-
ker als ihrer Fuͤhrer ſeyn . Den Helden wer-
den ihre Lorberkraͤnze nicht entzogen werden ,
aber der Eichenkranz des Buͤrgers , der fried-
liche Oelzweig , werden eine hoͤhere Bedeutung
erhalten ; der Hauch der Freiheit wird durch
das ganze Werk hin wehen , und darin auch
angegeben werden , wodurch das Menſchenge-
ſchlecht dieſe Himmelstochter von ſeinen Fluren
ſcheuchte , mit ihr das Paradies verlor .
Mit dem zwoͤlften Jahre , werden die
Maͤdchen zur Haushaltung und zu kuͤnſtlichen
Arbeiten mit der Nadel und auf dem Webe-
ſtuhl angefuͤhrt , die Knaben lernen die hoͤheren
Wiſſenſchaften , und die todten Sprachen ; die
lebenden ſich zu eigen zu machen , dazu ha-
ben ſie taͤglich , von der fruͤheſten Jugend an
Gelegenheit , denn Franzoͤſiſch , Jtalieniſch ,
Deutſch und Engliſch werden abwechſelnd bei
uns geſprochen . Franzoͤſiſch iſt die allgemeine
Sprache , Engliſch wird bei dem Mahle und
am Theetiſch geredet , aus Liebe fuͤr Elliſon ,
Lucia und Fanny , Jtalieniſch laſſen Roſalva ,
Antonio und Pinelli nicht ausſterben , ſie
haben den beiden Knaben Frank’s und Van-
huſens ſchon eine Menge liebkoſender Worte
ſtammeln gelehrt ; mit ihren Spielgefaͤhrten ,
einem halben Dutzend deutſcher Kinder , reden
ſie deutſch . Von den hoͤheren Wiſſenſchaften
und den gelehrten Sprachen , lernt jeder dann
nur , wozu ſeine Neigung ihm treibt , oder
wozu man entſchiedene Faͤhigkeiten in ihm ent-
deckt , nothwendig ſind ſie keinem . Lehrer iſt
jeder der Maͤnner in ſeinem Lieblingsfache .
So unterrichtet man jetzt ſchon ſpielend die
deutſchen Knaben und ein paar muntere Ne-
gerbuben ; kuͤnftig werden auch dieſe mit den
unſrigen gleich erzogen . Wie laͤcherlich wird
einſt unſern Juͤnglingen der Kaſtengeiſt erſchei-
nen , mit welchem der groͤßte Theil des Erd-
kreiſes zu kaͤmpfen hat !
Die koͤrperliche Erziehung der Knaben wird
mit ihren zunehmenden Jahren immer ſorg-
faͤltiger fortgeſetzt , und nichts verſaͤumt werden ,
ſie abzuhaͤrten . Sie werden alle Faͤhigkeiten
eines kriegeriſchen Volkes erlangen , ohne es
zu wiſſen ; beſonnenen Muth , Ausdauer und
Verachtung der Gefahren , werden ſie auf den
Baͤren- und Wolfs-Jagden in den Graͤnz-
Waldungen lernen , ihre Spiele werden krie-
geriſch ſeyn , ohne daß ſie jemahls das Wort
Krieg hoͤren , und die Regeln der beſten Taktik
ihnen als Regeln eines Spiels gelaͤufig werden .
Sollte jener Daͤmon jemahls bis durch dieſe
Waͤlder dringen , dann wird er ein waffenfaͤhi-
ges Volk finden , welches den Frieden , wie die
ganze Welt liebt , aber jedes Unrecht abzuweh-
ren wiſſen wird ; ſelbſt unſere ſtarken Maͤdchen
wuͤrden den Webeſtuhl verlaſſen , und mit den
Waffen , dem Spielgeraͤth ihrer Kindheit , ihre
Freiheit und ihre Ehre vertheidigen . Doch
dahin wird es nicht kommen , der Genius der
Menſchheit wird dieſe ſtillen Thaͤler ſchuͤtzen .
Unſer Leben , unſer Treiben , iſt noch ganz
daſſelbe , wie ich es Dir im vorigen Jahre
ſchilderte . Noch haben wir nirgends eine Luͤcke
bemerkt , und ich hoffe , als ein altes Muͤtterchen ,
werde ich dir nichts anders zu ſagen haben ,
als : wir ſind gluͤcklich .
Jn dieſem Fruͤhjahre machten wir unſere
erſte Zuckerernte in den Ahornwaͤldern , alles
legte Hand an , ſelbſt die Kinder Der Ertrag
iſt ſo reichlich geweſen , daß , auch bei verſchwen-
deriſchem Verbrauch , unſer Bedarf auf drei
Jahre geſichert ſeyn wuͤrde . Wir ſchicken die
Haͤlfte nach Louisville , auch Taback und Farbe-
kraͤuter , mit deren Erzeugung Stauffach ſich
emſig beſchaͤftigt ; er hat uns ſchon die ſchoͤn-
ſten Garne und Gewebe gefaͤrbt . Frank er-
wirbt ſich um das Maſchinenweſen unſterb-
liche Verdienſte , Antonio hat einen Speicher
im rein antiken Styl erbaut , Vanhuſen und
ſeine Gehuͤlfen haben uns die ſeltenſten Fruͤchte
und Blumen gezogen , die herrlichſten Gruppen
von Baͤumen auf Bergen , und am Rande der
Savannen gepflanzt , auch mancherlei Heilkraͤu-
ter , nach Salvitos Anweiſung , angebauet . Die-
ſer Schutzgott unſerer Nachbarn , hat ſeine
verſprochene Reiſe den Schawanoe hinauf ge-
macht , und das von ihm , durch Rath und
That , geſtiftete Gute iſt nicht zu berechnen .
Seine chemiſchen Kenntniſſe kommen uns uͤber-
all zu Statten , beſonders bei der Kelter . Unſer
Wein verſpricht ganz vorzuͤglich zu werden ,
ſelbſt der Palmenſekt und das Birkwaſſer ſind
ziemlich haltbar .
Die Feldbauer , nebſt ihren weißen und
ſchwarzen Gehuͤlfen , haben Ueberfluß erzeugt ,
Maria und Lucia bleichen das ſchoͤnſte Ge-
ſpinnſt im Sonnenſtrahl und im Schimmer
des Mondes , und die Seidenwuͤrmer haben
mit uns um die Wette geſponnen ; auch von
ihrer Arbeit werden Proben nach Louisville
gehen . Das Vieh gedeihet herrlich . Mein
Milchgewoͤlbe hat Ueberfluß , ungeachtet mehr
als die Haͤlfte des Mutterviehes die Kaͤlber
groß geſaͤugt hat . So im Schoße des Ueber-
fluſſes , liebend und geliebt , frei und im Frie-
den mit der ganzen Welt , ruhig in die Ver-
gangenheit , heiter in die Zuͤkunft blickend ,
gibt es eine beneidenswerthere Lage als die
unſere ? O , ich moͤchte der ganzen gepreßten
Welt zurufen : fluͤchtet Euch in die Wildniſſe
von Amerika ! Nur am Miſſiſippy , am Miſſouri ,
in den Waͤldern von Louiſiana wohnt der
Friede , laͤchelt das Gluͤck . Aber das Gemuͤth
dafuͤr muß man mit bringen , Kenntniſſe und
Thaͤtigkeit , dann findet man ſein Eden hier ,
oder nirgends .
Wir haben erfahren , daß ein großer Theil
unſerer Landsleute nach dieſem Welttheil ſich
gewendet hat , und daß Joſeph Napoleon Willens
iſt , nahe bei Baltimore , eine Stadt zu gruͤn-
den . Ja , ja , die Trojaner flohen aus ihrer
brennenden Mauern , nach mehrern Gegenden
hin , aber nur Aeneas rettete die Heiligthuͤmer
aus dem praſſelnden Flammen und barg ſie in
Silvius dunklen , naͤchtlichen Hain . Laß mir
den kuͤhnen Gedanken : Mucius und ſeine
Freunde ſind jener Aeneas , mit ſeinen Ge-
faͤhrten , das Schickſal gefaͤllt ſich in ſolcher
Wiederholung . Hierher , in die Waͤlder von
Kentucky retteten wir unſere Goͤtterbilder ; wer-
den ſie einſt , wie Troja’s Goͤtter , ein großes ,
freies und hochherziges Volk verbinden ? O ,
Du Ewiger uͤber den Sternen , wir hoffen es !
Joſephs Stadt wird nie ein Rom werden ;
man wird darin Schauſpielhaͤuſer und Kir-
chen bauen , Kaffeehaͤuſer und Tanzſaͤle errich-
ten , kokettiren , kabaliren , ſcheinen , ſchmei-
cheln , und repreſentiren , wie ehemahls . Die
großen Lehren der Zeit gehen an dieſem Ge-
ſchlechte verloren ; fern von uns jede Gemein-
ſchaft mit demſelben ! Selbſt Napoleon , der
bewundernswerthe , wuͤrde in unſerm Frei-
ſtaate ſehr unwillkommen ſeyn , ein Mahl vom
Taumelkelche der Herrſchaft berauſcht , taugt
ſchwerlich jemahls ein Menſch auf dem Platze
des harmloſen Buͤrgers . Er , der Feuergeiſt ,
war dazu geſchaffen , ein , in wilde Parteien
zerſpaltenes Volk zu vereinen und zu halten ,
ja die Erde unter eine Alleinherrſchaft zu brin-
gen ; in einen wahren Freiſtaat paßt er nicht .
Vielleicht haͤtte er einſt den Frieden der Welt ,
und die Vereinigung der Voͤlker , auf einen
andern Wege , herbei gefuͤhrt . Lange glaubte
ich , dieſen Plan des Schickſals in dem Laufe
der Dinge zu ſehen , doch ploͤtzlich verwandelt
ſich das Welttheater , und noch laͤßt ſich nichts
beſtimmtes uͤber den Jnhalt des naͤchſten Akts
ſagen , der Knoten iſt von neuen geſchuͤrzt , und
die Entwickelung weiter hinaus geſchoben . Aber
meine Wuͤnſche , unſere Wuͤnſche , ſind dieſelben
geblieben , Friede und Freiheit der Welt , Wahr-
heit und Gerechtigkeit herrſchend , und das phy-
ſiſche Daſeyn auch dem letzten der Sterblichen ,
ohne harte Sorgen und Noth , geſichert . Wir
mußten dieſen Wuͤnſchen , dieſen Hoffnungen ,
einen andern Stuͤtzpunkt geben , um nicht mit
hinab gezogen zu werden in dem allgemeinen
Untergang . Wir fanden ihn , verzeihe dem
kuͤhnen Gedanken , wir ſuchten ihn wenigſtens ,
in der Kolonie von Kentucky . Kultur , mit Sit-
teneinfalt im Bunde , ſollten hier , in der Ver-
borgenheit , ein Geſchlecht groß ziehen , welches
vielleicht einſt den Voͤlkern zum Vorbilde und
Vereinigungspunkte dienen koͤnnte . Das maͤch-
tige Troja fiel unter den vereinten Kraͤften der
Griechen , aber Aeneas rettete die Schutzgoͤtter
des Reichs , er und ſeine jungen Gefaͤhrten ,
gruͤndeten Alba und bargen die Heiligthuͤmer
in ſeinen dichtverwachſenen Hainen . Das
ſchwache Haͤuflein wuchs , ſeine Urenkel erbau-
ten die Siebenhuͤgelſtadt , und heilbringend , zo-
gen die Goͤtter ihrer Ahnen , bei ihnen ein .
So
So lange ihr Dienſt noch unentweiht beſtand ,
war Rom gluͤcklich und groß .
Wehe , auch das große , auch das gluͤckliche
Rom verſank ! woran mahnt mich dieſe Erin-
nerung des ewigen Wechſels ! Wird denn die
Entwicklung des Menſchengeſchlechts ewig den
Kreislauf gehen , ſein Zuſtand niemahls Dauer er-
halten ? Werden die Blaͤtter der Geſchichte ewig
vergebens fuͤr uns geſchrieben ſeyn ? Verzwei-
feln , wuͤrde ich , muͤßte ich dieß , als unwan-
delbares Geſetz anerkennen , ich kann , ich will
es nicht denken . Eine koͤſtliche Frucht bedarf
lange Zeit zu ihrer Reife . Rauhe Stuͤrme
ſtreiften ihre Bluͤthen ab , lange liegt ſie in
harter Schale verborgen , mitten in den Unge-
wittern , ſie hat die Froͤſte der Nacht , und den
ſengenden Strahl des Mittags uͤberdauert ,
aber an der milden Sonne des Herbſtes , wird
ſie die Schale oͤffnen , und der ſuͤße Kern
dringt gezeitigt hervor . Moͤge er lange dauern ,
der Herbſt !
Zweiter Theil. [10]
Wir haben geſtern ein freundliches Feſt ge-
feiert , Humphrys Hochzeit mit einem ſanften ,
deutſchen Maͤdchen . Wir fuͤhrten , in ſeierlichem
Aufzuge , das mit Myrthen und Roſen gekraͤnzte
Brautpaar zum Tempel . Sie wechſelten am
Altar die Ringe , und ſprachen laut den
Schwur der ewigen Treue ; die Aeltern der
Braut ſegneten ſie , und wir alle beteten fuͤr
ihr Gluͤck . Ein frohes Mahl , unter den Pla-
nen , vereinte die ganze Kolonie ; der Becher
ging fleißig umher , und mancher herzliche
Trinkſpruch wurde ausgebracht . Wir haben
dabei des Heils unſrer europaͤiſchen Bruͤder
nicht vergeſſen ; auch auf Deine Geſundheit
wurde der Becher geleert . Der Tanz , welchen
unſre Neger beſonders leidenſchaftlich lieben ,
dauerte bis ſpaͤt in die Nacht , und erſt gegen
Morgen wurden die Neuvermaͤhlten , trotz Mon-
denlicht und Fruͤhrothsſchimmer , mit Fackeln , zu
ihrer neuen Wohnung gefuͤhrt . Es gewaͤhrte
einen eigenen , ſchoͤnen Anblick , wie der Zug , bei
dem hellen Fackelſchein , durch das lange Thal
wallte , und wie das Licht die Baumgruppen
erhellte , und dann neue Schatten warf . Es
iſt wieder ein ſchoͤner Vorwurf fuͤr Pinell’s
Kunſt , welche er fleißig uͤbt . Humphrys Woh-
nung liegt im deutſchen Dorfe eine Viertel-
ſtunde von hier . Sobald die Vermaͤhlten die
Kammer betraten , wurden die Fackeln an der
Schwelle des Hauſes geloͤſcht , man rief
Hymen ! Hymenaͤus ! und der ganze Zug ging
zu ſeinen Haͤuſern zuruͤck .
Kindliche Nachahmungen altgriechiſcher Sit-
ten , wie ſchmeicheln ſie die Phantaſie in jenes
ſchoͤne Zeitalter hinuͤber , wo das Menſchliche
mit dem Goͤttlichen noch verſchwiſtert war ,
wo der duͤnkelvolle Erdenſohn ſich noch nicht
losgeriſſen hatte von dem leitenden Bande ſeiner
Mutter Natur ! Uns , vor allen Mucius
und mich , Dupont und Zephyrinen , ziehen die
grichiſchen Lebensformen maͤchtig an ; es waren
die Sitten unſerer Ahnen , Abkoͤmmlinge jener
Meſſenier , welche Marſeille gruͤndeten ; wie
jeder Provenzale es mit geheimen Stolze
ruͤhmt , hat jede Erinnerung an ſie einen
*
namenloſen Reiz fuͤr uns . Es iſt unſere
Lieblingsunterhaltung , die aͤlteren griechiſchen
Dichter und Proſaiſten zu leſen , welche Mu-
cius meiſterhaft und ans dem Stegreif uͤber-
ſetzt ; mit ihnen haben wir die kurze Zeit des
leichten Winters , ſehr angenehm ausgefuͤllt .
Selten kam mein Oſſian an die Reihe , ob-
ſchon die meiſten der uͤbrigen ihn beſonders
lieben , weil ſie ihn ohne Auslegung verſtehen .
Auch bei mir ſteht er noch in hohem Werthe ,
wenngleich meine Stimmung mich ſeltener zu
ihm hin zieht . Oſſian iſt der Saͤnger der
Schwermuth , und rings um mich her , herrſcht
heitere Lebensfreude . Jn die Lethe verſenkt ,
ſind die Bilder , der duͤſtern Vergangenheit ,
eine neue Sonne , ein neues Daſeyn iſt fuͤr
uns alle aufgegangen . Mag Europa nun
ſchnitzeln und kuͤnſteln an ſeinen Formen , wir
haben ſie von uns geworfen , mit einem
muthigen Wurf ; und wie auch die Verwirrung
herrſche uns beruͤhrt ſie nicht . Arme Adele ,
koͤnnte ich doch Dich hier her retten ! aber
auch nur Dich allein . Jch fuͤrchte immer ,
auch Du wirſt ein Opfer tyranniſcher Willkuͤhr .
Waͤrſt Du nicht in Europa , ich wuͤrde ſelten
dahin denken , denn ich denke ungern an das
dortige Getreibe . Alles was ich wieder von dort
vernommen habe , iſt nicht beruhigend ; der große
Streit iſt noch nicht abgeſchloſſen , lange , lange
noch nicht , er kann noch Menſchenalter uͤber-
dauern . Furchtbare Kraͤmpfe erſchuͤtterten die
kreißende Welt , aber es erfolgte eine unzei-
tige Geburt ; das wirkliche Goͤtterkind liegt
noch tief verborgen im Schoße der Mutter ,
neue ſtaͤrkere Wehen werden es einſt an das
Tageslicht foͤrdern . Wann ? das ſteht im Buche
des maͤchtigen Schickſals . Wehe dem armen
Geſchlechte welches als Geburtshelfer um die
Kreißende ſteht ! aber auch Heil dem , welches
um die Wiege des Neugebohrenen tanzt !
Junges , kraͤftiges Leben entwickelt ſich aus Zer-
ſtoͤrung und Tod , das iſt der Troſtgedanke
fuͤr das untergehende Geſchlecht ; der Blick in
die Zukunft , kann allein den ſinkenden Muth
erheben . Ach , nicht jeder vermag uͤber die
Spanne ſeiner Zeit und ſeines Raums hin-
weg zu blicken , und der Sohn des Staubes zer-
ſtaͤubt mit ihm ; nur der Geiſt , welcher ſich
Eins fuͤhlt mit dem Unendlichen , wird ewig
ſeyn , mit dem Ewigen , er ſieht im Heute
ſchon das Morgen und die kleinlichen Sorgen
der Gegenwart beruͤhren nur ſein irdiſches
Theil , hinuͤber ſchwingt er ſich unter die Pal-
men des ewigen Friedens !
Uns Lieblingen des Schickſals ſaͤuſeln ſchon
hienieden jene friedlichen Palmen , uns ſaͤuſelt
der delphiſche Lorberhain . O , meine Adele ,
koͤnnte ich dich einfuͤhren unter ihren erquik-
kenden Schatten ! Deinen Nahmen tragen die
glatten Staͤmme der weißen Birken und Bu-
chen , und des bluͤhenden Tulpenbaumes , am
Ohio , am Kentucky , und am Schawanoe ;
Deinen theuren Nahmen ruft mir ſtuͤndlich
mein zahmer Papagoy zu , und lehrt ihn ſeinen
wilden Bruͤdern , wenn er mit mir durch die
Haine huͤpft ; Deinen Nahmen wird mein Leo
ſtammeln ſobald er Vater rufen kann . O ,
koͤnnteſt Du meine freundlichen Haine ſehen ,
und meinen Knaben ſegnen ! Thue es in der
Ferne , meine Adele , ſo wie wir Dich ſegnen ,
mein Mucius und ich . Zephyrine und Philip-
pine gruͤßen Dich , erſtere als Landsmaͤnnin ,
letztere , weil lch ich ſie oft mit Dir verglich , Elli-
ſon gruͤßt Dich vor allen . Er hat den Vor-
theil , Dich zu kennen , und ſtimmt oſt in mei-
nen Wunſch ein , Du moͤchteſt eine der Un-
ſern werden ; Du ſeyſt vor allen werth , ſagt
er , unſer wiedergefundenes Eden zu ſchmuͤcken ,
doch , wo Du auch lebſt , Du traͤgſt es in Dei-
ner Bruſt . Laß es Dir nimmer rauben , nim-
mer Dein beſſeres Gefuͤhl ertoͤdten vom Peſt-
hauche der Selbſtſucht und der kleinlichen Ei-
telkeit . Dein Wahlſpruch ſey Wahrheit und
Gerechtigkeit , ſo biſt Du der Kolonie von Ken-
tucky verbuͤndet .
Lebe wohl im Geraͤuſch Deiner Welt ! Ver-
giß nicht die Sorge fuͤr die armen Bewohner
von Chaumerive . Noch ein Mahl empfehle
ich ſie dem Herzen Deiner guten Mutter .
Laß die Blumen um das Grab der meinigen
nicht ganz erſterben . O , daß mein Vater , daß
Emil nicht auch dort unter begruͤnten Huͤgeln
ruhen ! Auch ihnen lege , jeden Sommer ,
Kraͤnze der Erinnerung auf der Mutter Grab ;
vielleicht daß Dir dort mein Geiſt ein Mahl
freundlich begegnet .
Dort wuchs ich auf unter den Heldenbil-
dern der Griechenwelt , hier am Kentucky
ſchließe ich einſt laͤchelnd mein Auge , von den
Lebensbildern jener Unſchuldswelt umflattert .
Lebe wohl ! Lebe wohl , meine Adelr ! Friede
mit Dir ! Friede mit der ganzen Welt !
Deine
Virginia .
Ende .