IDYLLEN
von dem
Verfasser
des
Daphnis .
Zürich bei Gessner .
1756 .
IDYLLEN .
An den Leſer .
D Ieſe Idyllen ſind die Früchte einiger
meiner vergnügteſten Stunden ; denn es iſt
eine der angenehmſten Verfaſſungen , in die
uns die Einbildungs-Kraft und ein ſtilles
Gemüth ſetzen können , wenn wir uns mit-
telſt derſelben aus unſern Sitten weg , in ein
goldnes Weltalter ſetzen . Alle Gemählde
von ſtiller Ruhe und ſanftem ungeſtöhrtem
Glük , müſſen Leuten von edler Denkart
gefallen ; und um ſo viel mehr gefallen uns
Scenen die der Dichter aus der unverdorbe-
nen Natur herholt , weil ſie oft mit unſern
ſeligſten Stunden , die wir gelebt , Aehnlich-
A 3
keit zu haben ſcheinen . Oft reiſs ich mich
aus der Stadt los , und fliehe in einſame Ge-
genden , dann entreiſst die Schönheit der Na-
tur mein Gemüth allem dem Ekel und allen
den wiedrigen Eindrüken , die mich aus
der Stadt verfolgt haben ; ganz entzükt ,
ganz Empfindung über ihre Schönheit , bin
ich dann glüklich wie ein Hirt im goldnen
Weltalter und reicher als ein König .
Die Ekloge hat ihre Scenen in eben die-
ſen ſo beliebten Gegenden , ſie bevölkert die-
ſelben mit würdigen Bewohnern , und giebt
uns Züge aus dem Leben glüklicher Leute ,
wie ſie ſich bey der natürlichſten Einfalt der
Sitten , der Lebens-Art und ihrer Neigun-
gen , bey allen Begegniſſen , in Glük und Un-
glük betragen . Sie ſind frey von allen den
Sclaviſchen Verhältniſſen , und von allen
den Bedürfniſſen , die nur die unglükliche
Entfernung von der Natur nothwendig ma-
chet , ſie empfangen bey unverdorbenem Her-
zen und Verſtand ihr Glük gerade aus der
Hand dieſer milden Mutter , und wohnen
in Gegenden , wo ſie nur wenig Hülfe for-
dert , um ihnen die unſchuldigen Bedürfniſſe
und Bequemlichkeiten reichlich darzubieten .
Kurz , ſie ſchildert uns ein goldnes Weltalter ,
das gewiſs einmal da geweſen iſt , denn da-
von kan uns die Geſchichte der Patriarchen
überzeugen , und die Einfalt der Sitten , die
uns Homer ſchildert , ſcheint auch in den
kriegeriſchen Zeiten noch ein Ueberbleibſel
deſſelben zu ſeyn . Dieſe Dichtungs-Art
bekömmt daher einen beſondern Vortheil ,
wenn man die Scenen in ein entferntes Welt-
alter ſezt ; ſie erhalten dardurch einen höhern
A 4
Grad der Wahrſcheinlichkeit , weil ſie für
unſre Zeiten nicht paſſen , wo der Landmann
mit ſaurer Arbeit unterthänig ſeinem Fürſten
und den Städten den Ueberfluſs liefern muſs ,
und Unterdrükung und Armuth ihn ungeſit-
tet und ſchlau und niederträchtig gemacht
haben . Ich will darmit nicht läugnen , daſs
ein Dichter , der ſich ans Hirten-Gedicht
wagt , nicht ſonderbare Schönheiten aus-
ſpüren kann , wenn er die Denkungsart und
die Sitten des Landmanns bemerket , aber
er muſs dieſe Züge mit feinem Geſchmak
wählen , und ihnen ihr Rauhes zu benehmen
wiſſen , ohne den ihnen eigenen Schnitt zu
verderben .
Ich habe den Theokrit immer für das
beſte Muſter in dieſer Art Gedichte gehal-
ten . Bey ihm findet man die Einfalt der Sit-
ten und der Empfindungen am beſten ausge-
drükt , und das Ländliche und die ſchönſte
Einfalt der Natur ; er iſt mit dieſer bis auf
die kleinſten Umſtände bekannt geweſen ; wir
ſehen in ſeinen Idyllen mehr als Roſen und
Lilien ; Seine Gemählde kommen nicht aus
einer Einbildungs-Kraft , die nur die be-
kannteſten und auch dem Unachtſamen in die
Augen fallenden Gegenſtände häuft ; ſie ha-
ben die angenehme Einfalt der Natur , nach
der ſie allemal gezeichnet zu ſeyn ſcheinen .
Seinen Hirten hat er den höchſten Grad der
Naivität gegeben , ſie reden Empfindungen ,
ſo wie ſie ihnen ihr unverdorbenes Herz in
den Mund legt , und aller Schmuk der Poeſie
iſt aus ihren Geſchäften und aus der unge-
künſtelten Natur hergenommen . Sie ſind
weit von dem Epigrammatiſchen Witz ent-
A 5
fernt , und von der ſchulgerechten Ordnung
der Sätze ; er hat die ſchwere Kunſt gewuſst ,
die angenehme Nachläſſigkeit in ihre Geſän-
ge zu bringen , welche die Poeſie in ihrer er-
ſten Kindheit muſs gehabt haben ; er wuſste
ihren Liedern die ſanfte Mine der Unſchuld
zu geben , die ſie haben müſſen , wenn die
einfältigen Empfindungen eines unverdorbe-
nen Herzens eine Phantaſie befeuern , die
nur mit den angenehmſten Bildern aus der
Natur angefüllt iſt . Zwar iſt gewiſs , das
die noch weniger verdorbene Einfalt der
Sitten zu ſeiner Zeit , und die Achtung die
man damals noch für den Feldbau hatte ,
die Kunſt ihm erleichtert hat . Der zuge-
ſpizte Witz war noch nicht Mode , ſie hat-
ten mehr Verſtand und Empfindung für das
wahre Schöne , als Witz .
Mir deucht , das iſt die Probe darüber ,
daſs Theokrit in ſeiner Art fürtreflich ſey ,
weil er nur wenigen gefällt ; denen kan er
nie gefallen , die nicht für jede Schönheit der
Natur , bis auf die kleinſten Gegenſtände ,
empfindlich ſind , denen , deren Empfindun-
gen einen falſchen Schwung genommen ha-
ben , und einer Menge von Leuten , die ihre
Beſtimmung in einer falſch-ekeln Galanterie
finden . Denen ekelt vor dem Ländlichen ,
ihnen gefallen nur Hirten , die ſo geziert
denken wie ein witziger Dichter , und die aus
ihren Empfindungen eine ſchlaue Kunſt zu
machen wiſſen . Ich weiſs nicht , ob die
meiſten neuern entweder zu bequem geweſen
ſind , mit der Natur und den Empfindungen
der Unſchuld ſich genauer bekannt zu machen ,
oder ob es Gefälligkeit für unſre umgearte-
ten Sitten iſt , in der Abſicht ſich allgemei-
nern Beyfall zu gewinnen , daſs ſie ſo weit
ſich von dem Theokrit entfernen . Ich habe
meine Regeln in dieſem Muſter geſucht , und
es wird mir eine Verſicherung der glüklichen
Nachabmung ſeyn , wenn ich dieſen Leuten
auch miſsfalle . Zwar weiſs ich wol , daſs
einige wenige Ausdrüke und Bilder im Theo-
krit , bey ſo ſehr abgeänderten Sitten uns ver-
ächtlich worden ſind ; dergleichen Umſtänd-
gen habe ich auszuweichen getrachtet . Ich
meyne aber hier nicht dergleichen , die ein
franzöſiſcher Ueberſetzer in dem Virgil nicht
ausſtehen konnte ; die ich meyne , hat Vir-
gil , der Nachahmer des Theokrit , ſelbſt
ſchon weggelaſſen .
Geſsner .
An
DAPHNEN .
N Icht den blutbeſprizten kühnen Helden , nicht
das öde Schlachtfeld ſingt die frohe Muſe ; ſanft
und ſchüchtern flieht ſie das Gewühl , die leichte
Flöt’ in ihrer Hand .
Gelokt durch kühler Bäche rieſelndes Geſchwä-
ze und durch der heilgen Wälder dunkeln Schat-
ten , irrt ſie an dem beſchilften Ufer , oder geht
auf Blumen , in grüngewölbten Gängen hoher
Bäume , und ruht im weichen Gras , und ſinnt
auf Lieder , für dich , für dich nur , ſchönſte Daphne !
Denn dein Gemüth voll Tugend und voll Un-
ſchuld , iſt heiter , wie der ſchönſte Frühlings-
Morgen ; So flattert muntrer Scherz und frohes
Lächeln , ſtets um die kleinen Lippen , um die
rothen Wangen , und ſanfte Freude redet ſtets
aus deinen Augen . Ja ſeit du Freund mich nennſt ,
geliebte Daphne ! ſeitdem umglänzt ein Sonnen-
ſchein von Freude , mein Leben vor mir her , und
jeder Tag , gleicht einem hellen Lieder-reichen
Morgen .
O wenn die frohen Lieder dir gefielen ! die
meine Muſe oft dem Hirten abhorcht ; auch oft
belauſchet ſie in dichten Hainen , der Bäume Nym-
phen und den Ziegenfüſs’gen Wald-Gott , und
Schilfbekränzte Nymphen in den Grotten ; und
oft beſuchet ſie bemooſte Hütten , um die der
Landmann ſtille Schatten pflanzet , und bringt
Geſchichte her , von Groſsmuth und von Tugend ,
und von der immer frohen Unſchuld . Auch oft
beſchleichet ſie der Gott der Liebe , in grünen
Grotten dichtverwebner Sträuche , und oft im
Weidenbuſch an kleinen Bächen . Er horchet
denn ihr Lied , und kränzt ihr fliegend Haar ,
wenn ſie von Liebe ſingt und frohem Scherz .
Diſs , Daphne ! diſs allein , belohne meine Lie-
der , diſs ſey mein Ruhm , daſs mir an deiner Sei-
te , aus deinem holden Aug der Beyfall lächle .
Den der nicht glüklich iſt wie ich , begeiſtre der
Gedanke , den Ruhm der ſpäten Enkel zu erſin-
gen ; ſie mögen Blumen auf ſein Grabmal ſtreun ,
und kühlen Schatten über den verweſnen Pflan-
zen !
MILON .
O Du ! die du lieblicher biſt , als der thauende
Morgen , du mit den groſſen ſchwarzen Augen ;
ſchön wallt dein dunkles Haar unter dem Blu-
menkranz weg , und ſpielt mit den Winden .
Lieblich iſts , wenn deine rothen Lippen zum La-
chen ſich öfnen , lieblicher noch , wenn ſie zum
Singen ſich öfnen . Ich habe dich behorcht ,
Chloe ! o ich habe dich behorcht ! da du an
jenem Morgen beym Brunnen ſangeſt , den die
zwo Eichen beſchatten ; böſe daſs die Vögel nicht
ſchwiegen , böſe daſs die Quelle rauſchte hab ich
dich behorcht . Izt hab ich neunzehn Ernden ge-
ſehen , und ich bin ſchön und braun von Geſicht ;
oft hab ichs bemerkt daſs die Hirten aûfhörten
zu ſingen und horchten , wenn mein Geſang durchs
Thal hintönte , und deinen Geſang würde keine
Flöte beſſer begleiten als meine . O ſchöne Chloe ,
liebe
liebe mich ! Siehe , wie lieblich es iſt , auf die-
ſem Hügel in meinem Felſen zu wohnen ! ſieh wie
das kriechende Epheu ein grünes Nez anmuthig
um den Felſen herwebt , und wie ſein Haupt der
Dornſtrauch beſchattet . Meine Höle iſt bequem ,
und ihre Wände ſind mit weichen Fellen behan-
gen , und vor den Eingang hab’ ich Kürbiſſe ge-
pflanzet , ſie kriechen hoch empor und werden
zum dämmernden Dach ; Sieh wie lieblich die
Quell’ aus meinem Felſen ſchäumt , und hell über
die Waſſerkreſſe hin durch hohes Gras und Blu-
men quillt ! unten am Hügel ſammelt er ſich zur
kleinen See , mit Schilf-Rohr und Weiden um-
kränzt , wo die Nymphen bey ſtillem Mondſchein
oft nach meiner Flöte tanzen , wenn die hüpfen-
den Faunen mit ihren Crotalen mir nachklappern .
Sieh wie auf dem Hügel die Haſelſtaude zu grü-
Crotalen , waren aufgeſpaltene Rohre , deren auf- und zu-
ſchlagen das Ton-Maaſs des Geſanges und der an-
dern Inſtrumente begleitete .
B
nen Grotten ſich wölbt , und wie die Brombeer-
Staude mit ſchwarzer Frucht um mich her kriecht ,
und wie der Hambutten-Strauch die rothen Bee-
ren empor trägt , und wie die Apfelbäume voll
Früchte ſtehn , von der kriechenden Reb’ um-
ſchlungen . O Chloe ! diſs alles iſt mein ! wer
wünſchet ſich mehr ? Aber ach ! wenn du mich
nicht liebeſt , dann umhüllt ein dichter Nebel die
ganze Gegend . O Chloe , liebe mich ! Hier wol-
len wir dann ins weiche Gras uns lagern , wenn
Ziegen an der felſichten Seite klettern , und die
Schafe und die Rinder um uns her im hohen
Graſe watten ; dann wollen wir über das weit
ausgebreitete Thal hinſehn , ins glänzende Meer ,
wo die Tritonen hüpfen und wo Phöbus von ſei-
nem Wagen ſteigt , und ſingen , daſs es weit um-
her in den Felſen wiedertönt , daſs Nymphen ſtill
ſtehn und horchen , und die Ziegenfüſſigten Wald-
Götter .
So ſang Milon der Hirt auf dem Felſen , als
Chloe in dem Gebüſch ihn behorchte ; lächelnd
trat ſie hervor , und faſste dem Hirten die Hand ;
Milon , du Hirt auf dem Felſen , ſo ſprach ſie , ich
liebe dich mehr als die Schafe den Klee , mehr
als die Vögel den Geſang ; führe mich in deine
Höle ; ſüſſer iſt mir dein Kuſs als Honig , ſo lieb-
lich rauſcht mir nicht der Bach .
B 2
IDAS . MYCON .
S Ey mir gegrüſst Mycon ! du lieblicher Sänger !
Wenn ich dich ſehe , dann hüpft mir das Herz
vor Freude ; ſeit du auf dem Stein beym Brunnen
mir das Frühlings-Lied ſangeſt , ſeitdem hab ich
dich nicht geſehen .
Mycon . Sey mir gegrüſst Idas , du lieblicher
Flötenſpieler ! Laſs uns einen kühlen Ort ſuchen ,
und in dem Schatten uns lagern .
Idas . Wir wollen auf dieſe Anhöhe gehn ,
wo die groſſe Eiche des Palemons ſteht , ſie be-
ſchattet weit umher , und die kühlen Winde flat-
tern da immer . Indeſs können meine Ziegen an
der jähen Wand klettern und vom Geſtrauch
reiſſen ; ſieh wie die groſſe Eiche die ſchlan-
ken Aeſte herum trägt , und kühlen Schat-
ten ausſtreut , laſs hier bey den wilden Roſen-
Gebüſchen uns lagern , die ſanften Winde ſollen
mit unſern Haaren ſpielen . Mycon ! diſs iſt
mir ein heilger Ort ! O Palemon ! dieſe Eiche
bleibt deiner Redlichkeit heiliges Denkmal ! Pa-
lemon hatte eine kleine Herde ; er opferte dem
Pan viele Schafe , o Pan ! bat er , laſs meine
Herde ſich mehren , ſo kan ich ſie mit meinem
armen Nachbar theilen , und Pan machte daſs ſei-
ne Herde in einem Jahr um die Helfte ſich mehr-
te , und Palemon gab dem armen Nachbar die
Helfte der ganzen Herde , und er opferte dem Pan
auf dieſem Hügel , und pflanzt’ eine Eiche , und
ſprach : O Pan ! dieſer Tag ſey mir heilig , an
dem mein Wunſch ſich erfüllte , ſegne die Eiche ,
daſs ich jährlich in ihrem Schatten dir opfere ;
Mycon ! ſoll ich dir das Lied ſingen , das ich im-
mer unter dieſer Eiche ſinge ?
Mycon . Wenn du mir das Lied ſingeſt , dann
will ich dieſe neunſtimmige Flöte dir ſchenken ,
ich ſelbſt habe die Rohre mit langer Wahl am Ufer
geſchnitten , und mit wohlriechendem Wachs ver-
eint .
B 3
Idas ſang izt .
Die ihr euch über mir wölbt , ſchlanke Aeſte ,
ihr ſtreut mit euerm Schatten , ein heiliges Ent-
züken auf mich ; Ihr Winde , wenn ihr mich
kühlt , dann iſts als rauſcht’ eine Gottheit unſicht-
bar neben mir hin ! Ihr Ziegen und ihr Schafe
ſchonet , o ſchonet ! und reiſst das junge Epheu
nicht vom weiſſen Stamm , daſs es empor ſchlei-
che und grüne Kränze flechte , rings um den weiſ-
ſen Stamm . Kein Donnerkeil , kein reiſſender
Wind ſoll dir ſchaden , hoher Baum ! Die Götter
wollens , du ſolt der Redlichkeit Denkmal ſeyn !
Hoch ſteht ſein Wipfel empor , es ſiehet ihn fern-
her der Hirt , und weiſt ihn ermahnend dem Sohn ;
es ſieht ihn die zärtliche Mutter , und ſagt Pale-
mons Geſchichte , dem horchenden Kind auf der
Schooſs . O pflanzt ſolche Denkmal ’ ihr Hirten !
daſs wir einſt voll heilgen Entzükens , in dunkeln
Hainen einhergehn .
So ſang Idas , er hatte ſchon lange geſchwie-
gen , und Mycon ſaſs noch wie horchend , ach
Idas ! Mich entzükt der thauende Morgen , der
kommende Frühling entzükt mich , noch mehr des
Redlichen Thaten .
So ſprach Mycon , und gab ihm die neunſtim-
mige Flöte .
B 4
DAPHNIS .
A N einem hellen Winter-Morgen ſaſs Daphnis
in ſeiner Hütte ; die lodernde Flammen angebrann-
ter dürrer Reiſer ſtreuten angenehme Wärme
in der Hütte umher , indeſs daſs der herbe
Winter ſein Stroh-Dach mit tiefem Schnee be-
dekt hielt ; er ſah vergnügt durch das enge Fen-
ſter über die wintrichte Gegend hin ; Du herber
Winter , ſo ſprach er , doch biſt du ſchön ! Lieb-
lich lächelt izt die Sonne durch die dünnbenebelte
Luft über die Schnee-bedekten Hügel hin ; wie
glänzet der Schnee ! Lieblich iſts , wie aus dem
Weiſſen empor die ſchwarzen Stämme der Bäume
zerſtreut ſtehn , mit ihren krummgeſchwungenen
unbelaubten Aeſten , oder eine braune Hütte mit
dem Schnee-bedekten Dach , oder wenn die
ſchwarzen Zäune von Dorn-Stauden die weiſſe
Ebene durchkreuzen ; Schön iſts wie die grüne
Saat dort über das Feld hin die zarten Spizen aus
dem Schnee empor hebt , und das Weiſs mit
ſanftem Grün vermiſcht ; Schön glänzen die nahen
Sträuche , ihre dünnen Aeſte ſind mit Duft ge-
ſchmükt , und die dünnen umherflatternden Fa-
den . Zwar iſt die Gegend öde , die Herden ruhen
eingeſchloſſen im wärmenden Stroh ; nur ſelten
ſieht man den Fuſstritt des willigen Stiers , der
traurig das Brennholz vor die Hutte führt , das
ſein Hirt im nahen Hain gefällt hat ; die Vögel ha-
ben die Gebüſche verlaſſen , nur die einſame
Meiſe ſinget ihr Lied , nur der kleine Zaun-Schlü-
pfer hupfet umher , und der braune Sperling
kömmt freundlich zu der Hütte und piket die hin-
geſtreuten Körner ; Dort wo der Rauch aus den
Bäumen in die Luft empor wallt , dort wohnet
meine Phillis ; Vielleicht ſizeſt du izt beym wär-
menden Feuer , das ſchöne Geſicht auf der unter-
ſtüzenden Hand , und denkeſt an mich , und wün-
ſcheſt den Frühling ; Ach Phillis ! wie ſchön biſt
B 5
du ! Aber , nicht nur deine Schönheit hat mich
zur Liebe gereizt ; O wie liebt ich dich da ! als
dem jungen Alexis zwo Ziegen von der Felſen-
Wand ſtürzten ; er weinte , der junge Hirt , ich
bin arm , ſprach er , und habe zwo Ziegen ver-
lohren , die eine war trächtig ; ach ! ich darf
nicht zu meinem armen Vater in die Hütte zurük
kehren . So ſprach er weinend , du ſaheſt ihn wei-
nen , Phillis , und wiſchteſt die mitleidigen Thrä-
nen vom Aug , und nahmeſt aus deiner kleinen
Herde zwo der beſten Ziegen ; da Alexis , ſprachſt
du , nimm dieſe Ziegen , die eine iſt trächtig , und
wie er vor Freude weinte , da weinteſt du auch
vor Freude , weil du ihm geholfen hatteſt . O ! ſey
immer unfreundlich Winter ; meine Flöte ſoll doch
nicht beſtaubt in der Hütte hangen , ich will dan-
noch von meiner Phillis ein frohes Lied ſingen ;
zwar haſt du alles entlaubt , zwar haſt du die
Blumen von den Wieſen genommen , aber du
ſolt es nicht hindern , daſs ich nicht einen Kranz
flechte ; Epheu und das ſchlanke Ewig-Grün
mit den blauen Blumen will ich durch einander
flechten , und dieſe Meiſe , die ich geſtern fieng ,
ſoll in ihrer Hütte ſingen ; ja ich will dich ihr
heute bringen und den Kranz , ſing ihr dann dein
frohes Lied , ſie wird freundlich lächelnd dich an-
reden , und in ihrer kleinen Hand die Speiſe dir
reichen . O wie wird ſie dich pflegen , weil du
von mir kömmft !
MIRTIL .
B Ey ſtillem Abend hatte Mirtil noch den Mond-
beglänzten Sumpf beſucht , die ſtille Gegend im
Mondſchein und das Lied der Nachtigal hatten
ihn in ſtillem Entzüken aufgehalten . Aber izt
kam er zurük , in die grüne Laube von Reben
vor ſeiner einſamen Hütte , und fande ſeinen alten
Vater ſanftſchlummernd am Mondſchein , hinge-
ſunken , ſein graues Haupt auf den einen Arm
hingelehnt . Da ſtellt er ſich , die Arme in ein-
ander geſchlungen , vor ihm hin . Lang ſtand er
da , ſein Blik ruhete unverwandt auf dem Greiſen ,
nur blikt’ er zuweilen auf , durch das glänzende
Reblaub zum Himmel , und Freuden-Thränen roll-
ten dem Sohn vom Auge .
O du ! ſo ſprach er izt , du , den ich nächſt den
Göttern am meiſten ehre ! Vater ! wie ſanft
ſchlummerſt du da ! Wie lächelnd iſt der Schlaf
des Frommen ! Gewiſs gieng dein zitternder
Fuſs aus der Hutte hervor , in ſtillem Gebete
den Abend zu feyren , und betend ſchliefeſt du
ein . Du haſt auch für mich gebetet , Vater ! Ach
wie glüklich bin ich ! die Götter hören dein Ge-
bet ; oder warum ruht unſere Hütte ſo ſicher in
den von Früchten gebogenen Aeſten , warum iſt
der Segen auf unſerer Herde und auf den Früch-
ten unſers Feldes ? Oft wenn du bey meiner
ſchwachen Sorge für die Ruhe deines matten
Alters Freuden-Thränen weinſt ; wann du dann
gen Himmel blikeſt und freudig mich ſegneſt ,
ach was empfind ich dann , Vater ! Ach dann
ſchwellt mir die Bruſt , und häufige Thränen quil-
len vom Auge ! Da du heut an meinem Arm aus
der Hütte giengeſt , an der wärmenden Sonne
dich zu erquiken , und die frohe Herde um dich
her ſaheſt und die Bäume voll Früchte , und die
fruchtbare Gegend umher , da ſprachſt du , meine
Haare ſind unter Freuden grau worden , ſeyd
immer geſegnet , Gefilde ! nicht lange mehr wird
mein dunkelnder Blik euch durchirren , bald werd
ich euch an ſeligere Gefilde vertauſchen . Ach
Vater ! beſter Freund ! bald ſoll ich dich verlieh-
ren , trauriger Gedanke ! Ach ! dann - - dann will
ich einen Altar neben dein Grab hinpflanzen , und
dann , ſo oft ein ſeliger Tag kömmt , wo ich Noth-
leidenden Gutes thun kann , dann will ich , Va-
ter ! Milch und Blumen auf dein Grabmal ſtreun .
Izt ſchwieg er , und ſah mit thränendem Aug
auf den Greiſen ; wie er lächelnd da liegt und
ſchlummert ! ſprach er izt ſchluchzend , es ſind
von ſeinen frommen Thaten im Traum vor ſeine
Stirne geſtiegen . Wie der Mondſchein ſein kahles
Haupt beſcheint und den glänzend weiſſen Bart !
O daſs die kühlen Abendwinde dir nicht ſchaden
und der feuchte Thau ! izt küſst er ihm die Stir-
ne , ſanft ihn zu weken und führt ihn in die Hütte
um ſanfter auf weichen Fellen zu ſchlummern .
LYCAS und MILON .
D Er junge Sänger Milon ; denn auf ſeinem zar-
ten Kinn ſtunden die Haare noch ſelten , ſo wie
das zarte Gras im jungen Frühling aus ſpätgefall-
nem Schnee nur ſelten vorkeimt ; und Lycas mit
dem ſchöngelokten Haar , gelb wie die reife Saat ,
kamen zuſamen mit der blökenden Herde , hinter
dem Buchwald . Sey mir gegrüſst Lycas , ſprach
der Sänger Milon und bot ihm die Hand , ſey
mir gegrüſst , laſs in den Buchwald uns gehn ,
indeſs irrt unſere Herde im fetten Gras am Teich ,
mein wacher Hund wirds nicht zugeben daſs ſie
ſich zerſtreue .
Lycas . Nein Milon , wir wollen hier unter
dem gewölbten ſtozigten Felſen uns ſezen ,
es liegen da heruntergeriſſene Stüke mit ſanf-
tem Moos bedekt . Dort iſts lieblich und kühl ,
ſieh wie der klare Bach ſtaubend ins wankende
Geſträuche ſich ſtürzt , er rieſelt unter ihrem Ge-
webe hervor , und eilt in den Teich . Hier iſts
lieblich und kühl , laſs auf die bemoosten Steine
uns ſezen , dann ſteht der Schatten des Buchwalds
dunkel gegen uns über .
Und izt giengen ſie und ſezten ſich unter dem
Felſen auf die bemoosten Steine : Und Milon
ſprach , lang ſchon , du Flötenſpieler Lycas , lang
ſchon hab ich deinen Geſang loben gehört , laſs
uns einen Wettgeſang ſingen , denn auch mir ſind
die Muſen gewogen ; jenes junge Rind will ich
zum Preis dir ſezen , es iſt ſchön geflekt , ſchwarz
und weiſs .
Lycas . Und ich , ich ſeze die beſte Ziege aus
meiner Herde , ſamt ihrem Jungen , dort reiſst ſie
das Epheu von der Weide an Teich , das muntre
Junge hüpft neben ihr . Aber Milon , wer ſoll
Richter ſeyn ? Soll ich den alten Menalkas rufen ?
Sieh er leitet die Quelle in die Wieſe am Buch-
wald ; er verſteht den Geſang . Izt riefen die
jun-
jungen Hirten dem Menalkas , und er kam und
ſezte ſich zu den Knaben auf einen weich-be-
moosten Stein , und Milon hub den Geſang an .
Milon . Selig iſt der zu preiſen , der die Gunſt
der Muſen hat . Wenn uns das Herz von Freu-
den hüpft , wie lieblich iſt es dann ein Lied zu
ſingen , der Echo und dem Hain ! Nie entſteht
mir ein liebliches Lied , wenn mich der Mond-
ſchein entzükt , oder des Morgens Roſenfarbe .
Auch weiſs ich daſs der Geſang die trüben Stun-
den heiter macht . Denn mir ſind die Muſen
gewogen , und jene ſchneeweiſſe Ziege iſt ihnen
zum Opfer beſtimmt , bald will ich ſie , die Hörner
mit Blumen umkränzt , opfern , und neue Loblieder
ſingen .
Lycas . Als ſtammelndes Kind ſaſs ich dem Va-
ter auf dem Schooſs , und wenn er ein Lied
auf der Rohrflöte blies , denn horcht ich ſchon
aufmerkſam zu und lallt’ es ihm nach . Oder
lächelnd nahm ich die Flöt’ ihm vom Mund , und
C
blies gebrochene Töne hervor . Aber bald er-
ſchien Pan mir im Traum . Jüngling , ſo ſprach er ,
geh in den Hain und hole die Flöte die der Sän-
ger Hylas an die mir geheiligte Eiche hieng , du
biſt es werth ihm nachzuſpielen . Erſt geſtern hab
ich ihm Sproſſen von meinen neugepfropfeten Bäu-
men gebracht , und einen Krug voll Oel und ei-
nen Krug voll Milch vor ihm ausgegoſſen .
Milon . Auch die Liebe begeiſtert zu Geſängen ,
mehr als das helle Morgenroth , mehr als der lieb-
liche Schatten , mehr als der Schimmer des Monds .
O wenn ein tugendhaft Mädchen unſre Lieder
lobt ! Wenn es unſre Lieder mit ſanftem Lächeln
belohnt , oder mit einem Kranz ! Seit Daphne
ihren Freund mich nennt , ſeitdem iſts in meinem
Herzen ſo helle wie in dieſer Gegend voll Son-
nenſchein im Frühling , ſeitdem ſing ich beſſere
Lieder ; Daphne , die ſanft lächelt wie die milde
Ceres , und weiſe iſt wie die Muſen .
Lycas . Ach ! mein Herz iſt lange frey von Lie-
be geblieben , da ſang ich ruhig nichts als frohe
Lobgeſänge den Göttern , oder von der Pflege der
Herde , oder vom Pfropfen der Bäume , oder vom
Warten des Weinſtokes . Aber ſeit ich Chloen
ſah , die unempfindliche Chloe , ſeitdem ſing ich
nur Trauerlieder , ſeitdem ſtöhrt Wehmuth jede
meiner Freuden . Bald hätt’ ich meine Liebe be-
ſiegt , nur ſelten kam ſie in mein Herze zurük .
Aber ach ! ich werde ſie nicht wieder beſiegen ,
ſeit ich Chloen beym blühenden Schlehenbuſch
ſah und ihren Geſang hörte ; muthwillige Ze-
phirs ſchwermten im Buſch und riſſen die weiſ-
ſen Blüthen weg , und ſtreuten ſie auf Chloen hin ,
und ahmeten den beſiegten Winter mit ſeinen
Floken nach .
Milon . Dort wo der ſchwarze Tannenwald
ſteht , dort rieſelt ein Bach aus Stauden hervor ,
dorthin treibt Daphne oft ihre Herde . Jüngſt hab
ich , als das Morgenroth kam , den ganzen Ort
mit Kränzen geſchmükt , flatternd hiengen ſie von
C 2
einer Staude zur andern , und wanden ſich um
ihre Stämme , da war es wie ein Heiligthum des
Frühlings oder der freundlichen Venus . Ich will
izt noch unſere Namen in dieſe Fichte ſchneiden ,
ſprach ich , und dann will ich mich in jenem Buſch
verbergen , und ihr Lächeln ſehn , und ihre Worte
behorchen . So ſprach ich und ſchnitt in die Rin-
de , als plözlich ein Kranz um meine Schläfe ſich
wand , ſchnell ſanft erſchroken ſah ich zurük und
Daphne ſtund lächelnd da , ich habe dich be-
horcht , ſprach ſie , und drükte den zärtlichſten
Kuſs auf meine Lippen .
Lycas . Dort an dem Hugel ſteht meine be-
ſchattete Hütte , dort an der blumichten Quelle
ſtehn meine Bienen-Körbe in zween Reihen ;
wirthſchaftlich wohnen ſie da im kühlen Schat-
ten der Oelbäume . Noch kein junger Flug hat
ſich zuweit von meinem Anger entfernt , ſie ſum-
ſen frölich umher im blumichten Anger , und ſam-
meln mir Honig und Wachs im Ueberfluſs ; Sieh
wie meine Kühe mit vollem Euter gehn , und wie
die jungen Kälber muthwillig ſie umhüpfen , und
wie meine Ziegen und meine Schafe ſo zahlreich
die Stauden entblättern und das Gras mähen .
Diſs , Chloe ! diſs gaben mir die Götter , und ſie
lieben mich weil ich tugendhaft bin ; wilt du ,
o Chloe ! wilt du mich nicht auch lieben wie die
Götter , weil ich tugendhaft bin ?
So ſangen die Hirten , und Menalkas ſprach :
Wem ſoll ich den Preis zutheilen , ihr ſchönen
Sänger ? Eure Lieder ſind ſüſs wie Honig , lieblich
flieſſen ſie wie dieſer Bach , ſo ermuntert der Kuſs
von roſenfarbigten Lippen . Nimm du Lycas das
ſchwarzgeflekte Rind , und gieb dem Milon die
Ziege mit ihrem Jungen .
C 3
AMYNTAS .
B Ey frühem Morgen kam der arme Amyntas
aus dem dichten Hain , das Beil in ſeiner Rech-
ten . Er hatte ſich Stäbe geſchnitten zu einem
Zaun , und trug ihre Laſt gekrümmt auf der Schul-
ter . Da ſah er einen jungen Eichbaum neben
einem hinrauſchenden Bach , und der Bach hatte
wild ſeine Wurzeln von der Erd’ entblöſſet , und
der Baum ſtund da traurig , und drohte zu ſinken .
Schade , ſprach er , ſolteſt du Baum in diſs wilde
Waſſer ſturzen ; nein , dein Wipfel ſoll nicht zum
Spiel ſeiner Wellen hingeworfen ſeyn . Izt nahm
er die ſchweren Stäbe von der Schulter ; ich kan
mir andre Stäbe holen , ſprach er , und hub an ,
einen ſtarken Damm vor den Baum hinzubauen
und grub friſche Erde ; Izt war der Damm ge-
baut , und die entblöſsten Wurzeln mit friſcher
Erde bedekt , und izt nahm er ſein Beil auf die
Schulter , und lächelte noch einmal zu frieden mit
ſeiner Arbeit in den Schatten des geretteten Bau-
mes hin , und wollte in den Hain zurük um andre
Stäbe zu holen ; aber die Dryas rief ihm mit lieb-
licher Stimme aus der Fiche zu : ſolt ich unbe-
lohnet dich weglaſſen ? gütiger Hirt ! ſage mirs ,
was wünſcheſt du zur Belohnung , ich weiſs daſs
du arm biſt , und nur fünf Schafe zur Weide füh-
reſt . O wenn du mir zu bitten vergönnſt , Nymphe ,
ſo ſprach der arme Hirt ; mein Nachbar Palemon
iſt ſeit der Ernde ſchon krank , laſs ihn geſund
werden !
So bat der Redliche , und Palemon ward geſund ;
aber Amyntas ſah den mächtigen Segen in ſeiner
Herde und bey ſeinen Bäumen und Früchten , und
ward ein reicher Hirt , denn die Götter laſſen die
Redlichen nicht ungeſegnet .
Die Dryaden waren Schuz-Göttinen der Eichen , ſie ent-
ſtunden und ſtarben auch wieder mit dem Baum .
C 4
DAMON . DAPHNE .
Damon .
E S iſt vorübergegangen , Daphne ! das ſchwarze
Gewitter , die ſchrökende Stimme des Donners
ſchweigt ; Zittre nicht , Daphne ! die Blize ſchlän-
geln ſich nicht mehr durchs ſchwarze Gewölk ;
laſs uns die Höle verlaſſen ; die Schafe , die ſich
ängſtlich unter dieſem Laubdach geſammelt , ſchüt-
teln den Regen von der triefenden Wolle , und
zerſtreuen ſich wieder auf der erfriſcheten Wei-
de ; Laſs uns hervorgehn , und ſehn , wie ſchön
die Gegend im Sonnenſchein glänzt .
Izt traten ſie Hand in Hand aus der ſchüzen-
den Grotte hervor ; Wie herrlich ! rief Daphne ,
dem Hirt die Hand drükend , wie herrlich glänzt
die Gegend ! Wie hell ſchimmert das Blau des
Himmels durch das zerriſsne Gewölk ! Sie fliehen ,
die Wolken ; wie ſie ihren Schatten in der Sonne-
beglänzten Gegend zerſtreun ! ſieh Damon ,
dort liegt der Hügel mit ſeinen Hütten und Her-
den im Schatten , izt flieht der Schatten und läſst
ihn im Sonnen-Glanz ; ſieh wie er durchs Thal
hin über die blumichten Wieſen lauft .
Wie ſchimmert dort , Daphne ! rief Damon ,
wie ſchimmert dort der Bogen der Iris von ei-
nem glänzenden Hügel zum andern ausgeſpannt ;
am Rüken das graue Gewölk verkündigt die
freundliche Göttin von ihrem Bogen der Gegend
die Ruhe , und lächelt durchs unbeſchädigte
Thal hin .
Daphne antwortete , mit zartem Arm ihn um-
ſchlingend , ſieh die Zephir kommen zurük , und
ſpielen froher mit den Blumen , die verjüngt mit
den hellblizenden Regen-Tropfen prangen , und
die bunten Schmetterlinge und die beflügelten
Würmchens fliegen wieder froher im Sonnen-
ſchein , und der nahe Teich ‒ ‒ wie die genezten
Büſche und die Weiden zitternd um ihn her glän-
C 5
zen ! ſieh er empfängt wieder ruhig das Bild des
hellen Himmels und der Bäume umher .
Damon . Umarme mich Daphne , umarme
mich ! O was für Freude durchſtrömt mich !
wie herrlich iſt alles um uns her ! Welche uner-
ſchöpfliche Quelle von Entzüken ! Von der bele-
benden Sonne bis zur kleineſten Pflanze ſind alles
Wunder ! O wie reiſst das Entzüken mich hin !
wenn ich vom hohen Hügel die weitausgebrei-
tete Gegend überſehe , oder , wenn ich ins Gras
hingeſtrekt , die manigfaltigen Blumen und Kräu-
ter betrachte und ihre kleine Bewohner ; oder
wenn ich in nächtlichen Stunden , bey geſtirntem
Himmel , den Wechſel der Jahrszeiten , oder den
Wachsthum der unzählbaren Gewächſe ‒ ‒ wenn
ich die Wunder betrachte , dann ſchwellt mir
die Bruſt , Gedanken drengen ſich dann auf ;
ich kan ſie nicht entwikeln , dann wein’ ich
und ſinke hin und ſtammle mein Erſtaunen dem
der die Erde ſchuf ! O Daphne , nichts gleicht
dem Entzüken , es ſey denn das Entzüken von dir
geliebt zu ſeyn .
Daphne . Ach Damon ! auch mich , auch mich
entzüken die Wunder ! O laſs uns in zärtlicher
Umarmung den kommenden Morgen , den Glanz
des Abendrohts und den ſanften Schimmer des
Mondes , laſs uns die Wunder betrachten , und
an die bebende Bruſt uns drüken , und unſer Erſtau-
nen ſtammeln ; O welch unausſprechliche Freude !
wenn diſs Entzüken zu dem Entzüken der zärt-
lichſten Liebe ſich miſcht .
DAMON . PHILLIS .
Damon .
I Zt hab ich ſechszehn Frühlinge geſehn , doch
liebſte Phillis ! keiner , noch keiner war ſo ſchön
wie der ; weiſsſt du warum ? ‒ ‒ Ich hüt’ izt
neben dir die Herde .
Phillis . Und ich , ich hab izt dreizehn Früh-
linge geſehn . Ach liebſter Damon ! keiner , nein
keiner war für mich ſo ſchön wie der ; weiſsſt
du warum ? ‒ ‒ Izt drükte ſie ihn ſeufzend an
die Bruſt .
Damon . Sieh Phillis , wie der dichte Buſch ,
bey dieſer Schleuſſe ſchattigt ſich wölbt , hör wie
die Quelle rauſcht ; dort wollen wir ins hohe
Gras uns legen , und ‒ ‒ ‒
Phillis . Ja , lieber Damon ! denn bey dir nur
bin ich froh . Sieh her , mein Buſen bebt voll
Freude , denn ‒ ‒ denk einmal , fünf lange Stun-
den , hab ich dich nicht geſehn .
Damon . Hier , liebe Phillis ! hier ſeze dich im
Klee . O könnt ich immer dich lächeln ſehn ,
und deine Augen ! ‒ ‒ Nein , ſieh mich nicht ſo an ,
ſprach er , und drükte ſanft des Mädchens Augen
zu ; Glaube , wenn dein Blik ſo lächelnd mir ins
Auge ſieht , ich weiſs nicht wie mir dann ge-
ſchieht , ich zittre , ich ſeufze dann und meine
Worte ſtoken .
Phillis . Nimm Damon , nimm die Hand von
meinen Augen , denn , wenn du meine Hand in
deine drükeſt , dann gehts mir eben ſo , mich
durchzittert dann etwas , ich weiſs nicht was es
iſt , dann pochet mir das Herz .
Damon . Sieh Phillis , ſieh , was iſt dort auf
dem Baum ? zwo Dauben , ‒ ‒ ſieh ‒ ‒ ſieh wie
ſie freundlich ſich mit den Flügeln ſchlagen ; höre
wie ſie girren ; Izt , izt ‒ ‒ ſie piken ſich den
bunten Hals , und izt den kleinen Kopf , und um
die kleinen Augen . Komm , Phillis ! komm , wir
wollen mit den Armen uns auch umſchlagen , wie
ſie mit den Flügeln ; Reiche deinen Hals mir her
und deine Augen , daſs ich dich ſchnäbeln kan ‒ ‒
Phillis . Halt deine Lippen doch auf meine
Lippen , dann Damon , ſchnäbeln beyde .
Damon . Ach Phillis ! ach ! wie ſüſs iſt dieſes
Spiel ! Habt Dank , habt Dank , ihr kleinen Dau-
ben ! der Sperber töd’ euch nie ‒ ‒
Phillis . Habet Dank , ihr kleinen Dauben , ha-
bet Dank ; flieget her in meinen Schoos , kommt
wohnet bey mir . Im Feld und im Hain will ich
die beſten Speiſen euch ſammeln ; indeſs daſs Da
mon mich ſchnäbelt , könnt ihr dann auf meinem
Schoos euch ſchnäbeln ; ‒ ‒ Sie kommen nicht ‒ ‒
ſie fliegen weg !
Damon . Höre Phillis ! mir fällt was ein ;
Wenn dieſes Küſſe wären , von denen jüngſt Amyn-
tas ſang .
„ Dem müden Schnitter iſt ein friſcher Trunk
„nicht halb ſo ſüſs , als Liebenden ein Kuſs ;
„viel lieblicher iſt ſein Geräuſch , als wann ein
„kühler Bach , wenn uns der ſchwühle Mittag
„brennt , durch dunkle Schatten flieſst .
Phillis . Ja gewiſs ! Bald wollt’ ich wetten ,
daſs es Küſſe ſind , komm , wir wollen gehn und
Chloen fragen . ‒ ‒ Doch ſeze mir zuerſt den Kranz
zurecht . ‒ ‒ Du haſt mein Haar zerzauſst !
DER ZERBROCHENE
KRUG .
E In ziegenfüſſigter Faun lag unter einer Eiche in
tiefem Schlaf ausgeſtrekt , und die jungen Hirten ,
ſahen ihn , wir wollen , ſprachen ſie , ihn feſt an
den Baum binden , und dann ſoll er uns für die
Loslaſſung ein Lied ſingen . Und ſie banden ihn
an dem Stamm der Eiche feſt , und warfen mit
der gefallenen Frucht des Baumes ihn wach . Wo
bin ich ? ſo ſprach der Faun , und gähnte , und
dähnte die Arme und die Ziegenfüſſe weit aus ,
wo bin ich ? Wo iſt meine Flöte ? Wo iſt mein
Krug ? Ach ! da liegen die Scherben vom ſchön-
ſten Krug ! Da ich geſtern im Rauſch hier ſank ,
da hab ich ihn zerbrochen ‒ ‒ Aber wer hat
mich feſtgebunden ? ſo ſprach er und ſah rings
umher , und hörte das zwitſchernde Lachen der
Hirten . Bindet mich los , ihr Knaben , rief er ;
Wir
Wir binden dich nicht los , ſprachen ſie , du ſin-
geſt uns denn ein Lied . Was ſoll ich euch ſin-
gen , ihr Hirten ? ſprach der Faun , von dem zer-
brochenen Krug will ich ſingen , da ſezet euch
im Gras um mich her .
Und die Hirten ſezten ſich ins Gras um ihn her ,
und er hub an .
Er iſt zerbrochen , er iſt zerbrochen , der ſchön-
ſte Krug , da liegen die Scherben umher !
Schön war mein Krug , meiner Höle ſchönſte
Zierde , und gieng ein Wald-Gott vorüber , denn
rief ich : Komm , trink’ und ſiehe den ſchönſten
Krug . Zeus ſelbſt hat bey dem froheſten Feſt
nicht einen ſchönern Krug .
Er iſt zerbrochen , ach ! er iſt zerbrochen ! der
ſchönſte Krug ! Da liegen die Scherben umher .
Wenn bey mir die Brüder ſich ſammelten , dann
ſaſſen wir rings um den Krug ! Wir tranken , und
jeder der trank , ſang die darauf gegrabene Ge-
ſchichte , die ſeinen Lippen die nächſte war . Izt
D
trinken wir nicht mehr , ihr Brüder ! aus dem
Krug , izt ſingen wir nicht mehr die Geſchichte ,
die jedes Lippen die nächſte iſt ;
Er iſt zerbrochen , ach er iſt zerbrochen , der
ſchönſte Krug ! Da liegen die Scherben umher .
Denn auf dem Krug war gegraben , wie Pan
voll Entſezen am Ufer ſah , wie die ſchönſte
Nymphe , in den umſchlingenden Armen , in
liſpelnden Schilf ſich verwandelte ; Er ſchnitt da
Flöten von Schilfrohr , von ungleicher Länge , und
kleibte mit Wachs ſie zuſammen , und blies dem
Ufer ein trauriges Lied . Die Echo horchte die
neue Muſik und ſang ſie dem erſtaunten Hain und
den Hügeln .
Aber er iſt zerbrochen , er iſt zerbrochen , der
ſchönſte Krug ! Da liegen die Scherben umher .
Dann ſtund auf dem Kruge , wie Zeus , als weiſ-
ſer Stier , auf dem Rüken die Nymph’ Europa auf
Wellen entführte ; Er lekte mit ſchmeichelnder
Zunge der Schönen entblöſſetes Knie . Indeſs
rang ſie jammernd die Hände über dem Haupt ,
mit deſſen lokichtem Haare die gaukelnden Ze-
phire ſpielten , und vor ihm her ritten die Amors ,
lächelnd auf dem willigen Delphin .
Aber er iſt zerbrochen , er iſt zerbrochen , der
ſchönſte Krug ! Da liegen die Scherben umher .
Auch war der ſchöne Bachus gegraben ; Er
ſaſs in einer Laube von Reben , und eine Nymphe
lag ihm zur Seite . Ihr linker Arm umſchlang
ſeine Hüften , den rechten hielt ſie empor und
zog den Becher zurük , nach dem ſeine lächelnden
Lippen ſich ſehnten . Schmachtend ſah ſie ihn an
und ſchien ihn um Küſſe zu flehen , und vor ihm
ſpielten ſeine geflekten Tieger ; ſchmeichelnd aſſen
ſie Trauben , aus den kleinen Händen der Amors ;
Aber er iſt zerbrochen , er iſt zerbrochen , der
ſchönſte Krug ! Da liegen die Scherben umher .
O klag es Echo dem Hain , klag es dem Faun in
den Hölen ! er iſt zerbrochen , da liegen die Scher-
ben umher .
D 2
So ſang der Faun , und die jungen Hirten ban-
den ihn los und beſahen bewundernd die Scher-
ben im Gras .
DAPHNIS . CHLOE .
D As Abendroth kam , als Chloe mit ihrem
Daphnis zu dem rieſelnden Bach in das einſame
Weiden-Gebüſche kamen ; Hand in Hand ge-
drükt kamen ſie ins Gebüſche ; aber ſchon ſaſs
Alexis am rieſelnden Bach , ein ſchöner Jüng-
ling , aber noch nie war die Liebe in ſeinem
Buſen erwachet ; Sey mir gegrüſst , du Liebe-
leerer Jüngling , ſprach Daphnis , vielleicht zwar
hat izt ein Mädchen dein Herz enthärtet , da du
ſo einſame Schatten ſucheſt , denn die Liebenden
ſuchen gerne einſame Schatten . Ich komme mit
meiner Chloe her , wir wollen im ſtillen Buſch
das Glük unſrer Liebe ſingen . So ſprach er , und
drükte des Mädchens Hand an ſeine Bruſt . Wilt
du zuhören , Alexis ?
Alexis . Nein kein Mädchen hat mein Herz ent-
härtet . Ich kam hieher zu ſehn , wie ſchön der
D 3
Abend die Berge röthet , aber gerne will ich
euern Geſang hören , es iſt lieblich beym Abend-
roth einen ſchönen Geſang zu hören .
Daphnis . Komm Chloe , hier laſs uns neben
ihm ins Gras uns ſezen , wir wollen ein Lied ſin-
gen , meine Flöte ſoll deinen Geſang begleiten ,
Chloe , und du Alexis , du biſt ein guter Flöten-
Spieler , begleite du den meinen .
Ich will ihn begleiten , ſprach Alexis , und izt
ſezten ſie ſich ins Gras am Bach , und Daphnis
hub an .
Daphnis . Du ſtilles Thal und ihr belaubte Hü-
gel , kein Hirt iſt ſo glüklich wie ich , denn Chloe
liebet mich ! lieblich iſt ſie wie der frühe Mor-
gen , wenn die Sonne ſanft vom Berg heraufſteigt ;
dann , dann freut ſich jede Blume , und die Vögel
ſingen ihr entgegen , und hüpfen froh auf ſchlan-
ken Aeſten , daſs der Thau vom Laube fällt .
Chloe . Froh iſt die kleine Schwalbe , wenn
ſie vom Winter-Schlaf im Sumpf erwachet , und
den ſchönen Frühling ſieht ; ſie hüpft dann auf den
Weidenbaum und ſinget ihr Entzüken , den Hü-
geln und dem Thal , und ruft , Geſpielen , wachet
auf ! der Frühling iſt izt da . Doch viel entzükter
bin ich noch , denn Daphnis liebet mich , und ich
ruf euch Geſpielen zu , viel ſüſſer iſts als der kom-
mende Frühling , wenn uns ein tugendhafter Jüng-
ling liebt .
Daphnis . Schön iſt es , wenn auf fernen Hü-
geln , die Herden in dunkeln Büſchen irren ; doch
ſchöner iſts , o Chloe ! wenn ein friſcher Blu-
men-Kranz dein dunkles Haar durchirrt ; ſchön
iſt des heitern Himmels Blau , doch ſchöner iſt dein
blaues Auge , wenn es lächelnd mir winket . Ja
liebe Chloe , mehr lieb ich dich als ſchnelle Fiſche
den klaren Teich , mehr als die Lerche die Mor-
gen-Luft .
Chloe . Da als ich im ſtillen Teich mich beſah ,
ach ! ſeufzt’ ich , könnt ich dem Daphnis gefal-
len ! dem beſten Hirten . Indeſs ſtandſt du ungeſehn
D 4
mir am Rüken und warfeſt Blumen über mein
Haupt hin , daſs mein Bild in hüpfenden Kreiſen
verſchwand ; Erſchroken ſah ich zurük , und ſah
dich , und ſeufzte , und da drükteſt du mich an
deine Bruſt . Ach ! riefſt du , die Götter ſind Zeu-
gen , ich liebe dich ! ach ! ſprach ich , ich liebe
dich , mehr als die Bienen die Blüthen , mehr als
die Blumen den Morgenthau .
Daphnis. O Chloe , wenn du mit thränendem
Auge , wenn du mit umſchlingendem Arme mir
ſagſt , Daphnis ! ich liebe dich ! Ach dann ſeh
ich durch den Schatten der Baume hinauf , in den
glänzenden Himmel ; ihr Götter ! ſeufz ich dann ,
ach wie kann ich mein Glük euch danken , daſs ihr
Chloen mir ſchenkt ? und dann ſink ich an ihre
Bruſt hin und weine , und dann küſst ſie die Thrä-
nen mir vom Aug .
Chloe . Und dann küſs ich die Thränen dir
vom Aug , aber häufigere Thränen flieſſen dann
mir vom Aug und miſchen ſich zu deinen Thränen .
Daphnis , ſeufz ich dann , ach Chloe ! ſeufzeſt du ,
und die Echo ſeufzet uns nach . Die Herd erquikt
das junge Frühlings-Gras ; Der kühle Schatten
erquikt , bey ſchwühler Mittags-Hiz ; mich , Daph-
nis ! mich erquiket nichts ſo ſehr , als wenn dein
holder Mund mir ſagt , daſs du mich liebſt .
So ſangen Daphnis und Chloe . Glükliche Kin-
der , ſo ſprach Alexis und ſeufzt ’ ; ach ! izt fühl
ichs , daſs die Lieb ’ ein Glük iſt , euer Geſang und
eure Blike und euer Entzüken habens mir geſagt .
D 5
LYCAS ,
ODER DIE ERFINDUNG DER
GÄRTEN .
I Zt ſchlieſst uns der ſtürmende Winter ins Zim-
mer , und Wirbelwinde durchwühlen den ſilber-
nen Regen der Floken ; Izt ſoll mir die Einbil-
dungskraft den Schaz von Bildern öfnen , die ſie
in dem blumichten Lenz und in dem ſchwülen
Sommer und in dem bunten Herbſt ſich geſam-
melt ; aus ihnen will ich izt die ſchönſten wäh-
len , und für dich , ſchöne Daphne ! in Gedichte
ſie ordnen . So wählt ein Hirt ſeinem Mädchen
zum Kranz nur die ſchönſten Blumen . O daſs es
dir gefalle ! wenn meine Muſe dir ſingt , wie in
der Jugend der Tage , ein Hirt der Gärten Kunſt
erfand .
Das iſt der Ort , ſprach Lycas , der ſchöne Hirt ;
hier unter dieſem Ulmbaum iſts , wo geſtern , als
die Sonne wich , die ſchöne Chloe mir die erſten
Küſſe gab ; hier ſtandſt du und ſeufzteſt , als mei-
ne zitternden Arme dich umſchlangen , als meine
ſtokende Stimme meine Liebe dir ſagte , und mein
pochendes Herz und meine Thränen im Aug.
O da Chloe ! da entſank dein Hirten-Stab der
zitternden Hand , da ſankſt du an meine bebende
Bruſt ; Lycas ! ſo ſtammelteſt du , o Lycas ! ich
liebe dich ! Ihr ſtillen Büſche , ihr einſamen Quel-
len ſeyd Zeugen , euch hab ich meine Liebe ge-
klagt , und ihr , ihr Blumen , ihr tranket meine
Thränen wie Thau !
O Chloe wie bin ich entzükt ! welch unaus-
ſprechliches Glük iſt die Liebe ! hier dieſer Ort
ſey der Liebe geheiligt ! Ich will um die Ulme
her Roſen-Stauden pflanzen , und die ſchlanke
Waldwinde ſoll ſich an ihrem Stamm hoch hin-
auf ſchlingen , mit den weiſſen Purpur-geſtreiften
Blumen geſchmükt ; ich will hieher den ganzen
Frühling ſammeln ; die ſchöne Saat-Roſe will
ich hier bey der Lilie pflanzen . Ich will auf die
Wieſen und auf die Hügel gehen , und will ihnen
die blumichten Pflanzen rauben ; die Viole und
die Nelke , und die blaue Gloken-Blume , und die
braune Scabioſe , alles , alles will ich ſammeln ;
dann ſoll es ſeyn wie ein Hain voll ſüſſer Ge-
rüche , und dann will ich um den Blumen-Hain
her die nahe Quelle leiten , daſs er zur kleinen In-
ſul wird , und rings umher will ich einen Zaun
von Dornbüſchen pflanzen , daſs die Ziegen und
die Schafe ihn nicht verwüſten . O dann kom-
met , ihr , die ihr der Liebe lebt , ſeufzende Tur-
teldauben , kommt dann im Wipfel der Ulme zu
klagen , und ihr , ihr Sperlinge , verfolgt euch
durchs Roſen-Gebüſch , und ſingt von wiegen-
den Aeſten , und ihr , ihr bunten Schmetterlinge ,
haſchet euch im Blumen-Hain , und paart euch
auf wankenden Lilien .
Dann ſagt der Hirt , der vorüber geht , wenn
ihm die Zephire die Gerüche weit her entge-
gen tragen , welcher Gottheit iſt dieſer Ort hei-
lig ? Gehört er der Venus , oder hat ihn Diana ſo
ſchön geſchmükt , um müd von der Jagd hier zu
ſchlummern ?
PALEMON .
W Ie lieblich glänzet das Morgenroth durch die
Haſelſtaude und die wilden Roſen am Fenſter !
Wie froh ſinget die Schwalbe auf dem Balken
unter meinem Dach ! und die kleine Lerche in
der hohen Luft ! Alles iſt munter , und jede Pflanze
hat ſich im Thau verjüngt ; auch ich , auch ich
ſcheine verjüngt ; mein Stab ſoll mich Greiſen vor
die Schwelle meiner Hütte führen , da will ich
mich der kommenden Sonne gegenüber ſezen ,
und über die grünen Wieſen hinſehn . O wie
ſchön iſt alles um mich her ! Alles was ich höre
ſind Stimmen der Freude und des Danks . Die
Vögel in der Luft und der Hirt auf dem Felde ſin-
gen ihr Entzüken , auch die Herden brüllen ihre
Freude von den graſreichen Hügeln und aus dem
durchwäſſerten Thal . O wie lang , wie lang ,
ihr Götter ! ſoll ich noch eurer Gütigkeit Zeuge
ſeyn ? Neunzig male hab ich izt den Wechſel der
Jahrszeiten geſehn , und wann ich zurük denke ,
von izt bis zur Stunde meiner Geburt , eine weite
liebliche Ausſicht , die ſich am Ende , mir unüber-
ſehbar in reiner Luft verliert , o wie wallet dann
mein Herz auf ! Iſt das Entzuken , das meine Zunge
nicht ſtammeln kann , ſind meine Freuden-Thrä-
nen , ihr Götter ! nicht ein zu ſchwacher Dank ?
Ach flieſst ihr Thränen , flieſst die Wangen her-
unter ! wenn ich zurük ſehe , dann iſts , als hätt’
ich nur einen langen Frühling gelebt , und meine
trüben Stunden waren kurze Gewitter , ſie erfri-
ſchen die Felder und beleben die Pflanzen . Nie
haben ſchädliche Seuchen unſre Herde gemindert ,
nie hat ein Unfall unſre Bäume verderbt , und bey
dieſer Hütte hat nie ein langwierig Unglük ge-
ruht . Entzükt ſah ich in die Zukunft hinaus ,
wenn meine Kinder lächelnd auf meinem Arm
ſpielten , oder wenn meine Hand des plappernden
Kindes wankenden Fuſstritt leitete ; Mit Freuden-
Thränen ſah ich in die Zukunft hinaus , wenn ich
die jungen Sproſſen aufkeimen ſah ; ich will ſie
vor Unfall ſchüzen , ich will ihres Wachsthums
warten , ſprach ich , die Götter werden die Be-
mühung ſegnen ; ſie werden empor wachſen ,
und herrliche Früchte tragen , und Bäume werden ,
die mein ſchwaches Alter in erquikenden Schat-
ten nehmen . So ſprach ich , und drükte ſie an
meine Bruſt , und izt ſind ſie voll Segen empor
gewachſen , und nehmen mein graues Alter in er-
quikenden Schatten ; ſo wuchſen die Apfel Bäu-
me , und die Birnen-Bäume , und die hohen Nuſs-
Bäume , die ich als Jüngling um die Hütte her
gepflanzet habe , hoch empor ; ſie tragen die alten
Aeſte weit herum , und nehmen die kleine Woh-
nung in erquikenden Schatten . Diſs , diſs war
mein heftigſter Gram , o Mirta ! da du an meiner
bebenden Bruſt , in meinen Armen ſturbeſt . Zwölf
male hat izt ſchon der Frühling dein Grab mit
Blumen geſchmükt ; aber der Tag nahet , ein froher
Tag!
Tag ! da meine Gebeine zu den deinen werden
hingelegt werden ; vielleicht führt ihn die kom-
mende Nacht herbey ! O ! ich ſeh es mit Luſt , wie
mein grauer Bart ſchneeweiſs über meine Bruſt
herunter wallt ; ein herrliches Merkmal der Güte
der Götter ! Ja ſpiele mit dem weiſſen Haar auf
meiner Bruſt , du kleiner Zephir , der du mich
umhüpfeſt , er iſt es ſo werth , als das goldne Haar
des frohen Jünglings und die braunen Loken am
Naken des aufblühenden Mädchens . O dieſer
Tag ſoll mir ein Tag der Freude ſeyn ! ich will
meine Kinder um mich her ſammeln , bis auf den
kleinen ſtammelnden Enkel , und will den Göttern
opfern ; hier vor meiner Hütte ſey der Altar ; ich
will mein kahles Haupt umkränzen , und mein
ſchwacher Arm ſoll die Leyer nehmen , und dann
wollen wir , ich und meine Kinder , um den Al-
tar her Loblieder ſingen ; dann will ich Blumen
über meine Tafel ſtreuen , und unter frohen Ge-
ſprächen das Opferfleiſch eſſen . So ſprach Pale-
E
mon und hub ſich zitternd an ſeinem Stab auf ,
und rief die Kinder zuſammen , und hielt den
Göttern ein frohes Feſt .
Der ſtille Abend kam , und Palemon ſprach ,
voll heiliger Ahnung : laſst uns hinausgehen , Kin-
der , zu dem Grabe der Mirta , da laſst uns Wein
und Honig hingieſſen , und das Feſt mit Geſängen
enden . Und ſie giengen hinaus auf das Grab ;
umarmet mich , Kinder , ſprach der Greis , voll
heiligen Entzükens , und er ward aus ihren um-
ſchlingenden Armen zur Cypreſſe verwandelt , die
izt das Grab beſchattet .
Der ſtille Mond war Zeuge der Geſchichte ,
und hielt ſtille in ſeinem Lauf , und wer in dem
Schatten des Baumes ruht , dem bebt ein heiliges
Entzüken durch die Bruſt , und eine fromme
Thräne fällt ihm vom Aug .
MIRTIL . THYRSIS .
M Irtil hatte ſich in einer kühlen nächtlichen
Stunde auf einen weitumſehenden Hügel bege-
ben ; geſammelte dürre Reiſer brannten vor ihm
in hellen Flammen , indeſs daſs er einſam ins Gras
geſtrekt mit irrenden Bliken den Himmel , mit
Sternen beſäet , und die vom Mond beleuchtete
Gegend durchlief . Aber ſchüchtern ſah er ſich
izt um , denn es rauſchte etwas im Dunkeln da-
her . Es war Thyrſis ; Sey mir willkommen ,
ſprach er ; ſeze dich zum wärmenden Feuer , wie
kömmſt du hieher , izt da die ganze Gegend
ſchlummert ?
Thyrſis . Sey mir gegrüſst , hätt’ ich dich zu
finden geglaubt , ich hätte nicht ſo lange gezaudert
den lodernden Flammen zu folgen , die im Dun-
keln ſo ſchön ins Thal glänzen . Aber höre Mir-
til , izt , da des Mondes düſtrer Schimmer und die
E 2
einſame Nacht zu ernſten Geſängen uns lokt , höre
Mirtil , ich ſchenke dir eine ſchöne Lampe , die
mein künſtlicher Vater aus Erde gebildet hat ,
eine Schlange mit Flügeln und Füſſen , die
den Mund weit aufſperrt , aus dem das kleine
Licht brennt , den Schweif ringelt ſie empor be-
quem zur Handhabe ; diſs ſchenk ich dir , wenn
du mir die Geſchichte des Daphnis und der Chloe
ſingeſt .
Mirtil . Ich will dir die Geſchichte des Daph-
nis und der Chloe ſingen , izt da die Nacht zu
ernſten Geſängen lokt . Hier ſind dürre Reiſer ,
ſieh du indeſs , daſs das wärmende Feuer nicht
erlöſcht .
Klaget mir nach , ihr Felſenklüfte , traurig töne
mein Lied zurük , durch den Hain und vom Ufer !
Sanft glänzte der Mond , als Chloe am einſa-
men Ufer ſtund , ſehnlich wartend , denn ein
Nachen ſollte den Daphnis über den Fluſs bringen .
Lange ſäumt mein Geliebter , ſo ſprach ſie ; die
Nachtigal ſchwieg und horchte die zärtlichen Ac-
cente . Lange ſäumt er ; doch ‒ ‒ horche ‒ ‒ ich
höre ein plätſchern , wie wenn Wellen wider
einen Nachen ſchlagen . Kömmſt du ? Ja ! ‒ doch
nein ; wollt ihr mich noch oft betriegen ihr
plätſchernden Wellen ? O ! ſpottet nicht des un-
gedultigen Wartens des zärtlichſten Mädchens !
Wo biſt du izt Geliebter ? beflügelt Ungedult nicht
deine Füſſe ? wandelſt du izt im Hain dem Ufer
zu ? O daſs kein Dorn die eilenden Füſſe verleze ,
und keine ſchleichende Schlange deine Ferſen !
Du keuſche Göttin , Luna , oder Diana , mit dem
nie-fehlenden Bogen , ſtreue von deinem ſanften
Glanz auf ſeinen Weg hin ! O wenn du aus dem
Nachen ſteigſt , wie will ich dich umarmen ! ‒ ‒
Aber izt , gewiſs izt , izt triegt ihr mich doch
nicht ihr Wellen ! o ſchlaget ſanft den Nachen !
traget ihn ſorgfältig auf euerm Rüken ! O ihr
Nymphen , wenn ihr je geliebt habet , wenn ihr
je wiſst was zärtliche Erwartung iſt ‒ ‒ ich ſeh
E 3
ihn , ſey mir gegrüſst ! ‒ ‒ Du antworteſt nicht ?
Götter ! ‒ ‒ Izt ſank Chloe ohnmächtig am Ufer
hin .
Klaget mir nach , ihr Felſenklüfte , traurig töne
mein Lied zurük , durch den Hain und vom Ufer !
Ein umgeſtürzter Nachen ſchwamm daher , der
Mond beſchien die klägliche Geſchichte . Am
Ufer lag Chloe ohnmächtig , und eine ſchauernde
Stille herrſchte umher , aber ſie erwachte wie-
der , ein ſchrökliches Erwachen ! Sie ſaſs am Ufer ,
bebend und ſprachlos , und der Mond verbarg ſich
hinter den Wolken ; ihre Bruſt bebte von ſchluch-
zen und ſeufzen , izt ſchrie ſie laut , und die Echo
wiederholte der trauernden Gegend ihr Geſchrey ,
und ein banges Winſeln rauſchte durch den Hain
und durch die Gebüſche , ſie ſchlug die ringenden
Hände auf die Bruſt , und riſs die Loken vom
Haupt ; ach Daphnis ! Daphnis ! o ihr treuloſen
Wellen ! ihr Nymphen ! ach ! ich elende ! ich
zaudre , ich ſäume , den Tod in den Wellen zu
ſuchen , die die Freude meines Lebens geraubt ha-
ben ! So rief ſie , und ſprang vom Ufer in den Fluſs .
Klaget mir nach , ihr Felſenklüfte , traurig töne
mein Lied zurük , durch den Hain und vom Ufer !
Aber die Nymphen hatten den Wellen befoh-
len , ſorgfältig ſie auf dem Rüken zu tragen . Grau-
ſame Nymphen ! rief ſie , ach ! zögert nicht mei-
nen Tod ! ach , verſchlinget mich Wellen ! aber
die Wellen verſchlangen ſie nicht , ſie trugen ſie
ſanft auf dem Rüken , zum Ufer eines kleinen Ey-
landes . Daphnis hatte mit ſchwimmen ſich ans
Eyland gerettet ; wie zärtlich ſie ihm in die
Arme ſank und ihr Entzüken , o das kann ich nicht
ſingen ! zärtlicher als wenn die Nachtigall ihrem
Gefängniſs entfliegt , ihr Gatte hatte Nächte durch
im Wipfel kläglich geſeufzet , ſie fliegt izt ent-
zükt dem ſchauernden Gatten zu , ſie ſeufzen und
ſchnäbeln und umſchlagen ſich mit ihren Flügeln ,
aber izt tönt ihr Entzüken in Freuden-Liedern
die ſtille Nacht durch .
E 4
Klaget izt nicht mehr , ihr Felſenklüfte , Freu-
de töne izt vom Hain zurük und vom Ufer . Und
du gieb mir die Lampe , denn ich habe dir die
Geſchichte des Daphnis und der Chloe ge-
ſungen .
CHLOE .
I Hr freundlichen Nymphen , die ihr in dieſem
ſtillen Felſen wohnet , ihr habt dichtes Geſträuch
vor die kühle Oefnung hingepflanzt , daſs ſtille
Ruhe und ſanfter Schatten euch erquike ; die ihr
dieſe klare Quelle aus euern Urnen gieſst , wenn
ihr nicht izt im dichten Hain mit den Waldgöt-
tern euch freut , oder auf dem nahen Hügel , oder
wenn ihr auf euern Urnen ſchlummert , o dann
ſtöhre meine Stimme nicht eure Ruhe ! Aber hö-
ret meine Klagen , freundliche Nymphen , wenn
ihr wachet ! Ich liebe ‒ ‒ ach ! ‒ ‒ ich liebe
den Lycas mit dem gelben Haar ! habt ihr den
jungen Hirten nicht geſehn , wenn er ſeine gefle-
keten Kühe und die hüpfenden Kälber hier vor-
über treibt , und hinter ihnen hergehend auf ſeiner
Flöte dem Wiederhall ruft ? habt ihr ſeine blauen
Augen , ſein ſanftes Lächeln nicht geſehn ? oder
E 5
habt ihr ſeinen Geſang gehört , wenn er vom
frohen Frühling ſingt , oder von der frohen Ernde ,
oder vom bunten Herbſt , oder von der Pflege der
Herde ? Ach ! ich liebe den ſchönſten Hirten ,
und er weiſs es nicht , daſs ich ihn liebe . O wie
lang wareſt du , herber unfreundlicher Winter !
der du von den Fluren uns ſcheucheſt , wie lang
iſts , ſeit ich im Herbſt ihn das lezte mal ſah !
Ach ! da lag er ſchlummernd im Buſch , wie ſchön
lag er da ! wie ſpielten die Winde mit ſeinen Lo-
ken ! und der Sonnenſchein ſtreute ſchwebende
Schatten der Blätter auf ihn hin : O ich ſeh ihn
noch , ſie hüpften auf ſeinem ſchönen Geſicht
umher , die Schatten der Blätter , und er lächelte
wie im froheſten Traum . Schnell ſammelt’ ich
da Blumen , und wand ſanft einen Kranz um des
ſchlafenden Haar und um ſeine Flöte , und da
trat ich zurük ; ich will izt warten , ſprach ich ,
bis er aufwachet ; wie wird er lächeln , wie
wird er ſich wundern , wenn er ſein Haupt um-
kränzt ſieht , und ſeine Flöte ; hier will ichs er-
warten , er muſs mich wol ſehen , wenn ich hier
ſtehe , und wenn er mich nicht ſieht ‒ ‒ dann
will ich laut lachen . So ſprach ich , und ſtund
im nahen Buſch , als meine Geſpielen mich riefen ;
O wie war ich böſe , ich muſst’ izt gehen , und
konnte ſein Lächeln nicht und ſeine Freude nicht
ſehen , als er ſein Haar und ſeine Flöte bekränzet
ſah . Wie froh bin ich ! izt kömmt der Frühling
zurük , izt werd ich ihn wieder auf den Fluren
ſehn ! Ihr Nymphen ! hier will ich Kränze an die
Aeſte der Gebuſche hängen , die eure Höle be-
ſchatten , es ſind die erſten Blumen , frühe Violen ,
und May-Blumen , und gelbe Schlüſſel-Blumen ,
und röthlichte Maſslieben , und die erſten Blü-
then ; Seyd meiner Liebe gewogen ; und wenn
der Hirt an dieſer Quelle ſchlummert , dann ſagt
ihm im Traum , daſs es Chloe iſt , die ſeine Flöte
und ſein Haar bekränzt hat , daſs es Chloe iſt die
ihn liebt .
So ſprach Chloe , und umhieng die noch unbe-
laubten Gebüſche mit den erſten Blumen , und ein
ſanftes Geräuſch drang aus der Höle , wie wenn
die Echo den fernen Geſang einer Flöte nach-
ſingt .
MENALKAS und ÆSCHINES ,
DER JÄGER .
D Er junge Hirt Menalkas weidete auf dem
hohen Gebürge , und er gieng tief ins Gebürg , im
wilden Hain ein Schaf zu ſuchen , und im wilden
Hain fand er einen Mann , der abgemattet im
Buſch lag ; Ach junger Hirt , ſo rief der Mann ,
ich kam geſtern auf diſs wilde Gebürge die Rehe
und die wilden Schweine zu verfolgen , und ich
habe mich verirrt , und bis izt , keine Hütte und
keine Quelle für meinen Durſt , und keine Speiſe
für meinen Hunger gefunden . Der junge Menal-
kas gab ihm izt Brod aus ſeiner Taſche , und fri-
ſchen Käs , und nahm ſeine Flaſche von der Seite ,
erfriſche dich , ſo ſprach er , hier iſt friſche Milch ,
und dann folge mir , daſs ich dich aus dem Ge-
bürge führe ; und der Mann erfriſchte ſich und
der Hirt führte ihn aus dem Gebürg .
Aeſchines , der Jäger , ſprach izt : du ſchöner
Hirt , du haſt mein Leben gerettet , wie ſoll ich
dich belohnen , komm mit mir in die Stadt , dort
wohnt man nicht in ſtröhernen Hütten ; Palläſte
von Marmor ſteigen dort hoch an die Wolken ,
und hohe Säulen ſtehen um ſie her , du ſolt bey
mir wohnen , und aus Gold trinken , und die
köſtlichen Speiſen aus ſilbernen Platten eſſen .
Menalkas ſprach : Was ſoll ich in der Stadt ?
Ich wohne ſicher in meiner niedern Hütte , ſie
ſchüzt mich vor Regen und rauhen Winden , und
ſtehn nicht Säulen umher , ſo ſtehn doch frucht-
bare Bäume und Reben umher , dann hol ich aus
der nahen Quelle klares Waſſer im irdenen Krug ,
auch hab ich ſüſſen Moſt , und dann eſs ich was
mir die Bäume und meine Herde geben , und hab
ich nicht Silber und Gold , ſo ſtreu ich wolrie-
chende Blumen auf den Tiſch .
Aeſchines . Komm mit mir Hirt , dort hat man
auch Bäume und Blumen , dort hat ſie die Kunſt
in gerade Gänge gepflanzet , und in ſchön geord-
nete Beeten geſammelt ; dort hat man auch Quel-
len , Männer und Nymphen von Marmor gieſſen
ſie in groſſe marmorne Beken .
Menalkas . Schöner iſt der ungekünſtelte ſchat-
tichte Hain mit ſeinen gekrümmten Gängen , ſchö-
ner ſind die Wieſen mit tauſendfältigen Blumen
geſchmükt ; ich hab auch Blumen um die Hütte
gepflanzt , Majoran und Lilien und Roſen ; und
o wie ſchön ſind die Quellen wenn ſie aus Klip-
pen ſprudeln , oder aus dem Gebüſche von Hü-
geln ſallen , und dann durch blumichte Wieſen
ſich ſchlängeln ! Nein , ich geh nicht in die
Stadt .
Aeſchines . Dort wirſt du Mädchens ſehen im
ſeidenen Gewand , von der Sonne unbeſchädigt ,
weiſs wie Milch , mit Gold und köſtlichen Per-
len geſchmükt , und die ſchönen Geſänge künſt-
licher Saitenſpieler entzüken dein Ohr .
Menalkas . Mein braunes Mädchen iſt ſchön ,
du ſollteſt ſie ſehen , wenn ſie mit friſchen Roſen
und einem bunten Kranz ſich ſchmükt ; und o
wie froh ſind wir , wenn wir bey einer rau-
ſchenden Quelle im ſchattichten Buſch ſizen ! ſie
ſingt dann , o wie ſchön ſingt ſie ! nnd ich be-
gleite ihren Geſang mit der Flöte ; unſer Geſang
tönt dann weit umher , und die Echo ſinget uns
nach ; oder wir behorchen den ſchönen Geſang
der Vögel , die von den Wipfeln der Bäume und
aus den Gebüſchen ſingen . Oder ſingen eure
Saitenſpieler beſſer als die Nachtigal oder die lieb-
liche Grasmüke ? Nein , nein ich geh nicht mit
dir in die Stadt .
Aeſchines . Was ſoll ich dir denn geben , Hirt ?
Hier nimm die Hand voll Gold , und diſs goldne
Hüfthorn .
Menalkas . Was ſoll mir das Gold ? ich habe
Heberfluſs ; ſoll ich mit dem Golde die Früchte von
den Bäumen erkaufen , oder die Blumen von den
Wieſen , oder ſoll ich von meiner Herde die Milch
erkaufen ?
Aeſchines.
Aeſchines . Was ſoll ich dir denn geben , glük-
licher Hirt , womit ſoll ich deine Gutthat be-
lohnen ?
Menalk . Gieb mir die Kürbis-Flaſche , die an
deiner Seite hängt , mir deucht , der junge Bacchus
iſt darauf gegraben , und die Liebes-Götter , wie
ſie Trauben in Körben ſammeln . Und der Jäger
gab ihm freundlich lächelnd die Flaſche , und der
junge Hirt hüpfte vor Freuden , wie ein junges
Lamm hüpft .
F
PHILLIS . CHLOE .
Phillis .
D U Chloe , immer trägſt du dein Körbchen am
Arm .
Chloe . Ja Phillis , ja ! immer trag ich das Körb-
chen am Arm , ich würd es nicht um eine ganze
Herde geben ; nein ich würd’ es nicht geben , ſprach
ſie , und drükt’ es lächelnd an ihre Seite .
Phillis . Warum Chloe , warum hältſt du dein
Körbchen ſo werth ? ſoll ich rathen ? Sieh , du
wirſt roth , ſoll ich rathen ? ‒ ‒
Chloe . Hu ‒ ‒ roth ?
Phillis . Ja ! wie wenn einem das Abendroth
ins Angeſicht ſcheint .
Chloe . Hu ! ‒ ‒ Phillis ‒ ‒ ich will dirs ſagen ;
der junge Amyntas hat mirs geſchenkt , der ſchön-
ſte Hirt ; er hat es ſelbſt geflochten . Ach ! ſieh
wie nett , ſieh wie ſchön die grünen Blätter und
die rothen Blumen in das weiſſe Körbchen ge-
flochten ſind , und ich halt es werth , wo ich
hingehe , da tragichs am Arm ; die Blumen dünken
mich ſchöner , ſie riechen lieblicher , die ich in
meinem Körbchen trage , und die Früchte ſind ſüſ-
ſer , die ich aus dem Körbchen eſſe . Phillis ‒ ‒
doch was ſoll ich alles ſagen ? ‒ ‒ Ich ‒ ‒ ich habs
ſchon oft geküſst . Er iſt doch der beſte , der
ſchönſte Hirt .
Phillis . Ich hab es ihn flechten geſehn ; wüſs-
teſt du was er da zu dem Körbchen ſprach ! Aber
Alexis mein Hirt iſt eben ſo ſchön , du ſollteſt ihn
ſingen hören , ich will das Liedchen dir ſingen ,
das er geſtern mir ſang .
Chloe . Aber , Phillis ! Was hat Amyntas zum
Körbchen geſagt ?
Phillis . Ja , ich muſs erſt das Liedchen ſingen .
Chloe . Ach ! ‒ ‒ Iſt es lang ?
Phillis . Höre nur . Froh bin ich , wenn das
Abendroth , am Hügel mich beſcheint . Doch Phil-
F 2
lis , froher bin ich noch , wenn ich dich lächeln
ſeh . So froh geht nicht der Schnitter heim ,
wenn er die lezte Garb’ , in ſeine volle Scheune
trägt , als ich , wenn ich von dir geküſst , in meine
Hütte geh . So hat er geſungen .
Chloe . Ein ſchönes Lied ! Aber Phillis , was
ſprach Alexis zum Körbchen ?
Phillis . Ich muſs lachen ; Er ſaſs am Sumpf
im Weidenbuſch , und indeſs daſs ſeine Finger die
grünen und die braunen und die weiſſen Ruthen
flochten , indeſs ‒ ‒ ‒
Chloe . Nu denn , warum ſchweigſt du ?
Indeſs , fuhr Phillis lachend fort , indeſs , ſprach
er , du Körbchen , dich will ich Chloen ſchen-
ken , der ſchönen Chloe , die ſo lieblich lächelt ;
Da ſie geſtern die Herde bey mir vorbey trieb ,
ſey mir gegrüſst , Amyntas , ſprach ſie , und lä-
chelte ſo freundlich , ſo freundlich , daſs mir das
Herz pochte . Schmiegt euch gehorſam , ihr bun-
ten Ruthen , und zerbrechet nicht unter dem flech-
ten ; Ihr ſollt dann an der liebſten Chloe Seite
hangen . Ja ! wenn ſie es werth hält , o wenn ſie
es werth hielte ! wenn ſie es oft an ihrer Seite
trüge ! So ſprach er , und indeſs war das Körb-
chen gemacht , und da ſprang er auf , und hüpfte ,
daſs es ihm ſo wohl gelungen war .
Chloe . Ach ! ich geh ; dort hinter jenen Hü-
gel treibt er ſeine Herde , ich will bey ihm vor-
bey gehn , ſieh , will ich ſagen , ſieh Amyntas ,
ich habe dein Körbchen am Arm .
F 3
TITYRUS . MENALKAS .
A Uf einem Hügel lag der Greis Menalkas , am
mildern Sonnenſtral , und ſah durch die herbſtli-
che Gegend hin , ſanft ſtaunend , als Tityrus , ſein
jüngſter Sohn , unbemerkt ſchon lang an ſeiner
Seite ſtund ; voll ſanften Entzükens ſeufzte der
Greis , und der Sohn ſah lang mit ſtiller Freude
auf den Vater herunter ; Vater , ſprach er izt mit
ſanften Worten : Wie ſüſs muſs dein Entzüken
ſeyn ! Lange ſchon ſeh ichs , wie dein Blik die
herbſtliche Gegend durchwandelt , und höre dein
Seufzen ; Vater , gewähre mir izt eine Bitte .
Menalkas . Sage deine Bitte , mein Lieber ! und
ſeze dich an meine Seite , daſs ich die Stirne dir
küſſe , und Tityrus ſezte ſich an ſeine Seite , und
der Greis küſste zärtlich des Sohnes Stirne . Va-
ter , ſo fuhr der Jüngling fort , mir erzehlte mein
älteſter Bruder ; denn oft , wenn wir im Schatten
Schatten bey der Herde ſizen , dann reden wir
von dir , und dann flieſſen uns Thränen von den
Augen , Freuden-Thränen . Er hat mir erzehlt ,
dich habe vordem die Gegend den beſten Sänger
genannt , und manche Ziege habeſt du im Wett-
Geſang gewonnen . O wollteſt du es verſuchen ,
mir izt ein Lied zu ſingen , izt da die herbſtliche
Gegend dich entzükt ; Gewähre mir Vater , ge-
währe mir dieſe Bitte .
Sanft lächelnd ſprach izt Menalkas , ich will es
verſuchen , ob mich die Muſen noch lieben , die
ſo oft den Preis mir erſingen halfen , ich will
ein Lied dir ſingen .
Izt durchlief ſein Blik noch einmal die Gegend ,
und izt hub er an .
Höret mich Muſen , höret mein heiſcheres Ruf-
fen ; im Frühling meiner Tage , habt ihr an rau-
ſchenden Bächen und in ſtillen Hainen nie uner-
hört mich gelaſſen ; Laſst mir diſs Lied gelingen ,
mir grauen Greiſen !
F 4
Was für ein ſanftes Entzüken flieſst aus dir izt
mir zu , herbſtliche Gegend ? Wie ſchmükt ſich
das ſterbende Jahr ! Gelb ſtehn die Sarbachen
und die Weiden um die Teiche her , gelb ſtehn
die Apfel- und die Birnen-Bäume , auf bunten
Hügeln und auf der grünen Flur , vom feurigen
Roth des Kirſchbaums durchmiſcht . Der herbft-
liche Hain iſt bunt , wie im Frühling die Wieſe ,
wenn ſie voll Blumen ſteht ; Ein röthlichtes Ge-
miſch zieht von dem Berg ſich ins Thal , von im-
mer grünen Tannen und Fichten geflekt . Schon
rauſchet geſunkenes Laub unter des Wandelnden
Füſſen , ernſthaft irren die Herden , auf welkem
Blumen-loſem Gras ; nur ſteht die röthlichte Zeit-
loſe da , der einſame Botte des Winters . Izt
kommt die Ruhe des Winters , ihr Bäume , die
ihr uns mild eure reifen Früchte gegeben , und
kühlenden Schatten , dem Hirt und der Herde .
O ! ſo gehe keiner zur Ruhe des Grabes , er habe
denn ſüſſe Früchte getragen , und erquikenden
Schatten über den Nothleidenden geſtreut . Denn ,
Sohn , der Segen ruhet bey der Hütte des Redli-
chen und bey ſeiner Scheune . O Sohn ! wer
redlich iſt , und auf die Götter traut , der wandelt
nicht auf triegendem Sumpf . Wenn der Red-
liche opfert , dann ſteigt der Opfer-Rauch hoch
zum Olymp , und die Götter hören ſegnend ſeinen
Dank und ſein Flehen . Ihm ſinget die Eule nicht
banges Unglük , und die traurig krächzende Nacht-
Rabe ; er wohnet ſicher und ruhig unter ſeinem
friedlichen Dach , die freundlichen Haus-Götter
ſehen des Redlichen Geſchäfte , und hören ſeine
freundlichen Reden und ſegnen ihn . Zwar kom-
men trübe Tag ’ im Frühling , zwar kommen don-
nernde Wolken im Segen-vollen Sommer ; Aber ,
Sohn , murre nicht , wenn Zeus unter deine Hand
voll Tage , auch trübe Stunden miſcht . Vergiſs
nicht meine Lehren , Sohn , ich gehe vor dir her
zum Grabe . Schonet ihr Sturmwinde , ſchonet
des herbſtlichen Schmukes , laſst ſanftere Winde
F 5
ſpielend das ſterbende Laub langſam den Bäumen
rauben , ſo kann mich die bunte Gegend noch oft
entzüken ; vielleicht , wenn du wieder kömmſt ,
ſchöner Herbſt , vielleicht ſeh ich dich dann nicht
mehr ; welchem Baum entſinkt dann das ſterben-
de Laub auf mein ruhiges Grab ?
So ſang der Greis , und Tityrus drükte weinend
des Vaters Hand an ſeine Wangen .
DIE ERFINDUNG
DES SAITENSPIELS UND DES
GESANGES .
I N der erſten Jugend der Tage , da die wenigen
Bedürfniſse der Unſchuld und die Natur unter den
noch unverdorbenen Menſchen die jungen Künſte
erzeugten , da lebt’ ein Mädchen : In denſelben
Tagen war keines ſo ſchön , keines war ſo zärtlich
gebildet , die Schönheiten der Natur zu empfin-
den ; Freuden-Thränen begrüſsten das Morgen-
roth und die ſchöne Gegend , und Entzüken das
Abendroth und den Schimmer des Monds . Da-
mals war der Geſang noch ein Regel-loſes Jauch-
zen der Freude . So bald der frühe Hahn von der
Hütte rief , daſs der Morgen da ſey ; denn da hat-
ten ſie ſich zur Freude ſchon geſellige Thiere mit
Speiſe vor die Hütte gewöhnet ; dann gieng ſie
unter ihrem ſchüzenden Dach hervor , ein Dach
von Schilf und Tann-Aeſten , an den Stämmen
nahe ſtehender Bäume befeſtigt , da wohnte ſie im
Schatten , und über ihr , in den dicht-belaubten
Aeſten , die ſingenden Vögel . Sie gieng dann hin-
aus , die Gegend zu ſehn , wie ſie im Thau glänzt ,
und den Geſang der Vögel im nahen Hain zu be-
horchen . Entzükt ſaſs ſie dann da und horchte ,
und ſuchte ihren Geſang nachzulallen . Harmoni-
ſchere Töne floſſen izt von ihren Lippen , harmo-
niſcher , als noch kein Mädchen geſungen hatte ;
was ihre liebliche Stimme von eines jeden Ge-
ſang nachahmen konnte , ordnete ſie verſchieden
zuſammen . Ihr kleinen frohen Sänger , ſo ſprach
ſie mit ſingenden Worten , wie lieblich tönt euer
Lied , von hoher Bäume Wipfeln und aus dem
niedern Strauch ! Könnt ich dem glänzenden Mor-
gen ſo lieblich wechſelnde Tön ’ entgegen ſingen !
O lehrt mich die wechſelnden Töne , dann ſing’
ich mein ſanftes Entzüken , mit euch , dem frühen
Sonnen-Stral . So ſang ſie , und unvermerkt
ſchmiegten ihre Worte ſich harmoniſch in ſüſstö-
nendem Maaſs nach ihrem Geſang ; voll Entzüken
bemerkte ſie die neue Harmonie gemeſſener Wor-
te . Wie glänzt der Geſang-volle Hain ! ſo fuhr
ſie erſtaunt fort , wie glänzt die Gegend umher
im Thau ! Wo biſt du , der diſs alles ſchuf ? Wie
bin ich entzükt ! izt kann ich mit lieblichern Tö-
nen dich loben , als meine Geſpielen . So ſang ſie ,
und die Gegend behorchte entzükt die neue Har-
monie , und die Vögel des Haines ſchwiegen und
horchten .
Alle Morgen gieng ſie izt , die neue Kunſt zu
üben , in den Hain ; aber ein Jüngling hatte ſie
lange ſchon in dem Hain behorcht ; entzükt ſtund
er dann im dekenden Buſch und ſeufzte und gieng
tiefer in den Hain und ſucht’ ihr Lied nachzuah-
men . Einsmals ſaſs er ſtaunend unter ſeinem Schilf-
dach , auf ſeinen Bogen gelehnt , denn er hatte die
Kunſt den Bogen zu führen erfunden , um die
Raubvögel zu tödten , die ſeine Dauben ihm raub-
ten , denen er auf dem nahen Stamm ein Haus
von ſchlanken Weiden-Aeſten geflochten hatte .
Was iſt das , ſo ſprach er , das aus meinem Buſen
herauf ſeufzt , das ſo bang in meinem Herzen ſizt ?
Zwar wechſelt es ab , mit Entzüken und mit Freu-
den-Thränen , wenn ich das Mädchen im Hain
ſehe , und ſeinen Geſang höre , aber wenn ſie weg
iſt , o dann , dann ſizt Schwermuth in meinem Bu-
ſen ! Ach ! was iſt es , das aus meinem Buſen
herauf ſeufzt ? Indeſs ſpielte ſeine Hand mit der
angeſpanneten Saite des Bogens , und ein lieblicher
Ton gieng von der Saite , und der Jüngling horch-
te und wiederholt ’ erſtaunt den Ton . Dann
ſtaunt er , und dacht’ eine neue Erfindung zu ent-
wikeln tief nach , und dann ſpielt’ er wieder mit
der angeſpanneten Saite des Bogens , von den Ge-
därmen der Raubvögel geflochten . Aber izt ſprang
er auf , und fieng an Stäbe zu ſchneiden , zween
lange Stäbe und zween kürzere , und die zween
kürzern befeſtigt ’ er unten und oben gegen die
zween längern Stäbe , und ſpannte zwiſchen den
zween längern , Saiten an die kürzern feſt ; izt
hub ſeine Hand an zu ſpielen , und da bemerkt' er
die liebliche Verſchiedenheit der Töne , der ſchwä-
chern und ſtärkern Saiten , dann band er ſie wie-
der los und ordnete verſchiednere Saiten , in eine
harmoniſchere Reihe , und izt hub er an zu ſpielen
und für Freude zu hüpfen .
Izt gieng der Jüngling , ſo oft der Morgen kam ,
die neue Kunſt zu üben in den dichten Hain , und
ſuchte zu den Liedern , die er von dem Mädchen
im Hain gehorchet hatte , harmoniſch begleitende
Töne auf ſeinen Saiten . Aber man ſagt , er habe
lang umſonſt geſucht , und viele Töne haben den
Geſang nicht begleiten wollen , aber ein Gott ſey
im Hain ihm erſchienen , und habe die Saiten der
Leyer harmoniſch geordnet und ſeine Lieder ihm
vorgeſpielt . Bey jedem Morgenroth ſucht' er izt
das Mädchen im Hain , und lernte neue Lieder und
gieng dann an die Quelle zurük , auf ſeiner Leyer
ſie nachzuſpielen .
An einem ſchönen Morgen ſaſs das Mädchen im
Hain , mit Blumen bekränzt ſaſs es da und ſang ;
Sey gegrüſst liebliche Sonne hinter dem Berg her-
vor , ſchon beglänzen deine Stralen der Bäume
Wipfel auf den hohen Hügeln , und der frohen
Lerche hoch ſchwebendes Gefieder . Dir ſingen
die Vögel des Hains entgegen , und ‒ ‒ Izt
ſchwieg ſie , und ſah aufmerkſam umher , welche
liebliche Stimme miſchet ſich in meinen Geſang ?
So rief ſie erſtaunt , ſie begleitet jeden Ton mei-
nes Geſanges ! Wo biſt du ? ‒ ‒ Warum ſchwei-
geſt du Lied ? Singe , liebliche Stimme ! Biſt du
ein gefiederter Bewohner dieſes Hains , o ſo
ſchwinge die Flügel hieher auf dieſen Fichten-
baum , daſs ich dich ſehe und deinen Geſang
höre ! ſo ſprach ſie , und ſah weit in den Wipfeln
umher ; Biſt du ſchüchtern weggeflogen ? Oder ‒ ‒
dieſe Stimme hab ich noch nie im Hain gehört ,
wenn ich mich betrogen hätte ? Mich täuſcht
doch kein Traum ? Ich will noch ein Lied ſingen .
Seyd
Seyd willkommen , liebliche Blümchens umher ;
geſtern waret ihr Knoſpen , izt ſtehet ihr offen da ;
euch grüſſen die lieblichen Morgenlüfte , und die
ſummenden Bienchen , und der bunte Schmetter-
ling , er flattert froh um euch her , und trinket
euern Thau ? So ſang ſie , oft unterbrochen , rund
umherſpähend , denn die Stimme hatte den Ge-
ſang wieder begleitet .
Izt ſtund ſie ſchüchtern auf , nein , ich habe
mich nicht betrogen , jeden Ton hat die Stimme
begleitet . So ſprach ſie , als der Jüngling aus
dem Gebüſche hervor trat , mit Blumen bekränzt ,
die Leyer unter dem Arm . Lächelnd nahm er des
ſchüchtern Mädchens Hand ; O du ſchönes Mäd-
chen ! ſprach ſein ſanftlächelnder Mund mit lieb-
licher Stimme , kein beflügelter Bewohner des
Hains hat deinen Geſang nachgeſungen ; Ich war
es , der deinen Geſang mit dieſen Saiten begleitete .
Alle Morgen gieng ich in den Hain , deinen Ge-
ſang zu hören , und dann gieng ich einſam tief in
G
den Hain , die Lieder auf den Saiten zu ſingen ,
und glaube Mädchen , mich hats ein Gott im Hain
gelehrt . Der flüchtige Blik des Mädchens ſtreifte
oft ſchüchtern über den Jüngling hin und ruhete
dann auf den Saiten . O ſchönes Mädchen ! fuhr
der Jüngling fort , indem ſein Auge ſchmachtend
ſie anblikte , wie wär ich entzükt , wenn du mir
vergönnteſt , mit dir in den Hain zu gehn , an
deiner Seite ſizend , deinen Geſang mit dieſen Sai-
ten zu folgen ! Izt ſah das Mädchen auf . Jüng-
ling , ſo ſprach es , froh bin ich , wenn dein Sai-
tenſpiel meine Lieder begleitet ; lieblicher wird
es ſeyn als der Widerhall , und izt komm mit mir
unter mein ſchattichtes Dach , denn die Mittags-
Sonne brennet ſchon , ich will in meinem düſter-
nen Schatten ſüſſe Früchte zum Mittagmahl dir
auftiſchen , und friſche ſüſſe Milch .
Izt gieng der Jüngling mit dem Mädchen unter das
Dach , und ſie lehrten die Jünglinge und die Mäd-
chens den Geſang und das Saitenſpiel . Erſt lange
hernach ward es von der Flöte begleitet , denn
Marſyas brachte die Flöte unter die Waldgötter ,
die die Erfinderin Minerva im gerechten Zorn über
den Spott der Göttinen in den Sand warf . Minerva war die Erfinderin der Flöte . Einmal blies ſie
ſelbige vor den Göttinen , aber ſie lachten und
ſpotteten , daſs ſie im Spielen den Mund ſo übel
verzöge . Welche Schöne hätte den Schimpf nicht
empfunden ? Sie warf zornig die Flöte weg .
Man pflanzte da zween Bäume auf einem hohen
Hügel , dem Mädchen und dem Jüngling , und die
ſpäten Enkel erzehlten den Kindern in ihrem Schat-
ten die Erfindung des Saitenſpiels und des Geſanges .
G 2
DER FAUN .
N Ein , für mich kein froher Tag ! ſo rief der
Fann , als er beym Morgenroth aus ſeinem Felſen
taumelte . Seit mir die ſchönſte Nymph ’ entfloh ,
haſs’ ich den Schein der Sonne ; bis ich ſie wie-
der finde , ſoll kein Epheu-Kranz um meine Hör-
ner ſich winden , ſoll keine Blume rings um mei-
ne Höle ſtehn ; mein Fuſs ſoll ſie , noch ehe ſie
blühen , zertretten , und meine Flöte ſoll ‒ ‒ und
dieſen Krug ſoll er zertretten .
Izt zertrat ſein Fuſs , da kam ein andrer Faun ,
er hub den ſchweren Schlauch von ſeiner Schul-
ter ; Du raſeſt du , rief er , und lachte ; heut , an
dem frohen Tag , Lyeens Feſt ! Schnell wind’ einen
Epheu-Kranz um deine Hörner , und komme zu
dem Feſt , dem beſten Tag im Jahr !
Nein für mich kein froher Tag , ſo ſprach der
Faun , ich ſchwöre ! bis ich ſie finde , ſoll kein
Epheu-Kranz um meine Hörner ſich winden .
O ! ſchwarze Stunde , da mir die Nymph ent-
flohe ! ſie flohe bis an den Fluſs , der ihren Lauf
izt hemmte ; unentſchloſſen ſtund ſie da , ich bebte
ſchon vor Freude , ſchon glaubt’ ich das ſträuben-
de Mädchen mit ſtarken Armen zu umfaſſen , als
die Tritonen , o die verfluchten Räuber ! ſich aus
dem Fluſs erhoben , und die Nymph um ihre Hüf-
ten faſsten , und dann , in die Hörner blaſend ,
ſchnell mit ihr an das andere Ufer ſchwammen .
Ich ſchwöre beym Stix ! bis ich ſie wieder finde ,
ſoll kein Kranz von Epheu um meine Hörner ſich
winden .
Und eine ſpröde Nymphe macht dir , ſo ſagt der
andre Faun , o ich muſs lachen ! und eine ſpröde
Nymphe macht dir ſo trübe Tage ! Mir , Faun’
mir ſoll die Liebe nicht eine trübe Stunde ma-
chen , nein , keine trübe Stunde ! verſagt mir dieſe
den Kuſs , dann hüpf’ ich zu der andern hin ; ich
ſchwör es dir , Faun ! meine Lippen ſollen keine
G 3
Nymphe mehr küſſen , wenn mich eine nur eine
Stunde in ihren Armen behält , heut an dem fro-
hen Feſt ; ich will ſie alle lieben , alle will ich
küſſen . Kränke dich nicht , Faun ! du biſt noch
jung und ſchön ; ſchön iſt dein braunes Geſicht ,
und wild dein groſſes ſchwarzes Aug , und dein
Haar kräuſst ſich ſchön um die krummen Hörner
her ; ſie ſtehn aus den Loken empor , wie zwo
Eichen aus dem wildeſten Buſch . Laſs dich krän-
zen Faun , hier iſt das ſchönſte Schoſs , laſs dich
kränzen ! Ich höre ſchon fernher ein wildes Ge-
räuſche von Tyrſus-Stäben und Trommeln und
Flöten , büke dich her , das Geſchrey kommtſchon
nahe ; ſchon kommen ſie hinter dem Hugel her-
vor ; laſs dich kränzen ! Wie ſtolz die Tiger den
Wagen ziehn ! o Lyeus ! ſieh die Faunen , die
Nymphen , wie ſie hüpfen ! welch ein Getöſe von
Tyrſus-Stäben und Klapper-Schaalen und Flöten !
O Evan Evoe ! du biſt bekränzt , ſchnell hebe den
Schlauch mir auf die Schulter ; o Evan Evoe !
DER VESTE VORSAZ .
W Ohin irret mein verwundeter Fuſs , durch
Dornen und dicht verwebete Sträuche ? Himmel ,
welch ſchauerndes Entzüken ! Die röthlichten
Stämme der Fichten , und die ſchlanken Stämme
der Eichen ſteigen aus wildem Gebüſche hervor ,
und tragen ein trauriges Gewölb über mir ; Wel-
che Dunkelheit , welche Schwermuth zittert ihr
von ſchwarzen Aeſten auf mich ! Hier will ich
mich hinſezen , an den holen vermoderten Eich-
ſtamm , den ein Nez von Epheu umwikelt ; hier
will ich mich hinſezen , wo kein menſchlicher
Fuſstritt noch hingedrungen iſt , wo niemand mich
findt , als ein einſamer Vogel , oder die ſummenden
Bienen , die im nahen Stamm ihr Honig ſammeln ,
oder ein Zephir , der in der Wildniſs erzogen ,
noch an keinem Buſen geflattert hat . Oder du ,
ſprudelnder Bach , wohin rauſcheſt du , an den
G 4
unterhöhlten Wurzeln und durch das wilde Gewe-
be von Geſträuchen ? Ich will deinen Wellen fol-
gen , vielleicht führeſt du mich ödern Gegenden
zu ; Himmel ! welche Ausſicht breitet ſich vor
meinem Aug aus ! hier ſteh ich an dem Saum einer
Felſenwand und ſeh ins niedere Thal ; hier will
ich mich auf das zerriſſene überhangende Felſen-
Stük ſezen , wo der Bach ſtäubend in den dunkeln
Tannenwald herunter ſich ſtürzt , und rauſchet , wie
wenn es fernher donnert . Dürres Geſträuch hängt
von dem Felſen-Stük traurig herunter , wie das
wilde Haar über die Menſchen-feindliche Stirne
des Timons hängt , der noch kein Mädchen ge-
küſst hat . Ich will in das Thal hinunter ſteigen ,
und mit traurig irrendem Fuſs da wandeln , ich
will an dem Fluſs wandeln , der durch das Thal
ſchleicht . Sey mir gegrüſst einſames Thal , und
du Fluſs , und du ſchwarzer Wald ; hier auf dei-
nem Sand , o Ufer , will ich izt irren ; einſied-
leriſch will ich in deinem Schatten ruhen , me-
lancholiſcher Wald ; Leb izt wohl Amor , dein
Pfeil wird mich hier nicht finden , ich will nicht
mehr lieben , und in einſamer Gegend weiſe ſeyn ;
Lebe wohl , du braunes Mädchen , das mit ſchwar-
zen Augen mir das Gift der Liebe in mein bisher
unverwahrtes Herze geblizet hat ; Lebe wohl ,
noch geſtern hüpfteſt du froh im weiſſen Sommer-
Kleid um mich her , wie die Wellen hier im Son-
nen-Licht hüpfen ; und du blondes Mädchen lebe
wohl ! dein ſchmachtender Blik ‒ ‒ ach ! zu ſehr ,
zu ſehr haſt du mein Herze bemeiſtert , und dein
ſchwellender Buſen ‒ ‒ ach ! ich förchte , ich werd
ihn hier oft in einſamen traurigen Betrachtungen
ſehen und ſeufzen ! Lebe wohl , majeſtätiſche Me-
linde , mit dem ernſten Geſicht wie Pallas und mit
dem majeſtätiſchen Gang , und du kleine Chloe ,
die du muthwillig nach meinen Lippen aufhüpfteſt
und mich küſsteſt ; in dieſe Gegenden will ich izt
fliehen , und in ernſten Betrachtungen unter dieſen
Fichten mich lagern , und die Liebe verlachen ;
G 5
in melancholiſchen Gängen von Laub will ich ir-
ren , und ‒ ‒ Aber ‒ ‒ Himmel ! was entdeket
mein Aug am Ufer im Sand ! ich zittre , ach ‒ ‒
der Fuſstritt eines Mädchens ; ach , wie klein ,
wie nett iſt der Fuſs ! ‒ ‒ ernſte Betrachtung ! Me-
lancholie ! ach wo ſeyd ihr ? ‒ ‒ wie ſchön war ihr
Gang ! ich folg ihr ‒ ‒ Ach Mädchen , ich eile
ich folge deiner Spur ! ach ! wenn ich dich fän-
de , in meinen Arm würd ich dich drüken , und
dich küſſen ! Flieh nicht mein Kind , will ich ſa-
gen , oder flieh wie die Roſe flieht , wenn ein
Zephir ſie küſst , ſie biegt ſich vor ihm weg , und
kömmt lächelnder zu ſeinen Küſſen zurük .
DER FRÜHLING .
W Elche Symphonie , welch heilig Entzüken ,
jagt mir den gaukelnden Morgen-Traum weg ?
Ich ſeh ! o himmliſche Freude , ich ſeh dich la-
chenden Jüngling , dich Lenzen ! Aurora im Pur-
pur-Gewand , führt dich im Oſten herauf , der
frohe Scherz , das laute Gelächter , und Amor ,
ſchon lächelt er hin nach den Büſchen und Flu-
ren , den künftigen Siegen entgegen , und ſchwin-
get den ſcharfgeſpanneten Bogen , und ſchüttelt
den Köcher ; auch die Gratien mit umſchlungenen
Armen begleiten dich , frölicher Lenz . Auf den
röthlichſten Stralen der Morgen-Sonne kömmt
ihr daher , die Vögel ſchwärmen froh in dem
röthlichten Sonnen-Stral , euch mit Geſängen ein-
zuholen . Voll Ungeduld drängen ſich die jungen
Roſen aus der Knoſpe , jede will die erſte mit
offener Schoos und lieblichen Gerüchen dir ent-
gegen lachen . Die Zephirs verkündigen euch gau-
kelnd , ſie hüpfen vom Hügel ins Thal , und ſchwär-
men durch Büſche und Wälder , und lachen ſchalk-
haft , wenn ſie die Oerter vorbeyhüpfen , wo ſie
dem liebenden Schäfer die horchende Spröde im
Buſche verrathen , oder ſchalkhaft beym Reihen-
Tanz die hüpfenden Mädchens ſchamroth gemacht .
Sie hüpfen zerſtreut durch Gebüſche und Wälder ,
und liſpeln den ſchlafenden Nymphen und den
Faunen in den Grotten eure Ankunft zu , ſie ſprin-
gen taumelnd hervor , die geiſsfüſſigten Satyren
und die Faunen , und rufen den frölichen Nym-
phen mit frohem Geſchrey , und mit der vielröh-
richten Pfeiffe . Die Nymphen der Bäche öfnen
ihre Krüge wieder , die ſie im Winter verſchloſ-
ſen , und gieſſen ſprudelnde Bäche zwiſchen Bäu-
men unter grünen Gewölben von Aeſten hervor ,
oder von büſchichten Hügeln herunter , in man-
chem rauſchenden Fall ; ſie ſchlängeln ſich durch
Fluren , und ſammeln ſich in Büſchen und Hainen
zu glatten Seen , und umfaſſen da oft die zarten
Glieder badender Mädchen .
Komm Lenz , komm Stifter der Freude ! Du herr-
ſcheteſt Lenz , als unſer wankendes Schiff , ihr
Brüder , die glatte See durchſchwamm ; eine
Schaar ſilberner Wellen umhüpfte uns , frohe Ze-
phirs gaukelten mit ihnen , und jagten ſie um das
Schiff her , wenn ſie muthwillig an ſelbigem auf-
hüpften und klatſchten ; ſie jagten ſie vom Schiff
ans ſchattichte Ufer , wo der Wiederhall uns nach-
lachte ; ſie flohen in den winkenden Schilf , und
hüpften dann wieder ans Schiff ; da kröntet ihr
mich , Brüder , mit Rebſchoſſen am Ufer zum Kö-
nig , da war Freud und Entzüken in unſrer Mitte .
Auch da herrſchte der Lenz , ihr Brüder , als wir
auf jenes Berges erhabenem Rüken , eine Hütte
von grünen Zweigen uns bauten , in deren Schat-
ten wir , ins Grüne geſtreket , tranken und uns
umarmend frohe Lieder ſangen ; die Waldgötter
behorchten uns , und ſangen leiſe die Lieder uns
nach . Izt ſingen ſie die Lieder in den Hainen und
Klüften des Bergs , beym Tanz und beym vollen
Krug .
Eile , o Lenz ! beblume die Triften , und belau-
be den Wald , das Gebüſch und die Lauben .
Bacchus und Silen und ſein Gefolge lachen dir
entgegen , denn wo lachet man froher als im grü-
nen Schatten der Lauben ? Amor beſucht ihn oft
den frölichen Bacchus , im kühlen Schatten der
Lauben , auch die Muſen beſuchen ihn , denn er
liebet Geſänge . Bacchus ſingt dann und erzehlt ,
und lacht , daſs das Reblaub , das umkränzend
ſein halbes Geſichte beſchattet , aufhüpft . Er
erzehlt bey voller Schaale ſeine Reiſen durch das
entfernte Indien , und wie er die braunen Natio-
nen beſiegt , und wie er im Raub-Schiff als Kind
die Räuber in Delphine verwandelt , und Reben
und Epheu um Maſtbaum und Ruder ſich winden
und ſüſſen Wein habe ſprizen laſſen ; dann leert
er die Schaale , und lacht und erzehlet wieder ,
wie er die Roſen geſchaffen . Ich wollt eine jun-
ge Nymphe umfaſſen , ſo ſagt er , das Mädchen
flog mit leichten Füſſen über die Blumen weg ,
und lachte ſchalkhaft zurük , wenn es mit unſicherm
Fuſs mich hinter ſich her taumeln ſah ; ich hätte
beym Stix das Mädchen nicht erreicht , wenn nicht
ein zakichter Dornbuſch ſich in ſein fliegend Ge-
wand gewikelt hätte , ich lief froh zu dem Mäd-
chen hin , und klatſcht ihm freundlich die Wan-
gen , und ſagte , Mädchen ſey nicht ſo blöde , ich
bin Bacchus , der Gott des Weins und der Freude ,
der ewige Jüngling ; da lieſs ſich das Mädchen
voll Ehrfurcht küſſen . Da belohnt ich den Dorn-
buſch , ich berührt ihn mit meinem Stab , und
hieſs Blumen wachſen , ſo lieblich roth , als des
Mädchens Wangen da es ſich ſchämte ; da wuch-
ſen die Roſen .
Pan lähnt ſich auf das moſichte Polſter , und
legt aufmerkſam ſein Haupt , mit Tannreiſern be-
kränzt , auf den unterſtüzenden Arm ; du warſt
glüklicher , Bacchus , als ich , da ich die Sirinx
verfolgte ; da haſt du mich heftig verwundet , ſo
ſagt er zum Amor , der jezt des Streiches noch
lachet , ſie ward in Rohre verwandelt ; dann ſieht
er traurig nach der ſiebenröhrichten Pfeife , dann
nach dem Becher , und trinkt den Gram weit von
ſich . Auch Amor erzehlt ſeine Siege , und wie er
die Spröden gebändigt . Ach wie entzükt werd
ich ſeyn , braunes Mädchen , wenn er einſt von
dir ein Sieges-Lied ſingt !
ALS
ALS ICH DAPHNEN
AUF DEM SPAZIERGANG
ERWARTETE .
S Ie kömmt noch nicht , die ſchöne Daphne ! hier
will ich ins Gras mich hinlegen und ſie erwarten ,
hier an der Quelle . Indeſs will ich die Gegend
umher betrachten , und mein Verlangen täuſchen .
Du hoher ſchwarzer Tannen-Hain , der du die
Pfeil-geraden röthlichen Stämme dicht und hoch
durch deinen dunkeln Schatten empor hebſt , hohe
ſchlanke Eichen , und du Fluſs , der du mit maje-
ſtätiſchem Silberglanz hinter jenen grauen Bergen
hervor rauſcheſt , nicht euch will ich izt ſehen ,
izt ſey das Gras um mich her meine Gegend .
Wie ſanft rieſelſt du vorüber , kleine Quelle , durch
die Waſſer-Kreſſen , und durch die Bachbungen ,
die ihre blauen Blumen empor tragen ; du ſchwin-
geſt kleine funkelnde Ringe um ihre Stämme her
H
und macheſt ſie wanken ; von beyden Ufern ſteht
das fette Gras mit Blumen vermiſcht , ſie biegen
ſich herüber , und dein klares Waſſer flieſst durch
ihr buntes Gewölb und glänzet im vielfärbichten
Wiederſchein . Ich will izt durch den kleinen
Hain des wankenden Graſes hinſehn ; wie glän-
zet das manigfaltige Grün , von der Sonne be-
ſchienen ! ſie ſtreuen ſchwebende Schatten eins
auf das andere hin ; ſchlanke Kräuter durchirren
das Gras mit zarten Aeſten und manigfaltigem
Laub , oder ſie ſteigen darüber empor , und tragen
wankende Blumen . Aber du blaue Viole , du Bild
des Weiſen , du ſtehſt beſcheiden niedrig im Gras ,
und ſtreuſt Gerüche umher , indeſs daſs Geruch-
loſe Blumen hoch über das Gras empor ſtehn ,
und praleriſch winken . Fliegende Würmchens
verfolgen ſich unten im Gras , bald verliert ſie
mein Aug im grünen Schatten , dann ſchwärmen
ſie wieder im Sonnenſchein , oder ſie fliegen zu
Schaaren empor und tanzen höher in der glänzen-
den Luft .
Welch eine bunte Blume wieget ſich dort an
der Quelle ? So ſchön und glänzend von Farbe ‒ ‒
doch nein ! angenehmer Betrug ! ein Schmetter-
ling flieget empor , und läſst das wankende Gräs-
chen zurük . Izt rauſcht ein Würmchen , ſchwarz
beharniſcht auf glänzend rothen Flügeln vorbey ,
und ſezt ſich , zu ſeinem Gatten vielleicht , auf die
nahe Gloken-Blume . Rauſche ſanft , du rieſelnde
Quelle , erſchüttert nicht die Blumen und das Gras
ihr Zephirs ! Trieg ich mich ? oder hör ich den
zärteſten Geſang ? Ja ſie ſingen , aber unſer Ohr iſt
zu ſtumpf , das feine Concert zu vernehmen , ſo
wie unſer Auge , die zarten Züge der Bildung zu
ſehn . Was für ein liebliches Sumſen ſchwärmt
um mich her ? Warum wanken die Blumen ſo ?
Ein Schwarm kleiner Bienen iſts ; ſie flogen frö-
lich aus , aus ihrer fernen Wohnſtadt , und zer-
ſtreuten ſich auf den Fluren und in den fernen
Gärten ; aufmerkſam wählend ſammeln ſie die gelbe
Beute , und kehren zurük ihren Staat zu mehren ,
H 2
jede mit dem gleichen Beſtreben , da iſt kein müſ-
ſiger Bürger ; ſie ſchwärmen umher , von Blume
zu Blume , und verbergen nachſuchend die kleinen
haarichten Häupter in den Kelchen der Blumen ,
oder ſie graben ſich mühſam hinein , in die noch
nicht offenen Blumen , die Blume ſchlieſſet ſich
wieder , und verbirgt den kleinen Räuber , der die
Schäze ihr raubt , die ſie vielleicht erſt Morgen ,
der kommenden Sonne und dem glänzenden Thau
entfaltet hätte .
Dort auf die hohe Klee-Blume ſezt ſich ein
kleiner Schmetterling , er ſchwingt ſeine bunten
Flügel ; auf ihrem glänzenden Silber ſtehn kleine
purpurne Fleken , und ein goldner Saum verliert
ſich am End der Flügel ins Grüne ; Da ſizt er
prächtig und puzt den kleinen Buſch der ſilberneu
Federn auf ſeinem kleinen Haupt . Schöner
Schmetterling ! biege die Blume zum Bach hin , und
ſieh da deine ſchöne Geſtalt ; dann gleichſt du der
ſchönen Belinde , die beym Spiegel vergiſst , daſs
ſie mehr als Schmetterling ſeyn ſollte ; ihr Kleid
iſt nicht ſo ſchön wie deine Flügel , aber Gedan-
ken-los iſt ſie wie du .
Was vor ein wildes Spiel hebt ihr izt an , kleine
Zephirs ? Sich haſchend wälzen ſie ſich durch das
Gras hin , wie ein ſanfter Wind auf einem Teich ,
Wellen vor ſich her jagt , ſo durchwühlen ſie das
rauſchende Gras , die kleinen bunten Bewohner
fliegen empor und ſehen in die Verwüſtung hin-
unter , izt ruhen ſie wieder die Zephirs , und das
Gras und die Blumen winken ſie freundlich zurük .
Aber , o ! könnt ich mich izt verbergen ! Be-
deket mich ihr Blumen ! Dort geht der junge
Hyacinthus vorüber , im ſchönen goldnen Kleid ;
er eilt durchs verächtliche Gras , neben der Na-
tur hin , und pfeift ; ſie mag ihn anlächeln , für
ihn iſt das eine zu alte Schöne ; er eilt zu Fräu-
lein Henrietten , wo die ſchöne Welt beym Spiel-
Tiſch ſich ſammelt ; da wird ſein Kleid Augen von
feinerm Geſchmak beſſer entzüken , als ein glühen-
H 3
des Abendroth . Wie wird er lachen , wenn er
mich ſieht , fern von der feinen Welt bey den
Würmern im Gras kriechen ! Aber verzeihen ſie ,
Hyacintus , wenn ich ſo tumm bin , ihrem ſchö-
nen Gang und dem Glanz ihres Kleides nicht nach-
zuſehn , denn hier an dieſem Gräschen läuft ein
Würmchen empor , ſeine Flügel ſind grünlichtes
Gold , und wechſeln prächtig die hellen Farben
des Regenbogens . Verzeihen ſie Hyacintus , ver-
zeihen ſie der Natur , die einem Wurm ein ſchöner
Kleid gab , als keine Kunſt ihnen liefern kan , ihnen
der doch ſo ausnehmenden Wiz hat , Gewiſſen
und Religion dem tummen Pöbel zu überlaſſen .
Aber izt kömmt ſie , die ſchöne Daphne ! ich
eil izt an ihre Seite , ihr Blumen , und ihr , ihr
kleinen Bewohner ; aber noch oft ſollt ihr mir
das ſanfte Entzüken gewähren , das Entzüken ,
auch in der kleinſten Verzierung der Natur die
Harmonie mit der Schönheit und dem Nuzen ins
Unendliche hin in unauflöslicher Umarmung zuſehn .
Sie kömmt , ſie iſt ſchon nahe , die ſchöne Dapli-
ne ; wie ihr leichtes grünes Gewand flattert !
Wie lächelt ihr Mund , wie ſchön iſt ihr Aug !
Aber ſie würden für mich nicht ſchön ſeyn , ver-
riethen ſie nicht die ſchöndenkende Seele und das
edelſte Herz .
H 4
DER WUNSCH .
D Ürft’ ich vom Schikſal die Erfüllung meines
einigen Wunſches hoffen ; denn ſonſt ſind meine
Wünſche Träume , ich wache auf und weiſs
nicht , daſs ich geträumt habe , es ſey denn ein
Wunſch für andrer Glük ; dürft’ ich vom Schikſal
dieſes hoffen , dann wünſcht ich mir nicht Ueber-
fluſs , auch nicht über Brüder zu herrſchen , nicht
daſs entfernte Länder meinen Namen nennen .
O könnt’ ich unbekannt und ſtill , fern vom Ge-
tümmel der Stadt , wo dem Redlichen unaus-
weichliche Fallſtrike gewebt ſind , wo Sitten und
Verhältniſſe tauſend Thorheiten adeln , könnt’ ich
in einſamer Gegend mein Leben ruhig wandeln ,
im kleinen Landhaus , beym ländlichen Garten ,
unbeneidet und unbemerkt !
Im grünen Schatten wölbender Nuſs bäume ſtün-
de dann mein einſames Haus , vor deſſen Fenſtern
kühle Winde und Schatten und ſanfte Ruhe unter
dem grünen Gewölbe der Bäume wohnen ; vor
dem friedlichen Eingang einen kleinen Plaz ein-
gezäunt , in dem eine kühle Brunn-Quelle unter
dem Traubengeländer rauſchet , an deren abflieſ-
ſendem Waſſer die Ente mit ihren Jungen ſpielte ,
oder die ſanften Dauben vom beſchatteten Dach
herunter flögen , und nikend im Gras wandelten ,
indeſs daſs der majeſtätiſche Hahn ſeine gluchzen-
den Hennen im Hof umher führt ; ſie würden
dann auf mein bekanntes Loken herbey flattern ,
ans Fenſter , und mit ſchmeichelndem Gewimmel
Speiſe von ihrem Herren fordern .
Auf den nahen Schatten-reichen Bäumen , wür-
den die Vögel in ungeſtöhrter Freyheit wohnen ,
und von einem Baum zum andern nachbarlich ſich
zurufen und ſingen . In der einen Eke des kleinen
Hofes ſollen dann die geflochtenen Hütten der
Bienen ſtehn , denn ihr nüzlicher Staat iſt ein lieb-
liches Schauſpiel ; gerne würden ſie in meinem
H 5
Anger wohnen , wenn wahr iſt , was der Land-
mann ſagt , daſs ſie nur da wohnen , wo Fried
und Ruhe in der Wirthſchaft herrſcht . Hinteu
am Hauſe ſey mein geraumer Garten , wo einfäl-
tige Kunſt , den angenehmen Phantaſien der Na-
tur mit gehorſamer Hülfe beyſteht , nicht aufrüh-
riſch ſie zum dienſtbaren Stoff ſich macht , in
groteske Bilder ſie zu ſchaffen . Wände von Nuſs-
ſtrauch umzäunen ihn , und in jeder Eke ſteht eine
grüne Hütte von wilden Roſinen ; dahin würd ich
oft den Stralen der Sonn ’ entweichen , oder
ſehen , wie der braune Gärtner die Beeten um-
gräbt , um ſchmakhafte Garten-Gewächſe zu
ſäen ; Oft würd ich die Schaufel aus der Hand
ihm nehmen , durch ſeinen Fleiſs zur Arbeit ge-
lokt , um ſelbſt umzugraben , indeſs daſs er neben
mir ſtühnde , der wenigern Kräfte lächelnd ; oder
ich hülf ihm die flatternden Gewächſe an Stäben
aufbinden , oder der Roſen-Stauden warten und
der zerſtreuten Nelken und Lilien .
Aufſen am Garten müſst’ ein klarer Bach meine
Gras-reiche Wieſe durchſchlängeln ; er ſchlän-
gelte ſich dann durch den ſchattichten Hain
fruchtbarer Bäume , von jungen zarten Stämmen
durchmiſchet , die mein ſorgſamer Fleiſs ſelbſt be-
wachete . Ich würd ihn in der Mitte zu einem
kleinen Teich ſich ſammeln laſſen , und in des
Teiches Mitte baut’ ich eine Laube auf eine kleine
aufgeworfene Inſel ; zöge ſich dann noch ein
kleiner Reb-Berg an der Seite in die offene Ge-
gend hinaus , und ein kleines Feld mit winkenden
Aehren , wäre der reichſte König dann gegen mir
beneidens werth ?
Aber fern ſey meine Hütte von dem Landhaus ,
das Dorantes bewohnt , ununterbrochen in Ge-
ſellſchaft zu ſeyn . Bey ihm lernt man , daſs Frank-
reich gewiſs nicht kriegen wird , und was Mops
thäte , wenn er König der Britten wäre , und bey
wohlbedekter Tafel werden die Wiſſenſchaften
beurtheilt , und die Fehler unſers Staats , indeſs
daſs majeſtätiſcher Anſtand vor der leeren Stirne
ſchwebt . Weit von Oronten weg ſey meine ein-
ſame Wohnung ; fernher ſammelt ſich Wein in
ſeinen Keller , die Natur iſt ihm nur ſchön , weil
niedliche Biſſen für ihn in der Luft fliegen , oder
den Hain durchirren , oder in der Flut ſchwimmen .
Er eilt auf das Land um ungeſtöhrt raſen zu kön-
nen ; wie bang iſt man in den verfluchten Mauern ,
wo der tumme Nachbar jede That bemerkt !
Dir begegne nie , daſs ein einſamer Tag bey dir
allein dich laſſe , eine unleidliche Geſellſchaft für
dich , vielleicht entwiſcht dir ein ſchauernder Blik
in dich ſelbſt . Aber nein , gepeinigte Pferde brin-
gen dir ſchnaubend ihre unwürdigen Laſten , ſie
ſpringen fluchend von dem unſchuldigen Thier ;
Tumult und Unſinn und raſender Wiz begleiten
die Geſellſchaft zur Tafel , und ein ohnmächtiger
Rauſch endet die tobende Scene . Noch weiter
von dir , hagrer Harpax , deſſen Thüre hagre Hun-
de bewachen , die hungernd dem ungeſtühm ab-
gewieſenen Armen das bethränte Brod rauben .
Weit umher iſt der arme Landmann dein gepei-
nigter Schuldner ; nur ſelten ſteigt der dünne
Rauch von deinem umgeſtürzten Schorſtein auf ,
denn ſollteſt du nicht hungern , da du deinen Reich-
thum dem weinenden Armen raubeſt !
Aber wohin reiſst mich ungeſtümer Verdruſs ?
Kommt zurük , angenehme Bilder , kommt zurük
und heitert mein Gemüth auf ; führet mich wie-
der dahin , wo mein kleines Landhaus ſteht . Der
fromme Landmann ſey mein Nachbar , in ſeiner
braunen beſchatteten Hütte ; liebreiche Hülfe
und freundſchaftlicher Rath machen dann einet
dem andern zum freundlich lächelnden Nachbar ;
denn , was iſt ſeliger als geliebet zu ſeyn , als der
frohe Gruſs des Manns , dem wir Gutes gethan ?
Wenn den , der in der Stadt wohnet , unruhi-
ges Getümmel aus dem Schlummer wekt , wenn
die nachbarliche Mauer der Morgen-Sonne lieb-
liche Blike verwehrt , und die ſchöne Scene des
Morgens ſeinem eingekerkerten Blik nicht ver-
gönnt iſt , dann würd’ eine ſanfte Morgen-Luft
mich weken und die frohen Concerte der Vögel .
Dann flög’ ich aus meiner Ruhe , und gieng’ Au-
roren entgegen , auf blumichte Wieſen , oder auf
die nahen Hügel , und ſäng’ entzükt frohe Lieder
vom Hügel herunter . Denn , was entzüket mehr
als die ſchöne Natur , wenn ſie in harmoniſcher
Unordnung ihre unendlich manigfaltigen Schön-
heiten verwindet ? Zukühner Menſch ! was unter-
windeſt du dich die Natur durch weither nach-
ahmende Künſte zu ſchmüken ? Baue Labyrinte
von grünen Wänden , und laſs den geſpizten Taxus
in abgemeſſener Weite empor ſtehn , die Gänge
ſeyen reiner Sand , daſs kein Geſträuchgen den
wandelnden Fuſstritt verwirre ; mir gefällt die
ländliche Wieſe und der verwilderte Hain , ihre
Manigfaltigkeit und Verwirrung hat die Natur
nach geheimern Regeln der Harmonie und der
Schönheit geordnet , die unſere Seele voll ſanften
Entzükens empfindt .
Oft würd’ ich bey ſanftem Mondſchein bis zur
Mitternacht wandeln , in einſamen frohen Be-
trachtungen , über den harmoniſchen Weltbau ,
wenn unzählbare Welten und Sonnen über mir
leuchten .
Auch beſucht’ ich den Landmann , wenn er
beym Furchen-ziehenden Pflug ſingt , oder die
frohen Reihen der Schnitter , wenn ſie ihre länd-
lichen Lieder ſingen , und hörte ihre frohen Ge-
ſchichtchens und ihren muntern Scherz ; oder
wenn der Herbſt kommt , und die Bäume bunt
färbet , dann würd’ ich die Geſang-vollen Wein-
Hügel beſuchen , wenn die Mädchens und die
Jünglinge im Rebenhain lachen , und die reifen
Trauben ſammeln . Wenn der Reichthum des
Herbſtes geſammelt iſt , dann gehen ſie jauchzend
zu der Hütte zurük , wo der Kelter lautes Knarren
weit umher tönt ; ſie ſammeln ſich in der Hütte ,
wo ein frohes Mahl ſie erwartet . Der erſte Hun-
ger iſt geſtillet , izt kommt der ländliche Scherz
und das laute Lachen , indeſs daſs der freundliche
Wirth die Weinflaſchen wieder auffüllt und zur
Freude ſie aufmahnet . Kunz erzehlt izt , wie er
groſſe Reiſen gethan hat , bis weit in Schwaben
hinaus , und wie er Häuſer geſehen , noch gröſſer
und ſchöner als die Kirch im Dorf , und wie einen
Herren ſechs ſchöne Roſſe in einem gläſernen
Wagen gezogen haben , ſchöner als das beſte das
der Müller im Thal hat , und wie die Bauern da
mit grünen Spizen-Hüten gehn . So erzehlt’ er
vieles , indeſs daſs der junge Knecht , aufmerkſam
den offenen Mund auf die unterſtüzende Hand ge-
lehnet , bald vergeſſen hätte , daſs ſein Mädchen
an ſeiner Seite ſizt , hätte ſie ihn nicht lachend in
die Wange gekneipt . Dann erzehlt Hans , wie
ſeinen Nachbar ein Irrwiſch verfolgt hat , und wie
er ihm auf den Korb geſeſſen , er hätt’ ihn bis un-
ter die Dachrinne verfolgt , wenn er nicht eins ge-
ſchworen hätte . Aber izt gehen ſie aus der Hüt-
te , um beym Mondſchein zu tanzen , bis die Mit-
ternacht ſie zur Ruhe ruft .
Wenn
Wenn aber trübe Tage mit froſtigem Regen ,
oder der herbe Winter , oder die ſchwüle Hize
des Sommers den Spaziergang mir verböten , dann
würd ich ins einſame Zimmer mich ſchlieſſen ;
mich unterhielte da die edelſte Geſellſchaft , der
Stolz und die Ehr’ eines jeden Jahrhunderts , die
groſſen Geiſter , die ihre Weisheit in lehrende
Bücher ausgegoſſen haben ; edle Geſellſchaft , die
unſre Seele zu ihrer Würd ’ erhebt ! Der lehrte
mich die Sitten ferner Nationen , und die Wunder
der Natur in fernen Welt-Theilen : Der dekt
mir die Geheimniſſe der Natur auf , und führt mich
in ihre geheime Werkſtatt , der würde mich die
Oeconomie ganzer Nationen lehren und ihre Ge-
ſchichte , die Schand und die Ehre des Menſchen-
Geſchlechts . Der lehrt mich die Gröſſe und die
Beſtimmung unſrer Seele , und die Reiz-volle Tu-
gend ; um mich her ſtünden die Weiſen und die
Sänger des Alterthums ; ihr Pfad iſt der Pfad zum
wahren Schönen , aber nur wenige wagen ſich
I
hin , das blöde Haupt macht tauſende ſchwind-
licht zurük gehn , auf eine leichtere Bahn voll
Flittergold und geruchloſer Blumen . Soll ich die
wenigen nennen ? Du ſchöpfriſcher Klopſtok , und
du Bodmer , der du mit Breitingern die Fakel der
Critik aufgeſteket haſt , denen Irrlichtern entge-
gen , die in Sümpfe oder dürre Einöden verführ-
ten . Und du Wieland , ( oft beſucht deine Muſe
ihre Schweſter , die ernſte Welt-Weisheit , und
holt erhabenen Stoff , aus ihren geheimeſten Kam-
mern , und bildet ihn zu reizenden Gratien , )
oft ſollen eure Lieder in heiliges Entzüken mich
hinreiſſen ; Auch du mahleriſcher von Kleiſt ,
ſanft entzükt mich dein Lied , wie ein helles
Abendroth , zu frieden iſt dann mein Herz , und
ſtill , wie die Gegend beym Schimmer des Monds ;
auch du Gleim , wenn du die lächelnden Empfin-
dungen unſers Herzens ſingeſt und unſchuldigen
Scherz , ‒ ‒ Doch ſoll ich euch alle nennen ihr
wenigen ? die verwöhnte Nation miſskennt euern
Werth , euch zu ſchäzen iſt einer beſſern Nach-
welt vorbehalten .
Auch ich ſchriebe dann oft die Lieder hin , die
ich auf einſamen Spaziergängen gedacht , im dun-
keln Hain , oder beym rauſchenden Waſſerfall ,
oder im Trauben-Geländer beym Schimmer des
Monds . Oder ich ſähe im Kupferſtich , wie groſſe
Künſtler die Natur nachgeahmet haben , oder ich
verſucht’ es ſelbſt , ihre ſchönen Auftritte auf dem
geſpanneten Tuch nachzuſchaffen .
Zuweilen ſtörte mich ein lautes Klopfen vor
meiner Thüre , wie entzükt wär ich , wenn
ein Freund beym Eröfnen in die offenen Arme mir
eilte ; oft fänd’ ich ſie auch , wenn ich vom Spa-
ziergang zurük , der einſamen Hütte mich näherte ,
einzeln oder in Truppen mir entgegen grüſſen ;
geſellſchaftlich würden wir dann die ſchönſten
Gegenden durchirren , nicht mürriſch ernſthafte
Geſpräche mit freundlichem Scherz gemiſcht ,
machten uns die Stunden vorbey hüpfen , Hunger
I 2
würde die Koſt uns würzen , die mein Garten mir
gäbe , und der Teich und mein belebter Hof ;
Wir fänden ſie bey der Rükkunft unter ei-
nem Trauben-Geländer , oder in der ſchattichten
Hütte im Garten aufgetiſchet ; oft auch ſäſſen
wir beym Mondſchein in der Laube beym be-
ſcheidenen Kelchglas , bey frohen Liedern und
munterm Scherz , es wäre denn , daſs der Nach-
tigal melancholiſches Lied uns aufmerken hieſſe .
Aber , was träum’ ich ? Zu lang , zu lang ſchon
hat meine Phantaſie dich verfolget , dich , eitelen
Traum ! Eiteler Wunſch ! nie werd’ ich deine
Erfüllung ſehen . Immer iſt der Menſch unzufrie-
den , wir ſehen weit hinaus auf frömde Gefilde
von Glük , aber Labyrinte verſperren den Zugang ,
und dann ſeufzen wir hin , und vergeſſen das Gute
zu bemerken , das jedem auf der angewieſenen
Bahn des Lebens beſchehrt iſt . Unſer wahres
Glük iſt die Tugend . Der iſt ein Weiſer , und glük-
lich , der willig die Stell’ ausfüllt , die der Bau-
meiſter , der den Plan des ganzen denkt , ihm be-
ſtimmt hat . Ja du , göttliche Tugend , du biſt
unſer Glük , du ſtreuſt Freud ’ und Seligkeit in je-
dem Stand auf unſre Tage . O wen ſoll ich be-
neiden , wenn ich durch dich beglükt die Lauf-
bahn meines Lebens vollende ? dann ſterb’ ich
froh , von Edeln beweint , die mich um deinet-
willen liebten , von euch beweint ihr Freunde .
Wenn ihr beym Hügel meines Grabes vor-
bey geht , dann drüket euch die Hand , dann um-
armet euch ; Hier ligt ſein Staub , ſagt ihr ,
des Redlichen , aber Gott belohnt ſeine Be-
mühung glüklich zu ſeyn , izt mit ewigem Glük ;
bald aber wird unſer Staub auch da ligen , und
dann genieſſen wir mit ihm das ewige Glük ;
und du , geliebte Freundin ! wann du beym Hügel
meines Grabes vorüber geheſt , wann die Maaſs-
lieben und die Ringelblumen von meinem Grabe
dir winken , dann ſteig eine Thräne dir ins Auge ,
und iſts den Seligen vergönnt , die Gegend , die
wir bewohnt , und die ſtillen Haine zu beſuchen ,
wo wir oft in ſeligen Stunden unſrer Seele groſſe
Beſtimmung dachten , und unſre Freunde zu um-
duften , dann wird meine Seele dich oft umſchwe-
ben , oft , wenn du voll edler hoher Empfindung
einſam nachdenkeſt , wird ein ſanftes Wehen deine
Wangen berühren ; dann gehe ein ſanftes Schauern
durch deine Seele !