Frauenwahlrechtsbewegung in Bayern.
Jm schönen Bayerland hat sich trotz der vielen Kirchturm-
spitzen eine sozialdemokratische Frauenbewegung entwickelt,
die kraftvoll den Kampf für das Frauenwahlrecht führt.
Die ersten Anfänge dieser Bewegung gehen bis in die
Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück.
Da aber damals die einberufenen Frauenversammlungen
verboten wurden und Frauenvereine nicht gegründet werden
durften, so schlief die Bewegung langsam wieder ein. Jedoch
nur, um bald immer wieder aufs neue zu erwachen. Und
das trotz der Schneidigkeit und Rührigkeit, mit der die Be-
hörden daran gingen, die proletarischen Frauen von jeder
Aufklärung und Organisation abzusperren. Wie streng und
gekünstelt in jenen Zeiten das alte bayerische Vereinsrecht
ausgelegt wurde, würde ein ganzes Buch füllen. Als zum
Beispiel 1894 in der großen Jndustriestadt Nürnberg, wo
viele Tausende Arbeiterinnen dem Kapital Profit schaffen,
das erste deutsche Arbeitersekretariat gegründet wurde, woll-
ten die Behörden keine Frauen in der Gründungs-
versammlung dulden. Diese verfiel der Auflösung, weil der
Vorsitzende sich weigerte, die Arbeiterinnen aus dem Saale
zu weisen. Strafmandate über Strafmandate regnete es
nur so in der Arbeiterbewegung, weil Frauen sich an öffent-
lichen Versammlungen beteiligen wollten.
Als Antwort auf die behördlichen Schikanen bei der
Praxis des Vereinsrechtes entsandte der Nürnberger Frauen-
und Mädchenbildungsverein 1894 eine Delegierte zum Frank-
furter Parteitag der Sozialdemokratie. Nun aber schlug die
Polizei mit Donnerkeilen drein, in dem Wahne, dadurch den
Freiheitsdrang der Proletarierinnen zu töten. Der Bil-
dungsverein verfiel als politisch der Auflösung, und sämt-
liche Mitglieder erhielten Strafmandate. Die in einem
Kassenbuch verzeichnete Ausgabe von ganzen 24 Pfennig
für rote Bändchen war ein Beweis des politischen Charakters
der Organisation, ihre Hauptsünde war die materielle Unter-
stützung der Gewerkschaften. Hatten die Behörden geglaubt,
mit plumper Faust die proletarische Frauenbewegung ab-
würgen zu können, so zeigte sich bald, wie gewaltig sie sich
darin irrten. Denn die Entwicklung stand nicht
still. Einen mächtigen Wegbereiter und Bundesgenossen
erhielt die sozialdemokratische Frauenbewegung durch die
ungeheure Zunahme der beruflichen Frauenarbeit in Bayern.
Diese Entwicklung der Dinge wird uns durch den Ver-
gleich zwischen den Ergebnissen der Berufs- und Gewerbe-
zählung von 1895 und 1907 anschaulich vor Augen geführt.
Jn der Landwirtschaft Bayerns allein stieg die Zahl der
erwerbstätigen Frauen zwischen den genannten Erhebungs-
jahren von 472117 auf 821002. Der rasche Vormarsch der
Frauenarbeit in Jndustrie und Gewerbe wird durch die
160734 Jndustriearbeiterinnen gezeigt, die 1907 ausgebeutet
wurden, 1895 waren es ihrer nur 99393 gewesen. Wir
finden die Arbeiterinnen in Porzellanfabriken und in der
Metallindustrie: in Lebküchereien, Bleistift-, Pinsel- und
Schuhfabriken. Jn der Textil- und in den chemischen Jn-
dustrie, in den Werkstätten des Bekleidungsgewerbes regen
sich viele Tausende fleißiger Frauenhände. Auch im Handel
und Verkehr hat die Frauenarbeit riesig zugenommen. 1895
hatten im Handelsgewerbe, Zeitungswesen, Post- und Tele-
graphen- und Eisenbahndienst und im Gast- und Schank-
wirtschaftsgewerbe 62749 Frauen und Mädchen ihr Brot
gesucht, 1907 betrug hier die Zahl der weiblichen Erwerbs-
tätigen 109382. Eine Abnahme ist für die Zeit zwischen den
Vergleichsjahren nur für die Dienenden zu verzeichnen, deren
Zahl von 138935 auf 115080 sank. verschiedene Gründe
haben den Rückgang bewirkt, ein besonders wichtiger darunter
ist das wachsende Freiheitsgefühl der Dienenden, das sich
gegen die große persönliche Abhängigkeit auflehnt, wie sie
durch die veralteten Gesindeordnungen rechtlich geheiligt und
gefestigt wird. Die Gesamtzahl der in Bayern um Brot und
Lohn schaffenden Frauen und Mädchen ist von 1895 bis 1907
von 808584 auf 1264747 gestiegen.
Fünfviertel Millionen Frauen, die Reichtum und Kultur
schaffen, fünfviertel Millionen Frauen und Mädchen, von
denen die erdrückende Mehrzahl „Schätze hebt für den Wicht“,
während sie selbst darbt. Ein Heer weiblicher Gesellschafts-
bürger, die alle Steuerlasten in Staat und Gemeinde mit-
zutragen haben, die allen Gesetzen des Landes unterworfen
sind, und deren Leben von fast allen öffentlichen Einrich-
Frauenwahlrecht
tungen berührt wird. Und diese Vielen sind im politischen
Leben rechtlos. Sie sollen Pflichten tragen, aber keine Rechte
genießen. Dieses Unrecht wird immer schärfer von den
Frauen empfunden, die als ausgebeutete Arbeiterinnen
ihren Unterhalt erwerben. Sie erkennen den Wert des Wahl-
rechts, sie sammeln sich um das Banner der Sozialdemo-
kratie. Ungeachtet aller Schwierigkeiten entfaltete sich all-
mählich in allen Jndustriezentren ein reges Vereins- und
Versammlungsleben der Proletarierinnen. Unsere Frauen-
bewegung trat kraftvoll für das Frauenwahlrecht ein.
1907 forderten die bayerischen Genossinnen vom Landtag
für die Frauen das Wahlrecht und volle politische Betäti-
gungsfreiheit. Zahlreich besuchte Frauenwahlrechtsversamm-
lungen fanden statt in Nürnberg, Fürth, München, Schwa-
bach, Erlangen, Wunsiedel, Oberröslau, Aschaffenburg, Bay-
reuth, Forchheim, Lauf, Regensburg, Augsburg, Burgfarrn-
bach, Lechhausen, Kaiserslautern und Roth. Sie alle nahmen
eine gleichlautende Resolution an, in der volles Bürgerrecht
für das weibliche Geschlecht gefordert wurde.
Als 1909 der bayerische Landtag sich endlich mit den vor-
liegenden 17 Frauenwahlrechtspetitionen beschäftigen mußte,
beantragte der Redner des Zentrums, sie einfach zur Kennt-
nis zu nehmen. Gegen diese Behandlung der Frauenforde-
rungen wandte sich unser Genosse v. Bollmar mit folgen-
den Worten: „Meine Herren! So kurz kann die Sache denn
doch nicht erledigt werden. Jch weiß ja wohl, daß der gegen-
wärtige Augenblick nicht zu großen Reden über eine so
wichtige prinzipielle Frage wie die des Frauenwahlrechts
geeignet ist. Es ist auch meinerseits gar nicht notwendig,
mich eingehend über die Sache zu verbreiten, da wir Sozial-
demokraten ja hier schon wiederholt für das Frauenwahl-
recht eingetreten sind und entsprechende Anträge gestellt
haben. Aber nachdem – wie aus dem Vortrag des Herrn
Referenten hervorgeht – bereits im Ausschuß so gut wie
gar nichts zu den vorliegenden Petitionen gesprochen worden
ist, darf die Sache hier nicht ohne Geleitwort passieren. –
Jch bin der Meinung, daß nun die Zeit heranrückt, in der
Leute und Parteien, die früher über das Frauenwahlrecht
nur zu lachen gewußt haben, werden anfangen müssen, diese
Sache ernsthafter zu behandeln. Sonst werden ihnen die
Frauen zu nahe kommen. (Heiterkeit.) – Jawohl, gerade
auch das Zentrum weiß von dieser Tatsache etwas zu er-
zählen. Es hat bereits begonnen, sich auch diese Bewegung
nutzbar zu machen. Eine Zeitlang mag das ja wohl gehen,
indem Sie den Frauen schöne Versprechungen machen; aber
auf die Dauer wird das nicht helfen. Die Frauen werden
Jhnen schon zeigen, daß sie ein ernstliches Eintreten für
ihre Rechte und nicht bloße Versprechungen haben wollen.“
Als Reaktionäre vom reinsten Wasser stimmten die Zen-
trümler trotz allem die Frauenwahlrechtsforderungen nieder.
Diese unverständige und unverschämte Behandlung ihrer
Jnteressen haben die Frauen im Lande nicht ruhig hin-
genommen. Sie haben darauf geantwortet, indem sie den
Ruf nach dem Frauenwahlrecht nur lauter erhoben und
immer zahlreicher den sozialdemokratischen Wahlvereinen
beitraten. Der sozialdemokratische Frauentag des vorigen
Jahres war eine machtvolle Demonstration für das Frauen-
wahlrecht. Der Zudrang zu den Versammlungen in den ein-
zelnen Orten war gewaltig.
1912 sind 30 Sozialdemokraten in den bayerischen Landtag
eingezogen. Die proletarischen Frauen haben ihr gut Teil
zu diesem Erfolg beigetragen. Sie wissen, diese 30 werden
zuverlässige Kämpfer für das Brot, das Recht und die Frei-
heit der Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen sein. Jn den 30
Sozialdemokraten wird daher auch das Frauenwahlrecht
seine besten, treuesten Verteidiger im bayerischen Landtag
besitzen. Dort wird die Frage wiederkehren. Die proleta-
rischen Frauen selbst werden das Landesparlament mit der
Forderung bombardieren: „Heraus mit dem Frauen-
wahlrecht!“ Der 12. Mai wird ihren Aufmarsch zur Er-
ringung ihres Bürgerrechtes zeigen.
Helene Grünberg.