Wenn der Mensch mit regsamem Sinne die Natur
durchforscht, oder in seiner Phantasie die weiten
Räume der organischen Schöpfung miſst, so wirkt unter
den vielfachen Eindrücken, die er empfängt, keiner
so tief und mächtig als der, welchen die allverbreitete
Fülle des Lebens erzeugt. Ueberall, selbst
am beeisten Pol, ertönt die Luft von dem Gesange der
Vögel, wie von dem Sumsen schwirrender Insecten.
Nicht die unteren Schichten allein, in welchen die
verdichteten Dünste schweben, auch die oberen ätherischreinen,
sind belebt. Denn so oft man den Rücken
der Peruanischen Cordilleren, oder, südlich vom
Leman-See, den Gipfel des Weiſsen-Berges bestieg,
hat man selbst in diesen Einöden noch Thiere entdeckt.
Am Chimborazo, sechsmal höher als der Brokken,
sahen wir Schmetterlinge und andere geflügelte
Insecten. Wenn auch, von senkrechten Luftströmen
getrieben, sie sich dahin, als Fremdlinge, verirrten,
wohin unruhige Forschbegier des Menschen sorgsame
Schritte leitet; so beweiset ihr Daseyn doch, daſs die
biegsamere animalische Schöpfung ausdauert, wo die
vegetabilische längst ihre Grenze erreicht hat. Höher,
als der Kegelberg von Teneriffa auf den Aetna gethürmt;
höher, als alle Gipfel der Andeskette, schwebte
oft über uns der Cundur, der Riese unter den Geiern.
Raubsucht und Nachstellung der zartwolligen
Vikunnas, welche gemsenartig und heerdenweise in
den beschneiten Grasebenen schwärmen, locken den
mächtigen Vogel in diese Region.
Zeigt nun schon das unbewafnete Auge den ganzen
Luftkreis belebt, so enthüllt noch gröſsere Wunder
das bewafnete Auge. Räderthiere, Brachionen,
und eine Schaar mikroskopischer Geschöpfe heben die
Winde aus den troknenden Gewässern empor. Unbeweglich
und in Scheintod versenkt, schweben sie vielleicht
Jahrelang in den Lüften, bis der Thau sie zur
Erde zurükführt, die Hülle löst, die ihren durchsichtigen
wirbelnden Körper einschlieſst, und (wahrscheinlich
durch den Lebensstoff, den alles Wasser
enthält) den Organen neue Erregbarkeit einhaucht.
Neben den entwickelten Geschöpfen trägt der
Luftkreis auch zahllose Keime künftiger Bildungen,
Insecten-Eier und Eier der Pflanzen, die durch Haar-
und Feder-Kronen zur langen Herbstreise geschikt
sind. Selbst den belebenden Staub, den, bei getrennten
Geschlechtern, die männlichen Blüthen ausstreuen,
tragen Winde und geflügelte Insecten über Meer und
Land den einsamen weiblichen zu. Wohin der Blick
des Naturforschers dringt, ist Leben, oder Keim zum
Leben, verbreitet.
Dient aber auch das bewegliche Luftmeer, in das
wir getaucht sind, und über dessen Oberfläche wir
uns nicht zu erheben vermögen, vielen organischen
Geschöpfen zur nothwendigsten Nahrung; so bedürfen
dieselben dabei doch noch einer gröberen Speise,
welche nur der Boden dieses gasförmigen Oceans darbietet.
Dieser Boden ist zwiefacher Art. Den kleineren
Theil bildet die trockene Erde, unmittelbar von
Luft umflossen; den gröſseren Theil bildet das Wasser,
vielleicht einst vor Jahrtausenden durch elektrisches
Feuer aus luftförmigen Stoffen zusammengeronnen,
und jezt unaufhörlich in der Werkstatt der Wolken,
wie in den pulsirenden Gefäſsen der Thiere und Pflanzen,
zersezt.
Unentschieden ist es, wo gröſsere Lebensfülle
verbreitet sey; ob auf dem Continent, oder in dem
unergründeten Meere. In diesem erscheinen gallertartige
Seegewürme, bald lebendig, bald abgestorben,
als leuchtende Sterne. Ihr Phosphorlicht wandelt die
grünliche Fläche des unermeſslichen Ozeans in ein
Feuermeer um. Unauslöschlich wird mir der Eindruck
jener stillen Tropen-Nächte der Südsee bleiben,
wo aus der duftigen Himmelsbläue das hohe Sternbild
des Schiffes und das gesenkt untergehende Kreuz ihr
mildes planetarisches Licht ausgossen, und wo zugleich
in der schäumenden Meeresfluth die Delphine
ihre leuchtenden Furchen zogen.
Aber nicht der Ozean allein, auch die Sumpfwasser
verbergen zahllose Gewürme von wunderbarer Gestalt.
Unserem Auge fast unerkennbar sind die Cyclidien,
die gefranzten Trichoden und das Heer der Naiden,
theilbar durch Aeste, wie die Lemna, deren
Schatten sie suchen. Von mannichfaltigen Luftgemengen
umgeben, und mit dem Lichte unbekannt, athmen:
die geflekte Askaris, welche die Haut des Regenwurms,
die silberglänzende Leukophra, welche das
Innere der Ufer-Naide, und der Echynorynchus, welcher
die weitzellige Lunge der tropischen Klapperschlange
bewohnt. So sind auch die verborgensten
BäumeRäume der Schöpfung mit Leben erfüllt. Wir wollen
hier bescheiden bei den Geschlechtern der Pflanzen
verweilen; denn auf ihrem Daseyn beruht das Daseyn
der thierischen Schöpfung. Unabläſsig sind sie bemüht,
den rohen Stoff der Erde organisch an einander zu
reihen, und vorbereitend, durch lebendige Kraft, zu
mischen, was nach tausend Umwandlungen zur regsamen
Nervenfaser veredelt wird. Derselbe Blick,
den wir auf die Verbreitung der Pflanzendecke heften,
enthüllt uns die Fülle des thierischen Lebens, das von
jener genährt und erhalten wird.
Ungleich ist der Teppich gewebt, den die blüthenreiche
Flora über den nakten Erdkörper ausbreitet;
dichter, wo die Sonne höher an dem nie bewölkten
Himmel emporsteigt; lockerer gegen die trägen
Pole hin, wo der wiederkehrende Frost bald die entwickelte
Knospe tödtet, bald die reifende Frucht erhascht.
Doch überall darf der Mensch sich der nährenden
Pflanzen erfreuen. Trennt im Meeresboden
ein Vulkan die kochende Fluth, und schiebt plözlich
(wie einst zwischen den griechischen Inseln) einen
schlackigen Fels empor; oder erheben (um an eine
friedlichere Naturerscheinung zu erinnern) die einträchtigen
Nereiden ihre zelligen Wohnungen, bis sie
nach Jahrtausenden über den Wasserspiegel hervorragend,
absterben, und ein flaches Corallen-Eiland bilden:
so sind die organischen Kräfte sogleich bereit,
den todten Fels zu beleben. Was den Saamen so
plözlich herbeiführt: ob wandernde Vögel, oder Winde,
oder die Wogen des Meeres; ist bei der groſsen
Entfernung der Küsten schwer zu entscheiden. Aber
auf dem nakten Steine, sobald ihn zuerst die Luft
berührt, bildet sich in den nordischen Ländern ein
Gewebe sammtartiger Fasern, die dem unbewafneten
Auge als farbige Flecken erscheinen. Einige sind
durch hervorragende Linien bald einfach bald doppelt
begränzt; andere sind in Furchen durchschnitten und
in Fächer getheilt. Mit zunehmendem Alter verdunkelt
sich ihre lichte Farbe. Das fernleuchtende
Gelb wird braun, und das bläuliche Grau der Leprarien
verwandelt sich nach und nach in ein staubartiges
Schwarz. Die Gränzen der alternden Decke flieſsen
in einander, und auf dem dunkeln Grunde bilden sich
neue zirkelrunde Flechten von blendender Weiſse.
So lagert sich schichtenweise ein organisches Gewebe
auf das andere; und wie das sich ansiedelnde Menschengeschlecht
bestimmte Stufen der sittlichen Kultur
durchlaufen muſs, so ist die allmählige Verbreitung
der Pflanzen an bestimmte physische Geseze gebunden.
Wo jezt hohe Waldbäume ihre Gipfel luftig erheben,
da überzogen einst zarte Flechten das erdenlose Gestein.
Laubmoose, Gräser, krautartige Gewächse und
Sträucher, füllen die Kluft der langen aber ungemessenen
Zwischenzeit aus. Was im Norden Flechten
und Moose, das bewirken in den Tropen Portulacca,
Gomphrenen und andere niedrige Uferpflanzen. Die
Geschichte der Pflanzendecke, und ihre allmählige
Ausbreitung über die öde Erdrinde, hat ihre Epochen,
wie die Geschichte des spätern Menschengeschlechts.
Ist aber auch Fülle des Lebens überall verbreitet;
ist der Organismus auch unablässig bemüht, die durch
den Tod entfesselten Elemente zu neuen Gestalten zu
verbinden: so ist diese Lebensfülle und ihre Erneuerung
doch nach Verschiedenheit der Himmelsstriche
verschieden. Periodisch erstarrt die Natur in der kalten
Zone; denn Flüssigkeit ist Bedingniſs zum Leben.
Thiere und Pflanzen (Laubmoose und andre Cryptogamen
abgerechnet) liegen hier viele Monate hindurch
im Winterschlaf vergraben. In einem groſsen Theile
der Erde haben daher nur solche organische Wesen
sich entwickeln können, welche einer beträchtlichen
Entziehung von Wärmestoff widerstehen, oder einer
langen Unterbrechung der Lebensfunctionen fähig sind.
Je näher dagegen den Tropen, desto mehr nimmt Mannichfaltigkeit
der Bildungen, Anmuth der Form und
des Farbengemisches, ewige Jugend und Kraft des organischen
Lebens zu.
Diese Zunahme kann leicht von denen bezweifelt
werden, welche nie unsern Welttheil verlassen, oder
das Studium der allgemeinen Erdkunde vernachlässigt
haben. Wenn man aus unsern dicklaubigen Eichenwäldern
über die Alpen- oder Pyrenäen-Kette nach
Welschland oder Spanien hinabsteigt; wenn man gar
seinen Blick auf die afrikanischen Küstenländer des
Mittelmeeres richtet: so wird man leicht zu dem
Fehlschlusse verleitet, als sei Baumlosigkeit der Charakter
heiſser Klimate. Aber man vergiſst, daſs das
südliche Europa eine andere Gestalt hatte, als pelasgische
oder carthagische Pflanzvölker sich zuerst darinn
festsezten; man vergiſst, daſs frühere Bildung des
Menschengeschlechts die Waldungen verdrängt, und
daſs der umschaffende Geist der Nazionen der Erde allmählig
den Schmuck raubt, der uns in dem Norden
erfreut, und der (mehr, als alle Geschichte) die Jugend
unserer sittlichen Kultur anzeigt. Die groſse Katastrophe,
durch welche das Mittelmeer sich gebildet,
indem es, ein anschwellendes Binnenwasser, die
Schleusen der Dardanellen und die Säulen des Herkules
durchbrochen, diese Katastrophe scheint die angränzenden
Länder eines groſsen Theils ihrer Dammerde
beraubt zu haben. Was bei den griechischen
Schriftstellern von den Samothracischen Sagen erwähnt
wird, deutet die Neuheit dieser zerstörenden Naturveränderung
an. Auch ist in allen Ländern, welche
das Mittelmeer begränzt, und welche die Kalkformation
des Jura charakterisirt, ein groſser Theil der Erdoberfläche
nackter Fels. Das Mahlerische italienischer
Gegenden beruht vorzüglich auf diesem lieblichen
Kontraste zwischen dem unbelebten öden Gestein
und der üppigen Vegetation, welche inselförmig darinn
aufsproſst. Wo dieses Gestein, minder zerklüftet,
die Wasser auf der Oberfläche zusammen hält,
wo diese mit Erde bedeckt ist, (wie an den reizenden
Ufern des Albaner Sees) da hat selbst Italien seine
Eichenwälder, so schattig und grün, als der Bewohner
des Norden sie wünscht.
Auch die Wüsten jenseits des Atlas, und die unermeſslichen
Ebenen oder Steppen von Süd-Amerika,
sind als bloſse Lokalerscheinungen zu betrachten. Diese
findet man, in der Regenzeit wenigstens, mit Gras
und niedrigen, fast krautartigen, Mimosen bedeckt;
jene sind Sand-Meere im Innern des alten Continents,
groſse pflanzenleere Räume, mit ewiggrünen waldigen
Ufern umgeben. Nur einzeln stehende Fächerpalmen
erinnern den Wanderer, daſs diese Einöden Theile
einer belebten Schöpfung sind. Im trügerischen Lichtspiele,
das die strahlende Wärme erregt, sieht man
bald den Fuſs dieser Palmen frei in der Luft schweben,
bald ihr umgekehrtes Bild in den wogenartig-zitternden
Luftschichten wiederholt. Auch westlich von der
peruanischen Andeskette, an den Küsten des stillen
Meeres, haben wir Wochen gebraucht, um solche
wasserleere Wüsten zu durchstreichen. Der Ursprung
derselben, diese Pflanzenlosigkeit groſser Erdstrecken,
in Gegenden, wo umher die kraftvolleste Vegetation
herrscht, ist ein wenig beachtetes geognostisches Phänomen,
welches sich unstreitig in alten Naturrevoluzionen
(in Ueberschwemmungen, oder vulkanischen
Umwandelungen der Erdrinde) gründet. Hat eine
Gegend einmal ihre Pflanzendecke verloren, ist der
Sand beweglich und quellenleer, hindert die heiſse,
senkrecht aufsteigende Luft den Niederschlag der
Wolken: so vergehen Jahrtausende, ehe von den grünen
Ufern aus organisches Leben in das Innere der
Einöde dringt.
Wer demnach die Natur mit Einem Blicke zu umfassen,
und von Lokalphänomenen zu abstrahiren
weiſs, der sieht, wie mit Zunahme der belebenden
Wärme, von den Polen zum Aequator hin, sich auch
allmählig organische Kraft und Lebensfülle vermehren.
Aber bei dieser Vermehrung sind doch jedem
Erdstriche besondere Schönheiten vorbehalten: den
Tropen Mannichfaltigkeit und Gröſse der Pflanzenformen;
dem Norden der Anblick der Wiesen, und das
periodische Wiedererwachen der Natur beim ersten
Wehen der Frühlingslüfte. Jede Zone hat auſser den
ihr eigenen Vorzügen auch ihren eigenthümlichen
Character. So wie man an einzelnen organischen Wesen
eine bestimmte Physiognomie erkennt; wie beschreibende
Botanik und Zoologie, im engern Sinne
des Worts, fast nichts als Zergliederung der Thier- und
Pflanzenformen ist: so giebt es auch eine gewisse Naturphysiognomie,
welche jedem Himmelsstriche ausschlieſslich
zukommt.
Was der Mahler mit den Ausdrücken schweizer
Natur, italienischer Himmel, bezeichnet, gründet sich
auf das dunkle Gefühl dieses lokalen Naturcharakters.
Himmelsbläue, Beleuchtung, Duft, der auf der Ferne
ruht, Gestalt der Thiere, Saftfülle der Kräuter, Glanz
des Laubes, Umriſs der Berge — alle diese Elemente
bestimmen den Totaleindruck einer Gegend. Zwar
bilden unter allen Zonen dieselben Gebirgsarten Felsgruppen
von einerlei Physiognomie. Die Grünsteinklippen
in Süd-Amerika und Mexiko gleichen denen
des deutschen Fichtelgebirges, wie unter den Thieren
die Form des Alco oder der ursprünglichen Hunderace
des neuen Continents, mit der der europäischen Race
genau übereinstimmt. Denn die unorganische Rinde
der Erde ist gleichsam unabhängig von klimatischen
Einflüssen; sey es, daſs der Unterschied der Klimate
neuer als das Gestein ist; sei es, daſs die erhärtende,
Wärme-entbindende Erdmasse sich selbst ihre Temperatur
gab, statt sie von auſsen zu empfangen. Alle
Formationen sind daher allen Weltgegenden eigen,
und in allen gleichgestaltet. Ueberall bildet der Basalt
Zwillings-Berge und abgestumpfte Kegel; überall er-
cheinter-
scheint der Trapporphyr in grotesken Felsmassen, der
Granit in sanftrundlichen Kuppen. Auch ähnliche
Pflanzenformen, Tannen und Eichen, bekränzen die
Berggehänge in Schweden, wie die des südlichsten
Theils von Mexiko. Und bei aller dieser Uebereinstimmung
in den Gestalten, bei dieser Gleichheit der
einzelnen Umrisse, nimmt die Gruppirung derselben
zu einem Ganzen doch den verschiedensten Charakter
an.
So wie die Kenntniſs der Fossilien sich von der
Gebirgslehre unterscheidet; so ist von der individuellen
Naturbeschreibung die allgemeine, oder die Physiognomik
der Natur, verschieden. Georg Forster in
seinen Reisen und in seinen kleinen Schriften; Göthe
in den Naturschilderungen, welche so manche seiner
unsterblichen Werke enthalten; Herder, Büffon, Bernardin
de St. Pierre, und selbst Chateaubriand, haben
mit unnachahmlicher Wahrheit den Charakter einzelner
Himmelsstriche geschildert. Solche Schilderungen
sind aber nicht blos dazu geeignet, dem Gemüthe einen
Genuſs der edelsten Art zu verschaffen; nein,
die Kenntniſs von dem Naturcharakter verschiedener
Weltgegenden ist mit der Geschichte des Menschengeschlechtes,
und mit der seiner Kultur, aufs innigste
verknüpft. Denn wenn auch der Anfang dieser Kultur
nicht durch physische Einflüsse allein bestimmt
wird; so hangt doch die Richtung derselben, so hängen
Volkscharacter, düstere oder heitere Stimmung
der Menschheit, groſsentheils von klimatischen Verhältnissen
ab. Wie mächtig hat der griechische Himmel
auf seine Bewohner gewirkt! Wie sind nicht in
dem schönen und glücklichen Erdstriche zwischen dem
Oxus, dem Tigris, und dem ägeischen Meere, die
sich ansiedelnden Völker zuerst zu sittlicher Anmuth
und zarteren Gefühlen erwacht? Und haben nicht,
als Europa in neue Barbarei versank, und religiöse
Begeisterung plözlich den heiligen Orient öfnete, unsere
Vorältern aus jenen milden Thälern von neuem
mildere Sitten heimgebracht! Die Dichterwerke der
Griechen und die rauheren Gesänge der nordischen Urvölker
verdankten gröſstentheils ihren eigenthümlichen
Charakter der Gestalt der Pflanzen und Thiere,
den Gebirgsthälern, die den Dichter umgaben, und
der Luft, die ihn umwehte. Wer fühlt sich nicht,
um selbst nur an nahe Gegenstände zu erinnern, anders
gestimmt, in dem dunkeln Schatten der Buchen,
oder auf Hügeln, die mit einzeln stehenden Tannen
bekränzt sind; oder auf der Grasflur, wo der Wind in
dem zitternden Laube der Birken säuselt! Melancholische,
ernsterhebende, oder fröhliche Bilder rufen
diese vaterländischevaterländischen Pflanzengestalten in uns hervor.
Der Einfluſs der physischen Welt auf die moralische,
dies geheimniſsvolle Ineinander-Wirken des Sinnlichen
und Auſsersinnlichen, giebt dem Naturstudium, wenn
man es zu höheren Gesichtspunkten erhebt, einen eigenen,
noch zu wenig gekannten Reiz.
Wenn aber auch der Charakter verschiedener Weltgegenden
von allen äuſseren Erscheinungen zugleich
abhängt; wenn Umriſs der Gebirge, Physiognomie der
Pflanzen und Thiere, wenn Himmelsbläue, Wolkengestalt
und Durchsichtigkeit des Luftkreises, den Totaleindruk
bewirken; so ist doch nicht zu läugnen,
daſs das Hauptbestimmende dieses Eindrucks die
Pflanzendecke ist. Dem thierischen Organismus fehlt
es an Masse, und die Beweglichkeit der Individuen
entzieht sie oft unsern Blicken. Die Pflanzenschöpfung
dagegen wirkt durch stetige Gröſse auf unsere Einbildungskraft.
Ihre Masse bezeichnete ihr Alter, und in
den Gewächsen allein ist Alter und Ausdruck stets
sich erneuernder Kraft mit einander gepaart. Der riesenförmige
Drachenbaum, den ich auf den kanarischen
Inseln sah, und der 16 Schuh im Durchmesser hat,
trägt noch immerdar (gleichsam in ewiger Jugend)
Blüthe und Frucht. Als französische Abentheurer,
die Bethencourts, im vierzehnten Jahrhundert die
glücklichen Inseln eroberten, war der Drachenbaum
von OratavaOrotava (den Eingeborenen heilig wie der Oelbaum
in der Burg zu Athen, oder die nordische Esche,
unter der Odin und Asi zusammenkamen) von eben
der kolossalen Stärke als jezt. In den Tropen ist ein
Wald von Hymeneen und Caesalpinien vielleicht das
Denkmal von einem Jahrtausend.
Umfaſst man die verschiedenen Pflanzenarten,
welche bereits auf dem Erdboden entdeckt sind, und
von denen Willdenow's groſses Werk allein über
20,000 genau zergliedert, mit Einem Blick; so erkennt
man in dieser wundervollen Menge wenige
Hauptformen, auf welche sich alle andere zurückführen
lassen. Zur Bestimmung dieser Formen, von deren
individueller Schönheit, Vertheilung und Gruppirung
die Physiognomie der Vegetation eines Landes
abhängt, muſs man nicht (wie in den botanischen
Systemen aus andern Beweggründen geschieht) auf
die kleinsten Theile der Blüthen und Früchte, sondern
nur auf das Rücksicht nehmen, was durch Masse
den Totaleindruck einer Gegend individualisirt. Unter
den Hauptformen der Vegetation giebt es allerdings
ganze Familien der sogenannten natürlichen Systeme.
Bananengewächse und Palmen werden auch in diesen
einzeln aufgeführt. Aber der botanische Systematiker
trennt eine Menge von Pflanzengruppen, welche
der Physiognomiker sich gezwungen sieht, mit einander
zu verbinden. Wo die Gewächse sich als Massen
darstellen, flieſsen Umrisse und Vertheilung der Blätter,
Gestalt der Stämme und Zweige, in einander.
Der Mahler (und gerade dem feinen Naturgefühle des
Künstlers kommt hier der Ausspruch zu!) unterscheidet
in dem Mittel- und Hintergrunde einer Landschaft
Tannen- oder Palmengebüsche von BüchenBuchen, nicht aber
diese von andern Laubholzwäldern!
Sechszehn Pflanzenformen bestimmen hauptsächlich
die Physiognomie der Natur. Ich zähle nur diejenigen
auf, welche ich bei meinen Reisen durch beide
Welttheile, und bei einer vieljährigen Aufmerksamkeit
auf die Vegetation der verschiedenen Himmelsstriche
zwischen dem 55sten Grade nördlicher und dem
12ten Grade südlicher Breite, beobachtet habe. Die
Zahl dieser Formen wird gewiſs ansehnlich vermehrt
werden, wenn man einst in das Innere der Continente
tiefer eindringt, und neue Pflanzengattungen entdeckt.
Im südöstlichen Asien, im Inneren von Afrika
und Neuholland, in Süd-Amerika vom Amazonenstrome
bis zum Gebirge Chiquitos hin, ist uns die Vegetation
noch völlig unbekannt. Wie, wenn man gar
ein Land entdeckte, in welchem holzige Schwämme,
z. B. CalvarienClavarien oder Moose, hohe Bäume bildeten?
Nekera dendroïdes, ein deutsches Laubmoos, ist in
der That baumartig, und die tropischen Farrenkräuter,
oft höher als unsere Linden und Erlen, sind für den
Europäer noch jezt ein eben so überraschender Anblick,
als dem ersten Entdecker ein Wald hoher Laubmoose
seyn würde! Gröſse und Entwickelung der
Organe hangt von der Begünstigung klimatischer
Verhältnisse ab. Die kleine, aber schlanke Form unserer
Eidechse dehnt sich im Süden zu dem kolossalen
und gepanzerten Körper furchtbarer Crocodyle aus. In
den ungeheuern Katzen von Afrika und Amerika, im
Tiger, im Löwen und Jaguar, ist die Gestalt eines
unserer kleinsten Hausthiere nach einem gröſseren
Maasstabe wiederholt. Dringen wir gar in das Innere
der Erde, durchwühlen wir die Grabstätte der Pflanzen
und Thiere, so verkündigen uns die Versteinerungen
nicht bloſs eine Vertheilung der Formen,
die mit den jetzigen Klimaten in Widerspruch steht;
nein, sie zeigen uns auch kolossale Gestalten, welche
mit den kleinlichen, die uns gegenwärtig umgeben,
nicht minder contrastiren, als die einfache Heldennatur
der Griechen gegen die Charaktergröſse neuerer
Zeit. Hat die Temperatur des Erdkörpers beträchtliche,
vielleicht periodisch wiederkehrende Veränderungen
erlitten; ist das Verhältniſs zwischen Meer
und Land, ja selbst die Höhe des Luftozeans und
sein Druck nicht immer derselbe gewesen: so muſs
die Physiognomie der Natur, so müssen Gröſse und
Gestalt des Organismus, ebenfalls schon manchem
Wechsel unterworfen gewesen sein. Unfähig, diese
Physiognomie des alternden Planeten nach ihren gegenwärtigen
Zügen vollständig zu schildern, wage
ich nur diejenigen Charaktere auszuheben, welche
jeder Pflanzengruppe vorzüglich zukommen. Bei
allem Reichthum und aller Biegsamkeit unserer vaterländischen
Sprache, ist es ein schwieriges Unternehmen,
mit Worten zu bezeichnen, was eigentlich
nur der nachahmenden Kunst des Malers darzustellen
geziemt. Auch wünschte ich, das Ermüdende
des Eindrucks zu vermeiden, das jede Aufzählung
einzelner Formen unausbleiblich erregen
muſs.
Wir beginnen mit den Palmen, der höchsten
und edelsten aller Pflanzengestalten. Denn ihr haben
stets die Völker (und die früheste Menschenbildung
war in der asiatischen Palmenwelt, oder in dem Erdstriche,
der zunächst an die Palmenwelt gränzt) den
Preis der Schönheit zuerkannt. Hohe, schlanke, geringelte,
bisweilen stachliche Schäfte mit anstrebendem,
glänzendem, bald gefächertem, bald gefiedertem
Laube. Die Blätter sind oft grasartig gekräuselt.
Der glatte Stamm erreicht bis 180 Fuſs Höhe. Die
Palmenform nimmt an Pracht und Gröſse ab, vom
Aequator gegen die gemäſsigte Zone hin. Europa hat
unter seinen einheimischen Gewächsen nur einen Repräsentanten
dieser Form, die zwergartige Küstenpalme,
den Chamaerops, der in Spanien und Italien
sich nördlich bis zum 44sten Breitengrade erstreckt.
Das eigentliche Palmenklima der Erde hat 21°. mittlerer
Wärme. Aber die aus Afrika zu uns gebrachte
Dattelpalme, welche minder schön als andere Arten
dieser Gruppen ist, vegetirt noch im südlichen Europa
in Gegenden, deren mittlere Temperatur 14°.
also mehr als doppelt gröſser, als die von Berlin, ist.
Palmenstämme und Elephantengerippe liegen im nördlichen
Deutschlande im Inneren der Erde vergraben,
und ihre Lage macht es wahrscheinlich, daſs sie nicht
von den Tropen her gegen Norden geschwemmt wurden;
sondern, daſs in den groſsen Revoluzionen unseres
Planeten die Klimate, wie die durch sie bestimmte
Physiognomie der Natur, vielfach verändert
worden sind.
Zu den Palmen gesellt sich in allen Welttheilen
die Pisang oder Bananenform, die Scitamineen der
Botaniker, Heliconia, Amomum, Strelitzia. Ein
niedriger aber saftreicher, fast krautartiger Stamm,
an dessen Spitze sich dünn und lokkergewebte, zartgestreifte,
seidenartig-glänzende Blätter erheben.
Pisanggebüsche sind der Schmuck feuchter Gegenden.
Auf ihrer Frucht beruht die Nahrung aller Bewohner
des heiſsen Erdgürtels. Wie die mehlreichen Cerealien
oder Getreidearten des Nordens, so begleiten Pisangstämme
den Menschen seit der frühesten Kindheit
seiner Kultur. Asiatische Mythen setzen die
ursprüngliche Heimath dieser nährenden Tropenpflanze
an den Euphrat, oder an den Fuſs des Himalus
in Indien. Griechische Sagen nennen die Gefilde
von Enna als das glückliche Vaterland der Cerealien.
Wenn diese, durch die Kultur über die nördliche Erde
verbreitet, und dort einförmige weitgedehnte Grasfluren
bildend, wenig den Anblick der Natur verschönern,
so vervielfacht dagegen der sich ansiedelnde
Tropenbewohner durch Pisangpflanzungen
eine der herrlichsten und edelsten Gestalten.
Malvenform, Sterculia, Hibiscus, Lavatera,
Ochroma. Kurze aber kolossalisch dikke Stämme
mit zartwolligen, groſsen, herzförmigen, oft eingeschnittenen
Blättern, und prachtvollen oft purpurrothen
Blüthen. Zu dieser Pflanzengruppe gehört
der Affenbrodbaum, Adansonia digitata, der bei
32 Fuſs Höhe 30 Fuſs Durchmesser hat, und der wahrscheinlich
das gröſste und älteste organische Denkmahl
auf unserm Planeten ist. In Italien fängt die
Malvenform bereits an, der Vegetation einen eigenthümlichen
südlichen Charakter zu geben.
Dagegen entbehret unsere gemäſsigte Zone im
alten Continent leider ganz die zartgefiederten Blätter,
die Form der Mimosen, Gleditsia, Porleria,
Tamarindus. Den vereinigten Staaten von Nord-Amerika,
in denen unter gleicher Breite die Vegetation
mannichfaltiger und üppiger als in Europa ist,
fehlt diese schöne Form nicht. Bei den Mimosen ist
eine schirmartige Verbreitung der Zweige, fast wie
bei den italienischen Pinien, gewöhnlich. Die tiefe
Himmelsbläue des Tropenklimas durch die zartgefiederten
Blätter schimmernd, ist von überaus malerischem
Effekte.
Eine meist afrikanische Pflanzengruppe sind die
Heidekräuter; dahin gehören auch die Andromeda,
Passerinen und Gnidien, eine Gruppe, die
mit der der Nadelhölzer einige Aehnlichkeit hat, und
eben deshalb mit dieser durch die Fülle glokkenförmiger
Blüthen, desto reizender contrastirt. Die baumartigen
Heidekräuter, wie einige andere afrikanische
Gewächse, erreichen das nördliche Ufer des Mittelmeers.
Sie schmükken Welschland und die Cistus-Gebüsche
des südlichen Spaniens. Am üppigsten
wachsend habe ich sie auf den afrikanischen Inseln,
am Abhange des Pics von Teyde gesehen. Bei uns
in den baltischen Ländern, und noch nördlicher hin,
ist diese Pflanzenform gefürchtet, Dürre und Unfruchtbarkeit
verkündigend. Unsere Heidekräuter, Erica
vulgaris und tetralix sind gesellschaftlich lebende
Gewächse, gegen deren fortschreitenden Zug die akkerbauenden
Völker seit Jahrhunderten mit wenigem
Glükke ankämpfen. Sonderbar, daſs der Hauptrepräsentant
dieser Form blos einer Seite unsers Planeten
eigen ist. Von den 137 jezt bekannten Arten von
Erica findet sich auch nicht eine einzige im neuen
Continent von Pensilvanien und Labrador bis gegen
Nootka und Alaschka hin.
Dagegen ist bloſs dem neuen Continent eigenthümlich
die Cactusform, bald kugelförmig, bald
gegliedert, bald in hohen, vielekkigen Säulen, wie
Orgelpfeifen, aufrechtstehend. Diese Gruppe bildet
den höchsten Contrast mit der Gestalt der Liliengewächse
und der Bananen. Sie gehört zu den Pflanzen,
welche Bernardin de St. Pierre sehr glücklich
die vegetabilischen Quellen der Wüste nennt. In den
wasserleeren Ebenen von Südamerika suchen die von
Durst geängsteten Thiere den Melonen-Cactus, eine
kugelförmige, halb im dürren Sande verborgene
Pflanze, deren saftreiches Innere unter furchtbaren
Stacheln versteckt ist. Die säulenförmigen Cactus-Stämme
erreichen bis 30 Fuſs Höhe und candelaberartig
getheilt, haben sie eine auffallende Aehnlichkeit
der Physiognomie mit einigen afrikanischen Euphorbien.
Wie diese grüne WasenOasen in den pflanzenleeren
Wüsten bilden, so beleben die Orchideen den vom
Licht verkohlten Stamm der Tropenbäume und die
ödesten Felsenritzen. Die Vanillenform zeichnet sich
durch hellgrüne saftvolle Blätter und durch vielfarbige
Blüthen von wunderbarem Baue aus. Diese Blüthen
gleichen bald den geflügelten Insekten, bald den zarten
Vögeln, welche der Duft der Honiggefäſse anlokket.
Das Leben eines Malers wäre nicht hinlänglich,
um alle die prachtvollen Orchideen abzubilden,
welche die tiefausgefurchten Gebirgsthäler der peruanischen
Andeskette zieren.
Blattlos, wie fast alle Cactusarten, ist die Form
der Casuarinen, einer Pflanzengestalt, bloſs der
Südsee und Ostindien eigen. Bäume mit schachtelhalmähnlichen
Zweigen. Doch finden sich auch in
andern Weltgegenden Spuren dieses mehr sonderbaren
als schönen Typus. Plumier's Equisetum altissimum,
die Ephedra aus Nord-Afrika, die peruanischen
Colletien und das sibirische Calligonum Pallasia,
sind der Casuarinenform nahe verwandt.
So wie in den Pisanggewächsen die höchste Ausdehnung,
so ist in den Casuarinen und in den Nadelhölzern die höchste Zusammenziehung der
Blattgefäſse. Tannen, Thuja und Cypressen bilden
eine nordische Form, die in den Tropen selten ist.
Ihr ewig-frisches Grün erheitert die öde Winter-Landschaft.
Es verkündigt gleichsam den Polarvölkern,
daſs, wenn Schnee und Eis den Boden bedekken,
das innere Leben der Pflanzen, wie das Prometheische
Feuer, nie auf unserm Planeten erlischt.
Parasitisch wie bei uns Moose und Flechten, überziehen
in der Tropenwelt auſser den Orchideen auch
die Pothosgewächse den alternden Stamm der
Waldbäume. Saftige, krautartige Stengel mit groſsen,
bald pfeilförmigen, bald gefingerten, bald länglichen
aber stets dik-adrigen Blättern. Blumen in Scheiden.
Pothos, Dracontium, Arum, leztere dem Norden
fehlend, aber in Spanien und Italien mit saftvollem
Huflattig, hohen Distelstauden und Acanthus, die
Ueppigkeit des südlichen Pflanzenwuchses bezeichnend.
Zu dieser Arumform gesellt sich die Form der
Lianen, beide in heiſsen Erdstrichen von Süd-Amerika
in vorzüglicher Kraft der Vegetation. Paullinia,
Banisteria, Bignonien. Unser rankender
Hopfen und unsere Weinreben erinnern an diese
Pflanzengestalt der Tropenwelt. Am Orinoco haben
die blattlosen Zweige der Bauhinien oft 40 Fuſs
Länge. Sie fallen theils senkrecht aus dem Gipfel
hoher Swietenien herab; theils sind sie schräg wie
Masttaue ausgespannt, und die Tigerkatze hat eine
bewundernswürdige Geschiklichkeit, daran auf- und
abzuklettern.
Mit den biegsamen sich rankenden Lianen, mit
ihrem frischen und leichten Grün, kontrastirt die
selbstständige Form der bläulichen Aloegewächse;
Stämme, wenn sie vorhanden sind, fast ungetheilt,
enggeringelt und schlangenartig gewunden. An dem
Gipfel sind saftreiche, fleischige, lang-zugespitzte
Blätter stralenartig zusammengehäuft. Die hochstämmigen
Aloegewächse bilden nicht Gebüsche, wie andere
gesellschaftlich lebende Pflanzen. Sie stehen einzeln
in dürren Ebenen, und geben der Tropengegend
dadurch oft einen eigenen melancholischen (man
möchte sagen afrikanischen) Charakter.
Wie die Aloeform sich durch ernste Ruhe und
Festigkeit, so charakterisirt sich die Grasform, besonders
die Physiognomie der baumartigen Gräser,
durch den Ausdruck fröhlicher Leichtigkeit und beweglicher
Schlankheit. Bambusgebüsche bilden schattige
Bogengänge in beiden Indien. Der glatte, oft
geneigt-hinschwebende Stamm der Tropen-Gräser
übertrift die Höhe unserer Erlen und Eichen. Schon
in Italien fängt im Arundo Donax diese Form an,
sich vom Boden zu erheben, und durch Höhe und
Masse den Naturcharakter des Landes zu bestimmen.
Mit der Gestalt der Gräser ist auch die der Farrenkräuter
in den heiſsen Erdstrichen veredelt.
Baumartige, oft 35 Fuſs hohe Farrenkräuter haben
ein palmenartiges Ansehen; aber ihr Stamm ist minder
schlank, kürzer, schuppig-rauher als der der
Palmen. Das Laub ist zarter, lokker gewebt, durchscheinend,
und an den Rändern sauber ausgezakt.
Diese kolossalen Farrenkräuter sind fast ausschlieſslich
den Tropen eigen, aber in diesen ziehen sie ein
gemäſsigtes Klima dem ganz heiſsen vor. Da nun die
Milderung der Hitze bloſs eine Folge der Höhe ist;
so darf man Gebirge, die 2 bis 3000 Fuſs über dem
Meere erhaben sind, oder die Höhe unsers deutschen
Brokkens, als den Hauptsiz dieser Form nennen.
Hochstämmige Farrenkräuter begleiten in Süd-Amerika
den wohlthätigen Baum, der die heilende Fieberrinde
darbietet. Beide bezeichnen die glükliche Region
der Erde, in der ewige Milde des Frühlings
herrscht.
Noch nenne ich die Form der Liliengewächse,
(Amaryllis, Pancratium) mit schilfartigen Blättern
und prachtvollen Blüthen, eine Form, deren Hauptvaterland
das südliche Afrika ist; ferner die Weidenform,
in allen Welttheilen einheimisch; und
wo Salix fehlt, in den Banksien und einigen Proteen
wiederholt; Myrthengewächse, (Metrosideros
Eucalyptus, Escallonia) Melastomen- und
Lorbeerform.
Es wäre ein Unternehmen, eines groſsen Künstlers
werth, den Charakter aller dieser Pflanzengruppen
nicht in Treibhäusern oder in den Beschreibungen
der Botaniker, sondern in der groſsen Tropen-Natur
selbst, zu studiren. Wie interessant und lehrreich
für den Landschaftsmaler wäre ein Werk, welches
dem Auge die aufgezählten sechszehn Hauptformen,
erst einzeln, und dann in ihrem Contraste
gegen einander, darstellte. Was ist malerischer,
als baumartige Farrenkräuter, die ihre zartgewebten
Blätter über die Mexikanischen Lorbeereichen ausbreiten!
Was reizender, als Pisanggebüsche von hohen
Bambusgräsern umschattet! Dem Künstler ist es
gegeben, die Gruppen zu zergliedern, und unter seiner
Hand löst sich (wenn ich den Ausdruk wagen
darf) das groſse Zauberbild der Natur, gleich den geschriebenen
Werken der Menschen, in wenige einfache
Züge auf!
Am glühenden Sonnenstral des tropischen Himmels
gedeihen die herrlichsten Gestalten der Pflanzen. Wie
im kalten Norden die Baumrinde mit dürren Flechten
und Laubmoosen bedekt ist, so beleben dort Cymbidium
und duftende Vanille den Stamm der Anacardien
und der riesenmäſsigen Feigenbäume. Das frische
Grün der Pothosblätter und der Dracontien kontrastirt
mit den vielfarbigen Blüthen der Orchideen. Rankende
Bauhinien, Passifloren und gelbblühende Banisterien
umschlingen den Stamm der Waldbäume.
Zarte Blumen entfalten sich aus den Wurzeln der
Theobroma, wie aus der dichten und rauhen Rinde
der Crescentien und der Gustavia. Bei dieser Fülle
von Blüthen und Blättern, bei diesem üppigen
Wuchse und der Verwirrung rankender Gewächse,
wird es dem Naturforscher oft schwer zu erkennen,
welchem Stamme Blüthen und Blätter zugehören.
Ein einziger Baum mit Paullinien, Bignonien und
Dendrobium geschmükt, bildet eine Gruppe von Pflanzen,
welche, von einander getrennt, einen beträchtlichen
Erdraum bedekken würden.
In den Tropen sind die Gewächse saftstrotzender,
von frischerem Grün, mit gröſseren und glänzenderen
Blättern geziert, als in den nördlichern Erdstrichen.
Gesellschaftlich lebende Pflanzen, welche die europäische
Vegetation so einförmig machen, fehlen am
Aequator beinah gänzlich. Bäume, fast zweimal so
hoch als unsere Eichen, prangen dort mit Blüthen,
welche groſs und prachtvoll wie unsere Lilien sind.
An den schattigen Ufern des Madalenenflusses in Süd-Amerika
wächst eine rankende Aristolochia, deren
Blume, von vier Fuſs Umfang, sich die indischen
Knaben in ihren Spielen über den Scheitel ziehen.
Die auſserordentliche Höhe, zu welcher sich unter
den Wendekreisen nicht blos einzelne Berge, sondern
ganze Länder erheben, und die Kälte, welche Folge
dieser Höhe ist, gewähren dem Tropen-Bewohner
einen seltsamen Anblik. AusserAuſser den Palmen und Pisanggebüschen
umgeben ihn auch die Pflanzenformen,
welche nur den nordischen Ländern anzugehören
scheinen. Cypressen, Tannen und Eichen, Berberissträucher
und Erlen (nahe mit den unsrigen verwandt)
bedekken die Gebirgsebenen im südlichen
Mexiko, wie die Andeskette unter dem Aequator.
So hat die Natur dem Menschen in der heiſsen Zone
verliehen, ohne seine Heimath zu verlassen, alle
Pflanzengestalten der Erde zu sehen; wie das Himmelsgewölbe
von Pol zu Pol ihm keine seiner leuchtenden
Welten verbirgt.
Diesen und so manchen andern Naturgenuſs entbehren
die nordischen Völker. Viele Gestirne und
viele Pflanzenformen, von diesen gerade die schönsten,
(Palmen und Pisanggewächse, baumartige Gräser
und feingefiederte Mimosen) bleiben ihnen ewig
unbekannt. Die krankenden Gewächse, welche unsere
Treibhäuser einschlieſsen, gewähren nur ein
schwaches Bild von der Majestät der Tropenvegetation.
Aber in der Ausbildung unserer Sprache, in
der glühenden Phantasie des Dichters, in der darstellenden
Kunst der Maler, ist uns eine reiche Quelle
des Ersatzes geöfnet. Aus ihr schöpft unsere Einbildungskraft
die lebendigen Bilder einer exotischen
Natur. Im kalten Norden, in der öden Heide, kann
der einsame Mensch sich aneignen, was in den fernsten
Erdstrichen erforscht wird, und so in seinem
Innern eine Welt sich schaffen, welche das Werk
seines Geistes, frei und unvergänglich, wie dieser,
ist.