Im Jahre 1900 hat das Fußballspiel
einen ungeahnten Aufschwung genommen.
An den höheren wie an niederen Schulen
wird es eifriger als je betrieben und ebenso
in den Turn- wie in den Spielvereinen.
Am meisten in die Öffentlichkeit tritt, wie aus den Umständen erklär-
lich, das Thun und Treiben des Sports. Die Zahl der Wettspiele
in Deutschland, der Besuch fremdländischer Spieler auf deutschen
Spielplätzen und endlich der Wettspielfahrten deutscher Riegen in
andere Länder hat sich ganz wesentlich gesteigert. Und, was für
die Zukunft am wichtigsten zu sein verspricht, selbst die deutsche
Studentenschaft fängt an, dieses herrliche Vergnügen
zu würdigen und um seinetwillen sich im Bierkonsum und Kneipen-
besuch einzuschränken. Am wichtigsten, meine ich, ist dieser Vorgang
insofern, als von dem Vorbilde der Studenten, die später zum großen
Teil den leitenden Kreisen in unserem Volke angehören werden, der
stärkste Einfluß auf die Volkssitte erwartet werden darf. Solange es
in studentischen Kreisen nicht für ungehörig gilt, seinen Körper durch
übermäßigen Biergenuß aufzuschwemmen und für kräftige Leibesübungen
untauglich zu machen, ist wenig Aussicht, daß die Schüler unserer
höheren Lehranstalten sich in der Beziehung gründlich bessern, und
daß die sonstige heranwachsende Jugend sich von der so verhäng-
nisvollen Vorliebe für das Kneipenleben frei macht.
Für die Entwickelung des Spieles selbst in Deutschland ist von
einem entscheidenderem
Einflusse die Begründung des Deutschen
Fußball-Bundes. Unter der Leitung von Professor Hueppe
haben sich die Vertreter der wichtigsten Spielvereine Deutschlands zu
einem
Bunde zusammengeschlossen, dem auch diejenigen Vereine, die
das gemischte Spiel pflegen,
bedingungsweise beigetreten sind. Eine
der ersten Aufgaben, die sich der Bund gestellt hat,
verdient jedenfalls
allgemeine Anerkennung und Förderung. Man will auf den deutschen
Spielplätzen gut deutsche Kunstausdrücke einführen und jenes
häßliche
Kauderwelsch, das leider dort vielfach herrscht, gänzlich aus-
rotten. Es ist freilich
unleidlich, wenn jetzt schon die kleinsten Fuß-
ballspieler, oft kaum zehnjährige Knaben, mit
Ausdrücken um sich
werfen und darin eben eine Feinheit des Spiels suchen, die weder
deutsch noch englisch sind. Jeder deutschfühlende Zuschauer kommt in
Versuchung, einem solchen
Bürschchen, wenn es von „Goal“ und von
„Kicken“ spricht,
handgreiflich darzuthun, wie wenig sich das für einen
deutschen Jungen paßt. Übrigens möchte es
sich auch empfehlen, die
Namen der betreffenden Vereine selbst einmal
daraufhin zu
prüfen, ob sie gut deutsch sind. Warum wählen unsere deutschen
Vereine mit
Vorliebe Benennungen wie „Voctoria“, „Fortuna“, „Con-
cordia“? Auch „Franconia“, „Britannia“, „Tasmania“
klingen in
unseren Ohren nicht eben schön; noch weniger Worte wie „Elite“,
„Rapide“, „Training“. Den stärksten Mißklang hat aber ein süd-
deutscher Verein zu erzielen verstanden, der sich „Die
Kickers“
nennen zu lassen für eine Ehre zu halten scheint. An guten Vor-
bildern fehlt es uns wahrlich nicht. Wir finden schon Namen wie
„Preußen“, „Frankfurt“, „Hohenzollern“,
„Eintracht“
usw. Mich möchte dünken, daß auch „Wotan“,
„Siegfried“, „Hagen“,
„Hermann“ nicht übele Taufpaten
für Fußballvereine abgeben könnten,
oder auch unsere deutschen Turnväter, wie GutsMuths, Jahn
und
Maßmann.
Eine gleichmäßige Ausbildung des Körpers ist auch für
einen guten Fußballspieler im höchsten Grade nötig. Unsere deutschen
Spieler haben das bei ihren verschiedenen Zusammentreffen mit den
fremdländischen Riegen deutlich erkannt. Nicht minder wichtig ist da-
neben eine mäßige Lebensweise.Die Berliner Hochschüler, die
sich in den Wettkämpfen am meisten auszeichnen, haben durch ihr
Beispiel glänzend erwiesen, was es hilft, wenn man sorgfältig
auf seine Lebensweise achtet. Falls alle unsere deutschen Stürmer so
auf sich achten wollten, würde in dem Wettspiel bald die Klage ver-
stummen, daß die Hauptschwäche der Deutschen in ihrer Stürmerreihe
gelegen hätte. Übrigens werden besonders die Karlsruher Spieler
wegen ihrer Schnelligkeit gelobt. Wer jemals ein Wettlaufen von
Studenten anzusehen die Gelegenheit gehabt hat, weiß ganz genau.
woran es liegt, wenn so manchem gleich der Wind ausgeht. Das
schnelle und niedrige Zuspielen des Balls kann nur durch fleißige
Übung erlernt werden. Zum Laufen mit dem Balle gehört aber vor
allem Schnelligkeit, und auch für den Stoß aufs Mal kommt es sehr
wesentlich darauf an, daß er mit schnellem Entschlusse und doch sicher
ausgeführt wird.
Es war vielleicht ein kühnes Unternehmen, daß ein deutscher
Verein, die „Preußen“, eine Mannschaft nach Holland sandte,
und wohl ein noch kühneres, daß eine Berliner Mannschaft
über das Meer setzte und sich mit den guten Londoner Spielern
maß. Indes ist nicht zu leugnen, daß, wenn beide auch nicht große
Erfolge errangen, sie sich doch nicht unrühmlich geschlagen haben und daß
sie diesen Wettspielen eine reiche Anregung und manche gute Lehre
verdanken. Hoffentlich haben sie aber auch die Schattenseiten des eng-
lischen Spiellebens nicht übersehen. Lauter als je tönt von drüben
die Klage, daß der Professionalismus immer schlimmer wird
und den ganzen Sport ernstlich bedroht. Um ein möglichst hohes
Eintrittsgeld bei ihren Wettspielen aufzunehmen, suchen sich die dortigen
Klubs durch hohe Besoldungen der besten Spieler zu überbieten.
Alljährlich kommen aus Schottland eine Anzahl junger Fußballspieler
nach London geradezu auf den Markt und lassen sich von dem meist-
bietenden Klub anwerben. Mancher hauptstädtische Klub muß freilich,
wenn dann die Wettspiele nicht genug einbringen, die allzu teueren
Spieler entlassen. So wird aus der ganzen Sache ein unwürdiger
Schacher, der die Spieler und das Spiel selbst entwürdigt.
Ein Schauspiel eigener Art hat das Fußballwettspiel geboten,
das in Paris zwischen einer deutschen und einer französischen Mann-
schaft ausgefochten ist. Die Stadt Frankfurt, die in Deut-
schland ein Hauptsitz für das gemischte
Fußballspiel ist, hatte eine Wett-
spielmannschaft entsandt, die sich während des größeren
Teiles der
Spielzeit den Parisern weit überlegen zeigte. Die Stimmung im
Zuschauerraume
hatte aber bei dem Unterliegen ihrer Landsleute an-
gefangen, sehr bedrohlich zu werden. Schon
war es nicht im ge-
ringsten mehr zweifelhaft, daß, wenn Frankfurt endgültig gesiegt
hätte,
es zu schlimmen chauvinistischen Ausschreitungen gekommen wäre.
Zum guten Glück kam
es in den letzten Minuten so, daß Frankreich
den Sieg erhielt. Der ganze Vorgang war
ersichtlich ein sehr deut-
licher Beweis, wie wenig in Paris das geplante internationale Olympia
möglich gewesen wäre. Übrigens war die ganze Spielweise an sich
nicht erfreulich. Kaum hatte ein Spieler den Ball aufgenommen, so
hatte ihn ein Gegner bei den
Beinen, um ihn zu Falle zu bringen,
und dann folgte eine wenig schöne Balgerei. Auch aus
England hört
man wieder Klagen über die allmählich zunehmende Verrohung des
gemischten
Spiels, das trotz alledem drüben immer noch an den Uni-
versitäten beliebter ist als das
einfach. Die langen, kühnen Läufe
des alten Stils, wie sie z. B. von Hughes in Tom Browns
Schul-
tagen so herrlich beschrieben sind, werden immer seltener; auch das
enge
Zusammenhalten der Stürmermassen hört auf, um dem lockeren
Spiel, wie es beim gemischten Fußall
üblich ist, Platz zu machen.
Hoffentlich führen diese und ähnliche Klagen endlich zu einem
kräftigen
Vorgehen der für das gemischte Spiel maßgebenden Union, die es
vermocht hat, das
Handwerkertum von ihren Spielplätzen fernzuhalten
und also auch das alte Ideal des Spielplatzes
von Rugby zu erneuern
im Stande sein wird.
Höchst erfreulich ist die Anerkennung, die dem Fußballspiele und
der Thätigkeit des Zentral-Ausschusses dafür bei den Verhandlungen
über Fragen des höheren Unterrichts in Berlin am 6.-8. Juni
geworden ist. Freiherr von Seckendorff, Generalmajor, Kom-
mandeur des Kadettencorps, widmete der Wirksamkeit des Zentral-
Ausschusses u. a. einige anerkennende Worte, hob hervor, daß neben
den altbekannten Ballspielen die neu eingeführten, Fußball, Korbball
und Lawn Tennis den reichsten Beifall gefunden hätten, und führt
schließlich folgende Worte des Leiters einer Kadettenanstalt an, die
allgemeine Beachtung verdienen:
„Sehr dankenswert erwies sich die Ausgabe von Regeln für das
Fußballspiel (durch den Zentral-Auschuß); ihnen wird es zu danken
sein, daß dieses öfter als gefährlich oder gar als roh bezeichnete
Spiel im Kadettencorps fortdauernd ohne nennenswerte Verletzungen
und mit Aufrechterhaltung guter Sitten betrieben wird.“