Allgemeine
Vor-Anmerkungen.
Eine der wichtigsten, aber auch delikatesten
Fragen in der Dienst-Statistik, ist die von dem
Gehorsam, dessen wahren Bestimmung, Graden
und Gränzen; den Gränzen und Graden von Wi-
derspruch und Widerstand, und welche Folgen
von Wohl und Weh der dabey interessirten
Theile aus denselben fliessen.
Das Thema verbreitet sich in und über alles
das, was von Menschen-Rechten und Freiheiten
gedacht und gesagt werden kann.
Zwo Hauptsätze stehen in allgemein aner-
kannter Richtigkeit fest: Unterthanen, Diener,
Untergebene, sind ihrem Beherrscher, ihrem
Herrn und Gebieter, ihrer Obrigkeit und Vor-
gesezten Gehorsam schuldig; und ohne diese
Kette der Ordnung und Unterordnung würde
keine bürgerliche und häusliche Verfassung,
noch weniger die gröſsere allgemeine Staats-
haushaltung bestehen.
Vor eben so wahr und richtig wird aber auch
allgemein anerkannt, daſs Regenten und Obrig-
keiten, und wer stufenweis weiter zu befehlen
hat, böses wünschen, thun und befehlen; daſs
sie irren und fehlen; daſs sie sich erzürnen und
übereilen können, und also die Befolgung und
der unbeschränkte Gehorsam gegen ihre
Wünsche und Befehle, die gleich heilige Pflich-
ten gegen Gott, das Gewissen, sich selbst und
andere Menschen verlezen, und in vielen Fällen
selbst dem, welchem man blindlings gehorchet,
am ersten und meisten schaden könne.
Auf diesem Glauben und Erfahrung gründet
sich die Ueberzeugung: Daſs es Fälle geben
könne, worinnen es Recht, Pflicht und Wohl-
that sey, nicht zu gehorchen; zu sagen, daſs
und warum man nicht gehorchen könne, wolle
und werde? Und es in dem über diſs Wollen
und Nichtwollen entstehenden Kampf drauf wa-
ge: Ob der befehlende oder nicht gehorchende
Theil siege oder unterliege?
Um den Gefahren eines solchen allzuoft mög-
lichen Streits vorzubeugen, ist im Groſsen und
Ganzen der Menschen- Völker- und Länderbe-
herrschung in allen christlichen Staaten durch
diejenigen Barrieres gesorgt, welche wir im
weitesten Umfang Gesetze nennen, welche
dem befehlenden und gehorchenden Theil durch
alle Classen vorschreiben, wie er wollen solle
und dürfe?
Nach Verschiedenheit der Reiche und Länder
heiſst diese Willens-Regel Lex Regia, Wahl-
Capitulation, Erb-Vertrag u. s. w.
Weil aber aller Buchstabe tödtet und nur der
Geist lebendig macht, so ist zu Bewahr- und Be-
lebung dieses Geists der Gesetze, nach den
verschiedenen Verfassungen der Staaten, unter
dem Namen von Reichs- und Land-Ständen,
Parlamente, Etats, u. dgl. ein Ausschuſs des un-
terthänigen und gehorchenden Theils bestellt,
der bey dem Willen des Regenten dasjenige lei-
sten und erfüllen soll, was der Verstand bey
dem Willen eines jeden einzelnen guten und
vernünftigen Menschen zu verrichten hat.
Dieses alles ist dann in der Einrichtung selbst
vors Groſse und Ganze gut und vortreflich,
lieblich anzuhören und anzuschauen, und vieler
Ehren und Danks werth, wo es anzutreffen
ist; vor Menschen-Wohl und Glück immer un-
endlich besser und vorzüglicher, als wo Wille
und Verstand Aller dem bloſsen Willen von
Einem Preis gegeben ist.
Alle diese Hüter und Priester der Gesetze
sind aber keine Engel; eben wohl Menschen,
schwach, oft am schwächsten, wann und wo
sie am ersten Stärke beweisen sollten. Und wie
beym einzelnen Menschen zuweilen der Wille
mit dem Verstand davon läuft, von ihm ver-
führt und bethöret wird; wie der Vormünder
zuweilen zu gutherzig, zu nachgebend, und
sein Pupill desto frecher, kühner, schlauer und
zudringlicher ist, so auch hier. Doch auch so,
wie es ist, bey allen Mängeln, Unvollkommen-
heiten, ist’s noch immer besser, als wenns gar
nicht wäre.
Alle diese Erörterungen, wo der Monarch,
Fürst, Herr auf der einen, und sein Reich,
Volk, Land auf der andern Seite steht, gehören
vor die Hobbes, Miltons, Sacheverels,
Linguets, und die Sprecher der Wighs und
Torys der Menschheit.
Sie werden unter sich zanken, und keins kann
entscheiden; das Volk wird seufzen, murren
und gehorchen; wer die Hand auf dem Beutel
hat, hat auch den richtigsten Verstand, und
wer die meisten Soldaten halten kann, darf
wollen, was er will. Bald ist’s das Volk, bald
der Herr, so das eine, aber nicht das andere,
kann: Je länger je mehr hat und kann der Herr
beydes; und zur Entschädigung erhält dagegen
das Volk Preſs- und Freſsfreiheit, das dann
beydes vor das Menschengeschlecht, wie sichs
allmälig artet, immer noch Surrogat vor den
verrauchten Geist der Gesetze ist.
Montesquieu sagt: Die Menschen sind, wie
ihr Clima; man müſste solchemnach sagen: Die
Regenten sind, wie die Verfassungen, in denen
sie gebohren und erzogen werden; daraus wür-
de folgen, daſs alle orientalische Kayser Tyran-
nen und alle Könige in Engelland Heilige wä-
ren; daſs in der Christenheit, deren erster Re-
ligionsgrundsatz Liebe und Verträglichkeit ist,
eitel Friede herrsche, und dagegen die Yncas
und Otaheiter in ewiger Fehde leben müſsten.
Die Geschichte aller Zeiten und Völker, aller
Religions- und Regierungsverfassungen, bewährt
aber, daſs, dieses mannigfaltigen Unterschieds
ohngeachtet, in einem und eben demselben
Reich gute und böse Regenten gewesen. Das
nemliche Jahrhundert, das Neronen, Caligula’s
und Domitiane hatte, brachte auch einen Ti-
tus, Vespasian und Marc Aurel hervor; und,
seines catholischen Prädicats ohngeachtet,
würden wir einen christlichen Tyrannen, wie
Philipp II. nicht mit einem Montezuma ver-
tauschen wollen.
Zum ganzen Ton der Befehle und deren be-
schränkten oder gränzenlosen Umfang, zum Ge-
horchen vom Besinnen an: Ob mans thun wol-
le? bis zum augenblicklichen Verstummen und
Unterwerfung, trägt freilich die Verschiedenheit
der Regierungsformen und besondern Landes-
verfassung vieles, wiewohl nicht alles, bey.
Zu den Zeiten der ersten Cäsars ward den
vornehmsten Römern ein Centurio ins Haus ge-
schickt, mit dem Befehl, zu sterben. Zur Di-
stinction ward manchmal die Wahl zwischen
Gift, Dolch oder Oefnung der Adern gelassen.
Der Befehligte stand von Tisch oder Bett auf,
machte eilends, wann er durfte, sein Testament,
nahm Abschied von seiner Familie, und der
kaiserliche Commissarius wartete so lang, biſs
die geschwinde Operation vorüber war. So
floſs das edelste Blut auf den bloſsen Wink ei-
nes Tyrannen; hingegen starb von Zwölfen
nicht Einer des natürlichen Todes.
Man denkt und spricht mit Schaudern an die
seidenen Stricke das Orients; der Bassa em-
pfängt und küſst ihn, und die Stumme schnüren
zu. Die Beyspiele sind aber auch nicht selten,
daſs der, so der Strangulirte seyn sollte, dem
Ueberbringer aufpassen, den Kopf abhauen und
statt des Recepisse zurückschicken lassen; und
wie viele Sultans sind von ihren eigenen Janit-
scharen abgesetzt, eingesperrt und erwürget
worden?
In Engelland hörten die Scheiterhaufen unter
Heinrich VIII. und Maria nicht auf zu brennen;
die Schafots wurden mit dem Blut der Königin-
nen und der würdigsten Männer der Nation ge-
färbt; das Volk sah’s und schwieg; und Carl I.
ward auf Verdacht und Beschuldigung, noch
mehr als über Thatsachen, entthront und ent-
hauptet.
Carl IX. in Frankreich lieſs tausende seiner
Unterthanen in der einen Bartholomäusnacht er-
morden, und starb auf seinem Bett; der Freund
seines Volks, der, seiner und seines Reichs
Ruhe zu lieb, zum Glauben seines Volks sich
bekannt hatte, der noch spät dessen Liebe und
Bewunderung war, Heinrich IV. ward ermordet.
Peter der Groſse in Ruſsland hat mit eigener
hoher Hand seine Kneesen und Bojaren zusam-
mengeprügelt und den Executionen selbst bey-
gewohnt; und Ludwig XIV. den einst Louvois
durch trotzigen Widerspruch heftig erzürnte,
warf seinen in der Hand habenden Stock zum
Fenster hinaus, um sich nicht vom Zorn über-
wältigen zu lassen und den Vorwurf machen
zu müssen: Daſs er einen Edelmann geschlagen
habe. Und beyde waren doch Monarchen.
Gegenwärtige Betrachtungen beschäftigen sich
eigentlich nur mit der Persönlichkeit des Re-
genten, er mag als der erste Mensch an seinem
Hof, Haus und Land, oder als Herr und Haupt
unter den verschiedenen Classen seiner Räthe
und Diener erscheinen.
Unzertrennlich hangen an ihm und unmittel-
bar folgen auf ihn seine handelnde Organen,
seine Räthe, oder, nach dem höhern und feiner
gestimmten Ton unserer Zeiten, seine Mini-
sters; und nach ihnen, das, was in einem Haus
das Gesinde heiſst, die Subalternen in ihren
zahllosen Gattungen und Nahmen.
Wir sind zum Befehlen gebohren und an-
dere zum Gehorchen. Diesen Glauben brin-
gen sie mit auf die Welt; er wird von der Wie-
ge an in ihnen genährt, von den Knabenjahren
an in ihnen gestärkt, mit zunehmenden Jahren
von ihnen selbst innigst empfunden; durch al-
les, was um sie ist, in Wort und That bewährt.
Sie selbst handeln und wandeln in diesem Ge-
fühl ihrer Geburt, und überliefern ihn am Ende
ihres Laufs, als das kostbarste Vermächtniſs
ihren Nachfolgern.
So weit gut, wahr und unverwerflich. Der
Gebieter ist aber nicht vom Himmel gekom-
men; ist, wie wir alle, vom Weibe gebohren;
ist unser Bruder, unser Mitmensch. Der Mensch
steckt nicht im König, der König steckt im
Menschen; und wie der Mensch ist, so ist der
König und Fürst. Ist der Kern nichts nutz, so
wird die Frucht es noch weniger seyn; ist der
Mensch gut, so wirds auch der Fürst und Kö-
nig seyn.
Wir müssen also beym Menschen anfangen
und beym Fürsten aufhören; jenen in seinen
Grundlagen, Neigungen, Erziehung, Gesell-
schaft, der Denkungs-Art seiner Zeit und übri-
gen menschlichen Verhältnissen vorher beleuch-
ten, um diesem Gerechtigkeit wiederfahren zu
lassen; um weder aus Fehlern Tugenden zu
machen, noch als Fehler anzudichten, die es
nur nach unsern Begriffen und Vorurtheilen, in
der That selbst aber und nach den wahren Ver-
hältnissen der Dinge nicht sind.
Es gibt gebohrne Regenten, sie mögen her-
nach, nach dem Zufall ihrer Geburt, einem Kö-
nigreich, einem Mönchs-Kloster, einem Kriegs-
heer, ihrem Jahrhundert zu befehlen haben, oder
selbst erst bey der Nachwelt triumphiren. Ein
Sixtus V. ein Alberoni, ein Luther, ein Lau-
don, ein Heinsius, würden in jedem Welttheil
und in jedem Zeitpunkt sich durchgeschwun-
gen, geherrscht, befohlen, sich über ihre Ge-
burt erhoben haben.
Unter den gebohrnen Königen und Fürsten
sind Nahmen die jeder Zeiten Ruhm, jeder Kro-
nen Zierde, jeder Völker würdige Beherrscher
gewesen seyn würden. Bey all’ diesen war
der Mensch, die Seele stark, und groſs ge-
bohren.
So gibt es dann auch hinwieder unter denen,
welche ihrer Geburt nach zum Herrschen und
Befehlen bestimmt zu seyn scheinen, denen
mans von der Stirne herunterliest und ihr gan-
zes Leben und Thaten bekräftigt, daſs sie ge-
bohrne Knechte seyen, deren Seelenkräfte in
ihren
ihren ersten Bestandtheilen so schwach sind,
daſs sie sich nie über ihre Niedrigkeit oder Mit-
telmäſsigkeit erheben, nie zu wahrer Geistes-
gröſse emporstreben können; staudenähnliche
Menschen, über die nicht nur der Starke, son-
dern jeder noch schwächere Herr werden kann,
die von andern geleitet, geführt und belebt wer-
den müssen.
Jeder Mensch darf heurathen, und bey der
Trauung in christlichen Ländern wird der Frau
verkündigt: Er soll dein Herr seyn; das heiſst:
Wann er kann und wann er mag.
Jeder König und Fürst soll regieren, wann
er kann, oder wann er nicht zu untüchtig oder
zu faul dazu ist, um es lieber durch andere
thun zu lassen. Die Ursache liegt ganz nahe:
Thron und Krone, Reich und Lande kann man
erblich machen, aber nicht die Seele. Auf einen
Heinrich IV. folgt ein Ludwig XIII., auf eine
Elisabeth ein Professor Jacob; diſs ist dann
der fortdauernde Fall, über den schon König
Salomo Predig. II, 17. &c. gejammert hat: „Wer weiſs, was
der für ein Mensch werden wird, nach dem
C
König, den sie schon bereit gemacht haben?
— Darum verdroſs mich alle meine Arbeit, die
ich unter der Sonnen hatte, daſs ich dieselbe
einem Menschen lassen müſste, der nach mir
seyn sollte; denn wer weifs, ob er weise oder
toll seyn wird? Und soll doch herrschen in al-
ler meiner Arbeit, die ich weislich gethan habe
unter der Sonnen„; und endlich gar ausruft:
„Wehe dir Land, dessen König ein Kind, oder
nach unserer Sprache ein Kindskopf, ist„.
Der Unterschied zwischen beyden ist: Jene
bezahlen mit ihrer Person, diese nur mit ih-
rem Namen; jene regieren, diese unter-
schreiben.
So von Seiten des Verstandes und Geistes.
Herz und Wille machen aber noch eine ganz
andere und vor das Glück der Völker weit we-
sentlichere Bestimmung. Ein Herr kann star-
ken Geistes und bösen Herzens seyn, ein ande-
rer dagegen schwach, aber gut.
Ein hoher Geist und gutes Herz macht den
Ruhm und Glück einer Regierung; wo aber
ein schwacher Kopf und böses Herz bey einem
Regenten zusammentreffen, dann sey Gott all’
denen gnädig, welchen er zu befehlen hat.
Diese psychologisch-genealogische Bemer-
kungen haben vorangeschickt werden müssen,
weil daraus vor alles, was über Befehlen und
Gehorchen gesagt werden kann, sehr unter-
schiedene Resultate folgen.
Dann, schwach oder stark, gut oder schlimm,
er befiehlt, so bald er zum Regenten geboh-
ren ist, und einem wie dem andern muſs man
gehorchen.
Der eine befiehlt aber mit Vernunft, Weis-
heit, Ordnung, Mäſsigung, er weiſs: Was?
Und warum er befiehlt; der andere befiehlt nur,
um zu befehlen, mit Macht, Trotz, Selbstdün-
kel und nach Dünkel seiner Herrn und Führer.
Dem einen gehorcht man gern, mit Lust und
Ueberzeugung, dem andern aus Zwang, mit
Widerwillen und Furcht.
Der eine erfordert Rath von andern, hört
die Stimme seines Volks und horcht auf die
Worte der Weisen; der andere ist sich stets
selbst klug genug, will nie gewarnt noch be-
rathen, nur blindlings gehorsamt seyn.
Erstes Capitel.
Von dem Gehorsam überhaupt.
Gehorsam ist, wenn ich meinen Verstand und
Willen dem Verstand und Willen eines andern
unterwerfe.
Wer also wenig oder keinen Verstand hat,
ist des andern Knecht, und der den meisten
Verstand hat, ist, wenn er will und kann,
Herr des andern.
Es gibt einen Conflict und Kampf des Ver-
stands mit Verstand; da entscheidet der Wille
des einen oder des andern, dessen, der Raison
annimmt oder verweigert.
Es gibt einen Conflict des Verstands mit Un-
verstand; da entscheidet entweder der Wider-
stand oder der Gehorsam dessen, der sich zum
Dienst des Wollens oder der Leidenschaften des
andern hergiebt.
Welche Hoheit und zugleich Tiefe, daſs ein
Mensch den andern als Herrn über sich erkennt,
daſs er ihn freywillig wählt, ihm nicht nur mit
allen Kräften und Fähigkeiten bis zur Erniedri-
gung unterthänig ist, sondern ihm auch seine
Neigungen, Einsichten und Ueberzeugungen
unterwirft, und die Neigungen, Wollen und
Einsichten seines Herrn als seine eigene an-
nimmt, glaubt und gegen andere behauptet und
vertheidiget.
Wie klein, wie tief gesunken erscheint aber
auch der Mensch, der die schändlichste, unge-
rechteste Aufträge, die ihn selbst aneckeln und
anschaudern, ohne Bedenken und Widerspruch,
ohne Barmherzigkeit und Mitleiden, vollzieht;
nicht nur aus Noth, aus Zwang oder aus blos-
sem Gehorsam, sondern weil er sichs zur Ehre
und als ein Zeichen vorzüglichen Vertrauens
schäzt, das auserwählte Werkzeug des Wil-
lens seines Gebieters zu seyn. Fier de son esclavage, il parle avec dédain de ceux
qui n’ont pas l’honneur de le partager.
Rousseau.
Sie sind wie die Meisterknechte, so über die
Negers gesezt sind, selbst Knechte, aber stolz
darauf, die erste in ihrer Classe zu seyn und
Sclaven unter sich zu haben, die sie quälen
und mifshandeln können. Manchem Günstling
fehlte bey seinem treugemahlten Portrait, so
wie dem Meisterknecht die Peitsche, nichts
als die Serviette unter dem Arm, um ihn an-
statt eines Cabinetministers, vielmehr vor den
Haushofmeister seines Fürsten zu halten.
Ein eben so sonderbarer Contrast ist, daſs
der Schwächere Herr des Stärkern, daſs der
Diener Herr seines Herrn ist, und ihn mit un-
sichtbaren Banden eines künstlichen Despotismus
bezähmt, bändiget, leitet und sich unterwirft.
Die Stuffenleiter der Schöpfung ist Veredlung.
Wenn man also eine Seelenwanderung glauben
könnte, so müfste sie nicht von Menschen in
Thiere, sondern von Thieren in Menschen an-
genommen werden, um sich die Löwen-Esel-
Wolfs Lamms-Hunds-Art u. dgl., die man so sicht-
bar unter Menschen findet, erklären zu können.
Es giebt unter Menschen und Thieren, die
bloſs zum Tragen, Ziehen und Gehorchen er-
schaffen zu seyn scheinen; gebohrne Last-Thie-
re, gebohrne Ochsen und Esel.
Gebohrne — Affen unter den Thieren und ge-
bohrne Hanswurste und Bonjourmacher unter
den Menschen.
Gebohrne — Budels unter den Hunden und
Menschen; man trift sogar unter der Diener-
schaft der Höfe auf ganze Budels-Familien,
die sich, ohne alles persönliche Verdienst und
Würdigkeit, von Urvater, Groſs-Vater, Vater
und Sohn bis auf die Kinder und Enkel hinaus,
durch bloſses Kriechen, Aufwarten, Pfote ge-
ben, Laternen tragen, Ja sagen, sich zu allem
gebrauchen lassen, angebauet, erhalten, ge-
wurzelt und vermehret haben. Da diese Art
von Dienst an kleinen Höfen die gewöhnlich-
ste, angenehmste und unentbehrlichste ist, so
trift man auch an denselben diese menschliche
Budels am häufigsten an, und wer mitessen,
wer unter ihnen gedeihen will, muſs entweder
selbst von Budel-Art seyn oder in eine Budel-
Familie heurathen.
Es giebt Haus-Thiere, die sich zähmen, ab-
richten, unterrichten lassen, die in eine Art
von vertraulicher Gesellschaft mit ihrem Füh-
rer, Pfleger und Wohlthäter treten, seine Lau-
nen, Härte, sogar Miſshandlungen erdulden,
so wie sie empfindlich und erkenntlich gegen
seine Sorgfalt, Freundlichkeit und Schmeiche-
leyen sind, so der Elephant, das Cameel, die
Philosophen unter den Thieren, ein edles Roſs,
ein treuer Hund u. s. w.
Andere Thiere, obgleich auch Haus-Thiere,
lassen sich nie so ganz zähmen und ziehen,
um nicht immer noch von der ursprünglichen
und eigenthümlichen Art ihres Geschlechts was
an sich zu behalten, und solches aus Schuld
ihrer Herrn, der Menschen, oder aus eigenem
Instinct und Laune, zu äussern.
Bey manchen Thieren thut die Kunst, das ist
der Zwang, nur wenig, bey manchen andern
muſs er vieles, ja alles thun.
Das Indocilis pati liegt so tief und unbe-
zwingharzwingbar in der Natur mancher Geschöpfe, daſs
man zwar Beyspiele genug von zahm gemach-
ten Löwen, Bären, Hirschen, Schlangen, Wöl-
fen und Füchsen hat; aber eben so viele und
fürchterliche von der Lebens-Gefahr, womit sich
die Uebertreibung dieses künstlichen Zwangs
geendiget hat.
Eben so giebt es im Menschen-Geschlecht,
im Geister-Reich, Classificationen, wie im Thier-
Reich, unabhängige, unbezähmbare, nicht den
mindesten Zwang erduldende Seelen.
Von dieser Art unzubändigende Menschen ha-
ben sich in neuern Zeiten Rousseau, und der
Graf von Bar selbt bekannt gemacht.
Rousseaus eigenes Bekenntniſs von sich in
dem Schreiben an den Präsident von Lamoignon
von 1763. lautet so: „Ein gewisser Stolz, der
mich immer trieb, den Menschen in dem Men-
schen aufzusuchen, machte, daſs ich es nie ler-
nen konnte, den Gedanken der Abhängigkeit
zu ertragen. Der Herzog von Luxemburg und
seine Gemahlin haben mich mit Freundschaft
überhäuft; aber ich muſste mich zwingen, ih-
ren Rang zu vergessen, sie nur als gute Men-
schen anzusehen; und endlich war es doch ihr
Stand, der mich bewog, eine Wohnung in ih-
rem Hause auszuschlagen; denn ich merkte,
daſs mir jede Kette, auch die des Wohlstands
und der Sitten, im Umgang mit Höhern uner-
träglich war. Ich habe darum den Genuſs der
Freyheit allem vorgezogen und ich habe dieses
Glück geschmeckt, denn ich riſs mich von al-
len Verbindungen, von allen Fesseln der Ge-
sellschaft los, und glücklicher war kein Sterb-
licher, als ich in Montmorency, wenn ich nach
einem in Gefühl der Unschuld verflossenen Tag
und einig mit der ganzen Schöpfung des Abends
mit meiner Haushälterin, meinem Hund und
meiner Katze speiste.„ Epitres diverses.
Graf Bar aber singt mit wahrer Dichter-Glut:
A l’horreur d’obéir aux caprices d’un Grand,
Je préfere l’honneur de vivre indépendant;
Au seul mot de servir, mon esprit indocile
N’attache qu’une idée absolument servile.
Und der Ausruf jenes ältern Dichters:
Serviat æternum, qui non vult esse liber!
Ingleichem:
Vive tibi et longe nomina magna fuge!
War gewiſs nicht nur Dichtung eines Poeten,
sondern Drang, eigener, vielleicht schmerzli-
cher Erfahrung.
Man findet oft in Einer Classe Menschen ne-
ben einander stehen, deren einer den gefälligen
Jaherrn schon auf seiner Stirne und auf dem
des Beugens und Krümmens gewohnten Rücken
trägt; der andere mit seinem ernsten negativen
Gesicht, wie eine unbeugsame Eiche neben ei-
ner sich nach jedem Wind drehenden Pappel,
ihm zur Seite steht. Wer Josephs Liebling
Lascy neben dem Held Laudon beysammen
gesehen hat, der brauchte nicht erst zu fragen:
Welches die Pappel und wer die Eiche sey?
Jeder freygebohrner denkender Mensch
hat überhaupt lange mit sich selbst zu arbeiten,
biſs er sich an das Joch des Gehorsams gewöhnt,
das er sich freywilig oder aus Noth auflegen
lassen.
Ein gebohrner Knecht hingegen weiſst sei-
ne Freyheit weder zu schätzen noch zu benu-
zen; er seufzet wieder nach einem Herrn,
wie ein verlohrener Hund, unum hinter ihm her-
gehen zu dürfen.
Meiners, im göttingischen historischen Ma-
gazin, hat in einer Abhandlung anschaulich
und wahrscheinlich zu machen gesucht, daſs
die africanische Negern auf der untersten Stufe
der Menschheit stehen, ein ausgezeichnetes,
verworfenes, abgestumpftes Volk, gebohrne
Sclaven seyen. Solche Negers findet man aber
auch in allen andern Welttheilen von allen Far-
ben und Sprachen, selbst unter denen auf einer
Höhe von Cultur stehenden Völkern.
Mit einer traurigen aber wahren Erfahrung
schrieb daher der vortrefliche Vice-König in Si-
cilien, Graf von Carracioli, an seinen Freund
d’Alembert: „Ich beschäftigte mich mit allem
möglichen Eifer und aus allen meinen Kräften,
diesem Lande, welches man mir anvertraut hat,
wohl zu thun. Unglücklicher Weise treffe ich
in den Gegenständen selbst allerhand Hinder-
nisse an. Allein die stärksten kommen mir von
Menschen, und sogar von solchen, die man
gerne von ihren Ketten befreyen möchte. So
wahr ist es, mein lieber Freund, daſs die
lange Gewohnheit, Sclave zu seyn, die
Seele bis zu dem Punkte erniedrigt, wo
er die Sclaverey lieb gewinnt,„
Diese Subordination des Verstandes und
Willens ruht und liegt in der ganzen ursprüng-
lichen Oeconomie der Schöpfung des Menschen;
man könnte das menschliche Geschlecht in die
denkende und gehorchende Classe abtheilen.
Wenn es eine durch tausendfache Erfahrungen
bewährte Wahrheit ist, daſs es Millionen von
Menschen leichter ist, zu gehorchen, als selbst
zu denken; so ist eben so wahr, daſs es im
Ganzen eine der gröſsten Wohlthaten vor die
Menschen ist, in Einfalt und Vertrauen nur
gehorchen zu dürfen, als selbst denken
und befehlen, oder selbst wollen und wäh-
len zu müssen; es ist Bedürfniſs vor den gros-
sen Haufen, daſs ein Ausschuſs Menschen von
höhern Kräften existirt, der vor andere denkt
und will; gleich viel, ob es zum Guten oder
Bösen geschehe. Das Gute kommt durch Ver-
kettung und Folgen eben so oft und gewiſs aus
dem, was wir böse zu nennen gewohutgewohnt sind,
als die Gröſsen aus der Menge von Einheiten
bestehen.
Welch unübersehliches Unheil, Verwirrung,
Unsinn und Widersinn würde vor das ganze
menschliche Geschlecht, noch mehr für jede
geschlossene Gesellschaft daraus entstehen,
wenn der in seinen Resultaten so verschiedene
Verstand und Wille eines jeden Einzelen von
gleicher Kraft, Wirkung und Gültigkeit seyn
sollte? Wie würde man in allen Künsten, Wis-
senschaften und Handwerken, in der ganzen
häuslichen Verfassung zurecht kommen, wenn
einem jeden, ehe er gehorchte, alles vorerst
(a priori) erwiesen und begreiflich gemacht
werden sollte.
Vertrauen in die Geistes-Superiori-
tät; Einsicht und Erfahrung in den guten
Willen eines andern ist also der Grund des an-
fänglichen blinden Gehorsams, den der Vater
vom Kind, der Meister von seinem Lehrling,
der Lehrer vom Schüler, der Arzt vom Patien-
ten verlangen kann, und den ihm diese, wenn
sie erzogen, belehrt, unterrichtet, geheilet,
vervollkommnet werden wollen, auch wirklich
auf Treu und Glauben so lange leisten müssen,
bis sie im Stand sind, selbst zu prüfen und zu
entscheiden: Ob sie rlchtigrichtig gelehrt und geführt,
oder betrogen und vernachläſsigt worden?
Dahin zielet das groſse Wort (Joh. VI, v. 17.),
womit Jesus Christus seine göttliche Sendung
behauptete, da er sagt: „Meine Lehre ist nicht
mein, sondern deſs, der mich gesandt hat;
so jemand will deſs Willen thun, der
wird innen werden, ob diese Lehre von Gott
sey.„ Dieses ist, was Paulus und andere Apo-
stel mit dem Wort: Gehorsam des Glaubens
bezeichnet haben.
Dieses Vertrauen ist ursprünglich das groſse
Band, das jede menschliche Gesellschaft
zusammenhält. Selbst bey den Völkern, die
wir Wilde nennen, so bald sie ein Oberhaupt
haben, ist der Gehorsam gegen dessen Anord-
nungen und Befehle nur noch um so unum-
schränkter, freywilliger und anhänglicher. Unter den vielen Beschreibungen der neuern See-Reisen in
den nun mit Recht so benannten fünften Welt-Theil und
dessen zum Theil stark bevölkerten Inseln und Halb-In-
seln zeichnen sich, znmzum Beweis des gesagten, vorzüglich
die Nachrichten von der Regierung der Königin Oberea
auf der Insel Otaheiti aus; (in Hawkeswort Ge-
schichte der See-Reisen und Entdeckungen im Südmeer,
I. B. S. 237. u. s. w.) und die rührende Schilderung
von der Regierung des KönigeKönigs Abba-Thutte in Wil-
sons Nachrichten von den Pelew-Inseln in der West-
Gegend des stillen Oceans; in der neuern Geschichte der
See-Reisen. Hamburg 1789. I. Band. S. 380. u. f.
Biſs hieher gehts als noch gebahnten ebenen
Weg; der aus Vertrauen, Hochachtung, Liebe
und Dankbarkeit entspringende Gehorsam ein-
zelner Menschen, Familien und Gesellschaften
gegen einen mit vorzüglichen Körperlichen oder
Geistes-Kräften ausgerüsteten Mann läſst sich
gedenken und begreifen; nun kommen wir aber
an den Scheideweg, wo menschliche Meinun-
gen ewig unvereinbarlich getrennt bleiben wer-
den, auf den Punct von der Erblichkeit der
obrigkeitlichen und landesherrlichen Gewalt und
aller daraus fliessenden, wahren oder angemaſs-
ten und immer mehr ausgedehnten Rechte und
Besitzungen, von dem Ursprung und Wechsel
der verschiedenen politischen Verfassungen,
und wie solche allmählig zu der jetzigen Form
und aus diesen Methoden der Glaube erwach-
sen, an welchen die Menschen sich gewöhnen
lassen, in demselbigen erzogen und durch den-
selben geführt und regiert zu werden.
Hier sind wir auf einem Ocean, wo sich die
Ufer des festen Landes auf allen Seiten verlie-
ren, wo selbst oft der Compaſs ermangelt und
nur ein glückliches Errathen übrig bleibt. Ich
übergehe, als zu meinenmeinem Zweck nicht gehörig
und zu weit davon abführend, den Meinungs-
Kram älterer politischer Schriftsteller, und be-
rühre nur, was wir seit unsern lezten Tagen
davon aufzuweisen haben.
Unter unsern noch lebenden Schriftstellern
hat sich nemlich Wieland durch eine kleine
von Dohm hingeworfene Note Im deutschen Merkur 1777. Nov. S. 119. bewogen ge-
sehen, eine in seiner Manier gedachte Abhand-
lung: „Ueber das göttliche Recht der Obrigkeit,
oder: Ueber den Lehrsatz: Daſs die höchste
Gewalt in einem Staat durch das Volk geschaf-
fen
fen seye„, bekannt zu machen. Die zwo Grund-
sätze, woraus er alles herleitet und dahin wie-
der zurückführt, sind: Daſs die Menschen im
Ganzen genommen Kinder seyen, welche
eine beständige Aufsicht, Führ- und Leitung
bedürften; so dann, daſs in der menschlichen
Natur ein angebohrner Instinct liege, denjeni-
gen für unsern natürlichen Obern, Führer
und Regenten zu erkennen, und uns willig
von ihm leiten und meistern zu lassen, des-
sen Obermacht wir fühlen. Darauf wird
dann der Schluſssatz von dem Recht der Stär-
kern, als der Quelle und Adern der obrigkeit-
lichen Gewalt unter den Menschen festgebun-
den und aus der Analogie der ganzen Natur
dessen göttlicher Ursprung behauptet.
Lange ward zu dieser Schrift geschwiegen
und diſs Schweigen war so ziemlich natürlich;
die Kraft und Muth haben, einen solchen Gor-
dischen Knoten zu lösen oder zu durchhauen,
sind just die, so sich mit Lesung eines Mer-
kurs und ähnlicher Schriften abzugeben am we-
nigsten Zeit und Lust haben; und die sich mit
solchen Lectüren beschäftigen, haben nicht al-
lemal die zur Prüfung dergleichen miſslichen
D
Sätze erforderliche Einsicht. Endlich erschien
vier Jahre hernach ein Ritter auf diesem Kampf-
platz In dem Schreiben über das Recht des Stärkern, im deut-
schen Museum 1781. I. B. S. 10 u. f., der zwar Wielanden ziemlich cava-
lierement behandelte und ihn zu guter lezt mit
etlichen Kreuzhieben zeichnete, am Ende aber
doch aus tief gefühlten, mehr gedachten, als
ausgesprochenen Gründen, aus Gründen, die
den Fürsten nichts weniger als schmeichelhaft
sind, sich sichtbar mehr auf die Seite der Hir-
ten-Hunde als der Schafe, just weil die Schafe
Schafe sind, auf die Seite der Fürsten mehr,
dann des Volks neigt.
Die Schmeicheley des einen und das Achsel-
tragen des andern erweckte einen dritten, mit
beyden eine Lanze zu brechen. Der tiefsinnige
Jacobi lieſs in das deutsche Museum 1781. ein
Gutachten oder vielmehr einen mit Zweifels-
und Entscheidungs-Gründen wohl stafirten Ur-
theilsspruch unter der Aufschrift einrücken:
Ueber Recht und Gewalt, oder philosophische
Erwägung eines Aufsatzes von dem Hrn. Hof-
rath Wieland über das göttliche Recht der
Obrigkeit.
„Im Grunde„ (hatte Wieland In dem göttlichen Recht der Obrigkeit, im deutschen
Merkur 1777. Nov. S. 134. gesagt)
„ist’s für ihn (den Unterthanen) einerley, ob
der Oberherr, der ihm gegeben wird, dazu
gebohren oder erwählt seye. So bald er nur
einen Reuter auf seinem Rücken fühlt, der sei-
ner mächtig ist, so giebt er sich zufrieden,
folgt dem Zügel und duldet den Sporn. — Wohl
dem gemeinen Manne, dem kein Stephanus
Junius Brutus, kein Milton, kein Alger-
non Sidney, keine Cato’s Briefe diſs treu-
herzige Gefühl wegphilosophirt haben! Er nimmt
seine Regenten, gut oder schlimm, als ihm von
Gott gegeben an, und ein böser Herr müſste
beynahe der Dedgial (Teufel) selbst seyn, bis
dem Volk einfiele, die Frage aufzuwerfen: Ob
es auehauch wohl schuldig sey, alles von ihm zu
leiden? — So fern ihm nur erlaubt ist, über
die eine und andere dieser regierenden Mächte
zu murren, wenn sie’s ihm nicht nach seinem
Sinn und Bedürfniſs machen; so fällt ihm nicht
ein, sich gegen sie aufzulehnen, und ein ei-
niger Sonnenblick ist wieder hinreichend ihn
zufrieden und guten Muths zu machen.„
Mit Recht erwiederte aber Jacobi auf obige
Gäuls-Philosophie: „Wie sollten die Pferde
Eins aus ihrer Mitte je zu ihrem Reuter machen
können, der ihnen Zaum und Gebiſs anlegte,
und sie lehrte, den Sporn zu ertragen? Aber
wir sind nicht, wie Thier und Mensch — son-
dern (als Menschen) nur nach Graden von
einander unterschieden.„
Im Jahr 1785. trat ein anderer tiefdenkender
Weiser, Herder, auf, der seinen Unglauben
an das Recht, von Geburts wegen zu herrschen,
laut und freymüthig bekannte Die Natur theilet ihre edelsten Gaben nicht familienwei-
se aus, und das Recht des Blutes, nach welchem ein
Ungebohrner über den andern Ungebohrnen, wenn bey-
de erst gebohren seyn werden, durchs Recht der
Geburt zu herrschen das Recht habe, ist für mich eine
der dunkelsten Formeln der menschlichen Sprache.
Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der
Menschheit. II. B. S. 252.; zugleich aber
der Wielandischen Meinung von dem Recht
des Stärkern auf eine deutlicher bestimmte Weise
sich näherte, da er die Chimäre von dem still-
schweigenden Contract zwischen den Herrschern
und ihrem Volk, in die sich so manche Gelehrte
geträumt und vergafft hatten, in die einfache
und anschauliche Wahrheit auflöste: Daſs der
Stärkere genommen, was er gewollt, und
der Schwächere gegeben nndund gelitten, was
er nicht ändern konnte. „Wer hat Deutschland, wer hat dem cultivirten Eu-
ropa seine Regierungen gegeben? Der Krieg. — Gewalt-
same Eroberungen vertraten also die Stelle des Rechts,
das nachher nur durch Verjährung, oder, wie unsere
Staatslehrer sagen, durch den schweigenden Contract
Recht ward; der schweigende Contract aber ist in die-
sem Fall nichts anders, als daſs der Stärkere
nimmt, was er will, und der Schwäche-
re giebt oder leidet, was er nicht ändern
kann. Und so hängt das Recht der erblichen Regierung,
so wie beynahe jedes andern erblichen Besitzes, an einer
Kette von Tradition, deren erster Gränzpfal das Glück
oder die Macht einschlug, und die sich hie und da mit
Güte und Weisheit, meistens aber wieder nur durch
Glück oder Uebermacht fortzog. Nachfolger und Erben
bekamen, der Stammvater nahm; und daſs dem, der
hatte, auch immer gegeben ward, damit er die Fülle
habe, bedarf keiner weitern Erläuterung; es ist die na-
türliche Folge des genannten ersten Besitzes der Länder
und Menschen„. Ebendaselbst S. 253.
Man mag nun aber vors Ganze über den
ersten Ursprung, Wachsthum und die verschie-
dene Gattungen der höchsten Gewalt in einem
groſsen oder kleinen Staat ein System oder Hy-
pothese annehmen, welche man will, so ist
nur um so gewisser, daſs solches den Indivi-
duen, wo von dem persönlichen Gehorsam
die Frage ist, nichts nutze oder schade; hinge-
gen man als ausgemacht annehmen dürfe: Daſs
Furcht, Liebe und Eigennutz, als die Haupt-
triebfedern eines jeden, so gerechten als unge-
rechten Gehorsams zu achten seyen.
Furcht ist in allen rein-despotischen Ver-
fassungen die alleinige Lehrmeisterin jeder Gat-
tung des Gehorsams vor jede Gattung von
Menschen; die vom Groſs-Weſsier an bis zum
Galeeren-Sclaven sich durch Strick, Knute und
Säbel, Respect und Glauben zu verschaffen weiſs.
Nach dem europäischen Sprachgebrauch ist
zwischen: Diener, Knecht und Sclave ein
wahrer und wesentlicher Unterschied; nach dem
Gebrauch des Hofs zu Constantinopel und aller
andern, die ihm auch hie und da in Europa
gleichen, ist keiner, weil alle Diener und Unter-
thanen des Groſs-Sultans zugleich Sclaven sind,
ein Sclave aber bekanntlich keinen eigenen
Willen haben darf. Montesquieu faſst es noch
kürzer zusammen: Der Mensch, sagt er, unter
einem Despoten ist ein Geschöpf, das einem
Geschöpf gehorchet, welches befiehlt.
In christlichen Despotien, oder höflicher
gesagt Monarchien, ist dieser hänfene Strick
des Gehorsams mit Seide übersponnen, zuwei-
len gar mit Gold und Silber durchwürkt, je
nachdem der Sinn und Geist eines Volks ver-
gröberter oder verfeinerter ist; er schneidet
aber eben so tief ein, schnürt eben so fest zu,
und die berühmte Schluſs-Formeln: Car tel est
notre plaisir! Hiedurch geschieht unser Wille
und Meinung! Diſs meinen wir ernstlich und
bleiben Euch in Gnaden gewogen! und bitten
wir Gott, daſs er Euch in seinen heiligen Schutz
nehme! u. dgl. sind nur die Künste und Zierra-
then, womit der Befehl behängt und dessen
Strenge versteckt wird. Wehe dem, der ihnen
eine andere Deutung beylegen wollte.
Wie sehr eine lange Regierung eines einzel-
nen Fürsten den Charakter seiner Unterthanen
stimmen oder verstimmen kann, davon hat uns
das sogenannte Jahrhundert Ludwigs XIV. in
Frankreich, die Corporals-Regierung Fr. Wilh.
I. in Preussen, die philosophisch-despotische
Friedrichs II. die Beyspiele gegeben.
Nach einem kleinern Maſsstab hätte die bald
funfzig jährige Regierung Herzog Carls zu Wür-
temberg, in ihren mannichfaltigen Schattierun-
gen und Auftritten, das Steigen und Fallen sei-
nes eigenthümlichen Geistes und dessen Ein-
flusses auf sein unterthänigstes Ministerium,
auf den gemeinen Mann seiner übrigen Diener-
schaft, auf seine herzliebe, getreue, gutmüthige
und bey aller ihrer Gedult doch nie unglückli-
che Unterthanen, auf deren Repräsentanten,
die in Worten stets, in Handlungen aber, so
viel als ihr beliebte, treugehorsamste Land-
chaftLand-
ſchaft, auf seinen Hof und den durch sein Bei-
spiel gebildeten und verführten Theil seines
Volks, bezeichnen können; da aber dieser Fürst,
nach so vielen abwechselnden Rollen seines
Lebens, noch kurz vor der vorgehabten pracht-
vollen Jubelfeyer seiner Regierung, vor den
unpartheyischen, gerechten und barmherzigen
Richter seiner Handlungen abgefordert worden,
so ist dadurch mancher gegründeter Tadel ge-
stillt und versöhnt, zugleich aber auch mancher
Posaunen- und Trompeten-Ton übertriebener
Lobpreisungen seiner bebrödeten Panegyristen
erspart und unterdrückt worden.
Von den Wirkungen der Furcht auf persönli-
chen Diener-Gehorsam besagt eine eigene Ab-
handlung dieser Schrift das mehrere.
Der groſse Wunderthäter und Heilige des
Jahrhunderts, der Miles perpetuus, hat frei-
lich auf den ganzen Geist unserer Zeit, auf
Verstand und Willen Deutscher Unterthanen
noch mächtiger gewürkt, als alle philosophische
Systeme, als alle Sammlungen von Reichs-Ge-
setzen und Reichsgerichtlichen Verordnungen Arma tenenti omnia dat, qui jussa negat, sagte schon
Lucanus..
Ihr sollt nicht raisonniren! war das Lieb-
lingswort K. Friedrich Wilhelms I. in Preussen,
des Schöpfers des neuen militarisch-politischen
Glaubens! Ihr dürft raisonnieren, allen-
falls, wenn ihr Drang und Lust dazu
habt, auch klagen, murren und schimpfen,
wenn ihr nur zugleich gehorcht! war das
Symbol Friedrichs II. und seines Bewunderers,
Nachahmers und Rivalens, Josephs II. Diese
Monarchen wurden Stifter des dem blinden
Gehorsam geweihten Tempels; ihre Bewaf-
nete zu Roſs und zu Fuſs dessen Beschützer;
ihre Ministers, Räthe und Diener, Priester und
Leviten dieses politischen Götzendiensts; ihre
bebrödete und besoldete Professoren und Leh-
rer Miſsionarien zur Ausbreitung der neuen
Lehre, Lobpreiser des Tods fürs Vaterland,
Dichter des Patriotismus in einem militarischen
Staat u. s. w. Je zahlreicher die bewafnete
Apostel wurden, je gewisser ward der eingeprü-
gelte Volksglaube allgemein und herrschend;
es entstund bey der heranwachsenden Nach-
kommenschaft ein neuer Nationalgeist,
der eine seltsame Mischung von Stolz und Ar-
muth darstellte. Es entstunden früh genug gros-
se und kleine Proselyten; je häufiger und all-
gemeiner aber die Nachahmung war, je schlech-
ter und fehlerhafter wurden die Copien; je
kleiner und ohnmächtiger die Bekenner dieses
Glaubens waren, je geringer war, so zu sagen,
an Druck und Papier der Nachdruck; die
mehreste dieser kleinen Nachbeter und Nach-
drucker muſsten sich gewöhnlich mit der Tole-
ranz begnügen und sich daher gefallen lassen,
im Fall der Klagen ihrer gedrückten Untertha-
nen, von dem Richter im Reich so, wie die
Wildschützen beym Eingriff in das Jagd-Regal,
behandelt zu werden.
Diese Nachahmung eines groſsen Königs,
dessen Macht und Geist man nicht hat, sondern
nur dessen Selbstgefühl und Stolz; diese ist es,
welche das Unglück so mancher Deutschen
Länder gemacht hat, hoffentlich aber je länger
je weniger machen wird.
Wie sehr wünschte ich, bey dieser lebendi-
gen Ueberzeugung, dem Glauben und Aus-
spruch des scharfsinnigen Meiners In der Abhandlung von den Ursachen des Despotismus,
in dem Götting. histor. Magazin, II. B. S. 228. bey-
pflichten zu können, welcher unsere von der
einen Hälfte der Unterthanen genährte und be-
soldete Kriegsheere mit ganz andern Augen
ansieht, und das gerade Gegentheil von dem
über die Völker dadurch herbeygezogenen Druck
behauptet: „Es ist zwar„ (sagt Er) „eine ge-
meine aber durchaus grundlose Meinung, daſs die
Einführung der stehenden Heere gleichsam der
Zeitpunkt der unumschränkten Macht der Kö-
nige und der sterbenden Freiheit der Europäi-
schen Völker geworden seye. Durch die Ein-
führung der stehenden Heere ist zwar die Macht
der Könige viel gröſser, und die Macht des
Adels und das Ansehen der Stände viel gerin-
ger worden, als vormahls; auch hat man die
Uebermacht der Könige in einigen Reichen nicht
bloſs zur Demüthigung des Adels und zur Ver-
nichtung oder Entkräftung der Stände, son-
dern auch zur Unterdrückung des Volks gemiſs-
braucht; allein, im Ganzen genommen, sind
die Europäischen Nationen durch die wach-
sende Macht der Könige viel freyer geworden,
als sie es unter dem Despotismus des Adels
und der Geistlichkeit des Mittel-Alters waren:
Leben, Ehre und Eigenthum sind in allen oder
den meisten Europäischen Staaten viel siche-
rer, als vor der Einführung der stehenden Hee-
re; und ohngeachtet die Fürsten nachheriger
Zeit unendlich mehr vermögen, als ihre Vor-
fahren, so übten sie doch viel weniger Bedrü-
ckungen und Gewaltthätigkeiten aus, als die
viel eingeschränktern Beherrscher des Mittel-Al-
ters, und als die Fürsten, und deren Günstlin-
ge noch zu unserer Väter Zeiten ausübten.
Selbst in den Reichen, in welchen ehrsüchtige
Könige oder gewaltthätige Ministers von schwa-
chen Königen, mehrere Menschen-Alter durch,
nach unumschränkter Gewalt getrachtet haben;
selbst in diesen fängt man an, gemäſsigtere
Grundsätze anzunehmen, und sich, so viel
man kann, vom Despotismus zu entfernen,
weil man durch die angehäufte Last der Sün-
den und Schulden der Vorfahren von der Falsch-
heit der Jahrhunderte lang geltenden Maxime
überzeugt worden ist: Daſs nämlich die Macht
der Regenten mit einem hohen Wohlstande der
Unterthanen unvereinbar seye, und daſs die er-
stere in eben dem Verhältniſse wachse, in wel-
chem die Rechte der leztern gekränkt und die
Unterthanen willkührlich behandelt würden.„
Aufrichtig zu bekennen, wüſste ich, höch-
stens Engelland ausgenommen, auf der Land-
karte von Europa das Reich nicht zu finden, auf
welches dieser Lobspruch anwendbar wäre; und
die Kluft zwischen den Fehde- und Ritter-Zei-
ten des Mittel-Alters und unsern Tagen möchte
wohl zu groſs seyn, als daſs eine richtige Ver-
gleichung zwischen beyden statt finden könnte;
man müſste dann, auf eine ähnliche Art, die
Frage so stellen wollen: Ob Aberglauben oder
Unglauben dem menschlichen Geschlecht schäd-
licher gewesen sey? Eins wie das andere, wür-
de, nach Wahrheit und Gerechtigkeit, die Ant-
wort ausfallen müssen.
Liebe eines Volks zu seinem Herrn, und Va-
ter-Sinn von diesem und von jeder Obrigkeit ge-
gen ihre Unterthanen und Untergebenen, wäre
freilich das edelste Motif eines frohen und wil-
ligsten Gehorsams, der schönste Kranz um das
Haupt eines guten und weisen Fürsten; geliebt
zu seyn war der Ruhm, auf dessen Erringung
wahrhaft groſse Regenten stolz und auf dessen
Behauptung eifersüchtig waren, deren ehrwür-
dige Nahmen im Heiligthum der Geschichte un-
vergänglich glänzen werden; der Raum dieses
Tempels ist groſs genug, daſs er auch die der
Nachwelt entgegenwachsende von gleichem
Geist belebte annoch fassen wird. Die Wahr-
heit muſs ihnen aber diesen Stempel eingeprägt
haben; nicht die Stimme der Schmeicheley, noch
weniger Eigenlob muſs ihnen diſs Zeugniſs
beygelegt, sie selbst müssen es durch redende
Thaten und den Dank ihres Landes und Zeit-
Genossen mit dem Nachklang thränender Sehn-
sucht versiegelt haben; sonst kommt ein Louis
XV. le Bien-aimé heraus, den sein Volk erst ver-
götterte und im Tod nach S. Denis hinaus ver-
fluchte; sonst wird aus der Prahlerey mit lan-
desväterlicher Liebe eine abgenuzte und sich
selbst verächtlich machende Canzley-Formul,
welche der Unterthan nicht nur nicht glaubt
und nichts dabey empfindet, sondern ihrer noch
als einer muthwilligen Beleidigung der von ihm
beweisenden Gedult spottet. Hundertmal wird
ein solches Land eher die trotzigste Sprache
eines seine Uebermacht fühlenden despotischen
Fürsten ertragen und sich, wenn’s auch mur-
rend oder seufzend wäre, unter diese Gewalt
beugen, als sich durch vorheuchelnde Liebe,
wo Handlungen überall das laute Gegentheil
beweisen, zum Narren halten oder wie ein
Kind behandeln lassen Metus et terror infirma vincula caritatis; quæ ubi remo-
veris, qui timere desierint, odisse incipient.
Tacitus..
Am häufigsten findet man diese Waare und
Sprache in Wahl-Sprüchen, Schau-Münzen, Re-
den, Gedichten und Predigten bey Huldigun-
gen, Regierungs-Antritt, Geburts-Tägen, desto
seltener bey Leichen-Predigten, wo solche noch
gehalten werden, und am seltensten im Leben
und Thaten der Könige und Fürsten. Wenn
auch die wechselsweise Liebe zwischen einem
Herrn und Land anfänglich einer glühenden
Bräutigams-Liebe gleicht, so wird nur allzuoft
eine laue und zulezt frostige eheliche Liebe
draus, wo man des seligen Endes, wenigstens
von einer Seite, hoft; auch es wohl laut genug
wünscht, um — von neuem betrogen zu werden.
Stolz auf den Nahmen, Würde und Rang eines
Herrn, Bewunderung und persönliche Würdi-
gung seiner Thaten und der ganzcnganzen Höhe sei-
nes Geistes, muſs oft die Stelle der Liebe ver-
treten, und hat in solchem Fall bey dem Volk
in Hinsicht des Gehorsams auch die nemliche
Würkung. Ich erinnere mich nicht ohne Rüh-
rung einer solehensolchen Scene auf meiner nordi-
schen Reise im Jahr 1773. wo ich bey einem
zugleich die Post versehenden Königl. Preuſsi-
schen Beamten und Pächter ohnweit Memel
übernachten muſste, der in den ungemessensten
Ausdrüken über seinen König, über des Juden
Ephraim Münz-Haushaltung, über die neuange-
kommene französische Pächter und die allge-
meine Armuth u. s. w. loszog, den König einmal
über das andere einen Tyrannen, einen Volks-
schinder, einen Roi des Pauvres, statt Roi de
Prusse, nannte, in Erzählung des mannigfalti-
gen Volksdrucks sich heiser redete, und end-
lich seine Invectiven mit denen in der stärksten
Empfindung ausgesprochenen Worten schloſs:
Es ist aber doch ein groſser König! Wo-
zu ich, nach einem langen bedächtlichen Still-
schweigen auf seine vorige Schmähungen, ein
freywilliges Amen! sagte.
Da nun in einer Monarchie so sehr vieles
auf
auf die Virtù, auf die persönliche Tugend des
Regenten ankommt und von derselben der gan-
ze Ton der Regierung, die Handels-Weise und
Berathung des Ober- und Unter-Ministers, die
ganze Behandlung des Volks u. s w. abhängt,
so ist der in dieser Persönlichkeit liegende
Trost freylich sehr wandelbar und vergänglich.
Es bleibt aber dabey: Ein guter König, wenn
er auch von seinem Volk gar nicht bewundert,
ja nicht einmal nach Würden geschäzt würde,
ist immer mehr werth, als ein groſser König,
wenn er auch der Einzige in seiner Gattung
wäre. Der ehrwürdige Groſs-Kanzler von Car-
mer mag sich’s ganz gut bewuſst gewesen
seyn, warum er seinen jezigen König und nicht
Friedrich den Groſsen wegen seines rühm-
lichen Hasses gegen allen Despotismus
gelobt hat; dieser leztere würde es für Satyre
gehalten haben. Ob, und wie lange aber Fried-
rich Wilhelm II. jenes herrliche Lob stets ver-
dienen wird? mag die Zeit lehren; dann Fried-
rich II. lieſs im Jahr 1740. in den ersten Tagen
seiner neuangetretenen Regierung, die merk-
würdige Worte offentlich bekannt machen:
„Ich will, daſs künftig, wofern etwan mein
E
besonderes Interesse dem allgemeinen Besten
meiner Lande zuwiderscheinen möchte, alsdann
dieses leztere jederzeit vor dem ersten den
Vorzug behalten soll„. So dachte, und gewiſs
aus Ueberzeugung sprach so der damals im
Ideen-Himmel schwebende König; der Wille
der Monarchen ist aber, nach einem alten wahren
Sprüchwort, wandelbar bis in ihren Tod.
In der Praxi der Staats-Verwaltung geht es
oft, wie in der sogenannten Ecclesia preſsa
bey den Religionen; da ist immer mehr Andacht,
als bey der gröſsten Freyheit des öffentlichen
Gottesdiensts. Es ist eine durch den ganzen
Gang der Geschichte bewährte Bemerkung,
daſs ein Fürst, wenn er sonst Kopf hat und
sich auf das: Leniter sævire, auf das systema-
tische Scheeren seiner Schafe versteht, von sei-
nen Unterthanen verhältniſsmäſsig immer mehr
gelobt, entschuldiget, gerechtfertiget, wird,
je härter er sie behandelt. Die ganze Regie-
rungs-Geschichte Friedrichs II. von Preuſsen,
von der Periode an nach geendigtem siebenjäh-
rigen Krieg, ist davon der redende Beweis. In
einem solchen Fall trift zu, was mir einst der
edle Fürst Orlow in Petersburg auf die Frage:
Ob seine Kaiserin von ihrem Volk auch gelie-
bet werde? in einem tiefgedachten Sinn geant-
wortet hat: „Nein! sie hat uns noch nicht böses
„genug gethan, um sie lieben zu können.„
Stolz anfauf den Gedanken wahrer — oder auf
das Schattenbild vermeinter Freyheit kann mit
gleicher Macht auf den Verstand und Willen
eines Volks würken, und Gehorsam, Verläug-
nung und Unterwerfungen zuwegenbringcnzuwegenbringen,
welche ein Monarch mit allen Befehlen zu er-
halten sich vergeblich bemühen würde. Ein
Blick in den innern Gang von republikanischen
und denselben ähnlichen Staats-Verfassungen
kann davon bald und ganz überzeugen. Woträgt
ein Mensch williger, gedultiger seine ungeheu-
re Lasten, als der begnügsame, fleiſsige, aber
in der steten Einbildung genieſsender Freyheit
wandelnde Holländer? Wer ist stolzer auf die
Magna Charta seiner Freyheit, als der Britte?
Und wer lebt in deren würklichen Genuſs ru-
higer, sicherer, glücklicher, als der Eidgenos-
se? und vergiſst darüber jener seine drückende
Taxen und verschmerzt dieser den Stolz seiner
Aristokraten. Das auffallendeste neueste Bey-
spiel von der Allgewalt dieses Freyheits-Gefühls
auf den Geist einer ganzen Nation liefert uns
die neueste Geschichte von Frankreich. Es
war nicht nur Begeisterung, sondern ein wah-
res hitziges Freyheits-Fieber, in welchem
man ein ganzes Königreich seine silberne Schuh-
schnallen zum Opfer errungener vermeinter
Freyheit darbringen, Herzoge und Pairs neben
ihren Schustern und Schneidern auf die Natio-
nal-Wache ziehen und der Majestät des nun von
zwölfhundert Königen, sans culottes, darge-
stellten Volks huldigen sahe; tausendfacher an-
derer Sottisen nicht zu gedenken, deren nur
ein so leichtsinniges und so leicht aller Eindrü-
cke empfängliches Volk, als die Franzosen,
fähig ist; welche aber der unumschränkteste Mo-
narch zu befehlen oder auch nur anzusinnen,
ohne Gefahr einer allgemeinen Aufruhr, nie
gewagt haben würde. Libertas et speciosa nomina prætexuntur: nec quisquam
alienum servitium et dominationem sibi concupivit, ut
non eadem ista vocabula usurparet. Tacitus.
Diſs Freyheits-Gespenst wird aber, vielleicht
auch ohne Exorcismus fremder Geisterbanner,
auf eigenem Grund und Boden wieder ver-
schwinden, und schmerzliche Reue für die Theil-
nehmer, heilsame Warnung aber für andere
Staaten hinterlassen. Im Sturm kann man zwar
Schiffbruch leiden und Thürme einstürzen se-
hen; zum Bau neuer Schiffe und Häuser gehört
aber ruhige Vorbereitung, nüchterne Köpfe und
stiller Himmel. Die ganze Declamation in der
französischen Constitution von den bürgerlichen
Rechten und Freyheit des Menschen trägt aber
die sichtbarste Zeichen von Uebereilung, und
gleicht einer vor ihrer Zeitigung abgefallenen
unreifen Frucht.
Ueberhaupt geht es mit dem Begriff von Frey-
heit, wie mit dem von Reichthum; er ist im-
mer nur relativ, nur local. Es giebt von kei-
nem von beyden einen allgemeinen Maaſstab,
und wird deſswegen über beyde beharrlich ge-
meſsen, verglichen, raisonnirt, gezankt und
gestritten werden. Da wir auch in Deutschland
nicht einerley Ehle, Maas und Gewicht, wohl
aber Valvations- und Vergleichungs-Tabellen ha-
ben, so würde vergebliche Arbeit seyn, sich
bey allgemeinen Theorien zu verweilen. Mit
voller Ueberzeugung unterschreibe ich aber,
auch als meinen eigenen Glauben, das eben so
redliche als freymüthige Bekenntniſs, was in
besonderer Rücksicht auf Deutschland der pa-
triotische Reuſs In der deutschen Staats-Canzley 20. Th. S. 425. in fol- darüber abgeleget hat.
Diese überspannte Begriffe von der Freyheit
des Menschen und bürgerlicher Freyheiten rüh-
ren unmittelbar aus der eben so verkehrten Vor-
genden Worten: „Nach meinem System von Staats-Recht
und Politik ist mir das Capitel von bürgerlicher
Freyheit eben so wichtig, eben so heilig und unver-
lezlich, als das in unserm deutschen Staats-System so
wichtige Hauptstück von der Freyheit des Reichs und
seiner Stände. Edle Fürsten denken eben so. Sie sehen
ihr höchstwichtiges Regenten-Amt als eine Bürde an, die
ihnen nur darum erträglich wird, wenn sie recht viel
Gelegenheit erhalten, Väter und Wohlthäter ihres Volks
zu seyn. Regenten, deren Herz nicht die reine Quelle
dieser edlen Gesinnung ist, wird sie zwar durch reichs-
gerichtliche Strafgebote nicht eingeflöſst werden; geseg-
net seyen aber doch alle Schritte der Reichs-Gerichte,
welche dahin abzielen, den Ausbrüchen der Willkühr
und des Despotismus auf deutschem Grund und Boden
zu steuren! Gesegnet um so mehr, als in unserm mili-
tarischen Jahrhundert das System vom blinden Gehorsam
aus den Clöstern in die Staats-Verfassung übergegangen
zu seyn scheinet, und manche Staaten in Gefahr stehen,
aus bürgerlichen Gesellschaften militarische Subordina-
tions-Systeme zu werden. — Bürgerliche Freyheit
ist nichts anders, als natürliche, auf das Wohl der gan-
zen Staats-Gesellschaft abzweckende Gesetze einge-
schränkte, Freyheit. So lange also die natürliche
Freyheit nicht durch bürgerliche Gesetze oder die Natur
der bürgerlichen Gesellschaft eingeschränkt oder aufge-
hoben ist, so lange muſs sie jedem Gliede derselben un-
verlezt bleiben.„
stellung von der Gleichheit der Menschen
und daraus hergeleiteten Aufhebung der ver-
schiedenen Stände. Ich empfehle zum Lesen, des sel. Zollikofers vor-
trefliche Predigt: Daſs die Verschiedenheit der Stände
und des äusserlichen Glücks nicht nur in unserer Natur
gegründet, sondern auch eine für uns höchstvortheilhafte
Einrichtung der göttlichen Weisheit und Güte seye; im
siebenden Band der nach seinem Tod berausgegebenen Pre-
digten. S. 253. Die ganze Idee in
ihrer Darstellung und würklichen Anwendung
ist Unsinn, ist gegen die Ordnung des Schö-
pfers in der ganzen Natur. Mannigfaltigkeit
und Abstufung ist das Groſse und Schöne der
Harmonie der Schöpfung, vom Elephanten bis
zur Maus, vom Adler bis zur Fliege, vom
Granit-Felsen bis zum Sandkorn; im Menschen
selbst, dem edelsten aller Geschöpfe Gottes,
Abstufung nach allen physischen und intellectuel-
len Kräften, vom Riesen bis zum Zwerg, von
Neuton, der Luft und Licht spaltet und den
Lauf der Gestirne miſst, von Franklin, der
Feuer dem Himmel entlockt, bis zu dem lezten
Gänsehirten in Europa. Mannigfaltigkeit der
Gröſse und Kräfte selbst in dem Reich der Gei-
ster, so weit es Menschen zu ergründen ver-
mocht haben.
So glänzend und blendend die Theorie von
Gleichheit der Stände in der bloſsen Beschauung
ist, so gewiſs wäre es die gröſste Strafe vor
die civilisirte Menschheit, wenn sie je, auch
nur in einer gemäſsigten Ausdehnung, in Er-
füllung gebracht werden könnte. Die Lehrer
davon, wenn sie nicht just solche Misantropen,
wie ihr Erfinder, Rouſseau, wären, würden
dabey selbst am übelsten dran seyn, und das
bethörte Volk früh genug Ursache finden, die-
sen Freyheits- und Gleichheits-Phantasten eher
zu fluchen, als sie zu segnen, und jeder sich
das Maas und Gewicht mit welchen er geboh-
ren, und die Form nach welcher er in das groſse
Band der menschlichen Gesellschaft eingekettet
ist, wieder zurückwünschen. Die Erfahrung
weniger Jahre hat in Frankreich bereits bewie-
sen, welche Greuel von Gesetzlosigkeit und
Insubordination, welche Zerrüttung aller gesel-
ligen Ordnung, welche Verwirrung der Köpfe,
welche tolle Anmaſsungen und Schwindeleyen
diese philosophische Narrheit schon nach sich
gezogen hat.
Von mehrerer Gleichheit in Tragung gemei-
ner Lasten und Abgaben, von mehrerem Gleich-
gewicht zwischen der geniessenden und arbei-
tenden Classe, zwischen gerechten und ange-
maaſsten Befreyungen der höhern und desto här-
term Druck und Unterdrückung der sogenannten
niedrigen Stände konnte, durfte und muſste
die Rede seyn; der Bogen war zu sehr gespannt,
als daſs er sich noch mehr biegen lieſse; er
muſste brechen. Die Herabstimmung des unge-
heuren Miſsverhältniſses zwischen der befehlen-
den und gehorchenden Claſse war in Gerech-
tigkeit, Billigkeit und Menschlichkeit gegrün-
det; eine gänzliche Aufhebung, Zertrümmerung
der Einen Claſse, die Vermischung aller Stände,
aber konnte nur bey einem Volk statt finden,
das so leicht von einem äussersten Ende zum
andern überspringt.
Wozu übrigens der Unterschied der Stände in
der bürgerlichen und menschlichen Gesellschaft
überhaupt berechtige, oder nicht berechtige?
liegt ausser den Gränzen gegenwärtiger Un-
tersuchungen. So viel insbesondere den Adel
betrift, so ist mein kurzes und rundes Bekennt-
niſs: Bloſser Adel, ererbter, geschenkter
oder erkaufter, ohne persönliche Tugenden, Ver-
dienste und Geistesvorzüge, ist weiter nichts,
als ein tönendes Erz und klingende Schelle.
Doch kann ich hiebey nicht unbemerkt lassen:
Daſs, bey aller unserer Autklärung und so vie-
len andern cæteris paribus, das Deutsche Na-
tional-Temperament, im Ganzen genommen,
unstreitig vieles dazu beytrage, daſs keine sol-
che gräuliche Scenen unter uns vorfallen, als
die Geschichte anderer Reiche, von Frankreich,
Engelland, Ruſsland, Italien etc. aufzuweisen
hat. Ein Fürst kann es sehr arg in seinem
Land treiben, und doch ruhig zu Bette gehen;
der Unterthan leidets und schweigt: Wenn er
auch murrt, schimpft, Pasquille auf seinen Herrn
macht, endlich gar ihn verklagt, so vergiftet
er ihn doch nicht, miethet keinen Meuchelmör-
der, haut ihm den Kopf nicht herunter, zündet
ihm sein Schloſs nicht an, und seine Minister
und Augendiener, wenn auch unter ihnen die
ärgsten Buben wären, werden nach wie vor
mit tiefen Reverenzen begrüſst, und sind vor
Galgen und Laternenstöcken sicher. So war’s
wenigstens bisher; wie es in 20. 30. oder 40.
Jahren hie und da aussehen wird, kann die
Geschichte des künftigen Jahrhunderts erzählen.
Eine ewige Gedult möchte schwer zu verbür-
gen seyn; die zwo Extremen des Trotzens
und Verzagens liegen in der Natur des Men-
schen. Frankreich stellt uns die neueste und
schrecklichste Beweise dar. Welches Volk hat
mehr auf sich treten, sich gedultiger miſshan-
deln und tiefer erniedrigen lassen? Und wie
schnell war der Uebergang von der fühllosest
geschienenen Langmuth zu rasender Wuth, ja
zu wahren Unmenschlichkeiten? Und welche
greuelvolle Auftritte stehen, indem ich dieses
schreibe, noch bevor?
Uns Deutsche sichert das National-Phleg-
ma vor dergleichen überschnellten Extremen;
wenn der Despotismus auch noch so scharf
einschneidet, so ist doch patientia jugi in un-
serm Character. In den meisten weltlichen
Staaten ist ohnehin für das Gleichgewicht des
Gehorsams schon dadurch gesorgt, daſs Adel,
Geistlichkeit und Volk, nur eine gemeinschaftli-
che Scheere, und keins dem andern viel vor-
zuwerfen hat. Der Krummstab aber, unter dem
sich so gut wohnen lieſse, wird je länger je
weniger ein Hirtenstab, drückt hie und da här-
ter, als der eiserne Scepter eines unumschränk-
ten Monarchen; und just da, da, wo der An-
blick so vieler vom Mark der Länder und dem
Schweiſs der armen Unterthanen sich nährenden
Verschwender, Schwelger und Müſsiggänger
würklich empörend ist, möchte es wohl nä-
her, als man denkt, vom Biegen zum Brechen
kommen.
Von der so gepriesenen Aufklärung sollte
man billig erwarten, daſs sich auch die Politik
immer mehr mit Lebens-Weisheit paaren, und
die Fürsten und ihre Räthe sich die von andern
begangene Fehler dazu dienen lassen würden,
solche mit desto mehrerer Vorsicht zu verhü-
ten, daſs sie sich selbst, nach eines jeden Stand,
Vorrechten und Kräften, zum Anliegen machen
würden, um die unsere allgemeine Reichs-Ver-
fassung begründen sollende Gesetze zu verbes-
sern, harmonischer, gerechter und menschli-
cher zu machen. Leider! hat es aber zu dieser
Hofnung nicht nur gar keinen Anschein, son-
dern es neigt sich vielmehr nicht nur in der Län-
der-Regierung, sondern selbst von Seiten der
Gesetze zu immer mehrerem Druck.
Das neueste Reichsgesetz, der Kaiserliche
Wahl-Vertrag, bindet dem Kaiser, dem Ober-
haupt des Reichs, dem Hüter und Vollzieher der
Gesetze, seit 50. Jahren, immer mehr die Hän-
de, und erweitert dagegen die schon fast grän-
zenlose Gewalt der Reichs-Stände. Die Wahl-
Capitulation K. Leopolds II. hat vollends dem,
durch die Privilegia de non appellando ohnehin
schon genug gedrückten und gewürgten Deut-
schen Unterthanen, durch einen dem 19. Art.
§. 6. eingeschalteten Zusatz, den Hals vollends
zugeschnürt, gegen den Despotismus der uner-
sättlichen Reichs-Ständischen Cammern nicht
einmal mehr mucksen zu dürfen. Da man aber
alte und neue Beyspiele hat, daſs der zu stark
gespannte Bogen zuweilen bricht, wer kann
und wird in diesem Fall einen solchen Herrn
bemitleiden? Und wie kann und will der geist-
liche Churfürst, auf dessen Betrieb jene höchst-
verfängliche Clausel eingeschlichen, sich in
seinem Gewissen beruhigen, daſs er, um
eines elenden Weinzapfs willen, tausend un-
schuldige Unterthanen anderer deutscher Provin-
zen, um die ihnen ohnehin so erschwert wer-
dende Gerechtigkeit belistet habe. Dann acten-
mäſsig S. Wahl-Tags-Protocoll von 1790. II. Band, S. 209.
u. f. Verbunden mit D. Crome Wahl-Capitulation K.
Leopolds II. S. 141, wo der brave Mann sich der ehr-
lichen und gewissenhaften Note nicht enthalten kann:
„Dieser„ (§. 6.) „nebst den folgenden ist gar zu bewahrheitet ist, daſs nur durch List
und affectirte Unschuld, gegen die gerechte,
wichtige und rühmliche Chur-Cöllnische und
Chur-Braunschweigische Einwendungen diese
Chur-Trierische ungerechte und unpatrioti-
sche Glosse in das Gesetz hineinmajorirt wor-
den. — Und nun prahle man noch mit Reichs-
und Landes-Justitz; nun klage man noch über
Murren und Klagen der Unterthanen, und zwin-
ge einen Kaiser zu schwören, daſs er, aller die-
ser die Lande auszehrenden Justitzkünste ohn-
geachtet, (§ 7.) „die Unterthanen inmittelst
sehr zum Vortheil des Landesherrn eingerichtet. Hier-
aus könnten gerade in unsern Zeiten am allerersten und
häufigsten Unruhen entstehen, da den armen Un-
terthanen durch jenes Gesetz auch der lez-
te Weg zur unpartheyischen rechtlichen
Abhülfe ihrer Klagen nun auch abgeschnit-
ten ist.„
Nachdem dieses bereits geschrieben war, vernehme ich,
daſs das zwifacher Ehren- und Ruhms-würdige Reichs-
Kammer-Gericht, in eben diesem Proceſs zwischen dem
Churfürsten von Trier und seinen Landständen wegen
dem Pfingstbannzapf, auf dieses erschlichene Inserat der
Leopoldinischen Wahl-Capitulation schlechterdings nicht
geachtet habe.
Und nun wundere man sich nicht mehr, wenn Gott,
der allmächtige und gerechte Richter, sich der Franzosen
als Zuchtruthen gegen dergleichen gewaltthätige und
unbarmherzige Fürsten bedient.
gleichwohl zum schuldigen Gehorsam gegen
ihre Obrigkeit anweisen wolle.„
Geschieht das am grünen Holz, was wills am
dürren werden!
Wie mächtig Religions-Systeme und deren
verschiedene Grundsätze auf Verstand und Wil-
len eines jeden Menschen, insbesondere auf
Glauben und Aberglauben ganzer Völker, auf
deren Ueberzeugung, Anhänglichkeit und Ge-
horsam gegen das als Wahrheit erkannte und
geglaubte würken, davon zeugt die Geschichte
aller religiosen Parthien, Secten Gesellschaf-
ten, nndund aller einzelen Bekenner, Märtyrer,
Schwärmer, Phantasten, Enthusiasten, und wie
man sie nennen möchte, welche weder Schei-
terhaufen, Schwerdt, Strick, Galeeren, Verfol-
gungen, Dragonaden, die drohendeste Befehle,
Verlust ihres Vermögens und ganzen zeitlichen
Glücks, noch glänzende Aussichten, Schmei-
cheleien, Versprechungen, Bitten vermögen
konnten, ihren Glauben, Meinungen und Vor-
urtheilen, was es nun bey einem jeden war, zu
entsagen. Ich berühre diesen Punct nur um
des allgemeinen Zusammenhangs willen, da er
sonst in das eigentlich Politische dieser Materie
nicht gehört.
In seiner Maaſse eben so stark, als Religion,
und bey vielen Gemüthern noch stärker, würkt
auf den denkenden und seine Geistes-Kräfte
fühlenden Mann, das Lesen alter römischer
und griechischer Schriftsteller, britti-
scher Parlaments-Reden, französischer
Parlaments-Vorstellungen gegen despoti-
sche Könige und Minister, das Eindringen in ihren
Geist und Grundsätze, überhaupt das ernste
Studium der alten römischen und der englischen
und französischen Geschichte von der Zeit an
der lezten zwo Jahrhunderte. Welch starke
Schlüsse und Modificationen verbreiten sich dar-
aus über die ganze so reichhaltige Materie vom
Gehorsam gegen Könige und Fürsten, insbeson-
dere im Deutschen Herren-Dienst, wo uns selbst
die Franzosen zur Zeit ihres stärksten Drucks Ein Souverain von der Deutschen Grafenbank kann mit
seinem Gerichts-Beamten weit despotiseherdespotischer verfahren, als
ein König in Frankreich mit den seinigen; er kann sie
ohne Ursache von seinen Aemtern werfen. Das kann
unser König nicht. Alle Glieder seiner Dikasterien,
vom Pariser-Ober-Präsidenten an bis zum Arraser-Provin-,
und
und noch mehr die Engelländer getrost die Stir-
ne bieten konnten. Wenn aber auch ein Deut-
scher, durch eine über das Schicksal der untern
Volks-Classen sich erhebende edlere Erziehung
oder aus eigenem Hang und Neigung an sol-
chem Studio und Lectüre Geschmack gewinnt,
zialrathe, sind unabsetzlich, es sey denn, daſs ihnen
nach der Ordnung der Gesetze ihr Proceſs gemacht wer-
de. Das kann nur eines Verbrechens halben geschehen;
und die Weigerung, Edickte zu protocolliren, gehört
nicht unter die Felonien. Diese Gewiſsheit, mein Herr,
macht Männer, und (können Sie es glauben) sie be-
ruht groſsentheils auf dem Eigenthum der Aemter, auf
eben dieser in Deutschland so sehr verspotteten Vena-
lität, welche den Monarchen hindert, die Parlaments-
Stellen an Schmeichler zu vergeben, den Richtern die
Macht läſst, ihren Esprit de corps auf ihre Söhne fort-
zupflanzen, und keinen in ihr Collegium aufzunehmen,
der ihnen nicht ansteht.
Lesen Sie die Vorstellungen unserer Parlamenter; le-
sen Sie die Bittschriften der Unterthanen an den König,
an seine Minister, an seine Beamten; Sie werden wahr-
lich den kriechenden Styl nicht darinn finden, wel-
cher so oft die Sprache und den Character der freyen
Deutschen erniedriget; und in den Edicten unsers
Landesherrn, ob sie sich gleich mit den Worten: Te
est notre plaisir, endigen, ist die Sprache weit minder
despotisch, als in den gnädigsten Mandaten Ihrer Wild-
grafen und Reichsakten. Schreiben eines (angeb-
lichen) Franzosen im deutschen Museum 1781. II.
B. S. 158. u. f.
F
so lasse er sichs nie gereuen; er gewinnt alle-
mal an und in sich selbst so viel, daſs er auf
sein ganzes Leben gesichert ist, kein Stockfisch
zu bleiben, wenn er gleich eben so wenig je-
mahlen hoffen darf, Ober- oder Unter-Kammer-
herr oder wohl gar Minister des kleinsten Potenta-
ten zu werden. In der Regel aber muſs ich aus
inniger Ueberzeugung das Bekenntniſs nochmals
wiederholen, was ich über diesen Gegenstand
bereits vor einigen Jahren offentlich Im patriotischen Archiv II. Band, S. 547. abgelegt
habe: „Wer Königen und Fürsten dienen will
und muſs, und dabey seine Gemüths-Ruhe lieb
hat, der enthalte sich, die Alten und viele prag-
matische Geschichtschreiber zu lesen; was man
auf der einen Seite durch Erweiterung von
Kenntnissen und an Klugheits-Regeln gewinnt,
das verliert man dagegen auf der andern wie-
der durch traurige Vergleichungen und Nach-
denken, und verwickelt sich in Scrupel und
Zweifel, die so hart drücken als bey einem
Münch, dem über sein Kloster die Augen auf-
gehen, ohne aus demselben heraus zn können.
Ich rede aus eigener schmerzlicher Erfahrung„.
Die Erziehung, wie sie nun einmal, mit
einer mildern oder härteren Schattierung, in
Europa eingeführt ist, trägt zur Art und Weise
des Gehorsams im Ganzen und allen seinen
Theilen überaus viel bey. Anders gehorcht
solchem nach ein Russe, anders ein Engelländer,
ein Franzose und ein Deutscher; alle wissen
aber von Kindheit an nichts anders, als daſs
man seinen Eltern und Vorgesezten, seinem
Herrn, seinem Lehrer und Meister, gehorchen
müsse. Der eine gehorcht blindlings und scla-
visch, und so wird er des gedankenlosen Ge-
horsams allmälig gewohnt oder durch Prügel
dazu gezwungen, und der geringste Hang zu
Widerspruch und Widerstand sogleich in ihm
erstickt; der andere gehorcht auch, er will
aber mehr dazu beredt und gebeten, als geheis-
sen oder gar bedroht seyn. Jeder gehorcht nach
dem ihm eingeprägten und angewöhnten beson-
dern Character seiner Nation: Der eine beraison-
nirt alles, ehe er es thut oder in dem er es
thut; murrt, schmählt, flucht über das befoh-
lene und thut’s doch; der andere nimmt hun-
dert ihm lästige und unangenehme Dinge vor
bekannt an, ohne daſs ihm was arges darüber
einfällt, weil ers von Vater und Voreltern her
so gewohnt ist; jeder von allen gehorcht aber,
so viel ihm möglich ist, immer nur so, daſs er
sich selbst nicht dabey vergiſst, und dazu hält
er sich aber durch den angebohrnen Trieb der
Selbst-Erhaltung berechtiget. Wie kann Aufklärung würken, so lange die Erziehung
durchs Beyspiel der Erziehung, durch den Un-
terricht stillschweigend, aber siegend und unabläſsig
entgegenwürkt, und die zarten Keime einer bessern
Thätigkeit und des ächten patriotischen Sinnes erstickt,
indem sie alles auf den niedrigsten Privat-Ei-
gennutzen zurückführt und den Menschen isolirt? Nur
bey Wenigen ist die Gesundheit der Seele fest genug,
sie gegen eine so allgemeine Ansteckung zu sichern.
Hr. von Ungern-Sternberg in den Blicken auf
die moralische Welt S. 235.
Die ganze Art der bisherigen Erziehung
der mittlern und untern Volksclassen hat die
vor die Beherrscher gemächliche Folgen, daſs
der Bürger- und Bauern-Stand in einer fast all-
gemeinen, soll man glücklichen oder unglück-
lichen sagen, Unwissenheit von seinen Rechten
und Zuständigkeiten, und von den gegenseiti-
gen Pflichten seiner Herrn und Obern aufwächst,
wodurch das jedem nicht ganz stupiden und
verwahrlosten Menschen eigene Selbstgefühl
seiner Würde und Kräfte allmälig eingewiegt,
in ihm selbst unterdrückt und durch äussern
Druck vollends erdrückt und erstickt wird; frey-
lich zu einer Zeit und in einem Land stärker
und schneller als im andern, unter allerley
Formen und nach verschiedenen Methoden; im
Ganzen aber ist Zweck und Würkung immer
einerley. Denn so, wie die Sachen dermahlen
noch in Deutschland stehen, sieht sich der ge-
meine Mann selbst als ein zum Tragen, Dul-
den, Leiden und Schweigen erschaffenes subal-
ternes Geschöpf, seinen Herrn als seinen Gott auf
Erden Le Systeme des Grands est, que le genre humain ne
vit que pour un petit nombre d’hommes et que le mon-
de est fait pour eux. — Belisaire par Marmontel.
Dieſs glauben nicht nur die Principi, sondern auch die
Principoni., und dessen Beamte und Diener als hö-
here Geister an, die er aber mehr fürchten als
lieben müsse; nach Beschaffenheit der Umstän-
de sie belügen, betrügen, und ihnen nur aus
Zwang gehorchen dürfe. Gehts zu hart über
ihn her, so tröstet ihn sein Pfarrer mit dem
ewigen Leben, als dem Ende aller irrdischen
Noth. Der Bauer selbst tröstet sich auch oft
genug damit, daſs sein Herr nicht ewig leben
und vielleicht ein besserer nach ihm kommen
werde.
Wie viel nun die mit schnellen Schritten zu-
nehmende Aufklärung unserer Zeiten überhaupt,
was die in mehreren Deutschen Provinzen zu
einer bessern Erziehung und Unterricht des
Volks, durch zweckmäſsigere Einrichtung der
mittlern und niedern Schulen getroffene rühm-
liche Anstalten, was eine freyere und liberalere
Denkungs-Art und Bildung des geistlichen
Standes, und am meisten das mildere Betragen
der durch warnende Beyspiele wacker gewor-
denen Regenten auch auf den gemeinen Mann
würken, und wie viel Licht, als er zu seinem
Bedürfniſs nöthig hat, sich über ihn allmälig
verbreiten werde, wollen wir von dem Segen
des kommenden Jahrhunderts verhoffen und er-
warten.
Der Geist der Zeit, wenn man mit diesem
Wort den Ideen-Gang unter den Menschen, den
Umlauf, Erweiterung und Verfeinerung der Be-
griffe bezeichnen darf, würkt auch in der Leh-
re vom Gehorsam auf eine auffallende Weise.
Wenn auch der Glaube der Könige im Grund
immer derselbe bleibt, und sie das Selbst-Gefühl
ihrer Macht in Thaten und Handlungen so stark,
als ihnen nur möglich ist, zu empfinden geben,
so accommodiren sie doch um so ehender die
Worte dem Wahn und Glauben ihrer Unterthanen.
Als Thomasius zuerst in Deutschland die
Meinung des Mittel-Alters von dem göttlichen
Rechte der Regenten angriffe, brachte es der
dänische Ober-Hof-Prediger Masius dahin,
daſs seine Schrift in Coppenhagen durch Hen-
kers-Hand verbrannt wurde. Hingegen König
Gustav III. in Schweden sagte in denen den 30.
Oct. 1778. seinen Reichs-Ständen vorgelegten
Puncten: Die Königliche Macht hätten ihm Gott
und des Reichs Einwohner verliehen. Mit
solchen Parade-Sprüchen darf man dann freylich
den eigenmächtigen Krieg mit Ruſsland, den
despotischen Reichstag zu Gefle, und dessen
traurige Resultate nicht ins Gleiche stellen.
K. Friedrich II. in Preussen gienge noch wei-
ter, und lieſse in einer mit dem berühmten Phi-
losophen Sulzer, freylich nur unter vier Au-
gen, im Jahr 1777. In Nicolai Anecdoten von K. Fried. II. 2. Heft, S. 139. gehabten Unterredung
einfliessen: „Die Einbildung der Geistlichen
von einem unmittelbaren göttlichen Beruf sey
eben so ungereimt, als das Vorgeben, womit
man den Souverainen schmeichelte, daſs sie
das Ebenbild Gottes auf Erden seyen.„
Eben dieser König soll in einer philosophi-
schen Unterredung mit dem Akademiker Thi-
bault geäussert haben: S. der Frau von la Roche Reisen nach Frankreich
1787. S. 407. Das Unbegreiflich-
ste von allem sey Ihm, daſs Millionen Menschen
einem Einzigen gehorchen. So sprechen die
Groſsmächtigste und Allergnädigste unter vier
Augen; es wird aber eine Zeit kommen, und
wir gehen ihr schon entgegen, wo diese Wahr-
heiten von allen Canzeln mit und ohne Dach,
werden gepredigt werden.
Endlich so hängt auch der Gehorsam in vie-
len Dingen von den Begriffen ab, die man sich
von der Moralität der Sache selbst macht.
Ein Mann, der das Lotto-Spiel vor eine privile-
girte Betrügerey und Ueberlistung der Unter-
thanen, vor eine landsverderbliche Anstalt hält,
würde sich entehrt halten, wenn ihm um noch
so hohen Preis die Intendanz desselben über-
tragen werden wollte. Er überläſst also diese
einträgliche Ehre lieber andern minder Engher-
zigen, die sich noch was darauf zu Gute thun,
den Lotto-Intendant ihrem Titel anzuhängen.
Ein Kammerherr oder Kammerdiener, wel-
cher treuherzig glaubt, daſs sein Fürst über die
den gemeinen Mann bindende Gesetze erhaben;
daſs bey Ihm Ehebruch und Hurerey kein La-
ster noch Sünde, sondern höchstens eine leicht
verzeihliche menschliche Schwachheit sey, wird
sich, ohne mit Haaren dazu gezogen zu wer-
den, zum Kuppler und Mäckler gebrauchen las-
sen, wenn die Wahl seines Serenissimi auch
sein eigenes Weib oder Tochter träfe. So vie-
ler anderer ähnlicher Fälle, die auf Rechnung ir-
riger Einsicht gesezt werden müssen, nicht zu
gedenken.
Die Geschichte der Lehre vom Gehorsam
überhaupt ist innigst verwoben mit der uns noch
viel zu unbekannten, dunkeln, zweifelvollen,
räthselhaften Geschichte der Menschheit, wo
Wahrheiten und Muthmaſsungen noch so un-
gesondert beysammen liegen wie das Chaos bey
Schöpfung der Erde; wo der schärfste Denker
bey jedem Schritt immer Abgründe vor sich
sieht, die er zwar durch künstliche Brücken
von Hypothesen zu verbinden, und sich Bahn
und Zusammenhang zu machen sucht, wo aber
das feste Land durch neue Klüfte stets wieder
unterbrochen, wo selbst einem so scharf und
hell sehenden Herder In den Ideen zur Philosophie der Geschichte der Mensch-
heit, II. B. S. 264. der Wunsch ausge-
preſst wird: „O! daſs ein anderer Montesquieu
uns den Geist der Gesetze und Regierungen auf
unserer runden Erde nur durch die bekannte-
sten Jahrhunderte zu kosten gäbe! Nicht nach
leeren Namen dreyer oder vier Regierungs-For-
men, die doch nirgend und niemals dieselben
sind oder bleiben; auch nicht nach witzigen
Principien des Staats: Denn kein Staat ist auf
Ein Wort-Principium gebaut; geschweige, daſs
er dasselbe in allen seinen Zeiten und Ständen
unwandelbar erhielte; auch nicht durch zer-
schnittene Beyspiele, aus allen Nationen, Zei-
ten und Weltgegenden, aus denen in dieser
Verwirrung der Genius unserer Erde selbst kein
Ganzes bilden würde; sondern allein durch die
philosophische, lebendige Darstellung der bür-
gerlichen Geschichte, in der, so einförmig sie
scheinet, keine Scene zweymal vorkommt, und
die das Gemählde der Laster und Tugenden
unsers Geschlechts und seiner Regenten, nach
Ort und Zeit immer verändert und immer das-
selbe, fürchterlich lehrreich vollendet„.
Biſs nun, wenn Herder nicht selbst Schöpfer
eines solchen das Ganze umfassenden Werks
seyn will, ein zweyter Montesquieu geboh-
ren wird, so bleibt doch ein gerechter Wunsch,
daſs man wenigstens von jedem einzelnen Deut-
schen Staat, der seine Landstände gehabt hat oder
noch hat, oder nie keine gehabt hat, eine eige-
ne pragmatische Geschichte des Gehorsams
hätte, wie solcher, nach dem mehr oder mindern
Despotismus der Regenten und ihrer Ministe-
rien, zu verschiedenen Zeiten beschaffen ge-
wesen; welchen Einfluſs er auf Gesinnung und
Betragen der Dienerschaft, auf die Moralität
der Unterthanen, auf die Lehrer auf Universi-
täten, auf die Geistlichkeit, auf den Gemein-
geist eines Lands und den Volksglauben gehabt,
und wie sich solcher biſs zu seiner jetzigen Gestalt
gradweis gebildet, verbessert oder verschlechtert
hat. Die Regierungs- und Länder-Geschichte von
Oesterreich, Böhmen, Sachsen, Brandenburg,
Würtemberg, Hessen, Baiern, Meklenburg etc.,
lauter Provinzen, die Land-Stände hatten und
nach verschiedenem innern Valor noch haben,
so bearbeitet, wie die Geschichte des Fürsten-
thums Hannover und des Herzogthums Wür-
temberg, von dem pragmatischen Spittler „Daſs wirs fuhlen möchten, wem wir den glücklichern
Genuſs unserer ungekränktesten Freyheit einzig zu dan-
ken haben! Nicht der National-Geist ists, der uns si-
chert; nicht die Verfassung ists, die den Verlust un-
serer Freyheit unmöglich macht; nicht ein allgemein
reger Patrotismus ists, der das Freyheits-Schicksal un-
sers Landes so ausgezeichnet merkwürdig seyn lieſs.
Unsere Fursten selbst warens, die uns schüzten; die
Minister unserer Könige warens, die den Despotismus
verabscheuten; der unvergleichbare beglückende Frey-
heits-Ton wars, der in allen Theilen der Landes-
Regierung selbst herrschte„. Spittlers Geschichte
des Fürstenth. Hannov. II. B. S. 308.,
welchen Contrast würde sie in den so mannich-
faltigen Schattirungen darstellen? Mit welcher
Eifersucht und Wehmuth würde mancher bie-
derer Deutsche sein Vaterland, seine Dienst-Lei-
den sein schüchternes Volk, mit dem Freyheits-
Sinn, Freymuth in Reden, Rathen und Handeln,
mit der Lust und Wonne des Herren-Diensts sei-
nes Nachbarn zu vergleichen haben? Welch
fruchtbares Nachdenken würde aber auch dadurch
bey den Regenten selbst erweckt werden kön-
nen? wenn man Studium der Reichs-Verfassung
und ihrer eigenen Haus- und Landes-Geschichte
von ihnen hoffen und erwarten dürfte.
Wenn man dem schönen Ideal von dem Glück
unserer Zeiten trauen dürfte, das uns Mei-
ners In der angefuhrten Abhandlung im Göttingischen histor.
Magazin, II. B. S. 195. vor Augen stellt, so läge der Despotis-
mus in Deutschland würklich in lezten Zügen,
und unsere Regenten samt und sonders würden
durch die erhabenste Gründe von Tugend und
Religion geleitet und begeistert. Die eigene
Worte dieses geübten Denkers lauten also:
„Die Geschichte unsers eigenen Vaterlandes
zeigt uns viele Beyspiele von Staaten, in wel-
chen die Regenten durch keine Grund-Gesetze
oder Landes-Stände eingeschränkt, oder wo
sie wenigstens mächtig genug sind, Grund-Ge-
setze und Landes-Stände zu Boden zu treten.
Allein in den meisten Staaten dieser Art ist
die Gewalt des Fürsten mehr dem Scheine
nach, als würklich, unbeschränkt; denn wenn
die Regenten solcher Länder auch nicht durch
Grund-Gesetze, das heiſst durch solche Ge-
setze eingeschränkt werden, deren Aufrecht-
haltung sie feyerlich beschworen haben, und
deren Uebertretung sich das Volk oder dessen
Repräsentanten mit rechtmäſsiger Gewalt entge-
gensetzen könnte; so werden sie doch durch
mancherley andere Gesetze und Betrachtungen
im Zaum gehalten, die ihnen meistens noch hei-
liger und wichtiger, als der todte Buchstaben
von Grund-Gesetzen oder die ohnmächtigen
Vorstellungen von Land-Ständen sind: Nämlich
durch die Gesetze der Religion, der Tugend
und Klugheit; durch die Ueberzeugung, daſs
sie ihr Volk nicht unglücklich machen können,
ohne ihre eigene und ihrer Nachkommen Macht
und Ansehen zu schwächen; durch die Furcht
vor dem Murren und den Flüchen ihrer Unter-
thanen, vor dem Tadel ihrer übrigen Zeitgenos-
sen, vor dem Urtheil der unerbittlichen Ge-
schichte und Nachwelt, oder endlich durch
die Furcht vor dem groſsen Richter, der die
mächtigsten Könige eben sowohl, als die niedrig-
sten Sclaven dereinst nach ihren Thaten rich-
ten wird.„
Solls Weissagung, solls Ahndung dieses phi-
losophischen Sehers seyn, so spreche die gött-
liche Vorsehung ihr segnendes Amen! darüber
aus. Ich Ungläubiger, bekenne aber freymü-
thig, daſs ich das Land, den Staat, geschweige
die Staaten, nicht kenne, zu welchen diſs schö-
ne Bild auch nur in seinem Umriſs paſste. Ich
würde, wenn ichs wüſste, so alt ich bin, heute
noch dahin wallfahrten. Nach meiner bald funf-
zigjährigen Erfahrung muſs ich aber noch im-
mer jener buſsfertigen Aebtiſsin nachbeten: Wir
sind eben alle, daſs Gott erbarm! Eher möchte
ich noch mit dem politischen Bergmann Spitt-
lern „Nun geben aufgeklärtere Religion und Philosophie
(weil doch hie und da ein Prinz sogar deutsche Bücher
liest) und endlich selbst auch Publicität der fürstlichen
Thaten und Unthaten dem allgemeinen Hang zur
despotischen Gewalt das mächtigste Gegengewicht.
In der Geschichte des Fürstenthums Hannover, II. B. S. 182„. eingestehen: Daſs Christenthum und
Philosophie den Despotismus gemindert und ge-
mildert haben: Es giebt aber Regenten, die
weder Christen noch Philosophen sind; bey die-
sen gehts dann auch darnach. Im Ganzen, darf
man sagen, ist der Depotismus minder brutal
aber um so rafinirter und verfeinerter gewor-
den; man befiehlt doch nicht mehr Meuchel-
morde und Vergiftungen, wie unter Ludwig XI.
in Frankreich, und unter Philipp II. in Spa-
nien; ein Professor der Theologie, von wel-
cher Confession er auch seye, darf es doch
nicht mehr wagen, von öffentlicher Canzel oder
Catheder zu behaupten: Daſs diejenige keine
Sünde begehen, welche Tyrannen, auch un-
verhörter Sachen, mit Gewalt, List, oder auf
jede andere Art aus dem Weg räumten, sogar,
wenn sie ihnen durch Eyd oder Bündniſs ver-
bunden wären; mit der Zuversicht, daſs er von
einer ganzen Kirchen-Versammlung mit einer
solchen partheyischen Schonung werde behan-
delt werden, als dem Franciskaner Petit von
dem Costnizer Concilium geschehen ist Geschichte der päbstlichen Nuntien in Deutschland, II.
Theil, S. 46. u. f..
Zwischen diese beyde academische Gelehrte
tritt nun ein Mann in die Mitte, der mit weni-
germ Pomp, aber desto mehr Laune, mit einer
unter vieljährigen Erfahrungen und Beobach-
tungen gereiften lebendigen Welt- und Men-
schen-KenntnifsMen-
schen-Kenntniſs, die Sache nimmt, wie sie in
der That ist, und den schiedsrichterlichen Aus-
spruch thut.
„Es ist wohl nicht zu läugnen„, sagt Wie-
land: Im neuen deutschen Merkur, Jul. 1792. S. 296. „Daſs der Hang zu despotisiren der
schwarze Punkt in aller Menschen Her-
zen ist; und daſs es daher im Nothfall ohne
alles Bedenken laut gesagt werden darf, daſs
alle Regierungen, von Seiner Groſs-Türkischen
und Maroccanischen Hoheit an, bis zum Magi-
strat der Reichs-Stadt Buchau, in diesem Punkt
Menschen sind, so gut, wie wir alle, und
also
also eben so gewiſs und unfehlbar noch will-
kührlicher, und so viel möglich uneingeschränk-
ter Ausdehnung ihrer Gewalt tendiren, als ein
irrdischer Cörper nach dem Mittelpunkt der Er-
de. Da dieses nun einmal und (was ich nie zu
vergessen bitte) in jeder Regierungs-Form
der Fall derjenigen ist, die sich mit Gewalt,
also um so viel mehr aller und jeder, die sich
mit einer sehr groſsen Gewalt, bekleidet sehen:
So kann es zu gar nichts helfen, sich über et-
was, das überall ist, immer war und immer
seyn wird, zu formalisiren; und den Regenten,
man schelte sie nun Böse oder Gute, ein Ver-
brechen aus dieser Erbsünde, womit die Gu-
ten eben so wohl als die Bösen behaftet sind,
zu machen; und es wäre, dächte ich, endlich
einmal Zeit, sie mit Vorwürfen über diesen
Punkt zu verschonen. „Also, weil es leider!
„(de facto) so und nicht anders ist, sollten
„wir uns etwa mit leidendem Sclaven-Sinn
„und Sclaven-Gehorsam gefallen lassen, wenn
„ein Despot für gut fände, uns das Fell über
„die Ohren zu ziehen„? Keineswegs. Aber
so arg steht es auch wahrlich nicht im lezten
Zehend des achtzehnten Jahrhunderts in Euro-
G
pa — wenigstens nicht im Christlichen. Trotz
der besagten Erbsünde, womit alle Gewaltha-
ber ohne Ausnahme, so gut wie jeder Privat-
mann in seinem kleinen Zirkelchen, mehr oder
weniger angesteckt sind, geht es, aus mancherley
bekannten Ursachen, noch immer in den meisten
europäischen Staaten, und besonders in unserm
Deutschen Vaterlande, von den groſsen Monar-
chien an biſs zu vorbesagter Reichs-Stadt Bu-
chau, verhältniſsmäſsig ganz leidlich zu. Und
mehr als eine leidliche Existenz von aussen
her ist niemand berechtiget, von diesem Le-
ben zu fordern; denn glücklich kann kein Kö-
nig, ja kein Gott uns machen, wenn wir es
selbst nicht können.„
Wenns mit wünschen gethan wäre, (und
wünschen ist doch wohl keine Reichs-Sünde);
wenns noch Gebrauch wäre, Könige und Für-
sten vor ihrer Thron- und Erb-Folge schwören
zu machen; wenn alle an den Gott glaubten,
bey dem sie schwören, und was der wenn noch
mehrere sind, so möchte ich, wenn ich mein
Scherflein auch noch dazu legen darf, wohl wün-
schen, daſs wenigstens so lange, als unsere
Könige, Fürsten und Herrn sich Christen nen-
nen lassen, vor ihrem Regierungs-Antritt das
offentliche Versprechen und Bekenntniſs von
ihnen geschehen möge, welches König Chri-
stian III. in Dännemark In der Beschreibung seiner Crön- und Salbung. in dem vor seiner
Crönung seinem Volk geschwornen Eyd mit
den herzlichen Worten abgeleget hat: „Gott
gebe Gnade, daſs ich nichts versäume; so ich
aber als ein Mensch etwas versäumen würde,
das halte mir zu gut der barmherzige Gott,
um Christus, seines lieben Sohns, unsers Herrn
willen. Wiſsentlich aber oder muthwillig
will ich, ob Gott will, nicht handeln oder
handeln lassen, wider diese meine Zusa-
ge: So wahrlich helf mir unser lieber Herr Je-
sus Christus, mit seinem Evangelio.„
Da die willkührliche Gewalt Deutscher Regen-
ten so mannigfaltig modificirt ist, zugleich aber
von Zeit zu Zeit immer mehr rafinirt und ver-
feinert wird, so müſste mann berechnen kön-
nen, wie von oben herab Despotismus und
von unten herauf Gehorsam und Kriechen
einander entgegengekommen seyen. Man irrt
vielleicht nicht, wenn man die Periode von dem
Westphälischen Frieden und von dem sogenann-
ten Jahrhundert Ludwigs des XIV. an zum Stand-
punkt davon annimmt; denn von dieser Zeit
her finden sich die hohen Selbst-Gefühle der
Fürsten, die beständigen Soldaten und die be-
ständigen Räthe, die einander treulich in die Hand
gearbeitet haben, um das moderne Souveraine-
täts-Gebäude in Theorie und Praxi zu Stand
zu bringen.
Es ist ausser dem Plan gegenwärtigen Werks,
den Beweis davon von Land zu Land und gleich-
sam Schritt vor Schritt zu verfolgen; ich muſs
mich mit allgemeinen Zügen begnügen, und
hoffe daher, auf die Nachsicht meiner Leser
rechnen zu dürfen, wenn ich ein bereits vor
mehrern Jahren von mir entworfenes Gemählde
wieder ins Angedenken bringe, das in seiner
Zeichnung, so keck sie auch manchem verwöhn-
ten Auge scheinen möchte, noch immer wahr
und sprechend erfunden werden wird: „Der
Zeitpunkt (schrieb ich bereits im Jahr 1784. In der Schrift: Ueber Regenten, Regierungen nndund Mini-
sters. S. 401. u. f.
von welchem an man den Despotismus unserer
Deutschen Fürsten datiren muſs, ist das soge-
nannte Jahrhundert Ludwigs XIV. Die Deut-
sche Herrn haben immer gern gereist; sie reis-
ten nach Rom, ins gelobte Land, an den Kai-
serlichen Hof, auf den Reichstag, auf die Für-
sten-Convente; besuchten und beschmausten
sich unter einander, wozu Leid und Freud, Lei-
chen-Begängniſse so gut als Hochzeiten, die
öftere Gelegenheit geben muſsten; trunken sich
immer mit ihren Junkern herum; und, wann
sie ihren Gast aufgezehrt und ihr mitgebrachtes
Geld alle war, zogen sie wieder heim. Lud-
wigs XIV. glänzender Hof gab den Sitten und
dem Ton seiner Zeit eine andere Stimmung:
Man fieng an, die junge Prinzen nach Frankreich
zu schicken, um Mores zu lernen; diese brach-
ten sie dann zurück, und noch mehr dazu, Lie-
be zur Verschwendung, zum Prahlen. Jeder
wollte ein Ludwig XIV. en mignature seyn;
indessen giengs, so klein oder groſs es jeder
vermochte. Der Adel, den die Reise-Sucht
nach Frankreich auch angesteckt hatte, befand
sich in seiner Meinung wohl dabey, und halfe
treulich dazu, aus seinen gnädigen Fürsten und
Herrn einen Souverain zu machen; es truge
damals noch was ein: Der Fürst muſste im Klei-
nen alle die Hof-Aemter haben, wies ein groſses
Vorbild, und sie wurden, wie billig, wohl ge-
nährt und gut bezahlt. Ludwig XIV. machte
sich diese Eitelkeit zu seinen Absichten zu Nutz;
man fieng an, Gesandte an die Herren Vet-
tern zu schicken und die gröſsere deutsche
Häuser wetteiferten drum, daſs ja jeder von
ihnen auch einen bekomme. Deutschland war
in wenig Jahren mit französischen Emissarien
wie besäet; und was wars, was sie gutes stif-
teten? Mit den täglichen Schmeicheleyen von
ihrer Gröſse und Souverainetät machten sie den
Deutschen Herrn den Kopf von falscher Hoheit
schwindlicht; um die Gröſse wenigstens in ei-
nem Perspectiv-Gemählde zu zeigen, verleite-
ten sie selbige zu übertriebenen Ausgaben, in
Erweiterung ihrer Hofstaat, im Bauen, in Nach-
ahmung des französischen Geschmacks und Mo-
den; sie hezten sie gegen ihr selbsterwähltes
gesetz- und rechtmäſsiges Oberhaupt, den Kai-
ser, auf; schaften ihnen Gespenster von besorg-
licher Unterdrückung, um ihnen das Vergnü-
gen zu machen, solche zu bekämpfen; hezten
Churfürsten gegen alte Fürsten und diese ge-
gen jene mit Rang- und Titel-Zänkereyen auf;
mit denen, die Soldaten schaffen konnten,
schloſsen sie Subsidien-Bündniſse; priesen ih-
nen ihr Recht des Kriegs und Friedens, als das
höchste Kleinod fürstlicher Glüchseligkeit an,
brachten sie in den Geschmack, zu Ehren ihrer
neuen Souverainetäts-Rechte auf alle Congres-
se, und an andere Höfe auch Gesandte zu schi-
cken. Die Fürsten-Söhne wurden allmälig in
französischen Kriegsdienst gezogen; die fürstli-
che Canzler und Räthe, die nun auch Mini-
sters zu heissen anfiengen, mit französischem
Geld gewonnen und bestochen. Die fürstliche
Kinder, denen man sonst einen guten Deutschen
Edelmann zur Aufsicht und einen Magister zum
Präceptor gegeben, bekamen allmälig lauter
französische Gouverneurs, die ihnen das:
Vous êtes un Grand Prince, von Morgen
biſs Abend so oft vorsagten, daſs es der Knabe
früh genug glaubte. Mit den Töchtern wards
ein Gleiches; mit französischen Sitten, Moden,
Lectüre und Sprache wurden auch die Grund-
sätze mit eingetröpfelt. Die Gelehrte wurden
das Echo von dem Ton des Hofs; hatten nichts
dabey zu verlieren, wohl aber zu gewinnen;
waren zum Theil durch französische Pensionen
gewonnen und fanden überhaupt sich selbst
gröſser, je gröſser sie ihren Fürsten machten.
Was wir zu viel thun, thun wir dem Herrn!
ward der Leib- und Wahl-Spruch eines jeden
Staats-Gelehrten; und so kniete immer der, des-
sen Herr eine Spanne gröſser war, dem andern
auf den Hals, und jeder schrie mit Sclaven-
Stolz dem andern entgegen: Mein Herr ist so
groſs, als der Deinige. Sonst wuſste man nur
von Fürsten-Hut und Fürsten-Stuhl; nun
hieſs es: Fürsten-Crone und Fürsten-Thron„ Eine wichtige Auctorität, mit Namen Anti-Machia-
vel, sagte vor fast einem halben Jahrhundert eben diſs
und noch mehr dazu: La plupart de petits Princes et
nommement ceux d’Allemagne se ruinent par la depense
excessive, à proportion de leurs revenns que leur fait faire
l’yvresse de leur vaine grandeur; ils s’abiment pour soute-
nir l’honneur de leur maison et ils prennent par vanité le
chemin de la misére et de l hôpital; il n’y a pas jusqu’au
Cadet du Cadet d’une ligne appanagée, qui ne s’imagine
d’être quelque chose de semblable à Louis XIV. il batit
son VersailiesVersailles, il a ses maitresses, il entretient ses armées..
Um sich zu helfen und zu rathen, sind nur
wenige, die biſs auf die Quellen des Unheils,
biſs auf die Ueberspannung und Verderbniſs der
Grundsätze zurückgehen; die sich groſs, glück-
lich, reich, mächtig, geehrt genug halten,
freye Deutsche Fürsten, Stände eines mächti-
gen Reichs, Väter, Regenten, Hirten, Engel
Gottes vor ihr kleines oder gröſseres Volk zu
seyn; Souverains zu seyn, ohne Monarchen
vorstellen zu wollen. Der Hang zum Despo-
tismus haftet nun schon im Blut, und hat sich
mit dessen ganzen Masse, mit der ganzen Den-
kungs-Art der Höfe, Ministerien und Dienerschaft
zu innig vereinigt, um so bald, vielleicht je-
mals, allgemeine Rückkehr zur glücklichen Mit-
telstraſse verhoffen zu dürfen. Mangel, Elend,
Schulden, Kriegsplagen und andere Nöthen ha-
ben bey manchen, gegen ihren Willen, ein
non plus ultra gesteckt, die sich dann begnü-
gen müssen, die Faust nur im Sack zu machen,
und in ihren vier Wänden sich anbeten und
beräuchern zu lassen.
So viel von den Franzosen. Ihr Geist spuckt
noch in Deutschland, doch noch weit mehr an
kleinen Höfen, als an groſsen. Das Gespenst
mit der Trommel, das im Jahr 1713. auf Deut-
schem Boden erschiene, hat ihn, seit Ludwigs
XIV. im Jahr 1715. erfolgten Tod, vollends
verscheucht. Die Deutsche Fürsten und Herrn
haben von jeher dem Krieg nachgezogen; gabs
keinen im Reich, so suchten sie ihn auswärts.
Es ist keine groſse oder kleine Macht in Euro-
pa, die unter ihren Kriegern nicht Deutsche
Herrn und Männer zu zählen hat. Der Unter-
schied zwischen der Vorzeit und unsern Tagen
bestand aber nicht nur darinn, daſs man in Frie-
denszeiten von den jetzigen ungeheuren ste-
henden Heeren nichts wuſste, mithin vor den
hohen und niedern Adel weniger Gelegenheit
war, in Kriegsdiensten angestellt zu werden,
sondern weil der Kriegs-Stand und Civil-
Stand so scharf von einander abgeschnitten
waren, daſs dieser leztere den Soldaten-Stand
tief unter sich und nur als ein nothwendiges
Uebel betrachtete, weit entfernt, ihn über sich
erhaben, geschweige als den eigentlichen Stand
der Ehre zu achten. Die Fürsten, wenn sie
auch in jüngern Jahren dienten, hatten ehedem
selbst den Glauben, daſs es unvereinbarlich
und eine Art von Miſsstand seye, noch länger
dem Kriegs-Stand sich zu wiedmen, sobald
sie zur Regierung von Land und Leuten gelang-
ten; sie beschieden sich von selbst, daſs sich
ein Collegium nicht wie ein Regiment Soldaten
commandiren, und das geschwind denken und
rathen nicht wie das geschwind laden und schies-
sen befehlen lasse. Ohngeachtet sie sich alle
im Harnisch, Helm und Commando-Stab mah-
len lieſsen, und diese Grimasse von ihren ade-
lichen Hof- und Staats-Dienern, als Unter-
scheidungs-Zeichen ihrer Geburt und Standes,
nachgeahmt wurde, so schämten sich deſswegen
die Herrn nicht, ihre Canzleyen in Selbst-Per-
son zu besuchen; der Canzler war in ihren
Rang-Ordnungen noch immer der erste Mann an
Hof; die Generals folgten erst auf die würkli-
che Geheime Räthe, die Obristen nach den
Hofräthen u. s. w. Man sehe hievon die viele Rangordnungen dieser Zeit
von den Chur- und Fürstlich-Sächsischen Häusern, von
Würtemberg, Braunschweig etc. in dem I. Band mei-
nes Deutschen Hofrechts., und das Militair trug
vom Feldmarschal an bis zum Fähndrich, so
gut wie der Hofmann und Bürger, Allonge-
Perrücken.
Diſs hat sich seit der Regierung der gewalti-
gen Despoten, Friedrich Wilhelms I. Königs
in Preussen und seines noch gröſsern Nachfol-
gers, Friedrichs II. so vollständig geändert,
daſs man Grund und Boden von Alt-Deutsch-
land in seiner Urverfassung und Regierungs-
Art meistens nur noch aus Tradition, und aus
Büchern kennt. Der Soldaten-Geist ist von
Berlin aus in alle Deutsche Lande ausgegan-
gen und hat sich, wo und so viel er konnte,
aller Köpfe und Cabinete bemächtigt. Seit die-
ser Epoque ist der Soldaten-Stand der eigent-
liche Stand der Ehre; seit dieser Zeit halten
sichs unsere Fürsten, selbst die regierende,
selbst die, welche ein eigenes zahlreiches Mi-
litär haben, zur Ehre, Königen zu dienen;
seit dem geht die ganze Fürsten-Welt in Uni-
form und bewirbt sich, wenn sichs nicht anders
thun will, wenigstens um militarische Titel.
Jeder sucht, um es mit wenig Worten zusam-
menzufassen, sein groſses Vorbild wenigstens
dadurch zu erreichen, daſs er so willkührlich
regiert, als er nach dem Maaſs seiner Kräfte
darf; so viele Soldaten hält, als er kann, und
mit deren Hülfe von seinen Dienern und Un-
terthanen denjenigen blinden und unbeschränk-
ten Gehorsam verlangt, welcher das Wahr-
zeichen jeder militarischen Regierung, und,
im Ganzen genommen, der Ton und Geist un-
serer Zeit ist.
Schluſs uudund Resultat von allem diesem auf
die Erzieh- und Bildung unserer Königs- und
Fürsten-Söhne giebt sich von selbsten. Sie
treten, jeder nach dem durch seine Geburt be-
reits habenden Beruf und Bestimmung, oder
nach einer eigenen Wahl und Neigung oder
aus Noth in die Fuſsstapfen ihrer Väter und
Brüder, in den Geist ihrer Zeit mit ein. Der
erste Rock, den sie nach zurückgelegten Kin-
der-Jahren bekommen, ist eine Uniform; sie
lernen noch eher und lieber exerciren, als le-
sen und schreiben; sie lernen von der Wiege
an den vorzüglich also genannten Dienst; sie
lernen eine Weile gehorchen, aber noch immer
allzufrüh befehlen; und dieses Commandieren
und Befehlen vereinigt sich so innig mit ihrer
ganzen Denkungsart, daſs es ihnen zur andern
Natur wird, und sie sich, wenn sie auch durch
Geburts-Rechte zur würklichen Regierung von
Land und Leuten kommen, diese gebietende,
keine Einwendungen und Vorstellung leidende,
Handels-Weise, auch in Geschäften und Din-
gen des bürgerlichen Lebens, nur mit Mühe,
gemeiniglich aber gar nicht, wieder abgewöh-
nen können.
Vergleichungen zwischen den nächstvorher-
gehenden Jabrhunderten und unsern Tagen las-
sen sich gar nicht anstellen. Die ritterliche Er-
ziehung des vierzehnten, funfzehnten und der
ersten Helfte des sechszehnten Jahrhunderts,
die Turniere und andere Ritter-Spiele damaliger
Zeiten; paſsen auf unsere jetzige so wenig,
als ihre körperliche Kräfte, Rüstung und Waf-
fen. Die Söhne Deutscher Fürsten, die nicht
dem Krieg nachzogen oder sonst auf Aben-
theuer ausgiengen, jagten in ihren Wäldern,
trieben Buben-Streiche zu Haus, oder besuch-
ten andere Fürsten, wurden ihnen auch wohl
von ihren eigenen Eltern zugeschickt, wenn
sie daheim nicht mehr gut thun wollten S. davon die trauliche Correspondenz zwischen Herzog
Christophen zn Würtemberg, und Landgrafen Philipp
zu Hessen, vom Jahr 1560. in dem Patriot. Archiv
IX. B. S. 119..
Ihre Erziehung und Unterricht war bey den
Catholischen in den Händen von Mönchen und
Jesuiten, bey Protestanten in denen eines Ma-
gisters, Doctors oder eines andern Gelehrten,
von deren Talenten und Lehr-Methoden man
noch aus den Instructionen urtheilen kann, die
biſs auf unsere Zeiten gekommen sind Ebendaselbst im IV. B. S. 209. u. f..
Ein Glück wars, wenn dem lateinischen Prä-
ceptor noch ein biederer und weltkundiger Deut-
scher Edelmann beygesellet wurde. Von dem
Anfang an des verwichenen Jahrhunderts biſs
über dessen Mitte hinaus findet sich zwar bey
Erziehung und Unterricht deutscher Prinzen
mehrere wissenschaftliche Kenntniſs, aber auch
ein so sonderbares Gemisch von Jtaliänischer,
Spanischer und Französischer Cortezza und Le-
bensart, daſs, wenn man die Schenk-Tische,
Pocale und Hofnarren nicht mit zu Hülf nähme
und sich der Sauf-Operationen an dem berühm-
ten Faſs zu Heidelberg erinnerte, man Mühe
haben würde, den eigenthümlichen Deutschen
National-Geist herauszufinden. Ein halbes Jahr-
hundert weiterhin wurden unsere Fürsten und
ihre Kinder mit französischer Sprache, Künsten,
Sitten, Moden, Lehr- und Hofmeistern bekann-
ter und vertrauter; man tauschte diese leztere
allmälig gegen Französische Schweizer um; zu
unsern Tagen wurden auch diese immer meh-
rers ausgemustert und ihre Stellen mit Deut-
schen Männern besetzt, und nun ists so, wie
wirs, ohne weitern Commentar, mit eigenen
Augen sehen können.
Doch nicht überall, weder vor jezt und hof-
fentlich auch fürs künftige.
In der auf ein überdachtes Militar-System ge-
gründeten und ihre Consistenz, Lebenskraft und
Dauer einzig daher ziehenden preussischen Re-
gierung ist es nun einmal grundgesez- und
hausverfassungs-mäſsig: Die Prinzen müssen
dienen; das Vaterland, genannt der Staat, for-
dert diſs von ihnen; der ganze Volks-Geist ist
schon daran gewöhnt, und darauf gestimmt,
seine Könige und Prinzen an den Heeres-Spi-
tzen und nie anders als in kriegerischer Klei-
dung und anfauf dem Parade-Platz zu sehen. Die
Söhne dieses hohen Hauses wissens selbst nicht
anders, und ihre ganze Erziehung und Unter-
richt hat schon von vornen her das Gepräge
dieser königlichen Kunst; jedoch in einer so
glücklichen Mischung, daſs das rauhe, despo-
tische und pünktliche des sogenannten Diensts
durch persönliche Höflichkeit, Leutseligkeit,
sanfte Sitten und Bonhommie der preussischen
Prinzen gemildert und durch eine kluge Wahl
ihrer Hof- und Lehrmeister auch vor die Berei-
cherung und Ausschmückung ihres Verstandes
mit andern dann blos militarischen Kenntnissen
gesorget wird. Die genaue preussische Staats-
Oeconomie befiehlt ihnen zugleich Einsicht und
Ordnung in ihrer besondern Haushaltung, und
es gereicht ihnen und den preussischen Gene-
rals und Adel zum verdienten Ruhm, daſs sie
neben ihrer Wissenschaft des Diensts auch
noch solche Kenntnisse von der groſsen und
kleinen Staats- und Landwirthschaft besitzen,
die man, andere Belesenheit und moralische
Tugen-
den nicht einmahl dazu gerechnet, in andern
Reichen und Staaten bey dem Soldaten-Stand
vergeblich suchen würde. Ein preussischer
Prinz kann, zu seinem Vergnügen, auch sein
Landgut, sein Rheinsberg, sein Friederichsfel-
de haben, und es nach seinem Geschmack und
Phantasie ausschmücken; er kann aber nicht,
wie ein Graf von Artois, Herzog von Orleans,
Prinz von Rohan-Guimene, Tonnen Goldes
an einem Abend verspielen, nicht Milionen un-
bezahlbarer Schulden machen u. s. w. Hinge-
gen ist man auch im preussischen Staat vor
französischen General-Pächtern und Volks-Auf-
ruhr gesichert.
In den östreichischen Staaten hat man das
grofse preussische Modell seit Kaiser Joseph II.
wie in vielen andern, so auch in Hinsicht der
Prinzen des Hauses, nachgeahmt. Schon bey
Lebzeiten der Kaiserin Maria Theresia hatten
zwar ihre Söhne, Enkel und Schwieger-Söh-
ne, militarische Charakter als Feldmarschälle,
Generals und Obristen; sie hatten nach ihren
Namen benannte Regimenter und trugen deren
Uniform; sie hatten, neben ihren Lehrern, mili-
tarische Hofmeister; eigentlich waren aber die
H
Prinzen nur Titulados, und die besitzende Re-
gimenter ein kleiner Beytrag zu ihrer übrigen
Appanage. Eigentlich fieng Joseph II. an,
Schein in That zu verwandeln. Er war der
erste Kaiser seit Jahrhunderten in Uniform Noch unter Kaiser Franz I. war bey groſsen Hof-Fe-
sten und Reichs-Thron-Belehnungen die spanische
Mantelkleidung in Gebrauch. Ich war im Jahr 1765.
als Hessen-Casselischer Gesandter in Wien gegenwär-
tig, als Joseph die erste Thron-Belehnung in der grün
und rothen Uniform seines Regiments leichter Reuterey
ertheilte; und da er aus seinem Cabinet heraustrat,
in der ihm gewöhnlichen Laune die Worte sprach:
„Mein Ober-Hofmeister (Graf von Uhlefeld) wird in
Ohnmacht fallen, wenn er mich in Uniform die Lehen
ertheilen sieht„. Zum Glück vor den Kaiser war in
seiner Wahl-Capitulation über diesen wichtigen Punct
nichts bedungen worden und sein Beyspiel hat es nun
zum Reichs-Herkommen gemacht.,
er war seit Jahrhunderten der erste Feldherr an
der Spitze seines eigenen Kriegsheers, seine ei-
gene Brüder und Vettern so viel ihrer nach den
Jahren und sonstigen Verhältnissen konnten
muſsten dienen; und so wirds auch jezt unter
seinem Thronfolger und Neffen, K. Franz II.
wieder gehen, ohngeachtet der friedfertige K.
Leopold II. in der kurzen Zwischenzeit seiner
Regierung seinen ältesten Prinzen, unsern je-
zigen Kaiser, zum Conferenz-Minister und die
zween nachfolgende zu Hofräthen ernannt hatS. Patriot. Archiv für Deutschland, XII. B. S. 460..
Was zum verdienten Lob der Preussischen Prin-
zen in Ansehung ihrer Kenntnisse und persön-
lichen Tugenden gesagt worden, kann mit vol-
ler Wahrheit und Ueberzeugung auch von den
Oesterreichischen wiederholt werden, und dür-
fen beyde andern Deutschen Fürsten als leuch-
tende Beyspiele der Nachahmung angepriesen
werden.
Unter unsern, wenigstens dem Namen und
Kleidung nach, geistlichen Chur- und Fürsten
hat das jetzige Jahrhundert keinen Christoph
von Sötern, keinen Bernhard von Gahlen mehr,
und ihr unterhaltendes mäſsiges Militare ist
mehr zur Parade und innerm Landes-Schutz,
als zu offensivem Gebrauch; auch bey den welt-
lichen Fürsten schränkt sich das würkliche Die-
nen je länger je mehr nur auf die nachgebohr-
ne Brüder und Söhne der regierenden Herrn
ein, wenn man anders die von diesen bey den
Reichs-Kraisen habende Regimenter und führen-
de militarische Titel ihnen als Dienst anrech-
nen darf.
Unter den alten Fürsten-Häusern zeichnen
sich vornehmlich Hessen, Braunschweig, Wür-
temberg, ehedem Anhalt aus, wo das Dienen
von Vater auf die Söhne, Brüder und den gan-
zen Stamm erblich und zu einem Familien-Her-
kommen geworden. Die Diener und Untertha-
nen solcher Herrn, deren Eltern und sie selbst
schon seit 40. bis 50. Jahren den preussischen
Dienst gewohnt waren, können aus Erfahrung
davon sprechen, wie viel von dem Geist der
preussischen Regierung in sie übergegangen,
und man bedarf nicht einmahl einer Landcharte,
um bei der Reise aus einer solchen Provinz in
die andern, an Miene, Ton und Melodie von
Dienern und Unterthanen den Unterschied zu
bemerken: Ob ein Soldaten-Fürst oder ein
Friedens-Fürst das Land behersche?
Doch genug, wo nicht zu viel, über einen
Gegenstand, wo Zeit und Erfahrung, mehr als
alle Wünsche und Declamationen, belehren wird
und belehren muſs Wie lange auch diese Pe-
riode dauern werde und dauern könne? Und
ob nicht während derselben noch mancher Fürst
das Attestat verdienen würde, womit die vor-
trefliche Churfürstin Sophia zu Hannover, nach
ihrem bey dem Czaar Peter dem Groſsen, im
Jahr 1697. abgestatteten Besuch, diesen fürch-
terlichen Mann geschildert hat: S. Götting. histor. Magazin II. Band, S. 100. „Er ist ein
recht guter Herr und sehr bös dabey, wie es
in seinem Land gebräuchlich ist. Wenn er
wohl erzogen wäre würde er recht perfect
seyn, denn er hat viele gute Qualitäten und
Verstand.„
Ein Fürst mag aber gedient haben und noch
dienen oder nicht, so bleibt ein anderer eben so
betrachtungswürdiger Umstand dieser: Daſs vor
jedes Königs- und Fürsten-Haus, vor die Ver-
waltung jedes groſsen oder kleinen Staats, und
vor ihre Diener und Unterthanen durchaus nicht
gleichgültig bleibt, in welchem Alter ein Herr
zur Regierung seiner ererbten Lande gelange?
Es ist überhaupt schon hundert- und tausend-
mahl gesagt und geschrieben worden: Daſs die
Fürsten unstreitig besser regieren würden, wenn
sie niemals zu Fürsten wären erzogen worden;
es giebt Fälle, wo man einem geistreichen Mann
mit gleich trauriger Ueberzeugung das Wort Im deutschen Museum II. Band, S. 90.
nachsprechen kann: „Ich möchte weinen, so
oft ich einen jungen Prinzen sehe, das sind
wahre Sacrifize der Societät; man thut alles,
Dummköpfe oder Bösewichter aus den armen
Kindern zu machen„. Es giebt Fälle, wo man
dem Dichter vor und an der Wiege eines Prin-
zen mit schwerem Herzen nachsingen kann:
Dein Lehrer, stolz auf seinen hohen Rang
Zu ziehen eines groſsen Fürsten Sohn,
Wird deiner ersten Schmeichler einer seyn.
Es ist eine alte und traurige Wahrheit, die
der Graf Bar sagte: Epitres diverses.
Ne soyons point surpris, qu’un Grand, que cha-
cun flatte,
Que chacuuchacun veut gâter, en peu de tems se gâte; —
Le peuple concoit, qu’un Mortel couronné,
De lâches seducteurs souvent environné,
N’a point reçu du Ciel, parmi ses priviléges
Le desirable don d’éviter tous les piéges;
Que plus le Souverain est débonnaire et doux,
Et plus il est en butte aux trapes des filoux.
Da es aber mit der Erziehung nun einmal so
ist, wie es bisher gewesen und noch nach uns
bleiben wird; da um frommer und gerechter
Wünsche willen die Reichs-Canzley sich auch
fürs künftige nicht enthalten wird, auf erbet-
telte oder erlogene Attestaten, die sogenannte
Veniam ætatis einem noch so unreifen und
ungezogenen Fürsten-Sohn zu geben, so bleibt
es doch immer für jedes Reich oder Land ein
bedaurenswerter Fall, wenn die schwere Strafe
über ihm zutrift, welche Gott bereits den Is-
raeliten durch die Propheten Jesaias III, 4. angedrohet
hat: „Ich will ihnen Jünglinge zu Fürsten ge-
ben, und Kindische sollen über sie herrschen.„
So gelind diese Drohung scheint, so bedeutend
ist sie in ihren Folgen. Schon in einer Privat-
Familie ist es ein gewisser Vorbote ihres Ruins,
wenn ein ehrlich und mühsam erworbenes Ver-
mögen in die Hände eines leichtsinnigen Ver-
schwenders kommt, der unbekümmert, wie
lange es währen könne, drauf loshaust, so lan-
ge was da ist. Dieses möchte aber noch im-
mer das geringere Unglück seyn; denn durch
Schaden wird man, wenigstens zuweilen, klug.
Wenn aber ein Reich oder Land das harte Schick-
sal trift, daſs auf einen Salomo ein Rehabeam
folgt, von dem die Geschichte I. Könige XII, 6 — 13. erzählt, daſs
er den weisen Rath der alten Räthe seines Va-
ters verlassen, und durch die mit ihm aufge-
wachsene junge Leute sich zu dem unvernünf-
tigen Rath verleiten lassen, dem Volk zu ant-
worten: Mein Vater hat auf euch ein schwer
Joch geladen, ich aber wills noch mehr über
euch machen; mein Vater hat euch mit Peit-
schen gezüchtiget, ich will euch mit Scorpio-
nen züchtigen; so ist zwar heut zu Tag durch
die zum Gebot eines solchen Herrn stehende
Legionen dafür gesorgt, daſs es nicht so leicht
und so bald zum Abfall ganzer Reiche und
Länder kommen kann; der stille Druck eines
Landes durch heillose Rathgeber, niedrige
Schmeichler und gefällige Augendiener ist aber
nur um so gewisser. Kommt vollends dazu,
daſs ein solcher Herr mit seinem Leben und
Handlungen Verführer seines eigenen Volks
wird und dessen bessern Character vergiftet,
so ist auf Menschen-Alter hinaus das Verder-
ben vollkommen.
Mit Beystimmung der Erfahrung aller Zeiten,
darf man laut und getrost sagen: Daſs es vor
jedes Reich und Land immer ein höchst seltner
Fall ist, daſs es glücklich geräth, wenn ein
Herr in frühen Jahren, bey einem noch unaus-
gebildeten Verstand und uubefestigtenunbefestigten Charac-
ter, zur Regierung seiner Lande kommt. Das
berühmte Quinquennium Neronis ist noch
immer ein schreckendes Beyspiel, nur daſs es
bey vielen nicht einmal so lange hält. Mit
gutem Gewissen darf man daher jedem jungen
Fürsten das Compliment machen, womit der
fromme und vortrefliche Erz-Bischof Fenelon Personne ne sonhaite plus, que moi, Monseigneur, que
vous soiés un très grand nombre d’années loin des périls
inséparahles de la roiauté. — Je le sonhaite pour le bien
de l’état. Je le souhaite pour le vôtre mêmê; car un des
plus grands malheurs, qui vous pût arriver, seroit, d’être
Maitre des autres dans un age, où vous l’êtes encore si
peu de vous-même. Directions pour la conscien-
ce d’un Roi, par Fenelon, p. 2.
den ihm anvertrauten jungen Herzog von Bur-
gund, Enkel Ludwigs XIV. anzureden den
Muth und die Rechtschaffenheit hatte, ihm zu
wünschen: Daſs er noch lange Jahre Cron-
Prinz bleiben möge.
Unter so viele Gebrechen unserer alten bau-
fälligen deutschen Reichs-Verfassung ist da-
her allerdings auch der durch die güldene Bulle
bey den Churfürsten und durch kaiserliche Pri-
vilegien bey andern fürstlichen Häusern einge-
schlichene Miſsbrauch zu rechnen, vermöge
dessen junge Fürsten schon im sechszehnten
und achtzehnten Jahr ihres Alters für volljäh-
rig und zu Antretung ihrer Landes-Regierung
fähig gehalten werden; und noch ärgerlicher
und folgevoller ist, wenn der Abgang dieser
Volljährigkeit, nach der Rechnung der gemei-
nen Rechte im 21. und 25. Jahr, mittelst Er-
theilung der sobenannten Veniæ ætatis, fürs
Geld aus der Reichs-Canzley verkauft, und
ein Zeugniſs von angebohrnen und durch eine
stattliche Erziehung frühzeitig reifgewordenen
fürstlichen Tugenden zusammengelogen wird,
wovon sich leider! in der That selbst nur all-
zuoft das gerade Gegentheil befindet, und aus
dieser Venia ætatis erst eine Venia peccan-
di, eine um so zügellosere Freyheit, Jugend-
Streiche zu begehen, gemacht wird. Alles
Raisonniren über ein nun mehrere Jahrhundert
bestehendes Reichs-Gesetz ist freylich verge-
bens; vor dem Richterstuhl der Vernunft läfst
sichs aber schwer begreifen, wie ein Jüngling
von sechszehn Jahren den Verstand, Land und
Leute zu regieren, haben könne; und eher lieſs
sich noch glauben, daſs ein König in Frankreich
durch bloſse Berührung Kröpfe curiren, als
daſs ein Kaiser durch ein bloſses Machtwort
Regierungs-Weisheit inoculiren könne.
Wenn es noch Sitte wäre, Königs- und Für-
sten-Söhne in der Geschichte ihres Hauses so
pragmatisch zu unterrichten, daſs ihnen zu-
gleich Leben und Thaten ihrer Vorfahren in
ihren persönlichen Tugenden und Lastern, die
rühmliche und schädliche Seite ihrer ganzen
Regierung und Landes-Verwaltung spiegel-
mäſsig vor Augen gestellt, und mit herzgreifen-
den Anmerkungen begleitet würden, dann
möchte ein solcher Unterricht etwa hie und da
noch ein heilsames Antidot gegen die einen jun-
gen Fürsten umgebende Verführer und Schmeich-
ler seyn. Welcher Held von Mann müſste es
aber seyn, dem man nur einmal den Antrag
thun dürfte, eine solche Biographie zu entwer-
fen? Gewiſs keinem besoldeten Historiogra-
phen, keinem kriechenden Lob-Lügner. — Und
wer soll eine Haus-Geschichte dieser Art ver-
langen? Der bessere Sohn, der sichs zur Reli-
gion macht, die Thorheiten und Schwachheiten
seines Vaters lieber zu verbergen, als ihn ver-
meintlich noch unter der Erde zu beschimpfen?
Der schlechtere Enkel, der in der rühmlichern
Regierungs-Geschichte seines Vaters sein ei-
genes Urtheil zu lesen bekäme.
Doch die Richterin der Fürsten, die Ge-
schichte, weiſs auch noch auf mannigfaltige an-
dere Weise die Rechte der Wahrheit zu retten
und zu behaupten. Einstweilen wünsche ich,
daſs der in einer Monarchie geschriebene, in der
absolutesten Monarchie ins Russische übersezte
unsterbliche Belisaire des groſsen Fürsten- und
Menschen-Kenners Marmontel allen Deutschen
Fürsten-Söhnen als ein classisches Werk in die
Hand gegeben, und mit Anwendungen auf die
Deutsche allgemeine und ihres eigenen Hauses
Geschichte erklärt werden möchte. Sollte es
aber noch allgemeinere Sitte unter uns werden,
daſs Deutsche Bücher auch von Prinzen gele-
sen und beherziget werden, so möchte ich dem
vortreflichen Belisaire, die in ihrer Art eben
so lehrreiche und schätzbare Schriften: Hallos
glücklicher Abend, und: Theodor, oder
über die Bildung der Fürsten-Söhne zu
Fürsten, zu würdigen Gesellschaftern wünschen.
Zum Beschluſs dieser Betrachtungen nur noch
einige Worte von dem Einfluſs der Gelehrten
in die Lehre vom Gehorsam zu sagen, so sind
es die Universitäts-Lehrer, und die in ih-
rer Schule gebildete Staatsmänner, und (zum
Unterschied von andern ehrlichen Leuten heut
zu Tage sobenannte) Hof-Publicisten haupt-
sächlich, welche seit Anfang des jetzigen Jahr-
hunderts den verfeinerten Despotismus in recht-
liche Kunstform gebracht, und das Heer von
Nachbetern in so vielen Deutschen Provinzen
gezogen haben, die unaufhörlich ihr Crescendo
singen, und je einer den andern in Lobpreisen
und Ausdehnung der Fürsten-Rechte zu über-
treffen und zu überschreyen sucht.
Der ältern Schreyer zur Zeit des dreyſsigjäh-
rigen Kriegs und der groſsen Erbitterung eines
Monzambano, Hyppoliti a Lapide etc. nicht
zu gedenken, kann man ohne Ungerechtigkeit
behaupten, daſs die preussische Staats-Rechts-
Lehrer, Cocceji, Thomasius, und besonders
der sich selbst uni Deo unique Regi fidissi-
mus Senex nennende Hallische Canzler von
Ludewig, mit ihren Schülern den Grund dazu
gelegt haben und als die Meister vom Stuhl dieser
politischen Freymaurerey zu betrachten sind.
Einzele gesetzmäſsig denkende Männer stell-
ten sich von Zeit zu Zeit mit mehr oder we-
nigerm Glück jenen Usurpatoren entgegen und
die hohe Schule zu Göttingen zeichnete sich
in den ersten Jahren ihrer Gründung durch Leh-
rer aus, die man patriotische Heilige nen-
nen möchte; auch diese Zeiten sind längstens
vorbey, und die Universitäts-Politik wird nie
mehr gestatten, daſs ein zweyter Treuer ein
zweytes Monstrum arbitrariœ Superiori-
tatis territorialis aufstelle, wozu er so rei-
chen Stoff vor und um sich finden würde. Vor
dem Thor draussen sind aber auch Leute; und
wenn alle die, so reden sollten, nicht mehr
reden können, wollen oder dürfen, so werden
die Steine schreyen. Zum Glück der Wahrheit
und unsers Vaterlands fehlt es aber nicht an ei-
ner biſs auf unsere Zeiten reichenden Zeugen-
Wolke, die mit Muth, Kraft, Weisheit und Ein-
sicht sich der guten Sache Deutscher Mensch-
heit angenommen, die Regenten mit Nachdruck
ihrer Pflicht erinnert, durch Lehre und Beyspiel
den Lügen- und Verführungs-Kräften des De-
spotismus entgegen-gestanden und gearbeitet,
und diesen ihren Glauben und Ueberzeugung
mit williger Aufopferung ihres zeitlichen soge-
nannten Glücks versiegelt haben.
Soll man redlich sagen, wie die Sache ist, so
muſs man gestehen: Es geht im Staats-Recht
und Staats-Kunst just so, wie in der Religion.
Diese hat ihre aufrichtige Forscher und Beken-
ner, aber auch vorsetzliche Zweifler, muthwil-
lige Spötter, heillose Verführer und Lästerer
von Profession. Eben so haben wir politische
Altglaubige, Staats-Pietisten möchte man
sie nennen; aber auch politische Freygeister,
Staats-Heuchler und Giftmischer anderer Seits.
Gleichwohl ist die reinere, gewissenhaftere,
gesetzmäſsigere und dem wahren Verhältniſs
zwischen Herrn und Land angemessenere Dog-
matick älterer Publicisten und patriotischer
Staatsmänner deſswegen noch keineswegs ver-
tilgt und vergessen. Noch in unsern Tagen ist
eines Seckendorf mehr als 140. jähriger Chri-
sten und Fürsten-Staat, seiner rauhen Schaale
ohngeachtet, in unverleztem Andenken, und
wird auch bey unsern Nachkommen noch ein
canonisch-patriotisches Werk bleiben, wenn
manche zu ihrer Zeit gepriesene und beklatschte
Deutsche und lateinische Compendia und Ele-
menta juris publici von dem Strom der Ver-
gessenheit längst verschlungen seyn werden.
Es lieſs sich hier wohl noch ein und anders
sagen: Wie viel das Theater zum Sclaven-Sinn
eines Volks, zum Erschlaffen dessen National-
Characters, zum blinden Gehorsam beygetragen
habe. Da ich aber mit dem Schauspiel über-
haupt und dessen Lectüre zu wenig bekannt
bin, so begnüge ich mich mit der einigen Be-
merkung: Daſs ich nie ohne innere Indignation
ansehen können, wenn in sogenannten Ge-
sellschafts-Theatern, Männer, die durch ihr
Amt, durch ihren Stand oder durch ihre Jahre
Ehrerbietung und Achtung von andern fordern
und erwarten können, zu Rollen sich erniedri-
gen können, wodurch sie sich in den Augen
der Zuschauer unvermeidlich lächerlich und
verächtlich machen, und den Gedanken erwe-
cken muſsten: Daſs dem, der sich selbst und
freywillig so herabwürdigen mag, ohne Beden-
ken andere unehrbare Zumuthungen von wich-
tigern Folgen geschehen können.