Roͤmiſche Geſchichte
von
B. G. Niebuhr .
Zweyter Theil .
Mit einer Charte .
Berlin ,
in der Realſchulbuchhandlung ,
1812 .
Vorrede .
D ie Geſchichte des anderthalbhundertjaͤhrigen
Kampfs zwiſchen Patriciern und Plebejern , aus
dem zuerſt in den zwoͤlf Tafeln gleiches buͤrgerliches
Recht , dann eine gleiche Theilung der hoͤchſten Ge-
walt hervorging ; die der allmaͤhlichen Ausbildung
der Verfaſſung waͤhrend dieſes Zeitraums , und
Unterſuchungen uͤber wichtige Theile des roͤmiſchen
Staatsrechts , woruͤber meiſtens ganz falſche , we-
nigſtens verworrene Vorſtellungen angenommen ſind ,
machen in einem ungleich uͤberwiegenden Verhaͤltniß ,
im Umfang wie in der Wichtigkeit , den bedeutende-
ren Inhalt des gegenwaͤrtigen Bandes aus .
Bey dem roͤmiſchen Geſchichtſchreiber herrſcht
ein ganz anderes Verhaͤltniß zwiſchen dieſem Theil
der Geſchichte und dem der Kriege , und eben ſo ver-
ſchieden von den meinigen ſind die Anſichten nach de-
nen ſeine Darſtellungen gefaßt ſind . Jene Verſchie-
denheit des Ebenmaaßes entſchuldige ich nicht : je-
der muß ſie billigen der in jedem Zeitraum das eigen-
thuͤmlich Wichtigſte , nicht in allen nur eine einzige
Art der Gegenſtaͤnde ſucht , und einraͤumt daß die
Unterſuchungen nicht entbehrlich ſind : uͤber die
zweyte habe ich mich wiederhohlt im Lauf der Ab-
handlung gerechtfertigt , und muß es dennoch nicht
fuͤr uͤberfluͤſſig halten auch hier an ihrem Eingange
einige Worte fuͤr den ernſten und berufenen Mitfor-
ſcher zu ſagen .
Es waͤre um die Geſchichte gethan , und ein ſonſt
großer Geſchichtſchreiber , der nicht zugleich das un-
beſtochene Gemuͤth und den tiefdringenden Blick des
Thukydides und Polybius haͤtte , waͤre ein wahrer
Unheilbringer fuͤr das Andenken der vergangenen
Zeiten , wenn ſeine Anſicht den nachfolgenden Ge-
ſchlechtern Geſetze vorſchreiben duͤrfte . Die freye
und immer rege Pruͤfung die allen Wiſſenſchaften
allein das Leben erhalten kann , darf der Geſchichte
nicht fehlen . Unter dem Druck eines gegenwaͤrtigen
Uebels , wie im Rauſch des Factionsgeiſtes , ver-
breiten ſich oft hoͤchſt ungerechte Urtheile , und be-
maͤchtigen ſich auch ſehr tuͤchtiger Geiſter . Nicht zu
reden von den Knechten der Mode und der Luͤge , un-
behuͤlflichen litterariſchen Gauklern und Springern ,
wie ſtark auch dies Unkraut in Deutſchland wuchert .
Wenn aber unter jenen Maͤnnern , die wir ehren ,
einzelne die paͤbſtliche Hierarchie lobpreiſen , Luther
und Guſtav Adolph ſchmaͤhen , werden wir uns irre
machen laſſen , und nicht mit der Wahrheit des Geſche-
henen ihr Urtheil von unſerm Gemuͤth abwenden ?
Ueber den Rhetor Dionyſius als kritiſchen oder
urtheilenden Hiſtoriker zu reden lohnt es der Muͤhe
gar nicht . Livius als Autoritaͤt der Anſicht darf ich
ſchon wegen der Inconſequenz und der Widerſpruͤche
verwerfen , welche in dieſer Geſchichte ſo oft ge-
ruͤgt ſind .
Fuͤr aͤcht kann in der aͤlteren Geſchichte Roms
nur der kuͤrzeſte Begriff der Vorfaͤlle ſelbſt gelten :
jede Ausfuͤhrlichkeit iſt verdaͤchtig : die beurtheilende
Erzaͤhlung das Werk einer ſpaͤten , dem Alterthum
ganz fremd gewordenen Zeit . Und wie fremd ! Sal-
luſt iſt im Urtheil und im Verſtaͤndniß der Geſchichte
ohne Vergleich uͤber Livius , wie wenig aber auch
er nur einen Begriff davon hatte worin die innere
Geſchichte der alten Zeit von der des Jahrhunderts
ſeiner Vaͤter und ſeiner Jugend verſchieden und gar
nicht mit ihr zu vergleichen war , muß jedem klar
werden der ihn aufmerkſam ließt . Wie Livius durch
die Taͤuſchung gleichlautender Worte die mit den
Jahrhunderten einen ganz andern Sinn angenom-
men hatten und den Zauber der Factionsnahmen
irre geleitet ward , erklaͤrt ſich ſo ſehr leicht .
In der neueren Geſchichte iſt es nicht ſchwer ,
unſer Urtheil unabhaͤngig zu halten : gleichzeitige
Zeugen reden noch mit tauſend Zungen , jedem ver-
nehmlich der ſie hoͤren will . In der griechiſchen hat
nur Xenophon verfaͤlſcht . Auch uͤber die roͤmiſche
koͤnnen wir nicht irren . Ich nehme die einzelnen
Begebenheiten : den Mord des Genucius : die be-
ſchuͤtzten Gewaltthaͤtigkeiten der frechen Jugend :
Appius den Decemvir , und die Patricier ſeiner
Zeit : den Wuchergraͤuel : den Bruch jedes Ver-
trags : die Verweigerung einer Armee an den plebe-
jiſchen Dictator als das Vaterland bedroht war : eine
ganze Reihe von Thaten in demſelben Geiſt ; — und
ihnen ſtelle ich der Plebejer Ruhe , Gelaſſenheit und
Geſetzlichkeit entgegen , die auch nicht durch eine ein-
zige Beſchuldigung angetaſtet wird .
Darum halte mich Niemand der laͤcherlichen
Meinung faͤhig , die Staͤnde Roms , wie ſie ver-
ſchiedenes Nationalurſprungs waren , waͤren , der
eine ein niederes und gottloſes , der andere ein
hoͤheres und tugendhaftes Geſchlecht geweſen , und
ich behauptete dieſen Vorrang fuͤr die Plebejer .
Wohl aber bewaͤhrt es ſich in dieſer Geſchichte , wie
in der aller ſpaͤteren , auch der geprieſenſten , Ariſto-
kratieen , daß die Herrſchaft eines Standes — un-
ter der Monarchie iſt ſie unmoͤglich — nothwendig
argwoͤhniſch , ungerecht und unedel iſt , und ihn
ſelbſt , weit mehr als die Unterthanen , verderbt . So
wird hingegen auch dieſer Geſchichte Fortgang be-
waͤhren , daß abgeſondert beſtehende Staͤnde zur Fort-
dauer einer Republik , oder einer gemiſchten Verfaſ-
ſung , nothwendig ſind : denn nur feſtgegruͤndete
Schranken koͤnnen , bey der wenigen Faͤhigkeit welche
die Menſchen zu allen Zeiten gehabt haben Freyheit
zu ertragen , das Zerſtoͤrende ihrer Bewegungen
aufheben .
So war anfaͤnglich die Oppoſition der Plebs
heilſam : das Gleichgewicht beyder Staͤnde war die
Vollkommenheit : als ſie zuſammenfloſſen verlohr die
Verfaſſung alle Haltung .
Dieſen Band ſollte ein vollſtaͤndiges Regiſter
uͤber die beyden jetzt erſchienenen ſchließen : das iſt
wegen ſeines uͤber Erwarten erweiterten Umfangs
unterblieben . Es wird mit dem dritten gegeben wer-
den , und auch dieſen begreifen .
Inhaltsverzeichniß .
E inleitung . Seite 1
Verfaſſung Roms ſeit Errichtung des Tribunats. — 5
Innere Geſchichte von Caſſius Tod bis auf das
Decemvirat . — 16
Der vejentiſche , die volskiſchen und aͤquiſchen
Kriege . — 72
Volkszaͤhlungen. — 99
Die erſten Decemvirn und die zwoͤlf Tafeln . — 107
Das zweyte Decemvirat . — 120
Herſtellung und Begruͤndung der Volksfreyheit . — 144
Innere Geſchichte bis auf den vejentiſchen Krieg . — 162
Die Kriege bis zum Ausbruch des letzten vejen-
tiſchen . — 200
Vom Anfang des letzten verjentiſchen bis zum gal-
liſchen Kriege . — 215
Von den Celten und ihrer Einwanderung in
Italien . — 251
Der galliſche Krieg und die Einnahme Roms . — 264
Rom nach der Raͤumung . — 281
Die Kriege des Zeitraums von Herſtellung der
Stadt bis zur Staatsveraͤnderung von 389. — 294
Innere Geſchichte bis zum Jahr 378. — 305
Die liciniſchen Rogationen . — 335
Das agrariſche Recht . — 349
Fortſetzung von den liciniſchen Rogationen . Seite 394
Die neuen curuliſchen Wuͤrden des Jahrs 389. — 414
Innere Geſchichte bis zur voͤlligen Befeſtigung
des plebejiſchen Conſulats . — 422
Ueber den Unzialzinsfuß . — 431
Fortſetzung der abgebrochenen inneren Geſchichte . — 440
Kriegsgeſchichte von 389 bis 411. — 453
Rom im Bunde mit Latium . — 468
Der erſte ſamnitiſche Krieg . — 482
Der latiniſche Krieg . — 507
Die Geſetze des Dictators Q. Publilius . — 522
Anhang .
I. Beylagen zum erſten Theil . — 525
1. Romulus , Aeneas Enkel . — 526
2. Die Urſtadt . — 527
3. Servius Tullius und Caͤles Vibenna . — 529
II. Ueber die Agrimenſoren . — 532
III. Zu der Charte Italiens . — 562
Die
D ie griechiſche Geſchichte iſt in ihrem Urſprung eine
Entwicklung der epiſchen Dichtung : wie die Proſa ih-
rer Erzaͤhlung ein von allem Zwang befreyter lyriſcher
Rhythmus . Sie enthielt eine nothwendige geruͤndete
Einheit , und ſchmuͤckte ſich mit Epiſoden : denn es wi-
derte ihr das todte Geſetz der Zeitfolge , ſogar die Zeit-
beſtimmung iſt ihr gleichguͤltig : und noch Thukydides ,
wiewohl er die Erzaͤhlung nach dem Umlauf des Jahrs
abtheilen mußte , bewahrt den alt epiſchen Charakter .
Dieſe Form war zarter als daß ſie , da nun ein
jeder der zu erzaͤhlen hatte Geſchichte zu ſchreiben an-
fing , ſich lange haͤtte erhalten koͤnnen . Xenophon zu-
erſt fiel in das platte taͤgliche Leben herab , und bald
wurden , weil ſie gemaͤchlich waren , flache Ideen uͤber
hiſtoriſche Treue , Ordnung und Vollſtaͤndigkeit herr-
ſchend , welche zu der annaliſtiſchen Behandlung auch
der laͤngſt vergangenen Zeiten fuͤhrten , die ſich in Ti-
maͤus allgemeiner Geſchichte feſtſetzte .
Es hat vielleicht ſelbſt unter den Griechen , ſeit der
Nation Verfall , keinen Zeitraum gegeben worin die Lit-
teratur ſich nicht fortſchreitend und vervollkommt ge-
waͤhnt haͤtte . Die Taͤuſchung iſt natuͤrlich , weil aller-
Zweiter Theil. A
dings immer irgend etwas ausgebildet wird was in der
Vorzeit gering geſchaͤtzt , alſo verſaͤumt , und doch unter
ſeinem Geſichtspunkt auch nicht ohne Werth war . Denn
wenige Zeitalter ſind ſo verſunken daß ſie nicht ihre eigne
Vorzuͤglichkeit haͤtten : an dieſer hat man Freude , und
ſonſt koͤnnte ſie nicht da ſeyn , fuͤr das Verſchwundne giebt
es keinen Trieb mehr , denn daher verſchwand es . Bilde-
ten alſo auch die Vaͤter der roͤmiſchen Geſchichte ihre Art
an griechiſchen Geſchichtſchreibern , ſo waren es die Zeit-
genoſſen , oder die von ihnen Geleſenſten , in Italien noth-
wendig Timaͤus : und ſo konnte wohl kaum eine andre
als die annaliſtiſche Form ſich ihnen als Muſter darbieten .
Sie trugen , wie es aus einzelnen Anfuͤhrungen bey Dio-
nyſius und den capitoliniſchen Faſten erhellt , dieſe Form ,
ſoweit ſie es vermochten , mit betruͤgeriſcher Hand ſelbſt
auf die rein epiſche Zeit der Koͤnige hinuͤber : vom Anfang
der Republik fanden ſie chronikenmaͤßige Anzeichnungen
bey den Faſten , die ſelbſt , vor allen die Triumphalfaſten ,
ohne Zweifel von Alters her wie ein Buch geleſen und im
Gedaͤchtniß eingegraben geweſen ſind . Es folgten ſich
viele die , ihre Vorgaͤnger tadelnd , alle die ganze Folge
der Geſchichte von Aeneas bis auf ihre Zeit ſchrieben : und
wenn einzelne ſich einen Zeitraum ausſonderten , wie An-
tipater , Fannius , Siſenna , ſo ſcheint doch Salluſt das
einzige Beyſpiel der Darſtellung eines durch innere Ein-
heit abgeſchiedenen Ganzen , mit voͤlliger Vernachlaͤſſi-
gung der Jahrrechnung und Gleichzeitigkeit , im altgriechi-
ſchen Sinn , zu geben , deſſen die roͤmiſche Litteratur ſich
haͤtte ruͤhmen gekonnt .
Man kann ſich nicht treuer an die Annalenform bin-
den als es Livius thut ; vielleicht daß ſie ihm , vielleicht
weil ſie dem Publicum die einzige zulaͤſſige ſchien : er for-
dert Anerkennung daß er alle Epiſoden vermeide Livius IX. c. 17. . Aber
aus dieſer Form entſteht ihm ſelbſt und dem Leſer großer
Nachtheil . Indem er jede Jahrgeſchichte fuͤr ſich und in
ſich ſchließt , entgeht das Vergangne ſeiner Aufmerkſam-
keit : ſeine Erzaͤhlung wird nicht nur zerſtuͤckt , ſie wird
luͤckenhaft und fuͤllt ſich mit Widerſpruͤchen . Der Leſer
aber wird ſich , wenn er nicht mit Studium lieſt , ermuͤdet
durch eine anſcheinende Einfoͤrmigkeit der Kriege und in-
nern Unruhen , die ganze erſte Decade hindurch auch nicht
einmal das verworrene Bild vor Augen ſtellen koͤnnen
welches die Geſchichte enthaͤlt .
Eine kritiſche Geſchichte , wie dieſe , iſt am entfernte-
ſten von der ſorgloſen Lebensfuͤlle der urſpruͤnglichen grie-
chiſchen Vollkommenheit . Sie muß bey jedem Schritt
anhalten , ſich orientiren , ſie bahnt anderen den Weg
wo moͤglich ihn kuͤnftig ohne gemeſſene Behutſamkeit zu
wandeln . Aber ſie befreyt ſich von dem Zwang der Anna-
lengeſtalt , und ſie faßt , fuͤr die buͤrgerliche Geſchichte und
die Kriege , nach inneren Einheiten zuſammen was groͤ-
ßere Zeitraͤume erfuͤllt , und ſie fordert ſich das Recht zu
jeder Epiſode , welche zu tieferer und ſchaͤrferer Kenntniß ,
und zu hellerer Anſchauung nothwendig iſt .
Eine ſolche Einheit bildet der ganze Zeitraum welcher
zwiſchen Caſſius drittem Conſulat , und der Decemvirn
Ernennung liegt . Alle innere Bewegungen entſtehen aus
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dem Ackergeſetz des ungluͤcklichen Conſuls : anfangs bezie-
hen ſie ſich unmittelbar nur auf dieſes : in der Folge ver-
vielfachen ſich ihre Zwecke und Beziehungen , ſie gewinnen
an Wichtigkeit und Groͤße im Verhaͤltniß des ungerechten
Widerſtandes , ſie erheben ſich uͤber die beſchraͤnkten An-
ſpruͤche welche ſich durch Geld meſſen und entſchaͤdigen
laſſen : aber ſie gehen hervor aus jenen urſpruͤnglichen
Forderungen . Die ganze Zeit hindurch herrſcht ein Geiſt
des erbitterten Haſſes , einer wilden Gewaltthaͤtigkeit , den
die Geſetzgebung der zwoͤlf Tafeln auf immer verbannte .
Die Geſchichte der Kriege iſt die des fortwaͤhrenden Ver-
falls ehemaliger Groͤße : die Jahrbuͤcher zaͤhlen kaum ein-
zelne Triumphe , nur eine einzige Eroberung , und auch
dieſe von kurzer Dauer . Dagegen treffen die ſinkende Re-
publik ſchmaͤhliche und furchtbare Niederlagen : ihr Da-
ſeyn ſelbſt wird von den Tuskern bedroht : die Eroberun-
gen der Aequer verbreiten ſich , und gegen ihre Verhee-
rungen findet der Landmann nur Schutz in Roms Mauern .
Alles dieſes Elend entſteht aus dem verblendeten Streben
der Patricier , denn eine leidliche Entfernung der bitter-
ſten Beſchwerden durch die Geſetzgebung wendet auch die-
ſen Strohm des aͤußern Ungluͤcks . Und wie phyſiſche
Landplagen ſich faſt immer dem Druck innerer und aͤuße-
rer verſchuldeter Noth zugeſellen , als zerſtoͤre ein Volk
welches ſich ſelbſt zerruͤttet bis auf die Keime ſeines Da-
ſeyns , ſo fiel in dieſem ungluͤcklichſten Zeitraum zwey-
mal eine ſchreckliche Peſt auf die roͤmiſche Nation , und
eben ſo oft wuͤthete der Hunger .
Verfaſſung Roms ſeit Errichtung
des Tribunats .
Die Republik beſtand damals unter einer Verfaſ-
ſung , von der ſich kein voͤllig aͤhnliches zweytes Bey-
ſpiel in der Geſchichte findet . Zwey zuſammengefuͤgte
Voͤlker bildeten den Staat , in denſelben Ringmauern
neben einander , wenn auch nicht vermiſcht , wohnend :
in dem einen ein ſouverainer Stand mit vielen Erbun-
terthaͤnigen , das andere aus gleichen Freyen beſtehend .
Der Adel jenes Volks herrſchte uͤber das Ganze : die
plebejiſche Nation , von der Regierung ausgeſchloſſen ,
uͤbte ein Verweigerungsrecht bey den Vorſchlaͤgen zu
Wahlen und Geſetzen : und wenn dieſe Macht nur auf
ſehr ſeltne Veranlaſſungen beſchraͤnkt war , ſo machte ſie
dagegen , mit wohlbegruͤndeter voͤlkerrechtlicher Befug-
niß , das Recht geltend den Gehorſam zu verweigern
wenn ſie ſich beeintraͤchtigt fuͤhlte , und erhielt ſich ſo in
einer durch keine Verjaͤhrung verwuͤrkten freyen Leiſtung
ſofern die Regierung ihren Rechten nicht zu nahe trete .
Ueber Verletzung dieſer Rechte , und Vergehungen
gegen ihren geſammten Stand , richtete die plebejiſche
Gemeinde ſelbſt : nach dem italiſchen Voͤlkerrecht , kraft
deſſen der beleidigte Staat die Auslieferung derer , die er
gegen ſich ſchuldig nannte , fordern konnte um ſie ſelbſt zu
richten ; weil die Plebejer , wie in ihrem Urſprung , als
ein verſchiedenes Volk galten . Dieſes Recht iſt von der
roͤmiſchen Republik gegen die uͤbrigen Voͤlker beſtaͤndig
geltend gemacht worden , und man darf das nicht als
eine beſondere Anmaaßung Roms deuten . Es ward ſo
ſehr als allgemeines Geſetz anerkannt daß Rom den
Geſandten von Apollonia gegen das Ende des fuͤnften
Jahrhunderts nur durch Auslieferung der Schuldigen
genuͤgen zu koͤnnen glaubte Epitome des Livius XV . ; es wird dabey der fromme
Glaube vorausgeſetzt , eine ungerechte Verurtheilung ſey
unwahrſcheinlicher als Losſprechung aus zwiefacher Par-
theylichkeit . Aus dieſem Voͤlkerrecht erklaͤren ſich die ſonſt
ſo ſonderbaren Gerichte der Volksgemeinde uͤber die er-
ſten unter den Patriciern in dem Zeitraume wo dieſer
Stand noch alles allein war . Dieſe Gerichte ſind haͤu-
fig ; auf gleichem Grund waren die Patricier berechtigt
uͤber Plebejer zu richten welche ſich an ihrem Stande
vergangen hatten . So gewiß dieſes aus den Grund-
ſaͤtzen folgt , ſo findet ſich doch nur ein Beyſpiel in dun-
kelm Andenken erhalten welches beſtimmt dahin zu ge-
hoͤren ſcheint .
Jene allgemeine Loͤſung der Gehorſamspflicht des ple-
bejiſchen Standes , die von dem herrſchenden auch nur
gezwungen geachtet , und in jedem einzelnen Fall als Em-
poͤrung angeklagt ward , uͤbten die Volkstribunen , und
ihre Unverletzlichkeit gab dem Volk Einheit und Entſchluß .
In der hoͤchſten Gewalt war die Theilnahme des Volks
nur ein Schatten . Selbſt die Gemeinde der Centurien , ob-
wohl den Patriciern und ihrem Einfluß offen , war ohn-
maͤchtig : beſchraͤnkt in Hinſicht der Geſetze hoͤchſtens den
Antrag des Senats zu verwerfen , in einem Zeitalter wo
vielmehr nach Herkommen als nach Geſetzen verwaltet
ward , und fuͤr die Wahlen eingeſchraͤnkt auf ſehr wenige
Wuͤrden : fuͤr dieſe Wuͤrden , die plebejiſchen Aemter aus-
genommen , auf den patriciſchen Stand allein , und an-
faͤnglich auf die vom Senat vorgeſchlagenen Candidaten .
Als aber auch die Gemeinde ihr Recht ſchon weſentlicher
ausuͤbte , kam es noch immer auf die Willkuͤhr des vor-
ſitzenden Conſuls an , ob er fuͤr den , der von der Mehrheit ,
nicht als Candidat des Senats , ernannt ward , Stim-
men annehmen wollte : und wenn der Wahlfreyheit durch
einen die Nation achtenden Conſul kein Eintrag geſchah ,
ſo war die vollbrachte Wahl doch immer noch abhaͤngig
von der Patricier Billigung oder Verwerfung . Dieſe Na-
tionalgemeinde ſtand in der Mitte eingeſchloſſen zwiſchen
beyden patriciſchen Verſammlungen , dem Senat , der da-
mals gewiß , was auch Brutus neuernd oder nach der
Koͤnige Beyſpiel gethan haben mag , ausſchließlich aus
Patriciern beſtand , und dem großen Rath der patriciſchen
Geſchlechter , oder den Curien . Von jenem ward ihr vor-
gelegt woruͤber ſie ſtimmen durfte ; was ſie genehmigt
hatte war noch nicht guͤltig ehe die geſammte Gemeinde
der Patricier zugeſtimmt hatte , welche ſich nicht ihrer gan-
zen Souverainetaͤt fuͤr den Senat entkleidete .
Bey dem Senat war damals die Macht Krieg und
Frieden zu beſchließen : die Aushebung eines Heers zu
verordnen : die unumſchraͤnkte Gewalt der Dictatur her-
vorzurufen : Steuern auszuſchreiben : uͤber das Gemein-
gut zu verfuͤgen : ſeinen Ertrag zu verwalten : ſelbſt die
Kriegsbeute dem Heer zu verleihen oder zu entziehen .
Kein einziges Beyſpiel belehrt uns ob in dieſem Zeit-
raum Verfuͤgungen uͤber das Privatrecht geſetzlich be-
ſtimmt geworden ſind , noch weniger wiſſen wir alſo
factiſch von welcher Macht dieſe ausgegangen ſeyn moͤch-
ten . Aber bezweifeln laͤßt es ſich nicht daß , wenn ſie ein-
traten , ihr Urſprung aus dem Stande ſeyn mußte , bey
dem noch lange nachdem ein Gleichgewicht zwiſchen den
Staͤnden in Wahrheit eingefuͤhrt war , das Recht als ein
geheiligter Beſitz blieb , daher auch die Praͤtur vom Conſu-
lat abgeſondert ward als die Plebejer Theil an dieſem em-
pfingen . Alle Voͤlker die ein Religionsgeſetz als geoffen-
bart verehren , knuͤpfen an dieſes , oder leiten aus ihm ein
buͤrgerliches Recht , und in den prieſterlichen Vorrechten
der Patricier war es gegruͤndet daß ſie ſo lange die Be-
wahrer der Rechtskunde blieben . In dieſer Hinſicht
konnte es damals noch gleich gelten ob der Senat oder die
Curien dieſe Geſetzgebung ausuͤbten . Das aber iſt klar
daß die plebejiſche Gemeinde keinen Antheil daran gehabt
haben kann .
Auch iſt es , weil der Senat eigentlich nur als ein en-
gerer Ausſchuß der Curien zu betrachten iſt , als die Ver-
ſammlung der Notabeln aus der patriciſchen Gemeinde ,
der Idee einer ſtrengen Oligarchie nicht beeintraͤchtigend ,
wenn es dargethan wird , daß unter den Vaͤtern , von de-
ren Genehmigung die Guͤltigkeit der Beſchluͤſſe der Centu-
rien abhing , die Curien , nicht der Senat zu verſtehen ſind .
Die entgegengeſetzte Meinung hat fuͤr ſich kaum einen an-
dern Schein als was Livius uͤber Numas Wahl erzaͤhlt I. c. 17 . Ich erkenne gern des aͤlteren Gronovs große
Verdienſte und philologiſche Autoritaͤt , aber die roͤmiſche ,
wo es freylich nicht zu bezweifeln iſt daß er eine Wahl des
Volks , und eine Pruͤfung derſelben im Senat voraus-
geſetzt hat . Eine ganz mythiſche Erzaͤhlung kann freylich
eine ſtreng hiſtoriſche Form tragen , und ſo moͤchte uns
eine aͤcht alte Sage uͤber Numas Wahl ſo gut wie die No-
tiz uͤber die eines Conſuls aus der aͤlteſten Zeit von den
Formen des urſpruͤnglichen Staatsrechts belehren . Aber
das Kleid einer Sage aͤndert ſich mit dem Jahrhundert :
und auch hier iſt es ſichtbar wie die epiſchen Gedichte von
den Koͤnigen ſich in den Zeiten in ihre letzte Geſtalt umge-
bildet haben , wo die Plebejer ſchon die Wahlen ent-
ſchieden . Denn kein Senatusconſult zeichnet die Wahl
vor , und die Wahlgemeinde iſt plebejiſch , waͤhrend dieſer
Stand in der Zeit welche hier bezeichnet werden ſoll , noch
gar nicht gedacht werden kann . Andre Zeugniſſe erkennen
in dieſen Vaͤtern die geſammten Patricier , und nennen
ſie Livius VI. c. 42. Patricii se auctores futuros negabant
( comitiorum quibus L. Sextius consul factus erat ) . Der
Senat hatte vor der Wahl nachgegeben . — Dahin ge-
hoͤrt auch die Stelle in der Rede pro domo c. 15. wo
durchaus von dcn den Patriciern im ſtrengſten Sinn die Rede
iſt : freylich begeht der halb unterrichtete Rhetor den Feh-
ler , der bey ihm nicht auffallen kann , nicht nur die Ent-
ſcheidungen der Centurien , ſondern auch die der Curien
vor die Patricier gelangen zu laſſen . : oder ſie reden von den Patres , waͤhrend ſie ſonſt
mit der groͤßten Beſtimmtheit des Sprachgebrauchs die
Verfaſſung hat er ſchlechterdings nicht begriffen , und uͤber
ſie nur Irrthuͤmer begruͤndet .
Senatoren als ſolche ſo nicht nennen Cicero pro Plancio c. 3. Quod Patres apud majores
nostros tenere non potuerunt ut reprehensores essent co-
mitiorum . . Ein großer
Rath der Patricier war in einer ſonſt ſo ſtreng ariſtokrati-
ſchen Verfaſſung ſo unentbehrlich , daß , wenn die Zeug-
niſſe uns nicht entgegenkaͤmen , wir eine Einrichtung die-
ſer Art aufſuchen muͤßten : es laͤßt ſich nicht denken daß
die Mehrheit des Adels auf eine ſo ſchwache Ausuͤbung
ihrer ſouverainen Rechte beſchraͤnkt geweſen waͤre als den
Rittern in den Centuriatcomitien eingeraͤumt war . Iſt es
nun fruͤher durch ſich erlaͤuternde Stellen erwieſen daß
die Gemeinde der Curien die Gemeinde der Patricier
war Th. I. S. 234 . : daß dieſe ſich unter keiner andern Form verſam-
melten , wie ſie ſich doch auch nothwendig unter einer her-
koͤmmlich beſtimmten verſammeln mußten , ſo erhalten die
Curiencomitien , deren Beſtaͤtigung , wenn auch nur als
ein Schattenbild , den Wahlen der Centurien nothwen-
dig blieb und die unmoͤglich als Schattenbild angefan-
gen haben koͤnnen , eine beſtimmte und unzweifelhafte
Bedeutung . Fuͤr Geſetze ward dieſe Beſtaͤtigung durch
das publiliſche Geſetz ( 416 ) zur leeren Form : fuͤr Wah-
len , wahrſcheinlich ein halbes Jahrhundert ſpaͤter , durch
das Maͤniſche .
Wie noch lange nachher das Volk dadurch von
dem ſchon laͤngſt ganz anders conſtituirten Senat ab-
haͤngig gehalten ward , daß die Richter in allen bedeu-
tenden Civilprozeſſen aus den Senatoren genommen
wurden Polybius VI. c. 17. Τὸ δὲ μέγιςον , ἐκ ταύτης (τῆς Συγ-
κλήτου ) ἀποδίδονται κριταὶ τῶν πλείςων καὶ τῶν δημοσίων
καὶ τῶν ἰδίων συναλλαγμάτων , ὅσα μέγεϑος ἔχει τῶν ἐγ-
κλημάτων . , ſo iſt nicht zu bezweifeln daß dieſe Einrich-
tung von der aͤlteſten Zeit her beſtand : denn in den Ver-
aͤnderungen der Verhaͤltniſſe des Senats zum Volk war es
jener der nach dem natuͤrlichen Gang der Begebenheiten
fortſchreitend verlohr , nie gewann . Es iſt auch klar wie
druͤckend dieſe Abhaͤngigkeit fuͤr die Plebejer war , ſo
lange , kraft der Verfaſſung des Senats , nur Patricier
zu Gericht ſaßen .
Die Gewalt der Conſuln war noch vollkommen koͤnig-
lich . Von ihrem Vortrag war die Verhandlung aller
Sachen im Senat und in der Centuriengemeinde abhaͤn-
gig . Sie hatten im Krieg unbeſchraͤnkten militaͤriſchen
Oberbefehl , und es waren ihnen die Mittel dieſer Gewalt
Gehorſam zu erzwingen uͤbergeben : ſie konnten die Aushe-
bung , wenn nicht ausdruͤcklich durch tribuniciſchen Wi-
derſpruch gehindert , mit ſtrenger Ahndung gegen den Wi-
derſpenſtigen vollziehen : ſie waren im Felde unbeſchraͤnkte
Richter uͤber Leben und Tod . Erſcheinen ſie auch in den
Verhandlungen mit fremden Voͤlkern in unſern Annalen
nur , wie ein naͤheres Andenken die Schriftſteller auch fuͤr
die alten Tage anzunehmen veranlaßte , in Vollmacht des
Senats die Bedingungen der Vertraͤge unterhandelnd , ſo
iſt doch dieſe angebliche Beauftragung ſo gewoͤhnlich daß
man wohl annehmen darf , auch hier ſey nur im Verlauf
der Zeit Beſchraͤnkung einer hoͤheren Gewalt eingetre-
ten , und es ſey urſpruͤnglich den Conſuln vermoͤge ihrer
Wuͤrde zugekommen die Vertraͤge , mit Vorbehalt der
Beſtaͤtigung der Republik , feſtzuſetzen . Die Quaͤſtoren
des Schatzes wurden damals noch von ihnen ernannt ,
alſo waren die Gelder des Staats faſt ohne Beſchraͤnkung
in ihrer Gewalt . Noch vereinigten ſie mit der Gewalt der
oberſten ausfuͤhrenden Regierung die cenſoriſche und praͤ-
toriſche . Vermoͤge jener verfaßten , wahrſcheinlich alljaͤhr-
lich , die antretenden Conſuln eine Liſte des Senats , er-
gaͤnzt durch Nahmen ihrer Freunde , und mit Auslaſſung
derjenigen die ihnen mißfaͤllig waren Feſtus s. v. Præteriti Senatores . . Eben ſo ward
von ihnen die Liſte der Rittercenturien , der Klaſſen , und
der plebejiſchen Tribus verfaßt , und es ſtand in ihrer Ge-
walt hier zu erhoͤhen und zu erniedrigen . Durch dieſe waren
ſie die Quelle des Rechts : die Guͤltigkeit der wichtigſten
Verhandlungen war davon abhaͤngig daß ſie vor ihnen
und durch ſie in geſetzmaͤßiger Foͤrmlichkeit vollzogen wur-
den : ſie ertheilten die Richter in Civilproceſſen . Sie wer-
den aber auch ſelbſt als Richter genannt : und es leidet
keinen Zweifel daß ſie als Nachfolger der Koͤnige wie dieſe
uͤber alle Vergehungen richteten , von der leichteſten bis zu
denen die mit Verluſt des Lebens oder der Freyheit geahn-
det wurden Terentillus bey Livius III. c. 9. qui — omnes metus
legum omniaque supplicia verterent in plebem . . Sie konnten die Unterthanen in den Ker-
ker fuͤhren und hinrichten laſſen . Dieſe Gewalt blieb den
Dictatoren in ihrem ganzen Umfang , waͤhrend ſie den
Conſuln allmaͤhlich geſchwaͤcht oder entriſſen ward , und
dieſe Beſchraͤnkungen ſind es die uns zur Kenntniß der ur-
ſpruͤnglichen Verfaſſung zuruͤckfuͤhren .
Geldbußen ſprachen die Conſuln noch waͤhrend eines
großen Theils dieſes Zeitraums ohne Appellation an das
Volk aus : und auch das valeriſche Geſetz wird richtiger
mit Dionyſius auf die richterliche neben der ſouverai-
nen Gewalt der Conſuln , als auf die letzte allein ge-
deutet werden . Noch immer blieb ſo das conſulariſche
Gericht die erſte Inſtanz fuͤr die Plebejer : ihre eigene
Gemeinde richtete nur auf Appellation : doch war da-
durch , und durch den geheiligten tribuniciſchen Schutz
der Blutbann uͤber Plebejer der Gemeinde der Tribus
uͤbergeben . Alle Rechte welche das Volk allmaͤhlich
erwarb waren ſchon fruͤher , ja gleich alt mit Rom , in
der Patricier Beſitz : nur auf der Plebs laſten Dictatur
und Conſulat , nur ſie bedingt ſich die Provocation , ſie
ſtrebt bis in das fuͤnfte Jahrhundert nur nach Erlan-
gung derſelben Rechte , durch welche der erſte Stand
von jeher frey war : und ſo wurden die Patricier ohne
Zweifel nur von ihren Standesgenoſſen in der Gemeinde
der Curien gerichtet , und waren gegen Einkerkerung
und Verurtheilung zum Tode in dem Sinn geſichert
wie es in den goldenen Zeiten der Verfaſſung jeder Qui-
rite war .
In der Verfaſſung und Unabhaͤngigkeit der Gerichte ,
darin daß jeder von Gleichen gerichtet werde , ſetzten die
alten Voͤlker , wie die germaniſchen , das Weſen der
Freyheit . Daher konnten die Makedonier ſich frey nen-
nen , wiewohl ſie Koͤnigen gehorchten deren Macht in
allem was der hoͤchſten Gewalt eigenthuͤmlich iſt , unbe-
ſchraͤnkt genannt werden kann . Denn uͤber Leben und
Tod richtete nur die Nation : Alexander erſchien als
Philotas Anklaͤger vor der Armee welche dieſe in Aſien
repraͤſentirte , ſie ſprach das Urtheil Arrian Anab. Alex . 1. III. p. 72. C. ed. Steph . . Daß die Pa-
tricier dieſe Freyheit genoſſen , daß ſie nur von ihrer eig-
nen Gemeinde gerichtet wurden , waͤhrend die Plebejer
unter der conſulariſchen Macht ſtanden , iſt augenſchein-
lich weil ſie mit dem Conſulat zufrieden waren . Auch
die Koͤnige uͤbten den Blutbann nicht uͤber die Patricier .
Schon unter ihnen wurden die Quaͤſtoren oder Blutrichter
erwaͤhlt Junius Gracchanus bey Ulpian , l. un. D. de officio
quæstoris . Livius I. c. 26. Feneſtella hatte in den Pon-
tificiſchen Buͤchern gefunden die Provocation ſey ſchon unter
den Koͤnigen ausgeuͤbt geworden . Seneca epist. 108 . Dies
kann nur auf die patriciſche Freyheit bezogen werden . , deren Verhaͤltniß zu den Angeklagten
und zur Gemeinde in die Dichtung von den Horatiern
verwebt iſt . Die Quaͤſtoren thaten den erſten Aus-
ſpruch uͤber Schuld oder Unſchuld : ihre Losſprechung
befreyte : von ihrer Verurtheilung appellirte der fuͤr
ſchuldig erklaͤrte an die Gemeinde . Sie wurden , jaͤhr-
lich zwey , erwaͤhlt : ſtanden nun die Plebejer unter dem
koͤniglichen , dann unter dem conſulariſchen Gericht , und
waren die Quaͤſtoren Vermittler der patriciſchen Frey-
heit , ſo ſcheint es nothwendig daß ſie nicht allein , wie
es aus allen Spuren erhellt , aus , ſondern auch nur
von den Patriciern gewaͤhlt wurden . Daher erklaͤrt es
ſich daß , nach Abſchaffung der Monarchie , von ihnen
das Geſetz uͤber die Beybehaltung dieſer Magiſtratur
beſchloſſen ward Durch eine lex curiata . Tacitus Annal . XI. c. 22 . .
Daß die Polizey uͤber den plebejiſchen Stand den
Aedilen urſpruͤnglich beygelegt , daß ihr Amt gleich alt
mit der Anordnung der Plebs als geſchloſſener Stand ge
weſen , ſcheint nicht zu bezweifeln , weil die Aedilitaͤt in
allen latiniſchen Staͤdten eine einheimiſche Magiſtratur ,
und der wichtigſten eine war , in den Municipien blieb ,
und auch die plebejiſche Gemeinde Roms nicht ohne
Municipalverfaſſung geweſen ſeyn kann .
Aber ſehr beſchraͤnkt war noch die Zahl der Faͤlle wo
fremde richterliche Gewalt zur Entſcheidung aufgefordert
wurde , durch die Selbſtſtaͤndigkeit der kleineren Vereine
aus denen der geſammte Staat beſtand . Der Vater
war Richter des Sohns , der Patron des Clienten : er
ahndete an ihm ſein eignes Mißfallen , ſogar mit To-
desſtrafe Es iſt ein Fall bey Valerius Maximus VI. c. 1. n. 4.
von P. Maͤnius , der einen Freygelaſſenen , weil er die ſei-
nem Hauſe ſchuldige Ehrerbietung verletzt , hinrichten ließ
( in eum animadvertit ) . Wir werden uns nicht irren in-
dem wir dieſen Vorfall in das fuͤnfte Jahrhundert ſetzen ,
welches die Zeit der Groͤße der Maͤniſchen Familie war :
und obwohl hier nur von einem Freygelaſſenen die Rede iſt ,
ſo duͤ n wir das Halsrecht des Patrons wohl aus dem all-
gemeinen Recht des Patronats ableiten . Die Regel wird
nie irre fuͤhren daß urſpruͤnglich alle Bande weit feſter und : unter ſich konnten die Clienten keinen
andern Richter haben , und auch fuͤr den dritten gab
des Patrons richterliche Macht eine einfachere und
ſchnelle Entſcheidung , von der ihm , wenn ſie ungenuͤ-
gend ſchien , noch immer die Abrufung der Sache vor
ein gewoͤhnliches Gericht offen ſtand .
Was die Volksgemeinde damals nur noch war , an-
faͤnglich nichts als eine richtende Verſammlung , und erſt
im Verlauf dieſes erſten Zeitraums berechtigt Beſchluͤſſe
zu faſſen , die aber noch keineswegs geſetzliche Kraft
hatten , ſondern nur als Vorſtellungen den Senat noͤ-
thigten uͤber ihren Inhalt zu beſchließen , iſt ſchon oben
geſagt worden Th. I. S. 422 . Man erlaͤutere ſich den Begriff der da-
maligen Plebiſcite durch Erinnerung an die unterthaͤnigen
Vorſtellungen der Staͤnde im ſechszehnten Jahrhu nde rt , oder
ſogar des engliſchen Parlaments in jener Zeit , oder in noch
ſpaͤterer der verſammelten Kammern an den Seigneur Roi . ; ich erinnere daran damit es ſich
der Leſer zum Verſtaͤndniß der folgenden Geſchichtser-
zaͤhlung vergegenwaͤrtige .
Innere Geſchichte von Caſſius Tod bis
auf das Decemvirat .
Ein Grundfehler verderbt Livius Darſtellung der gan-
zen aͤlteren Geſchichte ; vor ſeinem Blick ſchwebte kaum ein
dunkles Bild der urſpruͤnglichen Verfaſſung noch der Ge-
ſtalten welche ſie bey den ſich folgenden Hauptveraͤn-
derungen
haͤrter gezogen waren und ſich im Verfolg der Zeit immer
mehr loͤßten .
derungen annahm , und dieſe fernen Bilder verwechſelten
ſich oder wichen dem der ſpaͤteſten Zeit . Die aͤlteren An-
nalen , geſchrieben ehe der Nation und der Verfaſſung
Grundzuͤge verblichen waren , als von dem ſchon abgeſtor-
benen doch die aͤußere Geſtalt oder eine ſehr beſtimmte Er-
innerung noch beſtand : und auch unter den juͤngeren die
Buͤcher ſolcher Verfaſſer , die , wie Licinius Macer , alte
Urkunden benutzt hatten , und , als Staatsmaͤnner , das
alte Staatsrecht hiſtoriſch kannten : dieſe hatte er freylich
vor Augen , und hat aus ihnen an nicht wenigen Stellen
durch uͤberraſchende Beſtimmtheit ausgezeichnete Anga-
ben entlehnt die ſo unverkennbar das Gepraͤge der Zuver-
laͤſſigkeit tragen als ſie folgenreich ſind . Wo aber Livius ,
ſey es daß er forteilend abkuͤrze , oder daß er rhetoriſch
ausbilde , ſich von dem Buchſtaben der Aelteren entfernt ,
da irrt er ohne einen Pfad zu erkennen , durch Nahmen
und Worte verfuͤhrt . So redet er in dieſem Zeitraum
von Ackergeſetzen die von den Tribunen mit Ungeſtuͤm und
Gewaltſamkeit promulgirt ſeyn ſollen .
Mit weit groͤßerem Fleiß und muͤhſeligerer Sorg-
falt , ſo wie mit ungleich weniger Geiſt als Livius hat Dio-
nyſius geſchrieben . Iſt es an ihm ſehr zu tadeln daß er
auf den Glauben der weitſchweifigeren Annalen den Bege-
benheiten einen truͤgeriſchen Anſchein von hiſtoriſcher Be-
ſtimmtheit giebt , und durch Ausfuͤhrlichkeit taͤuſcht , ſo
faßt er dagegen die ihm zugaͤnglichen Nachrichten viel
ſorgfaͤltiger auf , und widerſpricht ſich nicht , wie es Li-
vius ſo oft thut , vergeſſend welche Darſtellung er fruͤher
gewaͤhlt hatte . Ihm verdanken wir die ganz beſtimmte
Zweiter Theil. B
Kunde daß die Tribunen in dieſem Zeitraum keineswegs
eigene Ackergeſetze , wie in den folgenden Zeiten , dem
Volk vortrugen , noch die Gemeinde der Tribus ſich be-
fugt hielt uͤber eine Vertheilung des Gemeinlands , ſey
es ausſchließend oder mit Zuſtimmung des Senats , zu
beſchließen . So oft bey ihm von dieſen Bewegungen
die Rede iſt , ſo oft bezieht er ſie , wie mit gefliſſentli-
cher Sorgfalt um den Gedanken an den ſpaͤteren Gang
der Ackergeſetze zu entfernen , auf die Nichterfuͤllung der
Zuſagen des Senats , denen das Volk das caſſiſche Ge-
ſetz aufgeopfert : jenes Senatusconſults , wodurch die
Anweiſung eines Theils , und die Steuerpflichtigkeit des
uͤbrigen von der Domaine verordnet geworden S. Th. I. S. 453. Dionyſius VIII. c. 81. c. 87.
IX. c. 1. c. 5. c. 17. c. 37. c. 51. ff . .
Dieſer Darſtellung iſt es wenigſtens verwandt daß
auch Livius einmal mit jener ihm eignen ſchon geruͤgten
Vergeßlichkeit , in dem Ackergeſetz der Tribunen das caſ-
ſiſche ſieht Livius II. c. 42. Dulcedo agrariæ legis ipsa per se ,
demto auctore , subibat animos . . Vermuthlich ſchwiegen die Annalen wel-
che er bey dieſem Theil der Geſchichte zum Grunde legte
von dem Senatusconſult woruͤber Dionyſius ſo vieles zu
erzaͤhlen weiß , und es ſcheint , daß neben dieſer Erzaͤh-
lung eine andre , wenigſtens nicht unwahrſcheinlichere ,
galt , nach welcher das caſſiſche Geſetz angenommen wor-
den , aber nicht zur Ausfuͤhrung gekommen iſt ; daß in die-
ſer als Inhalt des Geſetzes angegeben war was jene als
den Inhalt des Senatusconſults meldete .
Ein ſchlimmerer Widerſpruch iſt es , daß Livius bald ,
als Aeußerung der Billigeren unter den Patriciern , ge-
ſteht , die Anſpruͤche des Volks waͤren gerecht geweſen Ebend. c. 48. ,
bald das Ackergeſetz ein Gift der Tribunen Ebend. c. 52. Tribuni plebem agitare suo veneno ,
agraria lege . , ihre
Oppoſition eine Stoͤrung des oͤffentlichen Heils ſchilt Ebend. c. 44. Adversus unum moratorem publici
commodi . ,
und urtheilt , es habe die blinde Wuth der Menge zu er-
regen keiner tribuniciſchen Beſtechungen bedurft Ebend. c. 42. Satis superque gratuiti furoris in mul-
titudine credentes esse , largitiones , temeritatisque invita-
menta horrebant . . Er
waͤre entſchuldigt wenn ſolche Aeußerungen nur im Sinn
eines Redenden oder des geſammten Senats vorkaͤmen .
Wo dieſes bey ihm geſchieht , wuͤrde eine Ruͤge unbillig
ſeyn , wenn nur auch die bittere Leidenſchaft des andern
Theils ſich dem Leſer eben ſo vernehmlich machte . Es
wuͤrde vielmehr Lob verdienen , weil der traͤge oder un-
erfahrne Leſer ſich aus den entwickelten Veranlaſſungen
den Zuſtand der von Partheyleidenſchaften aufgeregten
Gemuͤther nicht lebendig vorbilden , alſo auch dieſe Stim-
mung als wirkende Kraft nicht begreifen kann . Deme-
gorieen , aus dem innerſten Gefuͤhl des Redenden , er-
ſetzen jene Entwickelungen als etwas weit vollkommne-
res . Aber nicht nur ſind ſolche Aeußerungen der ple-
bejiſchen Leidenſchaft unendlich ſeltner eingeſtreut , ſon-
B 2
dern die haͤrteſten Urtheile erſcheinen als des Geſchicht-
ſchreibers eigne So hilft es nicht daß in Decius Rede uͤber das Ogulni-
ſche Geſetz die Indignation eines edeln Plebejers gluͤht ,
denn nicht dieſe zeugt von Livius Urtheil , ſondern die Aeu-
ßerung uͤber die Urheber dieſes Geſetzes , ſie haͤtten nach
Stoͤrung des Friedens , und die Patricier dem Volk zu ver-
laͤumden getrachtet . X. c. 6. : und von hier an , waͤhrend der
folgenden zwey Jahrhunderte der erſten Decade , bleibt
ſich Livius Meinung uͤber die innern Zwiſtigkeiten gleich ,
entſchieden partheyiſch fuͤr die Patricier , deren Habſucht
und Gewaltthaͤtigkeiten er nicht verhuͤllen kann , gegen die
Plebejer deren Dulden und Langmuth er eingeſtehen muß .
Eine Ungerechtigkeit die den Unwillen des Leſers der nach
eigner Pruͤfung urtheilt ſchmerzlich reizt , und der dennoch
die Liebe , welche der große Hiſtoriker in uns erregt , gern
eine Entſchuldigung darbietet . Livius war kein Staats-
mann , nicht durch ſein Gemuͤth , nicht durch ſein Leben .
Schon ſeine erſte Jugend fiel in die Zeit der Gewalt ; er
hatte kaum noch als Knabe die Republik geſehen : ein dun-
kles Gefuͤhl knuͤpfte an den Nahmen der ariſtokratiſchen
Parthey die Idee des Republicanismus , weil die Repu-
blik durch die welche ſich demokratiſch nannte umgeſtuͤrzt
war . Livius war Pompejaner , mit einem ganz ſpecula-
tiven Gefuͤhl , denn ſchon der Juͤngling ſah die Partheyen
nicht mehr ; und aus dieſer Gunſt , je weniger er das
gleichbenannte unterſchied , ergriff er in der Vorzeit jede
Parthey des Senats und der Ariſtokratie , als ſeiner Liebe
verwandt , nicht eingedenk daß die juͤngſte Ariſtokratie aus
dem erwachſen war was er als Volksparthey im Alter-
thum ſchmaͤht , und deswegen haßt weil er die Volkspar-
they in den Tagen ſeiner Vaͤter fuͤr alles Ungluͤck verant-
wortlich macht was ſich durch ſie entſchied . Die Plebs des
dritten Jahrhunderts muß ihm fuͤr die welche im achten
alſo genannt ward , ihre Tribunen muͤſſen fuͤr Saturninus
und Clodius , die Ackergeſetze der alten Republik fuͤr die
der Triumvirn buͤßen : und ſo wird eines der liebenswuͤr-
digſten Gemuͤther , ohne es zu ahnden , im Widerſpruch
gegen ſeine innerſten und eigentlichen Gefuͤhle , ungerecht
gegen die gute Sache , der ungerechten hold .
Mag nun der Beſchluß uͤber eine gerechtere Ord-
nung wegen der Domaine in einem foͤrmlichen Geſetz ,
oder nur in einem Senatusconſult abgefaßt geweſen
ſeyn , ſo hatte doch der Senat dem Volk die eingeraͤum-
ten Vortheile in unbeſtreitbar guͤltiger Form bewilligt ,
und konnte die Ausfuͤhrung ſeines eignen Beſchluſſes
nicht ohne Wortbruͤchigkeit verſagen . Dies feierlich ge-
gebne Wort ward gebrochen . Es war verordnet daß
die Conſuln des folgenden Jahrs ( 269 ) die Commiſſa-
rien fuͤr die Abgraͤnzung des Ager Publicus , die Ab-
ſonderung eines Theils zum Verkauf und zur Aſſigna-
tion , und die Verpachtung des Zehenten , ernennen ſoll-
ten : dies geſchah nicht . Die Tribunen mahnten um
Ausfuͤhrung der Verordnung . Zur Antwort kuͤndigten
die Conſuln eine Truppenaushebung an , wodurch die
Berathſchlagung der Volksgemeinde gehindert ward , in-
dem man dazu in dem ganzen Lauf dieſer innern Feh-
den den Tag waͤhlte worauf dieſe von den Tribunen an-
geſagt war ; und die Conſuln durch ihre koͤnigliche Ge-
walt die heftigſten Mißvergnuͤgten aus der Stadt fuͤh-
ren , ohne Sold ſo lange ſie wollten im Felde halten ,
dem Feinde als Schlachtopfer uͤberliefern Wie es von dem Conſul T. Romilius und dem Alttri-
bunen L. Siccius erzaͤhlt wird . Dionyſius X. c. 44. ff . , oder
ſelbſt unter einem Vorwand zum Tode verdammen konn-
ten . Wir haben Muͤhe den Greuel zu dem im Alter-
thum oligarchiſche Tyranney ſtieg zu faſſen und zu glau-
ben : doch ſpiegelt er ſich in dem Eide der in griechi-
ſchen Oligarchieen von wegen des Staats denen die an
der Herrſchaft Theil nahmen auferlegt ward : ſie woll-
ten dem Volke gram ſeyn , und nach beſtem Wiſſen ra-
then was ihm zum Schaden gereiche Ariſtoteles Politic. V. c. 9. Νῦν μὲν ἐν ἐνίαις ὀλιγαρ-
χίαις ὀμνὐουσι , Καὶ τῷ δήμῳ κακόνους ἔσομαι ,
καὶ βουλεύσω ὅ τι ἂν ἔχω κακὸν . . Haͤtten nun
die Soldaten eine ſichre Hoffnung gehabt wenigſtens was
ſie erbeuteten ausgetheilt zu erhalten , ſo wuͤrde die Menge
ſich ſchon williger gefunden haben in das Feld zu zie-
hen : aber auch hier verkuͤrzte ſie der Geiz der Patricier .
Die Beute war fuͤr den Staat behalten In publicum redactum . Livius II. c. 42 . , ein Aus-
druck deſſen Sinn ſehr unſchuldig ſeyn und nur bedeu-
ten koͤnnte daß der fuͤr den Verkauf geloͤßte Ertrag in
den Schatz eingezahlt , und zu den Staatsausgaben ver-
wandt geworden ; wahrſcheinlich aber etwas ganz ande-
res anzeigt . Die treueſte Ueberſetzung naͤmlich iſt daß
die Beute zum Gemeingut eingezogen ward , und da
dieſes , wie gezeigt iſt , nicht von dem geſammten
Staat , ſondern perſoͤnlich von den Patriciern , als aus
denen die urſpruͤngliche Gemeinde beſtand , benutzt ward ,
ſo haͤtte nach dieſer Auslegung , was das Heer mit Blut
und Schweiß erkauft , nur gedient ſie zu bereichern . Der
Unwille des Volks ſo oft es geſchah , ſogar des Geſchicht-
ſchreibers Tadel , welcher ungerecht ſeyn wuͤrde wenn
man annaͤhme , es waͤre damit ein andres Beduͤrfniß
des Staats beſtritten , alſo eine Kriegsſteuer erſpart ge-
worden , ſcheinen fuͤr die Zeit der ſtrengen Oligarchie keine
andere Auslegung zuzulaſſen .
Die Tribunen machten daher , als in einem außeror-
dentlichen Fall , das Recht ihres Standes geltend den Ge-
horſam zu verweigern , und die Conſuln jenes welches ih-
nen im gewoͤhnlichen Gang der Verwaltung unbeſtritten
zukam , die Widerſpenſtigen mit willkuͤhrlichen Strafen ,
Pfaͤndung , Verkauf der Habe , Streichen oder ſelbſt mit
dem Tode zum Dienſt zu zwingen . Die mit Strafe be-
drohten fluͤchteten ſich unter dem Schutz der Tribunen ,
deren Macht die Ariſtokratie , wie ſie ihre Entſtehung nicht
hindern gekonnt , auch nicht mit offenbarer Gewalt zu be-
kaͤmpfen wagte . Es war nur die Ueberzeugung von der
unbedingten Unterwerfung des Volks unter die geſetzlichen
Formen welche ihr Muth gab andre Mittel zu verſu-
chen . Man kuͤndigte an , der Senat werde einen Dictator
proclamiren laſſen wenn die conſulariſche Macht unzu-
reichend ſey : und da , nach dem Buchſtaben des Ge-
ſetzes , tribuniciſcher Widerſpruch gegen die Dictatur
nichtig , Widerſtand Rebellion war , ſo gaben Tribunen
und Volk nach vor der Furcht dieſes Nahmens , nicht der
vier und zwanzig Lictoren .
Mit dieſer Erfahrung zoͤgerte der Senat nicht die
jaͤhrlich erneuerten Anſpruͤche des Volks wiederhohlt mit
der naͤmlichen Taktik zu bekaͤmpfen . Wenn die Tribunen
hartnaͤckigere Entſchloſſenheit zeigten , ſo konnte auch ohne
die Dictatur der Buchſtabe des Geſetzes dieſe vereiteln .
Der tribuniciſche Schutz erſtreckte ſich nur auf die Stadt
und eine Bannmillie Livius III. c. 20. Neque enim provocationem esse
longius ab urbe mille passuum ; et tribunos , si eo adve-
niant , in alia turba Quiritium subjectos fore consulari
imperio . , daher konnten die Conſuln ,
wenn ſie ſich außerhalb dieſes Bezirks begaben um die
Aushebung vorzunehmen ( 271 ) , mit willkuͤhrlicher
Strenge verfahren . Entzog auch der ausbleibende im
Umfang des tribuniciſchen Schutzgebiets ſeinen Leib ihren
Mißhandlungen , ſo haftete doch ſeine Habe ; alles ward
weggenommen oder verbrannt , und wer ergriffen ward
buͤßte koͤrperlich Dionyſius VIII. c. 87 . . So erzwangen die Conſuln wohl
den augenblicklichen Gehorſam der Furcht : aber ein willi-
ger und freudiger Dienſt ließ ſich nicht erzwingen : die Ar-
mee wollte nicht ſiegen ( 273 ) , und wich vor dem ſchon ge-
ſchlagenen Feinde zuruͤck Livius II. c. 43 . . Es hatte in dieſem Jahre
noch mehr erbittert daß Schlauheit den tribuniciſchen
Schutz vereitelt hatte , als fruͤher , wenn offenbare Gewalt
angewandt war : und das Volk glaubte ſich ſelbſt , wenn
auch auf unerlaubten Wegen helfen zu muͤſſen , da es ſich
von einem Theil ſeiner eignen Repraͤſentanten verrathen
fand . Die Patricier gewannen einige aus dem Collegium ,
deren Gegeninterceſſion das Veto desjenigen aus ihrer
Mitte aufhob der , ſeiner Pflicht treu , die Ausfuͤhrung
des Ackergeſetzes zur Bedingung des plebejiſchen Gehor-
ſans machte Derſelbe ebendaſ. und c. 44 . . Eine verderbliche Liſt , welche das
Weſen der tribuniciſchen Gewalt aͤnderte , und die heil-
ſame Milderung der Volksleidenſchaften durch eine ver-
mittelnde Macht aufhob , zwiſchen der und dem Senat ,
ſobald dieſer die Eintracht wollte , eine friedliche Verſtaͤn-
digung mit gegenſeitiger Nachgiebigkeit leicht bewirkt
werden konnte . Auch blieb den weiſeren Patriciern die
Verſchlimmerung der Gaͤhrung nicht verborgen : die ſtol-
zen Fabier ahndeten daß ſie zu weit gegangen waͤren , und ,
nach dem etruskiſchen Siege des Jahrs 274 , einem
Siege , ſo theuer erkauft , daß , wer es mit dem Va-
terlande wohl meinte , fuͤhlen mußte Rom habe keine
Kraͤfte zu verſchwenden oder zu vernachlaͤſſigen , ſuchten
ſie die Eintracht durch Liebe herzuſtellen . Der Conſul
M. Fabius vertheilte die verwundeten Plebejer zur Pflege
und Heilung in die patriciſchen Haͤuſer : das fabiſche
Geſchlecht nahm fuͤr ſich die groͤßte Zahl : und ſorg-
ſame Pflege , vielleicht um ſo mehr als Wohlwollen
eben des Geſchlechts , mit dem das Volk am hartnaͤk-
kigſten gehadert hatte , unerwartet ſeyn mochte , ge-
wann das ehrliche Gemuͤth der braven Soldaten ſo ſehr
daß alle Herzen der Plebejer ſich den Fabiern zuwand-
ten Livius II. c. 47. . Ein edelmuͤthiger Ariſtokrat der durch Liebe
im Volk herrſchen kann , wird leicht deſſen Freund wer-
den : das waͤre ein ganz verwelktes Herz welches allge-
meine Liebe nicht erwiederte . Die Fabier vertraten nun
die plebejiſche Sache im Senat , und erklaͤrten die Aus-
fuͤhrung des Ackergeſetzes fuͤr die heilſam nothwendige Be-
dingung der Eintracht : dafuͤr nannte die herrſchende Par-
they ſie Verraͤther Ebendaſ. c. 48 . . Der Entſchluß ihres Geſchlechs
das Fort an der Cremera zu beſetzen , erklaͤrt ſich vielleicht
hinreichend aus andern ſehr einfachen Gruͤnden : wie es
aber eigentlich eine Auswandrung und Gruͤndung einer
Colonie war , ſo mag auch der Unmuth uͤber ihrer Mit-
ſtaͤnde Ungerechtigkeit , und den heilloſen innern Zuſtand
der Republik ihren Haͤuptern Rom verleidet haben . Caͤſo
Fabius , der Conſul , durch den jener Antrag geſchehen
war , fuͤhrte ſelbſt ſeine Geſchlechtsgenoſſen noch in dem
Jahre ſeines Conſulats aus der Stadt .
Unter dieſen Bewegungen hatte das Volk einen Vor-
theil gewonnen , von dem die Geſchichtſchreiber welche al-
lein geleſen werden ſchweigen , und deſſen Andenken ſich
nur bey einem ſehr unſcheinbaren und demuͤthigen , unter
einem Reichthum andrer gleich unerſetzlicher Notizen ,
uͤberſehen oder verſchmaͤht erhalten hat . Schon im Jahr
272 ward nachgegeben , daß , da bisher beyde Conſuln von
den Machthabenden ernannt waren , einer von beyden
durch das Volk mit freyer Wahl aus den Patriciern er-
kohren werden ſolle ; es hatte dies benutzt und Sp. Fu-
ſius zum Conſul des Jahrs 273 erwaͤhlt . So lautet
die Nachricht des Zonaras Zonaras VII. c. 17. Χρόνῳ δέ ποτε — οὐκ εἴων καὶ ἄμ-
φω τȣ `ς Ὑπάτȣς ἢ Στρατηγȣ `ς ὑπὸ τῶν δυνατῶν ἀποδείκνυ-
ϑαι , ἀλλ̕ ἤϑελον καὶ αὐτοὶ τὸν ἕτερον ἐκ τῶν Εὐπατριδῶν
αἱρεῖσϑαι . ὡς δὲ τȣ ῀το κατεργάσαντ ο , προείλοντο Σπȣ ´ριον
Φȣʹριον . Ich habe dieſen Byzantiner ſchon fruͤher , und werde
ihn noch haͤufig mit großem Vertrauen und Dankbarkeit
anfuͤhren . Es iſt bekannt , daß ſeine aͤltere roͤmiſche Ge-
ſchichte , von Aeneas bis auf die Zerſtoͤrung Korinths , das
letzte Drittheil des erſten Tomus nach ſeiner eignen , das
ſiebente bis zum neunten Buch nach Du Fresnes Abthei-
lung , nichts als ein Auszug aus den verlohrnen Buͤchern
des Dio Caſſius iſt : ein Auszug worin er , wie Konſtan-
tins Eklogen darthun , haͤufig die Worte ſeines Originals
beybehalten hat , wo er durch Auslaſſen hinreichend abkuͤr-
zen konnte ; oft aber auch , wie die hoͤchſt vulgaͤre und feh-
lervolle Sprache beweißt , eine eigne Einkleidung giebt .
Jenes iſt zum Gluͤck an allen Stellen wo er von der Ver-
faſſung redet , im Weſentlichen unvermeidlich fuͤr ihn gewe-
ſen , weil er von allem dem woruͤber er ſchrieb nichts wei-
ter gewußt zu haben ſcheint als was vor ihm lag . An
Verfaͤlſchung iſt bey ihm nicht zu denken . Es iſt ein
großer Nachtheil daß ſein Werk nur fuͤr die Zeiten beach-
tet geworden iſt wo uns andre Nachrichten faſt ganz feh-
len . Jene drey Buͤcher haͤtten dem Dio Caſſius vorgedruckt : welches , wie wir wiſ-
ſen , nur Dios Erzaͤhlung , durch ihn uͤberbracht , ſeyn
kann , uͤberbracht mit treuer Einfalt : und Dio kannte
die roͤmiſche Verfaſſung in jeder ihrer Perioden ohne
allen Vergleich ſchaͤrfer als irgend ein Hiſtoriker des
auguſteiſchen Zeitalters : ſtets folgt er ihren Verwand-
lungen mit ſorgfaͤltiger Aufmerkſamkeit . Er war Se-
nator und Staatsmann , er lebte in dem Zeitalter der
hoͤchſten Bluͤthe des buͤrgerlichen Rechts ; die Kriegsge-
ſchichte ſchrieb er mit ſeltnen Abweichungen nach Li-
vius , die politiſche hat er ſichtbar ganz aus den aͤlteren
und ſchon verſaͤumten Annalen ausgearbeitet .
Dieſe Machthabenden ſind nicht die Patricier als
Stand , welche gleich nachher mit dem bey dieſem Schrift-
ſteller gewoͤhnlichen correcten Wort als Eupatriden ge-
nannt werden , ſondern der Senat , von dem gleich zuvor
auf dieſelbe Weiſe die Rede war ο ἱ δυνατοὶ — πολέμȣς ἐκ πολέμων ἐπίτηδες ἐκίνουν . : das Volk aber iſt hier
die Gemeinde der Centurien . Es hat eine innere Conſe-
quenz welche unwiderſtehlicher Beweis iſt , daß der Senat ,
wie die Geſetze ſo die Candidaten , dem in den Centurien
verſammelten Volk durch ein Senatusconſult προβȣʹλευμα . zur
Annahme vorſchlug . Es war der erſte Keim der Freyheit
daß dieſer Nationalgemeinde wenigſtens das Recht der
werden ſollen , und es waͤre ein wahres Verdienſt einen ein-
fachen Abdruck des ziemlich unverdorbnen Textes der Pari-
ſer Ausgabe zu veranſtalten , wodurch ſie allgemeiner ver-
breitet wuͤrden . Der Reſt ſeiner Annalen iſt faſt ganz ent-
behrlich , und kann ohne Schaden in ſeiner Dunkelheit blei-
ben . — Zonaras ſchrieb um die Mitte des zwoͤlften Jahr-
hunderts , und das iſt keine traͤumeriſche Hoffnung , was er
in Haͤnden hatte moͤchte auch noch jetzt irgendwo verborgen
liegen . Er ſelbſt hatte von Dio nur was er in Auszug
brachte ; wie es mir ſcheint die erſten zwanzig Buͤcher .
Verwerfung gegeben war , wenn ſie auch weder Maͤnner
noch Maaßregeln ihrer eigenen Wahl aufſtellen konnte ,
und durch wiederholtes Verwerfen ermuͤdet , oder dabey
bedroht , ſich dem Willen der Regierung endlich fuͤgen
mußte . Die Freyheit begann zu athmen als eigene Wahl ,
zwar nur eines der beyden Conſuln , und immer eines Pa-
triciers , aber eines freundlich geſinnten , den der Senat
nie vorgeſchlagen haͤtte , dem Volk freygegeben war . So
gewann des Volks Wohlwollen Wichtigkeit fuͤr den Patri-
cier der hohe Ehren wuͤnſchte . Fuͤr den andern Conſul
blieb es bey der alten Ordnung bis zum Decemvirat : fuͤr
das Jahr 283 ward Appius Claudius durch Senatsbe-
ſchluß zum Conſul vorgeſchlagen Dionyſius IX. c. 42. Ἄππιον Κλαύδιον — προεβȣʹ-
λευσἀν τε καὶ ἐψηφίσαντο ἀπόντα ὕπατον . Den urſpruͤng-
lich geſetzlichen Gang aller Wahlen die der Centurienge-
meinde eingeraͤumt waren , bezeichnet eine andre Stelle , X.
c. 4. ὔτε βȣλῆς δόγμα ὑμᾶς ἀποδείκνυσιν ἐπὶ
τὴν ἀρχὴν , οὔτε αἱ φράτραι τὴν ψῆφον ὑπὲρ ὑμῶν ἐπιφέ-
ρουσιν . Sie iſt erweiſend fuͤr die allgemeine Regel , ob-
gleich nur halb richtig fuͤr den Gegenſtand wovon dort die
Rede iſt : denn darauf kann man freylich ſchwoͤren daß die
Volkstribunen , als ſie noch von der Nationalgemeinde er-
waͤhlt wurden , doch nie vom Senat vorgeſchlagen waren . : eine Nachricht
welche von Dionyſius abgeriſſen , aber unzweydeutig , und
durch jene voͤllig erklaͤrt , gegeben wird . Hieraus erklaͤrt
ſich in ſeinem Urſprung das Recht des vorſitzenden Con-
ſuls Stimmen fuͤr einen Candidaten nicht anzunehmen .
Das neue Recht , das erſte welches die harte Oligarchie
des Senats in ihrer Conſequenz zerriß , ward vermuthlich
eingeraͤumt um den Widerſpruch der Plebejer gegen einen
Kriegszug zu heben . Eine Oligarchie die zuruͤckweicht iſt
ſchon uͤberwunden , wie lange auch noch ihr Widerſtand
fortgeſetzt werden mag : und das roͤmiſche Volk ſiegte ge-
gen die Patricier wie die Nation uͤber Italien , durch un-
verdroſſene Beharrlichkeit im unſcheinbaren geringen An-
fang , durch hartnaͤckige Anſtrengungen um anſcheinend
geringe erſte Vortheile , durch raſches Ergreifen des guͤn-
ſtigen Augenblicks , ausdauernde Geduld , und Sorge nur
nicht zuruͤckgedraͤngt zu werden in ſchwierigen Zeiten , end-
lich durch vervielfachtes Aufbieten lange geſammelter
Kraft , als die Fuͤlle der Zeit gekommen war , durch Be-
feſtigung des entſcheidenden Siegs , und ruhiges Ein-
erndten ſeiner unbedeutenderen Fruͤchte .
Das Ungluͤck des vejentiſchen Kriegs , wodurch die
Republik in den folgenden Jahren niedergedruͤckt ward ,
beſchaͤftigte alle Gemuͤther durch das Gefuͤhl gegenwaͤrti-
ger Noth , und es ward , ſo lange dieſe waͤhrte , nicht uͤber
den Beſitz von Fluren geſtritten , die in der Gewalt des
Feindes waren . Eben dieſes Ungluͤck ward aber Veran-
laſſung daß die tribuniciſche Gewalt aus einer Ohnmacht
und Unthaͤtigkeit erwachte worin ſie ſeit Jahren verſunken
war . Die Tribunen des Jahrs 278 forderten von dem
Altconſul T. Menenius das Blut der Fabier , welche er ,
wie es ſchien , haͤtte retten gekonnt , und , mit naͤherem
und unbeſtreitbarem Recht , das Blut ſo vieler Plebejer ,
die in einer durch ſeine Schuld erlittenen ſchimpflichen
Niederlage umgekommen waren . Hieruͤber konnte der
Volksgemeinde das Gericht nicht entzogen werden . Es
war aber den Tribunen weniger um den Untergang des
Angeklagten zu thun , als darum daß ein Vorgang dieſes
Recht des Gerichts wieder in Kraft ſetze , welches ſeit Co-
riolans Anklage geruht zu haben ſcheint ; deswegen ward
die Mult von ihnen ſo niedrig geſchaͤtzt daß die Patricier ,
welche wenigſtens eben ſo ſehr nach dem Gelde als nach
der Ehre urtheilten wo ſie ihre aͤußerſten Kraͤfte zum Wi-
derſtand aufbieten muͤßten , der Sache mit groͤßerer Lau-
heit zuſehen moͤchten , und das Volk ſich nicht durch Mit-
leiden von der Verurtheilung zuruͤckhalten laſſe . Die
Mult ward nur auf 2000 Aſſen geſchaͤtzt , aber die Ver-
dammung zerriß das Herz des Ungluͤcklichen unheilbar :
er ſtarb am Gram . Im folgenden Jahr ( 279 ) ſprachen
die Tribus den Conſular Sp. Servilius auf eine gleiche
tribuniciſche Anklage frey : weil , in der verzweifelten Lage
des Staats , auch ein ungluͤcklicher Erfolg eine gewagte
Unternehmung nicht verdammen durfte .
Als nun die Befugniß der Tribunen , Patricier vor
das Volksgericht zu rufen , aufs neue factiſch anerkannt
war , verſuchten ſie es ſich ihrer Schrecken zu bedienen ,
damit das Schickſal beſtrafter Conſuln ihren Nachfolgern
zur eignen Angelegenheit mache die alten Zuſagen des
Senats nicht laͤnger unerfuͤllt zu laſſen . Fuͤr die Nichter-
fuͤllung des Ackergeſetzes waren , wie der Tribun Cn. Ge-
nucius ( 281 ) erklaͤrte , alle Conſuln verantwortlich die
ſeit Sp. Caſſius den curuliſchen Thron eingenommen :
weil die Commiſſarien deren Ernennung damals den fol-
genden Conſuln befohlen worden , nie ernannt waͤren . Er
wolle dies aber nur an denen des zunaͤchſt vergangenen
Jahrs , L. Furius und A. Manlius , ahnden , welche er
demnach vor das Volksgericht citirte Dionyſius IX. c. 57. Livius II. c. 54 . Der letzte uͤber-
geht den Gegenſtand der Anklage . . Es iſt nicht
gemeldet , worauf der Tribun die Anklage richtete ; damit
ſie nicht zum zweckloſen und wilden Streit werde , forderte
ſie wohl nur Geldſtrafe . Dieſer Anklage nun konnten die
Patricier nichts entgegenſetzen als die unredliche Ausrede
wodurch die Conſuln des damaligen Jahrs die Forderun-
gen des Tribuns abgewieſen , und ihn grade zu heftigeren
Schritten gezwungen hatten : jener Senatsbeſchluß habe
nur die naͤchſten Conſuln verpflichtet , — von denen wenig-
ſtens Q. Fabius ſchon im Grabe lag — jetzt ſey die Sa-
che veraltet . Genucius hatte der Volksgemeinde geſchwo-
ren ſeine Anklage ſich nicht entreiſſen zu laſſen : ſeine Col-
legen waren unerſchuͤtterlich und unbeſtechlich wie er .
Die Verurtheilung der Angeklagten war gewiß : eine
Frevelthat , die ein ſchreckliches Licht auf den Zuſtand der
Zeiten wirft , vereitelte das Gericht . Schon lange war
das Volk verſammelt , mit den uͤbrigen Tribunen ; man
harrte auf den ausbleibenden Anklaͤger . Endlich ward ge-
melder er liege todt in ſeinem Hauſe . Es war kein Tod
von der Hand des Schickſals . Livius , nach deſſen Vor-
urtheil ſonſt die Rechtlichkeit wenigſtens ſo ſehr als das
Recht bey den Patriciern war , muß den Glauben wel-
chen die Umſtaͤnde dieſes Todes aufdringen , durch das
einſtimmige Zeugniß der Annalen beſtaͤtigt gefunden ha-
ben , weil er gar keinen Zweifel uͤber veruͤbten Meuchel-
mord
mord zulaͤßt Dionyſius ſagt hier , im Zuſammenhang der Geſchichte ,
es habe ſich an der Leiche keine Spur eines gewaltſamen
Todes gefunden ( IX. c. 37. ) . An einem andern Ort hin-
gegen redet er von der Ermordung des Genucius ( X. c. 38. ) .
Ihm geſchieht es ſehr ſelten daß er ſich widerſpricht : alſo
mag jene Stelle nur andeuten ſollen was ſie buchſtaͤblich ſagt ,
nicht daß Genucius in der That natuͤrliches Todes geſtorben
waͤre . Mir ſcheint hier eine Erinnerung an des juͤngeren
Scipio Tod dem Dionyſius oder einem ſeiner Annaliſten
vorgegaukelt zu haben . . Es fließt aus dieſer gewiſſen Ueberzeu-
gung , wenn er erzaͤhlt wie eine teufliſche Freude uͤber den
Mord laut ausgebrochen ſey : wie jeder Patricier , auch
wer der That fremd geweſen , ſich der Mitſchuldigkeit ge-
ruͤhmt habe : fuͤr hiſtoriſche Ueberlieferung darf das nicht
gelten , und nicht den ganzen patriciſchen Stand mit dem
Vorwurf des Mords belaſten .
Auch die Kraft der Erbitterung womit das Volk un-
mittelbar nachher , unter der Fuͤhrung des Tribunen Vo-
lero Publilius , jene entſcheidende Veraͤnderung der Ver-
faſſung errang , welche den Comitien der Tribus eine Ini-
tiative in der Geſetzgebung einraͤumte ; auch dieſe deutet
hier auf ein Verbrechen , welches als das meuchleriſche
Werk feiger Wuth ſeinen Urhebern nur Schande und
Schaden bringen konnte .
Unmittelbar nach dem Morde ſingen die Conſuln an
Soldaten auszuheben , wiewohl alles friedlich war : ohne
von den Tribunen , die fuͤr ihr Leben zitterten , Widerſtand
zu erfahren . Volero Publilius ward von ihnen als Ge-
Zweiter Theil. C
meiner aufgerufen ; er hatte als Offizier gedient , und
fuͤhlte dieſe Herabſetzung als ſchnoͤdes und gefliſſentli-
ches Unrecht Dionyſius nennt dieſen Publilius einen Mann von niedri-
ger Herkunft : wahrſcheinlich ohne einen andern Grund als
den bey ihm herrſchenden Wahn die Plebs habe aus dem ar-
men Volk beſtanden . Man moͤchte vielmehr aus dem ſpaͤte-
ren Glanz des publiliſchen Geſchlechts auf das Gegentheil
ſchließen , ſo weit plebejiſche Haͤuſer ausgezeichnet ſeyn konn-
ten ſo lange ihnen die erſten Wuͤrden verſchloſſen waren .
Doch war auch ſein Verdienſt hinreichend um ſeine Nach-
kommen zu erheben . . Er rief vergebens zu den zagenden Tri-
bunen um Schutz : er fand dieſen bey der Menge , die ihn
den ausgeſandten Lictoren entriß : der Aufſtand ward
allgemein und wuͤthend : die Conſuln entſagten ihrem
Feldzuge .
Fuͤr das folgende Jahr ( 282 ) ward Publilius zum
Tribun des Volks gewaͤhlt . Man hatte erwartet daß er
ſeinen eignen Zwiſt durch Anklage der Conſuln raͤchen
wuͤrde ; das verſchmaͤhte er : dieſelben Anſtrengungen
welche ihre Verurtheilung erfordert haͤtte konnten einen
weſentlichen und entſcheidenden Sieg gewinnen . Es war
unſtreitig ein Recht der Plebejer zu beſtimmen , in welcher
Form ſie die ihnen ausſchließlich eigenthuͤmlichen Aemter
vergeben wollten . Die Tribunen waren dem Volk als
Repraͤſentanten der Klaſſen zugeſtanden ; daher , und nach
der Analogie der conſulariſchen Wahlen , wurden ſie ur-
ſpruͤnglich von den Centurien ernannt , und , gleich den
Conſuln , von den Curien beſtaͤtigt Dies ſagt ausdruͤcklich die ſchon angefuͤhrte Stelle , in den . Dieſes iſt , ſchon
vor Alters , dahin mißverſtanden worden daß ſie durch die
letzten erwaͤhlt waͤren : eine widerſinnige Erzaͤhlung ; als
Vorwuͤrfen der Conſuln an die Tribunen , bey Dionyſius X.
c. 4. οὔτε αἱ φράτραι τὴν ψῆφον ὑπὲρ ὑμῶν ἐπιφέ-
ρȣσιν : ſie ſtimmen nicht uͤber euch : nicht : ſie erwaͤhlen
euch nicht . Haͤtte er das letzte ſagen wollen , er , deſſen
Sprachgebrauch vollkommen correct iſt , er wuͤrde geſchrie-
ben haben ὑμᾶς χειροτονȣ ῀σιν . Denn der von ihm gebrauchte
Ausdruck kann dieſes nicht bezeichnen .
Dadurch berichtigt ſich erweißlich das Mißverſtaͤndniß
uͤber die angebliche Wahl der Tribunen durch die Curien
bey Dionyſius IX. c. 41. und Cicero ; wie ich es vermu-
thete ( S. Th. I. Zuſatz zu S. 424. ) . Ich darf wohl Ver-
zeihung fordern wenn in dem Aufraͤumen dieſes Schutts
einiges uͤberſehen iſt , wie dieſes entſcheidende Zeugniß .
Haͤtte ich es fruͤher gehoͤrig gefaßt , ſo wuͤrde eine ſchwan-
kende Darſtellung der Curien , der ſchwaͤchſte Punkt des er-
ſten Theils , die Conſequenz des Entwurfs der Grundver-
faſſung , und ihre einleuchtende Evidenz nicht geſtoͤrt haben .
Ich glaubte naͤmlich anfangs Dionyſius Zeugniß uͤber die
Wahl der Tribunen durch die Curien nicht beſeitigen zu
koͤnnen , und dieſe Erzaͤhlung , mit Livius ( II. c. 56. ) ver-
bunden , zwang mich fuͤr die Plebejer und fuͤr die Clienten
einen Platz in den Curien zu ſuchen ( Th. I. S. 234. ) ob-
wohl ich nach der Macht aller uͤbrigen Zeugniſſe gezeigt
und behauptet hatte , urſpruͤnglich ſowohl als ſpaͤter waͤren
die Curien die Geſammtheit und Gemeinde nur der patriciſchen
Gentes geweſen . Dieſe Anſicht ſtelle ich jetzt ohne irgend
einige Beſchraͤnkung auf , und nehme alles zuruͤck was in
jener accommodirenden Darſtellung ihr entgegen iſt .
Die neuen Centurien des Koͤnigs Tarquinius ſind den
Curien zuverlaͤſſig ganz fremd geblieben : vielmehr ſcheint
C 2
ob es denkbar waͤre , daß die Gemeinde der Patricier
den Plebejern ihre Repraͤſentanten gewaͤhlt , und ſo un-
gluͤcklich gewaͤhlt haͤtte daß ſie ſich Jahr fuͤr Jahr ihre
eigenen bitterſten Feinde ernannt . In den Centurien
waren die Clienten nicht ausgeſchloſſen , alſo die plebe-
jiſchen Wahlen nicht ungeſtoͤrt Res — ( die publiliſche Rogation ) — quæ patriciis om-
nem potestatem per clientium suffragia creandi , quos vel-
lent , tribunos auferret . Livius II. c. 56 . , wiewohl es ſicht-
bar falſch iſt zu ſagen die Patricier haͤtten durch ſie
Tribunen ihrer Wahl ernannt : auch die Negative der
Curien hinderte die Wahlen im plebejiſchen Sinn nicht :
es waͤre wohl zu bedenklich geweſen , ſie hartnaͤckig aus-
zuuͤben : doch war es recht und billig daß die plebeji-
ſchen Wahlen ganz frey wurden . Publilius ſtellte die
Rogation auf , daß dieſe hinfort durch die Tribus ge-
ſchehen ſollten . Vergebens ſuchten die Patricier mit al-
ter Liſt das Collegium zu trennen : kein Tribun gewaͤhrte
ihnen ſeine Interceſſion . Die Patricier verſuchten alſo
mir der Urſprung jener darin zu ſuchen daß ſie nach derſel-
ben Regel wie die patriciſchen Centurien oder Tribus der
Gentes (γενικαὶ φυλαὶ ; Dionyſius IV. c. 14. ) in dreyßig
Tribus , wie dieſe in Curien eingetheilt wurden . Dieſe
Vermuthung vollendet , wie es ſcheint , die Conſequenz und
Analogie der aufgeſtellten Geſchichte der plebejiſchen Frey-
heit : zuerſt waͤren die latiniſchen Ritter zu einer Corpora-
tion erhoben worden , dann die uͤbrigen Freyen . Dieſe waͤ-
ren ihnen in den Tribus zugeſellt geworden : in der Centu-
rienverfaſſung waͤre noch das Andenken des Unterſchieds ge-
blieben .
eine neue Taktik der Gewaltſamkeit : ſie vertheilten ſich
mit ihren Clienten auf dem Forum , uͤbertaͤubten die
Verhandlungen , hinderten mit offenbarer Gewalt die
Abſtimmung , und vereitelten ſo das ganze Jahr hin-
durch alle Verſammlungen der Gemeinde . Beyde Staͤnde
bereiteten ſich fuͤr das folgende zur Entſcheidung : das
Volk erwaͤhlte Publilius aufs neue , mit gleich ſtandhaf-
ten Collegen ; die Patricier vergaßen auch dieſesmal daß
der Hochmuth und die Unerbittlichkeit des erſten Appius
ihrem Stande die beſtrittnen Vorrechte nicht erhalten ,
ſondern ihre Aufopferung demuͤthigend gemacht hatte .
Die Wahl des Appius Claudius zum Conſulat , als Can-
didaten des Senats , ward erzwungen Livius II. c. 56. Dionyſius IX. c. 42 . .
Neben der erneuerten publiliſchen Rogation ward
jetzt auch ihre Ausdehnung auf die Wahl der Aedilen
promulgirt Dionyſius IX. c. 43 . , welches die Sage widerlegt daß dieſe an-
faͤnglich nur Diener der Tribunen geweſen , da man doch
wohl annehmen muß auch dieſe Veraͤnderung ſey von
Uebertragung der Wahlen von den Centurien auf die
Tribus zu verſtehen . Aber ohne Vergleich wichtiger war
eine neue Rogation : eine Erklaͤrung , die Plebs ſey be-
fugt abgeſondert von den Patriciern , in der Gemeinde der
Tribus , uͤber alle Gegenſtaͤnde des oͤffentlichen Wohls zu
berathſchlagen und zu beſchließen Zonaras VII. c. 17. ἐξεῖναι τῷ πλήϑει καὶ καϑ̕ ἱαυτῷ
συνιέναι , καὶ ἄνευ ἐκείνων (τῶν Εὐπατριδῶν ) βουλεύεσϑαι ,
καὶ χρηματίζειν πάνϑ̕ ὅσα ἂν ἐϑελήση . Dionyſius IX. . In jenen Comi-
tien war die Plebs unabhaͤngiger als in den Centurien ,
wo die patriciſchen Rittercenturien die erſte , und daher
eine ſehr entſcheidende Stimme , obwohl mit einer klei-
nen Zahl , gaben : weit nachtheiliger aber war es daß in
den Centurien auch die Clienten ſtimmten , wenn ſie
ſteuerpflichtiges Eigenthum beſaßen , und die cenſoriſche
Willkuͤhr der Conſuln mit dieſen , nur unter der Ver-
pflichtung der Steuerzahlung , nach einer Vermoͤgens-
ſchaͤtzung welche kein Tribun zu pruͤfen und zu verwer-
fen im Stande war , die erſten Klaſſen anfuͤllen , und
die Comitien beherrſchen konnte . Waͤren aber auch die
Centurien eine ſo rein plebejiſche Gemeinde geweſen wie
ſie es nach dem Sinn ihrer Errichtung ſeyn ſollten , ſo
waren ſie doch den Tribunen geſchloſſen : denn nur die
c. 43. Προςγράφοντες — καὶ πάντα τὰ ἄλλα ὅσα ἐν τῷ
δήμῳ πράττεσϑαί τε καὶ ἐπικυροῦσϑαι δεήσει ὑπὸ τῶν φυ-
λετῶν ἐπιψηφίζεσϑαι κατὰ ταὐτό . Livius hat grade dieſes
Hauptſtuͤck der publiliſchen Rogationen uͤberſehen , und haͤlt
nur die Form der tribuniciſchen Wahlen im Auge . Uebri-
gens beruht die Notiz daß die Erklaͤrung uͤber das Delibe-
rationsrecht der Tribus ſpaͤter vorgeſchlagen ſey als die
Veraͤnderung der Wahlen , auf der factiſchen Autoritaͤt der
Annalen , welche in ſolchen Faͤllen ſehr zweifelhaft iſt , ge-
gen die innere Wahrſcheinlichkeit daß beyde ein gleichzeitig
aufgeſtelltes Ganzes ausgemacht haͤtten .
Das unzweydeutigſte Zeugniß uͤber dieſe von den Alten
ſelbſt faſt ganz uͤberſehene und mißkannte aͤußerſt wichtige
Veraͤnderung iſt jenes eben angefuͤhrte des Zonaras ; und es
iſt ein ſehr unverdaͤchtiges : Wahrheit aus dem Munde des
Unmuͤndigen .
Conſuln konnten ihnen vortragen , und den Tribunen war
ohne Zweifel ſo wenig als andern Buͤrgern geſtattet in
dieſer das Heer darſtellenden Verſammlung auch nur
zu reden . Es war alſo unmoͤglich , ſo lange es keine
andre geſetzmaͤßig berechtigte fuͤr Berathſchlagungen der
Plebejer gab , Beſchluͤſſe zu faſſen welche die Beduͤrfniſſe
und Forderungen ihres freyen Standes ausdruͤckten .
Auch nach der Annahme der publiliſchen Geſetze waren
dieſe Plebiſcite noch immer weit entfernt von der Kraft
und Guͤltigkeit welche ſie im Fortgang der Entwicklung
der Verfaſſung gewannen . Sie waren aber doch ſchon
nicht weniger als eine Bill , welche durch das Haus der
Gemeinden gegangen iſt : kein Geſetz , bis ſie von den
mitwirkenden Zweigen der Geſetzgebung angenommen
worden , aber , als die Willensaͤußerung des zahlreichſten
Theils der Nation , ſobald von dringenden Forderungen
die Rede iſt , nur in ſehr ruhigen Zeiten ohne Erſchuͤtte-
rung abzuweiſen . Es erhellt aus der Geſchichte dieſer
Nogationen ſelbſt Dionyſius IX. c. 49 . Das Iciliſche Geſetz X. c. 32 .
Die Rogation des C. Terentillus X. c. 48 . In der Nach-
richt uͤber die Vermehrung des tribuniciſchen Collegiums X.
c. 30. erſcheint die ſpaͤtere geſetzliche Form , welche ihr der
Erzaͤhler gegeben haben kann . , und andern verwandten Vorfaͤllen
aus dieſem Zeitraum , nach ihrer Annahme , daß ein Ple-
biſcit nur dadurch Geſetz ward daß ſein Inhalt , in einem
Senatusconſult verfaßt , den Centurien vorgetragen
ward , worauf dann die Curien ihre Beſtaͤtigung geben
mußten : folglich mußte eine tribuniciſche Rogation uͤber
allgemeine Gegenſtaͤnde der Legislation durch vier Ver-
ſammlungen angenommen ſeyn , ehe ſie Geſetz ward . Wie
die Verfaſſung aus der Oligarchie zur Politie , und von
dieſer in Demokratie uͤberging , indem die Zahl der berath-
ſchlagenden Pruͤfungen vermindert ward , und zuletzt die
Gemeinde der Tribus ganz unabhaͤngig und alleinherr-
ſchend uͤbrig blieb , werde ich bey der naͤchſten Veraͤnde-
rung der nun feſtgeſetzten Ordnung darſtellen .
Wenn gleich in Zonaras Erzaͤhlung der inneren Vor-
faͤlle dieſer Zeit Verwirrung der Zeitordnung unverkenn-
bar iſt , und es zweifelhaft ſcheint ob man eine andre Ro-
gation hoͤchſt wichtigen Inhalts , deren er mit den publi-
liſchen gedenkt , zu ihnen zaͤhlen duͤrfe , ſo gehoͤrt ſie doch
wenigſtens in dieſe Jahre , und zu den weſentlichſten Er-
oberungen fuͤr die plebejiſche Freyheit . Das Recht der
Provocation von den conſulariſchen Urtheilsſpruͤchen an
die Gemeinde ward auf alle ausgeſprochene Strafen aus-
gedehnt Zonaras VII. c. 17. Κᾄν τις ἐπ̕ αἰτίᾳ τινι παρὰ τῶν
Στρατηγῶν προςτιμωϑῇ , ἔκκλητον ἐπὶ τȣʹτοις τὸν δῆμον δι-
κάζειν ἔταξαν . : und das iſt der Anfang der Gerichtsbarkeit
der Tribus wie ſie in der folgenden Zeit ausgeuͤbt ward .
An dem Tage der Volksverſammlung der fuͤr die Ab-
ſtimmung anberaumt war , verbreiteten ſich die Patricier ,
noch immer waͤhnend ſie koͤnnten an der Spitze ihrer
Clienten dem Volk mit Gewalt widerſtehen , auf dem Fo-
rum : und die Conſuln , vermoͤge ihres Rechts zur Ge-
meinde zu reden , widerſprachen den Antraͤgen . T. Quinc-
tius , von einem nichts weniger als der Demokratie guͤn-
ſtigen Geſchlecht , aber durch die Erfahrung belehrt die
Gewalt des Strohms werde nur reiſſender wenn man ihn
aufzuhalten verſuchen wolle , ſuchte die Gemuͤther zu ge-
winnen und abzulenken : Appius Claudius redete hoͤhnend
und veraͤchtlich . Der Tribun M. Laͤtorius , dem der Ur-
heber der Geſetze ihre Verhandlung eingeraͤumt hatte , for-
derte die Patricier auf ſich mit den Ihrigen zu entfernen ,
damit die Tribus zur Stimmengebung zuſammentreten
koͤnnten : eine Forderung welche in allgemein anerkanntem
Voͤlkerrecht gegruͤndet war , weil die Fremden ſich aus je-
der Gemeinde entfernen mußten ehe man die Stimmen
ſammelte , und die Patricier mit ihrem Anhang fuͤr die
Plebejer nicht weniger Fremde waren als dieſe ihnen .
Seine Aufforderung fand keinen Gehorſam , und ihre Aus-
fuͤhrung Widerſtand . Appius nannte es eine tolle Ver-
meſſenheit des Plebejers Gewalt gegen Mitglieder des er-
ſten Standes zu verfuͤgen , denen er nicht zu gebieten habe :
ein Tribun ſey nichts mehr als jeder andre Unterthan , ja
ſein eigner Stand brauche ihm nur nach Willkuͤhr zu ge-
horchen . Er befahl ſeinen Lictoren den Laͤtorins zu ver-
haften . Dieſer erwiederte die Beleidigung durch einen
gleichen Befehl gegen den Conſul . Die Lictoren ſuchten
den Tribun zu ergreifen , das Volk draͤngte ſich um ihn
zuſammen , die Steckenbuͤndel der Lictoren wurden ihnen
entriſſen und zerbrochen : es ward allen ſichtbar daß wenn
die Patricier eine gewaltſame Entſcheidung herbeyriefen ,
ihr Untergang unvermeidlich war . Sie fluͤchteten vom
Forum : dies genuͤgte den Tribunen . In der Verſamm-
lung des Senats trug der Conſul T. Quinctius auf die
Genehmigung der Rogationen an , und die Mehrheit ,
williger mit Schande als mit Freundlichkeit nachzugeben ,
ſtimmte nach ſeinem Vorſchlage . In der Erzaͤhlung die-
ſer Vorfaͤlle wird die foͤrmliche Faſſung des Beſchluſſes in
der Volksgemeinde uͤbergangen , wohl aber , von Diony-
ſius , die Annahme des Senatusconſults durch die Centu-
rien , als Geſetz , angedeutet Dionyſius IX. c. 49. ἐπικυρωϑέντος τȣ ῀ προβȣλεύματος
— ὁ δῆμος ἐπεψήφισε τὸν νόμον . .
In allen Freyſtaaten welche ſich nicht ganz demokra-
tiſch regieren , ſo daß die Laune und das gleich wandel-
bare Intereſſe des Augenblicks Regenten ernennt die kein
andres als dieſes fluͤchtig wechſelnde Syſtem kennen und
befolgen , vererben ſich bey angeſehenen Geſchlechtern der
Vorfahren Grundſaͤtze auf den ſpaͤten Enkel als ein heili-
ges Vermaͤchtniß . Den Abtruͤnnigen ſtraft die oͤffentliche
Meinung , ſelbſt der geheime Tadel der Parthey welche
ihn gewinnt , und es iſt dieſes Band wodurch Verfaſſun-
gen Dauer erhalten welche ſonſt einer ewigen Wandelbar-
keit hingegeben zu ſeyn ſcheinen . Denn der Nationalgeiſt ,
wiewohl er , als bewußtlos , die maͤchtigſte und reinſte Ge-
waͤhr der Fortdauer urſpruͤnglicher Eigenthuͤmlichkeit iſt ,
aͤndert ſich unvermerkt und oft bis zur voͤlligſten Revolu-
tion der Geſinnungen : in einer ernſten Nation kann auf
ihrer ganzen Oberflaͤche Leichtſinn ausbrechen . Daher
waren den Stiftern der Demokratieen im Alterthum die
Verbindungen der Geſchlechter und Familien , die Be-
ſchraͤnkung des Buͤrgerrechts auf Eingebohrne , verhaßt :
ſie untergruben und zerſtoͤrten ſie offen und gefliſſentlich .
Unter den Roͤmern hingegen herrſchte die Einheit der
Vorfahren und der Nachkommen , alſo daß eines Hauſes
Leben in der Republik war wie eines einzelnen Mannes ,
ſelbſt bis in die Zeiten allgemeiner Verdorbenheit hin-
ab . Ein Valerius , der Zeitgenoſſe und Unterthan Do-
mitians , trug in ſeinem Gewiſſen die buͤrgerliche Religion
ſeiner Ahnen : und als ſich plebejiſche Geſchlechter erho-
ben bewahrten ſie mit gleicher Treue den Charakter des
Stifters ihres Adels . Der Urenkel empfing die Grund-
ſaͤtze ſeines Ahnherrn als Geſetz , und ſeine großen Gedan-
ken zur Ausfuͤhrung . So vollendete der Dictator Q. Pu-
blilius was der Tribun vier Menſchenalter vor ihm begon-
nen hatte , und ſeine Geſetze verliehen den Comitien der
Tribus , die ſein Ahnherr in das Leben gerufen hatte , ihre
volle Freyheit : der Verfaſſung vielleicht die hoͤchſte Voll-
endung : denn wiewohl die Geſtalt worin ſie bis zum Un-
tergang der guten Tage , die Bewunderung des weiſen
Augenzeugen Polybius und auf ewig der Nachwelt , be-
ſtand , in weſentlichen Stuͤcken durch die Geſetzgebung des
folgenden Zeitalters beſtimmt worden , ſo iſt doch an die-
ſer , was nicht Entwicklung der publiliſchen Geſetze war ,
mehr als unvermeidlich zu entſchuldigen , als zu loben .
Durch die ganze Geſchichte der plebejiſchen Kaͤmpfe in der
Verfaſſung bewaͤhrt ſich jene Erblichkeit der Familien-
grundſaͤtze . Mehr als vierhundert Jahre nachdem L. Si-
cinius die tribuniciſche Gewalt fuͤr das Volk gewonnen ,
war es ein Tribun gleiches Nahmens der ſie von Sullas
Nachfolgern wieder zu fordern zuerſt wagte : von einem
Tribunen der erſten Zeit bis auf C. Macer ſind die Lici-
nier die Vorkaͤmpfer des Volks ; jener Maͤnius , welcher
den Curien die letzten Reſte der Herrſchaft entriß , handelte
wie ſein Vorfahr der die Erfuͤllung des erſten Ackergeſetzes
mit Todesgefahr forderte : ein Junius Brutus , ein De-
cius werden unter den erſten Tribunen als die Haͤupter
ihres Standes genannt .
Ein ruhiger Friede zwiſchen den Staͤnden konnte die
Folge eines Geſetzes nicht ſeyn , welches dem zweyten
Stande grade die Befugniß gab ſeine Forderungen mit
Kraft und Beſtimmtheit zu aͤußern . Es mußte ſich jetzt
eine neue Verfaſſung bilden , wenn auch die Patricier end-
lich den Beſchluß uͤber die Domaine ausgefuͤhrt , und
nicht auch die Feſſeln dieſes Vertrags abzuwerfen ge-
ſucht haͤtten .
Es gehoͤrt fuͤr die Geſchichte der Kriege , wie Appius
Claudius , durch tyranniſche Mißhandlungen die Demuͤ-
thigungen raͤchend welche er vor der Volksverſammlung
erfahren hatte , die Armee zur Verzweiflung , und zu Ver-
gehungen brachte welche allerdings nicht ohne die harte
Strafe hingehen konnten womit er ſie ahndete . Unzer-
trennlich von dieſen Vorfaͤllen iſt die Geſchichte ſeiner An-
klage vor dem Volk : alles zeugt von der wuͤthenden Er-
bitterung beyder Partheyen , und einer unbeſtreitbaren
Uebermacht der Plebejer welche nur durch eine faſt un-
glaubliche geſetzliche Maͤßigung zuruͤckgehalten ward . Un-
erklaͤrlich wuͤrde es ſeyn wie dennoch die Patricier es
wagen konnten fortwaͤhrend das unzweydeutigſte Recht zu
verſagen , und die kleine Zahl gegen die jetzt zu einer maͤch-
tigen Einheit verbundne Menge perſoͤnliche Gewaltthaͤtig-
keiten uͤbte , wenn nicht der Beſitz der hoͤchſten Gewalt
und Regierung an ſich eine in alle Verhaͤltniſſe eingrei-
fende und viele tauſend Einzelne uͤberwaͤltigende Macht
waͤre , die gewoͤhnlich , wenn auch nicht durch ein ſtehen-
des Heer geſchuͤtzt , nur wenn ſie uͤber ihre eigne Macht
irre wird , ohne Gewaltſamkeit faͤllt .
Sich keine Gewaltſamkeit zu erlauben war , ſo lange
der Staͤnde Mißverhaͤltniß waͤhrte , eine unverbruͤchliche
Maxime des Volks , und dieſer Tribunen deren Nah-
men Wohlgeſinnte und Uebelmeinende zur Bezeichnung
verwuͤſtender Demagogen mißbraucht haben . Den fried-
lichen Charakter ihrer Widerſetzung bezeichnet das Wort
Sedition , Abſonderung . Der Roͤmer ſtrenge Religioſitaͤt
hemmte die Ausbruͤche des Unwillens gegen die Perſonen
des herrſchenden Prieſterſtands : die hoͤchſten Wuͤnſche
konnten nur fordern von ihm nicht unterdruͤckt , und ihm
buͤrgerlich gleich zu ſeyn ; nie , nach der griechiſchen Re-
publiken Art , Rache zu nehmen und zu vertilgen . Ein
Jahrhundert verging , nachdem ſchon der Freyheit Grund
gelegt war , ehe der einzelne Plebejer ſich dem Patricier
ganz gleich fuͤhlte . Perſoͤnliche Verbindungen und Ruͤck-
ſichten mochten manche Tribunen und viele aus der Ge-
meinde laͤßig machen : und der roͤmiſche Charakter der
Bedaͤchtigkeit und Vorſicht , wie er ſich neben Kuͤhnheit
und Ausdauer in den Kriegen zeigt , machte auch die
Fortſchritte der Freyheit ſehr langſam . Die Fuͤhrer des
Volks ließen jedes neuerworbene Recht zur Gewoͤhnung
werden ehe ſie weiter hinaus neue Eroberungen verſuch-
ten . So vergingen neun Jahre nach der Annahme des
publiliſchen Geſetzes in den fruchtloſen gewoͤhnlichen Zwi-
ſtigkeiten uͤber die Domaine , ehe die Tribunen die neu
erworbnen Vorrechte der Plebs zu großen Zwecken be-
nutzten .
Aus zwey ganz abgeſonderten Voͤlkern Dionyſius nennt , in der Geſchichte dieſes Zeitraums , die
Staͤnde Voͤlker : τὰ ἔϑνη. X. c. 60 . beſte-
hend , die ſich , wiewohl in einer Stadt vereinigt , frem-
der waren als viele weit entfernte , indem nicht einmal
Eherecht ſie verknuͤpfte Welches doch zwiſchen den roͤmiſchen Patriciern und den
Sabellern von Maleventum beſtand , ohne Zweifel nur dem
Adel , und allgemein mit dem ſabiniſchen Adel . S. Feſtus
s. v. Numerius . , bildeten die damaligen Roͤ-
mer noch keine buͤrgerliche Einheit ; es waren nur noch
Patricier und Plebejer , keine roͤmiſche Buͤrger . Jede
Erweiterung der plebejiſchen Rechte , wie ſie ſo nothwen-
dig als gerecht war , erweiterte doch die Spaltung , und
ohne eine Geſetzgebung die im ganz entgegengeſetzten
Sinn die Staͤnde ſich naͤherte und verband , ging Rom
unvermeidlich einem Buͤrgerkriege entgegen , wenn auch
das plebejiſche Gemuͤth ſeinen Ausbruch noch eine Zeit-
lang aufhielt . Das natuͤrliche und allenthalben ſicht-
bare Streben der Plebejer ging dahin die Trennung zu
heben , und ihren Stand mit den Patriciern zu einem
Volk zu verbinden . Noch war die Ausſicht zu entfernt
voͤllige Iſegorie zu erwerben : aber auch Iſonomie war
ein dringendes Beduͤrfniß Dionyſius X. c. 1. Ich nehme , nach ihm , den oft . Wie die Grundgeſetze
der Verfaſſung in den etruskiſchen Ritualbuͤchern ge-
ſchrieben ſtanden , ſo ſcheint es mir daß niemand der
das Weſen religioͤs als aus einer Offenbarung nieder-
geſchriebener Geſetze kennt , bezweifeln koͤnne daß die
etruskiſchen heiligen Schriften , gleich den moſaiſchen
und indiſchen Geſetzbuͤchern , das buͤrgerliche Recht ne-
ben dem Ritual und den Verfaſſungsgeſetzen enthalten
haben werden . Dieſes Recht aber mußte ſich nothwen-
dig auf die patriciſchen Geſchlechter und ihre Schutz-
verwandten beſchraͤnken . Wie ſpaͤterhin die Ertheilung
der Civitaͤt das buͤrgerliche Recht eines Municipiums
nicht aͤnderte , wenn dieſes nicht freywillig das roͤmi-
ſche annahm , ſo , und noch vielmehr befanden ſich die
Plebejer außer dem Umfange dieſes etruskiſchen der Pa-
tricier . Da nun aber die plebejiſchen Staͤmme aus vie-
len Gemeinden erwachſen waren , unter denen ſehr ab-
weichende Rechte gelten mochten , und aus vielen Ein-
zelnen deren Gemeinden vernichtet , oder die von ih-
nen abgeriſſen waren , ſo mußte hieraus eine immer
wachſende Verwirrung des Rechts entſtehen : und dieſe
Rechte waren ſicher nur herkoͤmmlich erhalten , nicht auf-
gezeichnet . Es wird nicht irrig ſeyn anzunehmen , daß
die Verſchiedenheit des buͤrgerlichen Rechts zwiſchen den
beyden Staͤnden nicht weniger nachtheilig empfunden
ward als die Verwirrung deſſelben unter den Plebejern .
Haͤtte von Alters her fuͤr die plebejiſchen Grundſtuͤcke
ein Commercium mit den Patriciern beſtanden , ſo wuͤr-
ſchwankenden Sinn des Worts ἰσηγορία , fuͤr politiſche
Gleichheit , ἰσονομία fuͤr Einerleyheit der Geſetze .
den jene gegen die Mitte des vierten Jahrhunderts wohl
nicht ſo ausſchließlich in den Haͤnden der Plebejer ge-
weſen ſeyn Siehe die Th. I. S. 451. angefuͤhrte Stelle des Livius
IV. c. 48 . . In dem Criminalrecht mochte die Ver-
ſchiedenheit des Rechts noch nachtheiliger ſeyn .
Auffallend waͤre es alſo nicht daß das Volk auf
eine allgemeine Geſetzgebung mit einer nicht geringeren
Heftigkeit drang als ob es die unmittelbare Sicherheit
und das Vermoͤgen jedes Einzelnen betraͤfe , wenn man
auch der Rogation des Tribunen C. Terentillus Arſa
( 292 ) keinen groͤßeren Zweck einraͤumen wollte als die
Abfaſſung der Geſetztafeln , in deren Inhalt man gewoͤhn-
lich nur Privatrecht , ohne einige Abaͤnderungen im
Staatsrecht , ſucht . Aber weder koͤnnen dieſe Geſetze
ſich auf jenes beſchraͤnkt haben , noch that es der Tri-
bun , noch je eine andre Nomotheſie des Alterthums .
Dionyſius , der den Sinn und Zuſammenhang die-
ſer Begebenheiten ſehr ſorgfaͤltig und beſtimmt aufge-
faßt hat , nur , mit einer unweſentlichen Verſchieden-
heit , als den Urheber der Rogation den Tribun A. Vir-
ginius nennt , und ſie in das folgende Jahr 293 ſetzt ,
meldet , es ſey dadurch angetragen worden , die geſetz-
liche Volksverſammlung ſolle zehn verſtaͤndige und ver-
traute Maͤnner erwaͤhlen , Geſetze fuͤr das Staatsrecht
und Privatrecht fuͤr alle Buͤrger zu ſchreiben , den Obrig-
keiten und dem Buͤrger zur Richtſchnur X. c. 3 . . Er verkennt
es
es nirgends daß von dieſer Rogation die Ernennung
der Decemvirn und ihre Beauftragung ausging : ihrer
Geſetzgebung Gegenſtaͤnde dadurch beſtimmt waren . Die
geſetzliche Wahlgemeinde iſt offenbar die der Centurien ,
und ſo erſcheint der Vorſchlag gar nicht auf eine ein-
ſeitige Handlung der Tribus gerichtet , ſondern , wie es
den damaligen Plebiſciten angemeſſen iſt , als eine reſol-
virte Vorſtellung der Plebejer an den Senat .
Bey Livius iſt alles verwirrt , doch ſo daß es ſich
durch Dionyſius Darſtellung aufloͤßt . Er beſchraͤnkt die
Rogation des Terentillus auf die conſulariſche Macht ,
und nach ihm ward dem Volk vorgeſchlagen ſelbſt fuͤnf
Maͤnner zu ernennen um dieſe geſetzlich zu begraͤnzen III. c. 9 . :
weiterhin redet er von dem Geſetz welches die inneren Un-
ruhen erregte beſtaͤndig als von einer Erneuerung des
terentilliſchen III. c. 10. 31 . , und doch iſt dies auch fuͤr ihn das
naͤmliche woraus , nur in einer veraͤnderten Form , die
Ernennung und der Beruf der Decemvirn hervorging III. c. 31 . .
Man koͤnnte vermuthen die urſpruͤngliche Rogation des
Terentillus ſey von Livius richtig angegeben , und dieſe
durch die ſpaͤtere des Virginius zu einem groͤßeren Umfang
erweitert geworden : doch wahrſcheinlicher iſt hier Ver-
wirrung , und die Erwaͤhnung des Vorſchlags daß die
Plebs fuͤnf Geſetzgeber ernennen ſolle , iſt wohl das
Fragment einer Notiz daß ſchon vom Anfang gleiche
Repraͤſentation beyder Staͤnde im Decemvirat gefordert
Zweiter Theil. D
iſt . Auch kann es dem Sinn nach nicht unrichtig
heiſſen wenn Livius die Geſetzgebung fuͤr das Staats-
recht nur auf das Conſulat bezieht . Nicht ſowohl durch
den Senat litt das Volk , als durch die unmaͤßige und
tyranniſch mißbrauchte conſulariſche Gewalt . Wirklich
ward dieſe wenige Jahre nach der Decemviralgeſetzge-
bung weſentlich vermindert und eingeſchraͤnkt : und es
kann wohl nicht fuͤglich beſtritten werden , daß es we-
nigſtens eben ſolche Beſchraͤnkungen waren welche die Tri-
bunen forderten , auch nicht wegen der alten Geſchicht-
ſchreiber Stillſchweigen behauptet dieſe Veraͤnderungen
waͤren nicht ſchon durch die zwoͤlf Tafeln wenigſtens ana-
logiſch verordnet worden , wenn gleich ſie erſt mehrere
Jahre ſpaͤter zur Wirklichkeit kamen . Dieſe Schrift-
ſteller konnten freylich die zwoͤlf Tafeln leſen , und hat-
ten ſie auch wohl einmal geleſen , aber fuͤr die Geſchichte
verſaͤumten ſie es ſie zu benutzen . Nun iſt es ſehr moͤg-
lich daß allerdings ein großer Theil des darin auf-
geſtellten Staatsrechts etwas ganz anderes anordnete
als die conſulariſche Verfaſſung unter dieſem Nahmen
und dieſer Geſtalt , und dies wuͤrde es erklaͤren warum
ſo gar kein Gebrauch davon fuͤr die Geſchichte gemacht
iſt . Endlich koͤnnen wir auch wohl nicht einraͤumen daß
die Plebejer , wenn ſie durch dieſe Rogationen Iſegorie
forderten , ſich begnuͤgt haͤtten , Milderung der conſulari-
ſchen Gewalt in der Patricier Haͤnden zu bezwecken , und
nicht ſchon nach der Theilung mit ihrem Stande getrach-
tet , in der Form der bisherigen Verfaſſung oder in einer
anderen weniger monarchiſchen .
Es bedarf keiner Entwickelung der Gruͤnde welche
den Senat zu der heftigſten Oppoſition gegen dieſe Ro-
gation beſtimmten . Zwar haͤtte auch die Annahme des
Volks ihr nicht den geſetzlichen Charakter gegeben , dem
nur eine wahre Empoͤrung den Gehorſam verweigern
konnte , wie Plebiſciten im Zeitalter der Gracchen : zwar
ward ſie nie zum Geſetz , und konnte nie ausgefuͤhrt
werden , wenn der Senat ſie nicht genehmigte und ſie der
Nationalgemeinde und dem großen patriciſchen Rath nicht
vortragen ließ : aber es war nur zu leicht moͤglich daß
neue Unruhen mit einer zweyten Auswanderung des Volks
geendigt haͤtten , worin der Staat untergehen , oder
Nachgiebigkeit gegen jede Forderung nicht vermieden
werden konnte . Alles lag daran Zeit zu gewinnen , und
die Sache veralten zu laſſen . Es war unmoͤglich die In-
terceſſion eines Tribunen zu gewinnen : die Urheber der
Rogation wurden jaͤhrlich wiedergewaͤhlt , und verbanden
ſich einander eidlich als ein Mann zu handeln . Wun-
derzeichen wurden dahin gedeutet daß innere Unruhen
dem Staat mit Untergang drohten , das Volk ward ge-
warnt ſich nicht zu verſuͤndigen : aber die Tribunen er-
wiederten mit ihres Standes Beyfall , nicht der welcher
etwas gerechtes und heilſames fordere ſey fuͤr die Un-
ruhen verantwortlich welche aus der halsſtarrigen Ver-
weigerung entſtehen moͤchten . Die Patricier erneuerten
daher das Syſtem deſſen ungluͤcklicher Erfolg bey dem
publiliſchen Geſetz ſie haͤtte warnen ſollen . Den Wider-
ſpruch der Conſuln hoͤrte die Gemeinde geſetzlich und
gelaſſen , wenn auch daruͤber der Tag verſtrich , und eine
D 2
neue Verſammlung auf die dritte Nundine anberaumt
werden mußte . Aber waͤhrend der Verſammlung ward
das Volk von den Patriciern mit dem Gefolge ihrer Clien-
ten , die ſich auf dem Forum vertheilt hatten , geſtoͤrt ,
beleidigt , verhoͤhnt , gemißhandelt , und das Zuſammen-
treten der Tribus mit Gewalt verhindert . Nur Scheu
fuͤr das Andenken der Vorfahren ſcheint die Geſchicht-
ſchreiber von dem Bekenntniß zuruͤckzuhalten , es ſey da-
mals oft in der Stadt und auf dem Forum mit den Waf-
fen gefochten worden Man ſehe Livius Erzaͤhlung III. c. 11. Sæpe pulsi foro
tribuni , fus ac fugata plebs est . . Unzweydeutig hat von der
Wildheit dieſer Zeiten Dio Caſſius geredet , der keineswe-
ges geneigt war die Suͤnden der republikaniſchen Zeit mit
Schonung zu verdecken . Nach ihm ſcheuten die Patricier
offenbaren Kampf , aber ſie befreyten ſich durch Meuchel-
mord von den gefaͤhrlichſten unter ihren Gegnern Zonaras I. c. 17. Οἱ Εὐπατρίδαι φανερῶς μὲν οὐ πάνυ
ἀντέπραττον , πλὴν βραχέων · λάϑρα δὲ συχνȣ `ς τῶν
ϑρασυτάτ ν ἐφόνευον . Alſo nicht Genucius allein . .
Der Anfuͤhrer jener Gewaltthaͤtigkeiten , und daher
ſeines Standes Liebling , war Caͤſo Quinctius , ſtolz und
gefuͤrchtet durch den in Kriegen wohl erworbnen Ruhm
ausgezeichnetes Muths . Waͤre auch die Beſchuldigung
welche ſeine Verurtheilung entſchied , durch ein unverdaͤch-
tiges Urtheil fuͤr erdichtet erklaͤrt , ſo konnte ſie doch nur
dadurch allgemeinen Glauben gefunden haben daß damals
Mißhandlungen bis zu toͤdtlicher Verwundung gegen ver-
haßte Maͤnner aus dem Volk , und bandenweiſes Umher-
ſtreifen der jungen Patricier mit einer Schaar ihrer Clien-
ten nichts unerhoͤrtes waren . Solche Frevel ſind in Grie-
chenland haͤufig , oft die Veranlaſſung des Umſturzes der
Oligarchieen geweſen Ariſtoteles Polit. V. c. 10. Namentlich fuͤr di Pontali-
den zu Mitylene . ; und ſelbſt in dem demokrati-
ſchen Athen verleitete ſeine hohe Geburt nicht weniger
als uͤbermuͤthiges Kraftgefuͤhl Alkibiades zu aͤhnlichen
Zuͤgelloſigkeiten .
Caͤſo ward ( 293 ) wegen Verletzung der beſchwornen
Volksfreyheiten und Beleidigung des geheiligten Charak-
ters der Tribunen , auf den Tod angeklagt . Zu ſpaͤt demuͤ-
thigte ſich der Schuldige , und vergebens ſuchten er und
ſeine Angehoͤrige , der Plebejer Haͤnde kuͤſſend und ihre
Kniee umfaſſend , diejenigen zu ruͤhren , denen er mit je-
der hoͤhnenden Mißhandlung , wie Unfreyen , begegnet
hatte . Nur des Vaters , L. Quinctius Cincinnatus , Tu-
genden konnten Caͤſo vor dem Volk zu Gut kommen , und
die Tribunen waren nicht gefuͤhllos fuͤr ſie : denn es war
kein geringes daß ihm vergoͤnnt ward Sicherheit fuͤr ſeine
Erſcheinung am Tage des Gerichts zu ſtellen , da ſonſt die
Strenge des Geſetzes die Verhaftung des wegen Mord An-
geklagten befahl oder rechtfertigte . Denn ehe der Ge-
richtstag kam , war jener neue Zeuge der Gewaltſamkeiten
des unbaͤndigen Juͤnglings aufgetreten , ihn anklagend ,
daß er an der Spitze eines ihm ergebnen Haufens einen
kranken Plebejer ſo gemißhandelt daß dieſer von den
Schlaͤgen und Wunden ſeinen Geiſt aufgegeben habe .
Mit Muͤhe entriſſen die Tribunen den Angeklagten der
Wuth des ergrimmten Volks : ſein Schickſal war ent-
ſchieden , und ohne den Spruch der Gemeinde zu erwar-
ten begab er ſich zu den Tuskern . Zehn Buͤrgen hatten
mit 30000 Aſſen ſeine Erſcheinung am Gerichtstage zuge-
ſagt : es wird den Tribunen vorgeworfen daß ſie dieſe
Summe mit Haͤrte von ſeinem Vater eingefordert haͤtten ,
dem , da er alſo voͤllig verarmt , nichts als eine Huͤtte
mit vier Jugern jenſeits der Tiber uͤbrig geblieben ſey .
Mir ſcheint es daß die Tribunen mit ſehr grundloſer
Gehaͤſſigkeit fuͤr des großen Mannes Ungluͤck verantwort-
lich gemacht werden . Einmal war ohne Zweifel die
Buͤrgſchaft , wie eine Mult , nicht der Volkscaſſe ſondern
den Goͤttern verfallen ; die Tribunen waren nicht be-
fugt ſie zu erlaſſen , vielleicht nicht einmal das Volk :
dann , wie ehrwuͤrdig auch der Vater , ſo ſchuldig war
der Sohn , ſelbſt wenn das Zeugniß des Volſcius falſch
geweſen ſeyn ſollte , und ein ſtrenges Beyſpiel war un-
vermeidlich um die Ruheſtoͤrer zu ſchrecken . Endlich iſt
es wohl mehr als wahrſcheinlich daß dieſer Fall viel-
mehr zu denen gehoͤrt wo es , wenn die Umſtaͤnde in
Vergeſſenheit gerathen waren , der Parthey , die ſich ih-
rer Handlung zu ſchaͤmen hatte , gelungen iſt den boͤſen
Schein auf ihre Widerſacher zu bringen . Vom Vater
koͤnnen die Tribunen die Buͤrgſchuld nicht eingefordert
haben , ſondern nur von den Buͤrgen : es war aber wie
Polybius ſagt bey den alten Roͤmern unerhoͤrt etwas zu
ſchenken Polybius XXXII. c. 13 . , und ſo ſind es dieſe , doch gewiß auch
Patricier , geweſen , welche ihren Verluſt als eine Schuld-
forderung an den Vater , unerbittlich beygetrieben ha-
ben . In einem aͤhnlichen Fall kaufte der Senat aus
dem Schatz die confiscirten Guͤter verurtheilter Schul-
diger fuͤr ſie zuruͤck Dionyſius X. c. 42 . : niemand haͤtte es hindern ge-
konnt wenn fuͤr den ehrwuͤrdigen Cincinnatus ein aͤhn-
liches geſchehen waͤre .
Im Jahr 294 , dem welches auf Caͤſos Verurthei-
lung folgte , ward die Stadt in einer Nacht mit Ent-
ſetzen aus dem Schlaf geweckt . Das Capitol , feſt wie
jeder Tempel des Alterthums , und die Burg , keine Fe-
ſtung , nur der unzugaͤnglichſte der roͤmiſchen Huͤgel ,
waren uͤberraſcht , und die Fliehenden welche ſich aus
dem Blutbade gerettet hatten , wußten nur zu erzaͤhlen
daß Feinde , aber Roͤmer , den feſteſten Theil der Stadt
eingenommen hatten . Die Patricier argwohnten eine
Empoͤrung der Plebejer : das Volk eine Verſchwoͤrnng Verſchwoͤrung
der Patricier um ihren verbannten Liebling Caͤſo mit
Gewalt zuruͤckzufuͤhren , und die erlangten Vorrechte des
Volks abzuſchaffen . Geruͤchte ſolcher Abſichten hatten
die Gemuͤther ſchon fruͤher mit Verdacht erfuͤllt , und
wenn wir den Annalen glauben duͤrfen daß die Tribu-
nen dem Senat angezeigt , es ſey ihnen bewußt daß
eine Verſchwoͤrung beſtehe Caͤſo mit Bewaffneten in die
Stadt aufzunehmen Dionyſius X. c. 9. ff . , ſo koͤnnen wir darin unmoͤg-
lich eine Argliſt erkennen , vielmehr dringt ſich die Ver-
muthung auf daß was jetzt geſchah eben das fruͤher an-
gekuͤndigte Unternehmen war . In ſo abweichenden Be-
ſorgniſſen bewaffneten ſich die verſchiedenen Gegenden
der Stadt die damals noch groͤßtentheils abgeſondert
von den drey Staͤnden bewohnt wurden : man ruͤſtete
ſich zur einzelnen Vertheidigung in den Straßen und
von den Daͤchern ; aber weder die Conſuln wagten das
Volk zu den Waffen zu rufen , noch vertraute das Volk
ſeine Wohnungen zu verlaſſen . Als es Licht geworden ,
entdeckte man den Feind , der ſich zu ſchwach gefuͤhlt
hatte den erſten Schrecken ſeiner Erſcheinung zu be-
nutzen . Roͤmiſche Verbannte , und Sklaven , zuſammen
viertauſend Mann , unter dem Befehl eines Appius Her-
donius welcher ein Sabiner genannt wird , — von Dio-
nyſius ein vornehmer Sabiner welcher eine große Anzahl
Clienten zu dieſem Wageſtuͤck aufgeboten hatte Dionyſius X. c. 14. συνήϑροιζε τȣ `ς πελάτας . — , wa-
ren es , die in der Stille der Nacht durch das ſtets offne
Karmentaliſche Thor den Capitoliniſchen Huͤgel uͤber-
raſcht hatten . Von der Hoͤhe riefen ſie die Sklaven
auf zur Empoͤrung . Gelang dies nicht , und ihr Auf-
ruf hatte keinen Erfolg , ſo hofften ſie ſich ſo lange zu
behaupten bis eins der benachbarten Voͤlker die Gele-
genheit ergreifen wuͤrde die Stadt von der Burg her
einzunehmen . Kein Heer ſtand gegen Rom im Felde ,
auch bewog der unerwartete Vortheil weder die Vejen-
ter ihren Waffenſtillſtand zu brechen , noch die Volsker
in das Feld zu ziehen ; ſo daß dieſer Ueberfall offenbar ein
bloß von den Verbannten gewagtes Unternehmen war ,
bey dem auf fremde Huͤlfe nur als auf das aͤußerſte
Huͤlfsmittel der Noth gerechnet ward . Aber die Zahl der
Verbannten , waͤre ſie auch die kleinere des ganzen Hau-
fens geweſen , iſt auffallend ; denn Rom in dem hiſtori-
ſchen Zeitalter zaͤhlte deren weniger als eine kleine grie-
chiſche Republik . Sie laͤßt auf eine Wuth und einen
Umfang der Unruhen oder auf eine Strenge der Ge-
richte ſchließen welche die Geſchichte kaum andeutet :
oder waren viele der Ungluͤcklichen fluͤchtige Schuldner ?
Oder waren es zum Theil Soͤhne der ausgewanderten
Anhaͤnger des letzten Koͤnigs ? In griechiſchen Republi-
ken und Italiens Mittelalter begleiteten nicht ſelten die
Enkel alter Verbannter die Fahnen derer die durch eine
Spaltung unter den Nachkommen der Parthey vertrie-
ben waren , welche ihre Vorfahren aus dem Vaterlande
verjagt hatten ; Dante focht neben den Gibellinen . Im
Elend und der Landfluͤchtigkeit haͤtten ſich wohl Caͤſo
und ausgeſtoßene Tribunicier vereinigt . War Caͤſo un-
ter den Landesfeinden , wie das Geruͤcht fruͤher gemur-
melt hatte ? Kaum laͤßt ſich daran zweifeln , die Chro-
niken ſcheuten des Vaters Manen .
Als die Gefahr enthuͤllt , und nicht mehr furchtbar
war , verſammelten die Conſuln die Buͤrger unter den
Waffen . Da wagten es die Tribunen zu fordern daß
zuvor ihr vorgeſchlagnes Geſetz angenommen werde , ehe
ſie geſtatten wollten daß das Volk zu den Fahnen des
Conſuls ſchwoͤre . Ungeziemend wie der Augenblick war ,
ſo war er dies doch mehr als gefaͤhrlich ; ein immer
wach gehaltenes Mißtrauen ließ ſie nicht uͤberſehen , wel-
cher Gefahr das Volk hingegeben ſey wenn ſich alle zum
militariſchen Gehorſam eidlich verbunden haben wuͤr-
den : denn ein Eid war dem Roͤmer mehr als alle
zwingende Gewalt : und dieſes Mißtrauen ſah keine Ge-
ſpenſter . Sie wichen aber der Zuſage des Conſuls P.
Valerius , deſſen Nahme ſeinem Worte hoͤheren Glau-
ben gab , es ſolle die Abſtimmung nicht mehr gehindert
werden , ſobald die Burg frey ſeyn werde , wenn ſie
nur in der Verſammlung Vorſtellungen uͤber das ſchaͤd-
liche des Geſetzes anhoͤren wollten Die Abweichungen der beyden vollſtaͤndigen Geſchicht-
ſchreiber koͤnnen nur ſelten angedeutet werden . In Livius
ſind allenthalben die verſchiedenartigen Fragmente des alten
Stoffs durch die Widerſpruͤche ſelbſt ſichtbar ; der Grieche
hat ſie verarbeitet , und ſehr oft eine nur taͤuſchende Har-
monie daruͤber verbreitet . Doch ſcheint es nicht daß die un-
gleich groͤßere Wahrſcheinlichkeit ſeiner Erzaͤhlung ( X.
c. 15. ) des innern Zwiſts waͤhrend dieſer Gefahr ſie ver-
daͤchtig machen duͤrfe : denn die des Livius , nur vorurtheils-
vollem Haſſe glaublich , hat vielmehr den Anſchein von die-
ſem auch erſonnen zu ſeyn . — Zonaxas ſetzt das Abentheuer
des Appius Herdonius nach Cincinnatus Dictatur ( VII.
c. 18. ) eine Verſchiedenheit die nicht als Verwirrung uͤber-
ſehen werden darf . . Ciaudius be-
ſetzte die Mauern und Landſtraßen gegen aͤußere Feinde :
Valerius ſtuͤrmte das Capitol mit den Buͤrgern und
einer tusculaniſchen Legion welche der Dictator L. Mami-
lius unaufgefordert Rom zu Huͤlfe gefuͤhrt hatte . Die
Eingeſchloßnen wehrten ſich verzweifelt , und erſt als ihr
Geſchoß , und was ſie darin verwandeln konnten , er-
ſchoͤpft war , gelang es den Stuͤrmenden , nach ſehr gro-
ßem Verluſt , die Hoͤhe des Huͤgels zu erreichen . Noch
mußten ſie den Tempel einnehmen der mit gleicher Hart-
naͤckigkeit vertheidigt ward . Der Conſul Valerius drang
zuerſt hinein , und fiel an der Spitze ſeiner Truppen .
Faſt alle Abentheurer , deren keiner Verſchonung zu hof-
fen hatte , ſtarben mit den Waffen in der Hand , unter
ihnen ihr Anfuͤhrer Herdonius : die Gefangenen wurden
hingerichtet .
Der Tod des Conſuls gab einen Vorwand mit ge-
wohnter Unredlichkeit ſeine Zuſage , als nur perſoͤnlich
gegeben , zu brechen . Die Wahl ſeines Nachfolgers
ward auf Cincinnatus geleitet , der ſeine Wuͤrde mit den
Gefuͤhlen eines erbitterten Vaters und eines ſtolzen Pa-
triciers antrat , der in den Vergehungen ſeines verur-
theilten , vielleicht durch Verzweiflung in die eben ver-
tilgte Verſchwoͤrung hineingeriſſenen , und ehrlos umge-
kommenen Sohns , eigentlich nur das uͤberſchrittene Maaß
tadelte . Er trug ſich mit einem verwegnen Plan die
Conſtitution durch eine Gegenrevolution mit ſcheinbarer
Achtung der dem Roͤmer ſo ehrwuͤrdigen Formen dahin
zuruͤckzufuͤhren , wo ſie vor der Auswandrung des Volks
geſtanden hatte . Als der feind in der Stadt war hat-
ten alle Buͤrger den Soldateneid geſchworen , der ſie
verpflichtete dem Conſul unbedingt zu gehorchen , und
ihm zu folgen wohin er ſie fuͤhren wollte . Kraft dieſes
Eids verordnete Cincinnatus , unter dem Vorwand eines
Kriegs gegen die Aequer , daß ein allgemeines Aufge-
bot ſich ruͤſten ſolle ins Feld zu ziehen . Der Krieg war
kaum ein Vorwand , der Zweck , das Volk vom Schutz
der Tribunen zu entbloͤßen . Die Comitien der Centu-
rien waren das Bild eines Heers , und verſammelten
ſich ſtets außer den Mauern auf dem inaugurirten Mars-
felde . Ein geſammter Heerbann , an einem Ort ver-
ſammelt der gehoͤrig inaugurirt war , konnte unſtreitig
als Verſammlung der Centurien handeln : erſt ſpaͤt , nach
einem noch unregelmaͤßigeren , und doch von den Pa-
triciern gutgeheiſſenen Beyſpiel , wurden militaͤriſche
Comitien durch ein weiſes Geſetz verboten Im Jahr 398. Livius VII. c. 16 . . Denn
da die Soldaten dem Conſul unbedingten Gehorſam ge-
ſchworen hatten , und er berechtigt war dieſen im Felde
durch unbeſchraͤnkte Strafen zu erzwingen : da die Tri-
bunen damals außer Rom und dem Weichbilde der
Stadt ohnmaͤchtig waren : ſo war eine ſolche Volksver-
ſammlung ganz willenlos , und ein fuͤrchterliches Werk-
zeug der Conſuln . Zu dieſer Zeit haͤtte die Anweſen-
heit der Tribunen ſie nur dem Zorn des Conſuls Preis
gegeben : ſpaͤterhin ſcheint dieſes veraͤndert geworden zu
ſeyn ; die Gegenwart der Tribunen im Heer der un-
gluͤcklichen Conſuln Poſtumius und Veturius , welche mit
den Conſuln , den Quaͤſtoren und den Kriegsbefehlsha-
bern , den Samnitern die Erfuͤllung der Friedensbedin-
gungen verbuͤrgten , laͤßt ſchließen , daß ſie damals ( 433 )
von Amtswegen die Conſuln ins Feld begleiteten um
auch da dem Misbrauch der Gewalt vorzubeugen . Um
die Form voͤllig zu beobachten ward den Augurn auf-
getragen am See Regillus ein Feld fuͤr die Comitien
zu inauguriren , und es ward laut geſagt daß es die
Abſicht ſey gleich nach den Comitien einen Dictator zu
ernennen , welcher in der Stadt mit derſelben unbe-
graͤnzten Hoheit gebieten , und die Ausfuͤhrung der neuen
Geſetze uͤbernehmen werde .
Daß der Staat in dem Kampf der alten Formen
mit einem Streben nach Freyheit welches mit jedem
Sieg zu groͤßerer Aufloͤſung fuͤhrte , der Zerſtoͤrung ent-
gegen ging , und die Form nicht dauernd beſtehen durfte
welche ſich in unmittelbaren Beduͤrfniſſen und gegen-
waͤrtiger Nothwendigkeit gebildet hatte : dies empfanden
beyde Staͤnde , obwohl ſie daraus ganz entgegengeſetzt
folgerten . Die Plebejer , daß ihre Freyheit vollendet ,
die Patricier daß ihre alten Rechte hergeſtellt werden
muͤßten : nur auf einem Wege von beyden konnte der
Staat zu einer Einheit der Verfaſſung gelangen . Die
Erfahrung hat gezeigt daß der erſte Stand als Buͤrger
Roms ohne Vergleich fuͤr jedes Opfer entſchaͤdigt ward
welches die plebejiſche Freyheit forderte : und ſchon waͤre
es unrichtig eine getheilte Macht aufgeopfert zu nennen .
Verzeihlich iſt es indeſſen daß die Patricier , denen kein
Geſicht die ferne Zukunft oͤffnete , dies nicht fuͤhlten ,
und die Urſache der Schwaͤche des Staats in der Ple-
bejer Empoͤrung ſehen mochten : verzeihlich wenn ſie den
unſtreitigen ehemaligen Beſitz ihrer Rechte als entſchei-
dend uͤber alle Anſpruͤche anſahen welche ſich auf ihren
Mißbrauch und ihre Verderblichkeit ſtuͤtzten . Begreiflich
iſt es auch daß ſie nicht einſahen , was der Uebermacht
eingeraͤumt ſey , und wodurch ſie ſich verſtaͤrkt hatte ,
koͤnne ihr nicht wieder entriſſen werden . Doch war es
geblendete Verwegenheit zu wagen , was die Angegriffe-
nen zu offenbarer Empoͤrung treiben mußte , wenn die
Ehrfurcht vor der Maske der geſetzlichen Formen einen
Augenblick wich : und dieſe war um ſo mehr in Gefahr ,
da das Gefuͤhl durch heuchleriſche Beobachtung des Ge-
ſetzes in ſcheinbares Unrecht gebracht zu ſeyn , zu den
allerempoͤrendſten gehoͤrt . Aber vielfach gefaͤhrlicher
ward der Verſuch hier , weil der Eid deſſen Heiligkeit
allein dem Conſul bey einem ſolchen Unternehmen Ge-
horſam verſchaffen konnte , nicht der Perſon des Cincin-
natus geſchworen war ; hatten ſich die Soldaten des
Dictator M. Valerius durch dieſen Umſtand berechtigt
geglaubt ſich dem Gehorſam der Conſuln zu entziehen
welche den Befehl ſeines Heers uͤbernahmen , ſo war es
wahrſcheinlich daß auch dieſes Heer ſich des Beyſpicls
erinnern , und vielleicht den Conſul ſogar feindlich be-
handeln wuͤrde . Daher mag dem Senat vor der Aus-
fuͤhrung das Bild der Gefahr furchtbarer erſchienen ſeyn
als ihr Muth ertrug : daher endigten dieſe drohenden
Vorbereitungen mit einem Vergleich : daß die Tribu-
nen waͤhrend des gegenwaͤrtigen Jahrs das vorgeſchla-
gene Geſetz ruhen laſſen wollten , wenn die Conſuln kein
Heer aus der Stadt fuͤhrten . Ein ſolcher Vergleich
nach ſolchen nicht leicht vergeſſenen Drohungen war ein
Sieg der Plebejer : dieſe Gefahr konnte nicht wieder
ernenert werden . Jaͤhrlich wurden die naͤmlichen Tri-
bunen wieder erwaͤhlt , und es ließ ſich nicht erwarten
daß die Mißbilligung welche der Senat jetzt gegen alle
Wiedererwaͤhlungen ausſprach , gerichtet gegen die tri-
buniciſchen , bey dieſen beachtet werden wuͤrde . Daher
bemuͤhten ſich die Patricier Cincinnatus im Cenſulat zu
erhalten , der , mit aͤchtem Roͤmerſinn , ſeinen Collegen
verpflichtete ausgehen zu laſſen : er werde keine Stim-
men fuͤr ihn annehmen ; der Wille des Senats , feyer-
lich erklaͤrt , duͤrfe nicht voruͤbergehenden Ruͤckſichten
aufgeopfert werden . Sein guter Daͤmon hatte ihn aus
der Gefahr errettet in einer verzweifelten Partheyunter-
nehmung die Republik zu zerſtoͤren ; er fuͤhrte ihn auch
jetzt aus erneuerten Verſuchungen in die Huͤtte zuruͤck ,
wo ſein Weib und drey Soͤhne mit ihm Feldarbeit und
Duͤrftigkeit theilten .
Dem Vater mag es auch verziehen werden , wenn
er , ein anderes Mal an das Ruder der Republik bern-
fen , und zu ihrer Rettung mit der Dictatur bekleidet ,
an dem Anklaͤger eines geliebten Sohns ſeinen Kummer
ſelbſt mit Unrecht gerochen haben ſollte. M. Volſcius
ward ſchon 295 von den Quaͤſtoren angeklagt Caͤſo durch
falſches Zeugniß des Vaterlands beraubt zu haben . Vor
welches Gericht dieſe Anklage gebracht ward , ſagt Li-
vius nicht . Von den Tribus kann hier die Rede nicht
ſeyn : die ſpaͤtere Verfaſſung verleitet an die Centurien
zu denken , doch ſcheinen dieſe erſt in den zwoͤlf Ta-
feln zu einem Gericht erhoben zu ſeyn . Aber wie die
Tribus Patricier richteten welche ſich gegen ihren
Stand vergangen hatten , ſo gebuͤhrte nothwendig den
Patriciern ein gleiches Recht ; und ſo erſcheint es auch
hier : die Conſuln hinderten die Comitien — der
Tribus — uͤber das Verfaſſungsgeſetz : die Tribu-
nen die — der Curien — uͤber die Anklage gegen
Volſcius Livius III. c. 24. 25 . . Im folgenden Jahr ſchwieg der tribu-
niciſche Widerſpruch vor der Macht der Dictatur welche
L. Cincinnatus nicht eher niederlegte als nachdem Vol-
ſcius in den Comitien verurtheilt war .
Die innere Gaͤhrung waͤhrte unberuhigt fort , die
Sache der Tribunen gewann langſam und ſicher . Daß
die Zahl ihres Collegiums im Jahr 297 auf zehn ver-
doppelt ward Livius III. c. 30 . , ſcheint nur dadurch ein Vortheil ge-
weſen zu ſeyn , daß eine eintraͤchtige groͤßere Zahl auch
mit groͤßerer Lebhaftigkeit handelt . Im folgenden er-
langte der Tribun L. Icilius daß der Aventiniſche Huͤ-
gel dem Volk abgetreten ward . Auf dieſem hatte An-
cus den Latinern von Politorium , Tellenaͤ und Ficana
Wohnungen angewieſen : aber die kleinen Gemeinden
fuͤllten den groͤßten der roͤmiſchen Huͤgel nicht , deſſen
Umfang eine anſehnliche Stadt gefaßt haͤtte , und weit-
laͤuftige Strecken waren noch mit Wald bedecktes Ge-
meinland . Auch hier war dieſes durch Uſurpationen ge-
ſchmaͤlert , es waren an ausgerodeten Orten Gebaͤude
errichtet . Die Verfuͤgungen des Iciliſchen Geſetzes ſcheint
Dionyſius Dionyſius X. c. 32 . aus der Tafel zu geben worauf es noch
in ſeinen Tagen im Tempel der Diana auf dem Huͤgel
deſſen Beſitz es dem Volk verſchaffte , geleſen ward : und
wie groß auch die Gunſt iſt die ein langer Beſitz bey
billigen Gemuͤthern genießt , ungerecht ſind ſeine Beſtim-
mungen
mungen nicht . Das Privateigenthum blieb , wie bey
allen Ackergeſetzen , ausdruͤcklich geachtet : der Werth von
Gebaͤuden , die auf verſtohlen oder gewaltſam uſurpir-
tem βεβικςμένοι ἢ κλοπῆ λαβόντες . Vi aut clam . , der Republik eigenthuͤmlichem , Boden errichtet
waren , ward abgeſchaͤtzt und aus der Staatscaſſe erſetzt ;
dann die ganze Grundflaͤche in vermeßnen Looſen dem
Volk zum Eigenthum vertheilt . Denn bey der Gruͤn-
dung neuer Staͤdte , oder der regelmaͤßigen Erweiterung
alter auf dem Boden der Domaine , ward , bey Ziehung
der Straßen und Abgraͤnzung der Grundſtuͤcke , nach
Moͤglichkeit die naͤmliche geometriſche Regelmaͤßigkeit
beobachtet wie bey den Feldlaͤgern , und bey der Thei-
lung und Anweiſung von Laͤndereyen Forma urbis occupatæ magis quam divisæ similis . Li-
vius V. c. 55 . . Auf einen
ganz andern Inhalt wuͤrde der Titel rathen laſſen unter
dem Livius dieſes Geſetzes gedenkt De Aventino publicando . Livius III. c. 31 . , aber auf keinen
begreiflichen oder wahrſcheinlichen , denn zu geſchweigen
daß der Staat das Grundeigenthum auf dem Aventinus
nicht einziehen konnte , ſo waͤre damit den Plebejern
eben das allernachtheiligſte widerfahren . Dionyſius Nach-
richt hat eine entſchiedene innere Glaublichkeit : doch iſt
die Ausfuͤhrung voll Dunkelheit . Es ſcheint daß wenn
nicht vielleicht die vom Staat eingeloͤßten Gebaͤude nie-
dergeriſſen , und die Materialien den neuen Eigenthuͤmern
insgemein uͤberlaſſen wurden , das Loos , zwiſchen Gebaͤu-
den , und wuͤſtem , noch nicht einmal zum Bau geebne-
Zweiter Theil. E
tem Boden , aͤußerſt ungleich austheilte . Und die Zer-
ſtoͤrung der alten Gebaͤude iſt doch auch um ſo weniger
wahrſcheinlich da ſchon fruͤher der Aventinus als der
eigentliche Wohnort des Volks genannt wird , dem ſo ſein
Obdach zerſtoͤrt geworden waͤre um ihm Bauplaͤtze und
Schutt zu ſchenken . Das Volk zaͤhlte dieſes Geſetz zu ſei-
nen theuerſten Privilegien : es gehoͤrt , nebſt den beſchwor-
nen Buͤndniſſen vom heiligen Berge , zu denjenigen , deren
Unverletzlichkeit ausbedungen ward , als das Volk ſich fuͤr
die Dauer der Decemviralgeſetzgebung der tribuniciſchen
Macht begab . Außer dem Vortheil und dem Reiz eigen-
thuͤmlicher Wohnungen fuͤr den Einzelnen , ſcheint fuͤr die
Fuͤhrer der Plebejer der ausſchließende Beſitz eines abgeſon-
derten damals noch durch eine tiefe Schlucht vom Palati-
nus getrennten Dionyſius III. c. 43 . Theils der Stadt wichtig geweſen zu
ſeyn , den im traurigſten Fall eines innern Kriegs die
Macht des Volks verſammelt behaupten konnte : vielleicht
waren auch die Verſammlungen welche ſie dort anſagen
mochten unabhaͤngig von aller Stoͤrung unter religioͤſem
Vorwand , indem der Aventinus nicht im Pomoͤrium der
Stadt begriffen war .
Erneuerte ſtuͤrmiſche Mahnungen uͤber das Ackerge-
ſetz , Anklagen und Verurtheilungen der Conſuln , ſobald
ihre Magiſtratur geendigt war In dieſe Zeit faͤllt die Erzaͤhlung von dem ſchaͤndlichen
Verrath welchen die Conſuln an dem Helden L. Siccius
und einer Schaar von achthundert Maͤnnern , die , nach aus-
gedienter Kriegspflicht , freywillig mit ihm gezogen waͤren , , und patriciſcher Ru-
heſtoͤrer der Comitien , warnten endlich den Senat daß ein
laͤngerer Widerſpruch gegen die geforderte Geſetzgebung
allzugefaͤhrlich ſey . Haͤtten die Tribunen dem Senat die
Form der Geſetzgebung uͤberlaſſen , und eingewilligt daß
ſie von den Patriciern allein entworfen werde Livius III. c. 31 . , ſo
traͤfe die Widerſpenſtigen eine noch ſchwerere Verantwort-
lichkeit , daß ſie den Frieden ſo lange geſtoͤrt , und die Ab-
ſichten der Tribunen erſchienen hoͤchſt uneigennuͤtzig . Li-
vius theilt hier fuͤr die von ihm beguͤnſtigte Parthey eine
ſehr gewoͤhnliche Eitelkeit , lieber unrecht handeln zu wol-
len , als zur Nachgiebigkeit gezwungen zu ſeyn . Aber ſo
wenig die Plebejer ſich vermaßen einſeitig dem Staat Ge-
ſetze vorſchreiben zu wollen , ſo wenig unterwarfen ſie ſich
jetzt der patriciſchen Willkuͤhr : es iſt nicht zu verkennen
daß der Senat voͤllig nachgab , mit dem heimlichen Vor-
behalt die Ausfuͤhrung nach ſeinem Sinn zu lenken . Daß
Geſetzgeber ernannt werden und zugleich als alleinige
hoͤchſte Obrigkeit gebieten ſollten , ward im Jahr 300 vom
Senat beſchloſſen ; und Abgeordnete an die griechiſchen
Staͤdte Italiens und bis Athen geſandt , um die Geſetze
zu ſammeln welche fuͤr die weiſeſten gehalten wurden ,
und ſie fuͤr den Gebrauch der Decemvirn heimzubringen .
Eine Nachricht deren allgemeine Wahrheit die Verzeich-
nung der Nahmen der Abgeordneten beglaubigt ; die aber ,
verſucht haͤtten . X. c. 44. ff . Eine ſolche Frevelthat waͤre
gewiß haͤrter als mit einer leichten Geldſtrafe geahndet
worden , und ſchon deswegen muß man hier Glauben verſa-
gen : aber ſie ſchildert den Geiſt und die Sitten der Zeiten .
E 2
was die Sendung nach Athen betrifft , verdaͤchtig iſt ,
weil andre durch die Chronologie als unmoͤglich darge-
thane Erzaͤhlungen die roͤmiſchen Annaliſten eines leicht-
ſinnigen Hanges zeihen , dunkle Sagen die ſich auf Grie-
chen bezogen an das in ihren Tagen beruͤhmteſte dieſes
Volks anzuknuͤpfen , unbeſorgt ob ſich dieſes rechtfertige .
An ſich waͤre die Sage nicht unglaublich ; denn Athen
war , nicht ſo gar lange nachher , nicht ohne Verbindung
mit Tyrrhenien Im ſiciliſchen Kriege liehen Tyrrhener den Athenien-
ſern Beyſtand , Thukydides VII c. 53. 68. und Plato er-
laubt die Annahme tyrrheniſcher Religionsgebraͤuche . De
legibus V. p. 738. c . : es bluͤhte eben damals , zwiſchen dem
perſiſchen und dem peloponneſiſchen Kriege , im hoͤchſten
Glanz des Ruhms und des Gluͤcks , und wenn die
Schranken gefallen waren welche fruͤher den Mißbrauch
der Volksfreyheit unmoͤglich machten , ſo waren ſie doch
noch immer im weſentlichen durch gute Sitte erſetzt . Die
angebliche Verwandtſchaft Soloniſcher Geſetze und einiger
von den Tafeln gewaͤhrt keinen Beweis ; der eigenthuͤm-
liche Charakter beyder Geſetzgebungen iſt ſo verſchieden
wie der Voͤlker fuͤr die ſie geſchrieben wurden ; und die
wenigen Aehnlichkeiten in Nebenſachen ſcheinen entweder
zufaͤllig , oder in einer allgemeineren Verwandtſchaft be-
gruͤndet , wie man andre in den Geſetzen von Voͤlkern die
Rom und Griechenland ganz fremd ſcheinen nachweiſen
kann : oder ſie koͤnnen aus den Geſetzen italiotiſcher Staͤdte
entnommen ſeyn , wo Charondas nicht ohne Kenntniß der
ſoloniſchen Geſetze das Thuriſche Volk geordnet hatte .
Noch vor der Decemviralgeſetzgebung gewann die
perſoͤnliche Freyheit eine große Befeſtigung durch die
Beſtimmung des Maaßes der von der hoͤchſten Obrigkeit
aus Machtvollkommenheit ausgeſprochenen Strafen . Die
alten Voͤlker waren weit entfernt es fuͤr moͤglich , oder
auch nur fuͤr wuͤnſchenswerth zu halten die unzulaͤſſigen
Handlungen geſetzlich mit ihren Strafen ſo zu verzeichnen ,
daß , wie in einem Zollregiſter , die nicht aufgefuͤhrten fuͤr
frey gelten , und einer jeden verbotnen eine beſtimmt an-
wendbare Strafe vorgeſchrieben ſteht . Sie hielten dies
verderblich fuͤr die Sitten , fuͤr die Freyheit gar nicht we-
ſentlich , wohl aber eine freye und unabhaͤngige Einrich-
tung der Gerichte : ſie urtheilten , daß zwar die meiſten
Vergehungen des gewoͤhnlichen buͤrgerlichen Lebens einer
unveraͤnderlichen Strafe als Suͤhnung faͤhig waͤren ; daß
bey einigen Verbrechen die Ausrottung des Suͤnders
nothwendig ſey : daß aber die Uebergehung in den Straf-
geſetzen kein Grund der Strafloſigkeit ſeyn duͤrfe , und
daß ſehr viele Vergehungen ſchlechterdings nur nach den
Umſtaͤnden auf ganz verſchiedene Weiſe geahndet werden
koͤnnten . So beſtimmten die Athenienſiſchen Volksgerichte
in ſehr vielen Faͤllen die Art und den Grad der Strafen ,
und ſo thaten es in einigen die Comitien der Tribus in den
freyeren Zeiten der roͤmiſchen Verfaſſung : doch dieſe faſt
nur da wo die Majeſtaͤt des Staats , und die Wuͤrde der
Buͤrger betroffen war . Auch war es eine Handlung der
ſouverainen Macht welche von ihnen ausgeuͤbt ward in-
dem ſie eine Mult ausſprachen : die Tribunen und
Volksaͤdilen , als Miniſter des Volks , konnten es nicht :
ſie irrogirten die Mult , das iſt ſie ſchlugen ſie dem Volk
zur Entſcheidung vor .
Der conſulariſchen Wuͤrde hingegen blieb das koͤnig-
liche Vorrecht eine Mult auszuſprechen ( multam di-
cendi ) . Urſpruͤnglich wohl in dem ganzen Umfang der
nachher den Tribus eingeraͤumt war , und vielleicht in
einem noch viel weiteren : die zwoͤlf Tafeln moͤgen in vie-
len Faͤllen zuerſt unveraͤnderliche Strafen feſtgeſetzt haben .
Dieſes Recht war durch die Appellation an das Volk
ſchon faſt aufgehoben . Noch aber blieb den Conſuln das
Recht , und es mußte ihnen bleiben , ihrer hoͤchſten Ge-
walt durch Strafen Kraft zu verleihen : nur daß dieſe
nicht , unter ſolchem Vorwand , unerſchwinglich und zu
Grunde richtend beſtimmt wuͤrden .
Das Herkommen hatte das Maaß der Mult in Haͤup-
tern kleines oder großes Viehs ausgedruͤckt . Dieſes ward
zuerſt auf einen feſten Geldpreis geſchaͤtzt ( J. 300 ) und
dann ( J. 302 ) das hoͤchſte Ziel feſtgeſetzt welches nicht
uͤberſchritten werden durfte Feſtus s. v. Peculatus . Gellius XI. c. 1 . Der Irrthum
des Dionyſius uͤber das Hateriſche Geſetz iſt nnſtreitig unſtreitig . . Beyde Geſetze waren
von der Zahl der langſam reifenden Fruͤchte der ſich kraͤf-
tig entwickelnden Freyheit . Die hoͤchſte Mult welche der
Conſul beſtimmen konnte waren dreyßig Rinder und zwey
Schaafe , jene zu hundert , dieſe zu zehn Aſſen geſchaͤtzt .
Es iſt eine thoͤrichte Auslegung bey Gellius dies ſey ſo an-
geordnet weil die Rinder im Ueberfluß , die Schaafe ſel-
ten geweſen waͤren : galt ein Rind zehn Schaafen gleich
ſo waͤre es eine Tautologie geweſen , dieſe ſtatt jenes zu
nennen , und die Strafe von einem oder zwey Schaafen
traf den Armen fuͤhlbar ; andern diente ſie als Warnung ;
daher die Conſuln die Mult ſteigernd ausſprachen , von
einem Schaaf beginnend . Gehorſam , dann noch gelei-
ſtet , ſchuͤtzte gegen fernere Strafe .
Alle Notizen verdienen ſorgfaͤltige Aufbewahrung ,
die ſich außer den vollſtaͤndigen Geſchichten und unver-
einbar mit ihnen aus dem fruͤheren Reichthum von Sa-
gen erhalten haben , welcher dem Beſtreben aufgeopfert
iſt zuſammenhaͤngende Annalen zu bilden . Dieſer Art iſt
eine Erzaͤhlung bey Valerius Maximus und Zonaras ,
denn es iſt nicht zu bezweifeln daß beyde von demſelben
Vorfall reden . Valerius VI. c. 3. n. 2. ruͤhmt unter andern Bey-
ſpielen alter Strenge , daß ein Volkstribun P. Mucius
ſeine neun Collegen im Feuer hingerichtet habe , weil ſie ,
verleitet von Sp. Caſſius , die Magiſtratswahlen gehin-
dert haͤtten . Zonaras erzaͤhlt Zonaras VII. c. 17. Οὔτε τȣ ῀το τȣ `ς
λοιποὺς ἐπέσχεν , ȣ ῎ϑ̕ ὅτι ποτὲ ἐννέα δήμαρχοι πυρὶ ὑπὸ τȣ ῀
δήμȣ παρεδόϑησαν . Οὐ μόνον γὰρ οἱ μετὰ ταῦτα δημαρ-
χοῦντες οὐκ ἠμβλύνοντο , ἀλλὰ μᾶλλον καὶ ἐϑρασύνοντο · εἰς
τȣ ῀το ὑπὸ τῶν Εὐπατριδῶν προήχϑη ὁ ὅμιλος . , nachdem er den In-
halt der publiliſchen Geſetze berichtet , ſo wenig die meuch-
leriſchen Ermordungen kuͤhner Plebejer haͤtten andere er-
ſchreckt , als daß einſt das Volk neun Tribunen lebendig
habe verbrennen laſſen : dahin haͤtten die Patricier ſie ge-
trieben .
Die Erzaͤhlung des Valerius gehoͤrt zu einer Ge-
ſchichte welche Sp . Caſſius beſtimmter hochverraͤtheri-
ſcher Unternehmungen anklagte , die aber ſelbſt Dionyſtus
verborgen geweſen ſeyn muß : denn ſonſt wuͤrde er ſie
nicht verſaͤumt , ſondern mit einer Emendation die
Schwierigkeit gehoben haben daß das Volk damals hoͤch-
ſtens fuͤnf Tribunen hatte . Eben wegen der Zahl muͤßte
der Vorfall nach dem Jahre 297 geſetzt werden , und das
that auch , wie es ſcheint , Dio , deſſen Erzaͤhlung wir nur
aͤußerſt zuſammengezogen und verworren haben . Der
Scheiterhaufen war Strafe der Hochverraͤther ; aber , was
ein Gericht des Volks uͤber Abtruͤnnige geweſen waͤre , iſt
ſichtbar widerſinnig neben die Ermordung ſeiner Haͤupter
geſtellt . Das iſt wohl Schuld des Epitomators : man
moͤchte vermuthen , wann auch die Sache geſchah , daß
die Curien das Urtheil ſprachen , und mit dem Beyſtand
eines Tribuns vollzogen : und die verſtaͤrkte Garantie der
tribuniciſchen Unverletzlichkeit nach dem Fall der Decem-
virn ſich auf ſolche Vorfaͤlle bezog .
Der vejentiſche , die volskiſchen und
aͤquiſchen Kriege .
Unter den Etruskern welche Rom nach der Tarquinier
Verbannung uͤberzogen und beſiegten , waren die Vejenter
vielleicht die Hauptmacht , und gewiß die welche des
Kriegs bleibende Vortheile genoſſen : aber ihre Obmacht
in jenem Kriege beruhte auf ihren Verbuͤndeten und roͤ-
miſchen Ausgewanderten oder Verraͤthern : mit eigner
Kraft konnte Veji Rom nicht uͤberwaͤltigen . An Um-
fang war es Rom gleich , ſo groß ſich dieſes in ſeiner
Bluͤthe unter den Koͤnigen erweitert hatte , beyde Staͤdte
waren nicht kleiner als Athen in den Mauern des The-
miſtokles Dionyſius II. c. 51. IV. c. 13 . , ihre innere Kraft war ſehr verſchieden .
Die roͤmiſchen Bauern , freye Eigenthuͤmer ihrer Hufen ,
waren unbegreiflich zahlreich : in den etruskiſchen Staa-
ten herrſchte ſtrenge Ariſtokratie , und ihre Heere be-
ſtanden aus den Erbunterthaͤnigen des Adels Dionyſius IV. c. 5. , wie
ihre Staͤdte , gleich den griechiſchen , mit Sklaven ange-
fuͤllt waren . Veji bluͤhte durch die Kuͤnſte des Frie-
dens , Gewerbe und Handel , Rom erhielt ſich durch
Krieg ; jenes ſuchte keinen andern Vortheil von der Macht
die ihm Reichthum im Nothfall zu Gebot ſtellte als ſich
Ruhe mit Rom durch wiederhohlte Waffenſtillſtaͤnde fuͤr
eine lange Reihe von Jahren zu ſichern : Rom war ſeit
der Abſchaffung der Monarchie zu ſehr geſchwaͤcht um nicht
Krieg gegen andre Feinde , den die verbuͤndeten Latiner
theilten , dem gegen das nur drittehalb Meilen ent-
fernte Hundert Stadien . Dionyſius II. c. 51 . , ſtark befeſtigte Veji vorzuziehen , deſſen ganze
Laſt es vielleicht allein tragen mußte , und wodurch ganz
Etrurien erregt werden konnte .
Doch war Veji wohl noch im Beſitz der Rom ent-
riſſenen Landſchaft ; und war eine Moͤglichkeit erſchienen
dieſe wieder zu gewinnen , ſo entſtand vermuthlich dar-
aus im Jahr 272 ein Krieg , der zu den ungluͤcklichſten
gehoͤrt welche in dieſem traurigen Zeitraum Roms Da-
ſeyn in Gefahr brachten . Im zweyten Jahr deſſelben
fuͤhrte Caͤſo Fabius , der als Blutrichter den Altconſul
Sp. Caſſius verurtheilt hatte , als Conſul das roͤmiſche
Heer gegen die Vejenter . Der Beyfall der Patricier
hatte ihm die hoͤchſte Wuͤrde verliehen ; nicht die Hei-
ligkeit des Eides , nicht die Furchtbarkeit der Kriegszucht
vermochte ſeine rechtmaͤßige Gewalt gegen den Groll der
Soldaten zu behaupten durch deren Arm er ſiegen ſollte .
Das Volk liebte Caſſius Andenken , unglaͤubig uͤber eine
vereitelte Gefahr , weil die Feinde des Hingerichteten auch
die ſeinigen waren ; das Heer wollte nicht ſiegen , damit
der Conſul nicht im Triumph zuruͤckkehre . Beyde Armeen
waren einander gegenuͤber gelagert , und zur Schlacht in
ein Thal herabgekommen welches ſie trennte . Die Vejen-
ter wichen , und wurden von der roͤmiſchen Reuterey ver-
folgt : die Legionen weigerten ſich den Angriff fortzuſetzen .
Dionyſius erzaͤhlt , die Empoͤrung habe ſich nicht auf die-
ſes Verbrechen eingeſchraͤnkt : die Soldaten waͤren nach
Rom zuruͤck aus dem Lager aufgebrochen , welches mit vieler
Beute und den Verwundeten in die Gewalt der Etrusker
gekommen ſey : dieſe Nachricht laͤßt faſt auf eine verhuͤllte
Niederlage ſchließen ; denn die Annalen dieſer Jahrhunderte
ſind durchaus verfaͤlſcht , und es war nicht das Zeitalter
roͤmiſcher Siege . Im folgenden Jahr ( 274 ) zogen beyde
Conſuln gegen Veji . Sie fanden ein ſehr zahlreiches
etruskiſches Heer im Felde : der vorige Feldzug hatte
einem nicht kriegliebenden , aber auch nicht unkriegeri-
ſchem Volk Luſt und Muth erregt , entweder durch einen
erfochtnen Sieg , oder durch Vertrauen auf die innre
Zwietracht der Roͤmer . Das reiche Veji konnte , wie
fremde Staaten , mit Erfolg in Etrurien werben : und
Freywillige aus allen etruskiſchen Staͤdten mit einer
Menge ihrer Clienten hatten ſich bey den Vejentiſchen
Fahnen eingefunden . Die Conſuln hatten ſich , wie es
Sitte war , abgeſondert mit ihren Heeren gelagert : ein
Wetterzeichen bewog ſie ſich in einem Lager zu vereinigen ,
denn der Blitz hatte das Praͤtorium des Conſuls Cn.
Manlius getroffen , den Altar zertruͤmmert , ſein Streit-
roß getoͤdtet ; die Haruſpices weiſſagten daraus , das La-
ger werde vom Feinde eingenommen werden . Der roͤmi-
ſche Feldherr ſuchte dem Schickſal zu entgehen ; die
Etrusker verkuͤndeten er habe es auf beyde roͤmiſche Heere
gebracht . Das vereinigte Lager ward von den Etruskern
eingeſchloſſen , die Conſuln wagten es nicht ein Heer zur
Schlacht herauszufuͤhren , dem ſie , wegen des uͤbeln Wil-
lens oder des Ungluͤcks im vorigen Feldzuge , nur dann
gegen die Uebermacht trauten wenn es zur Verzweiflung
gebracht war . Die Soldaten forderten eine Schlacht ,
vom Hunger bedroht : und ſchworen nur als Sieger zu-
ruͤckkehren zu wollen . Sie erfuͤllten ihren Eid , und ein
Sieg rettete ſie und Roms Ehre : aber Cn. Manlius ent-
ging dem Schickſal nicht . Waͤhrend das ganze roͤmiſche
Heer mit der aͤußerſten Anſtrengung die tuskiſche Ueber-
macht kaum zuruͤcktrieb , war das Lager nur ſchwach be-
ſetzt , und ward von einer abgeſonderten etruskiſchen Le-
gion eingenommen . Cn. Manlius entriß es ihnen , aber
die darin eingeſchloßnen Feinde bahnten ſich einen Weg
durch die roͤmiſchen Reihen , und der Conſul fiel in dem
wuͤthenden Gefecht . Die Etrusker behaupteten ihr Lager :
und nur die Ungunſt des Kriegs war von Rom abgewandt .
Auch wird im folgenden Feldzug einer Riederlage des
Conſuls gedacht , nach der das geſchlagne Heer verlohren
geweſen waͤre , wenn nicht Caͤſo Fabius den Volskiſchen
Krieg verlaſſen , und es gerettet haͤtte . Nach dieſem
Sieg der Vejenter iſt es nicht denkbar , daß , wie Livius
meldet , der Krieg in dieſen Gegenden geruht habe , und
nur die Graͤnze durch gegenſeitige Streifereyen unſicher
geweſen ſey .
Nach friſcher Niederlage eines conſulariſchen Heers ,
nach einer blutigen nur nicht verlohrnen Schlacht , in
einem Kriege den noch kein einziger Sieg erfreulich
machte , war eine beſtaͤndige Beſatzung an der feindli-
chen Graͤnze nicht alles was der Krieg forderte um das
Land zu decken , wenn anders das roͤmiſche Gebiet ſich
weiter als die vaticaniſche Feldmark uͤber die Tiber er-
ſtreckte , und den Feind bis zum Frieden zu ermuͤden . Die
Befeſtigung eines gelegnen Orts im feindlichen Lande ἐπιτειχισμὸς .
war aber ein maͤchtiges Mittel den Krieg druͤckend zu ma-
chen , und dem Feind ein Schlachtfeld zu beſtimmen : erſt
durch die Behauptung von Dekelea fing der Peloponneſi-
ſche Krieg an verderblich fuͤr Athen zu werden : die Bela-
gerungskuͤnſte waren ſo aͤrmlich , daß ein Fort in kurzer
Zeit feſt genug gemacht werden konnte um , hinreichend
beſetzt , einer Belagerung zu widerſtehen ; und dieſes Sy-
ſtem des Kriegs verſchwand auch als die Belagerungs-
maſchinen um die Mitte des vierten Jahrhunderts bey
den Griechen ſich zu der Vollkommenheit zu erheben an-
fingen , welche ſie ein Jahrhundert ſpaͤter erreichten .
Dieſes war alſo wohl der Zweck der Gruͤndung des
Forts an der Cremera , deſſen Anlage unter dem Schutz
der vereinigten conſulariſchen Heere ausgefuͤhrt ward
vor denen ſich die Vejenter , nachdem ihnen der Sieg
entriſſen worden , gegen ihre Stadt zuruͤckgezogen hat-
ten , und deſſen Behauptung das Fabiſche Geſchlecht un-
ternahm .
Ich zweifle nicht daß die Camenen des Alterthums
den Untergang der Fabier beſungen haben , und aus den
Abweichungen der Lieder , wie der Gedaͤchtnißreden , moͤ-
gen die ſehr verſchiedenen Erzaͤhlungen entſtanden ſeyn
von denen die Rede ſeyn wird . Aber was in der Sage
von den dreyhundert und ſechs Fabiern durch deren Tod
das ganze Geſchlecht bis auf einen Knaben vertilgt ge-
worden ſey , ſchon von dem Kritiker Dionyſius fabelhaft
gefunden iſt , verdient keineswegs verworfen zu werden .
Die Zahl ſo vieler ſtreitbarer Maͤnner , unglaublich von
der ausgebreitetſten Familie , iſt fuͤr ein roͤmiſches Ge-
ſchlecht , aus vielen Familien verbunden , nicht unglaub-
lich : und die Ausrottung des Geſchlechts durch den Fall
der waffenfaͤhigen Maͤnner , ſo daß nur ein Kind uͤber-
lebte welches ſich zufaͤllig zu Rom befand , ſcheint eine feſt
begruͤndete Sage .
Das Fabiſche Geſchlecht zog aus mit allen ſeinen
Clienten , deren Zahl gegen viertauſend , oder zu fuͤnf-
tauſend Dionyſius IX. c. 15. Feſtus s. v. Scelerata porta . angegeben wird : und in der damaligen Zer-
ruͤttung Roms iſt der Wunſch ſehr begreiflich eine ab-
geſonderte Niederlaſſung zu behaupten . Gruͤndeten ſie
dieſe , ſo folgten ihnen auch ihre Familien , und alles
ging mit ihnen unter , und ſo moͤgen unter den drey-
hundert und ſechs Fabiern auch Greiſe und Kinder be-
griffen geweſen ſeyn .
Die Fabier benutzten die Vortheile ihres Poſtens
mit großer Thaͤtigkeit , und verheerten die entlegneren
Gegenden , wenn die Vejenter dem roͤmiſchen Heer ent-
gegen zu gehen genoͤthigt waren . Im Jahr 276 ſchlug
auch der Conſul L. Aemilius das vejentiſche Heer . Ein
Sieg berechtigte Rom einen fruchtloſen und ungluͤckli-
lichen Krieg zu endigen : Veji wuͤnſchte Frieden . Er
ward ohne Veraͤnderung der Graͤnzen geſchloſſen , und
die Raͤumung des Forts am Cremera zugeſagt . Dieſe
aber erfolgte nicht , ſey es daß ſie , nach dem Wunſch
des Senats das Volk beſtaͤndig unter den Waffen zu
halten , nicht ernſthaft befohlen ward , oder daß die Fa-
bier ſich unabhaͤngig behaupteten . Daher erneuerte ſich
der Krieg ſchon im naͤchſten Jahr wieder : und daher
vielleicht fielen die Fabier ohne Huͤlfe . Trotz dem Frie-
den fuhren ſie fort die Gegend zu pluͤndern , und da ge-
lang es den Vejentern durch eine taͤuſchend dargebotene
Beute die groͤßere Zahl von ihrer Feſte zu entfernen , zu
umringen und nieder zu machen . Cremera ward erſtie-
gen , und die Beſatzung niedergehauen , ſo daß nur in
einem einzigen Knaben der Republik die Wurzel dieſes
Geſchlechts erhalten wurde , welches ihr durch Tugenden
und große Maͤnner Ruhm und Stuͤtze ward .
Eine andre Erzaͤhlung welche Dionyſius widerlegt
und als ungereimt verwirft Dionyſius IX. c. 19 . , iſt offenbar die alt poe-
tiſche . Die dreyhundert und ſechs Fabier , von wenigen
Clienten begleitet , ziehen , im Vertrauen auf den Frie-
den , nach Rom , um heilige Gebraͤuche ihres Geſchlechts
zu vollziehen . Sie ahnden nicht daß die Vejenter den
Frieden brechen , daß ganz Etrurien unter den Waffen und
ihnen nahe iſt . Unerwartet finden ſie ſich angegriffen :
die geſammte etruskiſche Macht umringt ſie , und ſie
fallen , nicht vor dem Schwerdt oder dem Speer , ſon-
dern von Wurfgeſchoſſen , aus der Ferne auf die Unnah-
baren geſchleudert .
Diodor von Sicilien , deſſen Nachrichten von der
aͤlteren roͤmiſchen Geſchichte aͤußerſt duͤrftig ſind , und ,
wie von dem Ekel eines griechiſchen Sophiſten an bar-
bariſchen Vorfaͤllen , fluͤchtig , iſt doch dadurch merkwuͤr-
dig daß er Fabius , und vielleicht nur ihn allein unter
den Roͤmern gebrauchte . Seine ganz abweichenden Er-
zaͤhlungen tragen viele Spuren leichtſinniger Bearbeitung ,
die ihm ſelbſt zur Laſt fallen ; dennoch duͤrfen ſie nicht
uͤberſehen werden ; was ihnen zum Grunde liegt iſt eine
von den vielen verſchiedenen Geſtalten welche die roͤmiſche
Geſchichte anfaͤnglich trug als ſie aus Sagen niederge-
ſchrieben ward , ehe ihrer eine , nur vorgezogen , herr-
ſchend war . Denkbar iſt es freylich auch daß er ſeinem
Landsmanne , dem Sikelioten Timaͤus , den Vorzug vor
barbariſchen Annaliſten , ſelbſt in ihrer einheimiſchen Ge-
ſchichte gegeben habe . Diodor nun ſchweigt von den
fruͤhern und den ſpaͤteren Vorfaͤllen dieſes Kriegs , und
redet nur bey den Conſuln dieſes Jahrs von einer gro-
ßen Schlacht welche die Roͤmer am Cremera gegen die
Vejenter verlohren haͤtten , und worin die dreyhundert
Fabier gefallen waͤren Diodor XI. c. 53 . ; eine Erzaͤhlung welche o f-
fenbar in ihrer Wurzel von der verſchieden iſt , der un-
ſre Geſchichtſchreiber folgen .
Der Conſul Menenius brach ſogleich nach dem Un-
gluͤck am Cremera ( 277 ) nach Etrurien auf . Ihm be-
gegneten die ſiegsſtolzen Etrusker , ſchlugen ihn voͤllig ,
erbeuteten ſein Lager , die Adler , und die Verwundeten .
Das geſchlagne Heer konnte auch nicht das Janiculum ,
Roms Vormauer , behaupten : es ward fliehend uͤber die
Bruͤcke in die Stadt getrieben . Die Ankunft des an-
dern Conſuls C. Horatius der ſich ſchleunig von der
Volskiſchen Graͤnze zuruͤckzog , rettete die Stadt . Als die
Hoffnung ſie ſtuͤrmend einzunehmen verſchwunden war ,
gingen die Etrusker oberhalb uͤber den Strohm , um ſie
einzuſchließen . Zwey Gefechte , das letzte am Collini-
ſchen Thor , richteten den tiefgeſunknen Muth der roͤmi-
ſchen Soldaten auf . Aber Hungersnoth wuͤthete in der
Stadt , da ein verheerender Krieg unerwartet die Mauern
umgeben hatte , ehe Vorraͤthe auch nur fuͤr das drin-
gendſte Beduͤrfniß geborgen werden konnten : was das
Land enthielt ward des Feindes Raub , und der Strohm
war in ſeiner Gewalt . Die Noth trieb das aͤußerſte zu
wagen ( 278 ) . Die Etrusker waren , nach einem neuen
nachtheiligen Gefecht im Lauf ihrer Pluͤnderungen , mit
der ganzen Macht auf Floͤſſen uͤber die Tiber gegangen ,
und hatten das Heer des Conſuls Sp. Servilius ange-
griffen.
griffen . Die Roͤmer behaupteten ihre Stellung , und die
Feinde waren gezwungen mit großem Verluſt uͤber den
Strohm zuruͤck zu gehen . Der Sieger folgte , ungeduldig
durch Benutzung des Augenblicks eine unertraͤgliche Be-
draͤngniß zu endigen . Servilius ſtuͤrmte das Janiculum ,
aber ohne die zeitige Ankunft ſeines Collegen A. Virginius
waͤre dieſe Verwegenheit wohl toͤdtlich fuͤr Rom gewor-
den . Schon wich das Heer , von den befeſtigten Hoͤhen
zuruͤckgeſchlagen , und es mußte an den Ufern und im
Strohm der Tiber ſein Grab finden . In dieſem fuͤrchter-
lichen Augenblick erſtieg Virginius den Huͤgel im Ruͤcken
der Tusker mit einem noch ungeſchwaͤchten Heer . Um-
ringt und uͤbermannt ſuchten ſie ſich einen Weg zu bahnen .
Ihr Lager auf dem Janiculum , voll tuskiſcher Reichthuͤ-
mer , voll Beute und Lebensmittel , fiel in die Gewalt
der Sieger und naͤhrte die hungrige Stadt .
Ich habe ſchon bemerkt daß die Geſchichte dieſes
Kriegs das unverkennbare Ebenbild oder Urbild der Bela-
gerung Porſenas iſt Th. I. S. 353 . . Von dem Verluſt des Jani-
culum bis zu der Erquickung welche die Vorraͤthe und die
Reichthuͤmer des etruskiſchen Lagers gewaͤhren , ſind in
beyden Geſchichten dieſelben Grundzuͤge unverkennbar ;
uͤbertragen aus der hiſtoriſchen Sage in das Gedicht .
So ſchwer war die Niederlage auf dem Janiculum
fuͤr ein Volk welches nicht in einem Reichthum an freyen
Landleuten unverſiegende Kraͤfte zur Ausdauer hatte , daß
die Vejenter , von den uͤbrigen etruskiſchen Staͤdten nie
mit gemeinſamer Macht unterſtuͤtzt , verlaſſen von den
Zweiter Theil. F
Freywilligen welche Sold oder Beute gelockt hatte , zu ih-
rer Vertheidigung einen Bund mit den Sabinern ſchloſ-
ſen , oder bey ihnen warben . Oft unfriedlich mit Rom ,
oft durch roͤmiſche Streifzuͤge verwuͤſtet , oft die Verhee-
rung vergeltend , ſo daß die Gegend zwiſchen dem Sabi-
niſchen Eretum und dem Anio vielfach ausgepluͤndert und
verbrannt ward , finden wir die Stammvaͤter des Volks
welches Rom bis in die letzte Stunde ſeines Daſeyns die
Herrſchaft ſtreitig machte , unter den unbedeutendſten
Feinden der Republik : doch war es wohl nie ein großer
Theil des in Cantonen unabhaͤngig getheilt lebenden
Volks , wenn die Sabiner Rom befehdeten . Die naͤch-
ſten Conſuln uͤberwanden die vereinigten Vejenter und
Sabiner unter den Mauern von Veji , und eroberten
ihr Lager . Dieſe Niederlage brach den Muth der Tusker
gaͤnzlich , und ſie boten Frieden , der von dem folgenden
Conſul ( 280 ) auf vierzig Jahre abgeſchloſſen ward . Es war
Sitte , wahrſcheinlich religioͤſe Vorſchrift , bey den Tus-
kern nur auf eine beſtimmte Zahl Jahre Frieden zu ſchlie-
ßen . Vielleicht wurden durch dieſen Vertrag die ſieben
Pagi wiedergewonnen , welche nach der Sage von Porſena
dieſer Held als Sieger empfing , und großmuͤthig zuruͤck-
gegeben haben ſoll : ein Theil der zehn Regionen welche
die Republik in ihren erſten Tagen verlohr .
Die Kriege gegen die Volsker und Aequer fuͤhrte Rom
als Bundesgenoſſen der Latiner und Herniker , die das
roͤmiſche Gebiet von beyden Voͤlkern trennten : ſelbſt von
Antium , welches , entfernt von den uͤbrigen volskiſchen
Staͤdten , und abgeſondert von ihnen durch die Colonieen
im Pomptiniſchen Gefilde , oftmals auf ſeine eigenen
Kraͤfte beſchraͤnkt geweſen zu ſeyn ſcheint . Dieſe Kriege
waren jetzt gewoͤhnlich nichts mehr als Streifzuͤge , bey
denen kein Angriff gegen die Staͤdte unternommen ward ,
wohin der Landmann fluͤchtete ſobald der Feind ſich zeigte :
und wenn es ein kleiner Haufen war , ſo gewaͤhrten die
kleinen Kaſtelle genuͤgenden Schutz . So waren in Attika
auf ſchwer zugaͤnglichen Bergen Kaſtelle angelegt ;
Mauern die einen leeren Raum einſchloſſen welcher hin-
reichte die Bauern der umliegenden Gegend mit ihrem
Vieh aufzunehmen : die Befeſtigung aͤhnlicher , freylich ge-
wiß nur mit Graben und Pfaͤhlen , wie eine tuͤrkiſche Pa-
lanka , umgebner Zufluchtsorte im roͤmiſchen Gebiet ward
dem Stifter alles dauernd Wohlthaͤtigen , dem Koͤnig
Servius zugeſchrieben Dionyſius IV. c. 15 . . Zwiſchen dem Anio und den
noͤrdlichen Staͤdten der Latiner und Herniker im Gebuͤrg
brachen die Aequer haͤufig hervor in einer rauhen Gegend ,
welche ihren leichtgeruͤſteten , jeder Schlacht ausweichen-
den Schaaren alle Vortheile des kleinen Kriegs darbot .
Am ſuͤdlichen Rand der Latiner und Herniker , am Ab-
hang der Gebirge , fielen die Volsker ein , deren Waffen-
platz wenn die entlegneren Staͤmme an den Kriegen Theil
nahmen , das feſte Ecetraͤ , nicht weit von Ferentinum Livius IV. c. 61 . ,
war : ein Feind der ſich auch in der Ebne einem roͤmiſchla-
tiniſchen Heer eine Schlacht anzubieten nicht ſcheute .
Die roͤmiſchen Siege uͤber beyde Voͤlker welche von
dem Anfang dieſes Zeitraums gemeldet werden , ſind
F 2
hoͤchſt zweifelhaft , um ſo mehr da nicht gelaͤugnet wird ,
daß die Aequer eine latiniſche Stadt Ortona eingenom-
men hatten Dionyſius VIII. c. 91. vergl. Sylburgs und Hudſons
Anmerkung . . Waͤhrend des vejentiſchen Kriegs tru-
gen Latium und die Herniker des volskiſchen ganze Laſt ,
ſo wie Rom von ihnen keine Huͤlfe erhalten zu haben
ſcheint . Unter den unaufhoͤrlich wiederkehrenden einfoͤr-
migen Feldzuͤgen gegenſeitiger fruchtloſer Verwuͤſtung ,
zeichnet den des Jahrs 283 , in dem Appius Claudius das
Heer gegen die Volsker anfuͤhrte , eine Empoͤrung aus ,
welche ihren Urſprung in der Zwietracht des Forums
hatte . Schon einmal hatte ein roͤmiſches Heer dem Sieg
entſagt , um einem verhaßten Conſul den Triumph zu ent-
reiſſen : aber Appius war verabſcheut . Die Soldaten
verweigerten ihm den Gehorſam , verließen die Schlacht-
ordnung , dann das Lager , und zwangen den Conſul das
feindliche Gebiet zu raͤumen worin er ſchon eingedrungen
war . Das roͤmiſche Kriegsrecht befugte ihn zu einer
Strenge , deren Ausuͤbung durch ihre Unerbittlichkeit ſelten
nothwendig ward : er verurtheilte die Fahnentraͤger welche
ihre Fahnen verlohren ; die Hauptleute welche ſich von
ihren Manipeln entfernt hatten , und den zehnten Mann
unter den unbewaffnet entflohenen Gemeinen geſtaͤupt und
enthauptet zu werden . Im Bewußtſeyn der Schuld un-
terwarf ſich das nur eben aufgeloͤßte Heer dieſer Strenge ,
und ſo ward die Disciplin hergeſtellt und die Republik ge-
rettet . Es war nach ſtrengem Recht vergoßnes Blut ,
aber eine jammervolle Folge der Buͤrgerfehden : denn in
eben demſelben Jahre hatte das Heer des wohlwollenden
Conſuls T. Quinctius fuͤr ſeinen Ruhm wie fuͤr den eines
geliebten Vaters ſich ausgezeichnet . Appius ward , als
ſein Jahr um war , von den Tribunen angeklagt . Nach
foͤrmlichem Recht haͤtte ihn das Volksgericht nicht ver-
dammen koͤnnen , aber ſeinem eignen Gewiſſen zeugte das
Betragen des andern Heers , daß der Hingerichteten Blut
auf ſeiner Seele hafte , weil er die an ſich gerechte Erbitte-
rung verſchuldet hatte , welche bis zu jenem ungluͤcklichen
Aufſtand verwilderte . Er ſtarb ehe der Gerichtstag her-
angekommen war ; nach einer Sage bey Dionyſius von
ſeiner eignen Hand : die Tribunen verweigerten dem Tod-
ten die Lobrede : aber das Volk hatte ſeine mißbrauchten
großen Eigenſchaften , es hatte den Stolz geehrt womit er
der Anklage auf den Tod begegnet war , der Tod hatte die
Gefahr ſeiner Fehler vernichtet : es forderte und ſchuͤtzte
die Lobrede , und folgte ſeiner Leiche zahlreich .
Der Feldzug des App. Claudius war wohl gegen die
Antiatiſchen Volsker gerichtet geweſen : es iſt augenſchein-
lich daß damals kein roͤmiſchlatiniſches Heer in das innere
volskiſche Land eindringen konnte . Im Jahr 286 kaͤmpf-
ten beyde Voͤlker vor Antium mit ungewoͤhnlicher Anſtren-
gung . Der Conſul T. Quinctius behauptete zuerſt das
Feld gegen den Feind : dann , als von allen volskiſchen
Staͤdten , und ſelbſt von den Aequern , die vom Algidus
durch ihre latiniſchen Eroberungen die Graͤnzen der An-
tiater erreichten , zahlreiche Verſtaͤrkungen bey dem Feinde
eingetroffen waren , vertheidigte er ſein beſtuͤrmtes Lager ,
und verfolgte den Sieg bis zu einer voͤlligen Niederlage
der Feinde . Dieſe war ſo entſchieden daß Antium dem
Sieger die Thore oͤffnete : eine Stadt reich durch Schif-
fahrt , aber verrufen bey den Griechen durch ihren Miß-
brauch zur Seeraͤuberey . Dies war eine glaͤnzende Ero-
berung , die einzige des ganzen Zeitraums , und nur ein
kurzer Beſitz . Im folgenden Jahr ward eine Colonie hin-
geſandt : aber ſo ſchwach und zwecklos wurde damals noch
von den Roͤmern und Latinern dieſes gewaltige Mittel der
Befeſtigung der Herrſchaft gebraucht , daß die zuruͤckge-
bliebenen Volsker ſchon im Jahr 295 ihre neuen Mitbuͤr-
ger uͤberwaͤltigten , zum Theil verfuͤhrten , ihre Unabhaͤn-
gigkeit und das verlohrne Landeigenthum wieder gewannen .
Viele Antiater waren ausgewandert und hatten ſich nach
Ecetraͤ und zu den Aequern begeben , ſey es , daß nur
die denen ihr Land genommen war , entweder weil ſie aus-
gezeichnet wurden , oder weil es in dem Umfang des zur
Aſſignation abgeriſſenen Bezirks der Feldmark lag , ihre
Heimath verließen ; oder daß die Stadt durch buͤrgerliche
Zwietracht von einer Parthey uͤbergeben war , vor deren
Herrſchaft die unterliegende auswanderte . Daß Antium
ſo roͤmiſch geworden ſey , machen viele Umſtaͤnde glaub-
lich ; es war nicht nur ein großer Theil der alten Buͤrger
in die Colonie aufgenommen , ſondern ſie waren die weit
uͤberwiegende Mehrheit : eine Seeſtadt hatte von Ein-
ſchließung nichts zu befuͤrchten , und faſt alle Mauern wa-
ren damals noch den Roͤmern und Latinern zu feſt : alſo
deutet ſchon eine freywillige Uebergabe , wie ſie auch in der
Geſchichte gemeldet wird , auf Verrath und entzweyte
Factionen , Eben ſo hatte ſich Velitraͤ fruͤher , auch wohl
nicht ohne Ruͤckkehr , von der volskiſchen Nation getrennt ,
und latiniſche Mitbuͤrger angenommen — wie Oropus
und Eleutheraͤ ſich von den Boͤotern abſonderten , wie Am-
phipolis Chalkidier aufnahm , wie Capua Samniter , wel-
che die alten Buͤrger vertrieben .
Unbillig zeiht Livius die Plebejer , weil wenige nach
Antium gezogen waͤren , einer meuteriſchen Launenhaftig-
keit welche nur das Verſagte gefordert haͤtte . Der ganze
Vorwurf ſcheint keinen andern Grund zu haben als daß
die Mehrzahl der Buͤrger Antiums , als Colonie , aus
Volskern beſtand , und wenn der Looſe nur wenige waren
ſo darf nicht vergeſſen werden daß Latinern und Hernikern
zwey Drittheile der Eroberung gebuͤhrten . Uebrigens
waͤre es auch nichts weniger als tadelnswerth wenn Ar-
muth im Vaterlande lieber war als Eigenthum durch Ver-
luſt des Buͤrgerrechts erkauft ; und dieſes Gefuͤhl legte
keine Pflicht auf deswegen ein rechtmaͤßig gebuͤhrendes
Eigenthum im Vaterlande mit geringerer Beharrlichkeit
zu fordern .
Um dieſe Zeit war die Graͤnze durch einen Friedens-
ſchluß mit den Aequern beruhigt . Sey es daß die ver-
bannten Antiater ihre Fehde fortſetzten , oder daß Rom
ſchon damals vertriebenen Gegnern keine Raſt und keine
Zuflucht vergoͤnnte ; die Aequer wurden aufgefordert ſie
auszuliefern : eine Forderung aus der ein ſchwerer und un-
gluͤcklicher Krieg entſtand , worin das roͤmiſche Gebiet
ſelbſt mit allen Schrecken der Verwuͤſtung heimgeſucht
ward . Latium war von den feindſeligen Voͤlkern durch
keine geſchloſſene Graͤnze getrennt : ſeit ihrer erobernden
Ausbreitung beſaßen dieſe mehrere Orte mitten unter
den latiniſchen Staͤdten : dagegen behaupteten ſich auch
einzelne latiniſche , wie Norba und Signia auf den Ber-
gen , von einer volskiſchen Landſchaft umringt . Unter
der kleinen Zahl latiniſcher Staͤdte die ihre Unabhaͤn-
gigkeit bewahrt hatten , waͤhrend viele fremdes Joch tru-
gen , andre zerſtoͤrt waren , ſcheint Tusculum die anſehn-
lichſte geweſen zu ſeyn , ſie wenigſtens wird faſt allein
genannt : und ſo eng beſchraͤnkt war damals der Um-
fang Latiums daß ihr Gebiet an die Aequer graͤnzte Dionyſius X. c. 20. XI. c. 3. .
Die Graͤnze bildete der Schwarzwald des Algidus , ſo daß
dieſer in der Aequer Gewalt war : Corbio und Ortona , mit
ſo vielen andern latiniſchen Staͤdten ſchon fuͤr die ſpaͤte-
ren Roͤmer nur als leere Nahmen erhalten , und bis
auf jede Spur ihrer Lage von dem Boden verſchwun-
den , muͤſſen auf dieſen Hoͤhen geſucht werden . Zwiſchen
den Volskern und Aequern darf man ein aͤhnliches
Buͤndniß annehmen wie jenes welches Rom mit den La-
tinern und Hernikern vereinigte . Dieſes war voͤllig
gleich , wenn auch der roͤmiſche Geiſt Latiums damalige
Schwaͤche benutzt haͤtte , zuweilen ein den Vertraͤgen wi-
derſprechendes Uebergewicht zu aͤußern . Wir koͤnnen
eine ganz verfaͤlſchte Geſchichte nicht auf die urſpruͤng-
liche Geſtalt zuruͤckfuͤhren , wir muͤſſen , obwohl des Ge-
gentheils gewiß , mit den Annalen reden , als ob Rom
der unmittelbar kriegfuͤhrende , von den Bundesgenoſſen
nur unterſtuͤtzte Staat geweſen waͤre : wir muͤſſen aber
des wahren Verhaͤltniſſes eingedenk ſeyn , dem gemaͤß
die verbuͤndeten Heere , abwechſelnd unter dem Ober-
befehl roͤmiſcher Conſuln oder Dictatoren , und dem
eines latiniſchen Dictators in das Feld zogen : nicht in
abgeſonderten Legionen , ſondern jeder Manipel aus einer
Centurie von jedem Volk zuſammengeſetzt . Von einer
ſolchen Einverleibung der Herniker iſt keine Spur : viel-
mehr iſt es wahrſcheinlich daß ihr Contingent abgeſon-
dert diente , wie die Bundesgenoſſen bey den ſpaͤteren
roͤmiſchen Heeren .
Im Jahr 289 gingen den Aequern zwey conſulari-
ſche Armeen entgegen , als ſie ſich auf den Hoͤhen des
Algidus feſtgeſetzt hatten , von denen die ſchoͤnen Ge-
genden von Alba und der Abhang des Gebuͤrgs gegen
das Meer und den Anio ihren Verheerungen offen la-
gen . Auch die Roͤmer nahmen ein feſtes Lager ; ſo wie
kein Sommer ohne Streifzuͤge verging , ſo war ein Feld-
zug von laͤngerer Dauer als wenige Wochen einem Heerbann
der ohne Sold , ſich ſelbſt vom Hauſe verpflegend dien-
te , nicht ertraͤglich . Der Unmuth reizte zu Aufforderungen
zur Schlacht : ſie ward beſtimmt , und ein langer Kampf ,
aus dem die Feinde , obgleich uͤberwunden , nicht entflo-
hen , zeigte , daß wenn , wie Livius ſagt , die Vermeſſen-
heit der Aequer Rom zu Anſtrengungen ſie zu zuͤchtigen
reizte , welche keine Gefahr erfordert haͤtte , die damali-
gen Roͤmer , wie ihr Geſchichtſchreiber , den Feind und
ſich falſch ſchaͤtzten . Livius meldet , die Aequer haͤtten ſich
in ihre Graͤnzen , in ihre einheimiſchen Gebuͤrge zuruͤckge-
zogen , und das muthige Volk habe ſich uͤber den Verluſt
einer Feldſchlacht getroͤſtet : es ſey ihnen ſchon recht ge-
ſchehen , weil ſie eine Art des Kriegs erwaͤhlt fuͤr den ihre
Nation nicht tauge : Aequer muͤßten den Roͤmern nicht in
Schlachtordnung begegnen , ſondern nur kleinen Krieg
mit vielen abgeſonderten Haufen fuͤhren . Nach den Auc-
toren des Dionyſius , die doch dem roͤmiſchen Hochmuth
im Ganzen noch mehr opfern als Livius , wichen die
Aequer nur in das feſte Lager zuruͤck , welches ſie vor der
Schlacht auf dem Gebuͤrge inne gehabt hatten . Waͤhrend
ſie hier , auch der Algidus war im Aequerlande , die roͤmi-
ſchen Heere aufhielten , umgingen ſie dieſe mit einem Theil
ihrer Macht , und die Flammen der Doͤrfer , und die
Flucht des Landmanns verkuͤndigte zu Rom den Ein-
bruch der Feinde . Alles Gewerbe ward geſchloſſen , ein
allgemeines Aufgebot gegen die Pluͤnderer gefuͤhrt , ſie
hatten ſich mit vielen Gefangenen und andrer Beute ent-
fernt . Doch endigte ihr Zug oder deſſen Wiederhohlung
ungluͤcklich : der Conſul Q. Fabius ſchnitt ihnen den Ruͤck-
weg ab , toͤdtete viele und gewann die weggefuͤhrte Beute
wieder . Hierauf verließen die Aequer das Feld , und zo-
gen ſich hinter die Mauern ihrer Staͤdte Dionyſius redet an mehreren Stellen von der Stadt der
Aequer als einer einzigen , ohne ſie zu nennen . So IX.
c. 60. 61 . Sie zaͤhlten eine große Menge kleiner Staͤdte in
ihrem Lande , aber ſie moͤgen damals eine Hauptſtadt aner-
kannt haben : ob Praͤneſte ? oder das ſonſt volskiſch ge-
nannte Ecetraͤ ? zuruͤck , waͤh-
rend der Sieger ihre ganze Landſchaft mit Feuer und
Schwerdt verwuͤſtete . Im naͤchſten Jahr ( 290 ) erſchei-
nen die Volsker von Ecetraͤ als Verbuͤndete der Aequer .
Beyde Voͤlker waren in das Land der Herniker eingefallen ,
denen der Conſul Sp. Furius zum Beyſtand geſandt
ward . Nach einem ungluͤcklichen Treffen retteten ſich die
Roͤmer in ihr Lager wo ſie von den Feinden ſo eng
eingeſchloſſen gehalten wurden daß Rom nur aus den
naͤchſten Staͤdten der Bundsgenoſſen Berichte uͤber ihre
Lage empfing . Dieſe ſchien rettungslos . Indeſſen be-
freyten doch die Latiner und Herniker durch ein allge-
meines Aufgebot den Conſul , der in einem ungluͤcklichen
Ausfall großen Verluſt erlitten hatte , und ohne ſchleu-
nigen Entſatz das Geſetz des Siegers anzunehmen ge-
zwungen geweſen waͤre . Ein aͤhnliches roͤmiſches Auf-
gebot ſchlug ein aͤquiſches Heer zuruͤck , welches aufs
neue bis in das roͤmiſche Gebiet eingedrungen war : und
das conſulariſche , welches ohne den Feind zu verfolgen
ſich nach Rom zuruͤckbegab , ſoll den Zuruͤckziehenden
einen noch fuͤhlbareren Verluſt zugefuͤgt haben . Doch
macht die ungluͤckliche Lage der Dinge im folgenden
Jahr ( 291 ) dieſe Vortheile hoͤchſt zweifelhaft . Man
moͤchte vielmehr glauben daß der Sieg den Aequern ent-
ſchieden geblieben ſey , obgleich das roͤmiſche Heer vom
Untergang gerettet war : denn in dem erwaͤhnten Jahr
erſcheinen ſie unbeſtritten als Herren des Feldes . Der
roͤmiſche Landmann deſſen Habe die Kaſtelle gegen einen
ſo zahlreichen Feind keinen Schutz gewaͤhrten , war mit
ſeinem Vieh in die Stadt gefluͤchtet : und dieſe Anhaͤu-
fung erregte , oder beguͤnſtigte , wie zu Athen im Pelo-
ponneſiſchen Kriege , die Entwicklung einer Peſt welche
die Stadt entwaffnete . Dieſe Peſt ſoll zuerſt unter dem
Vieh begonnen haben , eine Erzaͤhlung die vielleicht
nichts weniger als fabelhaft iſt , da der Mangel an
Futter und ſelbſt an Waſſer unter der in die Stadt zu-
ſammengetriebenen Menge Seuchen erzeugen konnte ,
die durch unvorſichtige Beruͤhrung , oder gar durch den
Genuß des Fleiſches der gefallenen Rinder , allerdings
peſtartige Uebel hervorzubringen hinreichten . Es wird ge-
ſagt Dionyſius IX. c. 67 . , die Peſt habe um den Anfang des Septem-
bers begonnen , und ein ganzes Jahr gewuͤthet : dies
entſpricht beynahe dem conſulariſchen , deſſen damals oft
geaͤnderter Anfang in jenem Jahre mit dem Sextilis
zuſammenfiel Livius III. c. 6 . . Vom Anfang des Jahrs erſcheint
auch die Flucht des Landmanns , und wenn die Monate
den unſrigen entſprachen oder ihnen voreilten Im Jahr 278 folgte der Anfang des Sextilis nahe auf
die Sommerſonnenwende : Dionyſius IX. c. 25 . , ſo war
der September an den Ufern der Tiber der gefaͤhr-
lichſte zur Entwicklung eines giftigen Fiebers . Die
guͤnſtigſte Jahrszeit fuͤr die zerſtoͤrenden Einfaͤlle der
alten Kriegsgeſchichte , welche in Griechenland wie im
Mittelalter Italiens ſtets benutzt ward , war die worin
das Korn mit ſchon ausgetrockneten Halmen , eben vor
der Reife , im Felde ſteht , ſo daß die Aehrenfelder ohne
Schwierigkeit Feuer fangen , und doch die Koͤrner noch
nicht ſo weit gereift ſind daß eine uͤbereilte Erndte fuͤr
den Landmann einigen Vortheil gaͤbe : dieſelbe Jahrs-
zeit in der es dort noch Gras fuͤr die Pferde giebt , und
die Baͤche noch nicht verſiegt ſind : in dieſem Vorſommer
muß man ſich auch den eben erzaͤhlten Feldzug denken .
Von da bis zum Anfang Septembers waͤren , wenn
jene Zeit in den Anfang unſers Junius faͤllt , weni-
ger als drey Monate vergangen ; und wenn im Septem-
ber die Stadt voll Fluͤchtlinge war , ſo ſcheint es daß
die Aequer in vollem Beſitz der Vortheile des letzten
Feldzugs geblieben ſeyn muͤſſen . Dieſe Peſt raffte beyde
Conſuln und eine zahlloſe Menge Menſchen hin . Rom
konnte kein Heer aufſtellen : die Aequer erſchienen unter
den Mauern der Stadt : nachdem ſie das ganze roͤmi-
ſche Gebiet verwuͤſtet hatten , drangen ſie in die entleg-
neren Gegenden der Latiner ein . Dieſe vereinigten ihre
Kraͤfte zum Widerſtand , aber ſie wurden bey Tusculum
gaͤnzlich geſchlagen ; und waͤre damals Eroberung der
Zweck der Bergbewohner geweſen , ſo haͤtten die latini-
ſchen Staͤdte vielleicht nur ſchwachen Widerſtand leiſten
koͤnnen . Aber ſie zogen ſich freywillig aus einem Lande
zuruͤck , in welchem ſich wahrſcheinlich die Anſteckung von
Rom her gefaͤhrlich verbreitet hatte , wenn die Seuche
in der Stadt ausgebrochen war und nicht vielmehr zu
einer viel verbreiteteren Contagion gehoͤrte . Mit dem
Jahre hatte dieſe aufgehoͤrt , und die neuen Conſuln
tilgten die Schmach und den Verluſt des verfloſſenen .
Die Volsker wurden in ihrem eignen Lande geſchlagen
( 292 ) : und ein Streifzug auf das roͤmiſche Gebiet ,
welchen der Conſul nicht zu hindern vermocht hatte ,
ward an dem pluͤndernden Haufen blutig gerochen . Ein
zweyter Sieg uͤber die vereinigten feindlichen Heere
brachte die Feldherrn mit dem faſt entwoͤhnten Triumph
nach Rom zuruͤck . In den beyden folgenden Jahren ruh-
ten dieſe Kriege , durch die waltende Gunſt des Schickſals
welches Rom beſchirmte , da ein Einbruch der Aequer ,
waͤhrend das Capitol in feindlicher Gewalt war , das Da-
ſeyn der Republik in vielleicht rettungsloſe Gefahr ge-
bracht haben wuͤrde . Im Jahr 295 warf Antium das
Joch ab , und zugleich uͤberraſchte ein aͤquiſches Heer
Tusculum , oder die Burg dieſer Stadt : denn nach Li-
vius gelang es auch den Tusculanern das weitere Ein-
dringen einer nicht zahlreichen feindlichen Schaar zu
wehren , bis roͤmifche roͤmiſche Huͤlfe eintraf . Jenen Verluſt
entſchaͤdigten volskiſche Siege nicht , wenn ſie auch wohl
bewaͤhrt waͤren : und ein Maͤhrchen der juͤngeren Annali-
ſten duͤrfen wir es nennen ( der aͤlteren Stillſchweigen wiſ-
ſen wir durch Livius ) , wenn erzaͤhlt wird , wie der Abfall
Antiums nach ſchneller Wiedereroberung geſtraft worden
ſey ; denn von jener Zeit an , ſo lange es freye Volsker
gab , beſteht dieſe Stadt feindlich und unabhaͤngig gegen
Rom . Die Beſatzung der Burg von Tusculum ward im
Angeſicht einer aͤquiſchen Macht durch Hunger zur Ueber-
gabe gezwungen , aber ein anderes roͤmiſches Heer erwar-
tete die wehrlos entlaſſenen auf ihrem Heimwege und er-
wuͤrgte ſie , als nicht durch den Vertrag gebunden , wel-
cher mit den Tusculanern geſchloſſen ſey , nicht mit den
Roͤmern die ſich dort nur als Huͤlfsvoͤlker befaͤnden . Zu
den hiſtoriſch ſehr verdaͤchtigen Sagen Nach den capitoliniſchen Faſten triumphirten die Conſuln
Q. Fabius und L. Cornelius , — mit deren Nahmen wir gehoͤrt , daß
nach dieſem Vorfall Friede mit den Aequern geſchloſſen
ſey ; dieſes unruhige Volk dennoch aber ( 296 ) ungereizt
mit einem großen Heer aus ſeinem gewoͤhnlichen Lager
auf dem Algidus die Gebiete der latiniſchen Staͤdte aufs
neue verwuͤſtet habe . Der Bruch der Treue ſoll dem
aͤquiſchen Feldherrn von roͤmiſchen Geſandten vorgewor-
fen , und dieſe von ihm angewieſen ſeyn ihre Beſchwerden
einer Eiche zu erzaͤhlen : er habe keine Muße fuͤr ſie . Ein
roͤmiſches conſulariſches Heer zog auf den Algidus : es
ward in eine unwegſame Gegend gelockt und eingeſchloſſen .
Nur L. Quinctius Cincinnatus ſchien faͤhig ein allgemeines
Aufgebot zur Rettung der Republik zu fuͤhren . Abgeord-
nete Senatoren fanden ihn , zu arm einen Knecht zu be-
ſitzen , und zu weniger Aecker Herr als daß er fremde
Huͤlfe zu ihrer Beſtellung bedurft haͤtte , unbekleidet pfluͤ-
gend , wie der Landmann Italiens im Sommer auf dem
Felde zu arbeiten gewohnt war . Die Abgeordneten er-
mahnten ihn eine Toga anzulegen , um die Botſchaft des
das Jahr 295 bezeichnen , die aber , gleich den Archonten
Athens , nur die letzte Haͤlfte dieſes Jahrs und die erſte des
folgenden , 296 , einnehmen , — im Mai ; alſo des Jahrs
296 : L. Cincinnatus aber an den Iden des Septembers ,
alſo des naͤmlichen Jahrs . Dieſe Zeit iſt nun doch wohl
zu kurz fuͤr den Schluß und den Bruch des Friedens , und
den ganzen Feldzug auf dem Algidus . Es ſcheint hier of-
fenbar eine Wiederhohlung aus den Annalen des Jahrs 288
zu ſeyn : der erſte der Geſandten welche uͤber den Friedensbruch
Beſchwerde fuͤhren , iſt auch jetzt Q. Fabius ( Livius III.
c. 25. ) , wie er , auf gleiche Weiſe 288 genannt wird ( Dio-
nyſius IX. c. 60. ) .
Senats anſtaͤndig zu vernehmen : und als ſein Weib Ra-
cilia dieſes Gewand aus der Huͤtte gebracht , und er ſich
eingehuͤllt hatte , begruͤßten ſie ihn als Dictator , und
fuͤhrten ihn zur Stadt . Am andern Ufer der Tiber em-
pfingen ihn Soͤhne und Vettern , und der groͤßte Theil der
Patricier . Aber bey dem Volk ward die aufgehende Hoff-
nung getruͤbt durch das Andenken an die Drohungen ſei-
nes Conſulats , und an ſeinen ungerochnen vaͤterlichen
Kummer . Der Dictator waͤhlte den Oberſten der Ritter
nicht aus den glaͤnzenden und reichen Haͤuſern , ſondern
einen Mann aus einem ſonſt gaͤnzlich unbekannten patrici-
ſchen Geſchlecht , L. Tarquitius , der ſo arm wie er ſelbſt
war . Dann ließ er alle Buden ſchließen , alle Geſchaͤfte
ruhen , und die Buͤrger ſaͤmmtlich zu den Waffen ſchwoͤ-
ren ; ſo daß alle Waffenfaͤhige bey Sonnenuntergang ſich
mit Speiſe auf fuͤnf Tage verſehen , und jeder mit zwoͤlf
Schanzhoͤlzern , marſchfertig auf dem Marsfelde einfin-
den ſollten , von da er ſie ſogleich zum Entſatz fuͤhren wolle .
Dieſes Gebot der hoͤchſten Anſtrengung erregte in jedem
Muth und Siegsvertrauen : die Zuruͤckbleibenden halfen
den Ausziehenden alles bereiten : das Heer war zur vor-
geſchriebnen Stunde verſammelt , und eigne Luſt verdop-
pelte ihren Schritt . Um Mitternacht erreichten ſie die
Naͤhe des Feindes ; der ganze Zug umgab ſein Lager , ihr
Kriegsgeſchrey verkuͤndigte den Eingeſchloſſenen die An-
kunft und die Menge ihrer Befreyer , und forderte ſie zu
einem Ausfall auf . Indem dieſer die Aequer von dem
Heer des Dictators abzog , gewann es die Nacht um ſo
lange der Conſul L. Minucius nicht zu ſehr gedraͤngt
wuͤrde,
wuͤrde , das feindliche Heer mit einer verſchanzten Linie
zu umringen . Als es hell ward , zog ſich der Conſul in
das Lager zuruͤck , und die Aequer ſahen ſich ringsum von
einer Linie eingeſchloſſen , welche ſie zu durchbrechen nicht
vermochten . Ermuͤdung von ununterbrochnen Gefechten ,
und Hunger zwangen ſie um ihr Leben zu bitten . Es ward
ihnen befohlen alle Waffen niederzulegen , und im Unter-
kleide ganz wehrlos unter dem Joch abzuziehen ; eine De-
muͤthigung , die dem Sieger den Genuß gewaͤhrte die Zahl
der Entlaſſenen zu erfahren , und den Vortheil , ſich von
ihrer voͤlligen Entwaffnung zu uͤberzeugen , und den lan-
gen wehrloſen Zug zu zerſtreuen . Um dieſen ſchweren
Preis erkaufte Gracchus Cloͤlius das Leben und die Frey-
heit der Soldaten : er ſelbſt und ſeine Oberſten mußten
ſich den Roͤmern uͤberliefern , die ſie in Ketten zum Tri-
umphe und zum Tode nach der Stadt fuͤhrten . Die
Stadt Corbio mußte als Loͤſegeld fuͤr das Leben der Ent-
laſſenen geraͤumt werden . Am Triumphe des Dictators
und an der Beute nahmen der Conſul und ſein Heer keinen
Antheil , jener ward ſeiner Wuͤrde entſetzt : doch begruͤß-
ten er und das Heer ihren Retter als Patron , und reich-
ten ihm einen goldenen Kranz , ein Pfund ſchwer . Der
Tag des Triumphs war der feſtlichſte fuͤr das ganze Volk :
alle bewehrte Maͤnner waren ausgezogen geweſen , und bey
dem Einzug wurden die Heimkehrenden vor allen Haͤu-
ſern bewirthet . Am ſechszehnten Tage nach ſeiner Er-
nennung legte L. Cincinnatus die Dictatur nieder .
Wer ſich uͤberzeugt hat daß die reicheren Erzaͤhlungen
der aͤlteſten roͤmiſchen Geſchichte aus Liedern entſtanden
Zweiter Theil. G
ſind , den wird ſein Gefuͤhl einen gleichen Urſprung
dieſer Geſchichte von Cincinnatus Dictatur ahnden laſ-
ſen , und aͤhnliche Kennzeichen werden ihm , zur Genuͤge
beweiſend , ſich leicht entdecken . Es iſt ſchon angedeu-
tet wie hoͤchſt wahrſcheinlich der aͤquiſche Friede aus der
fruͤheren Geſchichte hieher gezogen iſt : aber auch ein aͤqui-
ſcher Feldherr Cloͤlius wird mit ſeinem Heer auf gleiche
Weiſe bey Ardea im Jahr 311 eingeſchloſſen , und em-
pfaͤngt dieſelben harten Geſetze Livius IV. c. 10 . . Der eingeſchloſſe-
nen Armee wird jetzt , wie im Jahr 290 , T. Quinctius zu
Huͤlfe geſandt Dionyſius IX. c. 63. X. c. 23 . . Cincinnatus war , der Sage nach ,
durch Caͤſos Verurtheilung verarmt : ſeitdem hatte er
ſchon das Conſulat bekleidet , doch jetzt erſt wird ſeine
Armuth geſchildert . Denn alle Roͤmer ſtimmen hieruͤber
mit Livius , und nur Dionyſius , der das Verdaͤchtige
empfindet aber ihm durch Verfaͤlſchung abhelfen will ,
verſetzt die Botſchaft des Senats auf das Conſulat , und
wiederhohlt ſie bey der Dictatur . So verfaͤlſcht er auch
die uͤbrigen ganz dichteriſchen und ganz unhiſtoriſchen
Umſtaͤnde der Erzaͤhlung : er uͤbergeht die zwoͤlf Schanz-
pfaͤhle welche jedermann in dieſem allgemeinen Aufgebot
getragen haben ſoll : eine unertraͤgliche Buͤrde , da die
alten Legionſoldaten ihrer nur drey oder vier trugen Polybius XVIII. c. 1. ,
welches ſchon eine bewunderte Anſtrengung war : und
er vertilgt in ſeiner Erzaͤhlung gaͤnzlich die Einſchließung
der Aequer durch die entfaltete Linie der Roͤmer . Auch
hier fordere ich nur Anerkennung des Gedichts , und
deſſen Bewahrung gegen jede aͤhnliche angebliche Ver-
ſtaͤndigung .
Wie groß dieſer Sieg geſchildert wird , ſo war er
doch ohne dauernde Folgen : das abgetretene Corbio ging
wieder verlohren , mit ihm Ortona . Die Obmacht blieb
noch eine geraume Zeit bey den auſoniſchen Voͤlkern ,
wenn gleich in einzelnen Feldzuͤgen auch ihr Land die
Verheerungen empfand welche ſie jeden Sommer auf
der feindlichen Graͤnze uͤbten .
Volkszaͤhlungen .
Aus dieſem Zeitraum werden die Zahlen von drey
Buͤrgerſchaͤtzungen angegeben , bey Dionyſius vom Jahr
280 Dionyſius IX. c. 36 . : bey Livius von 289 und 295 Livius III. c. 3. c. 24 . . Jene ſoll
103000 , die zweyte 104214 : die dritte 117319 Buͤrger
von erwachſenem alter Τῶν ἐν ἥβῃ Ῥωμαίων . Dionyſius V. c. 20. und 75.
IX. c. 36. οἱ τιμησάμενοι πολῖται σφᾶς τ̕ αὐτȣ `ς , καὶ χρή-
ματα , καὶ τȣ `ς ἐν ἥβῃ παῖδας . ergeben haben . Wittwen
und Waiſen , obwohl ſelbſtſtaͤndig , waren in dieſen Zaͤh-
lungen nicht begriffen Præter orbos orbasque . Livius III. c. 3. Χήραις καὶ
ὀρφανοῖς ἀνεϑείσης τῆς εἰςφορᾶς . Plutarch Public. p. 103. d.
Orba iſt hier offenbar dem allgemeineren Begriff von vi-
dua , lediges Weib , gleich . , weil ſie vom Schoß befreyt
waren : dieſe Befreyung blieb den Wittwen bis auf Ca-
G 2
millus Cenſur Plutarch Camill. p. 129. e . , und ward durch die Verpflichtung
den Rittern einen Zins zu zahlen aufgewogen .
Dieſe Ausſchließung eines Theils der freyen buͤrger-
lichen Bevoͤlkerung von der Zahl des Cenſus , wuͤrde
ſchon hinreichen den Schluß zu begruͤnden daß die ver-
heiratheten Frauen und Kinder nicht darin begriffen wa-
ren , wenn dies auch nicht von Dionyſius mit beſtimm-
ten Worten geſagt wuͤrde Dionyſius IX. c. 25 . , der doch den Cenſus
als eine noch beſtehende Inſtitution kennen mußte . Das
erwachſene Juͤnglingsalter ward von dem vollendeten
ſiebzehnten Jahr gerechnet Tubero bey Gellius X. c. 28 . : mit dieſem Alter ward
der Juͤngling , wahrſcheinlich in die Klaſſe ſeines Va-
ters , obwohl er ſelbſt kein Eigenthum angeben konnte ,
eingeſchrieben , und ohne Zweifel auch in der Curie oder
der Tribus ſeiner Familie ſtimmfaͤhig . Jetzt begann
ſeine Dienſtpflichtigkeit , welche in den Centurien der
Juͤngeren bis zum vollendeten fuͤnf und vierzigſten Jahr Varro bey Cenſorinus c. 14. Acht und zwanzig Jahre :
auch die etruskiſchen Buͤcher theilten der Menſchen Leben
nach Stufenjahren von ſieben zu ſieben .
waͤhrte : alsdann bis zum ſechszigſten unter den Alten Varro bey Nonius c. 12. n. 22. s. v. Sexagenarios . :
jene Epoche des Lebens bey der auch unter den Athe-
nienſern die Dienſtverpflichtung aufhoͤrte .
Die Geſammtzahl der Roͤmer von beyden Geſchlech-
tern und jedem Alter muͤßte nun , nach den bekannteſten
Regeln , mehr als vierfach die der im Cenſus geſchaͤtz-
ten ausgemacht haben . Es iſt Dionyſius verzeihlicher ,
die Bevoͤlkerung Roms , mit Inbegriff der Sklaven und
Fremden , nur auf viermal die Zahl des Cenſus ge-
ſchaͤtzt zu haben , als Montesquieu daß er ſich hieruͤber
von dem Rhetor irre leiten ließ . Mit jenen entſteht
eine Zahl , deren Ernaͤhrung auf Roms eng begraͤnztem
Boden ganz unbegreiflich bleiben muß : und der es wohl
erlaubt iſt unſern Glauben zu verſagen . Livius ſelbſt
ſcheint den alten Cenſusangaben mißtraut zu haben , da
er ſowohl die fruͤheren welche ſich bey Dionyſius finden ,
als alle ſpaͤtere vor dem Jahr 459 uͤbergeht . Und ſchon
die beyden aus dem Umfang dieſes Zeitraums , welche
er , wohl mehr zufaͤllig als abſichtlich , wider jene Re-
gel aufgenommen hat , ſind durch ihre eigne Beſchaffen-
heit verwerflich . Denn das darf man ſchlechthin un-
moͤglich nennen , daß waͤhrend ſechs Jahren , in denen
viel Blut floß und eine fuͤrchterliche Peſt wuͤthete , un-
mittelbar nach dieſer , die Bevoͤlkerung ſich um ein Acht-
theil vermehrt haben ſollte .
Wahrſcheinlich ſind dieſe alle das Werk leichtſinni-
ges Betrugs ſpaͤter Annaliſten , und dahin moͤchte man
verſucht ſeyn auch den Cenſus vor der galliſchen Ein-
nahme zu rechnen , wenn nicht die ſeit Errichtung der
Cenſur verfaßten Regiſter in den cenſoriſchen Familien
als heilige Erbſtuͤcke aufbewahrt geworden waͤren Dionyſius I. c. 74 . .
Iſt nun dieſe Angabe wirklich aͤcht , ſo kann man ſie ſich
nur durch die Hypotheſe begreiflich machen daß der Cen-
ſus von Rom und Latium damals vereinigt geworden
ſey , wie die nach dem Cenſus dienenden Buͤrger bey-
der Staaten in denſelben Legionen centurienweiſe ver-
bunden waren .
Noch zweifelhafter verhaͤlt es ſich mit dem Cenſus
aus den erſten Jahren der Republik , 246 , 256 und 261 :
in denen 130000 , 150700 und 110000 Buͤrger gezaͤhlt
ſeyn ſollen Dionyſius V. c. 20. c. 75. VI. c. 69 . . Jene erſten großen Zahlen und ihre
Verminderung mag auf den Verluſt Roms in jenem
Zeitalter deuten : aber in den erſten zehn Jahren konnte
Rom keinen Zuwachs gewinnen , noch in den folgenden
fuͤnf deren 40000 verlieren , wenn anders einiger Grund
in unſern Annalen iſt , und der Krieg des Porſena nicht
vielleicht zehn Jahre ſpaͤter , in die Epoche des latini-
ſchen , geſetzt werden muß .
Die Todtenliſten einer Peſt gehoͤren nebſt den Er-
zaͤhlungen von Finſterniſſen und Meteoren , von Waſſer-
fluthen und theurer Zeit , zu den Nachrichten welche die
Chroniken mit der groͤßten Sorgfalt und Zuverlaͤſſigkeit
verzeichnen ; und was uns von dieſer Art erhalten iſt ,
da die ſpaͤteren Annaliſten nicht veranlaßt ſeyn konnten
es zu verfaͤlſchen , duͤrfen wir als ausgezogen aus den
pontiſiciſchen Buͤchern , fuͤr ganz hiſtoriſch achten Wie die pontificiſchen Buͤcher unſern Chroniken hierin ganz
glichen zeigt ein Fragment aus Catos Origines p. 10. Cort . .
Von der Peſt des Jahrs 291 wird gemeldet daß ſie
beyde Conſuln , die meiſten Volkstribunen , den vierten
Theil der Senatoren , zwey Augurn , und den Obercurio
wegraffte Dionyſius IX. c. 67. Livius III. c. 6. 7. . Eben ſo verheerend kehrte ſie nach zehn
Jahren wieder . Einer der regierenden und einer der de-
ſignirten Conſuln , vier Volkstribunen , viele Senatoren ,
ein Augur , ein Flamen , werden unter den Todten ge-
nannt Dionyſius X. c. 53. Livius III. c. 32 . ; es mag nur eine emphatiſche Bezeichnung des
Umfangs der Seuche ſeyn wenn geſagt wird die Haͤlfte
des Volks ſey hingeſtorben . So verwuͤſtend iſt nur eine
wahre Peſt , wenn auch die Meinung richtig waͤre daß die
Beulenpeſt Europa erſt im dritten Jahrhundert erreicht
haͤtte . Die attiſche hatte allerdings einen andern Charak-
ter , aber ſie war darum nicht weniger Peſt , ploͤtzlich aus-
gebrochen , unaufhaltſam verbreitet und alles hinraffend .
Sie war nicht ſo moͤrderiſch wie dieſe roͤmiſchen Thukydides III. c. 87. verglichen mit der Zahl der Hopli-
ten am Anfang des Kriegs II. c. 13 . .
Gleichzeitig mit Athen ward Rom wieder von einer Seu-
che heimgeſucht , deren Verwuͤſtungen nicht naͤher bezeich-
net werden , und alſo weniger fuͤrchterlich geweſen ſeyn
muͤſſen : aber dieſe Uebereinſtimmung der Zeit moͤchte der
Vermuthung Gewicht geben daß alle dieſe Peſtſeuchen ,
ſeit der erſten roͤmiſchen des Jahrs 291 , Erſcheinungen
derſelben Erdplage waren . Thukydides ſagt nichts weni-
ger als daß die Seuche ſchnell aus Aethiopien durch Ae-
gypten Athen ergriffen habe ; vielmehr deutet ſeine Erzaͤh-
lung auf einen viel aͤlteren Urſprung , nur zu Athen brach
ſie damals im Piraͤeus , wie ein gelbes Fieber , ploͤtzlich
aus . Er weiß , daß ſie auch das perſiſche Reich uͤberzo-
gen hatte , und Libyen : hier erſcheint ſie fuͤrchterlich um
die Mitte des vierten Jahrhunderts : ihre Verwuͤſtungen
ſchienen Karthagos Macht vernichtet und die puniſche Na-
tion faſt vertilgt zu haben Diodor XIII. c. 14. XIV. c. 41. 43. 47 . .
War nun dieſe Seuche aus fortglimmenden Funken
jener entbrannt welche fruͤher in Italien und Griechenland
gewuͤthet hatte , ſo glich dieſe Peſt auch in ihrer Ebbe und
Fluth , und ihrer mehr als ſechszigjaͤhrigen Periode jener
des ſechſten Jahrhunderts unſrer Zeitrechnung welche die
Vertilgung der alten Welt mehr entſchieden hat als die
Barbaren . Dieſe vieljaͤhrigen Perioden , an deren Ende
ſie aufhoͤren oder ihre Art aͤndern , ſind den zerſtoͤrendſten
Seuchen gemein : wenn ſie ſich mildern , dann ſcheint es
als ob die Heilkunſt Mittel gegen ſie gewonnen haͤtte ; und
die Geſchlechter welche in einer Zeit leben die von ihnen
frey iſt , anſtatt dem Schickſal zu danken , das die Laͤnder
in ihren Tagen dem Wuͤrgengel nicht hingiebt , waͤhnen ſich
durch Polizey und vervollkommte Wiſſenſchaft geſchuͤtzt .
Solche Peſten ſind Zeiten der Herrſchaft des Todes ,
als poſitiven Prinzips der Vertilgung des Menſchenlebens ,
wie er an den Orten unverkennbar erſcheint , wo , bey uͤp-
pigem Gedeihen der Vegetation , ganze Landſtriche dem
Menſchen toͤdtlich , oder doch nur durch unaufhoͤrliche Er-
gaͤnzung der Ausſterbenden bewohnbar ſind , und ihre
Graͤnzen zum Theil mit jedem Jahr erweitern . In an-
dern Gegenden ſtirbt auch die Vegetation ab , und auf
ewig : durch anwachſende Duͤrre , Verſalzung des Bo-
dens , durch Ausbreitung der Region des Froſts , durch
Verſandung aus den Wuͤſten , und Entbloͤßung der Hoͤ-
hen und Flaͤchen .
Man hat geſagt , es ſey dem Menſchengeſchlecht na-
tuͤrlich in geometriſcher Progreſſion anzuwachſen , und
da ſich die Production der Nahrungsmittel nur in arith-
metiſcher vermehren laſſe , entſtehe ſo ein Conflict welcher
es zur Pflicht mache dem Anwachs der Menſchenzahl ent-
gegen zu arbeiten . Die Vorausſetzung iſt factiſch un-
wahr . Ein Streben zur Vermehrung der Zahl iſt freylich
einerley mit dem Streben zur Erhaltung : aber dieſes wird
durch zwey Umſtaͤnde regulirt , welche die allerverſchieden-
ſten Reſultate geben . Einmal durch die Menſchenart , ja
ſelbſt durch die viel feineren Unterſchiede der Volksſtaͤm-
me : und hier gewaͤhrt unter den edleren Menſchenarten
ein hoͤherer Grad geſunder Belebung groͤßere Fruchtbar-
keit , wie im Gegentheil bey niedrigen Racen eine einigen
eigenthuͤmliche Prolificitaͤt erſcheint , und die Chineſer dar-
in ihrem Lieblingshausthier gleichen . Zweitens dadurch ,
daß die Natur in dem Umfang eines beſtimmten Bezirks
nur einer gewiſſen Summe Menſchenlebens , verſchieden
fuͤr verſchiedene Arten und Staͤmme , faͤhig iſt ; dieſes
aber ſich zu dieſer Summe zu entwickeln ſtrebt , wenn es
nicht unterdruͤckt wird . Daher iſt die Vermehrung in
neu angebauten Laͤndern ſo reiſſend ſchnell , und nimmt ab
in dem Verhaͤltniß wie die Bevoͤlkerungszahl des Flaͤchen-
inhalts zunimmt ; ihr Geſetz iſt das umgekehrte Verhaͤlt-
niß der Volkszahl zur Quadratflaͤche , bis ſie ein Maxi-
mum erreicht , wo die Fortpflanzung ſelbſt zur Erhaltung
ungenuͤgend wird .
Daher erklaͤrt es ſich daß die Negerſklaven , unter
gleich harten Arbeiten und gleich harter Behandlung , in
demſelben abſcheulichen Mißverhaͤltniß der Geſchlechter-
zahl eingefuͤhrt , in den weitlaͤuftigen Provinzen des feſten
Landes , ſelbſt auf Cuba , ſich ſtark vermehren : waͤhrend
es ein frommer Traum bleiben wird , ihre Zahl laſſe ſich
auf den kleineren Inſeln ohne erzwungene Ergaͤnzung er-
halten : daher ſind in neu angebauten Laͤndern die Frauen
uͤber die Graͤnze ihrer Zeit hinaus fruchtbar , und die es
nie waren werden es : daher die unlaͤugbare außerordent-
liche Zahl der Geburten welche immer einer ſchweren Peſt
folgt : es iſt die Fruchtbarkeit der Geſchlechtsverbindun-
gen weit mehr als die Zahl der Ehen welche den Anwachs
der Volksmenge beſtimmt .
Es giebt Volksſtaͤmme die , ſeitdem wir ſie kennen ,
in beſtaͤndiger Abnahme ſind ; Menſchenarten denen die
bloße umgebende Naͤhe einer andern verderblich iſt , durch
jene Antipathie wie ſie im Pflanzenreich wohl bekannt iſt :
die , umgeben von Europaͤern , ausſterben , wo dieſe ſich
unbeſchreiblich vermehren : oder ſie ſterben hin wenn ihre
angeerbte Lebensweiſe geaͤndert , und eine andre , auch
ohne alle Mißhandlung , ihnen aufgedrungen wird ; und
dies vermindert die Schuld der Europaͤer bey der Entvoͤl-
kerung der neuen Welt . Es giebt Nationen welche durch
Elend und Sklaverey niedergetreten , in der Leibeigen-
ſchaft vegetirend , die kleine Zahl nicht anwachſen ſehen
mit der ſie ſparſam uͤber fruchtbare Landſchaften zerſtreut
ſind . Auch andre Voͤlker , obwohl ihr Loos leichter iſt ,
doch gefallen von einer ehemaligen Hoͤhe , und in unauf-
geregte Lebloſigkeit verſunken , wachſen kaum oder lang-
ſam wieder zu einer dichteren Zahl in ihrem ſchwach be-
wohnten Lande heran , deſſen Anbau inzwiſchen in einem
viel groͤßeren Verhaͤltniß als die Volkszahl zunahm .
Was der allgemeinen Geſchichte ſo weſentlich iſt wie
der Gegenſtand woruͤber hier Theſen aufgeſtellt ſind , deren
Erweis und Entwicklung ſehr leicht waͤren , mag , beylaͤu-
fig in der Geſchichte eines einzelnen Volks erwaͤhnt , als
auch ihr nicht fremd geduldet werden .
Die erſten Decemvirn , und die zwoͤlf
Tafeln .
Plato urtheilt , die Einfuͤhrung neuer Geſetze geſchehe
am vollkommenſten durch die uneingeſchraͤnkte Macht
eines Einzelnen : und dieſe Macht empfingen ſtets diejeni-
gen welche zu allgemeinen Geſetzgebungen ernannt wur-
den : der Rath der dreyßig , der von ſeinen Thaten den
Nahmen der dreyßig Tyrannen traͤgt , wie Solon . Alſo
wurden auch , da , nach erneuertem Zoͤgern , die Ernen-
nung der Geſetzgeber zu Rom endlich zur Ausfuͤhrung
kam , fuͤr die Dauer ihrer Amtsfuͤhrung die vom Conſulat
unabhaͤngigen Gewalten mit ihm aufgehoben , das Tribu-
nat und die Quaͤſtur Dionyſius X. c. 56 . : wodurch beyde Staͤnde den De-
cemvirn untergeben wurden .
Fuͤr die Patricier war dieſes Opfer gering , da ihr
Stand ſich im ausſchließlichen Beſitz aller zehn Stellen
behauptete : fuͤr die Plebejer aus derſelben Urſache ſehr
gefaͤhrlich . Die Capitulationen waren freylich fuͤr Grund-
geſetze erklaͤrt , an denen die Geſetzgeber nichts aͤndern
duͤrften , aber ſie waren unter dieſer dictatoriſchen Ge-
walt von jeder Gewaͤhrleiſtung entbloͤßt . Daß die Geſetz-
gebung beſchloſſen worden , war Sieg der Plebejer , alſo
mußte ihnen auch bewilligt ſeyn was allein ſie beruhigen
konnte , daß ſie gemeinſchaftlich geſchehe : und auf dieſe
Bedingung mochten ſie damals glauben , ſie duͤrften dem
Tribunat entſagen . So war es in der Macht des Con-
ſuls welcher die Comitien hielt , auch ohne offenbare Ge-
waltſamkeit die Wahl dahin zu wenden daß nur Patricier
ernannt wurden . Die des folgenden Jahrs zeigt augen-
ſcheinlich daß eine gleiche Repraͤſentation beyder Staͤnde
dem Decemvirat weſentlich war : wie im Volkstribunat
ward jede der fuͤnf Klaſſen durch einen Plebejer ver-
treten .
Im Jahr 303 , an den Iden des Mai , uͤbernahmen
die Decemvirn ihr Amt . Sie vereinigten ſich daß jeder
von ihnen waͤhrend zehn Tagen vorſitzen , und Recht ſpre-
chen , und waͤhrend dieſer Tage Ich folge in dieſer Geſchichtserzaͤhlung durchweg Livius.
Zonaras ( VII. c. 18. ) laͤßt die Lictoren taͤglich wechſeln :
Dionyſius redet unbeſtimmt von der Tage Zahl . die zwoͤlf Lictoren ha-
ben ſolle ; die uͤbrigen erſchienen in derſelben Zeit ohne den
Glanz und die Schrecken der hoͤchſten Wuͤrde . Die Er-
fahrung dieſes Jahrs gewaͤhrte eine taͤuſchende Beſtaͤti-
gung des Spruchs daß alle Formen gleichguͤltig ſeyen ,
und ihren Werth nur von der Anwendung empfingen .
Denn obgleich nur Patricier erwaͤhlt waren , vermißte ,
wie die Geſchichte erzaͤhlt , das Volk den Schutz der Tri-
bunen nicht : weil ein andrer aus dem Collegium gleich den
Tribunen Huͤlfe gewaͤhrte , wenn das Volk von dem
Spruch eines ſeiner Collegen provocirte . Einmuͤthig un-
ter ſich , gerecht gegen das Volk , geliebt , in tiefem Frie-
den , verwalteten ſie die Republik ſo ruhmwuͤrdig daß alle
Staͤnde die Veraͤnderung als Gluͤck prieſen .
Von den beyden Haupttheilen der Geſetzgebung
konnte die Verfaſſung des Privatrechts ohne Gefahr einem
von beyden Staͤnden ausſchließlich anvertraut werden :
denn nur ein blindes Vorurtheil haͤtte der Verwirrung des
Rechts das Wort reden koͤnnen ; ſie brachte niemanden
Vortheil . Auch waren die Decemvirn nicht Geſetzerfinder ,
ſondern ihr erſtes Geſchaͤft war ſchon guͤltige Geſetze zu
ſammeln ; wie die herkoͤmmlichen germaniſcher Voͤlker
aufgeſchrieben ſind : dann lag ihnen ob aus allen zu waͤh-
len was allgemein guͤltig in Kraft treten ſollte : ihre Aus-
wahl zu ergaͤnzen : die Willkuͤhr wo ſie herrſchte gegen feſte
Regeln zu vertauſchen . Sie erfuͤllten ihren Beruf ein all-
gemeines roͤmiſches Recht anſtatt der bisherigen Standes-
und Localrechte zu verfaſſen Auch auf dieſe Abfaſſung eines allgemeinen buͤrgerlichen
und Criminalrechts ſcheint zu deuten Livius III. c. 34. Se —
omnibus summis infimisque jura æquasse , und c. 56. quod
æquandarum legum causa — consulatu abisset . .
Es iſt ſchon geſagt worden daß die Geſetze der zwoͤlf
Tafeln , ſo weit ihr Inhalt bekannt iſt , durchaus eigen-
thuͤmlich italiſch , und weder von griechiſcher Philoſophie
noch von griechiſcher Staatsklugheit abgeleitet waren .
Eine alte Sage nennt zwar als Gehuͤlfen der Decemvirn
bey der Geſetzgebung einen Epheſier Hermodorus , den
Freund des weiſen Heraklitus , den ſeine Mitbuͤrger ver-
bannt hatten aus Verdruß daß er ſie beſchaͤme , da ſie ſich
alle an Schlechtigkeit gleich ſeyn wollten S. Menagius uͤber Diogenes Laertius IX. c. 2. , und
die von ihm angefuͤhrten Stellen . . Auch laͤßt
ſich nicht wohl erklaͤren wie ſie erſonnen ſeyn ſollte , wozu
nur ein beruͤhmter Nahme Veranlaſſung geben konnte ,
waͤhrend der des Hermodorus den Griechen ſelbſt nur
durch den Spruch ſeines Freundes bekannt geweſen zu
ſeyn ſcheint . Aus dieſem Grunde darf die Benennung
der Statue , welche zu Rom als die ſeinige unterſchrieben
war , fuͤr aͤcht gelten . Lebte er aber auch hier , geehrt von
ſeinen Zeitgenoſſen den Geſetzgebern , und ihnen nuͤtzlich ,
ſo folgt daraus doch nicht , daß durch ſeinen Rath in die
fuͤr uns verlohrnen Geſetze der Tafeln viel aus griechiſchen
uͤberging : die Roͤmer hielten zu feſt an ihrem eignen Her-
kommen um es gegen fremde Einrichtungen zu vertauſchen ,
und die Verſchiedenheit zwiſchen ihnen und den Griechen
war ſo groß daß der weiſe Hermodorus eine Nachaͤffung
nicht hat empfehlen koͤnnen .
Ein ſeltneres Gluͤck war es daß die Decemvirn mit
gleicher Unpartheylichkeit und Weisheit die Geſetze des
Staatsrechts ſchrieben . Hier waren ſie Geſetzgeber ,
und ſie genuͤgten dem Beſchluß der Nation daß groͤ-
ßere Gleichheit in die Verfaſſung gebracht werden
ſolle Zonaras VII. c. 18. ἐψηφίσαντο ἰσοτέραν ποιεῖσϑαι τὴν
πολιτείαν . .
Dieſes zu ſagen wuͤrden uns die wenigen Bruchſtuͤcke
der Geſetze nur unvollkommen berechtigen : die alten
Schriftſteller nehmen faſt gar keine Ruͤckſicht auf dieſen
ihren wichtigeren Theil . Aber es iſt eine Kluft zwiſchen
dem Geiſt der Verfaſſung vor der Decemviralzeit , und
nach derſelben , welche dieſe Zeit als Urheberin der groͤßten
Veraͤnderungen andeutet : und uns mag es gleich gelten ,
wenn von dieſen auch mehr als bekannt iſt , dem Zeitpunkt
unmittelbar nach der Beſiegung der Decemvirn angehoͤ-
ren ſollte .
Die erſte Bedingung der Gleichheit war Vereinigung
der Staͤnde zu einer Nation , und dieſe forderte eine Na-
tionaleintheilung anſtatt der ſtaͤndiſchen nach den Ge-
ſchlechtern und nach den Landſchaften . Jene konnte die
Plebejer nicht aufnehmen , wohl aber dieſe die Patricier .
Daher werden dieſe von jetzt an als begriffen in einer oͤrt-
lichen Tribus genannt : wenige Jahre nach der Geſetzge-
bung Mam . Aemilius Livius IV. c. 24 . , und nach ſechszig Jahren Ca-
millus Derſelbe V. c. 32 . . Von nun an ſind die urſpruͤnglich plebeji-
ſchen Tribus gleichbedeutend mit dem Inbegriff der ge-
ſammten ſouverainen Nation Omnibus quinque et triginta tribubus emovere ; id est
civitatem — eripere . Livius XLV. c. 15 . . Dabey moͤgen die
laͤndlichen Tribus die Nahmen patriciſcher Geſchlechter
empfangen haben , welche bey vielen unverkennbar ſind ,
und bey andern , obwohl gleichgenannte Geſchlechter nicht
bekannt ſind , auf untergegangene ſchließen laſſen . Durch
dieſe Vereinigung der Patricier mit dem Volk ward
der Anſpruch moͤglich , den ſie ein Jahr nach der Revolu-
tion welche die Decemvirn geſtuͤrzt hatte , machten : wahl-
faͤhig zum Volkstribunat zu ſeyn : wenn dieſes nun als
Nationalrepraͤſentation betrachtet ward .
Wie die Plebejer in dieſer Hinſicht zu den Patriciern
erhoben wurden , ſo zog auf der anderen Seite die Vereini-
gung der Staͤnde die caͤritiſchen Buͤrger , welche der Pa-
tricier Clientel bildeten , zur Gleichheit mit ihnen hinauf ,
und gewaͤhrte auch dieſen Raum in den Tribus . Denn
ſeit der Geſetzgebung der zwoͤlf Tafeln bleibt von der Ent-
gegenſtellung der Plebejer und der Clienten auch nicht die
geringſte Spur ; vielmehr werden die letzten jetzt zum Volk
gerechnet Livius V. c. 32. Accitis domum tribulibus , clientibus-
que : magna pars plebis erat. VI. c. 18. Quot clientes
circa singulos fuistis patronos . . Noch nicht die Freygelaſſenen : denn erſt
Appius der Blinde brachte dieſe in die Tribus Th. I. S. 388 . : wohl
aber ihre Nachkommen . Ein Fragment der zwoͤlf Tafeln ,
wodurch den Sanates gleiche Rechte mit den Fortes zu-
geſichert werden , ſcheint , nach einer Deutung mehrerer
aͤlterer Auctoren des Verrius Flaccus Feſtus s. v. Sanates . , ſich auf dieſe
Aenderung zu beziehen . Unter den Sanates ſollen die
Bewohner bezwungener abtruͤnniger Orte zu verſtehen
ſeyn , geheilt durch ihre Reue und Ruͤckkehr , im Gegen-
ſatz der geſunden treuen . Wie nun , in den ſpaͤteren Jahr-
hunderten , die unterthaͤnigen Voͤlker ſich in die Clientel
eines
eines roͤmiſchen Großen begaben , ſo laͤßt es ſich nicht be-
zweifeln daß auf gleiche Weiſe vom Anbeginn die Einwoh-
ner der unterwuͤrfigen Orte von einem Patron abhingen ;
und aus dieſem Band mochte in vielen Faͤllen der von
einer Stadt hergeleitete Beynahme , wie Camerinus , Me-
dullinus , gebildet ſeyn .
Dieſe neuen Tribulen ſtimmten in der Volksgemeinde ,
von der nur die patriciſchen Geſchlechter ausgeſchloſſen
blieben Plebes dicitur in qua gentes civium patriciæ non in-
sunt . Capito bey Gellius X. c. 20 . Als die alten Begriffe
ſich ganz verwirrt hatten gab Gajus die barbariſche Defini-
tion , Plebs est ceteri cives sine senatoribus ( l. 238 . de V. S. ) ,
welche ſchließen laͤßt daß ihm kein Gloſſator mehr gethan
haben kann , als er ſelbſt in Unwiſſenheit des Alterthums
an den zwoͤlf Tafeln geſuͤndigt haben muß . . Wie das in der Veraͤnderung der Stim-
mung dieſer Verſammlung kund wird , wird im Verfolg
der Geſchichte angedeutet werden .
Die allgemeinen Comitien , oder die der Centurien ,
wurden durch die zwoͤlf Tafeln zum alleinigen Halsgericht
erhoben . Jede Anklage deren Ausgang uͤber Freyheit und
Buͤrgerrecht entſchied gehoͤrte vor dieſes Gericht Cicero de legib. III. c. 4. 29 . .
Dadurch wurden das conſulariſche Gericht erſter Inſtanz
fuͤr die Plebejer , und die Verſchiedenheit der Gerichts-
hoͤfe fuͤr beyde Staͤnde aufgehoben : dadurch eben die
Einerleyheit des Buͤrgerrechts entſchieden verkuͤndigt .
Im zweyten Jahr nach Abſchaffung des Decem-
virats wurden die Quaͤſtoren zuerſt vom Volk er-
Zweiter Theil. H
waͤhlt Im 63ſten nach der Koͤnige Verbannung . Tacitus An-
nal . XI. c. 22 . : unter dem Volk , von welchem die Wahl einer
Magiſtratur vollbracht wird , ſind unſtreitig die Comitien
der Centurien zu verſtehen . Wir koͤnnen dieſe Nachricht
ohne Zoͤgern auf Tacitus beſtimmtes Zeugniß annehmen ,
wenn wir gleich die Irrthuͤmer ſchon angedeutet haben ,
worin er ſich hier und oͤfter verwickelt , wo der roͤmiſchen
Alterthuͤmer bey ihm gedacht wird . Es hat eine große
Wahrſcheinlichkeit daß dieſe Aenderung durch die Ta-
feln vorgeſchrieben war : vielleicht durch die letzten wel-
che ſpaͤter von der Nation angenommen wurden . Varro
ſagt Varro de L. L. IV. c , 14. Quæstores a quærendo qui
conquirerent publicas pecunias et maleficia quæ triumviri
capitales nunc conquirunt : ab his postea qui quæstionum
iudicia exercent , quæstores dicti . die Quaͤſtoren waͤren alſo genannt worden
weil ſie die Forderungen des Staats und Verbrechen
aufgeſucht haͤtten : welches eine Vereinigung des Amts
der alten Blutrichter und der Schatzmeiſter andeutet :
die anfaͤngliche Ernennung der letzten , deren damaliger
Amtsnahme vielleicht ein ganz anderer war , durch die
Conſuln kann nicht bezweifelt werden . Es ſcheint daß
die urſpruͤnglichen Quaͤſtoren aus einer patriciſchen Ma-
giſtratur eine allgemeine der Nation wurden , welche ſo
der Freyheitsrechte theilhaft wurde die anfaͤnglich nur der
erſte Stand genoß : daher ihre Wahl auf die Centurien
uͤbertragen ward : daß die Verwaltung des Schatzes in
ihre unabhaͤngigen Haͤnde niedergelegt , und auch ſo die
Gewalt der hoͤchſten Obrigkeit gemaͤßigt worden iſt .
Privilegien , oder Geſetze gegen einen einzelnen
Buͤrger , wurden unterſagt Cicero de legibus a. a. O. . Sie muͤſſen alſo fruͤ-
her , wie die engliſchen Aechtungsgeſetze , uͤblich geweſen
ſeyn : ſie konnten , nach der damaligen Verfaſſung , un-
moͤglich von den Tribunen vorgeſchlagen werden , und
Cicero hat ſicher nicht unuͤberlegt geſchrieben , aufruͤhre-
riſche Tribunen waͤren damals noch ganz unbekannt gewe-
ſen , man haͤtte ſie nicht einmal moͤglich geglaubt . Alſo
von einer ganz anderen Seite mußten dieſe gefaͤhrlichen
Geſetze ausgehen , und wir ſcheinen befugt ſie in den
Curien aufzuſuchen , da hier die Geſetzgebung uͤber den
einzelnen blieb ; freylich in der ſchuldloſeſten Art , bey
den Teſtamenten , der Arrogation , und der Zuruͤckberu-
fung eines Buͤrgers aus der Verbannung Camillus . Livius V. c. 46 . . Wie
hier das Buͤrgerrecht wiedergegeben ward , ſo mochte es
in aͤlteren Zeiten auf gleiche Weiſe genommen ſeyn ,
wenn man zugiebt daß eine dem Oſtracismus aͤhnliche
Einrichtung , welche nichts weniger als gerichtliche Schuld
und Verdammung vorausſetzt , wie ſie Athen keineswegs
eigenthuͤmlich war , auch zu Rom geherrſcht haben kann .
Oder entſagten beyde Staͤnde dem in der alten Tren-
nung gegruͤndeten Richteramt in Fehden mit Buͤrgern
des entgegengeſetzten ?
Die Abſchaffung des Volkstribunats durch die zwoͤlf
Tafeln ſcheint keinem Zweifel unterworfen zu ſeyn . Nur
auf eine foͤrmliche Abſchaffung , nicht auf eine nur vor-
uͤbergehende Suſpenſion dieſes Volksminiſteriums , nach
H 2
der gewoͤhnlichen Anſicht vom Weſen des Decemvirats ,
kann Ciceros hoͤchſt unglimpfliche Erwaͤhnung der Sa-
che Cicero de legib. III. c. 8. gedeutet werden : und dafuͤr redet auch Livius
ſehr glaubliche wiederhohlte Meldung , die Abſchaffung
des Tribunats habe auch den Beſſeren unter den Patri-
ciern Eifer fuͤr die Erhaltung der Decemviralverfaſſung
erweckt .
Es gilt fuͤr ausgemacht dieſe Verfaſſung ſey nur
eine voruͤbergehende , einzig auf den Zweck und fuͤr die
Zeit der Geſetzgebung errichtete , durch Liſt verlaͤngerte ,
und zuletzt frech behauptete Ordnung geweſen . Mir
ſcheint es daß hier die Bevollmaͤchtigung der erſten Ge-
ſetzgeber , und die Einrichtung des zweyten decemvirali-
ſchen Collegiums verwechſelt werden . Die Geſchichtſchrei-
ber erzaͤhlen es ſey die Meinung erregt worden die Ge-
ſetzgebung beduͤrfe noch einer Ergaͤnzung : dadurch habe
man eine zweyte Wahl bewirkt . Dies waͤre ganz an-
nehmlich wenn nicht der Senat , nach derſelben Erzaͤh-
lung , ſich bemuͤht haͤtte Wiedererwaͤhlungen zu hindern ;
und wenn nicht die Wahlen zur Haͤlfte Plebejer er-
nannt haͤtten . Daß die Ernannten , unter dem Vor-
wand der Nothwendigkeit die Geſetzgebung zu vollen-
den , gleiche Macht wie ihre Vorgaͤnger erlangten , iſt
nicht unwahrſcheinlich . Aber viele Umſtaͤnde deuten da-
hin daß das Conſulat nicht weniger als das Tribunat
abgeſchafft , und durch ein zur Haͤlfte aus jedem Stande
ernanntes decemviraliſches Collegium erſetzt war . Nur
um dieſen Preis konnten ſich die Plebejer bey der Aufhe-
bung des Tribunats beruhigen , und , ehe eine bittere Er-
fahrung ſie belehrte , waͤhnen daß vielmehr ihr Stand an
Freyheit , wie Einzelne von ihnen an Macht und aͤußeren
Vortheilen , gewonnen habe .
Livius , deſſen Widerſpruͤche , wie ſchon erwaͤhnt iſt ,
daher kommen daß er an verſchiedenen Stellen nach ver-
ſchiedenen Annaliſten redet , beginnt die Erzaͤhlung vom
Decemvirat indem er dieſe Veraͤnderung der Verfaſſung
mit der Abſchaffung der Koͤnigswuͤrde vergleicht , hinzu-
fuͤgend , nur darum ſey ſie weniger beruͤhmt als die
Einfuͤhrung des Conſulats weil ſie keinen Beſtand ge-
habt , indem der bluͤhende Anfang dieſer Magiſtratur
bald verwildert ſey Livius III. c. 33 . . An einem andern Ort ſchilt
ein Conſul des Volks Wankelmuth , und preißt der Pa-
tricier Nachgiebigkeit : ihr wolltet Decemvirn , wir er-
laubten ihre Wahl : ihr wurdet ihrer muͤde , wir zwan-
gen ſie abzudanken Derſelbe III. c. 67 . . Mehr Stellen , wo das De-
cemvirat unzweydeutig genug neben andern bleibenden
Veraͤnderungen aufgefuͤhrt wird , will ich aus andern
Buͤchern nicht haͤufen , da ſich die Praͤciſion des Ge-
dankens in ſolchen Faͤllen leicht beſtreiten laͤßt .
Unmittelbar nach der Herſtellung des Volkstribu-
nats ward die Unverletzlichkeit der Richter und Decem-
virn wie der Volkstribunen und Aedilen verordnet : eine
Beſtimmung welche von einigen zu Gunſten der Con-
ſuln und Praͤtoren gedeutet ward Derſelbe III. c. 55 . . Eine Deutung
welche nur dadurch entſtanden ſeyn kann daß mit gu-
tem Fug auf das Conſulat , nachdem die Republik die-
ſes als die alleinige Form der hoͤchſten Macht anerkannt
hatte , angewandt ward , was fuͤr dieſe in einer andern
Geſtalt verordnet war . Fuͤr die Richter fand ſich noch
eine gezwungene Deutung bey der Meinung es ſey un-
mittelbar von conſulariſcher Verfaſſung die Rede : allein
fuͤr die ausdruͤcklich genannten Decemvirn keine . Er-
waͤgt man aber wie vieles anderes in der Herſtellung
des Conſulats nur auf eine vorlaͤufige Maaßregel deu-
tet , wie denn , nach wenigen Jahren , die hoͤchſte Ge-
walt Militartribunen , ebenfalls um ſie zwiſchen beyden
Staͤnden zu theilen , anvertraut , und die Cenſur abge-
ſondert ward , ſo findet , wenn auch jenes Geſetz ein va-
leriſches und nicht tribuniciſch geweſen , alles ſeine Deu-
tung . Es waͤre die Abſicht geweſen die hoͤchſte Gewalt
einem decemviraliſchen Collegium von Praͤtoren zu laſ-
ſen , beſchraͤnkt durch Volkstribunen , deren Wuͤrde her-
geſtellt war , und nur fuͤr damals waͤre ſie den beyden
Maͤnnern anvertraut geworden welche des Volks un-
eingeſchraͤnktes Vertrauen hatten . Nicht zu uͤberſehen
iſt eine Nachricht daß erſt nach der Entſetzung der De-
cemvirn die beyden Haͤupter des Staats Conſuln ge-
nannt geworden waͤren . Fruͤher haͤtten ſie den Feld-
herrntitel gefuͤhrt Zonaras VII. c. 19 . : alſo , nach dem gewoͤhnlichen
Verhaͤltniß des griechiſchen zum lateiniſchen Nahmen ,
Praͤtoren , vielleicht aber waͤre dieſer aͤltere Titel , wie
in den latiniſchen Staͤdten , Dictator geweſen , da die
Dictatoren Roms anfaͤnglich nicht alſo , ſondern Heer-
meiſter Magister populi . Varro de L. L. IV. c. 14. Cicero
de leg. III. c. 5. genannt wurden .
Es gab nicht mehr Candidaten des Senats : die
Wahl des zweyten Decemvirats iſt ſichtbar ganz frey
dem Volk uͤberlaſſen , und ſo blieben es die folgenden
Comitien , wenn der vorſitzende Magiſtrat ſeine Macht
nicht mißbrauchte .
Die Idee daß die Geſetzgebung der zwoͤlf Tafeln
zum Zweck hatte die Nation zu vereinigen waͤre wider-
legt wenn es wahr waͤre daß erſt durch ſie das Connu-
bium der Staͤnde verboten ſey . Aber das koͤnnen wir
als einen Wahn des Dionyſius ſchlechthin verwerfen ,
welcher Verzeichnung des beſtehenden Rechts , und Ge-
ſetzgebung verwirrte Dionyſius X. c. 60 . : er fuͤhlte nicht einmal die Un-
wahrſcheinlichkeit daß dies geſchehen ſeyn ſolle waͤhrend
eben ein Theil der Decemvirn plebejiſch war . Ein ſol-
ches Geſetz kann nur durch unvordenkliches Herkommen
beſtehen , nicht eingefuͤhrt werden .
Sehr glaublich iſt es hingegen daß erſt jetzt ein allge-
meines Commercium , Veraͤußerungs- und Erwerbrecht
der Gegenſtaͤnde quiritariſches Eigenthums , zwiſchen den
verſchiedenen Staͤnden eingefuͤhrt ward .
Die Fragmente der zwoͤlf Tafeln ſind ſo zufaͤllig
erhalten , und ſo gering , daß ſie wenig Belehrung uͤber
das buͤrgerliche und peinliche Recht gewaͤhren welches
dieſe Geſetzgebung enthielt : und dieſe zerriſſenen Bruch-
ſtuͤcke koͤnnen hier nicht eroͤrtert werden . Auch die , von
einer ſolchen Sammlung ſehr verſchiedene , Herſtellung
des aͤlteſten Rechts fordert andre Kenntniſſe als die
meinigen , und eine abgeſonderte Abhandlung .
Alle Nachrichten ſind einſtimmig , daß die zehn er-
ſten Tafeln zugleich von den erſten Decemvirn aufge-
ſtellt wurden , die beyden letzten aber ihr Werk nicht wa-
ren . Livius und Dionyſius ſchreiben ſie den zweyten
Decemvirn zu : Diodor den Conſuln L. Valerius und
M. Horatius Diodor XII. c. 26 . .
Das zweyte Decemvirat .
Die Tyranney und der Sturz der Decemvirn der
zweyten Wahl ſind von Dionyſius und Livius mit einer
Uebereinſtimmung geſchrieben welche eine gemeinſchaft-
liche Quelle ihrer Nachrichten beweißt , nicht aber daß ſie
eine hiſtoriſch unbeſtrittene Ueberlieferung erhalten ha-
ben . Denn uͤber die Volksrevolution ſind ganz abwei-
chende Erzaͤhlungen erhalten ; und ſo wenig ſich die
Wahrheit einer patriciſchen Tyranney unter dieſer Ver-
faſſung bezweifeln laͤßt , ſo rechtfertigen doch innere Un-
wahrſcheinlichkeiten , zu denen auch die der zu genauen
Schilderung gehoͤrt , den Verdacht , daß plebejiſche Bit-
terkeit das dunkle Andenken dieſer Zeiten mit großer
Gehaͤſſigkeit ausgebildet hat .
Wir muͤſſen jener Erzaͤhlung folgen , weil ſie die
einzige iſt : ſonderbar daß Livius ſie mit Lebhaftigkeit
und ſichtbar feſtem Glauben darſtellen , und unmittel-
bar nachher in ſeine gewoͤhnliche Partheyanſicht zuruͤck-
fallen konnte .
Als das erſte Jahr der Decemviralregierung zu
Ende ging , erhob ſich , je mehr die Zahl der Stellen be-
deutender , die Wahrſcheinlichkeit ſie zu erlangen groͤßer
als bey Conſularcomitien war , und je mehr es den Pa-
triciern darum galt die Plebejer zum zweytenmal auszu-
ſchließen , eine heftige Bewerbung unter den erſten des
Senats wie ſie nie geſehen worden war . Man bemerkte
die Ehrſucht des Appius Claudius , der ſchon durch an-
genommene Anſpruchsloſigkeit und Milde , wie durch
ausgezeichnetere Talente die Gunſt des Volks vor ſeinen
Collegen gewonnen hatte . Wiedererwaͤhlung war durch
kein Geſetz verboten ; ſein Ehrgeiz war ſchon verdaͤchtig ;
und die altvaͤteriſche Rechtlichkeit ſeiner Collegen ſah in
einem Auswege Huͤlfe gegen dieſe Gefahr , der nur einen
von Gefuͤhlen gemaͤßigten Ehrgeiz zuruͤckhalten konnte ,
ungebaͤndigter Herrſchſucht ihr Unternehmen erleichterte .
Der Senat hatte in feyerlichen Reſolutionen die Wie-
dererwaͤhlung derſelben Magiſtraturen fuͤr tadelnswuͤr-
dig erklaͤrt ; dies berechtigte den bey der Wahl vorſitzen-
den Magiſtrat nicht , unzweifelhafte Stimmen fuͤr ſeinen
Collegen zu verwerfen : aber Scheu und Ehrfurcht ge-
boten ihm die nicht anzunehmen welche ihm ſelbſt gege-
ben wurden . In dem Vertrauen daß Appius Claudius
nicht ganz unempfindlich gegen dieſe Gefuͤhle ſeyn koͤnne ,
uͤbertrugen ſie ihm als dem juͤngſten den Vorſitz bey
den Comitien fuͤr das folgende Jahr . Er aber fand
eben hierin die Mittel ſeinen Wunſch zu erreichen ; wie
es ſcheint , durch einen foͤrmlichen Vertrag mit den
Haͤuptern des Volks ; er wolle geſetzmaͤßig die Stimmen
fuͤr fuͤnf plebejiſche Candidaten annehmen , wenn er ſelbſt
mit den von ihm empfohlnen Patriciern gewaͤhlt wuͤrde .
Ein unſeliger Vertrag , deſſen Schuld aber nicht auf
die Plebs , der der offne Weg zum Genuß ihrer Rechte
verſchloſſen war , ſondern auf die Argliſt der Patricier
faͤllt , welche jedes zum Vortheil des Volks gegebene
Geſetz in der Ausfuͤhrung vereitelten .
So waren nun zum erſtenmal ſeit Brutus Tode
Plebejer zur hoͤchſten Wuͤrde der Republik gelangt . Dies
verkennt auch Dionyſius nicht , obwohl er irrig zwey der
plebejiſchen Decemvirn , M’ . Rabulejus und T. Antonius
nicht zu ihnen zaͤhlt , da doch an der Plebitaͤt dieſer
Geſchlechter nicht der geringſte Zweifel ſeyn kann Dionyſius X. c. 58 . .
Dem Schein nach war dieſe Wahl mehr als Erſatz fuͤr
den Verluſt der tribuniciſchen Gewalt : die Erfahrung
dieſer Zeit belehrte das Volk , und ſogar die Patricier ;
als das Conſulat und alle Wuͤrden zwiſchen beyden
Staͤnden getheilt waren blieb das Tribunat doch unent-
behrlich als eigentliche Volksrepraͤſentation ; es verlor
ſeine finſtre Feindſeligkeit , und ward den Patriciern nicht
weniger wohlthaͤtig als dem Volk . — Die plebejiſchen
Decemvirn waren , ſo weit uns die Nahmen der thaͤti-
gen Tribunen bekannt ſind , nicht aus ihrer Mitte : es
ſcheinen reiche , unbedeutende und charakterloſe Leute ge-
weſen zu ſeyn , die ſich von dem Glanz der Geburt und
fruͤher bekleideter Wuͤrden ihrer patriciſchen Collegen
verdunkelt fuͤhlten , und ihre Autoritaͤt fuͤr die Vortheile
verkauften welche Appius fuͤr ihre Mitſchuldigkeit an-
bot . Auch die Patricier waren wohl zum Theil nur
die Werkzeuge der eigentlichen Tyrannen . Wie Kritias
und Charikles die dreyßig , ſo beherrſchten Appius Clau-
dius , und Q. Fabius , welcher dreymahl mit Auszeich-
nung Conſul geweſen war , das ganze Collegium ; doch
auch der letzte war von dem thaͤtigeren und heftigeren
Ehrgeiz des juͤngeren abhaͤngig . Im erſten Jahr hatte
die Selbſtſtaͤndigkeit der einzelnen Decemvirn , bey der
unbegraͤnzten Gewalt des ganzen Collegiums , die Frey-
heit erhalten ; und im Volk nach ſo vieljaͤhrigen innern
Fehden das Gefuͤhl der Behaglichkeit erregt welches die
milde Ausuͤbung einer wohlwollenden unbeſchraͤnkten
Herrſchaft hervorbringt . Jetzt empfand die Nation
welches Gut ihr jene unruhigen Bewegungen geſichert
hatten , und wie wenig ſie ein zu theurer Preis waren .
Am erſten Tage der Magiſtratur erſchien jeder der
Decemvirn mit den conſulariſchen zwoͤlf Lictoren . Der
Buͤrger welcher von dem ungerechten Spruch eines De-
cemvirs den Schutz eines andern anrief , empfand durch
vermehrte Mißhandlung daß ſich alle wechſelſeitig ty-
ranniſche Willkuͤhr zugeſagt hatten . Es genuͤgte ihnen
nicht die Buͤrger an Ehre und Vermoͤgen zu kraͤnken :
die Beile , welche Publicola innerhalb der Mauern aus
den Steckenbuͤndeln der Lictoren genommen hatte , wa-
ren nicht umſonſt von den Decemvirn wieder eingefuͤgt ,
und das erwaͤhlte Schlachtopfer blutete um die Wuth
des Tyrannen zu befriedigen , oder um ihn ſicher zu
ſtellen . Wie es funfzig Jahr ſpaͤter die dreyßig Ty-
rannen zu Athen hielten , ſie beriefen weder den Senat
noch die Gemeinde ; alles verfuͤgten und verwalteten ſie
allein despotiſch wie ſie richteten .
Und dieſe ſtolzen Patricier , welche gegen das Volk
uͤber jede Frage des Rechts lieber die aͤußerſte Gefahr
wagten , als von ihrem Beſitz im geringſten zu weichen ,
ſie ertrugen es mehr als ruhig von Appius Claudius ,
der alles beherrſchte , alles Anſehens beraubt zu ſeyn .
Die plebejiſchen Decemvirn waren Schattenbilder , die
furchtbaren tribuniciſchen Anklagen ruhten , vor allem
war die Rede nicht mehr vom widerrechtlichen Beſitz
der Domaine . Livius , den niemand gehaͤſſiger Geſin-
nungen gegen die Optimaten irgend eines Zeitalters ver-
daͤchtig machen kann , erzaͤhlt wie die jungen Patricier
Appius Claudius umgeben ; wie ſie in der Unterdruͤckung
des Volks geſchwelgt haͤtten : wie jeder Hader des ein-
zelnen mit einem Manne vom Volk durch Geiſſelung
und Tod vor dem Tribunal gerochen , wie der Anklaͤger
durch Schenkung des Vermoͤgens ſeines Opfers erfreut
worden waͤre . Kein Patricier ward gekraͤnkt ; und die
Jugend dieſes Standes fand den ungebundnen Frevel
dieſes Zuſtands gluͤcklicher als allgemeine Freyheit Livius II. c. 36. 37 . .
Es waren die Zeiten des letzten Koͤnigs , und die Wuͤn-
ſche der Genoſſen ſeiner Soͤhne wiedergekehrt .
Das Jahr verging , ohne Comitien fuͤr eine neue
Wahl : und die Decemvirn , als ob auf immer ernannt ,
legten ihre Macht nicht nieder . Selbſt dieſes weckte die
ſchuldige Gleichguͤltigkeit des Senats nicht . Aber die
benachbarten Voͤlker , entweder bis dahin ruhig , oder
in ihren Fehden mit den Bundesgenoſſen von den nur
auf innre Herrſchaft ſinnenden Decemvirn unbeachtet ,
ſchreckten ihn aus dem Schlummer den er willig genoß .
Die Sabiner hatten die Landſchaft uͤber dem Anio ver-
wuͤſtet : die Aequer waren auf dem Algidus gelagert ,
und das treue Tusculum flehte um Beyſtand . Es ſchien
ſelbſt den Decemvirn zu kuͤhn Truppen auszuheben ohne
einen Schein von Ermaͤchtigung durch die Republik .
Sie beriefen den Senat : ſehr wenige erſchienen : es hatte
das Anſehen als weigerten ſich die erkohrnen Vaͤter
einer Zuſammenberufung zu gehorchen welche von de-
nen an ſie erging , die der Senat , als Unerwaͤhlte , nur
fuͤr Privatperſonen und unbefugt ihn zu verſammeln er-
kennen konnte . Livius ſagt , dies ſey nicht der Fall ge-
weſen , ſondern , entwoͤhnt ſich zu verſammeln , haͤtten
ſich die Senatoren auf ihre Landguͤter zerſtreut gehabt ;
am folgenden Tage waͤren ſie gehorſam erſchienen . Es iſt
aͤußerſt unwahrſcheinlich daß dieſe auf dem Lande ge-
blieben ſeyn ſollten , wenn die Feinde uͤber die Graͤnzen
gegangen waren , und kein Heer ihnen entgegenſtand :
entweder alſo kamen ſie , weil eine erſte Bewegung des
Unmuths , und des Andenkens an die Freyheit der vor-
ſichtigen Ueberlegung wich ; oder auch dieſesmal waͤre
der Feind nicht gefaͤhrlich geweſen , und die Decemvirn
ſuchten nur unter einem Vorwand ein Heer aufzuſtel-
len . So erloſch bald die leichtſinnige Hoffnung des
Volks , welches ohne Haupt , ohne ein Mittel der Ver-
einigung , auf die Patricier hinblickte bey denen es doch
auch einiges Gefuͤhl fuͤr die Freyheit erwartete , und in
ſeinem Widerſtand den Anfang ihrer Wiederbelebung zu
ſehen traͤumte . Am folgenden Tage war der Senat zahl-
reich verſammelt : und Appius Claudius trug auf den
Beſchluß an , Soldaten auszuheben . Die Verſammlung
nahm den Vortrag an ohne Einwendung gegen das
Verfaſſungswidrige . Unter allen Patriciern war nur
noch zwey Maͤnnern die Freyheit theuer , nur zwey be-
wahrten die Grundſaͤtze und die Sinnesart ihrer Vor-
fahren , und ihren Muth : L. Valerius Potitus , und M.
Horatius Barbatus . Valerius forderte daß vor allem
der Zuſtand der Nation erwogen werde : und als die
Decemvirn ihn unter Drohungen auf den Gegenſtand
des Vortrags einſchraͤnkten , rief er , wenn ihn der Se-
nat nicht hoͤren wolle , ſo werde er das Volk berufen :
die Decemvirn waͤren nicht beſſer berechtigt als er Vor-
rechte der Magiſtratur auszuuͤben . Horatius redete noch
drohender . C. Claudius , des Decemvirs Oheim , ſprach
beſaͤnftigend , und warnte gegen heftige Bewegungen
welche das Intereſſe des Standes in Gefahr braͤchten .
Er bat die Decemvirn ſich mit dem Senat friedlich zu
verſtaͤndigen ; und trug darauf an daß kein Beſchluß ge-
faßt werde . Dies haͤtte die Geſetzwidrigkeit der gegen-
waͤrtigen Macht erklaͤrt , und , wenn ſie weichen wollte ,
eine Unterhandlung vorbereitet , entweder ſie , mit Her-
ſtellung des Anſehens des Senats , zu beſtaͤtigen , oder
eine Veraͤnderung zu treffen wodurch die tribuniciſche
Gewalt abgeſchafft geblieben waͤre . L. Cornelius Ma-
luginenſis , Altconſul , und Bruder eines der Decemvirn ,
ſchalt die Anklagen des Valerius und Horatius auf-
ruͤhreriſch : der Staat ſey in Gefahr ; die Sache der
Formen unbedeutend : es ſey Pflicht des Senats die Re-
publik zu retten ; wenn dies erreicht worden , dann werde
es Zeit genug ſeyn zu unterſuchen , ob die Decemvirn
mit Recht behaupteten , nicht , wie die fruͤheren Magi-
ſtrate , auf die Dauer des Jahrs , ſondern bis die Ge-
ſetzgebung nach ihrem Gewiſſen vollendet ſeyn werde ,
erwaͤhlt zu ſeyn ; oder die Oppoſition mit Grund vor-
gebe , ihre Gewalt ſey mit dem abgewichenen Jahr er-
loſchen . Dieſer Rede ſtimmten die juͤngeren Patricier
bey , und ein Senatsbeſchluß ward nach dem Antrag
des Decemvirs gefaßt . Noch einmal erhoben ſich Va-
lerius und Horatius fuͤr die Conſtitution . Was Ne-
benſache genannt werde , ſey weit dringender als der
aͤußere Krieg der nur , wie ſchon ſo oft geſchehen , ohne
die Republik zu vernichten , Felder und Haͤuſer verwuͤ-
ſten koͤnne . Wenn der Senat ſie nicht hoͤren wolle , das
Volk werde ſie doch hoͤren : nicht die Decemvirn , nicht
ihre Lictoren , nicht ihre Mitverſchwornen , nicht ihre
Clienten wuͤrden die Enkel der Gruͤnder der Freyheit
ſchrecken . Appius Claudius ſandte Lictoren um ſie fort-
ſchleppen zu laſſen , ſeine Freunde hemmten die raſche
Unbeſonnenheit und empfahlen ihm den Zorn der Re-
publikaner in kraftloſen Reden in der Curie verhallen
zu laſſen . Nicht nur die jungen Patricier wuͤnſchten
die Fortdauer der Tyranney : die bejahrten duldeten al-
les lieber als Volksfreyheit , und fuͤrchteten die gezwun-
gene Abdankung der Decemvirn als den Anfang ihrer
Herſtellung Livius III. c. 41 . . So war es ungewiß ob die Gewalt
der Uſurpatoren durch dieſe Verſammlung erſchuͤttert
oder befeſtigt ſey .
Fuͤr jetzt war dieſe Gewalt durch den Senatsbe-
ſchluß mit allen conſulariſchen Zwangsmitteln zur Aus-
hebung der Soldaten bewaffnet . Ohne tribuniciſchen
Schutz war das Volk nur eine ohnmaͤchtige einheitsloſe
Maſſe : die Bildung der Legionen ward ohne Wider-
ſtand vollendet , ein Heer gegen die Sabiner , ein andres
gegen die Aequer geſandt . Aber die gewaltſam Ausge-
hobenen waren die murrenden Knechte , nicht die ſieg-
duͤrſtenden Soldaten ihrer Beherrſcher . Es mag auch
Schuld der befehlshabenden Decemvirn geweſen ſeyn
daß die Aequer auf dem Algidus das roͤmiſche Heer
ſchlugen , und das Lager eroberten ; denn hier war un-
ter den Befehlshabern L. Minucius , der in eben dieſer
Gegend durch den Dictator Cincinnatus kaum gerettet
war . Aber der Soldat machte dem Feind in ſeinem
Unmuth den Sieg kaum ſtreitig , und troͤſiete ſich , als
die Zerſtreuten entwaffnet und entbloͤßt in Tuſculum
zuſammenkamen , mit der Unehre ſeiner Anfuͤhrer . Als
ſie geſammelt , wieder bewaffnet und verſtaͤrkt waren ,
naͤherten ſie ſich dem Feinde wieder , aber die Feldher-
ren wagten es nicht ein verſchanztes Lager und das
Gebuͤrg zu verlaſſen . Das andre Heer war nicht gluͤck-
licher . Die Sabiner , die ſelten eine Schlacht gegen
Roͤmer
Roͤmer wagten , ſchlugen ſie an ihrer Graͤnze , und die
roͤmiſchen Befehlshaber ſuchten auch hier Sicherheit
hinter Verſchanzungen ruͤckwaͤrts im roͤmiſchen Gebiet .
Bey dieſem Heer befand ſich ein alter Krieger deſſen
Anblick den Decemvirn ihre Niederlage und ihre viel-
fache Schuld vorwarf , und deſſen unwillige Schmaͤ-
hungen ihren Zorn reizen mochten . Unermuͤdliche Kriegs-
luſt , ſelbſt unter einer Oberherrſchaft wie der verhaß-
ten Decemvirn , muß L. Siccius Dentatus , deſſen ſchon
einmal gedacht iſt , in dieſes Heer gefuͤhrt haben ; denn
ſein Alter und ſein beyſpielloſer Ruhm haͤtten ihn vom
gezwungenen Dienſt befreyt . In der ganzen Kriegsge-
ſchichte Roms , in der die Schlachten dieſes Zeitraums
ſo unbedeutend erſcheinen , iſt ihm kein andrer Krieger
jemals zu vergleichen geweſen , ſelbſt nicht M. Sergius
mit der eiſernen Hand Ueber dieſen Helden ſiehe Plinius VII. c. 29 . Sein
Zeitalter war der hannibaliſche Krieg . Er gelangte nicht
zum Conſulat , und in der Praͤtur wollten ihn ſeine
Collegen , wegen der Verſtuͤmmelungen die er fuͤr das
Vaterland erlitten , von den Opfern ausſchließen : eine
merkwuͤrdige Analogie mit dem moſaiſchen Geſetz . . L. Siccius hatte in
120 Gefechten geſtritten , acht Feinde im Zweykampf
erlegt ; neun Triumphe begleitet , deren Siege er vor-
zuͤglich entſchieden hatte : er zaͤhlte 45 Narben , keine
auf dem Ruͤcken , und an Ehrenzeichen und Belohnun-
gen , Pferdegeſchirr , Spießen , Halsketten , Armketten ,
den verſchiedenen Kronen welche die Tapferkeit auszeich-
neten , und andern Ehrengeſchenken , eine faſt unermeß-
Zweiter Theil. J
liche Menge Plinius a. a. O. Gellius II. c. 11. Dionyſius X. c. 37 . Auch als Buͤrger war er ſehr ge-
achtet , und Plinius rechnet es am Verdienſt ſeinen
Kriegsthaten gleich daß er im Jahr 300 als Volkstri-
bun den Conſul des verfloſſenen Jahrs , T. Romilius , an-
geklagt und zur Strafe gezogen hatte . Ein ſolcher Mann
konnte , wenn er ſich entſchloß , das Heer wie einſt Sici-
nius zum Aufſtand beſtimmen , und nur der Mangel
eines Anfuͤhrers erhielt noch den Gehorſam . Q. Fabius
der Befehlshaber dieſer Armee erſann einen Weg ihn
verborgen umzubringen . Unter dem Vorwand , das
Heer ſolle wieder vorruͤcken , befahl er dem Siccius die
Gegend zu recognoſciren und den Ort eines Lagers aus-
zuſuchen . Die Begleiter welche ihm beygegeben wur-
den , ausgewaͤhlt unter den ſchuldigſten Anhaͤngern der
Decemvirn , hatten den Auftrag ihn an einem einſamen
Ort zu ermorden , und vorzugeben er ſey in einem Ge-
fecht mit dem Feinde gefallen : Siccius aber , obgleich
arglos uͤberfallen , ſtarb wie er gelebt hatte , und fiel
geraͤcht unter einem großen Haufen ſeiner Moͤrder .
Das Schickſal welches die Decemvirn verderben wollte ,
fuͤgte es daß dieſe verruchte That ſinnlos ausgefuͤhrt
ward . Niemand ſcheint erwogen zu haben daß Liebe und
Treue die alten Gefaͤhrten des Ermordeten zu ſeiner
Leiche hinziehen werde , und die Meuchelmoͤrder hatten
geeilt ſie zu verlaſſen , um die Erfuͤllung ihres Auftrags
zu berichten . Die Soldaten fanden den Todten in al-
len Waffen , ungepluͤndert , umgeben von Roͤmern die
ſichtbar von ihm erlegt waren , auch dieſe Leichen un-
beruͤhrt ; und vom Feinde keine Spur . Die Entdeckung
vollendete den Abſcheu der Armee ; aber ſo maͤchtig iſt
die Gewohnheit des Gehorſams , und ſo ſtark betaͤubt
einfaͤltige Gemuͤther eine dreiſte Ablaͤugnung , auch ge-
gen allen Augenſchein , daß ein feyerliches Leichenbegaͤng-
niß womit die Decemvirn das Andenken des Todten
zu feyern vorgaben , die Gaͤhrung fuͤr jetzt noch be-
ſaͤnftigte .
Die Annaliſten haben L. Siccius den roͤmiſchen
Achilles genannt ; wir koͤnnen ihn fuͤglicher den roͤmi-
ſchen Roland nennen , auch deswegen weil er wie die-
ſer Held der waͤlſchen Dichtung durch Verrath fiel .
Den Heroen der griechiſchen Poeſie darf kein Krieger
eines hiſtoriſchen Zeitalters : kein roͤmiſcher Hauptmann
dem Peliden verglichen werden .
Es ſcheint daß die Decemvirn ſich nie ſichrer waͤhn-
ten als damals , da alle Bande zwiſchen der Nation
und ihnen durch dieſes Verbrechen zerriſſen waren . Fre-
velhafte Mißhandlungen der Weiber und Toͤchter der
Unterthanen waren haͤufig in den Oligarchieen des Al-
terthums Polybius VI. c. 8 . , und gewoͤhnlich die Veranlaſſung der
Revolutionen worin ſie untergingen : wie in entlegnen
Laͤndern wo die Leibeigenſchaft in der ſchrecklichſten Ge-
ſtalt beſteht , noch jetzt gleiche Verbrechen gegen die
Wehrloſen nicht ſelten ſind , manchmal aber zur Ermor-
dung des Gutsherrn gefuͤhrt haben . Appius Claudius
hatte luͤſterne Blicke auf ein ſchoͤnes Maͤdchen gewor-
fen , die Tochter eines wuͤrdigen Hauptmanns L. Vir-
J 2
ginius , der mit dem Heer gegen die Aequer im Felde
ſtand . Wie wenig auch die Patricier den plebejiſchen
Geſchlechtern ſelbſt nur dieſen Nahmen einraͤumen woll-
ten , ſo waren doch ſchon viele ihrer Familien durch
Tribunate und Kriegswuͤrden ausgezeichnet ; und die
Virginier muͤſſen zu den angeſehenen gehoͤrt haben , da
ein Tribun dieſes Nahmens ihn merkwuͤrdig gemacht
hatte , und die Mutter und der Verlobte der ungluͤckli-
chen Virginia ausgezeichnete plebejiſche Nahmen trugen .
Verfuͤhrung , unter den Roͤmern bey der Strenge der
vaͤterlichen Gewalt und den heiligen Sitten der Muͤt-
ter damals wohl faſt unerhoͤrt , konnte den Decemvir
hier nicht zu ſeinem Zweck fuͤhren ; aber ein Frevel mehr
machte ihm den Liebeshandel anziehender .
Schrift ward damals nicht im Kindesalter erlernt ,
es war eine Kunſt welche dem herangereifteren Alter
vorbehalten war . Auf dem Wege zur Schule , die ſich ,
wie noch im Morgenlande , unter den andern Buden
befand welche das Forum , wie einen Bazar , einſchloſ-
ſen , ergriff ein Client des App. Claudius die ſchutzloſe
Virginia und riß ſie fort : vorgebend , ſie ſey von einer
Sklavin gebohren die ſein eigen geweſen waͤre , und der
Numitoria untergeſchoben . Als das Volk ſich bey dem
Jammergeſchrey des Maͤdchens zuſammendraͤngte , und
die Theilnahme ſich ſtuͤrmiſcher aͤußerte da man ihre
Schoͤnheit ſah , und den Nahmen ihres Verlobten hoͤrte :
L. Icilius der dem Volk in ſeinem Tribunat lieb gewe-
ſen war , und ihm den Beſitz des Aventiniſchen Bergs
gewonnen hatte : erklaͤrte der Raͤuber , er beduͤrfe keiner
Gewalt : er wende ſich an den Richterſtuhl des Decem-
virs der auf dem Forum zu Gericht ſaß . Es war Ap-
pius Claudius ſelbſt , der mit einem einzigen ſeiner Col-
legen in der Stadt geblieben war . Der angebliche Klaͤ-
ger wiederhohlte das Maͤhrchen , und forderte daß ihm
ſeine Sklavin zugeſprochen werde .
Das Kind einer Sklavin gehoͤrte dem Herrn der
Mutter zu eigen ; wo er es fand , wenn es ihm heim-
lich oder unredlich vorenthalten war , konnte er es mit
unverjaͤhrtem Recht in Anſpruch nehmen . Dadurch ge-
ſchah es haͤufig daß der perſoͤnliche Stand eines Buͤr-
gers ſtreitig gemacht ward , oder ein vermeinter Buͤrger
die Freyheit verlohr . Nur ein Richterſpruch konnte die
Frage zwiſchen dem anmaaßlichen Herrn und dem an-
geblichen Buͤrger entſcheiden : bis dahin blieb dieſer im
Beſitz ſeiner perſoͤnlichen Rechte ; doch , da Gefahr war
daß er , eben wenn die Forderung des Klaͤgers gerecht war ,
entfliehen wuͤrde , ſo mußte er Sicherheit ſtellen vor
dem Gericht erſcheinen zu wollen .
Dieſes Recht war in den zwoͤlf Tafeln wiederhohlt :
ſicher nicht durch ſie beſtimmt , denn wenn irgend eines
ſo gehoͤrte dieſes zu dem allgemeinen Rechte aller Voͤl-
ker ( dem jus gentium ) , wie es ſich allenthalben ent-
ſcheiden mußte , da Freyheit neben der Sklaverey am
hoͤchſten gewuͤrdigt wird . Am heiligſten aber mußte es
ſeyn wenn die Freyheit eines Weibs ſtreitig gemacht
ward , denn eine Sklavin , oder die ihr Schickſal theilte ,
war durch nichts gegen die aͤußerſte Mißhandlung ge-
ſchuͤtzt . Aber eben deswegen ſprach Appius Claudius
gegen das Geſetz welches er ſelbſt verzeichnet hatte , als
die welche fuͤr die Jungfrau redeten flehten , es moͤge
der Spruch verſchoben werden bis es moͤglich ſey den
Vater aus dem Lager zu rufen , damit er ſelbſt ſein
Theuerſtes vertheidigen koͤnne . Er finde dieſe Forde-
rung , ſagte er , allerdings billig , es ſolle auch dem an-
geblichen Vater ſein Recht nicht gekraͤnkt werden : darum
verſchiebe er ſeinen Spruch bis zu deſſen Zuruͤckkunft .
Waͤre das Maͤdchen ſelbſtſtaͤndig , oder waͤre der Va-
ter in deſſen Gewalt ſie ſey anweſend , ſo wuͤrde der
Klaͤger ſich beruhigen muͤſſen wenn ihm Sicherheit ge-
ſtellt werde . Aber die dem Vater Unterthaͤnige koͤnne
niemand an ſeiner Stelle rechtlich verbuͤrgen , und Ge-
faͤlligkeit von Seiten des Klaͤgers eine nichtige Sicher-
heit anzunehmen , koͤnnte , bey leicht moͤglicher Unred-
lichkeit der Virginiſchen Familie , ihn ſeines Eigenthums
berauben . Daher muͤſſe er in dieſem Fall von dem
Buchſtaben des Geſetzes abweichen : der Klaͤger ſolle das
Maͤdchen wegfuͤhren , aber Buͤrgſchaft gewaͤhren daß er
ſie , wenn der angebliche Vater ſich einfinde , vor dem
Gericht ſtellen werde .
Bey dieſem fuͤrchterlichen Urtheil erhob ſich lautes
Jammergeſchrey . Icilius , von des Maͤdchens Oheim
Numitorius begleitet , war durch Geruͤcht auf das Fo-
rum gerufen . Liebe und gewohnte Vertheidigung der
Freyheit gaben ihm Entſchloſſenheit und Macht . Er
ſtieß die Lictoren zuruͤck , ein Kreis muthiger Verthei-
biger ſchloß das Maͤdchen ein , und es war nicht mehr
moͤglich ſie jetzt durch Schrecken noch Gewalt wegzu-
ſchleppen . Appius wußte daß ein Haufe den , ohne in-
nere Vereinigung , Mitgefuͤhl uͤber fremdes Ungluͤck be-
waffnete , ohne Gewalt zerſtreut uͤber Nacht erkaltet ;
daß Bedenklichkeiten und Furchtſamkeit erwachen , und
die Menge zitternd ausfuͤhren ſieht woruͤber ſie im er-
ſten Gefuͤhl bis auf den Tod gekaͤmpft haben wuͤrde .
Er konnte am folgenden Tage eine bedeutende Macht
aufbieten : durch ſeine Mitſchuldigen , und die Schaaren
ihrer Clienten — ſein Geſchlecht allein zaͤhlte deren
Tauſende — konnte er auch offenbare Gewalt wagen ,
da die meiſten der Waffenfaͤhigen aus dem Volk im
Felde ſtanden . Mit der Mine des vaͤterlichen Herr-
ſchers , welcher die wilde Gaͤhrung einer irregeleiteten
Menge gern uͤberſieht , und mit Schonung beruhigt ,
that er den Ausſpruch : Virginia moͤge im vaͤterlichen
Hauſe bleiben , und bis zum Gericht von denen ver-
buͤrgt werden die ſich als die Ihrigen eindraͤngten : aber
bey dieſer Beguͤnſtigung der Beklagten ſey es noͤthig
den Rechtsſpruch zu beſchleunigen , und er ſetze den mor-
genden Tag dafuͤr an . Wenn dann der Vater nicht
erſcheine , ſo werde er die Geſetze und ſeine Wuͤrde zur
Bekraͤftigung des Ausſpruchs zu behaupten verſtehen , den
er dann ohne Menſchenfurcht wie es Rechtens ſey zu
geben wiſſen werde . Er kenne dieſen Icilius , und
dieſe ehemaligen Tribunen ; er wiſſe daß ihr vorgegebe-
nes Gefuͤhl nichts als Meuterey und ein ohnmaͤchtiges
Wuͤthen ſey uͤber den Verluſt ihrer Gewalt : er aber
werde auch zu thun wiſſen was der Verfaſſung , der
Republik und ihm ſelber gebuͤhre .
Die Freunde Virginiens ſahen , daß wenn nur die
aͤußerſte Anſtrengung hinreichte dem Vater die Botſchaft
und ihn vor der Stunde des Gerichts zur Stadt zu
bringen , die kleinſte Friſt dem Tyrannen die Moͤglich-
keit gewaͤhrte ihn im Lager verhaften zu laſſen . Ihm
war der Tod des Siccius bereitet : aber auch hier wal-
tete das vorſehende Schickſal uͤber Rom . Icilius hielt
die Sitzung des Decemvirs hin durch Zoͤgerung bey
Verabredung der Buͤrgen ; alle Anweſende hatten die
Haͤnde aufgehoben und ihre Buͤrgſchaft angeboten .
Inzwiſchen hatten ſich zwey ſeiner Freunde heimlich ent-
fernt , und eilten mit der aͤußerſten Kraft der Pferde
ins Lager . Noch ahndeten die befehlshabenden Decem-
virn nichts : Virginius erhielt unter gleichguͤltigem Vor-
wand Urlaub nach Rom zu gehen . Sie hatten das La-
ger verlaſſen ehe Appius Botſchaft eingetroffen war
ihn auf keine Weiſe zu entlaſſen .
Wie es Licht geworden fuͤllte ſich das Forum mit
Buͤrgern und mit Frauen die der Entſcheidung angſt-
voll entgegen ſahen . Virginius und ſeine Tochter ka-
men in Trauerkleidern . Er ergriff die Haͤnde , umfaßte
die Kniee der Theilnehmenden , beſchwor ihren Schutz ,
warnte daß ſein Ungluͤck nur ein Vorzeichen der gleichen
Gefahr fuͤr jeden ſey . Alles weinte mit ihm : aber Ap-
pius Ankunft , der , wie gegen eine Verſchwoͤrung und
einen Auſſtand , in großer Begleitung das Tribunal be-
trat , verbreitete ſtarres Schrecken . Sein Client brachte
die Klage vor : wahnſinnig von wilder Begierde , ſcham-
los gleichguͤltig auch nur wie am geſtrigen Tage einen
Schein rechtliches Verfahrens zu heucheln , ſprach der
Decemvir , ohne den Vater , ohne auch nur falſche Zeu-
gen des Anklaͤgers zu hoͤren , die Jungfrau als Skla-
vin ſeinem Diener zu . Dieſer eilte Virginia zu ergrei-
fen : er ward von dem Kreiſe der Freunde und Frauen
zuruͤckgeſtoßen : der Vater flehte um Schutz zu den Buͤr-
gern . Appius und ſein Gefolge enthuͤllten Waffen : das
Volk fluͤchtete : die Jungfrau ſtand verlaſſen : die Licto-
ren naͤherten ſich ihr : alle Huͤlfe war verſchwunden .
Da bat Virginius den Decemvir um die einzige Gunſt
von ſeiner Tochter Abſchied nehmen zu duͤrfen , und in
ihrer Gegenwart ihre Waͤrterin uͤber die Wahrheit zu
befragen . Er entfernte ſich mit den Frauen : ergriff ein
Meſſer von einer Fleiſcherbank , und erſtach das Maͤd-
chen . Keiner wagte ſich ihm zu nahen , als er , das blu-
tige Meſſer empor haltend , nach dem Thore wandelte :
bald ſchuͤtzte ihn eine begleitende Menge . Auf dem Fo-
rum ſammelte ſich alles um Icilius und Numitorius ,
die an der keuſchen Leiche das Volk zur Freyheit auf-
riefen . Die Lictoren wurden zuruͤckgetrieben . Appius
warf ſich mit ſeiner Schaar unter das Volk , um Ici-
lius zu ergreifen . Er ward uͤberwaͤltigt : die Stecken-
buͤndel zerbrochen . Vergebens verſuchte Appius die Buͤr-
ger anzureden , ſie hoͤrten nur die Reden ihrer Freunde .
Er entfloh verhuͤllt nach ſeiner Wohnung .
In dieſem Tumult berief der andre anweſende De-
cemvir Sp. Oppius den Senat . Dieſe Botſchaft be-
ruhigte das Volk ; man vertraute , nach jener That
muͤſſe ſich auch dieſer gegen die Decemvirn erklaͤren ,
die doch nun nicht mehr furchtbar waren ; ein Sena-
tusconſult genuͤgte die Freyheit herzuſtellen . Aber die
Patricier empfanden nicht wie das Volk . Sehr viele
waren mitſchuldig : dieſe ſahen keine Strafloſigkeit fuͤr
ſich als in der Fortdauer der Decemviraltyranney . Haß
und Verachtung gegen die Plebejer mochte nur in ſehr
wenigen die Stimme menſchlicher Gefuͤhle uͤber die Trag-
oͤdie des Tags laut werden laſſen : wenigſtens ver-
ſtummte ſie vor der Furcht den Anſpruͤchen ihres Standes
zu vergeben . Moͤglichkeit des Mißbrauchs der hoͤchſten
Gewalt ſey von ihrem Beſitz unzertrennlich ; und wenn
auch dieſer Mißbrauch noch ſo ſehr zu tadeln waͤre , ſo ſey
der gewaltſame Widerſtand doch weit ſtrafwuͤrdiger , weil
er graͤnzenlos gefaͤhrlich und bis in ſeine Quelle ganz wi-
derrechtlich ſey . Es wuͤrde eine unſinnige Gutmuͤthigkeit
ſeyn wegen eines ſolchen Vorfalls der Gegenparthey Waf-
fen zu ihrer Vertheidigung zu gewaͤhren , von denen ſie ja
auch , und gegen die deren Kraͤnkung ein weit groͤßeres
Unrecht ſey , Mißbrauch machen koͤnnten . Waͤre es bis
dahin wuͤnſchenswerth geweſen die Decemvirn zu bewegen
ihre Macht gewaͤhlten Conſuln zu uͤberlaſſen , ſofern die
tribuniciſche auf ewig vernichtet bliebe , ſo ſey es jetzt
nothwendig , unerſchrocken Meinung und Schein verach-
tend , ſich an ſie anzuſchließen und ihr Anſehen zu behaup-
ten . In dieſen Geſinnungen taͤuſchten ſie alle vertrau-
liche Hoffnungen des Volks . Zwar beſchloſſen ſie es fuͤr
jetzt nicht weiter zu reizen : aber die jungen Patricier wur-
den in die Laͤger geſandt , um durch alle Mittel die Ar-
meen im Gehorſam zu erhalten . Es war zu ſpaͤt . Vir-
ginius war zuruͤckgekommen ; von ihm und ſeinen Beglei-
tern , zu zahlreich als daß die feigen Decemvirn es gewagt
haͤtten ſie zu verhaften , hatten die Soldaten die Vorfaͤlle
des Morgens vernommen . Sie waren bewaffnet : ſie
fuͤhlten daß ſie frey waren zu handeln . In tumultuari-
ſcher Bewegung ward beſchloſſen die Fahnen zu nehmen
und nach Rom zu gehen . Dort angelangt beſetzten ſie den
Aventinus ; hier verſammelte ſich bey ihnen wer Schutz
bedurfte , und wer fuͤr die Befreyung des Vaterlands ent-
ſchloſſen war . Der Senat blieb in der Tyrannen Knecht-
ſchaft . Abgeordnete begaben ſich auf den Aventinus , im
Nahmen des Senats den Rebellen ihr Vergehen vorzuwer-
fen , und ſie aufzufordern zum Gehorſam zuruͤckkehrend Ver-
zeihung zu erwerben . Das Volk entließ ſie ohne Antwort
und mit der Erklaͤrung ; ſie wuͤrden nur L. Valerius und
M. Horatius anhoͤren . Auch das andre Heer , durch Ici-
lius und Numitorius aufgerufen , entſagte den Tyran-
nen . Unter Fahnen und Waffen ruͤckten die von der ſabi-
niſchen Graͤnze zuruͤckkehrenden Legionen durch das Colli-
niſche Thor in die Stadt ein , durchzogen ſie friedlich , und
vereinigten ſich mit dem erſten Heer auf dem Aventinus .
Jedes hatte zehn Tribunen als ſeine Obern anerkannt ,
alſo daß jede plebejiſche mit ihrer Region erhaltene Tribus
einem Oberſten gehorchte , und von ihm repraͤſentirt ward .
Die ein und zwanzigſte , die Claudia , war dem Volk fremd .
Auch dieſes deutet auf eine Magiſtratur plebejiſcher Tribu-
nen , aͤlter und verſchieden von den Volksrepraͤſentanten ,
zu der das Volk zuruͤckkehrte weil die letzten ihm fehlten .
Von dieſen Vorſtehern der zwanzig Tribus hat Pompo-
nius ein dunkles Geruͤcht vernommen Er verwirrt ſie mit den conſulariſchen Militartribunen.
l. 2. §. 25 . de O. J. Interdum viginti fuerunt , interdum
plures , nonnunquam pauciores . Mehr als zwanzig , weil
die Tribus auf 35 vermehrt wurden . . Unter ihnen
wurden zwey zu oberſten Befehlshabern erwaͤhlt .
Auch dieſe drohende Vereinigung der Volksmacht
beugte den Starrſinn der Patricier nicht , weil ſie ſich al-
ler Feindſeligkeiten enthielt . Zwar wandte man ſich an
die beyden Patrioten , um ſie zu bewegen durch ihren Ein-
fluß das Volk zum Gehorſam zuruͤckzubringen . Sie aber
forderten daß die Decemvirn zuvor abdanken ſollten .
Dies ward als ſtraͤfliche Partheylichkeit , als feige Nach-
giebigkeit verworfen . Noch immer trotzten die Patricier
auf die Schaaren ihrer Clienten : auch war ein Buͤrger-
recht , wie ſie es den Plebejern goͤnnten kein zu koͤſtliches
Geſchenk , um es nicht den Sklaven im Nothfall anzubieten ,
und fuͤr dieſe noch immer eine reizende Verfuͤhrung .
M. Duilius , Alttribun , und mit dem Geiſte des
Senats durch alte Erfahrung bekannt , uͤberzeugte das
Volk , ſo werde der Zwiſt nie endigen . Nur ein unwi-
derruflicher Schritt koͤnne die Unterdruͤcker beugen . Noch
einmal muͤſſe man die Stadt verlaſſen , und ſich auf dem
heiligen Berge lagern wo zuerſt die Freyheit gewonnen
war . Das Andenken jener Zeit werde erwachen und
ſchrecken . Noch immer glaube der Senat die Plebejer
ſeyen nicht zum aͤußerſten entſchloſſen : erſt wenn ſie die
Stadt verlaſſen ; erſt wenn man ſie entſchloſſen ſaͤhe im
aͤußerſten Fall auch die Heimat zu verlaſſen ; ein neues
Vaterland ſich zu gruͤnden oder anzunehmen , und die un-
natuͤrliche Feindſeligkeit der Mutterſtadt vertilgend zu
vergelten : erſt dann werde man ſie hoͤren . Alle Be-
waffneten brachen auf : ihnen folgte das ganze uͤbrige
Volk mit Weibern und Kindern : ſie lagerten ſich auf
dem heiligen Berge , auch dieſesmal ohne das Eigen-
thum ihrer Feinde zu verletzen .
Im Senat ſank nun der Trotz . Valerius und Ho-
ratius gingen in das Lager , abgeordnet um die Forde-
rungen des Volks zu vernehmen und bevollmaͤchtigt ſie
zu bewilligen . Sie wurden mit begeiſterter Herzlichkeit
empfangen : man dankte ihnen fuͤr ihre Treue und daß
ſie ihr unverbruͤchliches Wort dem Volk braͤchten . Im
Nahmen der Gemeinde fuͤhrte Icilius die Rede . Man
begehrte nur Herſtellung der tribuniciſchen Macht und
der Provocation ; und daß es keinem zum Verbrechen
gerechnet werde , Volk oder Armee zum Aufſtand bewo-
gen zu haben . Auch bitte das Volk , die Decemvirn
moͤchten ihm ausgeliefert werden , um ſie lebendig zu
verbrennen . Die Geſandten erwiederten auf jene For-
derungen ; ſie waͤren ſo beſcheiden daß es vielmehr Pflicht
geweſen waͤre ſie anzubieten . Unbillig ſey auch das Ver-
langen nicht die Verbrechen der Decemvirn an ihren
ſchuldigen Haͤuptern zu ahnden . Aber die Republik be-
duͤrfe Verzeihung und Ausſoͤhnung , und eine ſolche un-
vergeßliche Rache wuͤrde nicht gut thun . Es werde die
Unterdruͤcker genug demuͤthigen wenn ſie unter gleichen
Rechten mit ihnen leben muͤßten : und Stillſchweigen in
dieſem Augenblick vergebe dem Volk das Recht nicht ,
die Schuldigen durch gerichtliche Anklagen zur Strafe
zu ziehen . Einſtimmig vertraute die Gemeinde die Ent-
ſcheidung den Wuͤnſchen und der Weisheit ihrer Freunde .
Auch die Faction der Decemvirn konnte nicht ge-
gen den Frieden reden da ihre Achtserklaͤrung nicht ge-
fordert ward . Zwar auch dieſe wuͤrde nicht verweigert
ſeyn , denn es iſt offenbar daß in den Patriciern ein
Gefuͤhl von Ohnmacht erwacht war welches ſie noͤthigte
unbedingt dem Volk zu weichen , und nur zu ſtreben
wie ſie es beſaͤnftigen moͤchten . Die Decemvirn legten
ihr Amt oͤffentlich nieder , und die Herſtellung der ple-
bejiſchen Freyheit ward als die erſte Angelegenheit der
Republik anerkannt . Die Ausgewanderten ruͤckten be-
waffnet in Rom ein : ſie beſetzten das Capitol Cicero , Fragm . der Corneliana . : und
verſammelten ſich dann , unter den Waffen , auf dem
Aventinus zur Wahl ihrer Tribunen unter dem Vorſitz
des Oberpontifex .
Ich habe hier Livius Erzaͤhlung ergaͤnzt aus dem
Bruchſtuͤck einer Darſtellung dieſer Revolution womit
Cicero freylich dem Volk zu gefallen ſuchte , dennoch
aber ſie nicht ohne Annalen erdichtet haben kann . Bedenk-
lich fuͤr dieſe ganze Geſchichte iſt daß er hier die erſten
Abgeordneten des Senats , deren Sendung nach Livius
fruchtlos war , als diejenigen nennt welche die Ruͤckkehr
der Plebs unterhandelt haͤtten . Wenn er dennoch L.
Valerius Geſandtſchaft und ſeine Verhaͤltniſſe zum Volk
als hiſtoriſch anerkannt haͤtte , ſo wuͤrde er an einem
andern Ort nicht hieruͤber ſchweigen , und als den Be-
weis daß er beredt geweſen ſeyn muͤſſe die Reden an-
fuͤhren womit Valerius nach dem Sturz des Decemvi-
rats die gegen den ganzen patriciſchen Stand erbitter-
ten Plebejer beſaͤnftigt habe Cicero Brutus. c. 14 . Qui post decemviralom invidiam
plebem in patres incitatam legibus et concionibus suis
mitigaverit . .
Das bezieht ſich auf eine ganz andere Erzaͤhlung
dieſer Vorfaͤlle welche nur in Virginias tragiſcher Ge-
ſchichte mit der unſrigen uͤbereinſtimmt . Dieſe muß in
allen Sagen und Traditionen unveraͤndert vorgekommen
ſeyn ; ſelbſt Diodor erzaͤhlt ſie ohne bedeutende Abwei-
chung Diodor XII. c. 24. 25 . . Ganz verſchieden aber iſt bey ihm die Ent-
wickelung , und ſo ſehr daß , wenn wir ihn nicht faͤhig hal-
ten roͤmiſche Annaliſten in einem Grade mißzuverſtehen ,
wie das Mißverſtaͤndniß eines Buchs kaum begreiflich iſt ,
irgend einer der aͤlteren Griechen welche Roms Archaͤolo-
gie aus Sagen und anderen Quellen ſchrieben , ſeine Au-
toritaͤt geweſen ſeyn muß . Die Entſcheidung geſchah nach
ihm ſehr ſchnell , nachdem das Heer mit Virginius den
Aventinus eingenommen hatte . Die Decemvirn ruͤſteten
ſich zum Widerſtand , doch Vermittelung hinderte den
Ausbruch des Buͤrgerkriegs . Zehn Volkstribunen ſoll-
ten , als die hoͤchſte Macht in der Verfaſſung , jaͤhr-
lich erwaͤhlt werden : die Ernennung eines der Con-
ſuln aus den Plebejern waͤre nothwendig , beyder er-
laubt geworden . Timaͤus oder Hieronymus , gewiß
nicht Polybius , hat mit dieſer Revolution die erſte
Auswanderung der Plebs , und die liciniſchen Rogatio-
nen zuſammengemiſcht .
Herſtellung und Begruͤndung der
Volksfreyheit .
Es gab zu dieſer Zeit keine Obrigkeit in der Repu-
blik , und die hoͤchſte Gewalt war der Gemeinde der Ple-
bejer als Siegern uͤbergeben , damit ſie die Verfaſſung
beſtimme .
Bei patriciſchen Magiſtraten erſetzte ein Interrex die
Unterbrechung der regelmaͤßigen Ordnung , daß der Vor-
gaͤnger den Vorſitz bey des Nachfolgers Wahl haben
mußte , oder derjenigen welche Collegen ſeiner Wuͤrde
waren . Ein aͤhnliches Mittel die Folgereihe ununterbro-
chen zu erhalten fehlte den Plebejern , und niemand konnte
rechtmaͤßig den Vorſitz bey der Wahl einnehmen welche
das unterbrochene Volkstribunat herſtellen ſollte . Daher
iſt es nicht auffallend daß dieſer Mangel durch das Ober-
haupt der Religion erſetzt ward . Dies ſcheint aber nicht der
einzige Grund geweſen zu ſeyn : war es doch nicht bey der
Einſetzung des Tribunats geſchehen . Nirgends wird ge-
ſagt wer den Vorſitz bey den Comitien der Curien fuͤhrte ;
eine Andeutung rechtfertigt die Vermuthung daß es der
Oberpontifex war Gellius V. c. 19. Comitia arbitris Pontificibus præben-
tur quæ curiata appellantur . : und wie dieſer aus dem geſamm-
ten Collegium in ſpaͤteren Zeiten , lange vor dem domiti-
ſchen Geſetz , vom Volk ernannt ward , ſo fuͤhrt die Ana-
logie
logie der ganzen Verfaſſung darauf daß dieſe Ernennung
von den Curien , ſeitdem das Collegium nur noch zur
Haͤlfte patriciſch war , auf die Nationalgemeinde uͤber-
ging , und daß jene patriciſche Gemeinde ihn auswaͤhlte
weil ſein Beruf nicht bloß geiſtlich war . Irrt dieſe Hy-
potheſe nicht , ſo wurden die Plebejer als Stand jetzt da-
durch feyerlich den Patriciern gleich geſtellt .
Unmittelbar nach der Wahl legte der Tribun M. Dui-
lius der Gemeinde den Antrag vor , Conſuln mit Provoca-
tion an das Volk zu erwaͤhlen . Dies war kein geringer
conſtitutioneller Vortheil : hergeſtellt durch das Volk ,
war das Conſulat rechtmaͤßig ſeinen Beſchraͤnkungen un-
terworfen : hergeſtellt durch ein Geſetz ſtrenger Form waͤre
es , wie fruͤher , ſeinen Verfuͤgungen geſetzlich unerreich-
bar geweſen . Bis dahin war das Conſulat die Grund-
lage der Verfaſſung : jetzt wurden es Volkscomitien und
ihre Repraͤſentanten die Tribunen . Zwar erfuhr auch
dieſe neue Beſtimmung das Schickſal lange nur als ein in
der Wirklichkeit nicht guͤltiger Grundſatz da zu ſtehen ;
doch war es wie der feſtgeworfne Grund eines Damms
in der See , deſſen oberen Bau Fluthen vor ſeiner Vollen-
dung zerſtoͤrt haben , fuͤr die Zukunft nicht verlohren .
Kraft dieſes Geſetzes waren die , endlich erfolgvollen , An-
ſtrengungen ſpaͤterer Tribunen rechtmaͤßig , wodurch das
Conſulat zwiſchen beyden Staͤnden getheilt ward . Doch
war dieſes Plebiſcit kein Geſetz wodurch das Conſulat
dauernd als hoͤchſte Obrigkeit hergeſtellt ward , ſondern
nur ein Beſchluß daß ſie fuͤr dieſesmal in dieſer Form er-
nannt werden ſolle , wie nachher der Senat jaͤhrlich ver-
Zweiter Theil. K
ordnete ob Militartribunen oder Conſuln zu waͤhlen ſeyen .
Ein anderes ſagt , ohne vorgefaßte Meinung geleſen , auch
Livius Erzaͤhlung nicht .
Iſt es gegruͤndet daß die Conſuln erſt damals dieſen
Titel ihrer Wuͤrde empfingen , ſo ſcheint auch in einer
Bezeichnung welche die Vereinigung zweyer fuͤr die hoͤchſte
Wuͤrde , nicht Macht und Herrſchaft andeutet , eine Spur
gemilderter und veraͤnderter Gewalt ſichtbar zu ſeyn . Es
ſtand damals in der Macht des Volks ſich die Theil-
nahme am Conſulat zu geben , und die Nachkommen moͤ-
gen es ſeinen damaligen Haͤuptern oft vorgeworfen haben
daß ſie eine ſo einzige Gelegenheit entgehen ließen . Aber
veredelt wird die Revolution durch dieſe Maͤßigung ,
welche alles entfernte wodurch Verſoͤhnung und Beruhi-
gung geſtoͤrt werden konnten . Die Haͤupter des Volks
ſuchten nichts fuͤr ſich ; das Volk forderte nur Freyheit .
Eben daher entſtand zwiſchen ihnen und den beyden
Patriciern ihren Freunden jenes innige Band der
Liebe welches eine faſt einzige Erſcheinung in der Ge-
ſchichte iſt .
Waͤre auch den Plebejern das Recht zum Conſulat
gewonnen worden , bey der erſten Wahl wuͤrden doch
L. Valerius und M. Horatius die Einſtimmigkeit genoſſen
haben welche ſie zum Conſulat erhob . Eintraͤchtig im
Beſitz der Macht wie im Widerſtand gegen die Tyranney
gruͤndeten ſie die Freyheit auf Geſetze die entweder veral-
tet waren , oder fehlten . Dieſe Geſetze trugen ſie ſelbſt
in den Comitien der Centurien vor , und als ſie hier
angenommen waren , wagten es die Curien nicht ihre
Genehmigung zu verſagen Livius III. c. 55. und 59. Multi erant qui mollius
consultum dicerent quod legum ab iis latarum Patres
auctores fuissent . . Ein Vortrag bey den Cen-
turien , ohne vorhergehenden Senatsbeſchluß , ſcheint
nicht denkbar . Aber verweigert konnte dieſer nicht wer-
den , ſo wenig als die Ratification der allgemeinen Ver-
ſammlung der Geſchlechter . Die Patricier waren gede-
muͤthigt , voll Sorgen wegen der drohenden Anklagen uͤber
die noch ein duͤſtres Stillſchweigen herrſchte : jeder maß
ſeine Gefahr nach dem Bewußtſeyn ſeiner Schuld und
ſeines Haſſes : die Geſetze der Conſuln wurden ohne Wi-
derſpruch angenommen .
Das erſte aͤchtete jeden der die Ernennung einer Ma-
giſtratur ohne Provocation bewirken wuͤrde . Dies ſcheint
auch die Dictatur zu unterſagen : aber als die Zeit das
Bild der Gefahr geſchwaͤcht hatte , ſelbſt nachdem die De-
mokratie in der Verfaſſung ſchon vorherrſchend geworden
war , gebot anerkannte Nothwendigkeit gegen die ſich nicht
Buchſtab noch Kluͤgeln ſtraͤubte , dieſe Anwendung des Ge-
ſetzes ruhen zu laſſen .
Das zweyte erneuerte , unter Wiederhohlung des ur-
ſpruͤnglichen feyerlichen Eids , die fuͤrchterliche Strafdro-
hung gegen jeden der den Tribunen und ihren Aedilen
ſchade . Auch die Richter wurden jetzt unter dieſer Sanc-
tion begriffen , wahrſcheinlich die Quaͤſtoren : und mit ih-
nen die Decemvirn , worauf fruͤher als auf eine ſichtbare
Spur gedeutet iſt daß damals noch das Decemvirat als
die bleibende , nur durch Umſtaͤnde verſchobene Verfaſ-
K 2
ſung der Republik , anerkannt ward . Es bezeichnet ſpre-
chend die Veraͤnderung in dem Verhaͤltniß der Staͤnde
daß die plebejiſchen Magiſtrate hier vor den patriciſchen
genannt werden .
Derſelbe Geiſt entwarf das dritte Geſetz der Conſuln ,
daß die Verordnungen der plebejiſchen Gemeinde der Tri-
bus fuͤr alle Quiriten verbindlich ſeyn ſollten . Der eigent-
liche Sinn dieſes Geſetzes iſt keiner unbeſtrittenen Beſtim-
mung faͤhig . Es kam eine Zeit in der die Volksgemeinde
die Macht des Senats und der hoͤchſten Obrigkeiten will-
kuͤhrlich beſchraͤnkte , und , durch agrariſche Geſetze , das
Vermoͤgen der Adlichen verminderte Polybius VI. c. 16 . : damals waren
die Plebiſcite fuͤr jeden Roͤmer Geſetze , denen auch der
Senat durch keinen Widerſpruch den Gehorſam verwei-
gern konnte . Daß dieſe Machtfuͤlle der Volksgemeinde
durch das valeriſche Geſetz noch nicht begruͤndet war , da-
von zeugt die Geſchichte der Rogationen wodurch allmaͤh-
lich die Gleichheit des plebejiſchen Standes errungen
ward : die lange Dauer dieſes Kampfs und die lange
Folge von Schranken welche , ehe jenes Ziel erreicht
ward , weggeraͤumt werden mußten .
Drey Geſetze , dieſes valeriſche , das publiliſche ( 416 )
und das hortenſiſche ( 466 oder 467 ) haben im Lauf von
hundert und ſechszig Jahren mit den naͤmlichen Worten
die Geſetzkraft der Plebiſcite verordnet . Dies ſcheint
eine Erneuerung des urſpruͤnglichen durch ſtraͤfliche Nicht-
beobachtung veralteten Geſetzes : wie das valeriſche wider
willkuͤhrliche Leibesſtrafen wiederhohlt erneuert werden
mußte . Aber die ſichtbare Entwickelung der Verfaſſung ,
und der augenſcheinlich verſchiedene Charakter der Pie-
biſcite in ihren verſchiedenen Perioden , leiden dieſe Aus-
legung nicht : entweder hatten dieſelben Worte der drey
Geſetze in jedem einen ganz verſchiedenen Inhalt , oder
die Sorgloſigkeit der Geſchichtſchreiber hat ihren fluͤch-
tig gefaßten Sinn mit den Worten ausgedruͤckt die einem
von ihnen eigenthuͤmlich angemeſſen waren . Nichts iſt
unglaublicher als daß daſſelbe uͤber dieſen Gegenſtand
verordnet ſey , da die Plebejer noch ganz von dem Se-
nat und der Regierung ausgeſchloſſen waren , und da
das Uebergewicht ihres Standes ſchon ſo entſchieden
war daß die patriciſche Gemeinde geſchloſſen ward .
Ich wuͤrde geneigt ſeyn dieſes valeriſche Geſetz nur
fuͤr eine Beſtaͤtigung der duiliſchen Plebiſcite durch
Centurien und Curien zu halten , wenn nicht von nun
an die tribuniciſchen Rogationen einen viel ernſteren
Charakter gewoͤnnen . Sie gelten geſetzlich ſobald der
Senat ſie genehmigt hat , obwohl die Patricier auch da
noch den liciniſchen den Gehorfam verweigerten : und
eben daher ſcheint die Folgerung gerechtfertigt zu ſeyn ,
das ſey das Weſen der damaligen geſetzlichen Beſtim-
mung geweſen , was auch ihre Worte ſeyn mochten : —
ein Volksbeſchluß , vom Senat genehmigt , ſolle nicht gerin-
gere Kraft haben als ein foͤrmlich von beyden Gemein-
den angenommenes vom Senat vorgeſchlagenes Geſetz .
Dieſer , damals noch ganz patriciſch , vertrat hierin ſei-
nen geſammten Stand . Denn daß des Senats nicht
gedacht wird , beweißt keineswegs daß ein Volksbeſchluß
ſeine Einwilligung entbehren konnte : in den Verfaſſun-
gen des Alterthums , bis ſie in voͤllige Demokratie uͤber-
gingen , waren ein Senat und eine Volksgemeinde , oder
nach unſern Gewohnheiten zwey Kammern , unzertrenn-
lich , und ihre Mitwirkung zur Geſetzgebung und zu Be-
ſchluͤſſen der hoͤchſten Gewalt unerlaͤßlich Dieſes urſpruͤngliche Verhaͤltniß im Zeitalter der Ari-
ſtokratie iſt nach demjenigen nicht zu bezweifeln , welches
unter der Demokratie Grundregel war . Livius XXXVIII.
c. 36 . .
Viele Plebiſcite die in ewigem Andenken geblieben
ſind , waren die Folge dieſer Ordnung , welche die Ver-
ſammlung der Tribus dem Hauſe der Gemeinden gleich
ſtellte , waͤhrend Conſuln und Senat die koͤnigliche Ge-
walt und die einer ſchon ſinkenden Feudalariſtokratie
beſaßen . Die Ausuͤbung dieſer Macht war gegen die
Zeit da das publiliſche Geſetz beſchloſſen ward , ſo viel
haͤufiger und durch glaͤnzende Beyſpiele bezeichnet gewor-
den , daß hier wahrlich von keiner Erneuerung veralte-
ter Rechte die Rede ſeyn konnte . Sie ward fortgeſetzt
wie fruͤher ; jetzt aber werden auch Plebiſcite anderer
Art erwaͤhnt , von denen ſich fruͤher keine Spur findet .
Um den langſamen Gang der Beſchluͤſſe durch die Co-
mitien abzukuͤrzen , wurden Senatsbeſchluͤſſe den Tri-
bunen mitgetheilt , und auf ihren Antrag vom Volk ge-
nehmigt Livius VIII. c. 23. 29 . .
War nun dieſes , wie es mir ſehr glaublich ſcheint ,
durch die publiliſchen Geſetze eingefuͤhrt , welche den An-
theil der Curien an der Geſetzgebung vernichteten , und
alſo ihre Ausuͤbung durch die Plebejer in den Tribus
oder den Centurien gleichguͤltig machten ; ſo glaube ich
darf man es dem hortenſiſchen Geſetz zuſchreiben daß
die Tribus die hoͤchſte conſtituirende Gewalt ,
ganz unabhaͤngig vom Senat , annahmen , waͤhrend ſie
uͤber Beſchluͤſſe und Maaßregeln der Verwaltung
auf die Beurtheilung eines vorhergehenden Senatuscon-
ſults beſchraͤnkt blieben Siehe Note 149 . .
Es war weniger unbillig als es ſcheint auch die
Patrtcier Patricier den Volksbeſchluͤſſen zu unterwerfen , da die
Senatoren wenigſtens das Vorrecht hatten in der Volks-
gemeinde zu reden , wo die Plebejer außer den Tribunen
ſelbſt ſchwiegen : ein Vorrecht von ungleich groͤßerer Wich-
tigkeit als eine einzelne Stimme Livius III. c. 63. 71. VI. c. 40 . . Die Genehmigung
des Senats konnte ſtillſchweigend ertheilt werden , wie
die Einwilligung der Volkstribunen : und wie Conſuln ,
gegen das tribuniciſche Veto , ſich den Willen des Senats
genuͤgen ließen , ſo konnten ſie auch , gegen den Senat ,
den Willen des Volks ſich Geſetz oder Beſtaͤtigung ſeyn
laſſen Sine auctoritate Senatus , populi jussu , triumphatum
est . Livius III. c. 63 . .
Von denſelben Conſuln ward ferner , zu Erhaltung
der tribuniciſchen Aufſicht uͤber den Senat , verfuͤgt , daß
alle Senatusconſulte ſchriftlich den plebejiſchen Aedilen
uͤbergeben , und in ihrem Archiv bewahrt werden ſollten :
denn bis dahin waren dieſe Beſchluͤſſe durch die Conſuln
nicht ſelten verfaͤlſcht oder unterdruͤckt worden Livius III. c. 55 . . Ein
Verbrechen deſſen eigentlicher Zweck nur ſeyn konnte
die Tribunen zu hintergehen : gegen den Senat gerich-
tet waͤre es nicht ungeahndet geblieben . Im Entwurf
konnte ein Beſchluß ſehr harmlos lauten , und ohne Wi-
derſpruch der Tribunen durchgehen : die Verfaͤlſchung
ſtellte den beabſichtigten Sinn her . Die plebejiſchen
Aedilen wurden dadurch Archivare der Republik . Ih-
nen uͤbertrugen die Conſuln auch die Promulgation der
Decemviralgeſetze , die in zwoͤlf eherne Tafeln eingegraben
bleibend zu allgemeiner Kenntniß aufgeſtellt wurden Die elfenbeinernen Tafeln bey Pomponius l. 2. §. 4 .
de O. J. ſind merkwuͤrdig im Geiſt eines Zeitalters welches
ſich nichts wichtiges ohne Prunk und Koͤſtlichkeit des Mate-
rials denken kann . .
Nach den conſulariſchen Geſetzen ſchloß ein tribunici-
ſches , des M. Duilius , die große Geſetzgebung dieſes
Jahrs , wodurch Staͤupung und Enthauptung dem als
Strafe angedroht ward , der einen Magiſtrat ohne Pro-
vocation einſetzen , oder das Volk ohne Tribunen laſ-
ſen wuͤrde Nach Diodor XII. c. 25. der Scheiterhaufen . .
Als jetzt die Freyheit durch Geſetze ſicher begruͤndet
ſchien , die freylich erſt durch einen langen Kampf zu vol-
ler Kraft gediehen , begannen die Tribunen die Anklage
der einzelnen Decemvirn. L. Virginius Daß der Vater Virginiens , nicht einer ſeiner Angehoͤ- klagte Ap-
pius Claudius vor dem Volk an .
Der roͤmiſche Staat haͤtte in einer voͤlligen Zuͤgello-
ſigkeit aller Verbrechen untergehen muͤſſen , wenn die Be-
fugniß der Todesſtrafe durch Verbannung zu entgehen ,
alſo fuͤr den Ungebundnen voͤllig ſtraflos zu bleiben , ein
unverwirkbares Geburtsrecht aller Quiriten geweſen waͤre .
Aber Raͤuber und Moͤrder ſtarben zu Rom in jedem Zeit-
alter den Tod welchen die Geſetze ihren Verbrechen droh-
ten , ohne daß tribuniciſche Huͤlfe ſie vom Kerker rettete ,
wo ſie zum Gericht verwahrt wurden Jacere vinctum inter fures nocturnos et latrones . Li-
vius III. c. 58 . .
Auf dieſe Huͤlfe war die Befreyung des Roͤmers von
Kerker und Banden , und die freye Wahl gegruͤndet ob er
lieber als Buͤrger ſterben , oder als Verbannter leben
wollte . Denn die Macht der Obrigkeit verhaften zu laſſen
war nicht aufgehoben , ſondern der tribuniciſche Schutz
dem Buͤrger verliehen , damit ſie in einzelnen Faͤllen nicht
angewandt werde . Dieſer Schutz konnte aber keinem
Verbrecher zu Gute kommen welcher ſich am Leben oder
der Sicherheit eines Mitbuͤrgers vergangen hatte , und
deſſen That das Geſetz ausdruͤcklich mit dem Tode be-
ſtrafte , ſobald dieſe , und daß er ſie vollbracht , außer
Zweifel war . Das laͤßt ſich behaupten , weil das Gegen-
theil voͤllig widerſinnig geweſen waͤre .
Auf zwey Faͤlle beſchraͤnkt war jenes große Freyheits-
recht gefahrlos fuͤr die Republik wie fuͤr den Buͤrger wich-
rigen , der erſt erwaͤhlte Volkstribun war , daß man bey
Livius III. c. 54. L. nicht A. leſen muß , beweißt die Stelle
ſelbſt nicht weniger als die folgende Erzaͤhlung .
tiger als alle andre : in Staatsverbrechen , die oft nicht
moraliſch verdammlich waren , oder von einer Faction
grauſam verfolgt wurden : — und auch da rettete es M.
Manlius nicht , weil ihn die Tribunen verließen ; — und bey
Criminalfaͤllen wo der Angeklagte nicht als Thaͤter ergrif-
fen , oder das Verbrechen nicht als unter das Geſetz gehoͤ-
rend unzweifelhaft erwieſen war : denn auch hier ſollte die
moͤgliche Unſchuld der hoͤchſten Gunſt genießen . Es
ſcheint daß in Faͤllen dieſer Art der Klaͤger oder der Be-
klagte eine Sponſion anbieten konnte , jener um den tri-
buniciſchen Schutz aufzuheben : dieſer um ſich ihn zu
erwerben Außer dem Fall zwiſchen Virginius und Claudius
ſind noch zwey andre keiner Mißdeutung faͤhig . Der
erſte gegen Volſcius , wo Caͤſos Freunde ſich erboten den
Beweis zu fuͤhren , daß dieſer zu der Zeit wo er den Mord
veruͤbt haben ſolle gar nicht in der Stadt geweſen ſey , alſo
Volſcius ihn durch Verlaͤumdung in das Elend getrieben
habe : ni ita esset multi privatim ferebant Volscio judices .
Livius III. c. 24 . Der zweyte noch viel buͤndigere findet
ſich bey Valerius Maximus VI. c. 1. n. 10. wo die Tri-
bunen ihre Interceſſion verweigern , obgleich der Verhaf-
tete , sponsionem se facere paratum diceret quod adolescens
ille — quæstum factitavisset . Alſo infam geweſen ſey ,
und die Suͤnde , welche er nicht laͤugnete , nicht unter das
Geſetz falle . .
Alſo haͤtte Virginius den Patricier Appius Clau-
dius , obwohl berechtigt ihn wegen ſeiner Amtsfuͤhrung
vor dem Volksgericht anzuklagen , nicht verhaften laſſen
koͤnnen , wenn er ihm nicht die Sponſion angeboten
haͤtte , ob er wahrlich als Richter gegen den Beſitz der
Freyheit erkannt ; welches todeswuͤrdig war , indem es
die Perſon eines freyen Buͤrgers in die Knechtſchaft
brachte Livius III. c. 56. wo die Lesart zweifelhaft und dunkel
iſt : u. c. 57. Proinde , ut ille iterum ac sæpius provocet ,
sic se iterum atque sæpius judicem illi ferre , ni vindi-
cias ab libertate in servitutem dederit : si ad judicem non
eat pro damnato in vincula duci jubere . . Im Fall der Weigerung werde er ihn in
Ketten legen laſſen . Nahm Appius die Sponſion an ,
ſo entging er ebenfalls dem Kerker nicht , indem die
Thatſache des Verbrechens alsdann rechtlich entſchieden
war , und dem Gericht nur der Ausſpruch der Strafe
uͤbrig blieb . Alſo beantwortete er dieſe Aufforderung
nicht , ſondern rief die Huͤlfe der Tribunen an , die fuͤr
einen ſolchen Verbrecher nicht geſchaffen war , und
ſchweigend verweigert ward . Bis zu dem Gerichtstage
ward er in den Kerker geworfen den er ſcherzend das
Quartier der Plebejer zu nennen gewohnt geweſen war Livius a. a. O. Quod domicilium plebis Romanæ vo-
care sit solitus . Das iſt wohl ein alter patriciſcher Spaß ,
aus Zeiten in denen die Patricier von Standeswegen voͤl-
lig befreyt von Einkerkerung waren . ,
Ehe dieſer Tag kam ſuchte ſein Oheim C. Claudius die
Begnadigung des Schuldigen vom Volk zu erbitten ;
ſelbſt unverdaͤchtig der Mitſchuld , weil er , nachdem es
ihm fehlgeſchlagen war die Decemvirn zu bewegen ihre
Macht vor dem Senat niederzulegen , die Stadt ver-
laſſen und in der alten Heimath zu Regillus gelebt
hatte . Er und alle Claudier mit ihren Clienten miſch-
ten ſich in Trauerkleidern unter das Volk : aber ſie hat-
ten keine mildernden Entſchuldigungen vorzuſtellen . Die
Schande des Geſchlechts , daß ein Claudius unter Moͤr-
dern und Raͤubern im Kerker liege ; die Schmach fuͤr
die Republik ſelbſt daß der welcher vor kurzem ihr Haupt
war dies erfahren muͤſſe , ſolche Gruͤnde wurden uͤber-
wogen von des Vaters Erinnerungen an ſeine Trauer ,
an der Tochter Schickſal , an die Zertretung der Frey-
heit aller . Appius blieb im Kerker , und ſtarb , wahr-
ſcheinlich freywillig , ehe der Gerichtstag eintrat , den
die Tribunen ſchonend lange genug verſchoben hatten
um den Entſchluß und die Ausfuͤhrung zu beguͤnſtigen .
Der zweyte Angeklagte war ſein unmittelbarer Mit-
ſchuldiger , der Plebejer Sp. Oppius , welcher mit ihm
die Stadt verwaltete und zur Zeit des Urtheils gegen
Virginia dort anweſend war : Umſtaͤnde welche es mir
glaublich machen daß Standeshaß Verbrechen allgemei-
ner Leidenſchaften ungerecht ausſchließlich der patriciſchen
Tyranney zugeſchrieben hat . Dieſer ward auf das Zeug-
niß eines alten Soldaten verurtheilt , den der Tyrann
nach ſieben und zwanzig Feldzuͤgen ohne auch nur einen
Vorwand anfuͤhren zu koͤnnen hatte ſtaͤupen laſſen . Auch
er endigte ſein Leben mit eigner Hand im Kerker . Die
uͤbrigen verbannten ſich ehe eine beſtimmte Anklage ge-
gen ſie erhoben war : ihr Vermoͤgen ward eingezogen
wie das der beyden Verurtheilten .
Nach der Beſtrafung der Tyrannen ſchien gleiche
Gefahr uͤber ihren Mitſchuldigen zu ſchweben : und es
fehlte nicht an erbitterten Anklaͤgern gegen einen großen
Theil des Senats . Dieſe entfernte M. Duilius durch
die Erklaͤrung er werde keine weitere Anklage und keine
Verhaftung wegen politiſcher Vergehungen unter der
Herrſchaft der Decemvirn geſtatten . So große Maͤßi-
gung haͤtte Eintracht herſtellen ſollen ; aber kaum waren
die Patricier frey von Furcht , als ſie Rache dafuͤr ſuch-
ten gefuͤrchtet zu haben .
Die Conſuln kehrten mit ſeltnem Glanz aus dem
Felde zuruͤck : die Liebe des Volks hatte ihnen ein zahlrei-
cheres Heer verſchafft als ihre Macht ſie aufzubieten be-
rechtigte , und ein beſſeres ; denn alles folgte freywillig ,
auch die alten Krieger deren Jahre ſie vom Dienſt losſpra-
chen . Derſelbe Eifer erwarb ihnen große Siege : die
Soldaten kaͤmpften aus aͤußerſten Kraͤften um ihren Lieb-
lingen und Wohlthaͤtern herrliche Triumphe zu erringen .
Fuͤr die Siege zweyer abgeſonderter Heere , deren eines
die Sabiner ſo uͤberwunden hatte daß ſie waͤhrend
165 Jahren nie wieder die Waffen gegen Rom nahmen ,
beſchloß der Senat nur einen Feſttag : das Volk ließ ſich
nicht verwehren einen zweyten , wie es ſich gebuͤhrt haͤtte
zu verordnen , mit Dankſagungen in allen Tempeln zu
feyern . Die Heere kamen zuruͤck , und die Conſuln ent-
boten , um uͤber den Feldzug zu berichten , und den
Triumph zu begehren , nach der Sitte den Senat aus
der Stadt . Dieſer aͤußerte den ſchaͤndlichen Verdacht ,
es ſey die Abſicht ſie von den Soldaten ermorden zu laſ-
ſen . Die Conſuln verließen die Armee , und beriefen den
Senat auf den Aventinus : außerhalb der Stadt , wie
das Herkommen es forderte , da ſie ohne den Feldherrnbe-
fehl niederzulegen und dem Triumph zu entſagen , nicht
innerhalb der Mauern kommen konnten : aber getrennt
von dem gefuͤrchteten Heer . Jetzt ward ihnen der
Triumph mit großer Bitterkeit verſagt : er gebuͤhre ſol-
chen Verraͤthern nicht . Das Volk wandte ſeine neuen
Vorrechte zuerſt an , um ſeinen Freunden dankbar zu ſeyn .
L. Icilius trug vor den Tribus an daß ſie den Triumph
zuerkennen ſollten . Selbſt bis in die Volksgemeinde ſetzten
die Patricier den Widerſtand fort : ohne Scheu und ohne
Klugheit die ihnen ſchimpflichen friſchen Wunden aufreiſ-
ſend , welche die Haͤupter des Volks ſchonend geſchloſſen
hatten . Mit angeblichem Unwillen uͤber vermeſſene Ein-
griffe in unverbruͤchliche Vorrechte des Senats waren
Schmaͤhungen vermiſcht : der Sieg deſſen Feyer man den
Conſuln zu verleihen trachte waͤre uͤber die Patricier nicht
uͤber die aͤußeren Feinde gewonnen . Die Einſtimmigkeit
des Volks blieb ungeſtoͤrt , und die Conſuln fuͤhlten ſich
befugt nach dieſem Ausſpruch zu triumphiren .
Mit Sorge ſah jetzt das Volk das Ende dieſes Con-
ſulats herannahen . Die Feindſchaft der Patricier war
ſeit der Revolution mehr erbittert als beſaͤnftigt , und die
Geſetze ſchienen ſich nur unter dem Schutz ihrer Urheber
befeſtigen zu koͤnnen . Man wollte die Conſuln und die
Tribunen wieder erwaͤhlen : neun unter dieſen waren fuͤr
beydes entſchloſſen . Aus dem ganzen Collegium wider-
ſetzte ſich allein M. Duilius , dem der Vorſitz der Wahl
zugefallen war , entweder aus ſehr hoher Strenge der
Grundſaͤtze , oder der gemeinſchaftlichen Sache untreu .
Unbezweifelt iſt die Reinheit der Geſinnungen welche die
Erklaͤrung der Conſuln eingab : ſie wuͤrden keine Stim-
men fuͤr ſich annehmen . Fuͤr ſie , denen ihre Feinde vor-
geworfen haben wuͤrden , ſie ahmten den von ihnen ver-
ſchrieenen Decemvirn nach , waͤre es ein zu großes Opfer
geweſen die Sicherung der Rechte des Volks fuͤr ein Jahr
laͤnger durch Laͤſterung ihres Rufs zu erkaufen . Es war
nur eine ſo kurze Friſt , denn wenn auch immer einmal
ihre Gewalt in andre Haͤnde uͤberging ſo konnte ſie nur
in feindſelige kommen , da der ganze Senat von einem
Geiſt durchdrungen war : ſie ſelbſt waren eine wohlthaͤ-
tige Erſcheinung die wenn ſie auch laͤnger verweilte
doch endlich ſcheiden mußte . Auch war es gewiß daß
die Patricier , ſchon durch den Vorwand des Beſchluſ-
ſes gegen die Wiedererwaͤhlungen geruͤſtet , ihrer Ernen-
nung die Beſtaͤtigung verſagen , und ſie genoͤthigt ſeyn
wuͤrden entweder ſchmaͤhlich abzutreten , oder ihre Wahl
mit Gewalt und mit dem gehaͤſſigſten Schein zu be-
haupten . Sie mußten zuruͤcktreten , und das Volk ſeiner
eignen Entſchloſſenheit anvertrauen . Sie ſchieden , mit
der Ueberzeugung nie wieder zum Conſulat zu gelan-
gen ; denn wie oft und wie zahlreich ſie auch bey ſpaͤ-
teren Wahlen die Stimmen des Volks gehabt haben
muͤſſen , kein vorſitzender Conſul hat Stimmen fuͤr Maͤnner
angenommen , die ihr ganzer Stand Verraͤther nannte .
Das Horatiſche Geſchlecht erliſcht in der Geſchichte
zwey Menſchenalter nach dem Sieger der Sabiner . Das
Valeriſche uͤberlebte mit dem Corneliſchen alle andre pa-
triciſche der Republik : es glaͤnzte noch , freylich nicht
mehr in den entwuͤrdigten Faſten , bis in ein Zeitalter
welches nicht zu uͤberleben auch eine Wohlthat des Schick-
ſals war .
Der Vater des Praͤfecten Symmachus nennt unter
den Erſten des Senats auf deren Freundſchaft er ſtolz
war , den Valerius Proculus , wuͤrdig der alten Publi-
cola , alſo daß die Groͤße ſeiner Ahnen ihn nicht druͤcke ,
und preiſet ſeine Wahrheitsliebe und Rechtſchaffenheit Symmachus Epist. I. 2 . .
Ein lobenswerther Mann aus dem Schutt der letzten
Zeit Derſelbe I. 4. war freylich aufs beſte ein dunkles Bild ſeiner
Vorfahren , doch eigenthuͤmliche , von den aͤußern Um-
ſtaͤnden die eine ganze Nation heben oder niederdruͤcken
unabhaͤngige , Entartung hatte dies Geſchlecht nicht ge-
troffen . Vergeltungen des Stolzes , eben wie veruͤbtes
Unrechts , treffen ſicher wenigſtens die ſpaͤten Nachkom-
men , obwohl faſt immer mit einem neuen Unrecht , dem
einſt auch ſeine Ahndung folgt . So ward , um dies bey-
laͤufig zu ſagen , der Adelſtolz der alten Patricier dadurch
vergolten , daß , wie jene verſificirte Schilderung geprie-
ſener Zeitgenoſſen zeigt aus der wir dieſen Valerius ken-
nen , die plebejiſche Nobilitaͤt der praͤneſtiniſchen Anicier
von den Magnaten des theodoſiſchen Zeitalters fuͤr einen
vornehmeren Adel gerechnet ward als das mehr denn tau-
ſendjaͤhrige Patriciat der Valerier und Cornelier . Doch
konnten jene auch nicht einen unter den ihrigen nennen
der dem geringſten unter den großen Maͤnnern dieſer Ge-
ſchlechter zu vergleichen geweſen waͤre : es war ihr uner-
meßlicher
meßlicher Reichthum , und der Beſitz weſenloſer hoher
Aemter unter den Kaiſern des verfallenden Reichs , wo-
durch ſie die erſten in der Meinung waren . Das Reich
ging unter , die Eroberer theilten ſich die Guͤter : was von
einheimiſchem Adel die Vertilgung der Senatoren uͤberlebt
hatte , waͤren es auch Anicier geweſen , verlohr , als ſich
die Feudalitaͤt Roms bemeiſterte , arm und vernichtet ſo-
gar das Andenken ſeines Standes ; barbariſcher Ur-
ſprung machte den roͤmiſchen Adel des Mittelalters .
So lange die Republik beſtand , vorzuͤglich ſo lange
das Volk in ſeinen Rechten Schutz bedurfte , ſind ihm die
Valerier nie untreu geworden . Wenn plebejiſche Mili-
tartribunen , wenn nach gewaltſamer Unterbrechung des
Liciniſchen Geſetzes zuerſt aufs neue ein plebejiſcher Con-
ſul ernannt ward , war faſt immer ein Valerius unter der
Magiſtratur des vorigen Jahrs , alſo daß man annehmen
kann ihm ſey der Vorſitz bey der Wahl zugefallen geweſen ,
und er habe dieſen zur Ausfuͤhrung der Geſetze angewandt .
Beſonders aber betrachtete dieſes Geſchlecht als ſein Erb-
amt die Geſetze zu erneuern und lebendig zu erhalten ,
welche uͤber die perſoͤnliche Unverletzlichkeit der Buͤrger
wachten Die Revolution wodurch das Decemvirat geſtuͤrzt ward ,
faͤllt in den December 305 : es kann nicht bezweifelt wer-
den daß L. Valerius und M. Horatius das Conſulat an den
Iden dieſes Monats antraten , wie es Regel war bis zum
Jahr 335 ( Livius V. c. 11. ) . Daher auch daß der geſetz-
liche Tag fuͤr den Anfang des Tribunats der vierte vor
den Iden war ; welches nicht auf die erſte Einſetzung ſon-
dern auf dieſe Erneuerung bezogen werden muß . Jenes .
Zweiter Theil. L
Innere Geſchichte bis auf den vejen-
tiſchen Krieg .
Eine ungluͤckliche Folge entſtand aus dem Entſchluß
des Tribunen M. Duilius die Wiedererwaͤhlung des
Collegiums zu hindern , welche fruͤher oft und bitter vom
Senat getadelt war , und jetzt um ſo gehaͤſſiger gedeutet
worden waͤre da der Partheygroll keinen Unterſchied
zwiſchen freywilliger Wiedererwaͤhlung und der Decem-
thut Dionyſius ( VI. c. 89. ) , daher verlaͤngert er die Zeit
der erſten Seceſſion in das Unglaubliche .
Hier ſcheiden ſich die catoniſchen Faſten von den varro-
niſchen , weil jene das letzte Jahr der Decemvirn und das
erſte hergeſtellte Conſulat unterſcheiden , dieſe ſie unter der
Zahl 306 vermengen . Ich hatte anfangs , aus vieljaͤhriger
Gewoͤhnung , den Gebrauch der letzten beybehalten , und
waͤhrend des vierten Jahrhunderts wuͤrde der Unterſchied
unbedeutend ſeyn : ganz anders aber iſt es im fuͤnften , wo
die eingeſchobenen Dictaturen fuͤr den der eine fortlau-
fende Geſchichte ſchreibt , den Gebrauch dieſer Faſten un-
moͤglich machen . Daher habe ich mich entſchließen muͤſſen
ihnen zu entſagen : und dies obwohl ich in der regelmaͤßi-
gen Folge der Saͤcularfeſte nach den varroniſchen , nicht nach
den catoniſchen , Faſten einen ſichern Beweis ſehe daß die
Geſammtzahl der Jahre in jenen , nicht in dieſen richtig
iſt . Eben in den ſaͤculariſchen Perioden muß Varro die
Veranlaſſung zu ſeiner Abweichung gefunden haben : Cato
hat die Jahre vernachlaͤſſigt welche durch Interregnen , ver-
laͤngerte Magiſtraturen , u. ſ. w. verlohren gegangen waren :
aber dieſe laſſen ſich nicht einſchieben , und Varro hatte es ,
wie von ihm zu erwarten war , hoͤchſt ungluͤcklich gethan .
virn eigenmaͤchtiger Verlaͤngerung ihrer Magiſtratur ge-
macht haben wuͤrde . Zum denkwuͤrdigen Beyſpiel daß ,
wenn wir es uns und andern im allgemeinen ſchuldig ſind
boͤſen Schein zu vermeiden , zu große Aengſtlichkeit ihn
zu fliehen viel Boͤſes anrichten kann . Das Volk war ſo
entſchloſſen die Tribunen wieder zu erwaͤhlen daß nur fuͤnf
andre Candidaten , und dieſe , mit Ausnahme eines einzi-
gen , Creaturen des Senats , nicht entſchieden verworfen
wurden . Duilius ſchloß die Wahl , welche in einem ein-
zigen Tage vollendet ſeyn mußte , mit der Erklaͤrung , es
ſey ſeinem Geſetze genuͤgt , indem das Collegium nicht
abtrete ohne Nachfolger zu hinterlaſſen ; und er fand ent-
weder einen Ausweg ihrer Unvollzaͤhligkeit abzuhelfen ,
oder er ſchlug ihn vor Je nachdem man bey Livius III. c. 64. lieſt : ab iis qui
creati essent , cooptari collegas jube ret oder jube bat : aber
die letzte Lesart ſcheint mir nothwendig . . Die erwaͤhlten ſollten die geſetz-
liche Zahl von zehn Tribunen durch Cooptation ergaͤnzen ,
und die cooptirten gleich rechtmaͤßig wie die unmittelbar
gewaͤhlten ernannt ſeyn . Vielleicht , wenn wir ſein Ver-
fahren guͤnſtig ausdeuten koͤnnen , wollte er eben dadurch
die Ehrſucht ſeiner Nachfolger vereiteln , indem nach ſol-
chem Beyſpiel zu erwarten war , das Volk werde lieber
neue Tribunen waͤhlen , als in die Gefahr gerathen durch
ſolche die es nicht erwaͤhlt repraͤſentirt zu werden .
Zufolge der Vereinigung beyder Staͤnde in den Tri-
bus cooptirten die Tribunen auch zwey Patricier , welche
nach dem Geiſt der plebejiſchen Magiſtratur wenigſtens ſo
lange als die Patricier noch ausſchließlich den Beſitz der
L 2
Regierung behaupteten , ihrer unfaͤhig waren . Der ein-
zige unabhaͤngige Tribun L. Trebonius , welcher dieſes
argliſtige Verfahren nicht zu hindern vermochte , wehrte
ihm doch fuͤr die Zukunft durch das Geſetz , daß die
Wahl der Tribunen fortgeſetzt werden muͤſſe bis die ge-
ſetzliche Zahl der Zehn vollſtaͤndig ſey : und ſo ergaͤnzte ſich
Roms Geſetzgebung beſtaͤndig durch Wachſamkeit auf je-
den Vorfall welcher Maͤngel enthuͤllte .
Es fehlte viel daß die Gemuͤther verſoͤhnt und beru-
higt geweſen waͤren . Nur allmaͤhlig befeſtigte ſich der
erſte und unmittelbare Vortheil der Decemviralgeſetzge-
bung , gleiche Sicherheit fuͤr alle , und daher gleiche
Scheu andre zu verletzen : denn die Anwendung der Ge-
ſetze war im ausſchließenden Beſitz des einen Standes .
Das Volk litt unaufhoͤrlich von frevelhaften Mißhand-
lungen der jungen Patricier Der Senat und die Senatoren hatten ihren Nahmen
ohne Zweifel nicht ſo ohne Ruͤckſicht auf des Worts Bedeu-
tung als untrr der Kaiſer Herrſchaft . Wie das fuͤnf und
vierzigſte Jahr unter den uͤbrigen Buͤrgern die juͤngeren von
den aͤlteren ſchied , ſo auch ohne Zweifel bey den Patriciern :
und dies waͤre der Unterſchied zwiſchen den juniores patrum
( Livius III. c. 50. 65. ) und den seniores ( daſ. c. 63. 65. ) .
Es ſcheint glaublich daß der Senat ausſchließlich aus den
letzten berufen ward , ſicher enthielt er nicht alle : die juͤnge-
ren alſo waren nichtſenatoriſche Patricier . : die Thaͤter wurden von
den Senatoren in Schutz genommen , und die Unmoͤglich-
keit vor dem Tribunal Recht zu erhalten , veranlaßte tri-
buniciſche Anklagen Livius III. c. 65. 66 . . Das erzaͤhlt Livius , und mit
unbegreiflichem Leichtſinn leiht derſelbe unmittelbar nach-
her dem Conſul T. Quinctius Capitolinus eine Rede
welche das Mißvergnuͤgen des Volks ſtraft , ja er redet
von der Beſchaͤmung und der Reue des Volks bey dieſen
Vorwuͤrfen .
Indeſſen regte ſich doch ſtets die Entwicklung der
roͤmiſchen Freyheit . Im 63ſten Jahr nach Verbannung
der Koͤnige , dem Jahr der Stadt 307 , wurden , nach
Tacitus , zuerſt die Quaͤſtoren vom Volk erwaͤhlt . Von
dieſer Veraͤnderung iſt ſchon geredet Siehe oben Th. II. S. 113. 114. , und ſie iſt dahin
erklaͤrt geworden , daß wahrſcheinlich damals die Blut-
richter , bisher von den Curien allein erwaͤhlt , von nun
an als Nationalmagiſtratur , durch die Centurien ernannt
wurden , und die Aufſicht uͤber den Schatz mit ihrem
Richteramt vereinigt iſt , bis dieſe ſich voͤllig fremdar-
tigen Geſchaͤfte aufs neue in dem Vergleich uͤber die lici-
niſchen Rogationen getrennt wurden .
Eine andre , dieſer voͤllig widerſprechende Notiz ,
welche die Volkswahl der Quaͤſtoren , als Schatzmeiſter ,
bis in Publicolas erſtes Conſulat hinaufruͤckt Plutarch Public. p. 103. D . , ſcheint ,
wie die Erzaͤhlung daß er den Senat durch Plebejer er-
gaͤnzt , auf ihn zu uͤbertragen was von Brutus im Anden-
ken war , und eine Entſtellung der geſetzlichen Beſtaͤtigung
der Blutrichter Tacitus a. a. O. Siehe oben Th. II. S. 15 . unter den erſten Conſuln zu ſeyn : der
quaͤſtoriſche Nahme verſtanden , wie ihn ein lateiniſcher
Rhetor gegen das Ende des ſiebenten Jahrhunderts faßte .
Die erſten Quaͤſtoren waren L. Valerius Potitus
und Mam . Aemilius . Nach der ſpaͤteren Stufenfolge
der hohen Aemter wuͤrde man in jenem einen Sohn des
Conſuls zu ſehen glauben ; aber noch vergingen mehr als
zwey Jahrhunderte ehe es fuͤr ungeziemend gehalten ward ,
die geringeren Aemter nach der hoͤchſten Magiſtratur
und jene mehr als einmal zu bekleiden : und es iſt viel
glaublicher , daß das Volk , dem es nicht geſtattet ward
Valerius mit einem zweyten Conſulat zu ehren , ihm
durch dieſe Ernennung Anhaͤnglichkeit und Vertrauen
zeigte . Auch ſein College , der Dictator des Jahrs 321 ,
gehoͤrt zu den ſeltneren Maͤnnern jener Zeit . Anfangs ,
und ſo lange nur zwey Quaͤſtoren erwaͤhlt wurden , war
dieſe Magiſtratur ausſchließlich den Patriciern vorbehalten .
Es war eine Folge der Kaſteneintheilung Livius IV. c. 1. Contaminari sanguinem suum Patres ,
confundique jura gentium rebantur . c. 2. Colluvionem gen-
tium , perturbationem auspiciorum publicorum privato-
rumque afferre . und des
verſchiedenen Nationalurſprungs welche Patricier und
Plebejer ſchieden , daß zwiſchen beyden Staͤnden keine guͤl-
tigen Ehen geſchloſſen werden konnten : oder nach dem
Ausdruck des alten Rechts , daß kein Connubium zwi-
ſchen ihnen beſtand . Nur durch dieſes traten die Kin-
der in den Stand des Vaters Livius IV. c 4. Quid juris tandem mutatur ? Nempe
patrem sequuntur liberi . Ulpian tit. 5. §. 8. Connubio
interveniente , liberi semper patrem sequuntur : non inter-
veniente connubio matris conditioni accedunt . , und genoſſen Erb-
recht , welches einer außer den Graͤnzen dieſes Rechts
geſchloſſenen Ehe verſagt war Livius IV. c. 3. connubium quod finitimis externisque
dari solet . . Es war nicht auf
die Buͤrger eingeſchraͤnkt : es ward durch Vertraͤge auch
mit andern Voͤlkern errichtet Feſtus s. v. Numerius . : ſchon fruͤher verhei-
ratheten ſich roͤmiſche Patricier mit den Toͤchtern ſam-
nitiſcher Edeln Ich verdanke Savigny die einleuchtende Bemerkung daß
aus Gewiſſensehen die , ungeachtet des abmahnenden Ge-
ſetzes , doch ohne Zweifel geſchloſſen wurden , die plebeji-
ſchen Familien patriciſcher Geſchlechter entſtanden ſeyn muͤſ-
ſen , indem der Sohn in den Stand der Mutter trat . Hin-
gegen , wenn vor dem Canulejiſchen Geſetz eine Patricierin
ſich einem Plebejer verheirathete , blieb ihr Kind plebejiſch ,
weil jeder Patricier einem beſtimmten Geſchlecht ſeines Stan-
des angehoͤren mußte . Wie noch ſpaͤter das Kind eines Frem-
den und einer Buͤrgerin fremd war . .
Von den Etruskern iſt es nicht zu bezweifeln , daß
die roͤmiſchen Geſchlechter , wenn ſie auch der Nation
ſchon fremd geworden waren , durch Verheirathung mit
ihren Lucumonen , in deren Unterricht die Wiſſenſchaft
der Auſpicien als aus ihrer Quelle bewahrt ward , dieſe
Gabe durch Verwirrung des Bluts zu ſtoͤren nicht vor-
geben konnten . Daß der ſabelliſche Adel ebenfalls eine
Prieſterkaſte war , folgt daraus daß mit ihm ein Con-
nubium beſtehen konnte , welches allerdings noch einen
geſetzlichen Staatsvertrag vorausſetzt . Aber die Schei-
dung der Kaſten war im Abendlande nicht unverletzlich ,
der religioͤſe Vorwand kein Glaube : Roms aͤltere Ge-
ſchichte nannte einen Koͤnig der , von einer Magd ge-
boren , dennoch nicht ungluͤcklichere Auſpicien gehabt
hatte als die wenigen welche einem patriciſchen Stamm
angehoͤrten . Auch forderten die Plebejer die Aufhebung
des Geſetzes nur als Wegnahme einer Schmach , und
ſie erinnerten die Patricier , es bleibe ganz in ihrer
Macht ſolche Ehen zu vermeiden , wenn ihr Glaube ſie
verboͤte . Das canulejiſche Geſetz uͤber das Connubium
beyder Staͤnde ward angenommen ( 310 ) . Allmaͤhlich
verſchwand nun ihre bisherige Entfernung ; die perſoͤn-
lichen Verbindungen der einzelnen milderten den Zwiſt
der Staͤnde denen ſie angehoͤrten : der Hochmuth und
die Mißhandlungen der jungen Patricier hoͤrten auf :
Familienverhaͤltniſſe verſchafften den Plebejern Aufnahme
in den Senat , und in demſelben fuͤr ihre Forderungen
Freunde unter den Patriciern ſelbſt , welche nicht wenig
zu ihrer endlichen Bewilligung mitwuͤrkten .
Zu gleicher Zeit hatten neun Tribunen die Roga-
tion bekannt gemacht : daß es der Nation freyſtehen
ſolle , nach ihrem Gefallen plebejiſche oder patriciſche
Conſuln zu erwaͤhlen . Je maͤchtiger die Plebiſcite durch
das valeriſche Geſetz waren , um ſo heftiger ſtrebte der
herrſchende Stand die Annahme der Rogation durch die
gewoͤhnlichen Mittel zu hindern , indem die Conſuln das
Volk von der Gemeindeverſammlung zur Aushebung
abriefen . Als aber die Tribunen ſich dadurch nicht ſtoͤ-
ren ließen , ſchwankten die Patricier zwiſchen einem
wuͤthenden Entſchluß , und taͤuſchender Nachgiebigkeit
um Zeit zu gewinnen . In Verſammlungen der Haͤup-
ter des Standes von denen unter allen Conſularen nur
Valerius und Horatius ausgeſchloſſen wurden , trug C.
Claudius auf den Mord der Tribunen an : ein Vorſchlag
den Cincinnatus mit Unwillen verwarf . Auch die Mehr-
heit ſcheute das graͤßliche Unternehmen ; und da den
Plebejern die Form gleichguͤltig war , verglichen ſich
beyde Staͤnde daß die hoͤchſte Gewalt nicht mehr von
zwey Conſuln , ſondern von ſechs Militartribunen , drey
Patriciern und eben ſo vielen Plebejern , ausgeuͤbt wer-
den ſolle Dionyſius XI. c. 56. 60. Zonaras VII. c. 19. Livius
laͤßt die Zahl unbeſtimmt , und nimmt an die Stellen waͤ-
ren nicht getheilt , ſondern beyden Staͤnden ohne Unterſchied
offen geweſen , welches als urſpruͤngliche Anordnung weit
unwahrſcheinlicher iſt als der abweichende Bericht . . Doch ſcheint es kaum glaublich daß die
Plebejer ſich ſchon ſtark genug gefuͤhlt haͤtten , Anſpruch
auf Theilnahme an des Conſulats koͤniglichem Glanz
zu machen . Wahrſcheinlicher war es ein Vergleich fuͤr
die Nichternennung des Decemvirats und die Herſtel-
lung des Volkstribunats , ſo daß hier der geſammte
Ritterſtand , nach den ſechs Centurien Koͤnig Tarquinius
des Alten , repraͤſentirt ward : folglich von dem plebeji-
ſchen Stande die Ritter , anſtatt aller ſteuerpflichtigen
Buͤrger wenn fuͤr jede Klaſſe ein Plebejer im decemvi-
raliſchen Collegium Sitz nahm .
Ich bin in den fruͤheren Zeiten dieſer Geſchichte
der herkoͤmmlichen einſtimmigen Meinung gefolgt , es
habe unter den Koͤnigen die Magiſtratur eines Tribuns
der Celeres beſtanden , welcher dem Oberſten der Rit-
ter unter den Dictatoren verglichen wird . Aber wenn
jede Tribus , oder Centurie von hundert Geſchlechtern ,
einen Tribun zum Vorſteher hatte Dionyſius II. c. 7. ; wenn die Rit-
ter damals Celeres genannt und die Tribus des alten
Tarquinius in ihrer Ordnung den urſpruͤnglichen gleich-
geſtellt wurden Feſtus Sex Vestæ sacerdotes . ; ſo muß man annehmen es habe
ſechs Tribunen der Celeres gegeben : auch gedenkt Dio-
nyſius ihrer wirklich in der Mehrzahl unter den Prie-
ſtercollegien , wie der Curionen Dionyſius II. c. 64 . . So iſt es auch
nicht auffallend daß Brutus , obwohl Plebejer , Tribun
der Celeres war : und wie ſich dieſe Einrichtung , nach
dem Geiſt der roͤmiſchen Revolution , auch in die Re-
publik hinuͤber erhalten mußte , ſcheint ſie hier in der
Form des Militartribunats wieder hervorzutreten .
Sechs Militartribunen war die Zahl der Oberoffi-
ciere in einer Legion , als dem urſpruͤnglichen Maaß
eines roͤmiſchen Heers . So viele zu ernennen ward
dem Volk im Jahr 393 eingeraͤumt Livius VII. c. 5. : wobey es
wohl ſehr zweifelhaft iſt , ob es nicht fuͤr eine bloße
eingeſchobene Meinung gelten muß daß ſie bis dahin
von den Conſuln ernannt waͤren , ob ſie nicht vielmehr
bis zu dieſem Zeitpunkt allgemeiner Freyheit jeder von
einer der alten Centurien erwaͤhlt wurden . Fuͤr vier
Legionen erwaͤhlte das Volk in Polybius Zeit vier und
zwanzig Polybius VI. c. 19 . — eine gleiche Zahl fuͤr die einzelne . Dies
bildet , nach der alten Einrichtung der Legion welche
weiter unten entwickelt werden wird , ſechs Cohorten , jede
von ſechshundert Mann , dergleichen Dionyſius zwanzig
Jahr vor dieſer Veraͤnderung erwaͤhnt Dionyſius IX. c. 71 . .
Sechs , nach jener urſpruͤnglichen Beſtimmung , war
freylich die Zahl der ernannten conſulariſchen Militartri-
bune erſt von dem Jahr 350 , und blieb es , bis das Con-
ſulat bleibend als Form der hoͤchſten Gewalt feſtgeſetzt
ward : anfaͤnglich drey , und dann gewoͤhnlicher vier . Es
iſt erwieſen ein Irrthum daß Livius , verleitet durch nach-
laͤßig geſchriebene Faſten , im Jahr 352 acht Nahmen
nennt Livius V. c. 1. Onuphrius Panvinius im Commentar
uͤber ſeine Faſten J. 350 Cap. Aera . : dennoch bezweifle ich nicht daß eine Zeitlang
das tribuniciſche Collegium auf dieſe Zahl geſetzlich be-
ſtimmt geweſen iſt . Wie werthlos auch die Gelehrſamkeit
des Kaiſers Claudius in ſeinem geſtoͤrten Gemuͤth war , ſo
unſchaͤtzbare Notizen mußte doch der Herrſcher Roms be-
ſitzen da ihn gelehrte Liebhaberey trieb rare Nachrichten
aus alten Zeiten zu ſammeln : daß er es that , laͤßt nicht
nur der Titel ſeiner tyrrheniſchen Geſchichte ſchließen , es
iſt durch die Fragmente ſeiner Rede uͤber die Civitaͤt Gal-
liens erwieſen . In dieſen gedenkt er , unter den Umbil-
dungen der Verfaſſung , der Militartribunen mit conſula-
riſcher Gewalt , deren Zahl auf ſechs , oft acht , beſtimmt
geweſen waͤre Claudius Rede , erſte Tafel : Quid ( nunc commemo- .
Dem widerſtreitet gar nicht daß ſie in dieſer Zahl nie
in den Faſten vorkommen : vielmehr , wie die Ernennung
von dreyen auf ſechs , ſo deutet die von vieren auf ein
vollzaͤhliges Collegium von acht Tribunen . Es uͤbte naͤm-
lich der bey einer Wahl vorſitzende Magiſtrat , zuverlaͤßig
von jener Zeit her als den Centurien nur uͤber die vom Se-
nat vorgeſchlagenen Candidaten zu ſtimmen erlaubt war ,
ein Vorrecht aus fuͤr die deren Wahl er nicht geſtatten
wollte , keine Stimmen anzunehmen Rationem eorum non habebat , oder , ſeit dem liciniſchen
Geſetz , de plebe consulem non accipiebat . Livius IV. c. 6.
Cicero Brut. c. 14. Siehe von ſolchem Verfahren eben
dieſe Stelle Ciceros , und Livius VII. c. 17. 18. u. a. O. . Dieſe Macht
blieb wenigſtens bis in ſpaͤte Zeiten , als die urſpruͤngliche
Veranlaſſung laͤngſt in jeder Spur verſchwunden war :
und ſie iſt ſicher oft heilſam geweſen , indem ſie gefaͤhrliche
Menſchen von der hoͤchſten Gewalt entfernte welche ſich
die Stimmen des Volks verſchafft haben wuͤrden . Aber
ſie bot ſich tyranniſchem Mißbrauch dar , weil die einzige
moͤgliche Hemmung , durch perſoͤnliche Ahndung einer em-
pfangenen Beleidigung , nach den Sitten des Alterthums
nicht Statt fand .
Kraft dieſes Vorrechts konnte der vorſitzende Magi-
ſtrat plebejiſche Candidaten gaͤnzlich von der Stimmen-
ſammlung ausſchließen . Erhielten dann von den patri-
ciſchen , ſo viele als Stellen zu beſetzen waren , eine voll-
rem ) inp .... uris ( l. inter plures ) distributum consulare
imperium , tribunosque militum consulari imperio ap-
pellatos qui seni et sæpe octoni crearentur .
ſtaͤndige Stimmenmehrheit , dann war die Wahl vollen-
det , auch wenn es nur fuͤr die Haͤlfte geſchah welche Pa-
triciern zugeſichert war . Hatten aber die Plebejer auch
dieſe Schwierigkeit uͤberwunden , ſo war den Curien die
Beſtaͤtigung nicht als ein leeres Recht gegeben Siehe die ſchon mehrmals angefuͤhrte Stelle , Livius
VI. c. 42 . . So
erklaͤrt es ſich wie manchmal ſechs , dann vier , dann drey
Tribunen vorkommen , und wie ſo ſelten , obwohl haͤufiger
als es von Livius anerkannt wird , Plebejer erwaͤhlt wur-
den . Jene Vorwuͤrfe der Volkstribunen an ihren Stand
uͤber ſeine Lauheit fuͤr ihre Ehre Livius IV. c. 25. 35. 44. 49 . ſind rhetoriſche Aus-
bildungen , veranlaßt nur dadurch daß die Faſten in jenen
Jahren keine plebejiſche Nahmen zeigen .
Huͤtet Euch vor dem Tadel — ſprach C. Gracchus
zu der Volksgemeinde , als der blutige Inquiſitor P. Po-
pillius , Jahre lang von den ſogenannten Optimaten be-
ſchuͤtzt , endlich vor Gericht ſtand , — mit blinder Leiden-
ſchaft gewuͤnſcht zu haben , was Ihr leichtſinnig ent-
ſchluͤpfen ließet da es das Schickſal gewaͤhrte Gellius XI. c. 13 . . Die-
ſen Tadel haͤtte das roͤmiſche Volk verdient , und nicht das
Lob einer idealiſchen Maͤßigung , wie Livius es ausſpricht ,
wenn es wahr waͤre was er glaubt ; daß ſchon die erſte
Wahl freywillig nur auf Patricier gefallen ſey . Nicht
verdienſtvoll waͤre es geweſen , ſondern kindiſch , die Ruhe
des Staats zu erſchuͤttern nur um einer leeren Eitelkeit
willen , und damit ein Recht eingeraͤumt werde welches
man nicht benutzen wollte . Aber dieſe Thorheit war nur
im Sinn der Annaliſten . Ueberſahen ſie auch daß nicht
ſechs , ſondern nur die Haͤlfte dieſer Zahl fuͤr das Jahr
311 ernannt wurden , ſo haͤtten ſie doch nicht uͤberſehen ſol-
len daß auch unter dieſen dreyen ein unlaͤugbar plebeji-
ſcher Nahme iſt , L. Atilius Longus . Der bloße Gentil-
nahme iſt allerdings unſicher in jenen alten Zeiten uͤber
Plebitaͤt zu entſcheiden , da wir nur einen ſehr kleinen
Theil der patriciſchen Geſchlechter kennen : denn , wie vor-
her bemerkt iſt , eine ſehr beruͤhmte plebejiſche Familie
kann aus einer alten Mißheirath entſtanden , und ihr pa-
triciſcher Stamm ohne einiges Andenken erloſchen ſeyn .
So duͤrfte man , wenn auch der dritte Tribun , wie bey
Livius , Caͤcilius und nicht Cloͤlius zu nennen waͤre , dar-
aus ſeine Plebitaͤt vielleicht nicht behaupten , wie beruͤhmt
auch die Meteller ſind . Anders aber iſt es wenn eine Fa-
milie durch Beynahmen beſtimmt wird , denn nicht nur
wiſſen wir von den geſammten Atiliern nichts denn nur
als von Plebejern , ſondern die Faſten zeigen im Jahr 356
einen zweyten L. Atilius Longus , und dieſen nennt Livius
ausdruͤcklich Plebejer Livius V. c. 13 . .
Auch waͤre es unerklaͤrlich warum der Senat die Mi-
litartribunen ſchon im dritten Monat ihrer Magiſtratur ,
durch ein Decret der Augurn , abzudanken noͤthigte , wenn
nicht ein Plebejer unter ihnen geweſen waͤre . Fuͤr den
uͤbrigen Theil des Jahrs wurden , nach fruchtloſem Wi-
derſpruch der Volkstribunen , Conſuln erwaͤhlt , und das
Conſulat mehrere Jahre hindurch gegen die Anmahnungen
der Plebejer behauptet . Dieſe Liſt erklaͤrt die Einwilli-
gung der Patricier in die neue Ordnung . War der erſte
Sturm verrauſcht , dann ließ ſich unter beguͤnſtigenden
Umſtaͤnden , bey nachgiebigeren Volkstribunen , wieder in
Kraft ſetzen , was nur nicht foͤrmlich aufgegeben war .
Von nun an wechſelten Conſulat und das conſulari-
ſche Militartribunat : jedesmal verordnete der Senat ob
die eine oder die andre dieſer Magiſtraturen erwaͤhlt wer-
den ſolle . Dieſe Frage , anfangs der Gegenſtand heftiges
Partheyſtreits , ward allmaͤhlich beyden Staͤnden gleich-
guͤltig : den Plebejern mochte es faſt troͤſtlicher ſeyn kein
Recht zu haben , als ſich die Ausuͤbung eines gewonnenen
unredlich immer aufs neue entreiſſen zu ſehen . Den Pa-
triciern mißfiel es nicht in groͤßerer Zahl die hoͤchſte Ge-
walt theilen zu koͤnnen , ſobald ſie ſich ihren Beſitz aus-
ſchließlich ſicherten , ja zuletzt hatten beyde Staͤnde die
Vertheidigung des Conſulats unter ſich gewechſelt . In
dieſem ganzen Zeitraum finden ſich mit der einzigen Aus-
nahme des Q. Antonius Merenda , im Jahr 333 , nur
unbezweifelt patriciſche Nahmen in den Faſten .
Militartribunen mit conſulariſcher Gewalt theilten
dieſe unvermindert , wenn ihr Amtsnahme nicht ganz
taͤuſcht . Aber der aͤußere Glanz des Conſulats war wohl
mehr als getheilt . Es wird bemerkt daß kein Militartri-
bun die Ehre des Triumphs genoſſen , obgleich viele von
ihnen Siege erfochten die ihrer werth geweſen Zonaras VII. c. 19 . : eine
Bemerkung welche mit Livius Erzaͤhlungen uͤbereinſtimmt ,
und nichts zufaͤlliges betrifft . Nie ward ein Conſul Ober-
ſter der Ritter , wohl aber ein Militartribun : daher ſagte
P. Manlius mit Recht , jene Wuͤrde ſey nicht hoͤher als
das conſulariſche Tribunat Livius VI. c. 38 . .
Der Mythus welcher die Gruͤndung der Volksfreyheit
durch Servius Tullius erzaͤhlt , hat ſeines erſten Cenſus
gedacht : eine apokryphiſche Geſchichte beſtimmte das
Jahr , und meldete daß der Koͤnig ihn viermal wieder-
hohlt habe . Nach Abſchaffung der Monarchie ward der
Cenſus von den Conſuln gehalten : nicht in jedem Luſtrum ,
ſondern zu ſehr ungleich entfernten Zeitpunkten . Seit
dem letzten waren im Jahr 311 ſechszehn Jahre verfloſ-
ſen Dionyſius XI. c. 63 . : ein unertraͤglicher Zuſtand fuͤr die Nation , weil
fortwaͤhrend nach jenen veralteten Regiſtern geſteuert
ward Ich habe fruͤher , Th. I. S. 398. 399. auf dieſen uͤberſe-
henen Umſtand aufmerkſam gemacht , und der Beweis liegt
ſchon in der Natur der Sache . Hiſtoriſch belegt wird dieſe
Behauptung und die daß von ausſtehenden Schuldforderun-
gen gar nicht , hingegen von dem ſchoßpflichtigen buͤrgerli-
chen Vermoͤgen , da Realverpfaͤndung dem alten Recht ganz
fremd war , ohne allen Abzug der Schuldenlaſt geſteuert
ward , durch eine Stelle welche ich an jenem Ort anzufuͤh-
ren verſaͤumt habe . Die Schuldenliquidation des Jahrs
403 , wodurch Eigenthum nach abgeſchaͤtztem Werth in Zah-
lung gegeben ward , machte einen neuen Cenſus noͤthig ,
wegen der haͤufigen Eigenthumsveraͤnderungen ( Livius VII.
c. 22. ) . Bey einer wahren Vermoͤgensſteuer waͤre dadurch
nichts veraͤndert worden , nur wuͤrde der Creditor jetzt nicht : wie die gleiche Verſaͤumniß zu den ſchwerſten
Klagen
Klagen uͤber die Regierung des letzten Koͤnigs gehoͤrt .
Die Verzeichnung eines ſo zahlreichen Buͤrgervolks mit
genauer Schaͤtzung des ſteuerbaren Vermoͤgens war ein
ungeheures Werk , unausfuͤhrbar fuͤr die vielbeſchaͤftigten
Conſuln , welche damals auch noch Jurisdiction uͤbten ;
die Zeit eines Jahrs unzureichend , und doch war es ſehr
wichtig daß das Werk von einer Hand vollendet werde .
Jede Trennung eines Theils der koͤniglichen Macht vom
Conſulat , und eine ſolche welche den Senat von demfel-
ben unabhaͤngig machte , war ein Gewinn fuͤr die Frey-
heit . Vielleicht aber muß man auch annehmen , wie die
Praͤtur nach den liciniſchen Geſetzen abgeſondert ward , daß
dieſe Trennung ſchon ein Jahr fruͤher , und als Forderung
des Senats , beſchloſſen ſey , als die conſulariſche Regie-
rung an Militartribune uͤberging ; damit , wenn die An-
erkennung von Plebejern in dieſer Magiſtratur nicht ver-
weigert werden koͤnnte , wenigſtens nicht die Berufung
zum Senat in ihre Gewalt gerathe .
Die Cenſoren hatten anfangs dem Umfang nach doch
nur einen ſehr kleinen Theil der Geſchaͤfte welche ſich nach-
her mit den Eroberungen unermeßlich ausdehnten . An-
ſtatt der Kornabgaben , des Kopfgeldes , der Zoͤlle und
Acciſe , Bergwerke und Forſten aus drey Welttheilen hat-
mehr mit tauſend Aſſen Schuldforderung ſondern mit der-
ſelben Summe in Land oder beweglichem Eigenthum auf-
gefuͤhrt ſeyn : der Schuldner aber haͤtte dieſen Werth auch
ſchon fruͤher nicht verſteuert . Ward ein Cenſus nothwen-
dig , ſo zeigt dieſes daß außerdem nicht ab- und zugeſchrie-
ben werden konnte .
Zweiter Theil. M
ten ſie von oͤffentlichen Einnahmen nur Zoͤlle zu verpach-
ten , wahrſcheinlich auch den Ertrag der Salzwieſen : noch
keine Zehenten ; denn die alte Domaine war damals noch
ohne Abgaben zu entrichten im Beſitz der Patricier Th. I. S. 453. Note 620 . ,
und keine gluͤckliche Kriege erweiterten ſie . Der Schoß
war ſeiner Natur nach , als feſt in Geld beſtimmt , keiner
Verpachtung unterworfen , er ward durch die Quaͤſtoren
beygetrieben . Fuͤr Bauten beſaß der Schatz kein Geld ;
die wenigen Tempel welche in dem erſten Zeitraum der
Republik eingeweiht wurden , waren offenbar ſchon von
den Koͤnigen angefangen , und drey und vierzig Jahre
nach Tarquinius Verbannung ward ein Tempel einge-
weiht deſſen Bau er begonnen hatte Dionyſius IX. c. 60 . . Nachher
ſchweigt die Geſchichte ganz von neuen Tempeln , obgleich
die Chronik der Pontifices ſolcher Einweihungen gewiß
vorzuͤglich gedachte .
Die Verzeichnung des Senats , der Ritter und des
Volks in den Tribus war der große Beruf der Cenſoren ,
welcher die Wuͤrde ihres Amts uͤber alle andere er-
hoͤhte , ſo daß auch der aͤlteſte unter den geweſenen Cenſo-
ren herkoͤmmlich der Erſte des Senats war . Die Geburt
gab Anrechte : der Geſammtheit der aͤlteren Patricier ,
theils auf Sitz im Senat , theils , nebſt ihrer Jugend , auf
Stimme in den urſpruͤnglichen , wie den Plebejern von
ritterlichem Geſchlecht in den neueren Rittercenturien ;
jedem Plebejer Stimme zu geben in der Tribus worin er
gebohren war , in einer Klaſſe der Centurien nach ſeinem
Vermoͤgen , und auf den Genuß aller Vortheile des voll-
kommnen Buͤrgerrechts . Aber ob jeder ſeine Geburtsrechte
perſoͤnlich ausuͤben duͤrfe , entſchied der Cenſor , und ver-
ſtieß den Unwuͤrdigen . Wie dieſes ſo geſchah daß der aus
der Tribus zu den Aerariern Verwieſene alle politiſche
Buͤrgerrechte verlohr , und nur die des Caͤriten behielt , iſt
fruͤher erlaͤutert geworden Th. I. S. 379. 386 . .
Die Notationen der Cenſoren trafen Uebertretun-
gen der Pflichten gegen Staat und Stand . Es iſt
wahrſcheinlich daß die Gegenſtaͤnde von denen ſie Kennt-
niß nahmen geſetzlich oder durch ein Edict verzeichnet
waren Agrum male colere censorium probrum judicabatur .
Plinius H. N. XVIII. c. 3 . . Muthwillige Eheloſigkeit oder eine geſetzlich
unguͤltige Ehe , weil beydes den Staat an Buͤrgern arm
machte Dies ſcheint der Sinn der Formel uxor liberorum quæ-
rendorum causa . , Verſaͤumniß des Ackerbaues , unanſtaͤndi-
ges Gewerbe , wie Kramhandel oder Handwerk , Treu-
loſigkeit gegen Clienten , Verſchwendung , Irreligioſitaͤt ,
und jedes von den Geſetzen durch Strafe geruͤgte Ver-
brechen , zog auf gleiche Weiſe die Notation nach ſich :
nicht aber moraliſche Vergehungen die der Staat nicht
ruͤgt . In einzelnen Faͤllen dehnten einzelne Cenſoren
ihre Ahndung allerdings weiter aus . Aber haͤusliche
Grauſamkeit , ſchlechtes Gemuͤth , boͤſer Sinn bey den
politiſchen Partheyungen , zogen ſie ſchwerlich je unter
ihre Kenntniß .
M 2
Die Entehrung durch Notation , deren Guͤltigkeit des
Collegen Widerſpruch hinderte , dauerte fort wenn ſie
von den folgenden Cenſoren nicht aufgehoben ward .
Aber dieſes geſchah wenn ſie aus Feindſeligkeit verfuͤgt
war , und ſchon ehe die Kraͤnkung rechtsfoͤrmlich abge-
ſtellt werden konnte , hielt ſich die Republik dadurch
nicht immer gebunden Livius IX. c. 30 . . Es darf daher gar nicht
wundern Mam . Aemilius wenige Jahre nachdem die
beleidigten Cenſoren ihm die Buͤrgerrechte genommen
hatten , zum drittenmahl als Dictator zu ſehen .
Die Macht der Cenſoren war aber nicht geringer zu
erhoͤhen als zu erniedrigen , und hier fand ſie eine weit
haͤufigere Anwendung .
Freylich war es eine Majeſtaͤtshandlung der Na-
tion ganzen Staͤdten und Landſchaften das Buͤrgerrecht
zu verleihen , auch einzelne Maͤnner wurden ſo belohnt .
Aber geſetzmaͤßig beſtand ſicher mit den Latinern als
mit einem verbruͤderten Volk ſchon in dieſer alten Zeit
jenes nachher auf alle Italiker ausgedehnte Recht , daß
der einzelne das caͤritiſche Buͤrgerrecht zu Rom gewin-
nen konnte , wenn er ſich mit ſeinem Vermoͤgen dem
Schoß unterwarf ; vorausgeſetzt daß er in ſeiner Hei-
math Soͤhne zuruͤckließ Livius XLI. c. 8 . .
Nun war es das Recht der Cenſoren in die Tri-
bus , den Ritterſtand und den Senat Wuͤrdige einzu-
ſchreiben , wie die Unwuͤrdigen auszuſchließen Siehe die Th. I. S. 386. Anm. 547. angefuͤhrte Stelle
aus Zonaras . . Kraft
dieſer Befugniß konnten ſie Einzelnen , wie Appius der
Blinde es zum Vortheil aller Freygelaſſenen that , das
volle plebejiſche Buͤrgerrecht verleihen . Es ſcheint ſo-
gar , nach Strenge des Ausdrucks , daß neue Tribus
von den Cenſoren aus eigener Machtfuͤlle , nicht durch
ein Geſetz angeordnet wurden , um die mit der vollen
Civitaͤt belehnten Gemeinden aufzunehmen Tribus propter novos cives additæ Mæcia et Scaptia :
censores addiderunt Q. Publilius Philo , Sp. Postumius .
Livius VIII. c. 17 . .
Waͤre der Ritterſtand vom Anfang , wie im letzten
Jahrhundert der Republik , nichts anders als eine al-
lererſte Klaſſe der Reichen geweſen , ſo wuͤrde die Be-
fugniß in denſelben zu erheben keine weitere Erwaͤhnung
verdienen als die in die uͤbrigen Klaſſen der Centurien
nach dem geſchaͤtzten Vermoͤgen einzutragen . Aber in
beyden Notizen uͤber die Centurienverfaſſung , in denen
die Vermoͤgensgraͤnze jeder Klaſſe ſo genau angegeben
wird , iſt von einer ſolchen Beſtimmung auch nicht die
leiſeſte Andeutung : die erſte Klaſſe waͤre demnach auch
nicht die erſte geweſen . Es iſt gezeigt worden daß die
achtzehn Centurien des Servius Tullius eine Aufloͤſung
der ſechs ſeines koͤniglichen Vorgaͤngers waren , bey
denen doch offenbar noch nicht an Vermoͤgensabſchaͤtzung
zu denken iſt .
Daß in der Folge der Geldadel dem alten Begriff
des Ritterſtands als Geſchlechtsadel untergeſchoben iſt ,
deutet Polybius als eine Neuerung an Polybius VI. c. 20. τοὺς ἱππεῖς τὸ μὲν παλαιὸν , und es ge-
hoͤrt zu dem Ganzen jener Veraͤnderungen welche , wahr-
ſcheinlich bald nach dem Schluß des erſten puniſchen
Kriegs , die roͤmiſche Verfaſſung demokratiſch machten .
Jedes italiſche Volk hatte einen Adel , und dieſer ward
von den Roͤmern ihr Ritterſtand genannt Campanorum equites non desciverant . Livius VIII. c. 11 . . Ward einer
ganzen Gemeinde das vollkommne Buͤrgerrecht gewaͤhrt ,
ſo war es natuͤrlich daß die Ritter des neuen Munici-
piums von den Cenſoren in die plebejiſchen Rittercentu-
rien aufgenommen wurden : wie dieſe urſpruͤnglich ohne
Zweifel aus edeln latiniſchen Geſchlechtern gebildet waren :
es konnte aber auch Auszeichnung des Einzelnen ſeyn .
Bey der Verzeichnung des Senats hatten die Cen-
ſoren urſpruͤnglich volle Freyheit nach ihrem Wohlge-
fallen zu berufen und zu entfernen , weil es noch keine
Schande brachte uͤbergangen zu ſeyn Feſtus s. v. præteriti Senatores . . Die Notation
des Conſulars P. Rufinus iſt die aͤlteſte dieſer Art von
ὑστέρους εἰώϑεσαν δοκιμάζειν — νῦν δὲ προτέρους , πλου-
τίνδην γεγενημένης ὑπὸ τοῦ τιμητοῦ τῆς ἐκλο-
γῆς ; ſeitdem das Vermoͤgen Maaßſtab ihrer Auswahl
geworden iſt . Sollte hier keine Cauſalverbindung bezeichnet
werden , ſo haͤtte Polybius geſchrieben γενομένης : ſie wer-
den nach dem Vermoͤgen ausgewaͤhlt .
Erwaͤhnt freylich wird der census equester bey Livius V.
c. 7. aber das iſt ſichtbar falſcher Gebrauch einer unpaſſen-
den Redensart ſpaͤter Zeit : bey ritterlicher Geburt , der nicht
nothwendig Reichthum entſprach , war es verdienſtlich den
Roßdienſt auf eigne Koſten anzubieten , bey ritterlichem
Vermoͤgen nicht alſo .
der ſich eine Nachricht erhalten hat : Appius anſtoͤßige
Veraͤnderung der Senatsliſte gehoͤrt noch zu der alten
Willkuͤhr .
Anſtatt der Curien welche uͤber die erwaͤhlten Con-
ſuln ſtimmten , ward die Wahl der Cenſoren durch die
Centurien beſtaͤtigt Cicero adv. Rullum . II. c. 11 . welches offenbar , wenigſtens ur-
ſpruͤnglich , auf andre Comitien deutet : aber nicht ganz
ohne Zweifel die Folgerung berechtigt daß es die Tri-
bus waren welche ſie erwaͤhlten .
Die Dauer der cenſoriſchen Macht war urſpruͤng-
lich ein ganzes Luſtrum , oder fuͤnf buͤrgerliche Jahre .
Denn daß man ſich nicht wie es ſchon Glareanus er-
gangen iſt durch Cenſorinus irre machen laſſen darf ,
den die griechiſche Pentaeteris , und die Epochen der
capitoliniſchen Spiele verleiteten , bedarf eigentlich kei-
nes Beweiſes bey der Ueberſicht der Luſtern die uns die
Faſten aus ungeſtoͤrten Zeiten gewaͤhren .
Unwiderleglich aber iſt daß Appius Claudius der
Blinde nach vollendeten achtzehn Monaten die Cenſur
nicht niederlegen , ſondern ſie noch drey und ein halbes
Jahr behaupten wollte , weil ihre Dauer fuͤnfjaͤhrig ſey Livius IX. c. 33 . .
Der Dictator Mamercus Aemilius beſchraͤnkte ſie ſchon
im Jahr 321 auf jene achtzehn Monate , welche die
Dauer ihrer eigentlichen hohen Gewalt waren . Andere
achtzehn Monate wurden ihnen freylich in ſpaͤteren Zei-
ten vom Senat prorogirt , um die verdungenen Bauten
vollendet zu ſehen und anzunehmen ; darin aber darf man
keine Verlaͤngerung ihrer eigentlichen Amtszeit gegen
das Aemiliſche Geſetz ſehen . Ihre Staatsgeſchaͤfte muß-
ten voͤllig geſchloſſen ſeyn ehe ſie dieſe Prorogation er-
bitten konnten Livius XLV. c. 15 . .
Die Folge der Cenſoren entſpricht aber keineswegs
genau der Zahl chronologiſcher Luſtern . Ihre Wahl
ward in unruhigen Zeiten oft unterlaſſen oder verſpaͤ-
tet : ſo verging nach der Einnahme der Stadt eine lange
Zeit ehe die Cenſur wieder eingerichtet ward , und da-
her zaͤhlte Livius in dem hundert zwey und funfzigſten
Jahr nach ihrer Errichtung die ſechs und zwanzigſten
anſtatt der ein und dreyßigſten Cenſoren . Von dieſen
hatten nur ein und zwanzig ein Luſtrum geſchloſſen ,
welches bey eingetretenem Ungluͤck zu thun fuͤr verderb-
lich galt Derſelbe X. c. 47. III. c. 22 . .
Die Regiſter des Cenſus dienten fuͤr die Conſcrip-
tion und die Steuer welche bis zu den liciniſchen Ge-
ſetzen die einzige bedeutende Einnahme der Republik
war : auch nachher noch lange ihre ſicherſte Huͤlfsquelle
blieb . Daher war die Verpflichtung ſich mit ſei-
nem ſteuerbaren Vermoͤgen verzeichnen zu laſſen uner-
laßlich , auch fuͤr den Armen der weder zu dienen noch
zu ſteuern hatte : wer es verſaͤumte ward mit ſeiner
Habe verkauft .
Alle ſteuerbare Gegenſtaͤnde waren in einer Taxe Formula : Livius XXIX. c. 14.
zu Geldwerth angeſchlagen , ſo daß aus der ſchriftlichen
oder unterzeichneten Cicero pro Flacco c. 32. subsignari apud ærarium . muͤndlichen Angabe die Schaͤ-
zung des Vermoͤgens berechnet ward . Dieſes war ein
weſentlicher Grund die Einheit der aſſignirten plebeji-
ſchen Hufen zu erhalten : wenn dieſe nur im Ganzen
oder im Unzialverhaͤltniß veraͤußert werden konnten , ſo
erhielt ſich die Ordnung der Kataſter weit leichter als
wenn einzelne Felder von unregelmaͤßigem Inhalt ab-
geriſſen waͤren . Die Calculatur , und alle eigentliche
Buͤreaugeſchaͤfte , welche in einigen Staaten als eine
nothwendige Vorſchule der hoͤheren Geſchaͤfte betrachtet
werden , wurden zu Rom wie zu Athen , gleich Hand-
werksarbeiten , von Sklaven gefuͤhrt Livius XLIII. c. 16 . , die auf Ko-
ſten des Staats gekauft und darin unterrichtet waren .
Man mag immer ſo idealiſch von der buͤrgerlichen
Tugend der aͤlteſten Roͤmer denken : obwohl im allge-
meinen Redlichkeit und Treue bey ihnen Natur waren ,
ſo konnten doch die Ausnahmen nicht fehlen ; und um
zu verhuͤten daß nicht viel ſteuerbares Eigenthum ver-
ſchwiegen ward , bedurfte es , außer der Angabe unter
dem Nahmen eines jeden , einer andern nach den Orten
der zu verſteuernden Gegenſtaͤnde geordneten : eines Re-
giſters nach den Tribus als Volkseintheilung , und eines
andern nach den Tribus als Regionen Cicero a. a. O. In qua tribu ista prædia censuisti ? . Haͤtten
Grundſtuͤcke Steuerfreyheit erhalten wenn ſie an einen
Latiner uͤbergingen , wie es bey einer eigentlichen Ver-
moͤgensſteuer haͤtte geſchehen muͤſſen , ſo wuͤrden Schein-
verkaͤufe den Staat , oder wirkliche den plebejiſchen
Stand arm gemacht haben . Das war aber ſicher nicht
der Fall : der ſo anſaͤſſige Halbbuͤrger war der Aerarius .
Es verſteht ſich daß mit ihm Commercium Statt finden
mußte , ſonſt konnte das Eigenthum im Landbuch nicht
uͤberſchrieben werden ; es waͤre dem vorigen Beſitzer zur
Laſt geblieben . Auf beyde Faͤlle bezog ſich wohl die Wich-
tigkeit der Mancipation : in jenem beurkundeten die
Zeugen an wen das Eigenthum mit ſeiner Laſt uͤbertra-
gen war Auch roͤmiſche Buͤrger mußten in Provinzialſtaͤdten , wo
ſie doch nicht Buͤrger noch Beyſaſſen waren , Vermoͤgens-
ſteuer von Grundſtuͤcken zahlen . Cicero a. a. O. .
Daß hingegen , wie fruͤher geſagt worden , der Be-
ſitz auf der Domaine nicht im Cenſus geſchaͤtzt ward ,
iſt an ſich klar , weil er kein Eigenthum , und dem Staat
vom Ertrag Abgabe ſchuldig war . Die kuͤnſtliche Be-
rechnung des Erbpachtgewinns zu Capital , mit Ruͤck-
ſicht auf die Gefahr der Einziehung durch den Staat ,
iſt einer Finanzbehoͤrde des Alterthums ganz fremd . Alſo
zahlten die Patricier von dieſem Theil ihres Vermoͤgens
gar keine Steuer , und es iſt nicht zu viel geſagt daß
der Schoß fuͤr ſie etwas geringes war : wenn es auch ,
weil ſie doch von andern Gegenſtaͤnden ſteuerten , ein
zu ſehr geſchaͤrfter Ausdruck iſt , daß der verſprochene
Sold ein Geſchenk aus fremdem Vermoͤgen ſey , denn
er koͤnne nur aufgebracht werden indem man Schoß
vom Volk fordere Livius IV. c. 60. Unde eam pecuniam confici posse
nisi tributo populo indicto ? ex alieno igitur largitos . . An einer anderen Stelle nennt
Livius die Plebs noch beſtimmter als den ſteuerpflichti-
gen Stand Livius V. c. 20. Ut eo minus tributi plebes conferret .
Ebendaſelbſt : Satius esse reconciliari eo dono plebis ani-
mos : exhaustis atque exinanitis tributo tot annorum succurri . .
Im Jahr 315 entſtand aus voͤlligem Mißwachs eine
entſetzliche Hungersnoth . Um dem Elend Graͤnzen zu
ſetzen ward auf das Geſchrey des Volks eine außeror-
dentliche Magiſtratur , die Praͤfectur der Annona , er-
richtet , wozu L. Minucius , wie es ſcheint vom Volke ,
ernannt ward . Die im Ausland verſuchten Einkaͤufe
ſchlugen fehl ; vielleicht hatte das Mißjahr ſeine Ver-
wuͤſtungen weit erſtreckt : nur aus Etrurien empfing die
Stadt einige Zufuhr . Der Praͤfect ward zu den trau-
rigſten und fruchtloſeſten Zwangmitteln genoͤthigt : alles
vorraͤthige Getreide ward verzeichnet , und die Beſitzer
gezwungen alles was ſie uͤber einen monatlichen Bedarf
fuͤr ihr Haus verwahrten , dem Staat zu verkaufen .
Die Kornhaͤndler wurden als Verbrecher verfolgt . Es
iſt nicht zweydeutig daß der Praͤfect die Rationen be-
ſtimmte , welche allen Buͤrgern zu feſtgeſetzten Preiſen
aus den Magazinen uͤberlaſſen wurden ; fuͤr die ungluͤck-
lichen Sklaven ward nur ein Theil des Brodtes wel-
ches ſie zur Saͤttigung bedurften , angewieſen . Aber
Mangel und Theurung waren ſo druͤckend , daß viele
Plebejer ſich verzweifelnd in den Strohm ſtuͤrzten .
In dieſer Noth beſchaͤmten die erfolgvollen Anſtren-
gungen eines Privatmanns die fruchtloſen und verderb-
lichen Maaßregeln des Staats . Der reichſte unter den
plebejiſchen Rittern , Sp. Maͤlius , aus einer Familie
welche im vierten Jahrhundert nicht ſelten genannt wird ,
verwandte ſein Vermoͤgen um Getreide in Etrurien an-
zukaufen , und ihm gelang es große Vorraͤthe zu erhalten ,
offenbar weil er den Preis nicht ſcheute . Dies Getreide
vertheilte er den Armen , waͤhrend der Staat ver-
kaufte Livius IV. c. 12. 13 . : eine Freygebigkeit die bey dem groͤßten
Reichthum auf ſpaͤrliche Gaben beſchraͤnkt ſeyn mußte ,
wenn auch der Hohn nicht woͤrtlich gefaßt werden kann ,
das Volk habe ihm ſeine Seele fuͤr Portionen von ein
Paar Pfund Korn verkauft . Freylich iſt es nicht noͤ-
thig daß die Huͤlfe ausreiche , um dem Wohlthaͤter in
der Noth die Herzen zu gewinnen . Was der ganz
Huͤlfloſe zum Allmoſen empfing , erhielt der Duͤrftige
zu leidlichen Preiſen Zonaras VII. c. 20 . , und die Dankbarkeit des Ar-
men redete in den wohlhabenderen Plebejern als Ach-
tung , und als Stolz auf den Mann ihres Standes .
Es iſt eine traurige Wahrheit daß unter allen Tu-
genden Aufopferung des Vermoͤgens am ſeltenſten eine
ganz reine Quelle hat : und wir ſelbſt koͤnnen der Be-
ſchuldigung der Annaliſten unſern Glauben nicht verſa-
gen daß Maͤlius durch ehrgeizige Abſichten zu ſeinen
Spenden bewogen ward . Wir muͤſſen nicht vergeſſen
daß Gefuͤhle der chriſtlichen Caritaͤt , dieſer Tochter des
Morgenlands , den Republikanern der alten Zeit fremd
waren . Auch konnte der Senat uͤber den Anhang un-
ruhig werden , den Maͤlius ſich bildete ; in den griechi-
ſchen Republiken hat das Volk , von Liebe und Haß
uͤber alle Graͤnzen getrieben , ſich haͤufiger ſelbſt die Ket-
ten geſchmiedet als ſie von uͤberwaͤltigender Gewalt
empfangen .
Dennoch ſcheint es kaum denkbar daß zu Rom
ein plebejiſcher Ritter im Vertrauen auf den Anhang
erkaufter Armer , ſich vermeſſen habe nach der Tyranney
zu trachten ; wenigſtens waͤre es das Unternehmen eines
Unſinnigen geweſen . Nicht einmal das Conſulat , nur
Erzwingung der Wahl von Militartribunen , und ge-
waltſame Behauptung ſeiner Ernennung , iſt ein denk-
barer Zweck fuͤr einen ehrgeizigen , durch Freygebigkeit
maͤchtigen Plebejer jenes Zeitalters . Hier haͤtte er die
ganze Unterſtuͤtzung der Haͤupter ſeines Standes genoſ-
ſen ; ſtrebte er nach koͤniglicher Macht , ſo mußte er eben
ſie bekaͤmpfen welche die des Decemvirats geſtuͤrzt hatten ,
denn ſie verſoͤhnte es nicht daß Maͤnner ihres Standes
die Tyranney theilten . Fuͤr ſeine Unſchuld redet die
ſchreckliche Uebereilung ſeines Todes , da die Comitien
der Centurien in denen alle gewonnene Anhaͤnger des
Angeklagten ohnmaͤchtig waren , wenn er ſchuldig gewe-
ſen waͤre ſeine Verdammung nicht weniger entſchieden
als der Senat ſelbſt ausgeſprochen haben wuͤrden .
Fuͤr ſie redet daß er ſo leicht fiel , ohne einen Ver-
ſuch von Gegenwehr : daß nach ſeinem Tode nicht die
Rede von Waffen iſt die in ſeinem Hauſe gefunden waͤ-
ren , obgleich der Kornvorraͤthe gedacht wird ; daß der
Schlag ihn allein traf , und niemand als Mitſchuldiger
vor das Gericht des Dictators gezogen ward , obgleich
der Livianiſche Minucius die Volkstribunen erkauft nennt
ihm die Koͤnigswuͤrde zu verſchaffen . Und wahrlich es
iſt ſehr denkbar daß , wenige Jahre nachdem C. Clau-
dius den Senat aufgefordert hatte die Motionen der
Tribunen zur Theilnahme der Plebejer an der hoͤchſten
Gewalt in ihrem Blute zu erſticken , Herrſchſucht und
Partheywuth dem Senat den Entſchluß eingaben einen
Mann zu ermorden deſſen perſoͤnliche Macht ihm die
Ernennung zu den beſtrittenen Wuͤrden und ihren Beſitz
ſicherte . Dieſes iſt vielmehr ſo wahrſcheinlich : der Se-
nat der Decemviralzeit hat ſo gar keine Anſpruͤche auf
das geringſte guͤnſtige Vorurtheil , daß Sp. Maͤlius Un-
ſchuld wenig Zweifel leiden kann . Denn Ehrgeiz eine
erlaubte Macht zu erlangen , ſelbſt mit Gewalt zu be-
haupten wenn ſie gewaltſam dem geweigert wird der
ſie in rechtlicher Form erhielt , iſt doch in einer Repu-
blik kein Verbrechen .
In der Ruhe des aͤußeren Friedens ward , auf die
angebliche Anzeige des Praͤfecten L. Minucius , es wuͤr-
den im Hauſe des Maͤlius heimliche Verſammlungen
gehalten , und Waffen gehaͤuft , L. Cincinnatus damals
ein mehr als achtzigjaͤhriger Greis zum Dictator er-
nannt . Der Senat war den ganzen Tag verſammelt ,
und ſeine Beſchluͤſſe waren Geheimniß : in der Nacht
wurden Capitol und andre feſte Gegenden von den Rit-
tern beſetzt Zonaras VII. c. 20 . : und Cincinnatus , umgeben von Be-
waffneten , errichtete ſein Tribunal als Dictator auf
dem Forum . Erwartungsvolle Unruhe verſammelte
hier das Volk , unter ihm war Maͤlius gekommen . Vor-
gerufen , den Tod vor den Augen , verbarg er ſich un-
ter der Menge . Gegen die Diener ſchuͤtzten ihn die
Umgebenden , aber vor C. Servilius Ahala , dem Ober-
ſten der Ritter , wichen ſie zuruͤck , der bewaffnet , mit
einem Gefolge bewaffneter patriciſcher Juͤnglinge , das
wehrloſe Schlachtopfer verfolgte , ihn ergriff , und nie-
derhieb . Das iſt Mord : und nichts entſchuldigt ihn ;
denn wer Maͤlius erreichen und ungeraͤcht toͤdten konnte ,
vermochte auch ihn vor das Tribunal des Dictators zu
fuͤhren : und der Dictator ſelbſt mußte nicht richten
wo er Parthey ſcheinen konnte : es war genug daß er
die Macht hatte den Angeklagten verhaften zu laſſen ,
damit er ſich dem Spruch der Centurien nicht entziehen
konnte . Gegen Appius Claudius hatten die Tribunen
jede Form des Rechts beobachtet . Partheygeiſt und
Familieneitelkeit in den Leichenreden des Quinctiſchen
und des Serviliſchen Geſchlechts haben den Mord als
eine große Handlung ausgerufen : die Nachwelt hat ſich
von ihnen uͤberreden laſſen . Aber der kritiſche Pruͤfer
darf nach Jahrtauſenden die Beſchuldigung nicht ſcheuen
daß er den Glauben der Alten willkuͤhrlichem Haſchen
nach Neuheit oder eigenſinnigen Anſichten aufopfere : er
muß bey ſeinem Todtengericht ausſprechen : es ſcheine
daß der Erſchlagene , die Tugend ſeiner Handlungen
moͤge , ſtreng beurtheilt , auch nicht rein geweſen ſeyn ,
als ein Opfer fiel um die Plebejer auf viele Jahre vom
Streben nach den hohen Wuͤrden abzuſchrecken : auch
blieb die That nicht ohne ihren Erfolg .
Es iſt ein truͤber Gedanke daß ein Mann wie Cin-
cinnatus , ein Greis am Ziel eines tugendhaften und
großen Lebens , im Dienſt einer Faction wahrſcheinlich
gemordet hat : und doch muͤſſen wir es ahnden . Nir-
gends ſind die Charaktere haͤrter , nirgends iſt Trotz ge-
gen Gewiſſensbiſſe fuͤr die Zwecke einer Faction , neben
großen Tugenden , einheimiſch geweſen wie in ariſtokra-
tiſchen Republiken , nicht im Alterthum allein . Maͤnner
von ſonſt fleckenloſem Wandel haben in ihnen als Fa-
natiker , oft ohne Leidenſchaft , fuͤr ihre Faction das
reinſte und edelſte Blut vergoſſen . Der ſeditioſe Dema-
gog war oft nicht ſo blutig : aber gewoͤhnlich , wenn er
mordete , nicht ſo reiner Fanatiker wie ſie , denn er han-
delte mehr fuͤr ſich , weniger fuͤr die Idee ſeines Stan-
des . Doch waren jene auch nur das edlere Raubthier .
Das Haus des Maͤlius ward niedergeriſſen , und
die leere Staͤtte , das Aequimaͤlium , erinnerte nach einem
halben Jahrtauſend an ſein Schickſal und ſchien von ſei-
ner Schuld zu zeugen . Seine Kornvorraͤthe vertheilte der
Praͤfect L. Minucius um einen geringen Preis , den Mo-
dius fuͤr einen As. Dadurch ſoll er das Volk ſo gewon-
nen haben daß es ihn als ſeinen Retter mit einem praͤch-
tigen Opferſtier beſchenkt haͤtte Bove aurato . Livius IV. c. 16 . Mit vergoldeten Hoͤr-
nern , ſ . Decius Belohnung VII. c. 37 . . Der Leichtſinn waͤre
in jedem andern Fall nicht außerordentlich : doch Dank-
barkeit
barkeit fuͤr den wohlfeilen Verkauf geraubter Vorraͤthe
welche , nicht geraubt , umſonſt ausgetheilt geworden waͤ-
ren , iſt ſchwer zu glauben . Eine andre Erzaͤhlung Einige Annalen bey Livius IV. c. 16. Plinius H. N.
XVIII. c. 4.
hat viel wahrſcheinlichere Beziehungen : ſie redet von
einem Aufſtand den Maͤlius Tod erregt hatte , Minucius
aber beſaͤnftigte : mit dem bedeutenden Zuſatz er habe
ſeinem Stande entſagt , ſey als aufgenommener Plebe-
jer von den Tribunen als der elfte in ihr Collegium co-
optirt worden , und habe in dieſer Magiſtratur , nicht
als Praͤfect der Annona , in drey Markttagen den Preis
des Getreides auf einen As herabgebracht : das habe die
Gunſt des Volks ſo gewonnen daß ihm durch allgemeine
Beyſteuer eine Statue vor der Porta Trigemina errich-
tet ſey . Die Zuſage Wohlfeilheit zu bewuͤrken wuͤrde
das regelwidrige Verfahren des Collegiums der Tribu-
nen begreiflich machen .
Die Regierung , Conſuln wie Militartribunen , ehr-
ten gewoͤhnlich die Hoheit des Senats ſo ſehr , daß ſie
ſogar Senatsbeſchluͤſſen Folge leiſteten , denen die Volks-
tribunen widerſprochen hatten Livius IV. c. 57. Si quis intercedat Senatusconsulto ,
auctoritate se fore contentum . . Dies war im Geiſt
des ſonderbaren Verhaͤltniſſes zwiſchen Senat und Volk ,
wo eine auf dieſelben Gegenſtaͤnde gerichtete Macht bey-
der concurrirend galt . Der Widerſpruch der Tribunen
berief die Entſcheidung des Volks : ihr Stillſchweigen war
einer Genehmigung gleich : aber nur ihre ausdruͤcklich er-
Zweiter Theil. N
klaͤrte Zuſtimmung machte den Ungehorſam gegen den
Willen des Senats zur Empoͤrung . Das erkannte der
Senat im Jahr 324 , als die Conſuln ſich weigerten
einen Dictator zu ernennen . Fruchtlos ihre Herrſchſucht
bekaͤmpfend , wandte er ſich zuletzt an die Volkstribu-
nen , deren Drohung die Conſuln in den Kerker fuͤhren
zu laſſen ſie zum Gehorſam noͤthigte Livius IV. c. 26 . .
Im Jahr 327 uͤbten die Aedilen die Polizey uͤber
den Gottesdienſt zur Entfernung auslaͤndiſcher Religions-
gebraͤuche Derſelbe c. 30 . . Die Polizey des Kornhandels in gewoͤhn-
lichen Zeiten muͤſſen ſie ſchon weit fruͤher gehabt haben ,
da Plinius berichtet , der Volksaͤdilis M’ . Marcius habe
zuerſt , vor L. Minucius , Korn vertheilt den Modius zu
einem As Plinius a. a. O. .
Das folgende Jahr ( 328 ) iſt durch eine große Be-
ſchraͤnkung der ariſtokratiſchen Gewalt des Senats merk-
wuͤrdig . Ohne das Volk zu befragen , entſchied dieſer
bisher uͤber Krieg und Frieden : auch die Vermoͤgens-
ſteuer ward von ihm allein ausgeſchrieben . In dieſem
Jahr erlangten die Tribunen daß Kriegserklaͤrungen kuͤnf-
tig in einem Senatusconſult den Centurien vorgeſchla-
gen werden mußten . Von dieſer Zeit an geſchieht kaum
eine fluͤchtige und zweifelhafte Erwaͤhnung tribuniciſches
Widerſtands gegen Soldatenaushebung : denn jetzt war
jeder Krieg von der Nation beſchloſſen , fruͤher immer
eine Willkuͤhr des Senats , gewoͤhnlich mehr gegen das
Volk als gegen die Feinde gerichtet . Daher iſt es auch
wahrſcheinlich daß der Widerſpruch der Volkstribunen
gegen Aushebungen nicht allein beſtimmt war Stoͤrung
mit Stoͤrung zu vergelten , und mittelbar Einwilligung
in vorgeſchlagene Geſetze zu erzwingen , ſondern oft und
eigentlich zum naͤchſten Zweck gehabt haben mag den An-
ſpruch des Volks geltend zu machen , daß Kriege nicht
einſeitig vom Senat erklaͤrt werden duͤrften , und eine von
ihm allein befohlne Truppenaushebung ungeſetzlich ſey .
Zwey Quaͤſtoren waren eine unzureichende Zahl wenn
beyde conſulariſche Heere ins Feld zogen ; dann war die
Stadt ohne Zahlamt , und , wie es nach einer fruͤheren
Unterſuchung wahrſcheinlich ward , auch ohne Criminal-
richter . Die Conſuln unbegleitet von Quaͤſtoren in das
Feld gehen zu laſſen , obgleich die Auszahlungen ſo lange
die Armee noch keinen Sold empfing unbedeutend ſeyn
mußten , war bedenklich : die eroberte Beute mochte fuͤr
den Staat oder die Soldaten verkauft werden . Die
Tribunen aber machten es zur Bedingung ihrer Einwil-
ligung in den Senatsbeſchluß , daß vier Quaͤſtoren er-
waͤhlt werden ſollten , wenn dieſe Magiſtratur ohne Un-
terſchied aus beyden Staͤnden beſetzt wuͤrde . Die ver-
doppelte Zahl ward im Jahr 335 erwaͤhlt , aber erſt elf
Jahre ſpaͤter ( 346 ) uͤbte das Volk zum erſtenmahl ſein
gewonnenes Recht durch die Wahl dreyer plebejiſcher
Quaͤſtoren Livius IV. c. 44. 54 . . Dadurch wurden auch Plebejer dem
Senat beygemiſcht : denn wiewohl die Ergaͤnzung der
Wahl der Cenſoren ganz uͤberlaſſen war , ſo kann doch
zu Rom von der aͤlteſten Zeit her der Grundſatz nicht
N 2
unguͤltig geweſen ſeyn , nach dem ſogar zu Athen , als
die Wuͤrden verlooßt wurden , der geweſene Archon in
den Areopagus eintrat . Auch vermehrte Sulla die Zahl
der Quaͤſtoren auf zwanzig , um den Senat zu er-
gaͤnzen Tacitus Ann. XI. c. 22 . .
Sieht man von den inneren Bewegungen dieſes Zeit-
raums ſeit dem canulejiſchen Geſetz zuruͤck auf die vor-
hergehende Periode , ſo iſt die Verſoͤhnlichkeit und Milde ,
die Entfernung jener alten Erbitterung auffallend . Es
iſt nicht mehr ausſchließlich die Rede von ſtaͤndiſchen
Zwiſtigkeiten : es gilt auch ſchon die Beſtimmung der
Verhaͤltniſſe zwiſchen der Regierung und der Nation :
und der Senat findet unter den Tribunen ſelbſt Anhaͤn-
ger welche durch Widerſpruch die Handlungen ihrer Col-
legen aufheben . So lange die buͤrgerliche Freyheit ihres
Standes unvollkommen war , herrſchte nur ein Gefuͤhl
und eine Stimme in dem tribuniciſchen Collegium : Ver-
aͤnderungen der Verfaſſung , und Geſetze welche den Beſitz
erſchuͤtterten , zum Vortheil ihres eigenen Standes , konn-
ten wohlgeſinnten und unabhaͤngigen Plebejern bedenk-
lich und gefaͤhrlich in ihren Folgen erſcheinen , wenn
kuͤhnere Tribunen fuͤr ein groͤßeres Ziel , mit gleicher
Reinheit der Abſicht , ſie auszufuͤhren ſtrebten .
Es kann nicht befremden daß einige Jahre vergin-
gen ehe die vereinigenden Beſtimmungen der zwoͤlf Ta-
feln in die volle Kraft der Gewohnheit getreten waren .
Als aber der ſo lange unterlaſſene Cenſus endlich aus-
gefuͤhrt war , und die Tribus ihre neuen Buͤrger em-
pfangen hatten , fanden die Volkstribunen auch nicht
mehr jene alte , unvermiſchte , als Nation einige Plebs ,
auf die ſie zu wuͤrken gewohnt waren : ſondern eine Ge-
meinde worin die Patricier durch ihre Clienten , wie die
Ritter des Mittelalters in Landsgemeinden durch ihre
Leibeigenen Einfluß ausuͤbten . Anklagen vor dem Volks-
gericht waren ſehr ſelten und ohne bedeutende Folgen .
Bewegungen uͤber das alte caſſiſche Ackergeſetz oder
das dadurch veranlaßte Senatusconſult , welche vor der
Decemviralgeſetzgebung die Nation ſo oft und heftig er-
ſchuͤttert hatten , kennen die Annalen der erſten groͤßeren
Haͤlfte dieſes Zeitraums nicht . Man moͤchte glauben
daß die Gemuͤther auch hieruͤber durch Beſtimmungen in
den zwoͤlf Tafeln beruhigt geworden waͤren , wenn nicht
ausdruͤcklich geſagt wuͤrde daß die patriciſchen Beſitzer
der Domaine noch immer keine Abgaben zahlten Livius IV. c. 36 . .
Je laͤnger ihr Beſitz dauerte , wenn auch die Abgaben-
freyheit angemaaßt war , je mehr naͤherte er ſich fuͤr das
Gefuͤhl dem Eigenthum , und die Tribunen ſcheinen fuͤr
dieſe alte Domaine nichts als die Herſtellung der Ab-
gabe gefordert zu haben Livius a. a. O. . Aber im Jahr 329 ward
Fidenaͤ eingenommen ; 337 Lavici , 340 Bolaͤ , 349 Anxur ,
und dieſe Eroberungen gewaͤhrten , wenn auch zum Theil
gemeinſchaftlich fuͤr Rom und Latium , neuen Beſitzern
offene Feldmarken . Die erſte fiel offenbar Rom allein
zu . Daher erhoben ſich vom Jahr 330 an agrariſche
Antraͤge welche in den Jahren 338 bis 345 vorzuͤglich
heftig wurden : denn die Patricier wollten nach altem Recht
die gewonnenen Marken unter ſich theilen : die Tribu-
nen forderten , meiſtens vergeblich , einen Antheil fuͤr das
Volk Agrariælegis , quæ possesso per injuriam agro publico Pa-
tres pellebat . Hæc ipsa indignitas angebat animos , non in reti-
nendis modo publicis agris , quos viteneret , pertinacem nobi-
litatem esse ; sed ne vacuum quidem agrum , nuper ex hos-
tibus captum , plebi dividere ; mox paucis , ut cetera , futu-
rum prædæ . Livius IV. c. 51 . Der Geſchichtſchreiber ver-
kennt das urſpruͤngliche Recht der Patricier , er redet von
einem gewaltſamen Beſitz , der gewiß damals nicht Statt
fand : er ſagt mit Unrecht von den Patriciern was von der
Nobilitaͤt des gracchiſchen Zeitalters galt : und indem er jenes
ſchrieb , und ſo urtheilte , nennt er die Ackergeſetze aufruͤhre-
riſch ( ſo IV. c. 43. 48. ) . . Zwar nach Lavici ward eine Colonie geſandt ,
wahrſcheinlich roͤmiſcher Buͤrger . Der Aufſtand bey dem
Mord des Tribunen Poſtumius fuͤhrte , nach einem Zeu-
gen den zu achten wir gewohnt ſind , dahin , daß die Ar-
mee nicht bloß , wie es die Tribunen ſchon gethan hat-
ten , eine Colonie zu Bolaͤ , ſondern die Auftheilung der
geſammten Domaine forderte Zonaras VII. c. 19 . , und mit Gewalt aus-
zufuͤhren unternahm . Der Vermehrung der Coloniebuͤr-
ger zu Velitraͤ im Jahr 350 gedenkt Diodor Diodor XIV. c. 34 . . Ar-
dea war ſchon im Jahr 312 , erſchoͤpft und veroͤdet durch
einen Buͤrgerkrieg , eine latiniſche Colonie geworden .
Noch immer war ein großer Theil von Latium in
der Volsker und Aequer Gewalt : als unabhaͤngig und
verbuͤndet werden nur Staͤdte genannt die ſchon im vo-
rigen Zeitraum ſo erwaͤhnt wurden . Ardea muß von
dieſen ſogar getrennt geweſen ſeyn , ehe es als Colonie
in den Bund zuruͤckgefuͤhrt ward , weil im Jahr 311
ein eigenes Buͤndniß mit ihr geſchloſſen iſt , und weil
Rom , nicht die latiniſche Bundesgemeinde , Schiedsrich-
terin in der Fehde zwiſchen den Ardeatern und Arici-
nern war .
Ein Weihgeſchenk im Haupttempel eines verbuͤnde-
ten Staats bezeugte , unter den weſtlichen Voͤlkern wie
in Griechenland , bey gluͤcklichen Vorfaͤllen und in ſchwie-
rigen Schickſalen , das Mitgefuͤhl unabhaͤngiger Natio-
nen : als Geluͤbde fuͤr der Freunde Wohl . Nicht anders
als wie nach dem Sieg des erſten ſamnitiſchen Kriegs
Karthago , ſandten Latiner und Herniker nach dem Sturz
des Decemvirats einen goldnen Kranz dem capitolini-
ſchen Jupiter , von geringer Koſtbarkeit , wie die Voͤlker
damals arm waren Livius III. c. 57. VII. c. 38 . .
Die Geſchichte der Natur aus den roͤmiſchen Annalen
gewaͤhrt in dieſem Zeitraum wenig Nutzbares . Von den
noch immer wieder erſcheinenden Seuchen iſt ſchon gere-
det . Erwaͤhnung verdient eine widernatuͤrliche Duͤrre ,
wodurch Quellen und Baͤche verſiegten , das Vieh ver-
ſchmachtete oder an Seuchen hinfiel , welche ſich den Men-
ſchen mittheilten , alſo Milzbrand . Sie faͤllt in das Jahr
327 , und ſteht ſichtbar in Verbindung mit den haͤufigen
und ſchrecklichen Erdbeben die damals Griechenland heim-
ſuchten , und dem dritten Ausbruch des Aetna Livius IV. c. 30 . Das Jahr 327 nach Cato iſt Ol. 88¾ .
In demſelben Jahr geſchah die große Eruption des Aetna , .
Die Kriege bis zum Ausbruch des
letzten vejentiſchen .
In ſich geheilt , obwohl noch in ſeiner Entwickelung
durch Ordnungen denen es entwachſen war zuruͤckgehal-
ten , begann Rom jetzt ſich aus vieljaͤhriger Demuͤthi-
gung zu Siegen und Macht zu erheben . Das einzige
Beyſpiel der Geſchichte daß ein gefallener und tief zer-
ruͤtteter Staat eine zweyte Jugend erlebte .
Sind aber auch die Kriege dieſes Zeitraums wichtig
als Vorbereitung der roͤmiſchen Obmacht , ſo darf ihre
Erzaͤhlung doch das meiſte uͤbergehen , wo jede Umſtaͤnd-
lichkeit hiſtoriſch verdaͤchtig iſt .
Der Sieg des Conſuls M. Horatius ( 306 ) endigte
die ſabiniſchen Kriege , weniger wohl durch tiefe Schwaͤ-
chung der Ueberwundnen , als weil die Nation ſich in Aus-
wandrungen erſchoͤpfte : denn gleich nachher erſcheinen die
Samniter als Eroberer in Kampanien Hat Diodor die Entſtehung der Kampaner , das heißt die
ſamnitiſche Eroberung , nach roͤmiſchen Annalen angegeben , ſo , und bald in
die dritte ſeitdem Griechen in Sicilien wohnten ( Thukydi-
des III. c. 116. ) . Erdbeben wuͤtheten waͤhrend des ganzen
peloponneſiſchen Kriegs weit und breit : der große Geſchicht-
ſchreiber redet unter andern namentlich von denen der Jahre
Ol , 88 , 2. 3 . 4. , auch gedenkt er der ungewoͤhnlichen Duͤr-
ren , und des Hungers welcher aus ihnen entſtand ( I. c. 23. ) .
Er empfand daß nicht zufaͤllig , als die ſelige alte griechiſche
Welt ſich zerſtoͤrte , auch die Natur zerriſſen ward : das be-
gann von dem Ausbruch des Aetna 277 : auch die roͤmiſche
Landſchaft ward 319 durch Erdbeben verheert .
Lucanien ; es iſt aber wahrſcheinlich daß viele Kriegslu-
ſtige aus dem Stammvolk , welches ſich gegen Weſten
nicht auszudehnen vermochte , die Heimath verließen ,
ſich zu dem maͤchtig anwachſenden ſuͤdlichen Stamm geſell-
ten , und ſeine Kraͤfte vermehrten , wodurch denn das Mut-
terland in Schwaͤche und Dunkelheit ſinken mußte S. Th. I. S. 62. .
Auch an den Volskern und Aequern hatten die Con-
ſuln der hergeſtellten Republik die Ehre der roͤmiſchen
Waffen zu raͤchen . L. Valerius fand das vereinigte Heer
der Feinde auf dem Algidus , es war dem ſeinigen an
Zahl uͤberlegen . Ruhig in ſeinen Verſchanzungen erregte
er in ihnen Ungeduld uͤber den Verzug , und ſie ſandten
Haufen aus die entlegneren Gegenden zu pluͤndern . Die-
ſen Augenblick benutzte der Conſul : die Aequer und
Volsker waͤhlten eine Schlacht lieber als leidende Ver-
theidigung ihrer Verſchanzungen ; ſie wurden geſchlagen
und dann ihr Lager erobert ( 306 ) . Zwey Jahre ver-
gingen ruhig : im dritten ( 309 ) uͤberraſchte die Roͤmer
ein pluͤndernder Einfall dieſer Voͤlker welche aufs neue
vom Algidus her die ganze Landſchaft bis an das esqui-
liniſche Thor uͤberſchwemmten . Es war der letzte Zug
mit dem ſie Rom erſchreckten . So unerwartet wie der
Feind erſchienen war , verſchwand er , mit mehr Ver-
heerung als Beute . Die Conſuln brachen eilig auf mit
faͤllt ſie in das Jahr 310 : fand er das Olympiadenjahr 85 , 3.
bey einem Griechen , ſo iſt das Jahr Roms 315 anzuneh-
men : denn in dieſer Zeit iſt die Harmonie der Olympiaden
und Conſulate bey ihm gegen Dionyſius um ſechs Jahre
zuruͤck , abweichend .
dem geſammten Heerbann , am Tage nachdem der Feind
vor der Stadt geſehen worden : aber er war ſchon ent-
wichen . Am folgenden Tage erreichten ſie ihn bey Cor-
bio im Aequerlande : am dritten endigte der Feldzug
durch einen großen Sieg der Roͤmer , der ihnen die weg-
gefuͤhrte Beute wiedergab . Es ſcheint daß dieſe Kriege ,
obwohl l yde Voͤlker genannt werden , nur mit den
Aequern , vielleicht verbunden mit einigen der oͤſtlichen
Volsker , gefuͤhrt wurden , nicht mit denen von Antium .
Mit jenen beſtand von nun an eine dreizehnjaͤhrige Waf-
fenruhe , denn ſicher waren es nur die Antiater welche
im Jahr 312 durch das Volk von Ardea vor dieſe Stadt
gerufen wurden . Die Nobilitaͤt die in buͤrgerlicher Fehde
ihre Gegner verjagt hatte , opferte die Unabhaͤngigkeit
der Stadt auf um roͤmiſchen Schutz zu erhalten : das
Volk nicht weniger um mit volskiſchem Beyſtand ſeine
Ruͤckkehr zu erzwingen . Die Erzaͤhlung wie die Volsker
welche Ardea eingeſchloſſen hielten ſich umringt fanden ,
und mit der Freyheit ihres Feldherrn , des Aequers Cloͤ-
lius , es erkauften entlaſſen zu werden , iſt an ſeinem
Ort als das Nebenbild von L. Cincinnatus Sieg auf
dem Algidus erwaͤhnt worden .
Wahrſcheinlich war die Ruhe mit den Aequern durch
einen Waffenſtillſtand begruͤndet geweſen , wie ein ſolcher
bald nachher wieder geſchloſſen ward , und dieſer war
verlaufen , als im Jahr 323 die Ruͤſtungen der verbuͤn-
deten Voͤlker beyde conſulariſche Heere auf das Graͤnz-
gebuͤrge , den Algidus , riefen . Die Conſuln wurden ge-
ſchlagen , aber mit Muͤhe erzwang der Senat von ihrer
Ehrſucht die Ernennung des Dictators , A. Poſtumius
Tubertus , auf deſſen Nahmen ein dunkles Andenken von
Groͤße wie auf wenigen ſeiner Zeitgenoſſen ruht . Er zog
auf das Gebuͤrge mit dem geſammten Aufgebot der Waf-
fenfaͤhigen : Herniker und Latiner vereinigten ſich mit
ihm . Die Gefahr ſchien ſo dringend daß der Dictator
außerordentliche Feſtlichkeiten fuͤr den Sieg gelobte . Das
große roͤmiſch-latiniſche Heer theilte ſich um das Land
zu decken ; der Dictator ſtand unter Tusculum , der Con-
ſul T. Quinctius unter Lanuvium in feſten Laͤgern . Das
letzte griffen die Feinde in der Nacht an . Waͤhrend ſie
bis zum Anbruch des Tags vergebens ſtuͤrmten , naͤherte
ſich der Dictator zur Huͤlfe , und der ermuͤdete Feind
war zwiſchen zwey ſiegenden Heeren eingeſchloſſen . Ein
muthiger Volsker , deſſen Andenken ein ſeltnes Gluͤck in
den der Feinde Ruhm bis in das Andenken ihrer Nah-
men vertilgenden roͤmiſchen Annalen erhalten hat , Vet-
tius Meſſius , uͤbernahm in dieſer verzweifelten Lage ,
durch ſein Genie berufen , den Befehl des Heers . Er
durchbrach in einem unbeſchreiblich blutigen Kampf die
Schlachtreihen des Dictators , und erreichte mit den Ue-
berlebenden das volskiſche Lager . Die Aequer hatten das
ihrige abgeſondert , und dieſes war ſchon in der Nacht von
einer roͤmiſchen Legion uͤberraſcht worden . Auch die vols-
kiſchen Verſchanzungen wurden erſtuͤrmt , das ganze feind-
liche Heer ſoll die Waffen geſtreckt haben , und die Gefan-
genen , außer dem Adel Præter Senatores . Livius IV. c. 29 . So redet er von dem
Senat von Velitraͤ VIII. c. 14 . Im 5ten Jahrh. n. C. ward
Senator und Edelmann gleichbedeutend : daher Seigneur . , als Sklaven verkauft ſeyn .
Dieſer große Sieg endigte die Uebermacht der au-
ſoniſchen Voͤlker : ein achtjaͤhriger Waffenſtillſtand war
ſeine naͤchſte Folge . Beruͤhmt iſt das Andenken dieſer
Schlacht geblieben , haͤufiger aber wird der Dictator Po-
ſtumius genannt , weil er , wie ſpaͤter T. Manlius , um
den Kriegsgehorſam zu erhalten , das Todesurtheil uͤber
ſeinen Sohn ausgeſprochen habe , welcher aus einem un-
terſagten Gefecht ſiegreich zuruͤckgekommen ſey : eine
Erzaͤhlung deren Wahrheit Livius vielleicht mit gutem
Grund bezweifelt . Doch waren in den alten Annalen
der Sieg und die unerbittliche Strenge des Dictators
unzertrennlich Diodor XII. c. 64. Valerius Maximus II. c. 7. n. 6.
Gellius XVII. c. 21 . .
Als acht cycliſche Jahre um waren , im Jahr 332 ,
zogen die Volsker aus mit einem zahlreichen und ſtreng
geordneten Heer . Der roͤmiſche Conſul C. Sempronius
Atratinus hatte Ordnung und Kriegszucht verſaͤumt :
die Roͤmer kaͤmpften ohne Vertrauen auf ſich noch auf
ihren Feldherrn , nur um eine Niederlage abzuwehren .
Die erſten Ordnungen wichen allenthalben , der Conſul
gab keine Befehle , die Reuterey mußte die herannahende
Niederlage der Legionen zuſchauend erwarten , da for-
derte einer ihrer Hauptleute , Sex. Tempanius , ſie auf ,
ohne Befehl ſich in das Gefecht zu miſchen . Ihm freywil-
lig gehorſam fochten ſie zu Fuß , und ſtellten die Ordnung
her wo die ihrigen am heftigſten gedraͤngt wurden Dieſe in der aͤlteſten roͤmiſchen Kriegsgeſchichte haͤufig
erwaͤhnte Einmiſchung der abſitzenden Reuter in das Tref- .
Die Volsker wichen , unvorſichtig drangen ſie in die ge-
brochenen Reihen , fanden ſich von dem roͤmiſchen Heer
getrennt , und gezwungen ſich auf einen Huͤgel im Ruͤk-
ken der feindlichen Reihen zu ziehen , dorthin wurden ſie
verfolgt und umringt . Die Nacht hatte die Schlacht
getrennt ; beyde Heere glaubten ſich uͤberwunden , und
verließen ihre Laͤger , verzweifelnd ſie vertheidigen zu koͤn-
nen . Die Kunde vom Ruͤckzug der Ihrigen bewog die
Volsker welche die Ritter auf der Hoͤhe eingeſchloſſen
hielten ſich um Mitternacht zu entfernen . Sex. Tem-
panius fand den Weg zum roͤmiſchen Lager offen , hier
aber nur verlaſſene Verwundete , ohne zu vernehmen wo-
hin ſich der Conſul mit dem Heer gezogen haͤtte . Er
ſchickte ſich an die welche fortgebracht werden konnten
unter dem Schutz der Ritter nach Rom zu fuͤhren , ehe
die Feinde zuruͤckkehrten . In der Stadt glaubte man
das ganze Heer vertilgt ; an der Ritter Untergang zwei-
felte keiner . Der Freude uͤber ihre Rettung war die Er-
bitterung gegen den Conſul , den Urheber des Ungluͤcks ,
gleich : und nicht unbillig , denn kaum zaͤhlen die roͤmi-
ſchen Annalen eine einzige Niederlage deren Schuld nicht
den Feldherrn trifft . Auf einer andern Straße fuͤhrte
auch der Conſul die Ueberreſte ſeiner Armee in die Stadt
zuruͤck . Sex. Tempanius , als Plebejer , ward durch
fen der Fußvoͤlker ſetzt immer dichteriſch die perſoͤnliche Ue-
berlegenheit einer adlichen Schaar voraus . Erwogen ſcheint
es unbegreiflich wie ſie mit ihren Waffen den Linientrup-
pen auch nur gleich ſeyn konnten , geſchweige daß ſie haͤtten
die Entſcheidung geben koͤnnen .
keine hohe Wuͤrde belohnt . Doch erwaͤhlte das Volk
ihn und drey andre Hauptleute der Ritter ſeines Stan-
des Unter dieſen iſt auch ein Icilius , alſo gehoͤrte ſein Ge-
ſchlecht , deſſen Nahmen Livius faſt gleichbedeutend fuͤr
einen Meuterer und Volksaufwiegler gebraucht , zu den ple-
bejiſchen Ritterfamilien . fuͤr das folgende Jahr zu Volkstribunen . Schon
nach der Niederlage hatte Tempanius den Unwillen des
Volks gegen den Conſul zu beſaͤnftigen geſtrebt : als Tri-
bune gewaͤhrten er und ſeine drey Collegen , mit der Pie-
taͤt zu der ein roͤmiſcher Soldat gegen ſeinen Feldherrn
verpflichtet war , ihm Schutz als einer ihrer Collegen
ihn vor dem Volk anklagte . Nicht durch Hemmung des
Gerichts , ſondern durch Fuͤrbitte in Trauerkleidern : das
erſchuͤtterte den Anklaͤger , er nahm ſeine Regation zu-
ruͤck . Aber zwey Jahre ſpaͤter erwachte das Andenken
der verziehenen Schuld durch des Altconſuls gehaͤſſige
Leidenſchaftlichkeit gegen die Sache des Volks , er ward
angeklagt und in eine Mult verurtheilt .
Zum letztenmal war im Jahr 337 der Algidus Schau-
platz eines Kriegs mit den Aequern . Dieſen , verbunden
mit den Lavicanern , gewaͤhrte die Thorheit der roͤmiſchen
Militartribunen , die nur auf die Eitelkeit des Vorrangs
dachten , einen leichten Sieg . Q. Servilius , zum Dic-
tator ernannt , tilgte die Schmach der Niederlage , und
eroberte Lavici mit Sturm . Ob dieſe latiniſche Stadt
ſeit dem großen volskiſchen Krieg mit den uͤbrigen Er-
oberungen den Aequern geblieben war , oder ob ſie frey
geworden , und erſt im vorhergehenden Jahre , wie er-
zaͤhlt wird , ſich mit ihnen wieder verbunden hatte , muͤſ-
ſen wir zwiſchen der Wahrſcheinlichkeit und der Auto-
ritaͤt eines Zeugniſſes unentſchieden laſſen . Bolaͤ aber ,
welches drey Jahre ſpaͤter ( 340 ) erobert ward , ſcheint
unſtreitig ſeit jenem Kriege den Aequern geblieben zu
ſeyn : mit hartnaͤckiger Anſtrengung entriſſen ſich nun
abwechſelnd Aequer und Roͤmer den Beſitz dieſer Stadt :
er blieb den letzten . Dieſe Eroberung veranlaßte ein
Verbrechen welches bis auf die Syllaniſchen Zeiten ein-
zig in der roͤmiſchen Geſchichte iſt . Die Soldaten for-
derten Aſſignation der eroberten bolaniſchen Landſchaft ,
wenigſtens die gewonnene Beute als Entſchaͤdigung fuͤr
ihren unbeſoldeten Dienſt : beydes ward ihnen abge-
ſchlagen . Als die Beute fuͤr den Staat verkauft ward ,
entſtand ein Auflauf ; ein Steinwurf verwundete oder
toͤdtete den Quaͤſtor Zonaras VII. c. 19 . . Der Militartribun M. Po-
ſtumius , deſſen Haͤrte und ſchnoͤde Worte die Erbitterung
erregt hatten , rechnete zu ſtolz auf die Gewalt ſeiner
Wuͤrde : er hielt ein unerbittliches Gericht . So lange
die Schuldigſten buͤßten , erhielt das Bewußtſeyn ſchwe-
res Vergehens den Gehorſam : als aber der Tribun
ohne Ziel mit grauſamen Strafen wuͤthete , brach eine
zweyte Empoͤrung aus , worin Poſtumius das Leben
verlohr .
Von dieſer Zeit an verfaͤllt die Macht der Aequer
und Volsker ſichtbar . Nicht die roͤmiſch-latiniſchen
Kriege hatten ſie gebrochen : deren Sitz bisher ihr eig-
nes Land hoͤchſt ſelten , und immer nur ſeine aͤußerſte
Graͤnze geweſen war . Es erklaͤrt ſich nur durch den
großen Anwachs der ſamnitiſchen Macht die , eben in
dieſem Zeitraum , erobernd uͤber alle Graͤnzen ſtroͤmte
und die noch uͤbrigen auſoniſchen Staͤmme allenthalben
unterwarf oder verdraͤngte . Seit vierzig Jahren im
Beſitz von Capua , drangen ſie auch am obern Vultur-
nus und gegen den Liris in das Land der Volsker und
Aequer ein , welche , ihnen an dieſer Graͤnze unterliegend ,
auch den Latinern den Sieg und die gewonnenen Orte
nicht mehr ſtreitig machen konnten . Ihre Eroberungen er-
ſtreckten ſich , freylich in einer ſpaͤteren Zeit , bis Sora ,
Fregellaͤ und Fabrateria am Liris .
In den Jahren ihrer Groͤße hatten die Volsker
den Hernikern Ferentinum entriſſen : dieſes ward von
den Verbuͤndeten im Jahr 342 erobert und den Herni-
kern zuruͤckgegeben . Die folgenden Jahre werden nur
durch unbedeutende Unternehmungen an der Graͤnze be-
zeichnet . Kaum glaublich iſt es daß die Roͤmer ſchon
in dieſem Zeitraum bis an den See Fucinus Livius IV. c. 57 . vorge-
drungen waͤren . Der Feldzug des Jahrs 349 war wich-
tiger als irgend ein vorhergehender . Drey roͤmiſch-la-
tiniſche Heere ruͤckten in das Volskerland ein ; zum er-
ſtenmahl in der roͤmiſchen Geſchichte zeigen ſich ver-
bundene Bewegungen abgeſonderter Corps , und wir
fuͤhlen uns befreyt von der langwierigen Einfoͤrmigkeit
kunſtloſer pluͤndernder Einfaͤlle , die ein einziges Zuſam-
mentreffen endigt . Eine Abtheilung bedrohte Antium ,
eine
eine zweyte Ecetraͤ , indeſſen ruͤckte die Hauptmacht ge-
gen das ſich ſelbſt uͤberlaſſene Anxur vor . Dieſe Stadt
war den roͤmiſchen Koͤnigen unterthan geweſen ; damals
und ſpaͤter als latiniſche Stadt ward ſie Tarracinaͤ ge-
nannt Polybius III. c. 22. Siehe Th. I. S. 334 . : ſeitdem vor neunzig Jahren die Volsker ſie
erobert , oder ihre volskiſchen Bewohner ſich unabhaͤngig
gemacht , fuͤhrte ſie den fremden Nahmen . Sie war
feſt durch ihre Lage auf einem Berge am Rand der
Suͤmpfe . Die Mauern aller Staͤdte diesſeits der Tiber
welche von den Haͤnden der damals ſie bewohnenden
Staͤmme aufgefuͤhrt waren , ſchuͤtzten nur gegen einen
rohen Angriff mit Sturmleitern : und die von Anxur
wurden uͤberſtiegen indem die Roͤmer den Angriff und
die Aufmerkſamkeit der Belagerten theilten . Dieſe Er-
oberung ſtellte an der Seekuͤſte die aͤußerſte Graͤnze des
koͤniglichen Reichs her : aber in ihrem Umfang behaup-
teten Antium , und im Innern andre auſoniſche Staͤdte ,
welche vormals ohne Zweifel mit ganz Latium den Koͤ-
nigen gehorchten , ihre Unabhaͤngigkeit : und die Latiner
waren nicht mehr Unterthanen , ſondern Mitherren der
wiedereroberten Gegenden . Anxur in ihrer und der Roͤ-
mer Gewalt , und die in den Annalen uͤbergangne , nur
durch die Gruͤndung einer neuen Colonie beurkundete
Wiedereroberung des im volskiſchen Kriege verlohrnen
Circeji , gewannen den verbuͤndeten Staaten den Beſitz der
pomptiniſchen Ebenen . Dieſe , die weitlaͤuftigſten Ita-
liens Dionyſius IV. c. 63 . , waren vor Alters und unter der volskiſchen
Zweiter Theil. O
Herrſchaft nicht minder fruchtbar und angebaut : eine
Tradition redete von drey und dreyßig Staͤdten in ih-
rem Umfang Plinius H. N. III. c. 9. , wie Campanien waren ſie die Korn-
kammer wo Rom im Mißwachs kaufte Livius II. c. 34. IV. c. 25 . . Fleiß und
große Werke hatten ſie aus Sumpf zu dieſer Bluͤthe um-
gebildet : nach der Eroberung ſcheinen ſie oͤde gelegen
zu haben , und verwilderten ſo in kurzer Zeit zu der
Wuͤſteney woraus Rom ſie nie ganz und dauernd wie-
derzugewinnen vermochte . Wir duͤrfen es nicht ver-
ſchweigen daß dieſes das Bild der Bluͤthe Italiens vor
den Roͤmern , und ſeiner Einoͤde nach ihren Eroberun-
gen iſt : der lockenden Preiſe des Siegs , und ihrer Zer-
ſtoͤrung ehe ſie gewonnen wurden .
Der vejentiſche Waffenſtillſtand des Jahrs 280 von
vierzig cycliſchen Jahren Siehe Th. I. S. 202 . war im faſtiſchen Jahr
314 abgelaufen ; entweder alſo herrſchte ſchon offenbarer
Krieg zwiſchen Rom und Veji , oder die Ruhe ward
ſtillſchweigend oder durch Vertraͤge hingehalten , als Fi-
denaͤ im Jahr 317 zu den Vejentern abfiel . Dieſe Stadt ,
welche Livius etruskiſch nennt Livius I. c. 15 . , wieder aber auch ,
mit Dionyſius , eine roͤmiſche Colonie Derſelbe IV. c. 17 . , deren Gruͤn-
dung auf Romulus , das heißt auf die vorlatiniſche Zeit
Roms , bezogen wird , war ſo wenig wie Oſtia eine la-
tiniſche Colonie gleich denen des Koͤnigs Tarquinius und
der Republik : dieſe ſind unter den dreyßig latiniſchen
Staͤdten aufgefuͤhrt , jene nicht : alſo iſt der zwiefache
Charakter einer etruskiſchen Stadt und einer Colonie
Roms in ihr vereinigt und vertraͤglich , als in einer
caͤritiſchen S. Th. I. Zuſatz zu S. 182 . .
Zwey Kriege fuͤhrte Rom gegen Veji , welche ſich
um das abtruͤnnige Fidenaͤ bewegten , und durch ſein
Schickſal entſchieden wurden . Die Vorfaͤlle beyder ſind
ſichtbar unter einander verworren , und Livius ſelbſt zwei-
felt , ob er Coſſus Sieg und fuͤrſtliche Beute auf das
Jahr 318 oder 320 , oder gar auf ſein in allen Faſten
ſtumm angedeutetes Conſulat 327 , beziehen ſolle . Als
Erzaͤhler nimmt er das zuerſt genannte Jahr an ; wir
verdanken es auch wohl nur ſeiner Ruͤckſicht nicht zu
vernachlaͤſſigen , was er aus Auguſts Munde erfahren ,
und , ſonderbar genug , in Rom ſelbſt als Augenzeuge
zu erkundigen nicht der Muͤhe werth geachtet , daß er
berichtet der Imperator habe auf den Spolien Coſſus
conſulariſchen Titel geleſen . Er ſelbſt weiß auch daß
ein gewoͤhnlicher Militartribun opime Spolien nicht wei-
hen konnte , wohl aber ein conſulariſcher : und die des
Coſſus ſind ſtets im Andenken beruͤhmt geweſen , wie der
Tod des vejentiſchen Koͤnigs welcher fuͤr den Geſand-
tenmord buͤßte . Auch irrt er in der Meinung alle An-
nalen waͤren einſtimmig fuͤr die Epoche des erſten Kriegs :
Diodor ſchrieb vor ihm , und die denen er folgte , wahr-
ſcheinlich Fabius , nur eines fidenatiſchen Kriegs geden-
kend , fuͤhrten den Mord der Geſandten unter dem Jahre
329 an Diodor XII. c. 80 . . Auch wuͤrde nach der gewoͤhnlichen Mei-
nung die zweyte harmloſere Empoͤrung von Fidenaͤ mit
O 2
Zerſtoͤrung der Stadt beſtraft , der Mord der Geſandten
nach der erſten nur leicht geahndet ſeyn , welches un-
denkbar iſt . Ich verlaſſe daher in dieſer Geſchichte Li-
vius Zeitordnung .
Der Abfall von Fidenaͤ verſetzte den etruskiſchen
Krieg auf das linke Ufer der Tiber : mit den Vejentern
zogen die Falisker als ihre Verbuͤndete gegen Rom .
Die Bewegungen der Heere zwiſchen zwey Staͤdten de-
ren Burgen einander ſichtbar waren , ſind keiner Erzaͤh-
lung faͤhig . Die Conſuln des Jahrs 318. lieferten den
Etruskern ſuͤdlich vom Anio eine blutige und unentſchie-
dene Schlacht : Anſtrengungen wie die Dictatur ſie ge-
bieten konnte fuͤhrten auch dieſesmal den Sieg zuruͤck :
mehr aber koͤnnen wir von dieſer Schlacht nicht ſagen ,
denn die welche Livius mahlt gehoͤrt dem Jahr 328 an .
Roͤmer und Etrusker wurden im folgenden Jahr von
Seuchen heimgeſucht , und erſt der zweyte Feldzug , 320 ,
iſt der Erwaͤhnung werth . Von zwey Voͤlkern , deren
Hauptſtaͤdte keinen Tageweg von einander entfernt wa-
ren , uͤberraſchte dasjenige welches fruͤher den Entſchluß
faßte den kurzdauernden Zug zu unternehmen welcher in
jedem Kriegsjahr die Feindſeligkeiten begriff . Auch die-
ſesmal erſchienen die Etrusker vor dem Colliniſchen Thor
den Roͤmern unerwartet . A. Servilius , zum Dictator
ernannt , fuͤhrte das Aufgebot aus der Stadt : vor ihm
wichen die Etrusker uͤber den Anio bis Nomentum : dort
geſchlagen vermochten ſie nicht die Belagerung von Fi-
denaͤ zu hindern . Obgleich mit Gewalt erobert , wur-
den die Fidenater ſchonend behandelt , und nur durch die
Anweiſung eines Theils ihrer Feldmark an neue roͤmi-
ſche Coloniſten geſtraft , welche als Beſatzung ihre Treue
bewachen ſollten Livius IV. c. 30. . Hierauf ward Waffenſtillſtand mit
den Vejentern , wie es ſcheint im naͤchſten Jahre und
fuͤr acht Jahre , geſchloſſen Ebendaſ . : im Jahr 328 hatte die-
ſer ſein Ende erreicht . Wahrſcheinlich im folgenden ( 329 ) ,
als die Fidenater aufs neue abfielen und die unter ih-
nen wohnenden roͤmiſchen Coloniſten erſchlugen , geſchah
dort die Greuelthat , daß vier roͤmiſche Abgeordnete , aus-
geſandt um die verdaͤchtige Stimmung dieſer Stadt zu
beobachten und ſie im Gehorſam zu erhalten , von den
Empoͤrern ermordet wurden : nach einigen auf Befehl des
vejentiſchen Koͤnigs Tolumnius , nach andern unter dem
Vorwand ſeines Willens , ihm unbewußt . Mam . Aemi-
lius , der in ſeiner erſten Dictatur die Etrusker von der
Stadt entfernt und geſchlagen hatte , ward fuͤr dieſen
Krieg zum drittenmal zu dieſer Wuͤrde erhoben : denn drey
conſulariſche Militartribune , denen der Oberbefehl uͤber
das Heer zugefallen war , hatten vor Veji eine ſchimpf-
liche Niederlage erlitten . Der Dictator ernannte den
vierten Tribun dieſes Jahrs A. Cornelius Coſſus zum
Oberſten der Ritter .
Die Schilderung der Schlacht vor Fidenaͤ welche den
Untergang dieſer alten Stadt entſchied iſt das Werk unge-
bundener Phantaſie . Waͤhrend die etruskiſchen und roͤ-
miſchen Legionen in regelmaͤßiger Schlacht fochten , ſoll
eine Schaar , das Haar durchwunden mit bunten Binden
gleich dem Schlangenhaar der Furien Florus I. c. . , Fackeln und
Feuerbraͤnde ſchuͤttelnd , aus der Stadt unter das roͤmi-
ſche Heer geſtuͤrzt ſeyn . Der etruskiſche Aberglaube mag
einer ſolchen Mummerey nicht fremd geweſen ſeyn : — eine
aͤhnliche wird von den Tarquinienſern erzaͤhlt Livius VII. c. 17 . — der
Anblick konnte Entſetzen verbreiten : aber das kann der
ſtrengglaͤubigſte nicht fordern daß wir es als Geſchichte
nehmen ſollen wenn erzaͤhlt wird , wie die Pferde entzuͤ-
gelt waͤren und ſich in die Flammen geſtuͤrzt haͤtten vor
denen die Reuter zuruͤckbebten . Es war wohl in dieſer
Schlacht daß A. Coſſus den vejentiſchen Koͤnig erlegte ,
ſeine Spolien erbeutete , und ſie dem Jupiter Feretrius
weihte . Der Legat T. Quinctius hatte die Etrusker mit
einer Abtheilung des Heers umgangen , und als ſie vor
dem Dictator flohen , die Vejenter ſich in die Tiber ſtuͤrz-
ten , die Fidenater durch ihr Lager , welches ſie nicht mehr
zu vertheidigen unternahmen , in die zu ihrer Rettung ge-
oͤffneten Thore hineindraͤngten , brach er mit ihnen zugleich
in die Stadt ein . Bald vereinigte ſich der Dictator mit
ihm ; die Einwohner welche das Schwerdt verſchonte wur-
den als Sklaven verkauft , und der Rahme von Fidenaͤ
ward das Symbol eines veroͤdeten Fleckens .
Den ermordeten Geſandten wurden Statuen errichtet ,
welche , unter den aͤlteſten Werken roͤmiſcher Kunſt , bis in
Ciceros Jugend erhalten waren , und in dieſer Zeit , welche
ſo viel Altes vertilgte , untergegangen zu ſeyn ſcheinen Cicero Phil. IX. c. 2. Plinius XXXIV. c. 11. hielt
nachgebildete Statuen welche er ſah fuͤr jene urſpruͤngli-
chen alten . .
Vom Anfang des letzten vejentiſchen
bis zum galliſchen Krieg .
Auf die Einnahme von Fidenaͤ folgte ( 330 ) ein Waf-
fenſtillſtand zwiſchen Rom und Veji auf zwanzig cycliſche
Jahre : dieſer waͤhrte durch unbeſtimmte Verlaͤngerung
noch einige Zeit uͤber ſeine verabredete Dauer : denn ſchon
am Anfang von 348 war er erloſchen Eo anno quia tempus induciarum cum Vejente popule
exierat — res repeti cœptæ . Livius IV. c. 58 . . Die Vejenter
ſuchten vergeblich eine dauerndere Erneuerung . Fruͤher
hatte ihre eigene Kraft dem roͤmiſchen Kriege genuͤgt : jetzt
da ſie angſtvoll auf die ſchnell emporwachſende Ueber-
macht des Volks ſahen welches , gierig nach ihren frucht-
bareren Gefilden , ſie bekriegte um ſie zu vertilgen , entzog
ihnen die eigne Gefahr der entfernteren Verbuͤndeten den
ſchwachen Beyſtand welchen die etruskiſche Foͤderation
haͤtte gewaͤhren moͤgen . Denn eine Voͤlkerwandrung war
uͤber die Alpen eingebrochen : die aͤlteſten und groͤßeſten
Staͤdte um den Padus wurden vertilgt , und der Apenni-
nus war kein Schirm fuͤr die noch nicht angegriffenen . So
konnte Veji nur von den naͤchſten Staͤdten Beyſtand hof-
fen , und nur Capena und Falerii gewaͤhrten ihn treu :
Tarquinii ſchwach : Caͤre aber war Rom eng verbunden ,
wenn auch wohl neutral im Kriege . Der Senat erkannte
daß dieſer Augenblick unſchaͤtzbar ſey um eine Laufbahn
von Eroberungen zu betreten . Volsker und Aequer wa-
ren nicht mehr furchtbar ; ihnen waren Latiner und Her-
niker ſtark genug . Aber das bisherige Kriegsſyſtem Roms
machte Eroberungen gegen etruskiſche Staͤdte unmoͤglich ,
die durch ſtarke Befeſtigungen geſichert waren , und den
Frieden ſuchten , nicht aus Mißtrauen in ihre Mauern
ſondern um ihr Gebiet nicht verheert zu ſehen . Waͤhrend
der ganzen Zeit die nach der Verbannung der Koͤnige ver-
floſſen war , hatte noch kein roͤmiſcher Feldzug laͤnger als
zwey oder drey Wochen gewaͤhrt : der ungluͤckliche vejenti-
ſche Krieg worin der Feind die Stadt eingeſchloſſen hielt ,
widerſpricht dem nicht , und die Aushungerung der Ae-
quer auf der Burg von Tusculum war durch die Noth ge-
boten . Oft ſcheinen acht Tage die Kriegsthaten eines
Jahrs begriffen zu haben . Die uͤbrige Zeit hindurch war
ſogar der Verkehr nicht geſtoͤrt : Kaufleute zogen hin
und her zwiſchen feindlichen Voͤlkern , wie mit einem Ge-
leit So ging Anxur verlohren : die volskiſchen Kaufleute wur-
den zugelaſſen : die Roͤmer hauſirten im Volskerlande , Liv. V.
c. 8. In der pomptiniſchen Ebene ward waͤhrend der Kriege
Korn gekauft : Anm. 246. ; und waͤhrend der etruskiſchen
beſuchten die roͤmiſchen Kaufleute die Verſammlungen bey
dem Tempel der Voltumna . : ſo ſoll auch an der georgiſchen Graͤnze außer den
Kriegsmonaten Handel gefuͤhrt werden , und offener Ver-
kehr beſtehen . Solche Kriegsmonate ſind unverkennbar
bey den Roͤmern und ihren oͤſtlichen Nachbarvoͤlkern , wie
im Orient , wo alle alte Sitte erhalten iſt : wie in Habbeſch
die Vaſallen mit ihrem Gefolge zu geſetzter Zeit bey dem
Unterkoͤnig zum Feldzug zuſammenkommen . Wie Roͤmer
und Latiner , ſo Volsker und Aequer . Erſchien der Feind
fruͤher , dann ward eilig ein Heer gegen ihn verſammelt :
war dieſes ungluͤcklich dann zog ein allgemeines Aufgebot
unter einem Dictator ins Feld . Der Schauplatz des
Kriegs lag ſelten uͤber einen Tagemarſch entfernt von
Rom , den Feinden nicht ferner : man traf zuſammen ,
und wer einmal das ſeltne Gluͤck hatte entſcheidend zu ſie-
gen , verwuͤſtete ein Paar Tage lang die naͤchſten Gegen-
den , und eilte dann ſeine Beute in Sicherheit zu bringen .
Dieſe Schlachten , ſo ernſthaft geſchildert , waren ſicher
auch nicht moͤrderiſcher als die gewoͤhnlichen der griechi-
ſchen Geſchichte , welche oft entſcheidend und folgenreich
waren , wenn einige Hunderte fielen ; obgleich freylich die
Niederlage in Sicilien der von Cannaͤ kaum nachſteht .
Daher erſtaunt Livius Livius VI. c. 12 . nur weil ihn falſche Bilder irre
leiten , wie Volsker und Aequer durch mehr als hundert-
jaͤhrige Kriege nicht voͤllig aufgerieben waͤren . Zwey
Jahrhunderte lang bekriegten ſich die lombardiſchen
Staͤdte raſtlos und erbittert , dabey wuchſen ſie an Volks-
menge und Bluͤthe ſo lange ſie frey blieben : Toscana nicht
minder . Zu dieſen Schlachten kamen die Roͤmer , und
ohne Zweifel auch die Feinde , jeder Soldat mit eignen
Waffen , und mit Speiſevorrath vom Hauſe verſe-
hen Οἰκόσιτοι . Zonaras VII. c. 19 . : eine Kriegsweiſe welche dem Zug in ſehr weni-
gen Tagen ſein Ziel ſetzte , wenn nicht Beute dem Mangel
abhalf . So war es nicht allein unmoͤglich einen Sieg zu
verfolgen und Eroberungen zu machen , weil jeder eilte zu-
ruͤck zu kehren ; auch der Kriegsgeiſt der Nation konnte
ſich nicht bilden ; und der aͤlteſte Veteran beſaß weniger
Erfahrung als ein Soldat der ſpaͤteren Legionen welcher
einen Feldzug gedient hatte : Ausdauer , Herſtellung des
Gluͤcks durch Muth und Gewandtheit , waren den Feld-
herren und der Armee voͤllig fremd . In den ſpaͤteren
Feldzuͤgen dieſes Zeitraums zeigen ſich Spuren langwie-
rigerer Unternehmungen die durch Erfolg belohnt wur-
den ; aber der Mißmuth der Soldaten welche , auf ihre
Armuth eingeſchraͤnkt , im Felde hungerten , und daher
alle Beute fuͤr ſich nicht mit Unrecht forderten , brach in
den Mord des Militartribunen M. Poſtumius aus . Es
war alſo nothwendig eine Armee zu beſolden um ſie zu bil-
den , wie Athen ſchon laͤngſt dem Buͤrger aller Klaſſen im
Felde Sold zahlte : und zwar einen hohen Sold : denn
am Anfang des peloponneſiſchen Kriegs empfing der atti-
ſche Linienſoldat eine Drachme taͤglich fuͤr ſich , und eben
ſo viel fuͤr einen Diener Thukydides III. c. 17 . Die uͤbrigen Griechen gaben dem
Lanzknecht drey Obolen , dem Reuter eine Drachme . Der-
ſelbe V. c. 47 . .
Die unlaͤugbaren Eroberungen der Koͤnige ſind nur
dadurch moͤglich , daß ſchon unter ihrer Herrſchaft der
Krieger Sold empfangen haben muß . Es iſt ſchon be-
merkt worden daß ihre außerordentlichen Werke und
Bauten ebenfalls große Einkuͤnfte vorausſetzen , und daß
dieſe nur aus dem Antheil des Souverains an dem Er-
trag den die Staatsdomaine dem Anbauer gewaͤhrte ent-
ſtehen konnten : theils von eroberten und unterwuͤrfigen
Staͤdten , theils von veroͤdeten Feldmarken deren Beſitz
den Patriciern eingeraͤumt ward . Als nach der Verban-
nung der Koͤnige Roms Macht ſank , gingen die Steuern
der Unterthanen verlohren ; und die Patricier fanden
ihren Vortheil bey der Abſchaffung der Monarchie nicht
bloß in der Souverainetaͤt ; auch , und noch unmittelbarer
darin daß ſie die Abgaben vom Gemeinlande nicht mehr
zahlten . So war nun der Staat ſeines Reichthums ent-
bloͤßt , und auf die Vermoͤgensſteuer beſchraͤnkt , uͤber de-
ren verderbliche Beſchaffenheit ſchon an mehr als einem
Ort geredet iſt . Einige Zeit am Anfang der Republik
mag der Sold noch fortgedauert haben : und aus der
druͤckenden Erhebung des Schoſſes entſtand wahrſchein-
lich die ſchreckliche Verarmung des Volks , welche die
Auswandrung auf den heiligen Berg veranlaßte : dieſe
Urſache wird namentlich angegeben : es laͤßt ſich aber fuͤr
die Ausſchreibung des Schoſſes kein anderer Zweck denken
als der Armee Sold zu zahlen . Nach dem Vergleich zwi-
ſchen Senat und Volk wird weder uͤber große Verſchul-
dung noch uͤber den Druck der Steuer geklagt , ſo daß
dieſe nur etwa zum Behuf von Getreideeinkaͤufen aufge-
legt geworden zu ſeyn ſcheint . Der Staat entſagte dem
nothwendigen Mittel ſeine Groͤße wieder zu gewinnen ;
wenn dieſes aber fuͤr die erſchoͤpfte Nation unerſchwing-
lich war , und ſie innerlich verzehrte , ſo war es viel wei-
ſer ſich viele Jahre lang beſcheiden zu beſchraͤnken , um
Kraͤfte und Wohlſtand im Innern herzuſtellen .
Freylich gab es auch eine andre Einnahme wovon
ein maͤßiger Sold haͤtte beſtritten werden koͤnnen , wenn
das Geſetz oder Senatusconſult des Jahrs 268 aus-
gefuͤhrt , und die Abgabe von den Gemeinlaͤndereyen
erhoben waͤre . Das forderten die Volkstribunen im
Jahr 331 IV. c. 36. ostentata spes vectigali possessoribus agro-
rum imposito in stipendium militum erogandi æris . , ausdruͤcklich damit Sold gezahlt werden
koͤnne : welches ihnen alſo nicht weniger angelegen war
als dem Senat , und achtzehn Jahre fruͤher von ihnen
vorgeſchlagen ward ehe der Senat es verordnete . Die-
ſer aber war noch ſo tief unter dem Beruf die Voͤlker zu
beherrſchen daß er dieſe Erwaͤhnung nicht duldete , ob-
gleich die Eroberungen welche nur durch beſoldete Armeen
moͤglich waren , nach der Abſicht der Patricier , ſicher nur
ſie bereichern ſollten : denn auch nach der Einnahme
von Veji machten ſie Anſpruͤche auf den ausſchließen-
den Beſitz des eroberten Gebiets . Allerdings iſt nichts
glaublicher als daß die Tribunen , da auf einmal der
Armee Sold verſprochen ward , die Freude des Volks
durch die Warnung ſtoͤrten , es ſey ein Geſchenk welches
der Senat aus fremden Mitteln gebe , und welches den
Plebejern ſchwer genug fallen werde : das aber war ,
weil die Abgabe vom Gemeinland nicht hergeſtellt ward ,
ſtrenge Wahrheit , nicht haͤmiſche Unempfindlichkeit bey
der allgemeinen Freude Livius IV. c. 60 . . Das Volk war am Ende
des Kriegs durch die unaufhoͤrlichen Ausſchreibungen des
Schoſſes ganz verarmt Derſelbe V. c. 20. . Um die Zahl der Steuer-
pflichtigen zu vermehren zwang Camillus als Cenſor , drey
Jahre nach Einfuͤhrung des Solds , die wohlhabenden
Wittwen ſich zu verheirathen , und zog das bis dahin freye
Vermoͤgen der Waiſen unter die Beſteurung , woraus zu
folgen ſcheint daß die Ritter nicht mehr eine Rente vom
Vermoͤgen lediger Frauen ſondern Sold vom Staat be-
zogen Plutarch Camill. p. 129. E. Hierauf iſt wohl die von Li-
vius in eine ſehr dichteriſche Erzaͤhlung verwebte Nachricht
aus demſelben Jahr zu beziehen : Tum primum equis merere
equites cœperunt . Livius V. c. 7. Zonaras VII. c. 20 . . Auch iſt es klar , daß der Betrag der Loͤh-
nung , ſelbſt eines nicht zahlreichen Heers , ausſchließend
durch Schoß aufgebracht , eine ſchreckliche Laſt fuͤr die
Plebejer war , welche ſie nie geduldet haben wuͤrden ,
wenn nicht hier das Intereſſe der Armen , die weit mehr
empfingen als zahlten , fuͤr die Fortdauer des Solds auch
auf dieſe Weiſe , wenn die Patricier keine andre zulaſſen
wollten , geredet haͤtte . Allenthalben iſt im Fortgang der
Zeit an der Loͤhnung des Soldaten im Verhaͤltniß der
Vermehrung der Heere und im umgekehrten der ſteigenden
Theurung und des Geldgehalts gekuͤrzt worden ; ſo muß-
ten die roͤmiſchen Soldaten ſpaͤter die Aſſe zu zehn auf den
Denar annehmen , als er fuͤr alle uͤbrige Rechnungen auf
ſechszehn geſetzt war . Man kann es daher fuͤr entſchieden
halten daß urſpruͤnglich , wie am Anfang des ſiebenten
Jahrhunderts , die taͤgliche Loͤhnung des roͤmiſchen Sol-
daten in drey Aſſen beſtand , der Centurio empfing das
doppelte , der Ritter das dreyfache Polybius VI. c. 39. . Von einer hoͤ-
heren Beſoldung der obern Offiziere iſt nirgends die Rede ;
ſie ſcheinen nur den Sold eines Ritters bezogen zu haben ,
wie der Dey von Algier Loͤhnung als Janitſchar em-
pfaͤngt , und verfaſſungsmaͤßig fuͤr das uͤbrige nur von
der Republik freygehalten wird , und auf die Vortheile
angewieſen iſt welche er als Feldherr auf Koſten fremder
Staaten und der Unterthanen durch Geſchenke genießt .
Die Conſuln erhielten theils uͤberliefert was ihre Wuͤrde
erforderte , theils ſtellten ſie in Rechnung was nach ihrem
eignen Urtheil ſie zu erhalten noͤthig war . Nimmt man
nun an daß zwey Legionen , von der urſpruͤnglichen , auf
dem Cenſus des Servius gegruͤndeten Staͤrke , wie ſie
auch bis nach dem Ende des erſten puniſchen Kriegs ge-
woͤhnlich war , gegen Veji im Felde geſtanden haͤtten ,
eine Zahl die doch fuͤr eine Belagerung oder fortgeſetzte
Blokade ganz unzureichend war , ſo wuͤrde die Loͤhnung
allein fuͤr ein ganzes Jahr 10,380,600 Aſſe , oder
1,038,060 Denarien betragen haben Naͤmlich in der Legion 3600 Gemeine , 120 Centurionen ,
und 300 Ritter : ohne noch etwas fuͤr die Accenſi ( das
Depotbataillon ) zu rechnen , noch die Fahnentraͤger von
den Gemeinen abzuſondern . . Rechnet man
dieſe zu einer Million attiſcher Drachmen , ſo haͤtte der
jaͤhrliche Schoß von einem Grundvermoͤgen welches dem
des attiſchen Kataſters Demoſthenes περὶ συμμοριῶν. p. 183. ed. R. Polybius II.
c. 62 . gleich gekommen waͤre , drey
Procent jaͤhrlicher Capitalſteuer erfordert . Aber in At-
tika gab es ſchlechterdings keine ſteuerfreye Grund-
ſtuͤcke , welche ſicher den wichtigſten Theil der liegenden
Gruͤnde im roͤmiſchen Gebiet ausmachten . Attika war
ohne Vergleich ausgedehnter als dieſes , und der Geld-
werth aller Gegenſtaͤnde ſo viel hoͤher zu Athen als zu
Rom daß , wenn auch jener Cenſus nur Land und Haͤu-
ſer befaßt haͤtte So ſcheint es nach Demoſthenes : Polybius freylich redet
beſtimmt fuͤr das Gegentheil . Der Cenſus lag der attiſchen
Hypothekenordnung zum Grunde . , und zu Nom mehrere Gegenſtaͤnde
darin begriffen geweſen waͤren , dennoch nicht beſtritten
werden kann daß der roͤmiſche Cenſus damals jenen bey
weitem nicht erreichte . Es war aber die Loͤhnung , wenn
auch der hauptſaͤchlichſte , dennoch nicht der einzige Ge-
genſtand der Kriegskoſten ; wenn auch der Brodgroſchen
und der Werth erſetzter Waffen gekuͤrzt wurden , und je-
der ſich ſelbſt urſpruͤnglich ruͤſten und bewaffnen mußte .
Man darf ſich alſo bey einer ſo augenſcheinlichen Un-
erſchwinglichkeit keineswegs durch Livius ausdruͤckliche
Erzahlung verleiten laſſen an eine fortgeſetzte Einſchlie-
ßung der Stadt waͤhrend zehn Sommern und Wintern
durch ein zahlreiches Heer , durch die geſammte Jugend
der Nation Livius V. c. 2 . 7. 22 . Im Jahr 354 ſollen nicht nur alle
Juͤngere ( vom ſiebzehnten bis zum fuͤnf und vierzigſten Jahr )
conſcribirt ſeyn , ſondern auch ein Theil der Aelteren . , oder daran zu glauben daß der Sold
immer fuͤr ein ganzes Jahr , nicht nach der Zeit des
wirklich geleiſteten Dienſtes , ausbezahlt ſey Livius V. c. 4. Annua æra habes , annuam operam
ede . An tu æquum censes , militia semestri solidum te
stipendium accipere ? . Auch
haͤtte Veji , wenn es dauernd durch roͤmiſche Linien ein-
geſchloſſen geweſen waͤre und andere Linien das Lager
gegen Etrurien gedeckt haͤtten , weit fruͤher durch Hun-
ger fallen muͤſſen , und der ſtete Verkehr mit Etrurien ,
welchen die Geſchichte der Belagerung vorausſetzt und
erzaͤhlt , waͤre dann unmoͤglich geweſen . Glaublich iſt
nur daß mehrere Schanzen um die Stadt her aufge-
fuͤhrt waren , und von roͤmiſchen Beſatzungen behauptet
wurden , welche , gegen einen gewagten Sturm hinreichend
befeſtigt , im Fall eines ernſthafteren Angriffs durch ein
allgemeines Aufgebot aus dem weniger als zwanzig Mil-
lien entfernten Rom entſetzt werden konnten . Solche
Kaſtelle , wie ſie die Sprache der roͤmiſchen Kriegskunſt
nannte , machten die Beſtellung der Felder faſt unmoͤg-
lich , und erſchwerten die Zufuhr außerordentlich , wenn
ſie gleich nicht hinreichten voͤlligen Hunger in der Stadt
hervorzubringen .
Sie waren , wie Dekelea , unter dem Schutz der
Armee aufgefuͤhrt , und alljaͤhrlich lagerte dieſe ſich aufs
neue vor der Stadt : dann waren ſie der Sitz der Zu-
ruͤſtungen und die Baſis der Belagerungswerke , wie die
Kindheit der italiſchen Kriegskunſt ſie kannte , wenn dieſe
unternommen wurden . Im dritten Feldzug ( 352 ) ſchei-
nen dieſe Kaſtelle zuerſt aufgefuͤhrt zu ſeyn : damals
ward die Stadt auch regelmaͤßig belagert . Ein Schutt
war gegen die Mauer gefuͤhrt , von hoͤlzernen Geruͤſten
eingeſchloſſen , auf daß er nicht zerfalle : das war auch
in Griechenland damals noch die Belagerungsart , einen
Damm in gleicher oder groͤßerer Hoͤhe der Mauer , und
von großer Breite , an ſie hinanzufuͤhren , um die Bela-
gerten auf ebener Flaͤche oder von einem hoͤheren Ort
auzugreifen Thukydides II. c. 75 — 77 . . Mauerbrecher waren noch aͤußerſt
ſelten:
ſelten : die Peloponneſier hatten ihrer zwey vor Plataͤaͤ ,
und dieſe waren ſchwach : erſt um dieſe Zeit wurden die
Katapulten zu Syrakuſaͤ , in der Vaterſtadt der hohen
Mechanik , erfunden . Als die Werke ſo weit gediehen wa-
ren beſchloß der Senat in einem Winterfeldzug bey der
Belagerung auszuharren : aber die Hoffnung eines nahen
Siegs ward vereitelt durch einen Ausfall der Vejenter ,
welche die Roͤmer zuruͤckwarfen , die Geruͤſte anzuͤnde-
ten , und den Schutt ebneten . Seitdem ward die Bela-
gerung bis zum letzten Feldzug nicht wieder erneuert .
Im folgenden Jahr ( 353 ) ſtanden zwey roͤmiſche Laͤ-
ger vor Veji , ein groͤßeres unter dem Tribun L. Virgi-
nius , ein kleineres unter ſeinem Collegen M’ . Sergius .
Die Capenaten und Falisker unternahmen den Entſatz der
verbuͤndeten Nachbarſtadt . Waͤhrend ihr zahlreiches Heer
das Lager des Sergius beſtuͤrmte , ward dieſes zugleich
durch einen Ausfall der Vejenter angegriffen . Zwiſchen
den beyden roͤmiſchen Befehlshabern herrſchte eingewur-
zelter Groll . Unterrichtet von der Bedraͤngniß der an-
dern Armee , nahe genug um die ſeinige ihr zeitig zu
Huͤlfe zu fuͤhren , blieb Virginius unbeweglich , unter dem
Vorwand der Vorſicht , und daß er ſeinem Collegen eine
Huͤlfe nicht aufdraͤngen koͤnne , welche dieſer , forderte es
die Gefahr , verlangen wuͤrde . Mit gleicher Bethoͤrung
zog Sergius unvermeidliche Niederlage der vermeinten
Demuͤthigung vor durch ſeinen perſoͤnlichen Feind aus der
Gefahr gerettet zu werden . Das Lager ward erobert und
die Fluͤchtlinge zerſtreuten ſich bis Rom . So war Veji
entſetzt , obgleich das andere roͤmiſche Heer ſich in der
Zweiter Theil. P
Naͤhe der Stadt behauptete . Auch wurden die verlohr-
nen Kaſtelle von den folgenden Militartribunen ( 354 ) wie-
der erobert , oder hergeſtellt , waͤhrend Camillus und ein
anderer Tribun die Niederlage des vorigen Jahrs an den
Faliskern und Capenaten durch Verheerung ihres Landes
bis an die Mauern der Staͤdte raͤchten . Zwey Jahre nach-
her ( 356 ) , als die Roͤmer ebenfalls in zwey Laͤgern vor
Veji ſtanden , kamen dieſelben Voͤlker aufs neue zum Ent-
ſatz . Aber waͤre auch der Wahnſinn des Sergius und
Virginius bey roͤmiſchen Befehlshabern nicht eine ſehr
ſeltene Ausartung geweſen , die Strafe , welche das Volk
uͤber ſie ausgeſprochen hatte , wuͤrde doch die Wiederho-
lung des Vergehens unmoͤglich gemacht haben . Waͤh-
rend die Verbuͤndeten das kleinere Lager beſtuͤrmten , wur-
den ſie von der roͤmiſchen Hauptarmee umgangen und ge-
ſchlagen : dann die Vejenter in die Stadt zuruͤckgewor-
fen ; eine Menge von ihnen ward vor den furchtſam ge-
ſchloſſenen Thoren den verfolgenden Siegern aufgeopfert .
Dies war der erſte Sieg plebejiſcher Militartribunen .
Das folgende Jahr verging thatenlos , im zweyten ſtreifte
ein anderes verbuͤndetes etruskiſches Volk , die Tarqui-
nienſer , ohne Erfolg fuͤr Vejis Befreyung und nicht un-
geſtraft in das roͤmiſche Gebiet . Der Feldzug des Jahrs
359 , in dem Veji fiel , begann nicht mit verheiſſenden
Ausſichten fuͤr Rom . Die Militartribunen Cn. Genu-
cius und L. Titinius hatten einen Einfall in das Gebiet der
Capenaten und Falisker unternommen ; wahrſcheinlich
um ſie durch eigne Gefahr , waͤhrend der kurzen Sommer-
jahrszeit welche auch dieſe Voͤlker dem Kriege nur noch
weihten , von einer Unternehmung zum Entſatz von Veji
abzuſchrecken . Unbeſonnener Muth verfuͤhrte die Anfuͤh-
rer ihre Truppen in eine unguͤnſtige Gegend zu wagen :
Genucius verſoͤhnte ſeinen Fehler durch einen tapferen Tod
an der Spitze der Seinigen : Titinius gluͤcklicher , indem
er die umringenden Feinde durchbrach .
Um einen Krieg zu endigen bey deſſen fortwaͤhren-
der Dauer den Feind nur noch ſeine Mauern ſchuͤtzten ,
ward Camillus , ohne Vergleich der erſte Feldherr Roms
in ſeinem Zeitalter , zum Dictator ernannt . Die Anſtren-
gungen waren ſo groß wie die Hoffnung auf nahen Sieg ,
die Begierde nach reicher Beute , und das Beduͤrfniß
einen uͤber alle Erwartung verlaͤngerten und druͤckenden
Krieg zu endigen , ſie erforderten . Außer einem zahlrei-
chen roͤmiſchen Heer , der geſammten Jugend , fuͤhrte der
Dictator auch latiniſche und herniciſche Huͤlfsvoͤlker , wie
es ſcheint nur Freywillige . Denn uͤberhaupt iſt es zwei-
felhaft ob dieſe Voͤlker an den etruskiſchen Kriegen der
Stadt Theil nahmen : waͤren ſie aber auch dazu verpflich-
tet geweſen , ſo ward die Erfuͤllung der Verpflichtung jetzt
unmoͤglich , wenn nicht Latium zugleich mit Rom ſeine
Soldaten beſolden konnte . Um Veji ungeſtoͤrt zu bela-
gern beſchloß Camillus die befreundeten etruskiſchen Voͤl-
ker in ihrem eigenen Lande anzugreifen . Er traf auf die
vereinigten Falisker und Capenaten bey Repete , und
erfocht einen großen Sieg . Von nun an war ſeine
ganze Sorge auf die Belagerung gewandt . Die Schan-
zen wurden vervielfaͤltigt und die Stadt enger einge-
ſchloſſen : aber der Soldat ward ausſchließlich bey den
P 2
Arbeiten beſchaͤftigt , und kein zweckloſes Gefecht der
Vorpoſten geduldet .
Die Geſchichte der Einnahme von Veji war in den
aͤlteſten Annalen offenbar ganz dichteriſch : einiges hat Li-
vius gemildert ; anderes als Dichtung angedeutet : viel
unmoͤgliches ſchien ihm faͤlſchlich nicht unhiſtoriſch . So
lautete die alte Erzaͤhlung .
Unter andern Wunderzeichen hatte ein ungewoͤhnli-
ches Anſchwellen des Albanerſees zwey Jahre fruͤher die
religioͤſen Gemuͤther der Roͤmer entſetzt . Zwiſchen Ber-
gen eingeſchloſſen , ohne ſich in einen Strohm zu ergießen ,
verſchwand ohne Zweifel das Uebermaaß ſeines Gewaͤſſers
durch unterirdiſche Kluͤfte welche durch die in dieſem
Zeitalter unaufhoͤrlichen Erdbeben verſchuͤttet ſeyn moch-
ten . In einem trocknen Sommer ſchwoll der See uͤber
alles Maaß an , und drohte , den Keſſel worin er ſich be-
findet anfuͤllend , uͤber die einſchließenden Berge mit reiſ-
ſender Ueberſchwemmung zu ſtroͤmen . Dieſe Erſcheinung
ſoll in den etruskiſchen Schickſalsbuͤchern geweiſſagt , und
an der Entladung des Sees das Schickſal von Rom und
Veji gebunden geweſen ſeyn ; ſo lange der See ohne Ab-
fluß ſey werde Veji beſtehen ; ſtroͤme ſein Gewaͤſſer in das
Meer , dann muͤſſe zwar Veji fallen , aber auch Rom werde
untergehen : werde es abgeleitet und zerſtreut , dann ſey
Vejis Untergang entſchieden ohne Gefahr fuͤr Rom Cicero de Divinat. I. c. 44 . .
Vom Schickſal getrieben , frohlockte ein alter Aruſpex in
der belagerten Stadt uͤber die Blindheit der Roͤmer : die
Belagerer erfuhren ſeine Wiſſenſchaft , lockten ihn aus
den Thoren und fuͤhrten ihn gefangen Cicero a. a. O. hat eine andere Erzaͤhlung , daß ein Ver-
raͤther das Geheimniß der Propheten offenbart habe . Dieſe
ſcheint ſchon aus dem Dichteriſchen gekuͤnſtelt . Merkwuͤrdig
iſt aber dabey , — wie in den aͤlteren Annaliſten neben ih-
ren Verfaͤlſchungen der alten Sage viel uraltes ſich erhielt ,
hier dieſes , dort jenes , — daß er von einer Friedensgeſandt-
ſchaft erzaͤhlt welche die Vejenter um dieſe Zeit nach Rom
geſchickt : dieſe habe den Roͤmern die Wahrheit des verra-
thenen Schickſalsſpruchs bekannt , aber gewarnt , es ſey hin-
zugefuͤgt , dann werde Rom in kurzer Zeit von den Galliern
eingenommen werden . . Zugleich aber
ward eine Geſandtſchaft nach Delphi geſandt , da die
etruskiſchen Aruſpices hier nicht unverdaͤchtige Zeugen
waren . Als auch der pythiſche Gott jene Ausſage be-
waͤhrt hatte , ſoll die Ableitung des Sees durch den be-
ruͤhmten Emiſſarius , bis an die Ebene wo der Strohm
in Bewaͤſſerungsgraͤben uͤber die Felder vertheilt ward ,
unternommen , und ehe Camillus vor Veji erſchien ,
vollendet ſeyn .
Von den Goͤttern der Eroberung verſichert wenn
von ſeiner und des Heers Seite nicht verſaͤumt wuͤrde
was die Erfuͤllung des Schickſals erforderte , vollfuͤhrte
Camillus , ungeahndet von den Feinden , ein kaum ge-
ringeres Werk zu ihrem Untergang durch menſchliche
Mittel . Er ſchien unthaͤtig : keine Werke wurden ange-
legt : die Roͤmer ſtanden ruhig auf ihren Poſten , und
ſchienen der langſamen Entſcheidung einer hartnaͤckigen
Blokade entgegen zu ſehen . Aber das Heer war in ſechs
Schaaren getheilt , und arbeitete , ohne Raſt nach jeder
ſechſten Stunde ſich abloͤſend , einen Minengang , der in
die vejentiſche Burg , in dem Tempel der Juno , an den
Tag fuͤhren ſollte .
So gewiß war jetzt der Dictator vom Erfolg daß
er vor dem Sturm den Senat befragte : wie mit der
Beute verfahren , ob ſie den Soldaten uͤberlaſſen oder
fuͤr die Staatscaſſe eingezogen werden ſolle ? Fuͤr das
letzte ſtimmte Appius Claudius , des Decemvirs Enkel ;
unter dem Vorwand , man koͤnne den Ertrag anwenden
um Sold davon zu zahlen , anſtatt Schoß auszuſchrei-
ben . Gegen dieſen Antrag erklaͤrte ſich P. Licinius , nach
Livius der erſte plebejiſche Conſulartribun . Mit der Vor-
ſicht einen Verdacht gegen die vor denen man redet ,
wenn man ihn auch mit allen theilt , als eine beleidi-
gende Beſchuldigung darzuſtellen , welcher keinen Schein
zu leihen ihre Ehre erfordere , ſtellte er dem Senat vor :
das Volk werde glauben es ſey die Abſicht ihm die
Fruͤchte einer Eroberung ganz zu entziehen welche es
mit ſeinem Blut und unendlichen Steuern erkauft habe :
beydes ſey nur fuͤr die Bereicherung der Patricier ver-
ſchwendet , welche ſich den Ertrag der Beute theilen
wuͤrden , wie ſie ſchon im Geiſt die vejentiſche Feldmark
in Landguͤter unter ſich austheilten . Einem ſo verderb-
lichen Argwohn duͤrfe keine Nahrung gewaͤhrt werden .
Es wuͤrde aber auch unbillig ſeyn nur die anweſenden
Soldaten eine Beute theilen zu laſſen welche durch die
Aufopferungen aller Buͤrger erkauft ſey . Daher ſolle man
bekannt machen , wer Theil an der Beute nehmen wolle
koͤnne ſich in das Lager begeben .
Man muß annehmen daß die alte ſtrenge Ordnung
welche das roͤmiſche Kriegsgeſetz bey Pluͤnderungen er-
oberter Staͤdte vorſchrieb , eine Ordnung die , wenn et-
was bey einem ſo graͤßlichen Gegenſtand mit Beyfall
genannt werden darf , bewundernswerth heißen muß , in
Auguſtus Zeitalter nicht mehr beobachtet ward , um es
einigermaaßen entſchuldigen zu koͤnnen , daß Livius dem
Patricier einen Einwurf gegen dieſe Maaßregel zuſchreibt ,
der , wie dreiſt auch der Eigennutz jeden Vorwand auf-
ſtellt , doch wohl nicht leicht aus dem Munde eines Roͤ-
mers gehoͤrt werden konnte . Denn der roͤmiſche Soldat
war bey der Pluͤnderung nur befugt zu ſammeln und
herbeyzutragen : die Haͤlfte der Eroberer war damit be-
ſchaͤftigt , waͤhrend die uͤbrige unter den Waffen ſtand :
daher Unordnung bey Pluͤnderung eines Lagers den Roͤ-
mern nie , den Griechen ſo oft , einen ſchon gewonnenen
Sieg wieder entriſſen hat . Die ganze Beute ward dann ,
theils durch das Loos vertheilt , theils verkauft : und der
Ertrag , wenn er dem Soldaten gewaͤhrt war , kopf-
weiſe ausgezahlt , ſonſt fuͤr den Schatz behalten Polybius X. c. 16 . .
Alles redlich abzuliefern , nichts unterzuſchlagen , ver-
pflichtete den Soldaten der Lagereid ; den ohne Zweifel
auch die ganze Menge ſchwoͤren mußte , welche ſich , weil
Licinius Antrag durchging , in das Lager vor Veji be-
gab . Wie heilig noch drittehalb Jahrhunderte ſpaͤter ,
als Freygeiſterey bey den hoͤheren Staͤnden ſchon be-
gann Mode zu werden , als dieſe uͤberhaupt ſchon ganz
verderbt waren , den Roͤmern unter einander ein Eid
war , bezeugt Polybius Polybius VI. c. 56. : noch viel heiliger mußte
er damals ſeyn . Eben ſo gewiſſenhaft trugen die Ara-
ber der erſten Khalifen auch die koſtbarſte Beute zuſam-
men . Daher iſt es nicht denkbar daß gierige Pluͤnderer
dem tapfern Soldaten die reichſte Beute entriſſen haͤt-
ten , wie der gewiſſenhafte Claudius bey Livius befuͤrch-
tet ; und wie der von der roͤmiſchen Kriegsſitte nicht
unterrichtete Leſer des Livius glauben , und den Licini-
ſchen Vorſchlag fuͤr ſehr ungereimt halten wird . Es
war aber nichts anderes , als ein Vorſchlag den ganzen
Ertrag unter das Volk als Entſchaͤdigung fuͤr die ſo
lange gezahlten Kriegsſteuern zu vertheilen ; nur dadurch
fuͤr die aͤrmeren Klaſſen guͤnſtiger , daß die welche es
verſchmaͤhten Theil daran zu nehmen nichts empfingen ;
und daß , mit Ausnahme der verhaͤltnißmaͤßig groͤßeren
Antheile der Hauptleute und Ritter , alle gleich viel be-
kamen ; ſie mochten nun in der erſten oder in der ſech-
ſten Klaſſe geſtenert haben .
Da nun der Schacht vollendet war welcher aus dem
Gang in die Burg fuͤhrte , und der Erfolg von dem
Willen der Koͤnigin Juno abhing , in deren Tempel er
ſich oͤffnen ſollte , richtete der Dictator an ſie Gebete
und Geluͤbde , Verheiſſungen noch groͤßerer Ehre , um
ihr Herz dem Volk zu entziehen welches bisher ihren
Schutz genoſſen hatte : und ſeine Beſchwoͤrungen waren
nicht fruchtlos . Zu beſtimmter Stunde war der Gang
mit Cohorten angefuͤllt : die Drommeten blieſen zum An-
griff , und rings umher ward die Stadt von dem zahl-
loſen roͤmiſchen Heer umgeben , welches Sturmleitern
herantrug , wie es ſchien , die Mauern auf allen Punkten
zu erſteigen . Die Buͤrger vertheilten ſich zur Verthei-
digung , getroſt das tollkuͤhne Unternehmen zu vereiteln .
Waͤhrend ſie hier den Feinden begegneten , opferte
ihr Koͤnig im Tempel der Juno ; und als das Opferthier
erſchlagen war , vernahmen die Roͤmer unter dem Boden
den Ausſpruch des Aruſpex : dasjenige Volk werde ſiegen
deſſen Buͤrger die Opferſtuͤcke darbringen wuͤrden . Sie
brachen hervor , erſchlugen die Opferer , und erfuͤllten die
Weiſſagung . Von der Burg , welche ſchnell und unwider-
ſtehlich eingenommen war , verbreiteten ſie ſich in der
Stadt , und oͤffneten den Stuͤrmenden die naͤchſten Thore .
Die Beute war den Roͤmern ſelbſt unerwartet und
unglaublich . Alles empfing die Armee , nur die Freyge-
weſenen , welche das Blutvergießen durchlebt hatten , bis
Habſucht die Wuth beſaͤnftigte , und Unbewaffneten das
Leben geſchenkt ward , wurden nicht vertheilt , ſondern als
Sklaven fuͤr den Staat verkauft .
Schon waren alle Gegenſtaͤnde menſchliches Eigen-
thums aus den leeren Mauern fortgeſchafft , nur die Bild-
ſaͤulen der Goͤtter waren noch unberuͤhrt . Juno hatte das
Geluͤbde eines Tempels auf dem Aventinus angenommen ;
aber jeder zitterte ihr Bild zu faſſen , welches nach
etruskiſcher Religion nur ein Prieſter aus einem be-
ſtimmten Geſchlecht ohne Todesfurcht wagen konnte . Die
es unternahmen dieſes Bild aus ſeinem Sitz zu heben ,
begaben ſich in Feyerkleidern in den Tempel , und frag-
ten die Goͤttin ob ſie einwillige nach Rom zu ziehen ?
Sie vernahmen die bejahende Stimme der Antwor-
tenden Plutarch Camill. p. 132. A. ſchreibt ausdruͤcklich Livius
die Milderung zu daß ein Roͤmer einen bejahenden Wink zu
ſehen geglaubt haͤtte , dieſes von den uͤbrigen begierig aufge-
nommen , und darauf die Erzaͤhlung von der muͤndlichen Be-
jahung gefabelt ſey . Die alte Sage nahm dieſe alſo im
ſtrengſten Sinn . .
Dieſe Erzaͤhlung iſt eng und unzertrennlich in die
Geſchichte der Eroberung verwachſen : von dieſer lauten
Gunſt der Goͤttin laͤßt ſich der in ihren Tempel hinauf-
gefuͤhrte , ihrer Obhut anvertraute Schacht nicht ſchei-
den . Sie alſo giebt uns den Maaßſtab des ganz poe-
tiſchen Charakters der Sage von Vejis Untergang . Aber
ganz unhiſtoriſch ſind auch alle ihre einzelnen Geſchich-
ten . So die von dem durch das Schickſal zum Verder-
ben ſeines Vaterlands angetriebenen Aruſpex : welche ,
wie ſchon bemerkt worden , in einigen Annalen zu einem
Verrath vernuͤchtert ward .
Nicht anders iſt es mit der Ableitung des Albaner-
ſees . Man muͤßte lebendig heidniſch glaͤubig ſeyn , um
die Uebereinſtimmung des pythiſchen Orakels bey einem
Gegenſtand ſo entfernter Laͤnder mit dem Wort des etrus-
kiſchen Wahrſagers moͤglich zu halten . Nicht minder un-
moͤglich darf man die Ausfuͤhrung eines ſo außerordentli-
chen Werks in ſo kurzer Friſt durch die einzelnen Kraͤfte
einer noch armen und durch einen ſchweren Krieg er-
ſchoͤpften Stadt nennen . Der Emiſſarius mißt dreytau-
ſend ſiebenhundert Schritt , iſt ſechs Fuß hoch , drey
und einen halben breit , durch vulcaniſches Geſtein ge-
brochen , und dieſes Werk ſoll Rom damals in einem
Jahr vollendet haben . Es iſt aber auch ſichtbar wider-
ſinnig daß ein augenſcheinlich in der Abſicht unternom-
menes Werk um die niedriger liegenden Gefilde gegen
die Gefahr einer Ueberſtroͤmung zu ſichern , und das ih-
nen drohende Gewaͤſſer zu ihrer Fruchtbarkeit zu verwen-
den , von einem Staat ausgefuͤhrt ſeyn ſoll , der damals
entweder gar kein Intereſſe , oder doch einen ſehr gerin-
gen Antheil an dieſen Laͤndereyen hatte . Denn ſo lange
Latium als ein unabhaͤngiges Volk beſtand , waren ſie
Eigenthum entweder angraͤnzender latiniſcher Staͤdte ,
oder des geſammten Bundes . Bey dem unzweifelhaften
hohen Alter des Werks , deſſen Beziehung auf das Schick-
ſal Vejis uns nicht irren darf , iſt es wahrſcheinlicher daß
es dem geſammten Latium , oder , wenn es Rom nicht
fremd war , dem Zeitalter der roͤmiſchen Koͤnige an-
gehoͤrt Vorzuͤglich bewundernswerth iſt , nach Hirts Bemer-
kung , die Kunſt wodurch das Waſſer allmaͤhlig bis auf die
Hoͤhe abgezapft iſt , worauf es durch die letzte , noch fort-
wuͤrkende Muͤndung des Emiſſars herabgeſetzt werden
ſollte . .
Die Sage daß Veji durch einen unterirrdiſchen Gang
eingenommen worden , iſt nicht weniger unzertrennlich
von der Geſchichte der Eroberung als die von der Entla-
dung des Albanerſees ; auch Diodor hat ſie , wiewohl er
Annalen folgt welche von den Quellen des Livius ſo außer-
ordentlich abweichen , daß man faſt zweifeln muß ob es
auch uͤberall Roͤmer und nicht Griechen waren Diodor XIV. c. 93. Βοιοὺς ἐξεπολιόρκησαν , διώρυγα
κατασκευάσαντες . . Sie
iſt mir aber in ihrem Zuſammenhang nicht minder zweifel-
haft als jene Sage ſelbſt : man vergeſſe nicht daß nur eine
ſchaale Willkuͤhrlichkeit ſie von dem eben ſo beglaubigten
Hervorbrechen im Tempel der Juno und dem Wunderzei-
chen der Goͤttin trennen kann . Daß der Schacht in dem
Tempel der Juno hervorgeht , iſt nicht Zufall , ſondern
Abſicht .
Ich frage nun aber ob eine ſolche Leitung ohne Com-
paß nicht abſolut unmoͤglich war , wenn auch der Gang
nicht , wie doch auch geſagt wird , und gedacht werden
muß , in einer weiten Entfernung Zonaras VII. c. 21 . begonnen haͤtte .
Kaum die Stadt , nicht die Burg , geſchweige den Tempel
zu erreichen haͤtte man ſicher ſeyn koͤnnen . Zwar iſt der
Boden von Veji ein nicht ſchwer zu bearbeitender Tuf Nach Hirts muͤndlicher Belehrung . ,
und der Gang haͤtte ſich ohne Zimmerwerk erhalten koͤn-
nen : doch waͤre es immer ein Werk ſo langſames Fort-
gangs geweſen , indem nur eine kleine Zahl nicht der
ſechſte Theil des Heers Denn das iſt offenbar der Sinn der alten Sage , obwohl
Livius zweydeutig mildernde Ausdruͤcke ſucht . darin haͤtte arbeiten koͤnnen ,
daß Camillus Dictatur nicht zur Vollendung hingereicht
haben wuͤrde : und die Vollendung haͤtte den Erfolg im-
mer von einem Zufall abhaͤngig gelaſſen . In einem aͤlte-
ren Zeitraum wuͤrde ich dies Dichteriſche ganz unerklaͤrt
laſſen : in dieſer ſonſt ſchon hiſtoriſchen Zeit kann es ſchei-
nen , Veji ſey nach der damaligen Belagerungskunſt ein-
genommen , wo das Untergraben der Mauern eines der
bedeutendſten Angriffsmittel war : die Erwaͤhnung des
Cuniculus ſey dichteriſch ſo umgeſtaltet . Weit wahrſchein-
licher iſt es aber daß hier eine ganz freye Dichtung
herrſcht . Veji iſt das von alter roͤmiſcher Dichtkunſt
nachgebildete Ilion : daher die zehnjaͤhrige Belagerung ;
gegen Annalen und Moͤglichkeit : daher der in die Burg
gefuͤhrte Gang voll Bewaffneter : das Roß des Epeus ,
auf Trojas Pergamum hinaufgebracht .
Der Triumph des Dictators uͤbertraf die herkoͤmm-
liche Sitte an Glanz ſo weit wie die Wichtigkeit der Ero-
berung die gewohnten Siege . Doch ſoll ſein Stolz die
Gemuͤther des Volks von ihm abgewandt haben : denn in-
dem er mit dem Geſpann Jupiters oder Sols durch die
Stadt auf das Capitolium zog war er des demuͤthigen Ge-
bets nicht mehr eingedenk womit er , im Anſchauen ſeines
Siegs , um ſchonende Zuͤchtigung wegen uͤbermaͤßiges Gluͤcks
fuͤr die Republik und ſich gefleht hatte . Abhold ward ihm
das Volk noch mehr , weil er , was vor der Eroberung
verſchwiegen war , auch noch eine Zeit nachher Geheimniß
blieb , ſpaͤt , und da die Beute nicht nur vertheilt , ſondern
zum Theil ſchon verthan war , erklaͤrte , er habe dem pythi-
ſchen Apollo den Zehenten gelobt . Dieſes Geluͤbde , wie
es von der perſiſchen Beute verheiſſen ward , iſt in der
griechiſchen Geſchichte haͤufig ; in der roͤmiſchen einzig in
dieſem Beyſpiel . Zeitig verkuͤndigt , und vor der Ver-
theilung ausgefuͤhrt , wuͤrde es den religioͤſen Gemuͤthern
der Roͤmer ehrwuͤrdig geweſen ſeyn , ohne den einzelnen
zu kraͤnken ; jetzt ſchien es ein Betrug durch den das feind-
ſelige Gemuͤth des Dictators den Verdruß raͤchen wollte
daß die Beute dem Volk zugefallen war . Sollte es ſtreng
erfuͤllt werden , ſo mußte man Einforderungen bey jedem
einzelnen erwarten , welche manchem der ſeinen verfallnen
Hausſtand kaum mit dem Gewinn hergeſtellt hatte , aͤu-
ßerſt druͤckend werden mußten . Dieſe Beſorgniß ward
durch die Erklaͤrung der Pontifices beruhigt : es ſey fuͤr
die Republik hinreichend wenn jeder den Zehenten der
ihn treffe abſchaͤtze : wer dabey unredlich und fahrlaͤſſig
handle verſuͤndige ſich ihm ſelber , nicht dem Staat .
Zu dem Werth der beweglichen und fortgefuͤhrten Habe
ward auch der des Bodens hinzugefuͤgt , von deſſen
Schaͤtzung die Republik den Zehenten zu entrichten hatte :
ſo weit er vor dem Geluͤbde im Beſitz der Vejenter ,
und durch den Sieg gewonnen war . Eine Einſchraͤn-
kung welche dieſen Gegenſtand unbedeutend machte , in-
dem außer Veji wohl nur wenige andere feſte Orte , uͤber
deren Eroberung nach dem Fall der Stadt die Geſchichte
ſchweigt , den Roͤmern noch nicht unterworfen waren , die
ſchon das ganze flache Land beherrſchten . Fuͤr den Er-
trag der ſaͤmmtlichen Steuer ward ein goldner Krater ,
deſſen Gewicht auf acht Talente angegeben wird , ver-
fertigt , und nach Delphi geſandt . Die Angabe des Ge-
wichts , wenn ſie aus alten roͤmiſchen Schriftſtellern ent-
lehnt iſt , und grade uͤber Dinge dieſer Art darf man
am erſten alte Autoritaͤten erwarten und ihnen glauben ,
muß , wie bey einem andern Fall dargethan iſt Th. I. S. 297 . Auch in dieſem Fall kehrte dem Wort , von
alten italiſchen Talenten verſtanden werden , zu hundert
Pfunden : welches , wenn man das Verhaͤltniß des Gol-
des zum Silber wie Zehn zu Eins annimmt , einen
Werth von achtzig Talenten Silber , oder 800,000 De-
narien ergiebt . Ein großes Geſchenk an eine fremde
Gottheit , waͤhrend die einheimiſchen hoͤchſtens Feſte , ge-
woͤhnlich nur ſpaͤrliche Gaben verlangten : bedeutend ge-
nug um die Groͤße der Eroberung darzuthun : aber auch ,
wenn Veji mit einigem Recht an Groͤße mit Rom ver-
glichen , an Reichthum hoͤher geſchaͤtzt wird , mit jeder
Kuͤrzung fuͤr den Werth der ſchon eingenommenen Land-
ſchaft , und fuͤr leichtſinnige Gewiſſen , hinreichend ge-
ring um die vorhergehenden Berechnungen des geringen
Betrags ſteuerbares Vermoͤgens , und der Unmoͤglichkeit
großer Geldaufbringungen zu Rom darzuthun . Hiſto-
riſch wird die Sendung des Geſchenks nach Delphi durch
die Notiz daß es im Theſaurus der Maſſilienſer aufge-
ſtellt ſey Diodor XIV. c. 93 . : wodurch auch die Erzaͤhlung dieſer Stadt
von ihrem uralten Buͤndniß mit Rom bewieſen wird Juſtin XLIII. c. 5. :
dann durch die Aufbringung der roͤmiſchen Triremis
nach Lipara , und den Schutz , welchen ſie dort von Ti-
maſitheus erfuhr , der ſie nach ihrer Beſtimmung ent-
ließ , und mit dem der Senat zum Dank ein Gaſtrecht
nach griechiſcher Sitte ſchloß , welches ſeine Nachkom-
men im erſten puniſchen Kriege rettete . Von der zwie-
ſpaͤter ſeine urſpruͤngliche Bedeutung zuruͤck : im ſinkenden
Reich iſt ein Centner und ein Talent edles Metalls wieder
gleichbedeutend .
fachen Erzaͤhlung , die Triremis ſey von liparaͤiſchen Kor-
ſaren , oder ſie ſey von Schiffen dieſer Stadt als eine
Korſarengaleere aufgebracht worden , iſt die letzte welche
ſich nur allein bey Plutarch findet Plutarch Camill. p. 133. C . weit die wahr-
ſcheinlichſte : denn die latiniſche Kuͤſte war wie Tyrrhe-
nien wegen Seeraͤuberey uͤbelberuͤchtigt ; ein tyrrheniſcher
Seeraͤuber Poſtumius , deſſen Nahme ihn als Latiner
verraͤth , ward von Timoleon ergriffen und hingerich-
tet Im Jahr vor dem großen latiniſchen Krieg . Diodor
XVI. c. 82 . ; und Antium trieb das Gewerbe gegen die Grie-
chen ſelbſt noch unter roͤmiſcher Herrſchaft Strabo V. c. 3. §. 5. , daher
Schiffe aus dieſen Gegenden in griechiſchen Gewaͤſſern
keine freundliche Aufnahme erwarten konnten .
Die verbuͤndeten etruskiſchen Staͤdte waren ſouve-
raine Orte , deren jede eine große Landſchaft beherrſchte ,
in deren Umfang kleinere Staͤdte von ihnen abhingen .
Die lauen und mißlungenen Beſtrebungen der naͤchſten
etruskiſchen Voͤlker im vejentiſchen Kriege , zogen , als
durch den Fall von Veji das ganze Gebiet dieſer Stadt
unter die Herrſchaft der Roͤmer gekommen war , ihre
Waffen tiefer in Etrurien hinein , und ohne das galli-
ſche Ungluͤck wuͤrden die vorliegenden Orte dieſes Landes
wahrſcheinlich bald unter Roms Gewalt gerathen ſeyn .
Capena verließ die Falisker durch Schließung eines ab-
geſonderten Friedens . Die Falisker wurden von Ca-
millus unter den Mauern ihrer Stadt , Falerii , geſchla-
gen,
gen , und ihr Lager erobert ( 361 ) , doch hatte der roͤmi-
ſche Feldherr um ſo weniger Hoffnung eine ſtarke und
uͤberfluͤſſig mit Lebensmitteln verſehene Feſtung einzu-
nehmen , da das Volk heftig murrte daß die Patricier
ſich den Beſitz der vejentiſchen Feldmark theilten , und
ſehr unwillig die Anſtrengungen und Aufopferungen eines
neuen , nicht weniger langwierigen und viel entfernteren
Kriegs ertragen haben wuͤrde . Jedermann kennt die Er-
zaͤhlung , wie ein Lehrer vornehmer Knaben zu Falerii
ſeine Schuͤler verraͤtheriſch in das roͤmiſche Lager fuͤhrte ,
und Camillus Edelmuth die Falisker zur Unterwerfung
bewogen haben ſoll . Unterwerfung aber , wie Livius die
Bitte um Frieden nennt , war der geſchloſſene Vertrag
gewiß nicht : denn 37 Jahre ſpaͤter , im Jahr 398 , er-
ſcheinen die Falisker , verbuͤndet mit Tarquinii , als
Roms offene Feinde ; nicht wie Rebellen , ſondern als
ein unabhaͤngiges Volk . Bis dahin war ungeſtoͤrter
Friede , und ſo ſcheint es hoͤchſt wahrſcheinlich daß , nach
der etruskiſchen Sitte Waffenſtillſtand auf beſtimmte Zeit ,
und gewoͤhnlich entweder auf zwanzig oder auf vierzig
cycliſche Jahre abzuſchließen , im Jahr 361 ein Vertrag
fuͤr die zuletzt genannte Zeit geſchloſſen ward , der , ſtill-
ſchweigend oder durch Uebereinkunft , wie der letzte ve-
jentiſche , drey Jahre uͤber ſein Ziel fortgedauert hatte .
Mit dieſem Vertrag verknuͤpft ſich die den Faliskern
aufgelegte Verbindlichkeit den Sold der Armee auf ein
Jahr zu zahlen , eben wie bey dem volſinienſiſchen Waf-
fenſtillſtand Livius V. c. 32 . : und weit natuͤrlicher als mit der Er-
Zweiter Theil. Q
zaͤhlung der unbedingten Unterwerfung , wodurch nach
roͤmiſchem Voͤlkerrecht die Nation entwaffnet , durch Geiſ-
ſeln und Beſatzung gebunden , ihre Landſchaft des Ober-
herrn Eigenthum ward .
Unmittelbar nach der Wiedereroberung der Stadt
finden wir Rom im Beſitz der Schutzherrſchaft uͤber zwey
etruskiſche Staͤdte , Sutrium und Nepet , welche , zwi-
ſchen Veji und Volſinii gelegen , lange nachher die Graͤnz-
feſtungen des roͤmiſchen Gebiets gegen Etrurien aus-
machten . Unabhaͤngig waren dieſe Orte ſicher nicht ge-
weſen , aber welcher ſouverainen Stadt ſie von den Roͤ-
mern entriſſen wurden , und wann , daruͤber ſchweigt Li-
vius . Als die Zeit der Einnahme von Sutrium ſcheint
Diodor das Jahr 361 anzugeben Diodor XIV. c. 98 . : er erwaͤhnt eines
Zugs gegen dieſe Stadt nach dem Friedensſchluß mit
den Faliskern . Wahrſcheinlich waren alſo beyde Orte
dem vor Alters ſehr großen Volſinii unterthaͤnig , wahr-
ſcheinlich auch ergaben ſie ſich den Roͤmern freywillig ,
weil ſie verbuͤndete Staͤdte genannt werden : und die An-
nahme ihrer Unterwerfung erregte vermuthlich den fol-
genden Krieg mit Volſinii . Dieſen entſchied im zweyten
Feldzug ein großer Sieg der Roͤmer , nach dem achttau-
ſend Etrusker die Waffen ſtreckten . Ein zwanzigjaͤhriger
Waffenſtillſtand ward unter der Bedingung geſchloſſen daß
die Volſinienſer den Sold eines Jahrs fuͤr die roͤmiſche
Armee zahlten Eine Nation welche ſonſt nie
genannt wird , die Salpinaten , war in dieſem Kriege mit
Volſinii verbuͤndet . Livius V. c. 31. 32 . .
Die volskiſchen und aͤquiſchen Kriege dieſes Zeit-
raums ſind unbedeutend , als die ſinkender und ermatte-
ter Voͤlker gegen ein ſich innerlich ſtaͤrkendes , deſſen Kraͤf-
ten wichtigere Zwecke eine andre Richtung geben . Dieſen
Kriegen genuͤgten die Latiner und Herniker , waͤhrend die
Roͤmer gegen Veji ſtritten , und dieſe ſandten nur als-
dann Truppen wenn ihre eigenen Beſitzungen angegrif-
fen wurden . Anxur war durch die Nachlaͤſſigkeit der
Garniſon verlohren , von der die meiſten Soldaten ſich
auf Urlaub zerſtreut hatten um Handel zu treiben , waͤh-
rend volskiſche Kaufleute ohne Unterſchied zugelaſſen wur-
den ( 353 ) : welches mitten in einem feindlichen Lande
ſonderbar erſcheint , aber , wie ſchon gezeigt worden , im
Verkehr der Friedensmonate leicht moͤglich war . Nach
zwey Jahren ward dieſer wichtige Ort wiedererobert .
Ohne Folgen , wie wahrſcheinlich ohne innere Erheblich-
keit , waren die abwechſelnden Siege der Roͤmer und
Aequer in den letzten Jahren dieſes Zeitraums : aber ein
empfindlicher Verluſt traf jene durch die Zerſtoͤrung einer
Colonie Vitellia ( 362 ) .
Der ſtrafwuͤrdige Egoismus der Tribunen M’ . Ser-
gius und L. Virginius bewog den Senat eine Macht
auszuuͤben , deren Beſitz nachher , als der Geiſt der Ver-
faſſung ſich aͤnderte , an das Volk uͤberging : die Magi-
ſtratur zu noͤthigen ihre Wuͤrde vor der Zeit niederzu-
legen . Dadurch daß dieſes geſchah , oder entdeckte ir-
rige Auſpicien bey der Wahl eine vorzeitige Abdankung
geboten , oder im Gegentheil das Jahr ohne Comitien
verfloß , und mehrere Interregnen ſich folgten , geſchah
Q 2
es daß der Anfang der Magiſtratur bald fruͤher , bald
ſpaͤter verſetzt ward . Jene Ahndung genuͤgte dem Se-
nat , und er wollte den Tribunen nicht geſtatten die
Feldherrn vor das Volksgericht zu ziehen , deren Ver-
fahren er ſelbſt als ſtrafwuͤrdig bezeichnet hatte . Des-
wegen , und um das Murren uͤber die Ungerechtigkeit der
Beſteurung zu entfernen , ſtrebten die Patricier die Wahl
der neuen Volkstribunen zu ſtoͤren , und gegen das Tre-
boniſche Geſetz eine Cooptation der fehlenden ; gegen das
Grundgeſetz Ergaͤnzung durch Mitſtaͤnde zu bewuͤrken .
Jenes gelang , dieſes nicht : der Zweck aber ward ganz
verfehlt . Acht Tribunen waren von Volk erwaͤhlt , ſie
ſtrebten durch eifrige Erfuͤllung ihres Berufs Vergeſſen-
heit fuͤr ihre Schwaͤche bey der Uebertretung des Tre-
boniſchen Geſetzes zu erlangen ; und die cooptirten wag-
ten es nicht die gegen ihre Goͤnner uͤbernommenen Ver-
pflichtungen zu erfuͤllen . Die abgeſetzten Militartribu-
nen wurden vom Volk in eine Mult verurtheilt . Und
bey dieſer Ahndung der beleidigten Majeſtaͤt der Repu-
blik , zwiefach beleidigt durch die Bemuͤhung die Schul-
digen ihrer Strafe zu entziehen , beruhigten die Volks-
tribunen ſich nicht . Sie unterſagten die Erhebung der
einſeitigen und ungerechten Vermoͤgensſteuer , und die
Armee , wohl wiſſend daß ihr nicht der Sold mißgoͤnnt
ſondern Uebernahme wenigſtens eines großen Theils deſ-
ſelben auf die rechtmaͤßige Einnahme der Republik vom
Gemeinlande gefordert werde , war im Begriff ſich
gegen den Senat zu empoͤren da die Zahlung ausblieb .
Dieſe Gefahr ſchreckte die Patricier ſo , daß ſie , in der
Wahl entweder Abgaben zu zahlen , oder die Ernennung
plebejiſcher Militartribunen zu geſtatten , ſich durch einen
Vergleich mit den Volkstribunen fuͤr das letzte entſchie-
den . Von ſechs Militartribunen des Jahrs 355 waren
fuͤnf Plebejer ; nicht , wie Livius mit einer bey ihm nicht
auffallenden Unkenntniß des Standes bekannter aber in
ſeiner Zeit erloſchner Geſchlechter ſagt , nur der einzige
P. Licinius Calvus aus dieſem Stande erwaͤhlt ; und
eben denſelben Ausgang hatten die Comitien fuͤr das
folgende Jahr . Die Regierung dieſer Tribunen war un-
ſtraͤflich und ruͤhmlich : aber die Patricier glaubten die
Macht verlohren , nicht getheilt zu haben : der Senat
war ruhig daß die Volkstribunen dem vejentiſchen Krieg
nicht durch Oppoſition gegen die Steuern den nahe
ſcheinenden Sieg entziehen wuͤrden : und man erlangte
( 357 ) daß alle Militartribunen aus den Patriciern ge-
waͤhlt wurden , indem die Prieſter die Gemuͤther aͤngſtig-
ten , daß ein ungewoͤhnlich harter Winter , in dem die
Tiber durch Eis unſchiffbar war , und ein ſeuchenvoller
Sommer den Unwillen der Goͤtter wegen Uebertragung
der Auſpicien an eine unbefugte Kaſte verkuͤndigten . Im
folgenden Jahr war die Wahl den Patriciern aufs neue
guͤnſtig . So erzaͤhlt Livius dieſe Vorfaͤlle ; aber die Wahl
des Jahrs 359 welche nur Plebejer enthaͤlt , die Bewe-
gungen welche ihr vorangingen , und die Uebereinkunft
vor den Comitien daß , wie er ferner ſagt , der groͤßte
Theil der Militartribunen aus den Plebejern gewaͤhlt
werden ſolle ; — eine Vereinigung die nur den vorſitzen-
den Magiſtrat , und die Curien wegen der Annahme von
Stimmen und der Anerkennung , nicht das Volk zu ver-
pflichten beſtimmt ſeyn konnte — laͤßt vielmehr vermu-
then daß Senat und Tribunen ſich fruͤher verglichen
hatten , abwechſelnd Jahr um Jahr ſolle die Regierung
aus einem der beyden Staͤnde erwaͤhlt werden : der Se-
nat aber den Vergleich nicht hielt . Nach dieſem Jahr ,
in dem Veji fiel , zaͤhlt dieſer Zeitraum keine plebejiſche
Militartribunen mehr ; und zweymal ward jede Frage
von der Erwaͤhlbarkeit eines Plebejers durch Conſular-
comitien aufgehoben .
Nach der Einnahme von Veji erneuerte ſich der
Zwiſt uͤber den Beſitz der erworbenen Domaine um ſo
heftiger , je groͤßer die Wichtigkeit der Eroberung , und
je ſchnoͤder die Anmaaßung der Patricier war , die ge-
wonnene Landſchaft ſich zu theilen , den Vortheil des
Eigenthuͤmers von ihr zu ziehen , und ſie ohne Abgabe
zu beſitzen . Die Geſchichte ſchreibt den Volkstribunen
den ſinnloſen Geſetzvorſchlag zu : die ganze Nation ſolle
ſich zwiſchen Rom und Veji theilen : eine Haͤlfte des
Senats ſolle mit einer Haͤlfte des Volks die eroberte
Stadt bewohnen , die Rom durch die Schoͤnheit ihrer
Gebaͤude weit uͤbertraf ; und ſolle ſich doch ſo getheilt
als ein Ganzes verwalten . Ein ſo unſinniger Vorſchlag
haͤtte den heftigſten Widerſtand des Senats gerechtfer-
tigt . Aber viel groͤßere Wahrſcheinlichkeit hat es daß
der Antrag dahin ging , dieſesmal das ganze eroberte
Land zu theilen , aber unter die ganze Nation : ſo daß
auch die Patricier mit ihren Clienten einen Antheil als
Eigenthum empfingen : daher die Erwaͤhnung des Se-
nats nach der Ideengewoͤhnung des ſiebenten und
achten Jahrhunderts : dagegen haͤtten ſie in dieſem Fall
das alte Benutzungsrecht des Gemeinlandes nicht in
Ausuͤbung bringen koͤnnen . Einem Theil waͤren dann
auch Haͤuſer in der nicht verwuͤſteten Stadt angewieſen
worden ; doch konnte es die Abſicht nicht ſeyn ſie anders
als in der Form einer Praͤfectur zu verwalten , und das
haͤtte die Einheit der Republik in keine Gefahr gebracht .
Aber neben den Bedingungen der Theilung welche dem
Eigennutz der Patricier mißfielen , mußte ſie auch die
Macht beunruhigen welche die Anſiedelung eines großen
Theils des Volks in einer feſten Stadt im Fall einer
neuen Seceſſion den Plebejern gewaͤhrte : von Veji waͤ-
ren die Drohungen der Gekraͤnkten weit furchtbarer ge-
weſen als vom heiligen Berge . Zuerſt verſuchte der
Senat das Volk durch die Theilung eines Diſtricts im
Volskerlande zu beruhigen ; aber ein Geſchenk welches
nur einer kleinen Anzahl gewaͤhrt , ihr in duͤrftigem
Maaß in einer unſichern Gegend gegeben ward , und ſie
vom Vaterland entfernte , mußte ohne Erfolg bleiben .
Nach dreyjaͤhrigem Hader gab der Senat nach , als
das Volk nicht laͤnger auf der Anweiſung der Stadr
Veji beſtand , und ertheilte jedem Plebejer ſieben Jugern
im vejentiſchen Gebiet . Es wird hinzugeſetzt , dieſes
herkoͤmmliche , vielleicht geſetzliche , Maaß ſey dieſesmal
nicht auf die Familienvaͤter beſchraͤnkt , ſondern jeder
freye Kopf im Hauſe gezaͤhlt worden , um zahlreichen
Familien wohlzuthun . Auf dieſe Freygebigkeit bezieht
ſich die abweichende Erzaͤhlung einiger Annalen bey
Diodor Diodor XIV. c. 102 . , es waͤren jedem Buͤrger acht und zwanzig
Jugern angewieſen worden , indem fuͤr jeden Hausvater
und die Seinigen als Mittelzahl vier Looſe gerechnet
werden . Ungewiß wie die Volkszahl Roms in jenem
Zeitalter iſt , wie ſehr man ſie auch gegen die angebli-
chen Zahlen der alten Cenſusregiſter herabſtimmt , er-
ſcheint doch die Flaͤche , welche nach dieſer Norm getheilt
ſeyn muͤßte , unglaublich : beſonders da das Gebiet von
Veji , wie viel auch altitaliſcher Fleiß gethan haben
mochte um Felſen mit Erde zu bedecken , an vielen Or-
ten aus nacktem Geſtein beſtehen ſoll , und nur Acker
und Rebenland getheilt wurden : endlich gewiß ein eben
ſo großer Antheil als Domaine fuͤr den Beſitz der Pa-
tricier und vieles den Gemeinden blieb die ſich Rom
unterworfen hatten , und ſpaͤter das Buͤrgerrecht em-
pfingen .
Diodor meldet Derſelbe ebendaſ . im Jahr 362 ſey eine Colonie
nach Circeji geſandt worden ; eine Angabe die hiſtoriſch
wichtig ſcheint , weil dieſe Colonie aͤlter iſt als der gal-
liſche Krieg , und doch diejenige welche der letzte Koͤnig
dort gruͤndete in dem großen volskiſchen Kriege erobert ,
und die latiniſchen Coloniſten verjagt waren Livius II. c. 39 . , ohne
daß der Wiedereroberung gedacht oder es begreiflich
waͤre , wie eine einzeln abgeſonderte latiniſche Stadt mit-
ten unter den Volskern , ſo lange dieſe entſchieden uͤber-
maͤchtig waren , zwiſchen Antium und Anxur haͤtte beſte-
hen koͤnnen . Man moͤchte daher die Colonie im Vols-
kerlande , wo im Jahr 360 dreytauſend Coloniſten jedem
3 7/12 Jugern zugetheilt wurden Livius V. c. 24. , ungeachtet der ab-
weichenden Zeitrechnung auf Circeji beziehen , wenn nicht
zwey Jahre nachher von einer ſonſt nie genannten Co-
lonie Vitellia erzaͤhlt wuͤrde , ſie ſey von den Aequern
uͤberraſcht worden Ebendaſ. c. 29 . , worauf , je mehr eine neue Co-
lonie beydes ſchwaͤcher war und die benachbarten mehr
erzuͤrnte als eine aͤltere , jene Anweiſung alſo eine wahr-
ſcheinlichere Beziehung findet . Aequiſches und volski-
ſches Gebiet wird ſo achtlos verwirrt , daß der Ort , wahr-
ſcheinlich ein Berg , Verrugo , den die Roͤmer zum Sitz
von Streifereyen an der Graͤnze mehrmals befeſtigten ,
ganz unentſchieden zu dem einen und zu dem andern
Lande gerechnet wird Derſelbe IV. c. 1. V. c. 28. .
Wenn man wahrnimmt wie Camillus das Volk ver-
achtete und haßte , wie er es bey jedem Anlaß , als Feld-
herr durch Entziehung der Beute , als Proconſulartri-
bun und Senator durch Verweigerung eines Antheils
an der Regierung und an dem eroberten Lande anfein-
dete , wie der Senat bey dieſen Irrungen ihn immer
als Haupt der Faction anerkannte ; dann iſt es weniger
auffallend daß auch das Volk ſeiner Verdienſte als Feld-
herr vergaß und ihn in eine Mult verurtheilte . Selbſt
nach Livius Erzaͤhlung iſt es falſch daß er durch ein Ur-
theil des Volks verbannt ſey . Er ward , wie es jeder
Buͤrger ertragen mußte , von der Volksverſammlung
verurtheilt : aber er ertrug die Beleidigung nicht , vor
Gericht geſtellt zu werden , und verbannte ſich ſelbſt an-
ſtatt zu erſcheinen , obgleich ſeine Tribulen und Clienten
ſich bereit erklaͤrten die Mult welche von den Volkstri-
bunen gegen ihn angetragen war fuͤr ihn zu zahlen .
Wir ſind weit entfernt dieſen Stolz zu tadeln , da Ca-
millus den Muth hatte ſeine Folgen zu ertragen : aber
ſein Charakter als Buͤrger war und blieb ſtrafwuͤrdig ,
und mit der allgemeinen Freyheit unvertraͤglich . Auf-
fallend iſt es daß er angeklagt ward einen Theil der ve-
jentiſchen Beute ſich zugeeignet zu haben , und daß , nicht
als ein loſes Geruͤcht , hinzugefuͤgt wird : man habe in
ſeinem Hauſe eherne Thuͤren aus dieſer Beute bemerkt Plutarch Camill. p. 134. E. .
Eine Anklage die gegen Cincinnatus nie erhoben wor-
den waͤre : und es erregt ein , bey dem Andenken an einen
großen Mann , wie groß auch ſeine politiſchen Suͤnden
waren , ſehr unangenehmes Gefuͤhl , daß die welche ſich
bereit erklaͤrten fuͤr ihn , nach der Pflicht ihres ange-
ſtammten Verhaͤltniſſes , die Strafe zu zahlen , ihm zu-
gleich bekannten : freyſprechen koͤnnten ſie ihn nicht Livius V. c. 32 . Se collaturos quanti damnatus esset ,
absolvere eum non posse . .
Nach Diodor Diodor XIV. c. ult. haben einige Annalen die Multation
des Camillus bey einem ganz andern Zeitpunkt , einige
gar nicht erwaͤhnt . Angenommen daß ſie hiſtoriſch zu-
verlaͤſſig ſey , ſo war das Gebet eines freywillig Aus-
wandernden , aus Stolz ſich ſelbſt verbannenden , graͤß-
lich , daß die Goͤtter ihn bald der Nation nothwendig
machen moͤchten . Den griechiſchen Helden fehlte manche
Tugend , die Reinheit welche die Roͤmer der ſchoͤnſten
Zeit der Republik , beſonders des fuͤnften Jahrhunderts ,
ſchmuͤckte ; aber ſo ruchlos beteten ſie nicht : auch De-
moſthenes nicht .
Von den Celten und ihrer Einwan-
derung in Italien .
Die Macht Roms hatte ſich waͤhrend dieſes Zeit-
raums reiſſend und erſtaunenswuͤrdig entwickelt . Die
Graͤnze welche damals gegen Etrurien gebildet war er-
weiterte ſich waͤhrend fuͤnf und ſiebzig Jahren nicht mehr :
ſie ſchien ſogar unuͤberſchreitbar , und es war voͤllig ver-
geſſen daß die roͤmiſchen Legionen einſt jenſeits des ci-
miniſchen Waldes Krieg gefuͤhrt hatten . So ſchwer fiel
die Republik durch die galliſche Einnahme . Staͤdte
welche dem erwachſenen Rom dreyßig Jahre lang wi-
derſtanden , beugten ſich damals ſchon vor ſeiner Ober-
macht : freylich galt es ſpaͤter Unterjochung , jetzt nur
Loskauf von Pluͤnderungen um einen Theil der Schaͤtze
an denen die etruskiſchen Orte ſtatt an Buͤrgern reich
waren .
Freylich dankte Rom ſeine entſchiedene Uebermacht
in dieſen Kriegen der gleichzeitigen galliſchen Voͤlkerwan-
derung welcher die etruskiſche Nation unterlag . Aber
Vortheile , gewonnen durch Benutzung der Noth welche
die Siege eines anderen weit maͤchtigeren Volks uͤber
die Angegriffenen brachten , dauern nicht laͤnger als bis
dieſes ſich gegen den Staat wendet der den guͤnſtigen
Augenblick zu ſeiner Vergroͤßerung benutzte ; und die
Freude mit der Rom die etruskiſchen Niederlagen am
Po vernommen haben mag , verkehrte ſich in Angſt , als
die Eroberer das adriatiſche Meer erreichten , die Apen-
ninen uͤberſtiegen , und Cluſium belagerten . Schreckli-
cher als Etrurien fiel Rom unter dieſem Ungewitter ;
der Genius der Republik errettete ſie durch wunderba-
res Gluͤck ; Gluͤck war es auch daß gleiches Schickſal weit
und breit die italiſchen Voͤlker traf , mit denen die
Stadt ſich maaß ; und die Vortrefflichkeit der Nation
glaͤnzte in den weiſen Anſtrengungen womit ſie , von dem
Augenblick als Beſonnenheit wiedergekehrt war , ſich von
ihrem tiefen Fall erhob : einem Augenblick den traͤge Ver-
ſaͤumniß , oder noch ſchlimmere thoͤrichte Vergeudung
der geretteten Kraͤfte auf ewig verſcherzt , und Rom dem
Untergang hingegeben haͤtten .
Die , welche entweder aus einer gewaͤhnten Glau-
benspflicht , oder aus einer genealogiſchen , fuͤr die Man-
nichfaltigkeit der aͤlteſten Staͤmme und die Analogie der
Natur verſchloſſenen Anſicht , alle Voͤlker von einem
Urſprung , und aus einer ausgezeichneten Gegend ablei-
ten , — durch die Zerſtreuung der uͤber die oͤde Erde ver-
wehten Geſchlechter durchaus paſſiver , an Geſtalt , Sin-
nesart und Sprache durch aͤußere Umſtaͤnde zu formender
Geſchoͤpfe , aus denen allmaͤhlich hier Griechen , dort Neu-
hollaͤnder wurden , — muͤſſen von der Erſcheinung betrof-
fen ſeyn , daß , wider die auch in der Geſchichte unver-
letzte Regel daß der Strohm nicht zu ſeiner Quelle zu-
ruͤckkehrt , die Celten , aus dem weſtlichſten Europa aus-
wandernd , wieder bis in Voraſien gekommen ſeyn ſoll-
ten . Den erſten freylich weicht jede Schwierigkeit die-
ſer Art , als ein allerdings ſonderbares Factum , vor
einer ihnen weit gewiſſeren Wahrheit , ſo wie die be-
ſtimmten Wunder , wodurch ſie die Umwandlung von
Geſtalt und Sprache erklaͤren , ihren Glauben weit uͤber
die ſchaale Oberflaͤchlichkeit des deutenden Wahns der
zweyten Anſicht erheben ; denn gerade dadurch erkennen
ſie ſeine Unvernunft . Nach einer andern Ueberzeugung ,
gegruͤndet auf der Erdoberflaͤche Vertheilung unter
verſchiedene Geſchlechter des Lebens , als Gott ſie fuͤr
die gegenwaͤrtige Form der Naturentwickelung belebte ,
waren die Celten ein urſpruͤngliches außerordentlich gro-
ßes Volk des Weſtens , welches , bey dem Anfang ſeiner
Geſchichte , außer faſt ganz Gallien , die britanniſchen In-
ſeln und einen großen Theil von Iberien bewohnte . Im
allgemeinen ſcheint dieſes Rieſenvolk , wie die Slavonier
der ſpaͤteren Geſchichte , eine große innere Gleichfoͤrmig-
keit gehabt , und kaum in wenige merklich verſchiedene
Staͤmme getheilt geweſen zu ſeyn ; wie viele Voͤlker-
ſchaften ſie auch enthielt . Doch moͤchten die Belgen
ein ſolcher Stamm geweſen ſeyn , wenn man anders mit
Recht ihre Sprache in der Kymriſchen erkennt , welche
von der Galiſchen mehr als die Litthauiſche von den
Slaviſchen abweicht , und nicht bloß durch die Beymi-
ſchung deutſcher Eroberer geaͤndert ſeyn kann . Das hohe
Alter der celtiſchen Bevoͤlkerung Britanniens iſt klar
durch die Einwanderung der Belgen welche die alten
Bewohner von der ſuͤdlichen Kuͤſte der Inſel verdraͤng-
ten . Es war auch Tradition der Druiden , ein Theil
ihrer Nation habe einheimiſch urſpruͤnglich Gallien be-
wohnt : ein andrer ſey von den aͤußerſten Inſeln , und
uͤber den Rhein her eingewandert Ammianus Marcellinus XV. c. 9 . . So iſt es auch
mit nichten gewiß , was gewoͤhnlich als zweifellos an-
genommen wird , daß die Celten Iberiens — außer den
Celtiberiern die Celtiker am Anas und Minius — ein-
gewanderte galliſche Fremdlinge waren . Eine beſtimmte
Sage daruͤber findet ſich nicht einmal Nicht bey Diodor V. c. 33. , welcher nach Timaͤus oder
Poſidonius ſchrieb , und nur von den langwierigen Kriegen
redet welche mit der Verſchmelzung der Celten und Iberer
geendigt haͤtten . Strabo freylich nimmt die Einwanderung
der Celten an : es iſt ſchon bemerkt daß jede große Wande-
rung leicht in den beyden entgegengeſeßten Richtungen er-
zaͤhlt wird . . Aber die
Iberer in Aquitanien Strabo IV. c. 1. in . und Narbonenſis Bis an den Rhodanus vermiſcht mit den Ligurern . Sky-
lax p. 2. , von den
Pyrenaͤen in die Ebenen hinein mit unbeſtimmten Graͤn-
zen wohnend , erſcheinen vielmehr als Eingewanderte in
Gallien , welche dort Celten , hier Ligurer aus ihren
Wohnſitzen gedraͤngt , oder als herrſchendes Volk ſich
unterworfen haben . So zerriſſen und entfernt wie die
Celtiker im weſtlichen Iberien , erhalten ſich wohl ein-
zelne tapfere Reſte einer uͤberwaͤltigten Nation , aber ſo
ſiedelt ſich keine einwandernde an . Eben ſo iſt in den
Wohnſitzen der Celtiberer eine Gegend nicht zu verken-
nen , in der ſich eine aus lachenderen Landſchaften zu-
ruͤckgedraͤngte Nation behauptet . Ihr Land war das
Gebuͤrge welches den Lauf des Iberus vom Baͤtis und
von den weſtlich fließenden Stroͤhmen abſondert , und
der obere Theil dieſer Gewaͤſſer , des Tagus und Du-
rius . Die Celtiberer waren , wie es ihr Nahme ſagt ,
eine Miſchung von Celten und Iberern Diodor V. c. 33 . , aber in al-
lem was wir von ihnen wiſſen iſt der iberiſche Cha-
rakter ſo ſichtbar , daß es bey aufmerkſamer Erwaͤgung
keinen Zweifel leiden kann daß die Iberer das vorherr-
ſchende Volk waren , welches zuletzt auch das Gebuͤrge
eingenommen , und ſich mit den Celten vereinigt hatte .
Ihre Sitten enthalten keine Spur celtiſcher Art : ihre
Nahmen ſind iberiſch nicht celtiſch : ihre Verfaſſung iſt
republikaniſch frey .
Die Celten in Gallien waren damals ein ungleich
roheres Volk als jenes welches Caͤſar von fruͤheren roͤ-
miſchen Siegen und innerer Zerruͤttung erſchuͤttert , durch
Abhaͤngigkeit vom Genuß der Erzeugniſſe fremder Laͤn-
der verweichlicht fand : die furchtbarſte Nation des al-
ten Europa . Ihre Schilderung bey Polybius Polybius II. c. 17 . und
bey Diodor , wahrſcheinlich zum Theil aus Timaͤus ent-
lehnt Diodor V. c. 24. ff. , giebt uns ein beſtimmtes Bild ihres damali-
gen Seyns , welches ſich aus Caͤſar und den roͤmiſchen
Schriftſtellern , ohne Furcht den Zuſtand verſchiedener
Jahrhunderte zu vermengen , ergaͤnzen laͤßt . Sie waren
in viele Voͤlkerſchaften getheilt ; doch ſo daß eine den
Vorrang und einen freywillig anerkannten Einfluß uͤber
die andern , welcher der Oberherrſchaft nahe gekommen
zu ſeyn ſcheint , ausuͤbte . Misbrauch dieſes Vorrangs ,
und die Unfaͤhigkeit in einer Bundesverfaſſung Sicher-
heit dagegen zu finden , bewog einen Theil dieſer Voͤl-
ker ſich von dem herrſchenden , in alten Tagen den Bi-
turigern , abzureiſſen , und dem maͤchtigſten unter ihnen
dieſelbe Hoheit zu verleihen . So aͤnderten ſich mehr-
mals die herrſchenden Staaten : das Syſtem blieb . Eben
ſo ſchuͤtzten ſich die einzelnen Voͤlker gegen innere Ty-
ranney nicht durch Verfaſſung und Geſetze , ſondern
indem die Buͤrger ſich gegen den Unterdruͤcker an einen
andern Maͤchtigen anſchloſſen . Die Druiden und Prie-
ſter beſaßen eigenthuͤmliche Wiſſenſchaften , Aſtronomie
und Naturkunde waren ihnen nicht fremd , und der große
Caͤſar , deſſen Kenntniſſe nicht geringer waren als ſein
Geiſt und Urtheil , ſpricht nicht veraͤchtlich von ihrem
Wiſſen . Sie hatten auch Poeſie , und gebrauchten ſie
zum Gewand der Wiſſenſchaft . Ihre Kenntniſſe waren
einheimiſch , aͤlter als die Einfuͤhrung der Buchſtaben-
ſchrift , deren Gebrauch ſie fuͤr dieſe verſchmaͤhten , ob-
gleich ſie zum Beduͤrfniß des Lebens angewandt ward .
Sie lehrten Unſterblichkeit : aber ihre Religion war voll
Greuel , und das Werkzeug eines frevelhaften Prieſter-
despotismus . Nur der Adel hatte Anſehen : das Volk
lebte in der demuͤthigſten Clientel ; einem Verhaͤltniß wie
es ſich in Irrland bis vor zweyhundert Jahren erhielt .
Die Zweykaͤmpfe und die wilde Voͤllerey ſind ein Eben-
bild des roheſten Mittelalters . Staͤdte waren ſelten , die
Haͤuſer
Haͤuſer der ſehr zahlreichen Doͤrfer elend : ihr Geraͤth
armſeelig : Ackerbau fuͤr das Beduͤrfniß : Weinbau und
alle Gewaͤchſe ſuͤdlicher Gegenden dieſſeits der Alpen
ganz fremd , in einem Clima welches damals aͤußerſt
rauh war . Reich waren ſie an Heerden , und an Gold ,
welches der Sand der Fluͤſſe , und einige durch dieſe ent-
deckte und bearbeitete Bergwerke gaben . Mit Gold
ſchmuͤckte ſich jeder wohlhabende Gallier , und wenn er
in der Schlacht nackt erſchien , ſo trug er doch goldne
Ketten an den Armen , und dicke goldne Ringe um den
Hals . Ihre bunten , gewuͤrfelten , mit Regenbogenfar-
ben ſchimmernden Maͤntel ſind noch die mahleriſche Tracht
ihrer Stammgenoſſen der Bergſchotten , welche die Brak-
ken der alten Gallier abgelegt haben . Große Koͤrper ,
ein langes ſtruppichtes gelbes Haar , wilde Zuͤge , mach-
ten ihren Anblick furchtbar : ihre Geſtalt , ihr wilder
Muth , ihre unermeßliche Zahl , der betaͤubende Laͤrm
einer ungeheuern Menge Hoͤrner und Trompeten bey ih-
ren Heeren , und die graͤßlichen Verwuͤſtungen welche
dem Siege folgten , laͤhmten die Voͤlker welche ſie uͤber-
zogen mit Entſetzen . Ihr Kriegsſinn war groß ; doch
fehlte ihnen Einheit , Gehorſam gegen ihre Feldherrn ,
und Ausdauer . Auch waren ihre Waffen ſchlecht : ſie hat-
ten ſelten Harniſche ; ihre Schilde waren ſchwach und un-
geſchickt : ſie warfen ſich auf den Feind mit breiten , ſchlecht
geſtaͤhlten , ſehr ſchwachen Schlachtſchwerdtern Die Claymores der Hochlaͤnder , welche bey Killikranky
und Preſtonpans gegen Artillerie und regulaͤre Truppen
entſchieden , ſind gleicher Art , aber weit tuͤchtiger . , die
Zweiter Theil. R
oft durch den erſten Hieb auf Eiſen gebogen und un-
brauchbar wurden : leichte Truppen hatten ſie nicht , und
wußten ſich ihrer nicht zu erwehren .
Ueber den Zeitpunkt ihrer Einwanderung in Italien
finden ſich zwey aͤußerſt verſchiedene Angaben : eine bey
Livius Livius V. c. 34 . , der Urquell der allgemein herrſchenden Mei-
nung von der zwiefachen Auswanderung unter Bellove-
ſus und Sigoveſus , welche ſie in die Zeit der Regie-
rung des alten Tarquinius ſetzt ; nach der zweyten , an-
genommen von allen aͤlteren Schriftſtellern , erſchienen
die Gallier erſt zweyhundert Jahre ſpaͤter , waͤhrend
des vejentiſchen Kriegs . Dies glaubten Polybius Polybius II. c. 17. 18 .
Diodors Annaliſten Diodor XIV. c. 113. , die des Appian Appian Celt . Ecl . de Legat . , offenbar
auch Trogus Pompejus Juſtinus XXIV. c. 4. , wichtig ſchon deswegen weil
er aus einer galliſchen Familie abſtammte , Dio Caſ-
ſius Zonaras VII. c. 23 . , und anders urtheilte auch nicht der Annaliſt ,
nach deſſen Vorgang Livius die den Vejentern ertheilte
Entſchuldigung der Etrusker erzaͤhlt : ſie koͤnnten ihnen
keine Huͤlfe ſenden ; denn ſie ſelbſt wuͤrden von den Gal-
liern bedroht ; einem nie geſehenen Volk , neuen Nach-
baren Livius V. c. 17 . : und ferner : ein nie geſehener , nie gehoͤrter
Feind , vom Oceanus und den aͤußerſten Weltenden her-
ziehend Derſelbe V. c. 57 . .
Wohl iſt es wahr daß die Sage Begebenheiten oft
zuſammendraͤngt , welche durch Jahrhunderte getrennt
waren , und den urſpruͤnglichen Anfang mit dem Aus-
gang zuſammenzieht , zu dem ſich die Begebenheit durch
eine langſame Folge vorwaͤrts bewegt hat : wohl waͤre es
moͤglich daß der Pataviner , wenn er Nachrichten uͤber die
galliſche Voͤlkerwanderung ſuchte , genauere Sagen haͤtte
entdecken koͤnnen als Polybius zu Rom vernahm : obgleich
es doch eine große und dieſem ernſten Forſcher ſonſt ganz
fremde Nachlaͤſſigkeit waͤre , wenn er ſich , zweyhundert
funfzig Jahre nach der Einnahme Roms , um zwey Jahr-
hunderte uͤber den Zeitpunkt der galliſchen Einwanderung
geirrt haͤtte . Aber Livius Zeitbeſtimmung beruht ſichtbar
auf einem Umſtand den wir entdecken , und deſſen Unan-
wendbarkeit zu ſeinem Zweck wir zeigen koͤnnen . Er nennt
die Zeit der Regierung des alten Tarquinius weil er den
Uebergang des Belloveſus uͤber die Alpen mit einer hiſto-
riſch beſtimmten Begebenheit verbindet , der Gruͤndung
von Maſſilia , welche allerdings in dieſe Zeit , naͤmlich in
die 45ſte Olympiade gehoͤrt Timaͤus bey Skymnus Chius , v. 210 — 14 . . Aber dieſe Verbindung
iſt nichtig , denn hier wird angenommen die Salluvier
haͤtten die Phokaͤer gehindert ſich niederzulaſſen , und
Belloveſus habe ſich an die Kuͤſte gewandt , um den
Segen der Goͤtter durch ein gutes Werk an Fremdlin-
gen zu verdienen , die , wie er , neue Sitze ſuchten , und
ihm haͤtten ſie ſichre Niederlaſſung verdankt ; da es doch
aus einheimiſchen Maſſiliſchen Geſchichten bekannt iſt
daß der Koͤnig der Segobrigier , welcher an dieſer Kuͤſte
R 2
herrſchte , die Phokaͤer ſehr freundlich aufnahm , und
einem ihrer Anfuͤhrer ſeine Tochter vermaͤhlte Juſtinus XLIII. c. 3. Athenaͤus XIII. p. 576. ed. Ca f . .
Mit der Entfernung dieſer chronologiſchen Autoritaͤt
ſinkt in Livius eigener Erzaͤhlung der ausgedehnte Zeit-
raum zuſammen . Belloveſus , der uͤber die Alpen der
Tauriner geht , ſchlaͤgt die Etrusker am Ticinus , und
gruͤndet Mediolanum im Inſubriſchen Lande . Dieſer
Sieg , dieſe Eroberungen , ſind offenbar verbunden mit
der Einnahme der großen etruskiſchen Stadt Melpum in
eben dieſer Landſchaft , welche , nach der Angabe des ſorg-
faͤltigen Geſchichtforſchers Cornelius Nepos , eines tuski-
ſchen Transpadaners , gleichzeitig mit Veji fiel ( 359 ) Th. I S. 77 . .
Hat Livius von dieſer gewußt , ſo iſt es unbegreiflich wie
er ſich mit der Vorſtellung beruhigte , die ungeheure Zahl
der einwandernden Gallier waͤre zweyhundert Jahre lang
in dem engen Winkel zwiſchen den hohen weſtlichen Alpen
und dem Ticinus ruhig geweſen . War es ihm auch unbe-
kannt , ſo verkennt er doch nicht weniger den ſichtbaren
Charakter der Voͤlkerwanderung ; die uͤberſtroͤmende Ge-
walt zahlreicher Nationen , die ſich bis in Apulien ſchnell
und unwiderſtehlich ausbreiteten : ja faſt ganz Italien ein-
nahmen , waͤhrend die Roͤmer uͤber dem Schutt ihrer
Stadt zitterten Juſtinus XXVIII. c. 2. Vergl. Diodor XIV. c. 117 . , und die in ſechs Jahren leicht vom
Adda bis Rom vordringen konnten . Nicht ſo Polybius ,
deſſen Mangel an dichteriſcher Darſtellung durch die
ſcharfe Beſtimmtheit reichlich verguͤtet wird , womit er ſich
und uns jede Zeit vergegenwaͤrtigt von der er , waͤre es
auch nur voruͤbergehend , redet . Nach ihm wohnten die
Gallier bis in die Alpen ; die geſegneten Fluren um den
Padus waren ihnen , als Benachbarten , wohl bekannt
und reizten ſie : unerwartet uͤberfielen ſie die Etrusker ,
ſchlugen dieſe , und warfen ſie aus dem ganzen Lande .
Wenige Zeit darauf erſchienen ſie vor Rom Polybius a. a. O. .
Man kann die Einnahme von Melpum wohl nicht
unmittelbar auf den erſten Anfang der galliſchen Einwan-
derung ſetzen : wenigſtens iſt es nicht nothwendig . Waͤre
es aber auch , ſo wuͤrden dennoch ſechs oder ſieben Jahre
fuͤr die Folge der Voͤlker , welche nach den erſten Erobe-
rern nach Italien hinabkamen , keine zu kurze Friſt ſeyn .
Einmal aufgeregt , bedurfte es nicht Menſchenalter um
Hunderttauſende zum Zug uͤber die Alpen aus einer uͤber-
fuͤllten Heimath zu bewegen .
Der Zug des Sigoveſus , oder die Einwanderung der
Celten in die Donaugegenden , iſt mit dem des Belloveſus
verbunden , und ſein Alter verſchwindet mit dieſem . Aber
ſo wenig man auch die alten Zuͤge der Celten uͤber den
Rhein bezweifeln kann Caͤſar de bello Gall . VI. c. 24. , eben ſo wenig darf man ihre
Niederlaſſungen in Noricum , an der Mitteldonau , in
Pannonien und Illyricum , von wo ſie ſich uͤber Griechen-
land , Thracien und Voraſien ausbreiteten , von der Ein-
wanderung in Italien trennen . Caͤſar , der hoͤchſte
Zeuge Summus Auctorum Divus Julius . Tacitus Germ. c. 38 . , dem die Geſchichte der Noriker gewiß nicht
fremd war , da ſie zu ſeinen Provinzen gehoͤrten , leitet
von den Auswanderungen uͤber den Rhein nur allein die
Volker Tektoſager ab die unter dem Herkyniſchen Forſt
wohnten Caͤſar a. a. O . , nicht die oͤſtlichen Celten ; ein ganz zu-
verlaͤſſiger Beweis daß er jenen Zug des Sigoveſus nicht
glaubte , oder doch ihn nur als Heerfuͤhrer der Volker
betrachtete Nach Dio ( Zonaras VII. c. 23. ) zog ein Theil der Cel-
ten uͤber die Alpen : ein anderer unter die rhipaͤiſchen Ge-
buͤrge ; eine Erzaͤhlung deren griechiſcher Urſprung unver-
kennbar iſt . Vergl. Plutarch Camill. p. 135. E. , der auch
von den Rhipaͤen redet . . Die weſtlichen Graͤnzen des deutſchen
Volksſtamms ſcheinen ſeit zweytauſend Jahren im Gan-
zen unveraͤndert : ſuͤdlich bis in Wallis hinein wohnten
halbdeutſche Voͤlker Livius XXI. c. 38 . : alſo daß die oͤſtlichen Celten
von dem eigentlichen Gallien ganz geſchieden waren .
Von Italien , obgleich die Veneter Noricum von Cis-
alpinien trennten , hatten ſie ſich nach Illyrien und Pan-
nonien gewandt , und ſich einen Weg durch die wider-
ſtehenden Voͤlker gebahnt Juſtinus XXIV. c. 4. . Hierauf bezieht ſich der
Ausdruck des Skylax Um die 105te Ol. oder 393 ; 28 Jahre nach der galliſchen
Eroberung Roms . , die Celten am innerſten Bu-
ſen des adriatiſchen Meers , ſuͤdlich von den Venetern ,
waͤren von dem Zuge zuruͤckgeblieben ἀπολειφϑέντες τῆς ϛρατείας . Skylax p. 6. . Auch finden
wir die Bojer beydes an der Donau und am Padus ,
ſo daß wir auf die Abſonderung des einen Volks von
dem andern ſchließen koͤnnen . Noch bedeutender iſt , daß
Celten um das adriatiſche Meer , welche eine Geſandt-
ſchaft an Alexander ſchickten , um ihn ohne Furcht uͤber
ſeinen getiſchen Sieg zu begruͤßen ( 417 ) Arrians Anab . Alex. p. 5. a. ed. Steph . den fruͤ-
heren Griechen unbekannt ſind. Herodot ( um 320 )
kennt nur Illyrier und Triballer in ihren ſpaͤteren Wohn-
ſitzen : die Celten als das aͤußerſte Volk Europas , naͤchſt
den Kyneten ; die Quellen des Iſters im celtiſchen Lande
ſind ſo unbeſtimmt als des Strohms Urſprung bey Py-
rene . Die Triballer bewohnten in ſeinem Zeitalter die
Ebenen des jetzigen Slavoniens und Niederungarns : ſein
Angrus iſt offenbar der Drin : der Brongus die Sau :
denn bis an den Einfluß dieſes Strohms laͤuft das Ge-
buͤrge am ſuͤdlichen Ufer der Donau fort , und erſt in
Slavonien beginnt die Ebene Herodot IV. c. 49 . . Dieſe Triballer aber
erſcheinen zwoͤlf Jahre nach der Einnahme Roms ( 377.
Ol. 101. 1. ) in Thracien als ein auswanderndes Volk Diodor XV. c. 36. ,
aus ihrer Heimath vertrieben von den Skordiskern Appian Illyr. p. 758. a. ed. Steph . ,
einer Nation von jenen Galliſchen die ſo kurze Zeit nach-
her ihr ehemaliges Land bewohnen . Die Kraft einer
Voͤlkerwanderung iſt in ihrem erſten Beginn am heftig-
ſten , langſam fortſchreitend zeigt ſie ſich nur wo gewal-
tige Maſſen ihr entgegenſtehen : bey der Gewalt der er-
ſten Anſtrengung iſt es ſo wenig auffallend wenn die
Celten , zwanzig Jahre nach ihrem Uebergang uͤber die
Alpen , ſchon ein Volk an der Mitteldonau vertrieben
hatten , als es vielmehr undenkbar iſt daß ſie in hundert
und ſiebzig Jahren nach dem Uebergang uͤber den Rhein ,
in Gegenden wo keine feſte Staͤdte ihren Fortgang auf-
hielten , noch nicht ſo weit vorgedrungen waͤren .
Der galliſche Krieg und die Ein-
nahme Roms .
Faſt uͤber keinen Theil der roͤmiſchen Geſchichte
weichen die Sagen ſo widerſprechend ab , als uͤber die-
ſen galliſchen Krieg . Denn die urſpruͤngliche Wahrheit
hat ſich nur in ſchwachen Umriſſen erhalten : dagegen
hat gefliſſentliche Verfaͤlſchung ein glaͤnzend ausgemahl-
tes Bild aufgeſtellt , welches jener gewaltſam unterge-
ſchoben iſt : als ob der Schutt der Stadt und das un-
austilgbare Andenken der Niederlage nicht jedes Ver-
ſuchs ſpottete , die Schmach auf dem Papier wegzudich-
ten . Ich werde aber dennoch was nicht durchaus thoͤ-
richt iſt zuſammenſtellen ; die Reſte alter Dichtung be-
wahren ; vieles muß , weil es hiſtoriſche Farbe angenom-
men hat , als hiſtoriſch behandelt werden , obwohl es
ohne das Alter des Glaubens als auffallende Erdichtung
ſchnell und ganz verworfen werden muͤßte .
Vor Cluſium ſoll der Vormund eines Lucumo , un-
verſoͤhnlich von ihm durch die Verfuͤhrung ſeines Wei-
bes gekraͤnkt , die furchtbaren Feinde gerufen haben , wie
Graf Julian die Araber nach Spanien . Eine andere
Sage , und vielleicht meint Polybius dieſe , ſagt , durch
einen ſolchen Ungluͤcklichen waͤren ſie uͤber die Alpen ein-
geladen worden , und er habe ſie durch den Reiz des
Weins gelockt : der Fuͤlle , und des Beſitzes der Reben-
huͤgel ; ſonſt freylich verſchaffte den Galliern theils Maſ-
ſilien gegen galliſches Gold ſchon ſeit zwey Jahrhunder-
ten griechiſche und italiſche Weine , theils auch boten die
Alpen , ehe wandernde Voͤlker uͤber ſie zogen , offene Han-
delsſtraßen dar . Die allgemeine Gefahr vereinigte Staa-
ten die bis dahin uͤber Obermacht , nicht uͤber das Da-
ſeyn ſtritten . Die Cluſiner flehten um die Huͤlfe der
Roͤmer , und dieſe erkannten , daß die Rettung der vor-
liegenden Staͤdte ihre eigene ſey . Sie verſuchten Ver-
mittlung ; aber die Gallier verwarfen ſie : ihre Bedin-
gung war die Abtretung eines Theils der cluſiniſchen
Landſchaft , nothwendig mit der Unterwerfung der Stadt ,
in dem Sinn wie die wandernden germaniſchen Voͤlker
die Laͤndereyen der eroberten roͤmiſchen Provinzen theil-
ten . So waren ihnen ohne Zweifel , welches Polybius
von vielen Voͤlkern ſagt , ſchon die Umbrer , Italiens
aͤlteſtes und einſt groͤßtes Volk , und die Picenter in der
kurzen Laufbahn ihrer Siege gehorſam geworden . Nach
Diodor Diodor XIV. c. 114 . ſandte der Senat die Abgeordneten , weni-
ger in der thoͤrichten Hoffnung zu vermitteln , als um die
Macht der Celten zu erkundſchaften .
Daruͤber ſtimmen alle Sagen uͤberein , daß dieſe roͤ-
miſchen Abgeſandten ſich in ein Gefecht zwiſchen den
Cluſinern und den Galliern miſchten , und von dieſen er-
kannt wurden . Ein galliſcher Anfuͤhrer ward von einem
derſelben , Q. Fabius , niedergeſtoßen . Die Beleidigung
des Voͤlkerrechts erbitterte die Senoner , auch ſie ſchick-
ten Geſandte nach Rom , und forderten die Auslieferung
der Schuldigen . Nach Livius ſchauderte die Senatoren
vor der Aufopferung befreundeter Maͤnner ; doch um die
Verantwortung eines fuͤrchterlichen Kriegs nicht zu tra-
gen — um dieſe elende Scheinberuhigung des Bewußt-
ſeyns war es nur zu thun — uͤberlieſſen ſie dem Volk
die Entſcheidung . Dieſes verweigerte nicht nur die Aus-
lieferung : wie zum Trotz erwaͤhlte es die drey Geſand-
ten , es waren Fabier und Bruͤder , zu Proconſulartri-
bunen . Als die Gallier dieſen Ausgang ihrer Geſandt-
ſchaft vernahmen , verlieſſen ſie den cluſiniſchen Krieg
und brachen eilig gegen Rom auf : in ſo ſchnellen Maͤr-
ſchen daß das roͤmiſche Heer ihnen kaum elf Millien
von der Stadt am Allia begegnete , wo zwiſchen beyden
Heeren , wie ſie auf einander trafen , die Schlacht be-
gann , deren Andenken und ihres unſeligen Tags bis in
die ſpaͤteſten Tage Roms verwuͤnſcht blieb . Das roͤmi-
ſche Heer war nicht zahlreicher als zu einem alltaͤglichen
Kriege ausgehoben .
In dieſer ganzen Erzaͤhlung iſt kein Punkt dem nicht
pruͤfende Erwaͤgung der Umſtaͤnde , oder andre Zeugen
widerſpraͤchen . Die Schlacht am Allia machte , weil der
Quinctilis damals 29 Tage zaͤhlte , den 15ten vor den Sex-
tilkalenden , oder den Tag nach den Iden , verrucht Gellius V. c. 17. Livius verkennt den alten Calender . ;
eine Zeitbeſtimmung die wir nur ſehr uneigentlich durch
den 16ten Julius ausdruͤcken wuͤrden . Fuͤr die Critik der
Geſchichte aber iſt es hinreichend daß die Militartribunen
ihre Wuͤrde am erſten Quinctilis antraten , und daß die
Wahlen nur durch außerordentliche Umſtaͤnde , von denen
hier aber kein Wort erwaͤhnt wird , bis an , oder im Fall
von Interregnen uͤber das Ende des Jahrs der Magiſtra-
tur verſchoben , ſonſt mehrere Monate fruͤher gehalten wur-
den , und daß dieſes auch diesmal geſchehen war koͤnnen
wir nicht einer ſolchen Erzaͤhlung zu Gefallen bezweifeln .
Aber auch zugegeben daß die Wahlen bis an den Ausgang
des Magiſtratjahrs verſpaͤtet waͤren , ſo ſind mehr als
vierzehn Tage von dem Augenblick da die Gallier die
Nachricht empfingen , fuͤr ein erbittertes Heer eine viel zu
lange Zeit um eine Entfernung von drey ſtarken Tage-
maͤrſchen zuruͤckzulegen Polybius II. c. 25 . . Diodor ſagt nichts von der
Ernennung der Geſandten zum Militartribunat : er weiß
auch nur von einem deſſen Auslieferung , um Blutrache
an ihm zu uͤben , gefordert ward , und dieſer iſt der
Sohn eines der Militartribunen , welcher ihn von dem
Volk losbittet , nachdem der Senat ſeinen Schutz auf-
gegeben hat .
Weit wichtiger aber iſt der Unterſchied ſeiner Erzaͤh-
lung darin , daß nach den Annalen denen er folgte alle
Waffenfaͤhige aufgeboten und ins Feld gefuͤhrt waren , ein
Umſtand den Roms voͤllige Wehrloſigkeit nach der
Schlacht , auch ohne ein hiſtoriſches Zeugniß , anzuneh-
men noͤthigen wuͤrde . Nach Polybius Derſelbe II. c. 18 . ſtanden ſogar
die Roͤmer in der ungluͤcklichen Schlacht nicht allein , ſon-
dern ihre Verbuͤndeten theilten die Niederlage . Wie haͤt-
ten ſich auch Latiner und Herniker einem Feldzug entzie-
hen koͤnnen , an dem viel eher Volsker und Aequer , als
an einer gemeinſamen Sache Aller , Theil genommen ha-
ben koͤnnen ?
Wo aber waren dieſe mehr als hunderttauſend Waf-
fenfaͤhigen der angeblichen alten Cenſusregiſter ? Wie be-
greift die kleine Zahl der Bewaffneten , oder die Vernich-
tung der angenommenen Menge , wer mit Plinius ernſt-
haft glaubt in dem Luſtrum vor Eroberung der Stadt waͤ-
ren 152,573 Buͤrger gezaͤhlt geworden Plinius H. N. XXXIII. c. 5. Wohlverſtanden , alle mannhaft . ? Zwar bey
einer ſolchen waffenruͤſtigen Bevoͤlkerung haͤtte es Livius
auch nicht erſtaunen muͤſſen , daß vierzig Jahre ſpaͤter
( 406 ) , als das Buͤrgerrecht ſchon in großer Erweiterung
mitgetheilt war , in zehn Legionen , nach der ihm ſelbſt
zweifelhaft duͤnkenden Sage der Annalen Erdichtung iſt ſie allerdings , denn ſie redet von Legionen
wie ſie erſt um das Jahr 520 eingerichtet wurden . , fuͤnf und
vierzigtauſend Mann in einem ganz allgemeinen Aufge-
bot bewaffnet wurden . Selbſt dieſe Zahl erreichte das
roͤmiſche Heer in der Schlacht am Allia nicht : obgleich
auch die betagten Ausgedienten und die Ungeuͤbten jedes
Alters und Standes mitgefuͤhrt wurden . Dennoch zaͤhlten
ſie nur vierzigtauſend Mann Plutarch , Camill p. 137. C . , wahrſcheinlich nicht
Roͤmer allein , ſondern Roͤmer und Latiner , wie ſie in
Manipeln verbunden waren . Auch wird die Zahl der
waffenfaͤhigen Roͤmer waͤhrend die Stadt in feindlicher
Gewalt war , ohne die welche auf dem Capitol belagert
wurden , nur auf zwanzigtauſend geſchaͤtzt Zonaras VII. c. 23 . .
Die eigentliche Armee , auf welche die Republik ver-
traute , war aber nur vier und zwanzigtauſend Mann
ſtark : dieſe ſtanden , wie es ſcheint , den Allia , einen
Bergſtrohm von ſehr hohen Ufern , vor der Fronte , die
linke Flanke an die Tiber , die rechte an einen Huͤgel
angelehnt , auf dem , als einem Ort der auch fuͤr ſchlech-
tere Truppen durch natuͤrliche Feſtigkeit haltbar war , die
uͤbrigen , mehr eine Zahl als Soldaten , wahrſcheinlich
die Bejahrten uud und die ganz Ungeuͤbten aufgeſtellt wa-
ren Diodor XIV. c. 114 . . So weit laͤßt ſich die Anordnung des roͤmiſchen
Feldherrn vielleicht nicht tadeln , da er den ungluͤcklichen
Entſchluß faßte eine Schlacht zu liefern , gegen einen
furchtbaren und weit uͤberlegnen Feind , deſſen Zahl auf
ſiebzigtauſend angegeben wird : denn die Senoner , welche
vor Cluſium erſchienen waren , hatten große Verſtaͤrkun-
gen neuer Einwanderer an ſich gezogen . Aber im Allge-
meinen iſt Livius Ausſpruch hoͤchſt wahr daß eine entſetz-
liche Verblendung die Roͤmer in das Verderben ſtuͤrzte .
Man uͤberließ die Republik , der Dictatur uneingedenk ,
alltaͤglichen Anfuͤhrern , welche fuͤr gewoͤhnliche Zeiten er-
nannt waren : nicht die gemeinſte Vorſicht , die in ge-
woͤhnlichen und faſt gleichguͤltigen Kriegen nie verſaͤumt
ward , war beobachtet ; das Lager war nicht verſchanzt ;
nichts fuͤr einen Ruͤckzug angeordnet ; an die Befeſtigung
und Vertheidigung der Stadt , deren Schickſal ganz al-
lein von dem Sieg oder der Niederlage des Heers ab-
hing , war nicht gedacht . Es war eine taumelnde Eile zur
Schlacht , wohl nicht aus waͤhnender Siegstrunkenheit :
vielmehr , weil die Gefahr zu groß war als daß der Rath-
ſchluß gewoͤhnlicher Befehlshaber ſie abwehren konnte :
weil man den Blick vor ihr ſchloß um ihr mit blinder Ver-
wegenheit zu begegnen : weil weder die Anfuͤhrer ſich Er-
folg durch Feldherrnkunſt verheiſſen durften , noch ihnen
die Nation vertraute . Es war Verhaͤngniß des Schick-
ſals , welches den Fall Roms beſchloſſen hatte .
Doch waren die Roͤmer nicht ohne einen Oberbefehls-
haber : Q. Sulpicius hat unter ſeinen Collegen das trau-
rige Vor r echt als ſolcher in dieſer Schlacht Gellius V. c. 17 . und
bey dem Abſchluß des Loskaufs der Stadt Livius V. c. 48. genannt
zu werden ; eine Auszeichnung auf die ſeine Nachkom-
men nicht eitel geweſen ſeyn werden . Auch iſt Livius
Beſchuldigung daß die Militartribunen verſaͤumt haͤtten
den Schutz der Goͤtter vor der Schlacht durch Opfer
zu gewinnen auf einem Mißverſtaͤndniß gegruͤndet . Q.
Sulpicius hatte geopfert , und konnte nach dem Zeichen
vielleicht Sieg hoffen : aber er hatte das Schickſal an
einem ſchwarzen Tage gefragt , an dem die heiligen Zei-
chen taͤuſchten Verrius Flaccus bey Gellius a. a. O. .
Den galliſchen Feldherrn nennt die Geſchichte Bren-
nus , wie den welcher hundert und ſieben Jahre ſpaͤter
die oͤſtlichen Celten auf dem ungluͤcklichen Zuge gegen
Delphi fuͤhrte : ſey es daß ſpaͤter die Annaliſten Roms
dieſen in der griechiſchen Geſchichte beruͤhmten Nahmen
auf den Anfuͤhrer der Senoner uͤbertrugen , um ihrer
aͤlteren Geſchichte das bewegtere Leben zu verleihen wel-
ches aus der Bezeichnung beſtimmter Nahmen hervor-
geht ; oder daß , wie celtiſche Sprachdeuter geſagt ha-
ben , das Wort in der Kymriſchen Sprache einen Koͤ-
nig bedeute .
Die Gallier wandten ihre ganze Macht gegen den
rechten Fluͤgel der Roͤmer , dem die vortheilhafte Stel-
lung eine kurze Zeit Kraft gab ſich zu behaupten . Zu-
gleich aber umgingen ſie ihn , und vereitelten die weite
Ausdehnung der roͤmiſchen Schlachtordnung , welche dem
Angriff in der Fronte ſchon eine ſehr ſchwache Linie
entgegenſtellte . Auf einmal ergriff ein paniſches Schrek-
ken das ganze Heer . Abgeſchnitten von Rom floh alles
nach den Ufern der Tiber , in einer ungeheuern verwor-
renen Maſſe die ſich ſelbſt die Flucht hemmte . Von al-
len Seiten brachen die Gallier unter ſie ein , und das
Blutvergießen war unermeßlich : nicht rettete die Flucht
das Heer , indem ſie die Stadt aufopferte , wie Livius ,
Cannaͤ und Allia vergleichend , uneingedenk ſeiner eignen
Erzaͤhlung ſagt Livius XXII. c. 50 . , auch konnte die Flucht hier nicht
retten . Wenige durchſchwammen die Tiber mit vollen
Waffen ; die meiſten welche entkamen hatten ſie am Ufer
von ſich geworfen . Zwar mindert es die Vorſtellung
vom Umfang der Niederlage daß wir wenigſtens zwey
der Tribunen nachher als uͤberlebend und nicht einen von
ihnen als gefallen genannt finden : doch zeigt Roms
voͤllige Wehrloſigkeit daß hoͤchſtens nur eine kleine Zahl ,
wie es auch faſt mitten durch ein ſiegendes Heer ge-
ſchehen kann , die Stadt erreicht hatte . Den Abend und
die Nacht verweilten die Sieger auf dem Schlachtfelde ,
beſchaͤftigt die Beute zu ſammeln , und nach barbari-
ſcher Sitte die Koͤpfe der Erſchlagenen als Siegeszei-
chen abzuſchneiden . Am folgenden Tage erſchienen ſie
vor Rom . Undenkbar iſt der Wahnſinn , wenn auch die
Mauern kaum beſetzt waren , die Thore offen zu laſſen ,
und jene aͤngſtliche Vorſichtigkeit eines Siegers , der ſtets
mit verwegner Kuͤhnheit angriff , die den Ueberwundenen
zwey ganze Tage Friſt geſchenkt haben ſoll ſich zu retten ,
und den Reichthum ſeiner Beute zu ſchmaͤlern . Geſchloſ-
ſen waren die Thore allerdings nach der weit glaublicheren
Erzaͤhlung Diodor XV. c. 115 . , daß die Gallier drey Tage nach der
Schlacht das colliniſche Thor aufhieben , weil die Mauern
oͤde waren , und mit großer Vorſicht in die Stadt einzo-
gen , wo ihnen nirgends Gegenwehr bevorſtand . Undenk-
bar iſt es ferner , und es waͤre aͤrger als Raſerey geweſen ,
in einem Zeitalter , wo jeder den die letzte Stunde einer
eroberten Stadt in ihren Mauern traf dem Tod , oder
der Sklaverey , und den frevelvollſten Mißhandlungen
entgehen zu koͤnnen nicht traͤumen durfte , wenn die wehr-
loſen Einwohner , ungehindert die Stadt zu verlaſſen ,
eine ſolche Friſt nicht genutzt haͤtten um ſich zu retten und
zu zerſtreuen : wenn Weiber und Kinder großentheils in
der Stadt geblieben waͤren Livius V. c. 40. 43 . : nicht weniger aber daß
eine große Zahl die ſich zugedraͤngt habe , in das Capitol
und die Burg aufgenommen worden ſey : als ob die Ver-
zweiflung nicht alle hinzugedraͤngt haben muͤſſe , wenn
nicht
nicht alle zuruͤckgewieſen wurden . Ein ſo kleiner Huͤgel
konnte wohl nur wenig mehr als tauſend Bewaffnete
aufnehmen : neben dem Speiſevorrath der fuͤr ſie aufge-
legt werden mußte .
Sey es auch daß der Entſchluß die Greiſe aufzuopfern
nichts weniger als undenkbar in einer Republik des Alter-
thums geweſen ſey ; undenkbar , ſelbſt bey dem ſtarrſten
Phlegma , von dem die Roͤmer nicht ganz frey zu ſpre-
chen ſind , und widerſinnig uͤber allen Begriff , iſt die
Gelaſſenheit mit der dieſe Opfer , bewogen durch das
Beyſpiel patriciſcher Greiſe , ihr Schickſal erwaͤhlt ha-
ben ſollen . Konnte man auch ihre Entfernung nicht
erleichtern , mußte jeder , wie ſeine ſchwachen Kraͤfte hin-
reichten , ſich fortzuſchleppen ſuchen , wußten ſie denn
ob ein erwuͤnſchter Tod ſie ſchnell erloͤſen wuͤrde : ob ſie
nicht als Sklaven , nicht nach ihren Kraͤften ſondern
nach dem Willen ihrer Treiber , fortgeſchleppt werden
wuͤrden ? Haben ſich doch , in menſchlich gefuͤhrten Krie-
gen , wo fuͤr die zuruͤckbleibenden Verwundeten keine Ge-
fahr als Kriegsgefangenſchaft nach der Geneſung war ,
Verſtuͤmmelte und Schwerverwundete , wenn die Hoſpi-
taͤler nach einer verlohrnen Schlacht fuͤr den der ſich
herauszugehen getraute geoͤffnet wurden , viele Meilen
weit fortgeſchleppt , ohne daß auf der Straße Hunger
oder der Anblick ſterbend Niederſinkender die uͤbrigen vom
Wege aufhielt ? Wollten die Greiſe ſterben , warum be-
ſetzten ſie nicht die Mauern und die Thore ? Auch kennt
nur Livius dieſe allgemeine Reſignation . Andre erzaͤhl-
ten : waͤhrend das ganze uͤbrige Volk ſich rettete , haͤtten
Zweiter Theil. S
achtzig patriciſche Greiſe in curuliſchem Pomp ſitzend
den Tod erwartet Zonaras VII. c. 23 . : ein freywilliger gegenſeitig zu-
geſagter Entſchluß unter Gleichen , der nichts unwahr-
ſcheinliches enthaͤlt ; am wenigſten wenn die zum Tod
Entſchloſſenen ſich feierlich in die Haͤnde des Oberpon-
tifex fuͤr die Republik und zum Verderben der Feinde
geweiht hatten Livius V. c. 41 . : eine begeiſterte Aufopferung , deren
reines Bild nicht durch die Hinzumiſchung einer grau-
ſamen Preisgebung ungern Sterbender entſtellt wer-
den darf .
Niemand verkenne was auch hier gegen Livius ge-
ſagt werden muß , als meine es Verkleinerung . Eine
meiſterhaftere Schildernng Schilderung als die eben dieſer Zeit bey
ihm hat kein Geſchichtſchreiber beyder Nationen : und
man muß den Einſeitigen beklagen , dem hiſtoriſche Feh-
ler und Widerſpruͤche , wie arg ſie auch ſeyn moͤgen ,
einen Genuß verderben , der fuͤr den Unbefangenen durch
die genaueſte Kenntniß der Verzeichnung nicht geſtoͤrt
wird . Denn wir duͤrfen die Geſchichtſchreiber mit den
Mahlern vergleichen , und wenn Thukydides dem groͤß-
ten Florentiner entſpricht , ſo hat Livius beydes die Vor-
trefflichkeit und die Maͤngel der venetianiſchen Schule .
Die reiche Lieblichkeit ſeines Colorits erſetzt die Unvoll-
kommenheit der Zeichnung ; und doch trifft dieſer Fehler
unter den uns erhaltenen Buͤchern hauptſaͤchlich nur die
zehn erſten : in den uͤbrigen konnte er Polybius meiſter-
hafter Zeichnung folgen , und vollendete ſie durch das
Leben ſeiner Farben .
In dem Capitol und der Burg , feſt nur durch die
damals ſteilen Waͤnde des hohen Felſenhuͤgels und der
maͤchtigen Subſtructionen , nicht durch umgebende Mau-
ern , war der Senat , mit ihm wohl die noch uͤbrige patri-
ciſche Jugend , verſammelt . Nicht uneinnehmbar war der
Ort bey einem entſchloſſenen Sturm ; Appius Herdonius
hatte den Roͤmern unterliegen muͤſſen . Auch die Gal-
lier verſuchten es den Krieg ſchnell zu endigen ; aber
ihr Angriff ward mit großem Verluſt zuruͤckgeſchlagen .
Von der Zeit an wagten ſie keinen neuen Sturm , ſie
rechneten auf den Hunger der die Uebergabe zuletzt er-
zwingen muͤſſe , da jeder Entſatz unmoͤglich ſchien . Mehr
auf Beute bedacht als auf Niederlaſſung in ſo entfern-
ten Gegenden , in einer fuͤr ſie wenig lockenden unfrucht-
baren Landſchaft , hatten ſie die Stadt allmaͤhlig , da al-
les was des Wegnehmens werth ſeyn konnte fortge-
ſchleppt war , angezuͤndet , und außer wenigen Haͤuſern
auf dem Palatium , die ihre Heerfuͤhrer wahrſcheinlich
zur Wohnung fuͤr ſich verſchonen ließen Diodor XIV. c. 115 . , einge-
aͤſchert . Daher , als die Uebergabe der Burg ſich ver-
zoͤgerte , begannen ſie ſelbſt ohne Obdach Ungemach zu
leiden : der Herbſt , vor Alters wie bis auf dieſen Tag ,
beſonders fuͤr den Nordlaͤnder , ſeuchenvoll zu Rom , er-
zeugte Fieber , die eine Menge Gallier wegrafften , wie
Barbaroſſas nordiſches Heer in denſelben Monaten un-
ter Roms Mauern hinſtarb . Die Gegend wo die Tod-
ten aufgehaͤuft verbrannt wurden , ward , ſo lange das
S 2
alte Rom ſich erhielt , durch den Nahmen der galliſchen
Scheiterhaufen bezeichnet Nach einer andern Erklaͤrung wurden die zuruͤckgelaſſe-
nen galliſchen Leichen hier von den Roͤmern nach der Raͤu-
mung der Stadt verbrannt . .
Mangel an Lebensmitteln oder Luſt an leichten Er-
oberungen veranlaßte die Gallier ſich zu theilen und La-
tium zu durchſtreifen . Nach der Erzaͤhlung daß Camil-
lus damals in freywilliger Verbannung zu Ardea lebte ,
ermunterte er die Buͤrger dieſer Colonie einen pluͤndern-
den Haufen anzugreifen , und ihm die zuſammengetrie-
bene Beute zu entreiſſen .
Zu Veji waren viele aus der Schlacht Entflohene
verſammelt : auch der beſte war von der allgemeinen
Verwirrung zur Flucht fortgeriſſen worden . Aber es
fehlte an Waffen ; einen Anfuͤhrer und Waffen durch
ihn gab die Noth , welche den Ausgezeichneten hervor-
ruft . Bey der tiefen Demuͤthigung Roms erwachte in
den Etruskern Wenn Volſinii , Falerii und Capena nicht den beſchwore-
nen Stillſtand brachen , welches ihnen nicht vorgeworfen
wird , ſo koͤnnen hier , wie nach der Raͤumung , nur die
Tarquinienſer , verbunden vielleicht mit andern hinter lie-
genden Staͤdten , gedacht werden . Begierde fruͤhere Demuͤthigungen an
den Gefallenen zu raͤchen . Sie ſtreiften in das vejen-
tiſche Gebiet , wo ſich befand was aus der Stadt nicht
in fremde Mauern geborgen war . Die Roͤmer zu Veji
erwachten durch dieſe Schmach aus der Betaͤubung .
Sie erwaͤhlten zu ihrem Anfuͤhrer einen Hauptmann
M. Caͤdicius , deſſen Nahme neben denen der groͤßten
Feldherrn Roms genannt werden ſollte Sonderbar daß auch der alſo genannt wird welcher die
weiſſagende Stimme vernommen hatte die Gallier kaͤmen . . Dieſer
uͤberraſchte die verachtungsvollen Pluͤnderer , befreyte die
Gefangenen , gewann die weggefuͤhrte Beute wieder , und
eroberte , was weit wichtiger war , viele Waffen , mit de-
nen er ſeine Soldaten ruͤſtete . Die frohe Botſchaft , und
Ermunterung auszudauern , ward durch einen kuͤhnen
Juͤngling in das Capitol verkuͤndigt , der gluͤcklich durch
die Poſten der Feinde hinkam und zuruͤckkehrte Diodor XIV. c. 116 . .
Schwerlich ward dies gewagt um in Mittheilung zwi-
ſchen den Fluͤchtlingen zu Veji , dem Ueberreſt des Volks ,
und dem Senat auf dem Capitol , die Form bey der
Zuruͤckberufung des Camillus und ſeiner Ernennung zum
Dictator zu beobachten . Es bedurfte allerdings eines
Geſetzes um das Buͤrgerrecht dem wiederzugeben der ihm
freywillig entſagt hatte : aber ſo unfoͤrmlich wie dieſes ,
nach roͤmiſchen Begriffen , auf einem fuͤr die Auſpicien
uneingeweihten , von allen Goͤttern verlaſſenen Boden ge-
geben werden konnte , waͤre das Maaß in der mehreren
Beobachtung ſehr gleichguͤltig geweſen . Camillus Er-
nennung zum Dictator fuͤr den galliſchen Krieg , und
vor der Raͤumung der Stadt , kennen auch nur die welche
von ihrer Wiedereroberung fabeln Derſelbe ebend . c. 117. .
Aus dem kuͤhnen Wageſtuͤck des Pontius Cominius
entſtand fuͤr die Roͤmer die aͤußerſte Gefahr . Die Gal-
lier hatten Fußtritte bemerkt die an die Felſenwand un-
ter der Kapelle der Carmenta fuͤhrten , und erforſcht daß
dieſe nicht unerſteiglich ſchroff ſeyn koͤnne . In der Mit-
ternachtsſtunde naͤherten ſie ſich in tiefer Stille . Unbe-
merkt von den Schildwachen , und von den Hunden
durch deren Wachſamkeit die Belagerten ſich ſchuͤtzten ,
hatte bereits ein Gallier die Hoͤhe der Felſenwand er-
ſtiegen , als das Geſchrey der Gaͤnſe , welche als der Juno
geweiht bey nagendem Hunger geſchont wurden , M.
Manlius , Altconſul und einen der Helden des Zeital-
ters , erweckte . Er ſtuͤrzte den emporgeklommenen Gal-
lier hinunter : ſein Fall warf die nachſteigenden nieder ,
und das Capitol ward gerettet . Zum Dank brachte ihm
jeder der ſich in der Burg befand ein halbes Pfund Korn ,
und einen Quartarius Wein : die herzlichſte Gabe in einer
Hungersnoth , als Anerkennung eines jeden dieſes eine
Leben ſey theurer als das ſeinige und jedes anderen .
Nach dem Mißlingen dieſes Verſuchs begannen die
Gallier williger auf die Antraͤge der Roͤmer zu hoͤren
ihren Abzug zu erkaufen : ein Vertrag den der ſteigende
Hunger fuͤr die Belagerten unvermeidlich machte . So
lange aber Hoffnung war die Burg mit Gewalt einzu-
nehmen , welche die Schaͤtze der Tempel , und was von
Koſtbarkeiten des Privateigenthums geborgen war , ent-
hielt , ſchien es Aufopferung des unausbleiblich Gewon-
nenen ſich mit einer Summe zu begnuͤgen die nur aus
dieſen Schaͤtzen entlehnt werden konnte . Eine unerwar-
tete Diverſion , ein Einbruch der Veneter , rief die Gal-
lier in ihre Heimath zuruͤck , und der Vergleich ward ge-
ſchloſſen , ſie ſollten tauſend Pfund Gold — eine Mil-
lion Denare — empfangen , Rom und das roͤmiſche Ge-
biet zu verlaſſen . Damals geſchah es daß , als das
Gold dargewogen werden ſollte , falſche Gewichte ge-
braucht wurden ; und da legte Brennus , als Q. Sul-
picius uͤber das Unrecht klagte , Schwerdt und Wehr-
gehenke in die Wagſchale : Ueberwundne muͤßten dulden .
So ward die Stadt geraͤumt um die Iden des Fe-
bruar , ſieben Monate nach der Niederlage am Allia Plutarch Camill. p. 144. B. .
Schon laͤngſt hat wohl niemand mehr mit einigem
Glauben Livius Erzaͤhlung geleſen , wie der Dictator
Camillus , waͤhrend die Zahlung geleiſtet ward , mit ſei-
nem Heer in die Stadt geruͤckt ſey : den Vertrag als
nichtig aufgehoben und die Gallier aus der Stadt ver-
trieben , dann uͤber ſie auf der Straße von Gabii einen
Sieg gewonnen habe , von dem auch kein Bote entron-
nen ſey Nachricht anzuſagen . Ein weit guͤltigerer und
aͤlterer Zeuge , Polybius , der nie partheyiſch wider die
Roͤmer iſt , und es fuͤr die Gallier nicht ſeyn konnte ,
bewaͤhrt , daß die Sieger mit der Beute nach ihrer Hei-
math zuruͤckgekehrt ſind Polybius II. c. 18 . . Allgemein iſt allerdings
bey den Roͤmern die Erzaͤhlung das gezahlte Gold ſey
wiedergewonnen worden ; es ſoll bis zum Kirchenraub
des Craſſus auf dem Capitol in Jupiters Heiligthum
niedergelegt geweſen ſeyn Plinius H. N. XXXIII. c. 5. , durch Beute auf das
doppelte vermehrt . Doch ſelbſt nach Livius Livius V. c. 50 . war
dieſes capitoliniſche Gold kein Beweis , und vielmehr
aus den Schaͤtzen verſchiedener Tempel geſammelt , deren
Sonderung zur Ruͤckgabe unmoͤglich ſchien : und eben
die Verdoppelung moͤchte Erſatz nach Gebrauch zur
Zahlung der Kriegsſteuer beweiſen .
Es ſchien Livius entſetzlich und unertraͤglich wenn
Roms Daſeyn um Gold erkauft ſey : daher iſt auch
ſeine Erzaͤhlung , nach der Camillus Ankunft die Zah-
lung hinderte , dichteriſch conſequent . Neben ihr beſtan-
den , außer Polybius ſchmerzlicher Wahrheit , zwey Fa-
milien andrer Sagen , welche den Abzug der Gallier
mit dem Golde nicht laͤugneten , aber es ihnen nicht
fruchten lieſſen .
Zu der erſten ſcheint auch die ſchon angefuͤhrte des
Plinius zu gehoͤren : ſie findet ſich am beſtimmteſten bey
Diodor . Nach ihm gewann Camillus das Loͤſegold und
faſt alle uͤbrige Beute wieder bey dem Entſatz einer von
den Galliern belagerten roͤmiſchverbuͤndeten Stadt Diodor XIV. c. 117 . Dieſe Stadt nennt er Οὐεάσκιον ;
ein unerhoͤrter Nahme ; ob Οὐολσίνιον , Volſinii ? oder , was
bey jedem Schriftſteller der weniger nachlaͤſſig in der Or-
thographie barbariſcher Nahmen verfaͤhrt als Diodor ganz
unleidlich waͤre , Tusculum , Θύσκλον ſtatt Τύσκλον ? .
Die andere Sage ſcheint es hinreichend fuͤr Roms
Ehre gehalten zu haben wenn nur die Gallier den Siegs-
gewinn nicht heimfuͤhrten . Sie redet als Zeugin fuͤr
die bittere von Polybius entdeckte Wahrheit . Nach ihr
erzaͤhlt Strabo von den Caͤretanern ſie haͤtten die von
Rom zuruͤckkehrenden Gallier geſchlagen und ihnen die
weggefuͤhrte Beute entriſſen Strabo V. c. 2. §. 3. . Auch Diodor hat die
Sage von einem Siege dieſer Nation Diodor a. a. O . Er nennt ſie hier Κέριοι , welches auf
eine roͤmiſche Quelle deutet , ſonſt heiſſen ſie ihm Agyllaͤer . uͤber die aus
Apulien zuruͤckkehrenden Gallier : er haͤuft beyde Er-
zaͤhlungen .
Das Geruͤcht von Roms Verwuͤſtung erſcholl bis
Athen , und erhielt ſich laͤnger als ein halbes Jahrhun-
dert im Andenken , ehe noch Rom fuͤr die Griechen auch
nur ſo wichtig war als die Lucaner , welche der Rhetor
Iſokrates den Triballern als unbedeutende Barbaren
gleichſtellt . Nur als ein Theil , und als einen der groͤß-
ten Vorfaͤlle , in Italiens allgemeiner Verwuͤſtung konnte
Roms Schickſal die Athenienſer beſchaͤftigen . Nicht
lange Zeit mochte vergangen ſeyn als Heraklides der
Pontiker Roms Zerſtoͤrung durch eine Auswanderung
von den Hyperboreern her gedachte Plutarch Camill. p. 140. A. : Theopompus
aber ſchrieb erſt nach Philipps Tod . Er konnte der gal-
liſchen Eroberung Plinius H. N. III. c. 9. nur in einer der vielen Epiſoden
ſeiner großen Geſchichte erwaͤhnen : wahrſcheinlich in
einer allgemeinen Nachricht uͤber die celtiſche Voͤlkerwan-
derung , zu der ihn die Schickſale der von der Mitteldo-
nau vertriebenen Voͤlker veranlaſſen mochten .
Rom nach der Raͤumung .
Mit der Herſtellung Roms beginnt , nach Livius
Urtheil , die reichere und gewiſſere Geſchichte der aus
ihrer Wurzel kraͤftiger wieder aufſproſſenden Stadt , de-
ren aͤltere Jahrbuͤcher und hiſtoriſche Denkmaͤhler in der
galliſchen Zerſtoͤrung groͤßtentheils untergegangen waͤren .
Aehnliche Erfahrungen uͤber das Dunkel worin Zerſtoͤ-
rung der Archive und Chroniken die Geſchichte einzelner
Landſchaften verſenkt hat , geben dieſer Aeußerung einen
Schein von Glaublichkeit . Selbſt die Geſetztafeln waren
im Brande untergegangen : und das Archiv der Aedilen
mit allen Senatusconſulten iſt ohne Zweifel ganz preis-
gegeben worden : nur aͤußerſt weniger Buͤndniſſe und
des Vertrags zwiſchen Senat und Volk ſcheint man ſich
in der allgemeinen Betaͤubung als rettungswerther
Schaͤtze erinnert zu haben , wenn ſie ſich nicht ſchon auf
dem Capitol befanden .
Aber von Urkunden machten kaum einzelne unter
den Hiſtorikern Roms Gebrauch : und die ſpaͤteren ver-
nachlaͤſſigten vielmehr die Forſchungen ihrer Vorgaͤnger
aus dem Zeitalter vor dem marſiſchen Kriege . Livius
hat offenbar ſogar die liciniſchen Geſetze nicht ſelbſt ge-
leſen : die vollſtaͤndigſten Archive vom Anfang der Repu-
blik an waͤren fuͤr ihn todte Schaͤtze geweſen .
Von Chroniken ging wahrſcheinlich nicht einmal
etwas bedeutendes verlohren : die wichtigſten waren doch
wohl die Annalen der Pontifices , und Faſtenverzeichniſſe
mit Erwaͤhnung der Triumphe , welche erhalten wurden .
Haͤtte es auch außer der Poeſie in jener alten Zeit eine
Litteratur zu Rom gegeben , ſo war ihre Sprache doch
vielleicht , wie die Bildung und Erziehung , etrus-
kiſch Siehe Th. I. S. 95 . : eben wie ſie griechiſch ward als Rom grie-
chiſche Muſter annahm . Etruskiſche Schriften aber waͤ-
ren , wenn auch nicht zerſtoͤrt , den ſpaͤteren Jahrhun-
derten gleich nutzlos geweſen .
Die Duͤrftigkeit der Geſchichte des Zeitraums zwi-
ſchen der Schlacht am Regillus und der galliſchen Ein-
nahme entſtand aus ihren Quellen , von denen uns einige
Chroniken des ſechſten und der folgenden Jahrhunderte
unſerer Zeitrechnung ein Bild geben koͤnnen : ihre Falſch-
heit und Unzuverlaͤſſigkeit iſt das Werk ihrer litterari-
ſchen Bearbeitung . Aber fuͤr den Zeitraum deſſen Dar-
ſtellung der uͤbrige Theil dieſes Bandes enthalten wird ,
behaͤlt die Geſchichte denſelben Charakter ganz unveraͤn-
dert den ſie fruͤher trug . Sie iſt vielmehr noch ver-
worrener , noch gefliſſentlicher verfaͤlſcht : wo ſie in ein-
zelnen Faͤllen reicher erſcheint , iſt ſie weit entfernt zu-
verlaͤſſig zu ſeyn ; ſie ſchoͤpft nun haͤufiger aus den hoͤchſt
verdaͤchtigen Familiennachrichten , nur noch ſelten aus
Gedichten . Die Annalen blieben was ſie fruͤher waren .
Nach Livius taͤuſchenden Traͤumen hatte die galli-
ſche Eroberung Rom nicht mehr geſchwaͤcht als ein all-
gemeiner Brand gethan haben wuͤrde . Schon bey der
Geſchichte des naͤchſten Jahrs ſcheint er die ſchreckliche
Niederlage nur als eine ſchimpfliche aber unblutige
Flucht zu betrachten Siehe oben Anm. 346 . . Die Stadt erhebt ſich ſchnell
aus ihrer Aſche , mit ungeſchwaͤchter , und vielmehr ge-
weckter Kraft . Das Jahr nach ihrer angeblichen Wie-
dereroberung bringt nach ihm die entſcheidende Beſiegung
und Unterwerfung eines durch hundertjaͤhrigen Kampf
von der unverletzten Republik vorher nie gebrochenen
feindlichen Volks Ad deditionem Volscos septuagesimo demum anno sub-
egit . Livius VI. c. 2 . Das ſiebzigſte Jahr rechnet von
Cincinnatus Sieg auf dem Algidus : ſeit Coriolans Krieg
waren aber ſchon hundert Jahr verfloſſen . Eine merkwuͤr-
dige und wohl nicht durch Fehler der Lesart erklaͤrbare Ver-
wirrung der Zeitrechnung . . Nur die unermuͤdliche Hart-
naͤckigkeit der Beſiegten , welche gleich nachher aufs
neue unter den Waffen ſtehen , und der Uebertritt alter
roͤmiſcher Bundsgenoſſen zu ihnen , muͤſſen den glaͤubi-
gen Leſer befremden .
Eine ganz andre Vorſtellung von Roms huͤlfloſem
Zuſtand nach der Raͤumung gewaͤhrt eine Nachricht welche
die Verfaͤlſcher der Geſchichte aus ihr verdraͤngt haben :
und mit ihrem Geiſt ſtimmen erhaltene Sagen uͤberein ,
welche Dichtung ſeyn moͤgen , doch aber ſichtbar in einer
ſehr alten , der galliſchen Eroberung nahen , Zeit ent-
ſtanden ſind , und das Bild darſtellen unter dem ſich
die Nachkommen dieſer Schickſale erinnerten .
Waͤhrend der ſieben Monate in denen die Gallier
ungeſtoͤrt in Rom gelagert waren , hatten ſie auch die
Mauern der Stadt zerſtoͤrt , welche von den Koͤnigen mit
etruskiſcher Groͤße aufgefuͤhrt waren . Dieſe zerriſſenen
Mauern auszufuͤllen war nebſt der Wiedererbauung der
Haͤuſer das Geſchaͤft des zuruͤckkehrenden Volks waͤh-
rend des erſten Jahrs nach der Raͤumung Zonaras VII. c. 23. Τὰ τείχη ἀνεκαίνισαν . . Es
ward aber damals nur fuͤr das unmittelbare Beduͤrfniß
gearbeitet : erſt im Jahr 377 ward eine neue Mauer
von Werkſtuͤcken um die Stadt aufgefuͤhrt Livius VI. c. 32 . .
Anfangs alſo waren die Zuruͤckgekehrten , beſchaͤf-
tigt den Schutt aufzuraͤumen , ſo unbeſchuͤtzt gelagert ,
und unter nicht minder bitteren Feinden , als die Colo-
nie welche Eſra auf die Ruinen der Stadt ihrer Vaͤter
zuruͤckfuͤhrte . In dieſer Lage iſt es nicht befremdend
daß die unterwuͤrfigen Orte , daß Staͤdte die ſo tief
herabgekommen waren oder ſo lange gehorcht hatten wie
Fidenaͤ und Ficulea , ſich empoͤrten , und daß die ploͤtz-
liche Annaͤherung ihrer Bewaffneten ein paniſches Schrek-
ken unter den Roͤmern verbreitet habe , deſſen Andenken
in der Solemnitaͤt der Volksflucht , an den Ronen des
Quinctilis , zum Trotz aller Geſchichtsverfaͤlſchung , bis
in Trajans Zeitalter erhalten war .
Varro , welcher den angeblichen Sieg des Camil-
lus verwirft , indem er ſagt dies ſey nach dem Abzug der
Gallier vorgefallen Post decessum Gallorum . Varro de L. L. V. c. 3. , unterſcheidet von dieſer Erzaͤh-
lung , die ihm fuͤr vollkommen hiſtoriſch gilt , eine andre
beruͤhmtere uͤber dieſe Empoͤrung . Denn er erklaͤrt das
Feſt der Nonaͤ Caprotinaͤ , an deren Tage die Populi-
fugia dargeſtellt ward , aus alter latiniſcher Religions-
ſitte , nicht aus jener von Plutarch und Macrobius er-
zaͤhlten Sage Plutarch Romul. p. 36. D. Camill. p. 145. 146. Ma-
crobius Saturnal. I. c. 71 . Der letzte , welcher Plutarchs
philoſophiſche Schriften compilirt hat , ſchrieb vielleicht hier .
Nach dieſer haͤtten ſich die benachbarten Orte unter
dem Befehl des Dictators von Fidenaͤ , Poſtumius Li-
vius , vor Rom gelagert , und von den Roͤmern als
Bedingung des Friedens , oder als Geiſſeln , Frauen und
Jungfrauen von guten Geſchlechtern gefordert . Die Roͤ-
mer haͤtten zwiſchen dieſer Schmach und der Unmoͤglich-
keit ſich zu vertheidigen unſchluͤſſig gewankt : bis ihnen
eine Magd , des Nahmens Philotis oder Tutula , Rath
erſonnen und ausgefuͤhrt haͤtte . Dieſe waͤre , wie ſie es
ſelbſt angegeben , nebſt andern Maͤgden , als edle Jung-
frauen mit der Praͤtexta bekleidet , unter taͤuſchenden
Thraͤnen der Scheidenden den Latinern uͤbergeben wor-
den . Als dieſe ſich des uͤbermuͤthigen Vertrags ſchwel-
geriſch freuten , und von den Liſtigen noch mehr zum
Wein ermuntert , ſorglos und achtlos in tiefem Schlaf
lagen , ſoll die Anfuͤhrerinn nach der Stadt hin das Zei-
chen einer brennenden Fackel erhoben ; darauf ſollen die
Roͤmer das unbewachte Lager ploͤtzlich uͤberfallen , und
ſich an dieſen Feinden voͤllig geraͤcht haben : wofuͤr der
Tutula und ihren Begleiterinnen mit Freyheit und Aus-
ſteuer gelohnt worden ſey .
Aus ungenannten Schriften nahm Verrius Flac-
cus Feſtus s. v. Sexagenarios . die Sage daß nach der Raͤumung der Stadt
beſchloſſen ſey die ſechszigjaͤhrigen Greiſe in die Tiber zu
nur nach ſeinen hiſtoriſchen . Waͤre es hingegen gewiß daß
er aͤltere einheimiſche Buͤcher vor Augen gehabt , ſo wuͤrden
die ſtarken Ausdruͤcke uͤber Roms Ohnmacht merkwuͤrdig ſeyn :
Cum sedatus esset Gallicus motus : respublica vero ad te-
nue deducta .
ſtuͤrzen , um das wenige Brod fuͤr die von deren Ernaͤh-
rung die Erhaltung der Republik abhing zu erſparen .
Eine Grauſamkeit die im Alterthum ſo wenig unerhoͤrt
war daß ſie vielmehr auf Keos als Geſetz beſtand , und ,
natuͤrlich außer den Ufern der Inſel , geprieſen ward .
Doch der Fortgang der Erzaͤhlung enthuͤllt ihren mythi-
ſchen Charakter : ein einziger Greis ſey von ſeinem from-
men Sohn verborgen worden , und zum Dank fuͤr den
weiſen Rath den die Republik von ihm durch den Mund
dieſes Sohns oft empfangen habe , waͤre das Geſetz ab-
geſchafft worden . An ſolchen einheimiſchen Geſchichten ,
wie vom Papirius Praͤtextatus , von dem zum Hunger-
tode verurtheilten geſaͤugten Vater , war die roͤmiſche
Sage reich ehe ſich die Hiſtorie bildete ; was als Ent-
ſchluß der Verzweiflung denkbar waͤre , iſt in Rom als
Geſetz ganz unglaublich .
Es bedarf aber keiner mythiſchen Darſtellung , um
ein Bild von Roms Elend zu faſſen . Die Bluͤthe der
Maͤnner war am Allia Indem ich hier zum letztenmal dieſen den Roͤmern ver-
fluchten Nahmen nenne , mag es erlaubt ſeyn zu bemerken
daß unſere Ausſprache und Schreibart von den Dichtern
herruͤhrt , welche den kurzen Vocal der erſten Sylbe von
Alia , wie die wirkliche Ausſprache lautete , durch Verdop-
pelung des Conſonanten verlaͤngerten . Servius zur Ae-
neis VII. v. 717 . vertilgt . In der Stadt ſelbſt
und auf dem Lande an beyden Ufern des Strohms fielen
alle die nicht entfliehen konnten unter dem Schwerdt
oder in die Knechtſchaft des Siegers . Unmoͤglich ſchuͤtzte
weder die Tiber die vejentaniſche Feldmark gegen die
Streifereyen ſo zahlreicher Horden , noch die ſchwachen
Mauern latiniſcher Staͤdte : damals kann ein Theil je-
ner untergegangenen Orte vertilgt ſeyn , deren trauriges
Verzeichniß Plinius giebt : und die gefluͤchteten Roͤmer
moͤgen bis tief in Latium vom Verderben erreicht wor-
den ſeyn . Die Uebriggebliebenen hatten alles verlohren
was nicht nach Veji und auf das Capitol gerettet ward ,
und der groͤßte Theil ihrer Habſeligkeiten mußte in der
Stadt zuruͤckgelaſſen ſeyn , da ſelbſt von den Heiligthuͤ-
mern nur ein kleiner Theil fortgeſchafft , das meiſte ver-
graben war . Um ſo mehr muͤſſen wir , wenn auch Me-
tall und Geld fortgebracht werden konnten , an den Schaͤ-
tzen zweifeln welche nach Diodor auf dem Capitol ge-
haͤuft waren . Am linken Ufer der Tiber konnte der Land-
mann , wenn er nicht ſchon vor der Schlacht gefluͤchtet
war , nicht einmal ſein Vieh forttreiben , da der Feind
ſchon am Tage nach der Schlacht vor Rom erſchien ,
folglich auch die ganze Gegend um die Stadt bedeckte .
Die Zerſtoͤrung der Gebaͤude hat ſich , nach damaliger
Kriegsſitte , nothwendig auf jedes Dorf erſtreckt welches
nicht zufaͤllig unberuͤhrt blieb . Und dieſes Elend traf
nicht nur ein armes , auf ſeinen Boden und ſeinen Fleiß
beſchraͤnktes , ſondern ein verſchuldetes und verarmtes ,
durch Steuern lange hartgedruͤcktes Volk , welches ſich
nur eben durch die erzwungenen Landanweiſungen zu erho-
len angefangen hatte .
Daher darf das Grauen womit das Volk auf die Wie-
dererbauung der Stadt hinblickte , und ſein heftiges Ver-
langen
langen mit dieſer Quaal verſchont zu bleiben ihm nicht
ganz als verwerfliche Feigheit angerechnet werden . Wie
eng und gering auch die Huͤtte war welche dem alten Roͤ-
mer ſelbſt in der Zeit der Groͤße der guten Zeit genuͤgte ,
auch ſie konnte , der alles verlohren hatte , nicht ohne
Schulden zu machen auffuͤhren . Und dabey lag Veji
vor aller Augen , ſchon vor der Verwuͤſtung Roms durch
ſchoͤnere Gebaͤude anlockender als die Stadt ſelbſt , und
wenigſtens fuͤr die jetzt uͤbrige Volksmenge hinreichend ge-
raͤumig , wenn es auch fruͤher nur einen Theil haͤtte faſſen
koͤnnen . Daher empfand das Volk den Befehl des Se-
nats : daß die Stadt innerhalb eines Jahrs wieder aufge-
baut ſeyn muͤſſe , was dann noch unvollendet ſtehe dem
Staat anheimfallen ſolle : als eine unleidliche Tyranney .
Freylich war hier auch das Intereſſe der Staͤnde getheilt .
Das Gemeinland , deſſen Beſitz fuͤr die Patricier die hoͤchſte
Wichtigkeit hatte , muß groͤßtentheils auf dem linken
Ufer der Tiber gelegen haben , und war , wenn Rom ver-
laſſen ward , faſt aufgegeben , wenigſtens dem unmittel-
baren Schutz der Waffen entzogen : dem Volk aber war
das vejentaniſche Gebiet , wo ihm ſo große Strecken ange-
wieſen waren , wichtiger , und groͤßere Naͤhe ihrer Stadt
und ihres Landeigenthums wohlthaͤtig . Dennoch , wenn
auch Selbſtſucht bey der Beharrlichkeit des Senats nicht
ohne Einfluß ſeyn konnte , ſo darf man doch nicht zwei-
feln daß auch groͤßere Anſichten ſie beſtimmten , und noch
weniger verkennen daß der harte Druck der Gegenwart der
ſpaͤteren Groͤße Roms unvermeidlicher Preis war . Die
zerſtoͤrte Stadt aufzugeben waͤre ein Bekenntniß von
Zweiter Theil. T
Schwaͤche geweſen nach welchem die Nation ohne Scheu
ein Syſtem leidendes Daſeyns erwaͤhlen konnte , und
wahrſcheinlich erwaͤhlt haben wuͤrde : auch fuͤr die Entſa-
gung fruͤheres Ruhms und fruͤheres Triebs nach Groͤße iſt
nur der erſte Schritt zoͤgernd und entſcheidend . Ein
Wohnſitz jenſeits der Tiber wuͤrde das alte Band zwiſchen
den Roͤmern und Latium voͤllig zerriſſen haben , deſſen
Erhaltung fuͤr die Herſtellung des Staats wichtiger war
als je : und mit den Volskern vereinigt , wie ſie ſich vierzig
Jahre ſpaͤter verbuͤndeten , haͤtten die Latiner wahrſchein-
lich geſucht die Verwandlung der Roͤmer in Vejenter zu
ihrem Vortheil zu benutzen und die Tiber zur Graͤnze zu
machen . Es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich daß ſie eine Colonie
in die verlaſſenen Mauern gefuͤhrt , und der Strohm den
roͤmiſchen Vejentern ſo unuͤberſteiglich geworden waͤre
als er es fuͤr die etruskiſchen geweſen war . Und auch
wenn dieſe Gefahren , welche unvermeidlich ſcheinen muß-
ten , nicht eingetreten waͤren , doch war es unmoͤglich daß
daſſelbe Volk , in einer andern Stadt , in einem andern
Vaterland , entfernt von allen frommen , mythiſchen und
hiſtoriſchen Andenken und Erinnerungen , haͤtte bleiben
koͤnnen was es in ſeiner Heimath war . Es waͤre zu einer
Colonie herabgeſunken , der Roms Andenken ſo fremd ge-
worden waͤre , als es den Roͤmern ihre Mutterſtadt war .
Das gluͤckliche Omen eines vielleicht mit großer
Weisheit veranſtalteten Worts , entſchied die zwiſchen
Noth und Schaam unentſchloſſenen Gemuͤther . Rom
ward in einem Jahr wieder aufgebaut ; gewiß hoͤchſt aͤrm-
lich ; und aͤußerſt unregelmaͤßig . Denn anſtatt der her-
koͤmmlichen Ordnung daß der Plan einer neuen Stadt
geometriſch abgeſteckt , und mit Vorbehalt breiter Stra-
ßen , welche dem Staat verblieben Daher in publicum prodire . , die Bauplaͤtze
als Eigenthum angewieſen wurden , — eine Regelmaͤ-
ßigkeit welche bey der allmaͤhlichen Erweiterung des alten
Roms beobachtet geworden zu ſeyn ſcheint , — ward jetzt
jedem erlaubt ſich anzubauen wo er es wuͤnſchte , damit der
Eifer des Beginnens durch Entfernung alles Zwangs er-
muntert , und ſo viel mehrere nach einigem Fortgang ge-
gen die Stimme des Wankelmuths und der Erſchoͤpfung
fuͤr die Ausdauer gewonnen ſeyn moͤchten . Der Staat
ſcheint alles Privateigenthum des Bodens in der Stadt
fuͤr erloſchen durch die feindliche Eroberung angeſehen zu
haben . Die Nachkommen , uneingedenk daß ohne dieſen
Nachtheil ſie Rom wahrſcheinlich nicht bewohnt haͤtten ,
beklagten in der Folge die Unordnung der Uebereilung , in-
dem es ſelbſt im groͤßten Glanz der Stadt unmoͤglich war
die Kruͤmme und Enge der Straßen abzuaͤndern . Auch
war daraus ein ſehr weſentlicher Nachtheil entſtanden ,
indem die Cloaken , auf denen nicht mehr die Straßen ,
ſondern groͤßtentheils Gebaͤude ruhten , fuͤr ihre Zwecke
unbrauchbarer geworden waren : ſelbſt die Geſundheit der
Stadt muß gelitten haben , indem breite , geſunden Win-
den , dem Oſt und Nord , offene Straßen im heiſſen Suͤden
als weſentlich nothwendig fuͤr das geſunde Leben der Buͤr-
ger anerkannt wurden Ariſtoteles Polit . VII. c. 11 . : ein Vortheil den eine nach
den Regeln der Limitation gebaute Stadt genoß . Doch
T 2
waren die Gaſſen in den alten griechiſchen Staͤdten , ſelbſt
zu Athen Dikaͤarch p. 8. , ſo eng und krumm wie noch jetzt im Orient ;
außer im Piraͤeus , den Hippodamus regelmaͤßig anlegte .
Die ſtrenge Anordnung , ausgehend vom Ganzen , war
den Griechen fremd , deren Einrichtungen von den Indi-
viduen der Buͤrger und dem Begriff urſpruͤngliches Pri-
vateigenthums ausgingen .
Zur Erleichterung der Bauenden ſchenkte der Senat
Ziegel : Steine zu brechen und Holz zu faͤllen ward jedem
vergoͤnnt wo er wollte , wenn er die Vollendung des Baus
waͤhrend Jahresfriſt verbuͤrgte . Jene Ziegel konnte der
verarmte Staat nur von ihm gehoͤrenden Gebaͤuden ſchen-
ken , die er zum Niederreiſſen hingab : nicht ſie kaufen ,
oder anfertigen laſſen , da der contribuable Stand unfaͤ-
hig war dafuͤr zu ſteuern , und es doch eine Wohlthat fuͤr
ihn ſeyn ſollte . Die Gebaͤude von Veji konnten ſie ge-
waͤhren ; und es laͤßt ſich nicht bezweifeln daß der Senat ,
um den verhaßten Gedanken der Auswandrung auf immer
zu entfernen , dieſe Gelegenheit uͤberhaupt wahrnahm die
Abtragung jener Stadt zu beguͤnſtigen , welche nur als
ein geringer Ort beſtand , bis ſie ſich in ſehr ſpaͤten Zeiten
als Militarcolonie ein wenig wieder erhob . Auch zu den
Subſtructionen des Capitols , welche bald nachher , ſicher
nicht der Pracht wegen , und wohl nur verſtaͤrkt , nicht neu
aufgefuͤhrt wurden , und zur Herſtellung der Mauern wird
Veji die fertigen Bruchſteine gegeben haben ; es iſt ſogar
wahrſcheinlich daß der Wunſch die Zerſtoͤrung der vejenti-
ſchen etruskiſchgroßen Mauern unter einem das Andenken
eines verhaßten Zwiſts nicht aufregenden Vorwand zu be-
wuͤrken , die entſcheidende Veranlaſſung zu jenem im
Jahr 367 unternommenen , Roms damaligem Schickſal
ſonſt unangemeſſenen Werk geweſen iſt . Die welche aus
Scheu vor der Laſt des Bauens zu Veji geblieben waren ,
wurden durch ein Senatusconſult unter Todesſtrafe vor
einem beſtimmten Tage zuruͤckgerufen .
Waͤhrend die Stadt aufgebaut ward , empfingen , um
den Verluſt ſo vieler Buͤrger zu erſetzen , Capenater , Fa-
lisker und Vejenter , die ſich waͤhrend der Kriege mit die-
ſen Republiken fuͤr Rom erklaͤrt hatten , das Buͤrgerrecht ,
und wurden zwey Jahre ſpaͤter ( 368 ) in vier neue Tribus
vereinigt Livius VI. c. 4. 5. , alſo daß deren jetzt fuͤnf und zwanzig wur-
den . Livius nennt dieſe Etrusker Uebergegangene ; un-
wahrſcheinlich , weil es nicht zu bezweifeln iſt daß ihre
Zahl ſehr groß geweſen ſeyn muß . Rom hat ſpaͤter ein
Syſtem bey der Bildung neuer Tribus aus aufgenomme-
nen Buͤrgern unveraͤnderlich befolgt , welches ſo weiſe iſt
daß in keinem Zeitraum ein anderes denkbar waͤre ; dieſes
naͤmlich die neuen Tribus weit zahlreicher zu bilden als die
urſpruͤnglichen alten , damit das Uebergewicht der Kopf-
zahl den neuen Buͤrgern keinen gefaͤhrlichen Vortheil
bringe . Das ward nach dem italiſchen Kriege wenigſtens
verſucht , und fruͤher waren die Sabiner nur in zwey Tri-
bus eingetheilt worden . So darf man auch nicht bezwei-
feln daß dieſesmal die neuen Buͤrger weit zahlreicher als
etwa der fuͤnfte Theil der alten ſeyn mußten , ſelbſt wenn
dieſe nicht durch den Krieg vermindert geweſen waͤren ;
wahrſcheinlich eher der Haͤlfte gleich : und dieſes , und
die von zerſtreut entfernten etruskiſchen Gegenden herge-
nommenen Nahmen der neuen Tribus , macht es glaub-
lich daß Ortſchaften , den bekriegten etruskiſchen Staͤdten
unterthan , welche von ihnen abgefallen waren , nicht le-
dige Ueberlaͤufer , dieſen Vortheil genoſſen haben . Ja es
iſt vielmehr zu vermuthen daß ganz Capena damals roͤ-
miſch geworden ſey , weil es in der Folge nie mehr als
ein ſelbſtſtaͤndiger Staat erwaͤhnt wird . Es war weiſe
der durch die Entvoͤlkerung veranlaßten Abhaͤngigkeit
von den Latinern , Ergaͤnzung der Volkszahl durch nicht-
latiniſche Voͤlker entgegenzuſtellen .
Bey dieſer nothwendigen Erklaͤrung wird es merk-
wuͤrdig daß Livius meldet den neuen Buͤrgern ſey Land
angewieſen worden . Denn die Bewohner ganzer Ort-
ſchaften , welche , weil ſie ſich freywillig unterworfen hat-
ten im Beſitz ihrer Feldmarken geblieben ſeyn mußten ,
ſcheinen dieſes nicht bedurft zu haben . Aber es deutet
auf die nothwendige Beziehung welche zwiſchen dem
Stimmrecht in einer Tribus und dem Landeigenthum
nach quiritariſchem Recht war , welches in dieſem Fall
der Republik uͤbergeben ward , und als Belehnung von
ihr zuruͤckkehrte .
Die Kriege des Zeitraums von Herſtel-
lung der Stadt bis zur Staatsver-
aͤnderung von 389 .
In Etrurien wird das Gebiet der Tarquinienſer
am Anfang dieſes Zeitraums ausdruͤcklich feindlich ge-
nannt Livius VI. c. 4 . : und es iſt ſchon bemerkt worden daß die
Kriege welche um dieſe Zeit mit Etruskern uͤber den
Beſitz der Graͤnzſtaͤdte Sutrium und Nepet vorfielen ,
wahrſcheinlich gegen dieſen damals maͤchtigen Staat
nicht gegen faſt ganz Etrurien Derſelbe VI. c. 3. gefuͤhrt ſind . Im
Jahr 366 war Rom auf allen Seiten von Krieg umge-
ben . Waͤhrend Camillus im Felde gegen die Volsker
ſtand , ward Sutrium von den Etruskern belagert , und
die Republik vermochte nicht den Bedraͤngten Entſatz
zu ſenden , ehe er ſein ſiegreiches Heer von der aͤqui-
ſchen Graͤnze zuruͤckfuͤhrte . Denn ein einziges mußte
damals gegen vielfache Feinde Schutz gewaͤhren : die
gluͤckliche Lage der Stadt , welche ihre Vereinigung im-
mer hindern konnte , beguͤnſtigte den Erfolg unermuͤdeter
Maͤrſche von einer Graͤnze zur andern . Doch fand Ca-
millus Sutrium ſchon verlohren , und die Einwohner ,
mit Zuruͤcklaſſung aller Habe abziehend , begegneten ſei-
nem Heere . Die Sorgloſigkeit der Eroberer die kein
roͤmiſches Heer nahe ahndeten , machte ihm die Wieder-
eroberung der Stadt leicht , welche den treuen Verbuͤn-
deten zuruͤckgegeben ward . Der folgende Feldzug ge-
waͤhrte Rache durch die Einnahme und Zerſtoͤrung zweyer
tarquinienſiſcher Staͤdte .
Auch zwey Jahre ſpaͤter ( 369 ) war die Republik
genoͤthigt die etruskiſche Militargraͤnze ihrer eignen Ver-
theidigung zu uͤberlaſſen , bis der volskiſche Feldzug durch
eine gewonnene Schlacht geendigt war . Waͤhrend die-
ſes Verzugs hatte ſich Nepete den Etruskern ergeben :
die Mauern von Sutrium waren erſtiegen , und die Buͤr-
ger vertheidigten ſich nur noch hinter Abſchnitten in den
Straßen . Auch dieſesmal erſchien ihnen Camillus als
Retter . Die Feinde wurden in der von ihnen einge-
nommenen Region eingeſchloſſen und von allen Seiten
beſtuͤrmt : ſie verſuchten zu entfliehen und wurden ver-
tilgt . Von Sutrium fuͤhrte der Feldherr das Heer ge-
gen Nepete , deſſen Haͤupter , weil ſie die Uebergabe ent-
ſchieden hatten , vor Roms Rache zitterten . Daher wur-
den den Roͤmern , unter dem Vorwand der Abhaͤngig-
keit von einer etruskiſchen Beſatzung , die Thore nicht
geoͤffnet ; aber auch dieſesmal konnte der ungluͤckliche Ort
ſich nicht vertheidigen : dem Volk welches die Graͤuel
des Sturms uͤberlebt hatte , ward das Leben als Gnade
geſchenkt , und die des Verraths angeklagten Magiſtrate
buͤßten mit ihrem Leben . Die Wiedereroberung dieſer
Staͤdte ſcheint den tarquinienſiſchen Krieg beendigt zu
haben . Wahrſcheinlich ward im folgenden Jahr ein drey-
ßigjaͤhriger Waffenſtillſtand geſchloſſen , denn erſt nach
verfloſſenen dreyßig cycliſchen Jahren ( 396 ) erſcheinen
die Tarquinienſer wieder als Roms Feinde ; und die
Geſandtſchaft der Fetialen von der Livius bey dieſem
Jahre redet Livius VII. c. 12 . bezog ſich nicht immer auf vorgefallene
Feindſeligkeiten , ſondern auch der Ablauf eines Waffen-
ſtillſtands veranlaßte ſie Derſelbe IV. c. 58. . Sie war nothwendig um
oͤffentlich und feyerlich zu erklaͤren daß der bisherige
Friedenszuſtand ein Ende genommen habe , und wenn
er fortdauern ſolle einer beſtimmten Erneuerung beduͤrfe :
deren Bedingungen jedes Volk , nicht mehr gebunden
durch die erloſchenen Vertraͤge , nach dem Maaß ſeiner
Kraͤfte angeben konnte .
Die Buͤndniſſe des Sp. Caſſius mit den Latinern
und Hernikern hatten ſeit einem Jahrhundert in unge-
ſchwaͤchter Kraft beſtanden : denn gegenſeitiges Beduͤrf-
niß hatte ſie geſtiftet , und die gewaltige Entwickelung
der roͤmiſchen Macht vor dem galliſchen Ungluͤck hielt
das Band zuſammen als der Verfall der oͤſtlichen Voͤl-
ker Roms Waffen ihren Verbuͤndeten weniger nothwen-
dig machte . Zwar war es nur der kleinere Theil der
alten dreyßig Staͤdte welcher ſeit dem großen volskiſchen
Kriege die latiniſche Nation ausmachte : Laurentum , La-
vinium , Lanuvium , Aricia , Tusculum , Gabii , und die
Colonieen Ardea , Signia , Norba , Cora , Setia . Von
den entfernten Orten Tibur und Nomentum iſt wenig-
ſtens gar keine Spur daß ſie damals verbuͤndet waren ;
Velitraͤ ſcheint eine nur roͤmiſche Colonie geweſen zu
ſeyn ; und hier und zu Circeji war die volskiſche Be-
voͤlkerung vorherrſchend .
Roms Ungluͤck trennte dieſes Verhaͤltniß . Schon im
Jahr 366 iſt die Rede von dem Abfall der Latiner und
Herniker Defectio Latinorum Hernicorumque . Livius VI. c. 2 . : drey Jahre ſpaͤter beſchwerte ſich der Se-
nat bey ihren Landgemeinden daß dieſe Zeit her von
ihnen keine Huͤlfsvoͤlker gegeben waͤren ; und das Ge-
fuͤhl der Ohnmacht zwang eine leere Entſchuldigung an-
zunehmen Derſelbe VI. c. 10 . . Mehr aber als Abſonderung war der ge-
ruͤgte Abfall nicht . Livius nennt Latium verdaͤchtig , im
Jahr 372 : aber in demſelben Jahr ſind Tusculum und
Gabii Rom anhaͤnglich Livius VI. c. 21 . — Lavici war eine roͤmiſche
Colonie . Sobald der alte Bund aufgegeben und ein
Vertrag mit den Volskern geſchloſſen war , kann es nicht
befremden , und es war keine allgemein feindliche Hand-
lung , wenn Freywillige aus latiniſchen Staͤdten in vols-
kiſchen Heeren dienten Derſelbe VI. c. 7. 10. 12. 17 . . Unſere Nachrichten aus
dieſem Zeitraum ſind aͤußerſt unbefriedigend , und eigent-
lich dunkeler und verworrener als uͤber die Zeiten vor
der galliſchen Eroberung : eine große und weit verbrei-
tete Erſchuͤtterung und Veraͤnderung iſt aber unverkenn-
bar und leicht erklaͤrlich .
Denn in der That iſt nichts begreiflicher als wenn
die Latiner , da Rom , waͤre es ein gewoͤhnlicher Staat
geweſen , mit Recht auf ewig gefallen ſcheinen mußte , den
benachbarten , nicht mehr furchtbaren , gleich ihnen in
ihrem Daſeyn von den Galliern bedrohten Voͤlkern , Frie-
den und Freundſchaft anboten , ohne daß die Roͤmer
darin einbegriffen waren . Dieſe Abſicht war keineswegs
feindſelig gegen Rom : da die Gallier ſich in andere Ge-
genden wandten , konnte es leicht geſchehen daß einzelne
Staͤdte , wie Lanuvium Livius VI. c. 21 . , ſich genauer mit den neuen
Freunden verbanden , waͤhrend andre , als einzelne Orte ,
mit Rom verbuͤndet blieben . Der latiniſche Bund ſcheint
in der That in dieſem Zeitraum , die religioͤſen Verei-
nigungen ausgenommen , aufgeloͤßt geweſen zu ſeyn : erſt
im folgenden ſtellte er ſich her , in einer weit groͤßeren
Wichtigkeit und Macht als fruͤher ; und da ward auch
das roͤmiſche Buͤndniß erneuert . Hievon wird unter dem
Jahr 396 geredet werden . Der falſche Schein als ob
die Latiner aus treuen Verbuͤndeten Roms Feinde ge-
worden waͤren , wird hauptſaͤchlich dadurch befoͤrdert daß
Praͤneſte , in ſpaͤten Tagen das groͤßte aller Municipien
in Latium , und in dem alten Verzeichniß der dreyßig
Staͤdte genannt , vom Jahr 372 Haupt einer volskiſchen
Verbuͤndung gegen Rom war . Wenn aber ſchon fruͤher
bemerkt iſt daß Praͤneſte damals keine latiniſche Stadt
ſeyn konnte , ſondern aͤquiſch geweſen ſeyn muß , weil
die Graͤnze zwiſchen Tusculum und ihr lag : — ſey es
nun daß ſie im großen volskiſchen Krieg erobert wor-
den , oder daß ſie ſich mit den Aequern , wie im Gegen-
theil Velitraͤ mit den Roͤmern , vereinigt hatte : — ſo iſt
es nicht weniger uͤberzeugend daß dieſer praͤneſtiniſche
Krieg die bisher unaufhoͤrlich erneuerten aͤquiſchen erſetzt .
Denn von den Aequern iſt nach dem Jahr 366 , in wel-
chem ihnen Bolaͤ wieder entriſſen wird , die Rede nicht
mehr ; erſt nach dem Schluß des zweyten ſamnitiſchen
Kriegs kommt ihr Nahme wieder in der Geſchichte vor .
Praͤneſte herrſchte uͤber acht Staͤdte Livius VI. c. 21 . : mehrere wa-
ren den Tiburtern unterthan , welche Livius eine Nation
nennt Derſelbe VII. c. 19 . . Es ſcheint daß auch die aͤquiſche Verbuͤn-
dung , gleich der latiniſchen , ſich aufgeloͤßt hatte : die
Aequer welche Rom um die Mitte des fuͤnften Jahr-
hunderts unterjochte , waren die eigentliche Nation deren
Nahme auf ihre Verbuͤndeten uͤbergegangen war , in den
Gebuͤrgen zwiſchen dem Liris und Fucinus , und um den
Urſprung des Anio .
Daher daß ein Theil der latiniſchen Orte Rom an-
haͤnglich blieb erklaͤrt es ſich wie , ungeachtet der Aufloͤ-
ſung des Buͤndniſſes , auch in dieſem Zeitraum neue la-
tiniſche Colonieen gegruͤndet werden konnten , wie Su-
trium und Nepet ; alte ergaͤnzt , wie Setia .
Unter den unbeſtimmt genannten Volskern gegen
die Rom Krieg fuͤhrte , darf man ſich nicht die des in-
nern Landes , ſondern nur die Antiater und Ecetraner Livius VI. c. 31 .
denken , gewoͤhnlich auch nur die nahe gelegene erſte
Stadt . Im Jahr 366 ſtellte Camillus den Muth der
Roͤmer und das Anſehen der Stadt her , durch einen
nicht weit von Lanuvium uͤber ein zahlreiches volskiſches
Heer erfochtenen Sieg . Dieſer Feldzug wird zwiefach
erzaͤhlt . Nach einigen Annaliſten Diodor XIV. c. 117. Plutarch Camill. p. 146. E. kam der Dictator
zum Entſatz einer hartgedraͤngten roͤmiſchen Armee : nach
Livius war er vom Anfang des Feldzugs ernannt , und
fuͤhrte das erſte Heer welches nach dem Ungluͤck aus
Rom zog . Einige Annalen von denen der erſten Dar-
ſtellung erzaͤhlten jetzt daß er die Volsker , wie Cincin-
natus , zwiſchen beyden Heeren vernichtete : andre ver-
einigten ſich mit denen deren Fuͤhrung Livius erwaͤhlte .
Nach ihnen wichen die Volsker , muthlos einen ſicher
gewaͤhnten Sieg ſich entriſſen zu ſehen , in ihr Lager zu-
ruͤck , und umgaben die Verſchanzung , auch ihr miß-
trauend , mit einem Verhack . Dieſes ſoll Camillus ,
wahrnehmend als ein ſtarker Wind ſich gegen das Lager
erhoben hatte , angezuͤndet , und da die Flamme auch die
Palliſaden ergriffen hatte , von denen die Feſtigkeit der
Verſchanzungen im Alterthum vorzuͤglich abhing , zwar
den Wall durch die halbverbrannten Staͤmme muͤhſam er-
reicht , dann aber das Lager nach geringem Widerſtand
eingenommen haben . Eine Darſtellung die bey der ein-
fachſten Pruͤfung eben ſo verwerflich erſcheint als die
kuͤhne Erdichtung , deren Verantwortung aber nicht Livius
allein zu tragen hat Sie findet ſich im weſentlichen auch bey Diodor a. a. O. , uͤber die Folgen des Siegs : daß
Camillus das ganze Land der Volsker durchzogen ſey und
ihre Unterwerfung empfangen habe . Denn nach drey ver-
floſſenen Jahren ( 369 ) lieferten die Antiater , mit Bunds-
genoſſen und einer Menge Freywilliger , die nicht dem
Beſiegten zuſtroͤhmen , Camillus ſelbſt eine hartnaͤckig
beſtrittene Schlacht bey Satricum . Ein Gewitterregen
trennte die Heere : aber der Ausgang zeigte wem der Sieg
gehoͤrte . Das volskiſche Heer zog ſich nach Antium zu-
ruͤck . Satricum , urſpruͤnglich latiniſch , war eine von
den Eroberungen der Volsker im Kriege des Coriolanus ,
und ſeitdem ihnen geblieben . Dieſe Stadt ward mit
Sturm gewonnen , obwohl weitere Verfolgung des Siegs
durch die Nothwendigkeit geſtoͤrt ward den Etruskern
eine Macht entgegen zu ſtellen . Daher erforderte der
volskiſche Krieg im folgenden Jahr ( 370 ) einen Dic-
tator , A. Cornelius Coſſus , der uͤber die Volsker
und die ſchon zu ihnen uͤbergetretenen Colonieen Cir-
ceji und Velitraͤ eine Schlacht im pomptiniſchen Ge-
biet gewann . Velitraͤ hatte ſeit hundert und zehn Jahren
als Colonie Roͤmer zu Mitbuͤrgern , vielleicht das Buͤr-
gerrecht Roms angenommen : aber auch die erhaltenen
Denkmaͤhler bezeugen daß der volskiſche Stamm in ihr
herrſchend geblieben war , und die neuen Buͤrger wahr-
ſcheinlich in ſich aufgenommen hatte ohne von ihnen ver-
aͤndert zu werden . Erſt im Jahr 372 ward dieſer Abtruͤn-
nigen der Krieg erklaͤrt , womit Rom aus großer Erſchoͤp-
fung ſo ſehr gezoͤgert hatte daß es daruͤber bey den be-
nachbarten Voͤlkern in Verachtung gekommen war . Auch
jetzt noch wollte man in den Praͤneſtinern keine Feinde ſe-
hen , obgleich ſie die Graͤnzen der treu gebliebenen latini-
ſchen Staͤdte verheert hatten . Im folgenden Jahr er-
ſchien dieſes Volk als Verbuͤndete der Veliterner , und die
Roͤmer ruͤhmen ſich eines Siegs uͤber die vereinigten
Feinde bey Velitraͤ . Doch als im naͤchſten Sommer
( 374 ) auch die Volsker zu ihnen geſtoßen waren , ward
Satricum verlohren , wohin eine roͤmiſche Colonie ge-
ſandt war , und die ganze Wuth des Kriegs traf die
Einwohner der erſtuͤrmten Stadt . Fuͤr dieſen Feldzug
ward der ſchon betagte Camillus zum ſechſtenmal zum
Proconſulartribun erwaͤhlt , und ſeine Vorſicht ſchuͤtzte
die Republik gegen eine Niederlage welche er von der
eiteln Unbeſonnenheit ſeines juͤngeren Collegen ahndete ,
und daher , als ſeine Warnungen ſich bewaͤhrten , ab-
wenden konnte noch ehe alles unwiderbringlich verloh-
ren war . Unter den Gefangenen wurden Tusculaner
entdeckt , fuͤr deren Schuld oder Leichtſinn ihre Repu-
blik verantwortlich gemacht ward . Es wird erzaͤhlt dieſe
haͤtte den Entſchluß gefaßt , bey wirklicher Schuld , durch
den angenommenen Schein der Ruhe eines ganz arglo-
ſen Bewußtſeyns zu entwaffnen ; uͤberzeugt daß ihre Be-
theurungen und Rechtfertigungen verachtet werden wuͤr-
den . Das roͤmiſche Heer welches Camillus , ohne Ve-
litraͤ weiter zu draͤngen , ſogleich gegen Tusculum fuͤhrte ,
fand auf dem Lande und in der Stadt , wo es durch
offene Thore einruͤckte , die Ruhe und die Geſchaͤftigkeit
des Friedens ; die Soldaten in den angewieſenen Quar-
tieren die Gaſtfreundſchaft alter Bundesgenoſſen . Die-
ſes Vertrauen habe die Roͤmer erſtaunt und geruͤhrt ,
der Tusculaniſche Senat , angewieſen ſich nach Rom zu
begeben und ſich zu rechtfertigen , habe nicht nur Ver-
zeihung gefunden , ſondern bald nachher waͤre Tusculum
das Buͤrgerrecht ertheilt worden . Gern moͤchte man
mit den alten Geſchichtſchreibern dieſe tiefe Klugheit des
unbeſonnen in einen boͤſen Handel gerathenen Schwachen ,
und den Edelmuth des Maͤchtigeren , dem unbedingt
vertrauenvolles Hingeben die zur Strafe erhobne Hand
gefeſſelt haͤtte , bewundern ; wenn nicht die Unbefangenheit
des Staats und des Volks , da keine Anklage vorher-
gegangen zu ſeyn ſcheint , vielmehr das Anſehen wahrer
Schuldloſigkeit der tusculaniſchen Republik truͤge , was
auch einzelne ihrer Buͤrger gefehlt haben mochten . Hatte
auch Camillus eine Niederlage abgewandt , einen Sieg
durfte Rom ſich wohl nicht anmaaßen , auch wird ihm
kein Triumph zugeſchrieben . Im naͤchſten Jahr wenig-
ſtens ( 375 ) erſchienen die Praͤneſtiner vor den Thoren
der durch innere Unruhen zerruͤtteten Stadt . Schmach
und Gefahr weckten die Republik , wie immer : und das
Andenken eines Triumphs und ein Denkmahl auf dem
Capitol ließen an der Wahrhaftigkeit der Annalen nicht
zweifeln , wenn ſie erzaͤhlten daß der kurze Feldzug des
T. Quinctius Cincinnatus glaͤnzend geweſen ſey , wel-
cher am zwanzigſten Tage nach ſeiner Ernennung , wie
ſein Ahnherr , die Dictatur niederlegte . Freylich iſt eine
Schlacht am Allia zwiſchen Roͤmern und Praͤneſtinern
unwahrſcheinlich : doch ein goldner Kranz vom Gewicht
von zwey und einem Drittheil Pfund den Cincius ſelbſt
auf dem Capitol geſehen zu haben ſcheint , mit ſeiner
Inſchrift Feſtus s. v. trientem tertium . , und die Statue des Jupiter Imperator
bezeugten daß Praͤneſte ſeine Thore geoͤffnet habe , nach-
dem acht unterthaͤnige Staͤdte in neun Tagen mit Ge-
walt eingenommen waren . Das Stillſchweigen der In-
ſchrift uͤber Velitraͤ widerlegt Livius , der auch dieſe Stadt
zu den Eroberungen des Dictators rechnet . Auffallend
iſt es freylich daß Praͤneſte ſchon im folgenden Jahr
Kraft hatte den Krieg zu erneuern , und ſeine Unabhaͤn-
gigkeit noch beynahe vierzig Jahre lang behauptete : doch
jener Denkmaͤhler Zeugniß darf nicht beſtritten werden .
Unterwerfung mag genannt ſeyn was ein unruͤhmlicher
Friede war , deſſen Schande ihn bey guͤnſtiger Gelegen-
heit zu brechen reizte , aber daß eine rebelliſche roͤmiſche
Colonie erobert und doch mit ſolcher Milde behandelt
waͤre , wie Velitraͤs bald aufs neue gegen Rom gewandte
Macht
Macht anzeigen wuͤrde , kann am wenigſten gegen Denk-
maͤhler zugegeben werden .
Schon im folgenden Jahr erſcheinen dieſe Staͤdte
wieder mit den Volskern verbunden , da ein roͤmiſches
Heer durch die Unvorſichtigkeit ſeiner Anfuͤhrer großen
Verluſt erlitten hatte : die Praͤneſtiner aber als der Mit-
telpunkt anderer Latiner . Die Niederlage raͤchte die Re-
publik im naͤchſten Feldzuge durch Verheerung des Vols-
kerlands , und nachher ( 378 ) noch gluͤcklicher durch einen
Sieg bey Satricum , worauf die Latiner — auch hier
darf man nur an Praͤneſtiner und Veliterner denken —
dieſe Stadt bey ihrem Ruͤckzuge verbrannten ; Antium
aber , von ihnen verlaſſen , ſich Rom unterworfen haben
ſoll . Dies iſt wieder ein mehr als zweifelhafter Be-
richt , oder die Befreyung waͤre verſchwiegen ; ein Ereigniß
welches bey einer ſehr feſten Stadt , welche Rom ſicher
nicht ohne Beſatzung gelaſſen haͤtte , von einem fuͤhlba-
ren Verluſt unzertrennlich war ; denn Antiums voͤllige
Unabhaͤngigkeit iſt in der Folge der Geſchichte ſonnen-
klar , ohne auch nur die leiſeſte Erwaͤhnung einer vor-
uͤbergehenden Abhaͤngigkeit . Oftmals , von den Jahren
384 bis 388 , wird von der Belagerung von Velitraͤ ge-
redet , bey dem letzten Jahr als von einer zwar lang-
wierigen , doch in ihrem Ausgang ſichern Unterneh-
mung Livius VI. c. 42. : dennoch iſt auch dieſe Stadt zuverlaͤſſig nicht
erobert worden , wie Livius durch jene Wendung anzu-
deuten wuͤnſchte , zu erzaͤhlen nicht wagte : Plutarch aber
ſcheut ſich nicht die Einnahme von Velitraͤ als die letzte
Zweiter Theil. U
Kriegsthat des Dictators Camillus zu erzaͤhlen Plutarch Camill. p. 151. C . .
Sie erneuerte den Krieg im Jahr 397 Livius VII. c. 15 . ohne die Praͤ-
neſtiner ; mit beyden Voͤlkern muß Rom alſo fruͤher
Friede geſchloſſen haben . Wahrſcheinlich iſt dies im
Jahr 389 geſchehen , als der Senat den plebejiſchen Con-
ſul , deſſen Antritt er nicht hatte verwehren koͤnnen , we-
nigſtens voͤllig unthaͤtig zu laſſen ſuchte . Auch war es
kein gleichguͤltiger Krieg ; denn das treue Tusculum ward
von den feindlichen Latinern einmal erobert , und nur
weil die Burg behauptet war ihnen wieder entriſſen
( 378 ) : ſechs Jahre nachher belagert ( 384 ) .
Auch ein galliſcher Krieg wird am Schluß dieſes
Zeitraums erwaͤhnt , worin M. Camillus ſeine letzten
Lorbeern gewonnen haben ſoll ( 388 ) . Befremdend iſt es
ſchon daß Livius dieſen Krieg und eine große Schlacht
in der viele Tauſende Gallier , viele andre bey der Ein-
nahme des Lagers , gefallen waͤren , nicht weiter als mit
dieſen wenigen Worten ſchildert : verdaͤchtig iſt die Ab-
weichung der Annaliſten nach denen er ſchrieb , von de-
nen Claudius Quadrigarius die Schlacht an den Anio
legte , andre in die Gegend des alten Alba : verwerflich
wird die ganze Erzaͤhlung durch Polybius Meldung Polybius II. c. 18. ,
daß der galliſche Zug des Jahrs 394 , auch dieſer ſo fa-
belhaft in den roͤmiſchen Annalen , der erſte geweſen ſey
von dem Rom nach der Einnahme heimgeſucht ward ;
und dadurch daß man in der zwiefachen Nachricht die
einheimiſche Suͤnde der roͤmiſchen Annalen , fabelhafte
Verdoppelung einer hiſtoriſch wahren Begebenheit durch
Verſetzung aus ſpaͤterer Zeit in eine fruͤhere , wiederer-
kennt . Bey Claudius war es ein zuruͤckgeworfener Wie-
derſchein des Kriegs vom Jahr 394 : bey den andern
Annaliſten , die ihn nicht ganz uͤbergingen , wie wir nach
Polybius und Diodors Schweigen annehmen koͤnnen daß
wenigſtens Fabius es gethan , iſt hier eine Anticipation
des großen Siegs den L. Furius Camillus im Jahr
406 bey Alba gewann ; und worauf die Gallier , eben
wie hier erzaͤhlt wird , von Latium nach Apulien zogen .
Plutarch Plutarch Camill. p. 150. 151. folgt wahrſcheinlich auch jetzt dem Diony-
ſius , der ſicher in den ſpaͤteren Zeiten der verlohrnen
Buͤcher ſeiner Archaͤologie ſo wenig als in den fruͤheren
ſich irgend eine Schlacht rauben ließ deren auch nur
die leichtglaͤubigſten Annaliſten gedacht hatten : nach ihm
war ſie am Anio , und ſo finden wir wohl hier die ſelbſt
von Livius verworfene Erzaͤhlung des Claudius .
Daß um dieſe Zeit die roͤmiſche Taktik veraͤndert
ward , iſt ſchon fruͤher geſagt worden : beſtimmt nannten
die Annalen Camillus als den der eine ganz veraͤnderte
Bewaffnung einfuͤhrte . Dies bewaͤhrt nicht die Nach-
richt von jener letzten von ihm gegen die Gallier gewon-
nenen Schlacht , obgleich es in Beziehung auf ſie erzaͤhlt
wird Plutarch Camill. p. 150 . D. E. . Berechnet fuͤr den furchtbarſten aller Kriege ,
den galliſchen , war dieſe Aenderung gewiß : aber fuͤr die
Zukunft vorbereitet . Bey der Botſchaft , daß der Feind
heranziehe , waͤre ſie nicht mehr ausfuͤhrbar geweſen .
U 2
Von der roͤmiſchen Kriegsordnung , wie ſie am Anfang
des fuͤnften Jahrhunderts beſtand , werde ich weiter unten
reden . Hier genuͤgt es , daß Camillus damals der Armee
eiſerne Helme gab , die Schilde mit einem ehernen oder
wahrſcheinlicher auch eiſernen Rande verſah , und die Lan-
zen der beyden erſten Bataillone mit dem Pilum ver-
tauſchte . Nach der alten Bewaffnung hatte der Phalanx
eherne Helme getragen , vielleicht ward alſo hier nur
Wohlfeilheit und groͤßere Leichtigkeit bey weniger ſproͤdem
Metall bezweckt . So lange man gegen einen Phalanx
kaͤmpfte brauchten die Helme nur gegen Geſchoß zu dek-
ken : aber die entſcheidende Waffe der Gallier war ihr
Schwerdt . Zur urſpruͤnglichen Bewaffnung der Roͤmer
gehoͤrten altgriechiſche eherne Schilde : anſtatt dieſer war
um die Mitte des vierten Jahrhunderts das Scutum ein-
gefuͤhrt Livius I. c. 43. VIII. c. 8. . Aber zuſammengefugte , mit einer Rinds-
haut uͤberſpannte , Latten waren ein unzureichender
Schirm gegen Schwerdter , obgleich genuͤgend den Stoß
einer Lanze abzuwenden : daher ward wenigſtens der
Rand mit einer eiſernen Platte gedeckt . Die alten Spieſſe
waren im geſchloſſenen Angriff nicht weniger unhaltbar
gegen das Schlachtſchwerdt : allein das Pilum ward
tauglich gemacht deſſen Hieb aufzufangen , und ſeine
Schaͤrfe zu biegen ; nicht weniger brauchbar war es als
Angriffswaffe ſchon in einiger Entfernung . Der roͤmiſche
Infanteriſt gebrauchte ſchwerlich ſchon damals ein wahres
Schwerdt : bey der allmaͤhlichen Entwickelung aus der
Bewaffnung des Phalangiten iſt es wahrſcheinlicher daß
er nur noch , wie dieſer , Meſſer von der Art der albaneſi-
ſchen trug . Wir glauben einem Zeugniß welches vom
hoͤchſten Gewicht zu ſeyn ſcheint , daß das hiſpaniſche
Schwerdt erſt um Hannibals Zeit bey der roͤmiſchen Ar-
mee eingefuͤhrt ward ; obwohl ſie ſchon fruͤher ein anderes ,
wahrſcheinlich dem galliſchen nachgebildetes , fuͤhrte Schweighaͤuſer zu Polybius II. c. 30. .
Die Erwaͤhnung des hiſpaniſchen in der Geſchichte vom
Zweykampf des Manlius beweißt ſein Alter nicht im ge-
ringſten mehr als auf Darſtellungen roͤmiſcher Geſchichten
durch Kuͤnſtler des Mittelalters Coſtum oder Waffen
ihrer Zeit .
Innere Geſchichte bis zum Jahr 378 .
Ohne Vergleich wichtiger als die Kriege dieſes Zeit-
raums ſind die inneren Bewegungen und Unruhen , die
jetzt eben ſo heftig ausbrachen als das Volk ſeit der Revo-
lution von 305 bis zur Einnahme der Stadt den Stolz der
Patricier im Ganzen mit ſtiller Gelaſſenheit ertragen hatte .
Dieſe Ruhe laͤßt , wenigſtens bis zum vejentiſchen Krieg ,
auf wachſenden Wohlſtand ſchließen : welcher ſich auch
bilden mußte , da alle Staͤnde , faſt ohne Abgaben zu zah-
len , waͤhrend eines halben Jahrhunderts unverheertes
Land bauten , und die Kriege bey geringen Koſten oft
Beute gaben . Das Elend welches die galliſche Eroberung
zuruͤckließ erregte die Gaͤhrung dieſes Zeitraums . Unru-
hen , die aus allgemeiner Noth entſtehen , haben faſt al-
lenthalben zu Verwilderung oder Erſtarrung , in den grie-
chiſchen Republiken zum Untergang der Freyheit gefuͤhrt .
Rom allein verdankte es dem Charakter ſeines Volks daß
die ſchrecklichſte aller Gaͤhrungen zum zweytenmal geſetz-
liche Freyheit tiefer und in groͤßerem Umfang begruͤndete .
Was Zerſtoͤrung der Verfaſſung drohte heilte ihre innere
Krankheit , und die Republik erreichte jenen Zuſtand , wel-
cher bey der Hinfaͤlligkeit menſchlicher Dinge , wie eine
aͤhnliche Stufe fuͤr unſer Gluͤck , vielleicht der wohlthaͤ-
tigſte iſt : — wo die Verfaſſung nur noch um einen Schritt
von der Vollendung entfernt war , mit deren Ausbildung
unmittelbar Entartung zu dem entgegengeſetzten Verfall
beginnen mußte , — wenn auch ungeahndet , und wenn auch ,
durch die Vortrefflichkeit der Sitten , die Verfaſſung
praktiſch noch mehrere Menſchenalter hindurch nicht ver-
ſchlechtert ſchien ; bis auf einmal der ausgehoͤhlte Boden
unter ihr brach .
Leicht troͤſten wir uns uͤber die Mangelhaftigkeit ,
ſelbſt uͤber die Maͤhrchen veralteter Kriegsgeſchichte : aber
die Verfaͤlſchung , und die abſichtlicher Verſtuͤmmelung
gleichende Duͤrftigkeit dieſer buͤrgerlichen Geſchichte iſt
ein unerſetzlicher Verluſt .
Die Verſchiedenheit des Privatrechts zwiſchen den
Staͤnden war in Hinſicht zahlungsunfaͤhiger Schuldner
durch die zwoͤlf Tafeln nicht gehoben . Das Recht der
Schuldknechtſchaft beſtand ſchon bey dem erſten Aufſtand
nur fuͤr die Plebejer , und als es abgeſchafft ward begann
fuͤr ſie eine neue Freyheit Eo anno plebi Romanœ velut aliud initium libertatis fac-
tum est quod nuti desierunt . Livius VIII. c. 28 . Die
Freyheit der Patricier ( antiquissimi cives , Cicero ) war , . Die Geſetzgebung der
Decemvirn gegen den inſolventen Plebejer , in ihren
Grundzuͤgen dem alten griechiſchen Recht verwandt , war
ſo viel grauſamer , daß , wenn zu Athen die Anwendung
des ſtrengen Rechts einen Greuel hervorgebracht hatte
den Solon nicht zu dulden vermochte , nichts ſo ſtark
fuͤr die Proſperitaͤt Roms waͤhrend der erſten Haͤlfte des
Jahrhunderts zeugt als daß dieſe Geſetze damals ertra-
gen werden konnten . Als allgemeines Elend einbrach ,
erſchuͤtterten eben ſie bis zur Freyheit der Republik .
Die zwoͤlf Tafeln haben allerdings auch hier nur
Gewohnheitsrecht verzeichnet ; denn ſolche Geſetze wer-
den nicht erfunden ; auch war die Schuldknechtſchaft all-
gemeines altes Recht , und beſtand zu Rom namentlich
ſchon 259 Livius II. c. 23 . . Nach ihnen ward der Schuldner , der
dreyßig Tage nach einem rechtskraͤftigen Spruch ſeinen
Glaͤubiger nicht befriedigt hatte , ihm auf ſechszig Tage
als Schuldknecht zugeſprochen . Der Schuldherr war
verpflichtet den Gefangenen zu feſſeln , mit Ketten nicht
weniger als fuͤnf und zwanzig Pfund ſchwer : es ſtand
ihm frey ihr Gewicht ſo weit er wollte zu vermehren .
Waͤhrend der Gefangenſchaft war er nicht verpflichtet
ihm mehr als ein Pfund Korn taͤglich zu ſeinem Unter-
halt zu geben ; doch durfte er ihn nicht hindern ſich reich-
licher auf ſeine eigenen Koſten zu ſpeiſen . Gegen das
Ende jener ſechszig Tage ward der Schuldknecht wenn
wie ſchon mehrmals erinnert iſt , urſpruͤnglich vollſtaͤndig .
— Im erſten Theil S. 401. iſt die Grundverſchiedenheit
dieſes Rechts nicht gehoͤrig aufgefaßt .
er nicht gezahlt oder ſich mit dem Schuldherrn vergli-
chen hatte , an drey Nundinen nach einander vor den
Praͤtor — damals den Conſul — gefuͤhrt , und der Be-
trag ſeiner Schuld ausgerufen ; damit er ſich oder ein
Anderer ihn loͤſe . Denn der Zugeſprochene blieb im un-
verminderten vollen Eigenthum ſeiner Habe , wenigſtens
alles deſſen was er mit quiritariſchem Recht beſaß : er
konnte im Schuldkerker ſo guͤltig daruͤber verfuͤgen als
im unbeſchraͤnkteſten Genuß der Freyheit ; und hierauf
geht wohl die Beſtimmung der Geſetztafeln , nicht auf
die politiſchen Rechte , daß der wegen Schulden Gefeſ-
ſelte gleiches Recht haben ſolle wie der Freye Nexo solutoque idem jus esto . . Fand
er alſo Gelegenheit ſein Eigenthum ſo zu verkaufen daß
er entweder ſeine Schuld abtragen oder doch wenigſtens
ſich mit dem Schuldherrn abfinden konnte , oder nahm
dieſer es in Zahlung an , dann ward er frey . Denn als
Aengſtigung zur aͤußerſten Anſtrengung war dieſe Haͤrte
und die fuͤrchterliche Entſcheidung welche ihm bevorſtand
wenn er nicht zahlte , eigentlich , und ſelbſt nach den
Ausdruͤcken des Geſetzes , gemeint . Hatte er ſich am
dritten Gerichtstage nicht geloͤßt , dann ward er dem
Schuldherrn hingegeben ihn zu toͤdten oder uͤber die Ti-
ber zu verkaufen . Dies lautet bey Gellius dem wir die
Kenntniß dieſer Geſetze verdanken Gellius XX. c. 1. faſt ſo als ob der
Schuldherr , wie er den Gefangenen nicht mit leichteren
Ketten feſſeln durfte als beſtimmt war , auch keine Wahl
eines Dritten gehabt haͤtte ; ihn nicht als Knecht fuͤr
ſeine Schuld dienen laſſen durfte . Aber ſchon bey der er-
ſten Erwaͤhnung der Schuldknechtſchaft 259. Livius II. c. 23 . ward von der
Zahl gefangener Schuldner geredet , als ob es Tauſende
geweſen waͤren : ſpaͤter , am Schluß dieſes Zeitraums ,
bey der liciniſchen Geſetzgebung , von den Schaaren zuge-
ſprochener Schuldknechte , die in Kerkern bey dem Hauſe
jedes Patriciers gehalten wurden Gregatim quotidie de foro addictos duci et repleri vinc-
tis nobiles domos : et ubicunque patricius habitet , ibi car-
cerem privatum esse . Livius VI. c. 36 . . Dies ſcheint eine
Befugniß zu Umwandlung der verhaͤngten Strafen nach
des Schuldherrn Willkuͤhr oder Abkaufung der Todes-
ſtrafe durch freywillige Knechtſchaft zu beweiſen . Denn
war jeder nur waͤhrend ſechszig Tagen im Hauskerker , ſo
konnte dieſer auch bey dem reichſten Wucherer kaum zufaͤl-
lig viele Ungluͤckliche enthalten . Noch entſchiedener redet
fuͤr dieſe Meinung daß der Sohn ſich fuͤr den Vater in die
Schuldknechtſchaft und den Kerker ergeben konnte Cum se C. Publilius ob æs alienum paternum nexum
dedisset . Livius VIII. c. 28 . .
Waren mehrere Glaͤubiger , ſo geſtattete ihnen das Ge-
ſetz den Verurtheilten nach dem Uncialverhaͤltniß ihrer
Schuldforderung zu zerhauen , und eine ausdruͤckliche
Clauſel die es unſtraͤflich machte dieſes Maaß nicht ganz
genau beobachtet zu haben Si plus minusve secuerunt se fraude esto . Gellius a. a. O .
Dies allein haͤtte doch aus jedem geſunden Kopf den Gedan-
ken an einen sector bonorum entfernen ſollen . Erſt das poͤteli-
ſche Geſetz nahm das Vermoͤgen in Anſpruch . Livius a. a. O. , befreyte ſie von der Excep-
tion welche Shylock bey einer aͤhnlichen Rechtsbefugniß
im Wege ſtand . Dieſes ſcheint ein zwecklos empoͤrendes
Geſetz , da der Tod eines Ungluͤcklichen der Habſucht ge-
nuͤgen konnte , auch ohne Auslaſſung ihrer Wuth ; der
Sinn aber war wohl kein anderer als dieſer , daß , wenn
unter mehreren Glaͤubigern auch nur einer ganz unerbitt-
lich war , dieſer das Recht hatte den verurtheilten Schuld-
ner , wenn die uͤbrigen ihn nur zur Knechtſchaft verkaufen
wollten , zu verſtuͤmmeln , ſofern er ihm nur das Leben
nicht nahm : welches dann aber die uͤbrigen dem jetzt
werthloſen Sklaven gewiß nicht erhielten .
Keine Geſetzgebung irgend eines Volks iſt empoͤren-
der als dieſe , ſicher iſt aber auch jede Deutung falſch die
an ihrer frevelvollen Unmenſchlichkeit auch nur das Ge-
ringſte mildert . Aber das Intereſſe des Glaͤubigers mil-
derte , der ſeinen Vortheil bey der aͤußerſten Haͤrte weni-
ger als bey glimpflicherem Verfahren fand ; und das
Eigenthumsrecht welches dem Verurtheilten blieb , und
ihm einen Stuͤtzpunkt gab , durch den er die Unerbittlich-
keit mit Trotz bekaͤmpfen konnte . Er durfte was er be-
ſaß , wenigſtens was er mit heiligem quiritariſchem Eigen-
thumsrecht beſaß , weggeben : that er es nicht ſo fiel es
doch ſeinen Erben heim , der Glaͤubiger mochte ihn toͤdten
oder verkaufen . Und hier compenſirten ſich wohl nach der
Abſicht der Geſetzgebung der Vortheil und der Nachtheil
des Schuldherrn gegen menſchlichere Verfuͤgungen , wie
ſie in Kraft traten als die Feſſeln abgeſchafft wurden , wo
gewiß gleichzeitig der Zuſpruch des Vermoͤgens an den
Glaͤubiger eingefuͤhrt ward . Rom erkannte nur perſoͤnli-
chen Credit : und als bey allgemeiner huͤlfloſer Armuth
der Verſchuldete unvermeidlich unter die Haͤrte des Ge-
ſetzes fiel , bemerkt der Geſchichtſchreiber ſelbſt ; was den
Credit habe erhalten ſollen ſey zur Criminalſtrafe gewor-
den Pœna in vicem fidei cesserat . Livius VI. c. 34 . . Dieſe Kraft des Trotzes einen leidlichen Ver-
gleich zu erzwingen , durch den Troſt die Seinigen nicht
ganz bettelarm zu hinterlaſſen , muß in jenen eiſernen Ge-
muͤthern weit groͤßer geweſen ſeyn als wir uns nach unſerm
Charakter , unſern Sitten und Gefuͤhlen vorſtellen koͤnnen .
Ich weiß , ſagte ein Janitſchar in der Levante an einen
europaͤiſchen Conſul der ihn wegen einer Schuld heftig
draͤngte , daß du ein Todesurtheil gegen mich auswuͤrken
kannſt . Aber ich ſage dir daß ich nicht mehr bezahlen will
als ich geboten habe , und wenn ich hingerichtet werde ,
was empfaͤngt der Kaufmann dann Felix Beaujour Tableau du Commerce de la Grèce . T. II.
p. 176. : ein ganz vortreffliches Werk . ?
Fuͤr den als Schuldknecht Zugeſprochenen gab es kei-
nen rechtmaͤßigen tribuniciſchen Beyſtand , weil das Ur-
theil nach einem unzweydeutigen Geſetz erkannt war . Er-
laubten ſich die Tribunen ihn zu gewaͤhren , wie das im
Jahr 375 geſchah Livius VI. c. 27 . , ſo uͤbten ſie eine Geſetzwidrigkeit ,
welche nur durch den empoͤrenden Mißbrauch des poſiti-
ven Rechts zu entſchuldigen iſt . Hingegen konnten ſie ,
wie in andern Faͤllen die freye Bewegung der Adminiſtra-
tion , auch das Gerichtsverfahren bey Schuldklagen im
Allgemeinen hemmen , und dies iſt in dieſem Zeitraum
geſchehen Livius VI. c. 31 . . Dieſes war dann nichts anderes als wenn
ein Parlament oder Staͤnde dem Landesherrn Subſidien
verſagt haben .
Das Elend welches aus dem allgemeinen Ungluͤck
und jener hoͤchſt ungerechten einſeitigen Belaſtung des ple-
bejiſchen Standes hervorging , ward durch die Verwir-
rung erhoͤht welche die Zerſtoͤrung der Stadt in die Ver-
waltung gebracht hatte . Es iſt ſchon fruͤher gezeigt wor-
den , daß , eben weil die Geſetze keine Art von Realhypo-
theken kannten , — dieſe Schoͤpfung des attiſchen Rechts ,
wo ſie ſchon ſo weit als nur in neueren Staaten ausgebil-
det war , — die perſoͤnliche Verſchuldung die Laſt der auf
dem geſammten quiritariſchen Eigenthum des Plebejers
haftenden Steuer gar nicht verminderte : und daß von
Luſtrum zu Luſtrum , ohne alle Ruͤckſicht auf die eingetre-
tenen Veraͤnderungen , wie bey den Indictionen der ſpaͤte-
ren Kaiſer , nach dem Cataſter des letzten Cenſus geſteuert
werden mußte . Aber auch dieſer war durch die allge-
meine Verwuͤſtung unbrauchbar geworden . Waͤhrend
funfzehn Jahren nach der Raͤumung der Stadt ward die
Vermoͤgensſteuer nur nach ungefaͤhren Abſchaͤtzungen er-
hoben Einen andern Sinn kann die Nachricht von dem tributum
temerarium nicht haben . Feſtus s. v. tributum . . Zwar ließ ſich das Beduͤrfniß nicht verheh-
len , und endlich wurden zweymal Cenſoren erwaͤhlt , um
eine gerechtere Ordnung herzuſtellen ( 375 und 377 ) . Sie
ſollten auch den Schuldenzuſtand der Nation unterſuchen ,
vermuthlich um , wie es ſpaͤter geſchah , eine allgemeine
Liquidation durch abgeſchaͤtzten Werth anſtatt Geld einzu-
leiten . Aber ſie blieben unthaͤtig : die erſten dankten ſogar
ab unter einem religioͤſen Vorwand Livius VI. c. 27. 31 . . Hier iſt die
Hand des herrſchenden Stands unverkennbar , welcher die
Gelegenheit wahrnahm die Plebs zu beugen : und doch , ſo
lange die Patricier im abgabenfreyen Beſitz des Gemein-
lands blieben , konnten ſie ſich nur mit der aͤußerſten Ver-
blendung einer gerechten Beſteurung widerſetzen , wenn ſie
auch den ſteuerbaren Theil ihres eignen Vermoͤgens traf ;
denn die Fortſetzung des interimiſtiſchen Syſtems mußte
offenbar in ſehr kurzer Zeit den Staat gaͤnzlich zu Grunde
richten .
Habſucht brach das Reich der roͤmiſchen Oligarchie :
ſie haͤtte ſich erhalten koͤnnen wenn ſie nur ſtolz gegen die
plebejiſchen Ritter geweſen waͤre , und wie die karthagi-
nienſiſche , und die einiger griechiſchen Staͤdte , vor allem
aber die der Republik Bern , fuͤr den Wohlſtand der Volks-
menge Sorge getragen haͤtte , anſtatt ſie auszuſaugen . Es
iſt eine hoͤchſt irrige Meinung daß im Alterthum die Fi-
nanzen keinen Einfluß auf die buͤrgerliche Geſchichte ge-
habt haͤtten . Waͤre der Senat mit den Mitteln die Noth
der Gegenwart zu uͤbertuͤnchen und den Nachkommen zu
uͤberantworten bekannt geweſen , welche die neuere Finanz
erfunden : haͤtten die roͤmiſchen Geſetze ein Syſtem hypo-
thekariſches Credits , und dauernde Darlehen gekannt ; ſo
moͤchte auch ohne milde und gerechte Verwaltung die Olig-
archie viel laͤnger beſtanden haben .
M. Manlius , der Retter des Capitols , ein Mann
eben ſo ehrgeizig als bis dahin ruhmwuͤrdig , fand ſich in
ſeinen Anſpruͤchen auf Dankbarkeit , Ehre und Auszeich-
nung , bitter getaͤuſcht . Er war nach ſeinem eigenen Ge-
fuͤhl Camillus Nebenbuhler : und kalte Zuruͤckſetzung ohne
alle Erinnerung an eine große That , die , in ihren Folgen
uͤber alle ſeine Handlungen hervorragend , doch nicht
fremd in der langen Reihe eines Heldenlebens ſtand beſſen
Kraft noch lange nicht erſchoͤpft war , erregte in ihm eine
vergiftende Bitterkeit . Er war einer von den maͤchtigen
Menſchen die von der Natur einen unlaͤugbaren Beruf
empfangen haben die Erſten in ihrem Vaterlande zu ſeyn ,
und welche Gleichguͤltigkeit und Zuruͤckſetzung von denen
die ſie tief unter ſich fuͤhlen zum Verbrechen und Verder-
ben hintreiben ; oder Mißtrauen und Anfeindung recht-
ſchaffener aber furchtſamer Maͤnner , welche , ſcheu vor
ihrem daͤmoniſchen Gemuͤth , ſie fliehen , dem boͤſen Geiſt
uͤberantworten . Gott wird ihre Seelen von denen for-
dern welche ſie auf die unſeligen Abwege trieben : ihren
Schwaͤchen wird er gnaͤdig ſeyn , aber nicht denen die ſein
herrlichſtes Werk verderbten . Scipio ſchwang ſich
empor uͤber die Gefahr : Caͤſar unterlag der Verfuͤh-
rung eines verworfenen Zeitalters : ein aͤhnlicher Cha-
rakter war Alkibiades . Gewoͤhnlich wohnt in einer
ſo ſtarken Seele auch urſpruͤnglich ein tiefes Gefuͤhl
fuͤr Recht und Wahrheit , Erbarmen gegen den Ungluͤck-
lichen , Grimm gegen den nur durch Zufall maͤchtigen , an
ſich feigen und kraftloſen Unterdruͤcker : dieſes Gefuͤhl
wird den wilden Leidenſchaften dienſtbar , aber ſeine in-
nere Gluth erliſcht nie ganz ; und es iſt ſchreyend unge-
recht alle Handlungen die , von ihm ausgehend , ſchoͤn
und loͤblich ſind , bey ihnen als Heucheley oder berechne-
tes Werk zu brandmarken .
Mit reinen Gefuͤhlen gewiß begann Manlius ſich
der huͤlfloſen Schuldner zu erbarmen . Er erkannte auf
dem Forum einen alten Kriegsgefaͤhrten , einen durch
vielfache Thaten ausgezeichneten Hauptmann , den der
Wucherer , ihm durch Urtheil zugeſprochen , gefeſſelt
wegfuͤhrte . Auf der Stelle zahlte er fuͤr ihn die , wenn
eine ſolche Zahlung moͤglich war , fuͤr den Reichen ge-
wiß kleine Schuld , und gab ihn den Seinigen wieder .
Laut und graͤnzenlos war die Dankbarkeit des Gerette-
ten gegen den der ihm wie ein Engel des Himmels er-
ſchien , als nur ſchmaͤhlicher Tod oder elende Knecht-
ſchaft zum Schluß eines ruͤhmlichen Lebens vor ihm lag .
Er erzaͤhlte ſein Schickſal , worin die meiſten der Zu-
hoͤrer ihr eigenes erkannten : der Krieg , und die gezwun-
gene Herſtellung ſeiner Wohnung hatten ihn in Schulden
geſtuͤrzt : die Zinſen , zum Capital geſchlagen , dieſes
bald ſo weit uͤberſtiegen daß fuͤr ihn jede Moͤglichkeit
der Zahlung verſchwunden war . Er enthuͤllte dem Volk
ſeine ruͤhmlichen Narben aus vielen Kriegen . Er gelobte
ſeinem Retter ewigen Dank und unbedingte Treue . Das
ganze Volk war bewegt , Manlius war begeiſtert . Er
verkaufte oͤffentlich ein Landgut , ſein reichſtes Erbe , und
ſchwur , ſo lange ihm noch ein Pfund bleibe werde er
nicht dulden daß ein Quirite als Schuldknecht abgefuͤhrt
werde . Auch hat er das treu gehalten : denn als er auf
den Tod angeklagt ward , hat er an vierhundert Buͤr-
ger als Zeugen geſtellt , denen er zur Zahlung ihrer
Schulden Geld ohne Zinſen vorgeſchoſſen und ſie vom
Schuldkerker errettet hatte .
Von dieſem Tage war ſein Haus das Heiligthum
des Volks , und es ſcheint ihm durch allgemeines Ge-
fuͤhl der Nahme des Patrons der Plebs gegeben zu ſeyn :
ein Nahme der allerdings fuͤr den Staat beunruhigend
ſeyn konnte Livius VI. c. 18. Victor de vir . ill. c. 24. , wo aber
dieſer große Ehrennahme ( veraͤndert : patronus populi ) ſchon
auf die Rettung des Capitols bezogen wird . Es ſcheint
uͤbrigens eine ungezwungene Folgerung : wenn die geſammte
Plebs ſich einen Patron ernannte ſo hatte der einzelne
eigentliche Plebejer keinen . . In ſeinem Hauſe auf der Burg be-
gannen Plebejer von allen Klaſſen ſich zu verſammeln ,
und hier klagte er ſeine Mitſtaͤnde als die Urheber des
allgemeinen Elends an . Zu gerechten Anklagen war
nur zu reicher Stoff . Aber wenn wir die Erzaͤhlungen ,
wie das Loͤſegeld der Stadt , entweder wegen Camillus
Entſatz gar nicht gezahlt , oder nebſt einem gleichen
Werth an anderem erbeuteten Golde den Galliern wie-
der entriſſen ſey , als entſchiedene Erdichtung verwer-
fen , ſo koͤnnen wir auch die nicht guͤnſtiger beurtheilen ,
daß Manlius die Patricier beſchuldigt , ſie haͤtten ſich
dieſes Gold heimlich zugewandt , welches hingereicht ha-
ben wuͤrde die Schulden der Plebs zu zahlen . Iſt es
nothwendig hier einigen hiſtoriſchen Grund anzunehmen ,
und
und iſt es erlaubt dieſen durch Vermuthungen aufzuſuchen ,
ſo ſcheint ſich nur eine Deutung zu finden . Die Con-
tribution ward durch eine Vermoͤgensſteuer bezahlt Livius VI. c. 14. Cum conferendum ad redimendam
civitatem a Gallis aurum fuerit , tributo collationem
factam . :
wenigſtens aber fuͤr die Zerſtreuten konnte dieſe auf
dem Capitol nicht angelegt und von ihnen auch nicht
erhoben werden , um den Feind zu befriedigen , der vor
empfangener Zahlung die Stadt nicht raͤumte . Plinius
Erzaͤhlung von den zweytauſend Pfunden Gold welche
auf dem Capitol nach dem galliſchen Kriege niederge-
legt waͤren Plinius H. N : XXXIII. c. 5. iſt verworren : doch das ſagt er aus-
druͤcklich daß die Maſſe dieſes Metalls welche ganz Rom ,
mit allen ſeinen Tempeln , vor dem galliſchen Kriege be-
ſaß , hoͤchſtens dieſer gleich war . Die eine Haͤlfte be-
ſtand , nach ihm , aus dem Golde welches die Gallier
in den Tempeln und unter der uͤbrigen Beute gefun-
den hatten , nebſt dem ihnen abgenommenen Geſchmeide ;
die andre war die roͤmiſche Kriegsſteuer . Fuͤr das Gold
des capitoliniſchen Tempels , der doch unſtreitig der
reichſte ſeyn mußte , und ſchon von freundſchaftlichen
Voͤlkern Geſchenke empfangen hatte , und fuͤr dasjenige
welches aus andern Tempeln der Stadt dorthin gefluͤch-
tet war , rechnet er nichts in dieſem Anſchlage des ſaͤmmt-
lichen damals in Rom vorhandenen Goldes . Dieſes
muß alſo nach ſeinem Urtheil unter der zuruͤckeroberten
Contribution enthalten geweſen ſeyn : im Gegenſatz von
Zweiter Theil. X
Livius Erzaͤhlung , welcher verſichert es ſey nicht beruͤhrt
worden , ſondern die Matronen haͤtten ihr Geſchmeide
zur Zahlung dargeboten : was aber auch nur fuͤr eine
Wiederhohlung der Sage gelten kann , uͤber die Art wie
das Gold angeſchafft worden womit Camillus Geluͤbde
wegen Veji geloͤßt ward Die Maſſilienſer erzaͤhlten als Beyſpiel ihrer uralten
Nationalfreundſchaft fuͤr Rom : auf die Botſchaft von der
galliſchen Eroberung habe die ganze Stadt Trauer ange-
legt ; und hernach Gold zur Zahlung der Contribution uͤber-
ſandt . Dafuͤr zum Dank haͤtte ihnen der roͤmiſche Senat
Atelie und Prohedrie decretirt . Juſtinus XLIII. c. 5.
Die Erzaͤhlung iſt ſichtbar aͤcht genug aus maſſilienſiſchen
Chroniken : darum aber nicht weniger verdaͤchtig . Von ſol-
chen griechiſchen Ehrenbeſchluͤſſen findet ſich in der roͤmi-
ſchen Geſchichte kein Beyſpiel . . Eine offenbar verdorbene
Stelle bey Plinius Plinius a. a. O. ſcheint eine Verbeſſerung zu for-
dern , wonach dem capitoliniſchen Gott das empfangene
zwiefach , durch jene in Jupiters Cella niedergelegte zwey-
tauſend Pfunde , wiedergegeben ward ; wird dieſe zuge-
laſſen , dann erklaͤrt es ſich wie uͤber das zur Contribu-
tion verwandte Gold ein Mißvergnuͤgen herrſchte , wel-
ches einem Demagogen Stoff zu Anklagen gewaͤhrte .
Nach der Raͤumung der Stadt mußte das vom Capitol
erborgte Gold durch eine Vermoͤgensſteuer wiedererſetzt
werden ; und der Senat glaubte die Republik verpflich-
tet das Empfangene zwiefach zu erſtatten . Je hoͤher aber
das Elend geſtiegen war , um ſo weniger mochte dem
Volk die Verpflichtung einleuchten auch nur mit der
Zuruͤckgabe des entlehnten zu eilen : wenn auch damals
die aͤngſtlich religioͤſe Nation ſich nicht ermaͤchtigt hielt ,
wie zu Athen ſchon fruͤher geſchehen war , wie es zu
Rom dreyhundert Jahre ſpaͤter geſchah , in der Zeit der
Noth die Reichthuͤmer der Tempel zur Erhaltung des
Staats zu verwenden . Ward das Doppelte gefordert ,
und zum Behuf einer vor allen Augen verſchloſſenen
Niederlegung , dann war es der gequaͤlten Armuth nicht
zu verargen wenn ſie einen fuͤr die Regierung beleidi-
genden Argwohn faßte : es ſey nur eine Erpreſſung un-
ter ſcheinheiligem Vorwand zum Vortheil maͤchtiger Pluͤn-
derer : und dieſen Argwohn , der noch mehr als das Ge-
fuͤhl und das Andenken aller andern Bedruͤckungen die
Gemuͤther in die ſchreckliche Stimmung bringen mußte
worin Aufſtand ein willkommner Gedanke wird , kann
Manlius genaͤhrt , und ihm durch Beſchuldigungen ge-
gen Einzelne Schein gegeben haben .
Ein Schriftſteller von freylich ſehr ſchlechtem Ge-
halt , geiſtlos , unwiſſend und fluͤchtig , auf den man
auch , weil die meiſten Abweichungen ſeiner Erzaͤhlung
nur aus dieſen Fehlern entſtanden ſind , im allgemeinen
vor dem Zeitpunkt wo Polybius Geſchichte anhebt , welche
Poſidonius fortſetzte , nur dann Ruͤckſicht nehmen muß ,
wenn der Mangel uns treibt Wurzeln und Kraͤuter ge-
gen den Hunger zu ſammeln , hat hier einige Umſtaͤnde
welche er weder erfunden noch verdreht haben kann .
Manlius , ſagt Appian , forderte Tilgung der Schulden ,
oder daß das Gemeinland verkauft , und der Ertrag zur
Zahlung fuͤr die Plebejer verwandt werden ſolle . Dies
X 2
war , wenn es nur mit einem Theil geſchah , — ſoviel
als zur Aſſignation haͤtte kommen koͤnnen , — nur dieſe
in einer veraͤnderten Form Appian Ital. fr. 9. ed. Schw . Er las ein wenig La-
tein , und hat uͤber dieſe Zeitlaͤufte den Caſſius ( Hemina )
gebraucht ( Celt. fr. 6. ) . Das große Lob , welches der ver-
ſtorbene Muͤller gelegentlich in einer Flugſchrift dieſem ſeich-
ten Alexandriner gab , iſt hoͤchſt befremdend , und muß nicht
verfuͤhren . .
Der volskiſche Krieg gab dem Senat Veranlaſſung
zur Ernennung eines Dictators , A. Cornelius Coſſus ,
deſſen Gewalt auch nach der ſchnellen Beendigung des
Feldzugs fortdauerte . Manlius ward als Verlaͤumder
der Regierung vor ſein Tribunal citirt , und in den Ker-
ker geworfen . Als ob einen Angehoͤrigen oder einen na-
hen Freund dieſes Schickſal getroffen haͤtte , erſchienen ,
ſo lange Manlius in Ketten lag , nebſt denen die ſeinen
Wohlthaten Freyheit und Tageslicht verdankten , viele
andre Plebejer in Trauerkleidern und mit verwildertem
Haupthaar und Bart , wodurch die Sitte bezeichnete
daß dem Bekuͤmmerten und Verzagenden jede Sorgfalt
fuͤr den Anſtand ſeiner aͤußern Erſcheinung gleichguͤltig
geworden ſey . Taͤglich wuchs die Zahl welche ſich ſo
als Parthey auszeichnete , und vom Anbruch des Mor-
gens den ganzen Tag nicht von den Thuͤren ſeines Ker-
kers wich . Sicher kann damals noch keine entſchiedene
Schuld Manlius Gefaͤngniß gerechtfertigt haben , weil
der Senat , erſchrocken uͤber die anwachſende dumpfe
Gaͤhrung , den Entſchluß faßte ihm die Freyheit wieder-
zugeben : ein Entſchluß wonach ſeine Verhaftung unſin-
nig geweſen ſeyn wuͤrde , wenn man nicht erwartete daß
dieſes heftige Gemuͤth , wuͤthend uͤber die erlittene Schmach
und die unverhohlne Abſicht gegen ſein Leben , ſich jetzt
ſo weit verirren wuͤrde daß er fallen muͤſſe .
Wahrſcheinlich war Manlius , wie zweydeutig auch
ſein Betragen erſcheinen mochte , und wenn gleich bey
ſchoͤnen Handlungen , ſobald ſie nicht mehr aus ganz
lauterem Sinn geſchehen , die ganze Seele verdirbt und
alle innere Wahrheit ſchnell verliert , bis zu ſeiner Ver-
haftung nur noch ein ehrgeiziger Buͤrger , nicht ſchuldi-
ger als viele Andre die ohne Schmach , und ſogar mit
Ruhm im Andenken geblieben ſind : rein von jedem be-
wußten Gedanken der Empoͤrung . Der Wunſch nach
Tyranney mußte in der That fuͤr einen Roͤmer ſo un-
ſinnig ſcheinen daß nur die Wuth eines Eingekerkerten
ihn erzeugen konnte . Aber wer in ſchwarzen Stunden
einen Gedanken des Frevels in ſich aufgenommen hat ,
der tritt auf immer aus den Banden des Geſetzes ; er
gebietet nun uͤber alle Kraͤfte deren Gebrauch Tugend
und Gewiſſen ihm bisher verſagten ; und Manlius hatte
die Menge und die Leidenſchaft ſeiner Anhaͤnger kennen
gelernt . Der Senat hatte waͤhrend ſeiner Gefangen-
ſchaft eine Colonie roͤmiſcher Buͤrger nach Satricum zu
ſenden beſchloſſen , um das Volk von ihm abzuziehen :
aber zwey und ein halbes Jugerum fuͤr die Familie ,
zweytauſend Buͤrgern angeboten , war die Freygebigkeit
eines Geizigen die nur mit Hohn empfangen wird . Auch
war die Lage des Orts ſo gefaͤhrlich , mitten unter den
Volskern , daß die ungluͤcklichen Verfuͤhrten bald nach-
her vertilgt wurden . Als Manlius in ſeine Wohnung
zuruͤckgekehrt war , begann er ſeine Anhaͤnger dort bey
ſich zu verſammeln , und wenigſtens erſchien er jetzt als
ein trotzendes Partheyhaupt , mit dunkeln Abſichten , und
entſchloſſen der Gewalt mit Gewalt zu begegnen . Die
Lage ſeines Hauſes auf der Burg machte dieſe Verſamm-
lungen je zahlreicher ſie wurden immer gefaͤhrlicher : die
Beſetzung des Capitols durch das Volk waͤre drohender
geweſen als die des Aventinus .
Ob aber Manlius entſchiedene hochverraͤtheriſche
Abſichten bey ſich ausgebildet , ob er eine unzweydeutig
verbrecheriſche Unternehmung ſeinen Anhaͤngern angedeu-
tet hat ; daruͤber fand Livius in ſeinen Annalen auch
nicht einmal eine beſtimmte Beſchuldigung Quæ præter cœtus multitudinis , seditiosasque voces , et
largitionem , et fallax indicium , pertinentia proprie ad
regni crimen — objecta sint — apud neminem auctorem
invenio . Livius VI. c. 20 . . Wir
koͤnnten ihn fuͤr einen gefaͤhrlichen Buͤrger halten der
nicht mit Unrecht fiel weil er in ſeinem Herzen nicht
ſchuldlos war ; der aber dennoch vielleicht nie bis zum
Verbrechen gekommen waͤre , wenn ſeine Handlungen
in einem verlaͤngerten Leben uͤber ihn haͤtten richten ſol-
len . Alles haͤngt davon ab , ob es wahr ſey daß ihn
die Volkstribunen als Hochverraͤther angeklagt haben :
dann kann er nicht von einer feindſeligen Faction un-
terdruͤckt ſeyn : und als ſeine Anklaͤger werden zwey Tri-
bunen aus den edelſten und unabhaͤngigſten plebejiſchen
Geſchlechtern genannt . Freylich aber iſt dieſe Anklage
der Tribunen nicht von allen Annalen erzaͤhlt geworden :
eine andere Sage , deren Livius ſelbſt gedenkt , meldete ,
er ſey von Duumvirn , erwaͤhlten Richtern uͤber Hoch-
verrath , zum Tode verurtheilt , und vor dieſen klag-
ten gewiß die Volkstribunen nicht an . Dio Caſſius
freylich Fragm , XXXI. ed. Reim . beſonders aber ſein Epitoma-
tor Zonaras VII. c. 24. , durch den jenes Fragment erſt
verſtaͤndlich wird . hat die Geſchichte einer Empoͤrung der fre-
velhafteſten Art erzaͤhlt . Nach ihm hatte Manlius mit
ſeinen Anhaͤngern das Capitol eingenommen : Camillus
war zum Dictator ernannt , und der Buͤrgerkrieg herrſchte
in der Stadt . Unter dem Vorwand daß er der Bote
einer Verſchwoͤrung ſeiner Mitbruͤder ſey welche um den
Preis der Freyheit ihre Huͤlfe anboͤten , waͤre ein Sklav
auf dem Capitol zugelaſſen , haͤtte Manlius in einer vor-
geblichen geheimen Unterredung an dem Rand des Huͤ-
gels hin gefuͤhrt , bis zu einer Stelle wo am Fuß Sol-
daten verborgen geweſen waͤren , und hier habe er ihn
hinuntergeſtoßen . Camillus habe den Gefangenen vor
Gericht geſtellt . In dieſer Erzaͤhlung ſteht Dio ganz
allein : und ſie iſt um ſo auffallender da Livius , nach
ſeiner Verſicherung , beweiſende Umſtaͤnde der Schuld
des Manlius , die ihm freylich deswegen nicht zweifel-
haft wird , in allen Annalen vergebens geſucht hatte ,
alſo nirgends etwas gefunden haben kann was der Er-
zaͤhlung des Dio aͤhnlich war . Nach Livius war auch
kein Dictator ernannt , ſondern den Proconſulartribu-
nen , von denen Camillus einer war , vom Senat die
Vollmacht gegeben alles zur Erhaltung des Staats zu
thun . Auch in dieſer Wuͤrde konnte Camillus , wie es
erzaͤhlt wird , Vorſitz und Leitung des Gerichts uͤber ſei-
nen Nebenbuhler ausuͤben Plutarch Camill. p. 148. C . . Doch eine beſtimmte
Spur der Sage von der Dictatur iſt bey Livius ſelbſt Livius VI. c. 20 .
die Erwaͤhnung des Oberſten der Ritter C. Servilius ,
welchen Manlius , abweſend , unter denen aufgefuͤhrt
deren Leben er im Kriege gerettet . Servilius hatte je-
nes Amt im Jahr 366 bekleidet : aber es kann ſeiner
nicht unter dem Titel einer Wuͤrde gedacht ſeyn , die er
ſo lange niedergelegt hatte : denn Livius redet immer mit
der muſterhafteſten Richtigkeit ; und viel eher gleicht es
ihm daß er vergaß zu erwaͤhnen : nach einigen ſey Ca-
millus Dictator , und unter ihm Servilius Oberſter der
Ritter in dieſen Unruhen geweſen .
Nach Livius muͤßte man ſchließen daß Manlius die-
ſesmal nicht in den Kerker geworfen , ſondern frey auf
die Ladung der Tribunen vor Gericht erſchienen ſey ;
welches freylich nicht wahrſcheinlich iſt . Wie auch der
Gang des Proceſſes war , — ſey es daß Manlius von den
Blutrichtern an die Nation appellirte , der durch die
zwoͤlf Tafeln der letzte Ausſpruch bey allen Halsgerich-
ten zuerkannt war , oder daß die Tribunen ihn vor der
Verſammlung der Centurien anklagten , — am erſten Ge-
richtstage ward das Volksgericht vor der Abſtimmung
entlaſſen weil die Losſprechung des Angeklagten gewiß
ſchien . Die Erbitterung der Patricier ; die Verlaͤug-
nung aller Gefuͤhle des Bluts ſelbſt bey ſeinen Bruͤdern ,
welche die Trauerkleider in denen ſie anfangs erſchienen
waren , vielleicht durch Drohungen geſchreckt , abgelegt
hatten ; zeigten Manlius um ſo mehr in dem Licht eines
Maͤrtyrers ſeiner Volksliebe , weil es im Andenken war
daß C. Claudius und das ganze Claudiſche Geſchlecht
waͤhrend der Anklage des Decemvirs Trauer angelegt
hatte . Als er aber die denen er Freyheit und Eigen-
thum wiedergegeben , die denen er in Kriegen das Leben
gerettet hatte , als Zeugen vorrief : als er die Ruͤſtungen
dreyßig erlegter Feinde , vierzig von den Feldherrn em-
pfangene Ehrengeſchenke zeigte : als er die Narben ſei-
ner Bruſt enthuͤllte ; und von der Gemeinde nach dem
Capitol gewandt , welches uͤber dem Marsfelde hervor-
ragt , mit aufgehobenen Haͤnden , nicht mehr die jeder
Wohlthat undankbar vergeſſenden Menſchen ſondern die
ewigen Goͤtter anflehte , ihm in ſeiner Noth zu geden-
ken daß er ihren heiligen Tempel von Entweihung und
Zerſtoͤrung errettet : da fuͤhlten ſich auch die welche ihn
ſchuldig glaubten unwuͤrdig uͤber einen ſolchen Mann zu
richten . Die Gemeinde ward zum zweitenmal vor dem
Nomentaniſchen Thor verſammelt . Hier ſprach ſie das
beſohlne Todesurtheil . Der Ungluͤckliche ward , um ſei-
nen Tod mit Hohn zu verbittern , damit er fuͤhle daß
ſeine ſiegenden Feinde bey dem Andenken ſeiner großen
That nicht jene zuruͤckbebende Scheu empfaͤnden welche
Marius aus den Haͤnden des Cimbers rettete , von dem
tarpejiſchen Fels , wo er die ſtuͤrmenden Senoner zuruͤck-
geworfen hatte , hinabgeſtuͤrzt . Sein Haus ward ge-
ſchleift , und , nach einer Sage Die Rede pro domo . c. 38 . , die Staͤtte mit zwey
Hainen bepflanzt : nach einer andern Livius VI. c. 10 . der Tempel
der Juno Moneta , ſpaͤter auch die Muͤnze , dort auf-
gefuͤhrt . Damals ſoll auch vom Volk verordnet ſeyn
daß kein Patricier kuͤnftig auf der Burg wohnen duͤrfe :
ein Beſchluß der nach einer Erfahrung von hundert
ſechs und zwanzig Jahren ſehr uͤberfluͤſſig geweſen zu
ſeyn ſcheint wenn man dieſe feſte Wohnung wegen An-
lockung des Volks durch Wohlthaͤtigkeit und Herablaſ-
ſung gefaͤhrlich hielt . Auch verordnete das Manliſche
Geſchlecht durch einen Beſchluß auf ewige Zeiten daß
kein Patricier von ihnen den Vornahmen Marcus fuͤh-
ren ſolle , wie das Cla n diſche einſt den Nahmen Lucius
fuͤr ſich ausſchließen mußte , weil z . ihrer Gentilen ,
die ihn fuͤhrten , der eine wegen Mord , der andre we-
gen Straßenraub verurtheilt waren .
M. Manlius ward im Jahr 371 hingerichtet . Nach
ſeinem Tode vergingen drittehalb Jahrhunderte , in de-
nen die jetzt bald befeſtigte Harmonie der Verfaſſung
dem ehrgeizigen Buͤrger keine Verfuͤhrung darbot ſich am
Staat zu verſuͤndigen ; keine Gebrechen die auch eine
gewaltſame Abhuͤlfe als ein unvermeidliches Uebel er-
ſcheinen laſſen konnten . Auch Manlius Blut , wie ſehr
er ſich verirrt haben mag , lag auf der Seele der Se-
natoren ; denn bey gerechter und menſchlicher Verwal-
tung waͤre er nie gefaͤhrlich , bey billiger Wuͤrdigung
ſeiner großen und gerechten Anſpruͤche nie zum aͤußerſten
getrieben worden ; und nichts waͤre leichter geweſen als
durch eine wohlthaͤtige Geſetzgebung ihn ganz zu ent-
waffnen . Das Volk beweinte ihn , und Peſt und Miß-
wachs , die ſeinem Tode folgten , ſchienen , indem ſie
das Elend vermehrten , auch Rache des Himmels uͤber
ſeine Verurtheilung zu ſeyn .
Ein ſonderbares Spiel des Schickſals hat fuͤr viele
Voͤlker Jahrhunderte hindurch jenen dichteriſchen Glanz ,
den die alte Sage fuͤr Camillus ſchuf , auf ſeinen ungluͤck-
lichen Nebenbuhler uͤbertragen . Johannes Malalas er-
zaͤhlt , aus einem Brunichius , vom Mallio Capitolinus ,
wie er von boshaften Feinden aus Rom verbannt , ſich auf
ſeine Guͤter bey Apuleja zuruͤckgezogen . Aber nach der
Einnahme der Stadt habe ihn der reuige Senat zum
Feldherrn erwaͤhlt : er habe die Legionen aus den Be-
ſatzungen zuſammengezogen : mit ihnen das Capitol ent-
ſetzt : Brennus mit eigner Hand erſchlagen : ſey darauf
zum Oberherrn ernannt , und habe ſeinen Erzfeind , den
verraͤtheriſchen , aus galliſchem Geſchlecht abſtammenden
Senator Februarius verjagt Malalas Chronogr. VII. p. 233 — 239 . . Dieſe Erzaͤhlung hat
Cedrenus aus ihm entlehnt , und es iſt kein Zweifel daß
ſie , eine ſehr kleine Zahl hiſtoriſch Gelehrter ausgenom-
men , vom ſechſten Jahrhundert an im byzantiniſchen Orient
allgemein geglaubt wurde .
Mit dem Verfall des weſtlichen Reichs erſcheinen
ſchon Spuren einer voͤlligen Entſtellung der alten Ge-
ſchichte in der volksmaͤßigen Erzaͤhlung . Die Nahmen
ſind erhalten , aber ſie dienen als Subſtrat immer will-
kuͤhrlicherer Fabeln : wie im Mittelalter ahndete man ſchon
nicht mehr daß auf dem Boden den man betrat einſt eine
ganz andre Welt lebte ; und was man von ihr hoͤrte begriff
keiner : Republik und alte Ordnungen waren todte Worte .
Die großen Nahmen lebten fort mit einer inneren Unſterb-
lichkeit , aber die Phantaſie ſpielte wild mit ihnen , wie
die eines Kindes , oder wie ſich die Geſchichte und Geo-
graphie in Ritterromanen geſtaltet . So war Hannibal in
der Tradition Roms im zwoͤlften Jahrhundert ein roͤmi-
ſcher Feldherr , von dem eine Familie der Stadt ihr Ge-
ſchlecht ableitete . Es ſind mehrere Schriften erhalten
welche dieſe ſonderbaren Traͤume darſtellen ; ſie werden als
ſinnlos verachtet , und ſind doch merkwuͤrdig ; an einem
andern Ort werde ich von ihnen ausfuͤhrlicher reden .
Malalas kennt die roͤmiſche Geſchichte vor Auguſt nur ſo :
er erzaͤhlt wie Romulus die Factionen des Circus ge-
ſtiftet , und Brutus den befreyten Knecht Vindicius zum
Comes ernannt habe . Wilikuͤhrliche Erfindungen von
ihm ſind dieſe Erzaͤhlungen nicht ; und Brunichius iſt kein
erdichteter Nahme , obgleich ſonſt keiner ihn nennt .
Ein Roͤmer war dieſer gewiß auch nicht . Der Nah-
me Brunich iſt offenbar gothiſch , wie Wittich , und nichts
iſt begreiflicher als daß die germaniſchen Anſiedler in Ita-
lien die einheimiſchen Geſchichten , die wieder zu Sagen
geworden waren , theils unvollkommen auffaßten , theils
mit derſelben Freyheit behandelten wie ſie es an ihren
ererbten gewohnt waren . Auch war dies wahrlich
harmlos , und den abgeſchiedenen Geiſtern willkomme-
ner als voͤllige Vergeſſenheit ſo lange die Geſchichte im
Grabe lag Die Geſchichte von Camillus hat ſchon bey Servius ( ad
Aeneid. VI. v. 826. ) offenbare Zuͤge einer ſolchen Geſtal-
tung . Eigenthuͤmlich iſt daß er nach dem Sieg in das Exil
zuruͤckgeht . Sichtbar jung iſt die Angabe vom Ort des
Siegs : bey Piſaurum ; etymologiſch daher erklaͤrt : es muß
ſchon Peſaurum ausgeſprochen ſeyn , von dem italieniſchen
pesare . Dachte man nicht an Stilicho bey jenen Sagen ? .
Wie nach Maͤlius Tode dem Volk wohlfeile Getreide-
preiſe gegeben wurden , ſo beſchloß jetzt ( 372 ) der Senat
die Aſſignation des pomptiniſchen Gebiets , welche ſchon
vor vier Jahren ( 368 ) von den Tribunen gefordert
war Livius VI. c. 5. 21 . . Doch war das Volk zu ſehr verarmt um dieſe
Freygebigkeit mit Freude aufzunehmen , weil es am
Gelde fehlte die Wirthſchaften einzurichten . Auch war
der Beſitz in dieſer entlegnen Gegend wohl ſehr unſicher ,
und ward durch den Verluſt von Satricum wieder zerſtoͤrt ,
bey dem die ungluͤcklichen Coloniſten dieſer Stadt Leben
oder Freyheit verlohren . Unter gluͤcklicheren Auſpicien zo-
gen die aus welche um Eigenthum zu erlangen , in die lati-
niſchen Colonieen Sutrium ( 372 ) Vellejus I. c. 14 . , Setia ( 376 ) Livius VI. c. 30 . Aber nach Vellejus a. a. O. 373 .
und Nepete ( 372 ) Livius VI. c. 21 : nach Vellejus a. a. O. 382 . wandernd , dem Buͤrgerrecht ent-
ſagten .
Wichtig iſt fuͤr die Geſchichte der Verfaſſung die Er-
waͤhnung daß die Comitien der Tribus jetzt uͤber Kriegs-
erklaͤrungen entſchieden , welches fruͤher die Centurien
thaten Livius VI. c. 20. IV. c. 30 . .
Einmal ( 377 ) da die Noth des Volks immer wuchs ,
verwehrteu die Tribunen die Aushebung bis der Senat
zugeſagt hatte daß waͤhrend der Dauer des Feldzugs
uͤber Schuldforderungen kein Recht geſprochen , und keine
Steuer erhoben werden ſolle . Geſchah dieſes nicht , ſo
konnte auch kein Sold gezahlt werden , welches die Ple-
bejer fuͤr den geringeren Nachtheil gehalten haben muͤſ-
ſen . Die Kuͤrze der Feldzuͤge , und ihre Art , die ganz
wieder zu der der fruͤheren Zeiten zuruͤckkehrt , machen es
wahrſcheinlich daß uͤberhaupt jetzt wieder , wenigſtens
oft , kein Sold gegeben ward . Dennoch aber wurden
die Laſten und das Elend des Volks ſo wenig vermin-
dert , daß es ganz unter dem Druck zu erliegen begann ,
und in ein dumpfes Dulden verſank , wobey die Frage
uͤber die Gleichheit der Staͤnde , fuͤr die ſchon achtzig
Jahre fruͤher mit ſo großer Heftigkeit geſtritten war ,
jetzt ganz fuͤr den herrſchenden entſchieden zu ſeyn ſchien .
Die Zahl der Freyen verminderte ſich beſtaͤndig : die
Verſchuldung der uͤbrigen machte ſie voͤllig abhaͤngig , und
die Patricier herrſchten ohne Widerſtand in den Wah-
len . Rom war im Begriff zu einer elenden Oligarchie
herabzuſinken ; ſeine Macht , ſchon wieder ſo ſehr ver-
mindert , waͤre bald ganz erloſchen , und der Nahme
einer latiniſchen Stadt bey griechiſchen Geographen waͤre
wahrſcheinlich alles was wir von ihr wuͤßten , wenn nicht
in dieſem Zeitpunkt des tiefſten Verfalls , und einer ſchon
beginnenden Aufloͤſung , zwey Maͤnner aufgeſtanden waͤ-
ren , die , mit feſter Entſchloſſenheit , auf einem Wege ,
den zu bahnen ihr inneres Bewußtſeyn ſie berechtigte ,
die Nation aus dem Elend zur Groͤße fuͤhrten .
Die liciniſchen Rogationen .
Von C. Licinius Stolo und L. Sextius , dieſen Ur-
hebern der Wiedergeburt Roms , wiſſen wir , die rhetori-
ſchen Ausbildungen von Livius Erzaͤhlung hinweggenom-
men , kaum mehr als ihre Nahmen und ſehr unvollſtaͤndig
den Inhalt ihrer Geſetze . Aber die Groͤße und Kuͤhnheit
ihrer entworfenen Geſetzgebung , ihre unermuͤdliche Be-
harrlichkeit , die Ruhe womit ſie , ſtreng auf die geſetz-
lichen Wege ſich beſchraͤnkend , die Vollendung heran-
reifen ließen , ohne daß weder ihnen noch dem Volk , in
einem Zeitalter wo die Annalen noch lange ausſchließ-
lich von der feindſeligen Parthey geſchrieben wurden ,
die geringſte Gewaltthaͤtigkeit vorgeworfen wird : das
alles giebt uns das Maaß ihres Geiſtes und ihres Cha-
rakters . Es ſind nicht ſtuͤrmiſche Demagogen Griechen-
lands , welche , alle Geſetze beugend , die Leidenſchaften
eines Tyrannen zu ſaͤttigen ſuchten : noch weniger ſind es
vernichtende Zertruͤmmerer , in deren Seele nur das
Chaos herrſcht , eben ſo unfaͤhig eine Idee der Schoͤpfung
zu faſſen und auszubilden , als die wonach das zum Theil
Abgeſtorbene , oder Veraltete , deſſen Zerſtoͤrung ſie her-
beyrufen , ſich gebildet hatte . Sie hatten die Krankheit
der Republik tief ergruͤndet ; ſie waren entſchloſſen ſie zu
heilen ; und fuͤr den Zweck feſt entſchieden duͤnkten ihnen
die einzigen Mittel nicht zu langwierig , welche , ohne Ge-
walt und todte Ummodelung , ſondern frey und lebendig
zum Ziele fuͤhrten . Eine Revolution die in griechiſchen
Republiken oder in Florenz gewaltſam in wenigen Mona-
ten unternommen , ausgefuͤhrt oder geſcheitert , mit Ver-
bannungen und Blut beſiegelt waͤre , reifte waͤhrend zehn
Jahren unablaͤſſigen maͤnnlichen Ringens , und hat kei-
nem einzigen Buͤrger ſeinen Frieden geſtoͤrt Doch Obſt , das bald vom Baume gehet ,
Das taugt gemeiniglich nicht viel :
Ich denke , wie ’s im Liede ſtehet ,
Laß fahren was nicht bleiben will . Opitz . .
Einer ſo groß gedachten , ſo groß ausgefuͤhrten Un-
ternehmung hat dennoch der Haß der unterliegenden
Parthey elende weibliche Eitelkeit als Urſache angedich-
tet . Freylich kann es nicht befremden , daß ſie die ge-
rechten Anſpruͤche eines laͤngſt der Kindheit entwachſe-
nen Standes auf Gleichheit als eine leidige Eitelkeit
verſchrie , wie ſie ihre eigene Herrſchſucht als pflicht-
maͤßige Erhaltung ererbter , ihren Nachkommen ſchuldi-
ger Rechte angeſehen haben wollte . Selbſttaͤuſchung iſt
in ſolchen Faͤllen , wenn auch manchmal eine warnende
Stimme im innerſten Bewußtſeyn redet , ſo begreiflich ,
daß der Unbefangene nicht hart uͤber ſie richten darf :
aber er darf auch nicht zulaſſen daß ihr Urtheil als be-
gruͤndet gelte . Daß die Erzaͤhlung wie die beleidigte
Eitelkeit der Gattin des C. Licinius Calvus Stolo ihn
angetrieben habe die Verfaſſung umzuſchaffen , fuͤr hiſto-
riſch,
riſch , fuͤr etwas beſſeres als ein elendes Memoirenmaͤhr-
chen , angenommen worden , iſt ganz unbegreiflich ; denn
gerade dieſe laͤßt ſich , vor vielen andern ebenfalls erſonne-
nen , auf die unwiderſprechlichſte Weiſe in ihr Nichts auf-
loͤſen . Dies hat ſchon laͤngſt ein geiſtreicher und gelehrter
Mann gethan Beaufort sur l’incertitude de l’histoire Romaine . II. c. 10 . : wie es aber ſonſt als ein zuverlaͤſſige-
res Urtheil anerkannt wird was zwey Maͤnner , ohne Ver-
abredung und Mittheilung , uͤbereinſtimmend abgeben , ſo
darf ich ihn hier nicht als die Quelle , ſondern als Beſtaͤ-
tigung der folgenden Kritik anfuͤhren S. die Vorrede zum erſten Bande . S. XII . .
Es wird erzaͤhlt , nicht von Livius allein und denen
die nur aus ihm geſchrieben haben , ſondern auch von
Dio Zonaras VII. c. 24. : von zwey Toͤchtern des M. Fabius Ambuſtus
ſey die aͤlteſte mit Ser. Sulpicius , der im Jahr 378 Con-
ſulartribun war , die juͤngere mit C. Licinius , einem Ple-
bejer , verheirathet geweſen . Der geraͤuſchvolle Pomp ,
womit Sulpicius vom Forum zuruͤckkehrte , habe die juͤn-
gere Fabia , ungewoͤhnt in einem plebejiſchen Hauſe an
den Laͤrm womit die Lictoren den Eintritt des Herrn an-
kuͤndigten , erſchreckt : ſie ſey zuſammengefahren , und von
ihrer Schweſter uͤber eine Furcht verſpottet worden , wel-
che den niedrigen Stand verriethe , wohin ſie ihre Hand
vergeben habe . Dieſe Beleidigung habe ſie bewogen ihren
Mann und ſelbſt ihren Vater zu verfuͤhren , daß ſie ihr ge-
lobten nicht zu ruhen bis aͤhnlicher Glanz auch ihr Haus
ſchmuͤcke .
Zweiter Theil. Y
Es iſt unbegreiflich daß jene alten Hiſtoriker nicht
fuͤhlten wie unſinnig es ſey anzunehmen daß das Ge-
praͤnge der Magiſtratur der Tochter eines Patriciers
fremd geweſen ſey , der vier Jahre fruͤher das Conſular-
tribunat bekleidet hatte ? Und was haͤtte ſie fuͤr ihren
Mann gewuͤnſcht ? Doch wohl , als eitle Frau , was er-
reichbar ſchien , was gewoͤhnlich war , nicht , wonach
trachtend , das erreichbare und befriedigende aufgeopfert
ward : wie die Erzaͤhlung ſagt , Gleichheit mit ihrer
Schweſter ; alſo das Conſulartribunat . Nicht das Con-
ſulat , welches als eine veraltete Inſtitution ſeit der Ein-
nahme der Stadt gar nicht mehr zur Rede kam : deſſen
Erreichung fuͤr die Plebejer unter weit guͤnſtigeren Um-
ſtaͤnden entſchieden vereitelt war , und auch der leichtbluͤ-
tigſten Phantaſie kaum als eine entfernte dunkle Moͤglich-
keit erſcheinen konnte , nur dem kuͤhnen und großen Mann
als der Kranz der heftigſten Kaͤmpfe auf Sieg oder Unter-
gang . Dahin haͤtten ſich die Wuͤnſche einer eiteln Frau
gerichtet , waͤhrend die Theilnahme am Conſulartribunat
nicht nur geſetzlich zugeſagt war , ſondern auch in der
That von Zeit zu Zeit wirklich ward ? Und keine plebejiſche
Familie konnte den Genuß des Rechts mit groͤßerer Leich-
tigkeit erlangen als die liciniſche , welche ſchon drey Ahnen-
bilder zaͤhlte ; ja , ein C. Licinius Calvus war gerade im
vorhergehenden Jahr ( 377 ) Conſulartribun geweſen .
Kaum ſcheint es denkbar das in einer Familie zwey Maͤn-
ner deſſelben Vornahmens gleichzeitig Anſpruͤche auf die
hoͤchſte Magiſtratur haͤtten erheben koͤnnen , ein Zufall von
dem ſich in der roͤmiſchen Geſchichte ſelbſt unter den Pa-
triciern vielleicht kein einziges Beyſpiel findet : auch hat
Plutarch den Ritteroberſten des Jahrs 387 , welcher nach
Livius eben jener ehemalige Militartribun war , fuͤr den
Volksfuͤhrer gehalten . Doch dem widerſpricht daß je-
des andere Amt mit dem Volkstribunat unvertraͤglich
ſcheint Plutarch Camill. p. 130. B. Livius VI. c. 39. Panvi-
nius im Commentar zu den Faſten . Er konnte noch nicht
wiſſen daß auch Dio Caſſius fr. 33. ed. Reim . den Tribun
C. Stolo und den Ritteroberſten unterſcheidet . . Kann man alſo Beaufort auch dieſes nicht
einraͤumen , ſo hat doch der Erfolg eines nahen Verwand-
ten dem Eidam eines Fabius ſichrere Ausſichten gege-
ben als irgend ein andrer Plebejer haben konnte , und
ſelbſt fuͤr Albinier , Antiſtier und Sextilier war dieſer
Ehrgeiz ſogar in jener Zeit ( 376 ) nicht hoffnungslos .
Im Jahr 378 wurden C. Licinius Stolo und L.
Sextius zu Volkstribunen erwaͤhlt . Jenen muͤſſen wir
als die Seele der Unternehmung anſehen zu der beyde
verbunden waren , weil die Gefetze ſeinen Nahmen fuͤhr-
ten : auch nennt ihn die Tradition als den der die Hitze
des Kampfs trug : obgleich ſein College zuerſt durch das
Conſulat belohnt ward . Alles was fruͤhere Tribunen ein-
zeln ohne Erfolg gefordert hatten , umfaßten ihre An-
traͤge ; denn , was Klugheit geſchienen hatte , entweder
nur Macht fuͤr die plebejiſchen Ritter , oder Vortheil ,
vorzuͤglich fuͤr das Volk , zu fordern , und beydes mit
ſcheuer Maͤßigung , war Urſache geworden daß jeder ein-
zelne Antrag fiel , oder in ſeinen Folgen vereitelt ward .
Dauernder Erfolg , und ein Ende des elenden Zuſtandes in
Y 2
dem die Republik krankte , war nur dadurch moͤglich daß
Alles gewonnen ward . Denn ohne einen plebejiſchen
Conſul waͤre kein Geſetz uͤber das Gemeinland ausge-
fuͤhrt worden : ohne deſſen Beſteurung und ohne Her-
ſtellung des Wohlſtands blieb das Volk verzweiflungs-
voll gleichguͤltig uͤber jede Maaßregel welche die Erhal-
tung der Republik forderte , und der Staat ſchwand
hin . Auch ward freylich wohl durch die Geſammtheit
der Geſetze eine heftigere Erbitterung erregt : aber die-
ſer waren die Tribunen durch unermuͤdliche Ausdauer zu
begegnen entſchloſſen : der Widerſtand gegen alle liciniſche
Rogationen konnte nicht hartnaͤckiger ſeyn als er gegen
jede einzelne erhoben ſeyn wuͤrde . Sehr ruhig konnten
die Tribunen die Drohung eines Buͤrgerkriegs und ge-
waltſamen Widerſtands vernehmen , ſobald das Volk
ſich gewoͤhnte als ein Mann um ſie verſammelt zu ſte-
hen , wie die Patricier durch den Senat vereinigt waren .
Es iſt fruͤher eroͤrtert , wie wahrſcheinlich es ſey
daß durch die zwoͤlf Tafeln diejenigen unter den Clien-
ten der Patricier welche caͤritiſches Buͤrgerrecht hatten
in die Tribus aufgenommen , und nach Errichtung der
Cenſur darin eingeſchrieben ſeyen : es iſt angedeutet wie
ſichtbar , und ſonſt unerklaͤrlich , der Geiſt der plebeji-
ſchen Gemeinde ſeitdem veraͤndert erſcheine Th. II. S. 196. 197 . . Nur
dadurch wird auch der Einfluß der Patricier auf die
tribuniciſchen Wahlen zur Zeit der liciniſchen Rogatio-
nen begreiflich , wo anfaͤnglich acht Tribunen die Oppo-
ſition bildeten : anſtatt jener Eintraͤchtigkeit der alten
Zeit : und die Unſchluͤſſigkeit der noch unter Canulejus
ſo heftig entſchiedenen Volksgemeinde . Waren aber die
Comitien durch jene Veraͤnderung gezaͤhmt , ſo vermin-
derte ſich hingegen auch die Macht der Patricier all-
maͤhlig durch die naͤmliche Urſache . Wie patriciſche Fa-
milien ausſtarben wurden ihre Clienten jetzt freye Ple-
bejer ; das Band der Abhaͤngigkeit mußte ſich loͤſen wie
der tribuniciſche Schutz es entbehrlicher machte ; und
die Vermiſchung der Clienten in den Tribus mußte ſie
von den Schutzherren ihrer Vorfahren entfernen , mit
den Plebejern vertraut machen . Der Proceß des Ca-
millus zeugt von der Unabhaͤngigkeit womit auch ſie ,
ihren Buͤrgereiden getreu , ſelbſt uͤber ihre Patrone rich-
teten , ein Fall den das alte Geſetz nicht geahndet hatte ,
und wie ſie ihre eigenthuͤmlichen Verpflichtungen mit
ihren Buͤrgerpflichten vereinigten . Ein blindes Werk-
zeug , eine fuͤr die Patricier geruͤſtete Schaar , waren ſie
ſchon laͤngſt nicht mehr als Licinius auftrat ; und dieſer
Vortheil war groͤßer fuͤr die Sache der Freyheit als die
Verzoͤgerung des Entſchluſſes der Comitien , den aller-
dings der Einfluß der Patricier aufhalten konnte .
Nicht den patriciſchen Stand aufzuheben , wie zu
Athen , noch weniger ihm die Buͤrgerrechte zu rauben , wie
es zu Florenz und in andern italieniſchen Republiken ge-
ſchehen iſt Ueber dieſe ſchreyende Ungerechtigkeit , und wie ſie ſich
geſtraft , noch mehr deswegen ſtrafen mußte weil die italie-
niſchen Plebejer unkriegeriſche Kraͤmer und Handwerker wa-
ren , der Vorrang unter ihnen nur durch Reichthum be- , verlangten die Plebejer : nur daß beyde
Staͤnde neben einander , gleichberechtigt , die Souverai-
netaͤt theilen und den Staat verwalten ſollten . Daß
ſehr lange nachher der patriciſche Stand faſt erloſch ,
und ſeine politiſche Abſonderung verlohr , war nicht we-
niger nothwendige Folge der abſoluten Geſchloſſenheit
und Unergaͤnzbarkeit der Zahl ſeiner Geſchlechter , als
der herrſchend gewordenen , viel eitleren , Anſpruͤche der
plebejiſchen Nobilitaͤt und der ungluͤcklichen Einfuͤhrung
des Geldadels : dafuͤr aber iſt das liciniſche Geſetz nicht
verantwortlich . Eingeraͤumt war die gleiche Theilung
der Regierung in Hinſicht der Decemvirn und urſpruͤng-
lich der Militartribunen ; aber nicht nur wurden die
Stellen der Plebejer viele Jahre lang gegen das Geſetz
nicht ernannt , ſondern ehe ſie ſich einige Wahlen er-
rangen ſcheint verordnet zu ſeyn daß alle Stellen ohne
Unterſchied aus beyden Staͤnden , oder abwechſelnd , be-
ſetzt werden ſollten . Jenes konnte ein groͤßeres Recht
ſcheinen , aber nur zwingende Noth verſchaffte ihnen den
Genuß : und das Conſulat war unſtreitig eine weit beſ-
ſere Verfaſſung als ein zahlreiches Collegium von hoͤchſten
Regenten . Das erſte liciniſche Geſetz verordnete : daß hin-
fort nicht mehr Militartribunen ſondern Conſuln erwaͤhlt
werden ſollten , aus den Patriciern und dem Volk : einer
von beyden muͤſſe nothwendig aus dieſem ernannt werden .
ſtimmt ward , redet Machiavelli vortrefflich am Eingang
des dritten Buchs ſeiner Geſchichte , dagegen die weiſe Ge-
rechtigkeit der Roͤmer vergleichend . Sehr lehrreich iſt Sis-
mondis hiſtoriſche Darſtellung der revolutionnairen Tyran-
ney gegen den Adel , T. IV. ch. 25. T. V. ch. 36 .
Viele unter den Patriciern , wenn ſie auch nicht
mehr den alten Wahn einer hoͤheren Kaſtenabſtammung
hegten , konnten dieſem Antrage mit redlicher Meinung
ihres wohlbegruͤndeten ſtrengen Rechts auf das Aeußerſte
widerſtehen . Nicht weniger redlich konnten Plebejer ,
ohne den Vorwurf des Eigennutzes zu verdienen , ihre
Anſpruͤche auf volles Buͤrgerrecht , bekraͤftigt durch zwey-
hundertjaͤhrigen Dienſt , uͤber Satzungen ſtellen , welche
das lange nachher entſtandene nicht binden konnten : wenn
nicht ſchon an ſich Veraͤnderung und Wandel dem Leben
ſo nothwendig waͤren als daß die Veraͤnderungen aus dem
urſpruͤnglichen Keim ſich entwickeln , oder dem was er ſich
angeeignet . Die Weisheit eines Geſetzes bewaͤhrt unwi-
derſprechlich oft nur die Erfahrung . Livius laͤßt dem
Tribun ſcheinbar treffend einwenden : wenn der groͤßte
Mann des Zeitalters , in der dringendſten Gefahr zum Heil
des Vaterlands um das Conſulat werbend , ein Patricier
waͤre , — ſein Appius konnte nur Camillus nennen , wir
denken fuͤglicher an den großen Scipio , — wenn er mit
verdienten Patriciern und einem einzigen nichtswuͤrdi-
gen plebejiſchen Demagogen die Magiſtratur ſuchte , ob
es alsdann nicht unſinnig ſey daß er ſeiner Erwaͤhlung
ungewiß ſeyn , vielleicht ſie verfehlen muͤſſe , waͤhrend der
Plebejer ſie muͤßig erwarten koͤnne ? Der Geſchichtſchrei-
ber der eine ſolche Einwendung unbeantwortet hinſtellt ,
verfaͤhrt unredlich , weil er Leſer erwarten kann welche
das willkuͤhrlich oder nachlaͤſſig unbeantwortete fuͤr unwi-
derleglich halten . Er haͤtte Licinius die Antwort leihen
muͤſſen : in Rom wuͤrden aus beyden Staͤnden noch lange
nur im Krieg erprobte Maͤnner ſich um’ das Conſulat be-
werben duͤrfen : des groͤßten Feldherrn plebejiſcher Mit-
bewerber werde dem patriciſchen nicht nachſtehen , wenn
auch beyde ſeiner Groͤße ſich nicht vergleichen koͤnnten .
Aber auch ein Plebejer koͤnne eben ſowohl dieſer Held ſei-
ner Zeit ſeyn , wenn ihm nur nicht der belebende Sonnen-
glanz freyer Obermacht entzogen wuͤrde : und einen ſol-
chen wollten die Patricier der Republik ganz rauben , ihn
nur dann dienſtbar dulden wenn ein patriciſcher Conſul
die Geneigtheit haben moͤchte ihn zu befragen und zu hoͤ-
ren . Auch waͤre die Beſtimmung welche man angreife nur
wegen der Erfahrung unverbeſſerlicher Treuloſigkeit noth-
wendig . Verfuͤhre der erſte Stand redlich , dann moͤchte
die Wahl der Wuͤrdigſten unter den Buͤrgern ohne alle
Beſchraͤnkungen des Buchſtabens erlaubt und empfohlen
werden , obgleich keine freye Verfaſſung den Buchſtaben
entbehren koͤnne . Wer aber duͤrfte nach ſolchen Erfahrun-
gen an die gute Treue der Patricier glauben ? Gluͤcklich
die Republik wenn auch der heilig beſchworene , aͤngſtlich
abgewogene Buchſtabe dieſes Geſetzes gegen freche Ver-
letzung ſicher ſeyn wuͤrde ! Waͤre einſt der alte ſtaͤndiſche
Geiſt in allgemeine Vaterlandsliebe aufgeloͤßt ; kaͤmen
dann pruͤfende Tage des Ungluͤcks ; dann koͤnne der beſſere
Enkel fuͤr eine Zeit die Feſſeln des Geſetzes loͤſen . Eine
Niederlage ſogar ſey ertraͤglicher als Knechtſchaft , und
verkruͤppelnde Einzwaͤngung des lebensvollen Koͤrpers .
Woher aber dieſe dunkeln Beſorgniſſe plebejiſcher Unfaͤ-
higkeit und Untugend ? Doch nicht aus der Erfahrung ;
denn in dem einzigen Zeitraum wo es den Patriciern nicht
gelungen ſey ſie von der Fuͤhrung der Heere auszu-
ſchließen , haͤtten plebejiſche Conſulartribunen auf dem
naͤmlichen Boden geſiegt , der durch die verſchuldete
Niederlage ihrer patriciſchen Vorgaͤnger traurig gewor-
den war . Wer bey Allia dem Heer geboten habe ? Und
im ſchlimmſten Fall biete die Verfaſſung ſelbſt die Ret-
tung dar : durch die Dictatur , welche an keinen Stand
gebunden ſeyn ſolle . Denn auch aus den Plebejern wuͤr-
den Maͤnner erſtehen die als Dictatoren ihr Vaterland ret-
ten , es nicht bedrohen , noch Waffen die fuͤr den Feind
beſtimmt waren gegen die Buͤrger wenden wuͤrden .
Weiſe habe der roͤmiſche Staat von Alters her gan-
zen Gemeinden die Civitaͤt verliehen um eine Buͤrgerſchaft
zu einer großen Nation zu erweitern . Fuͤr hoͤhere Zwecke
als ſeit der patriciſchen Alleinherrſchaft gefaßt waͤren ,
werde eine weit groͤßere Ausdehnung dieſes Syſtems noth-
wendig ſeyn . Koͤnne man denn aber die verbuͤrgerrechte-
ten Voͤlker an das neue Vaterland mit Liebe binden wenn
ihrem Ritterſtand alle Ehren verſagt wuͤrden ? Und wenn ,
wie ſchon patriciſche Geſchlechter ausgeſtorben waͤren ,
ihre Zahl fortdauernd abnaͤhme , wenn man die Plebejer
gewaltſam von allem edeln Emporſtreben abhielte , ihre
Reichen zum Gelderwerb als Beſchaͤftigung hinwieſe , die
Erneuerung des erſten Standes durch reinitaliſche edle
Geſchlechter hindere , wenn aufgenommene Freygelaſſene
den Stamm der Nation verfaͤlſchten , duͤrfe dann das
Maaß der Geiſtesgroͤße und Tugend der noch uͤbrigen Pa-
tricier den Beruf der Republik beſtimmen ? Jede Erfah-
rung lehre daß Oligarchieen nicht ſchleuniger an Zahl als
an geiſtiger Kraft ausſtuͤrben . Dies moͤge dem gleichguͤl-
tig ſcheinen , dem Herrſchaft und Bereicherung in ſeinen
Tagen genuͤge ; aber wie wolle man verhindern , daß , wie
es ſo vielen griechiſchen Republiken geſchehen ſey , eine
halb ausgeſtorbene und immer mehr tyranniſche Oligar-
chie durch eine blutige Demokratie oder einen Tyrannen
vertilgt werde ? Vielleicht wuͤrde dieſe Revolution ſehr
nahe ſeyn . Aller Seegen zukuͤnftiger Groͤße , den die Goͤt-
ter in die Augurien der Stadt , bey ihrer Geburt und der
Gruͤndung des Capitols , gelegt , wuͤrde dann auf ewig
untergehen . Schon lange leide und ſieche der Staat weil
er in einem unnatuͤrlichen Zuſtand lebe . Befreyt von die-
ſem , eintraͤchtig in ſich , geſtaͤhlt durch die innere Kraft
wodurch er ſich ſein geſundes Leben hergeſtellt haben
werde , ſey er zu jeder Groͤße berufen .
Dieſes alles haͤtte Licinius , ohne den Geiſt der Weiſſa-
gung zu haben , ſagen koͤnnen : ſo mußte Livius aus ſei-
ner Seele reden , wenn er hier redende Eroͤrterung an-
gemeſſen fand . Denn die ſpaͤtere Geſchichte Roms be-
waͤhrt daß neben unendlichem Segen auch kein einziger
Nachtheil aus dieſem Geſetz entſtanden iſt . Plebejer wa-
ren die Decier die ſich als Suͤhnopfer fuͤr das ganze Volk
hingaben Bauerngeſchlecht war der Decier Stamm , plebejiſche
Seelen
Waren ſie nur : fuͤr Quiriten jedoch , und die ſaͤmmt-
liche Heerſchaar ,
Fuͤr die Verbuͤndeten all , und fuͤr Latiums kaͤmpfende
Jugend , : es waren Plebejer welche Pyrrhus erſt
aufhielten , dann beſiegten : ein Plebejer unterwarf die
Gallier Italiens : derſelbe hemmte Hannibals Siege :
ein Plebejer vertilgte die Cimbern und Teutonen , der
baͤuriſche Feldherr aus der Inſtenhuͤtte Auch er war Arpiner , gewohnt auf Volskergebirgen
Tagelohn , ermuͤdet an fremdem Pfluge , zu fordern .
Blutend brach ſeine Scheitel alsdann den knotigen
Rebſtock ,
Wenn er im Feld ſaumſelig geſchanzt mit zoͤgerndem
Beile .
Doch er iſts , der die Cimbern beſteht : der die nahe
Vertilgung
Wendet von uns : und allein er ſchirmt die bebende
Hauptſtadt .
Als zu dem Wahlplatz nun und der Cimbern Staͤtte die
Raben
Flogen herbey : — nie nagten ſie je ſo gewaltige Rie-
ſen : —
Schmuͤckt ein geringerer Lorbeer den hochgebohrnen
Collegen .
Juvenal ebend . v. 245—253 . : ein plebeji-
ſcher Conſul rettete Rom gegen die Verſchworenen Ca-
tilinas : Plebejer waren die Catonen , die Gracchen , und
Brutus . Scipio der Große allerdings war Patricier ,
und er ragt uͤber ſeiner Nation hervor wie Hannibal
uͤber allen Voͤlkern . Die Aemilier , die Valerier , die
Sulpicier , die Fabier , noch neben den Scipionen andere
Familien der Cornelier , zaͤhlten Maͤnner die zu den er-
Nahmen die Todtengoͤtter ſie hin , und Erde , die Mutter .
Denn ihr Werth war hoͤher denn alles was ſie gerettet .
Juvenal VIII. v. 254—258 .
ſten der Republik gehoͤrten . Ihre Bilder ſtehen fried-
lich neben denen der großen Plebejer : auf den Thaten
eines jeden erhob ſich der andere zu neuen Hoͤhen . Alle
entarteten allmaͤhlich im Beſitz der Uebermacht , und in
der Gewalt des ſeelenbeherrſchenden Reichthums . Aber
die Municipien verjuͤngten das Volk mit neuen Fami-
lien : die Patricier , mit Ausnahme weniger Geſchlechter ,
die um ſo ſchoͤner glaͤnzen , verdarben ſo tief wie es die
Verſchwoͤrung des Catilina zeigt ; deren Haͤupter , er ſelbſt ,
Lentulus und Cethegus , alle Patricier waren : daher Cor-
nelius Severus ſie mit dem ſchrecklichen Nahmen des pa-
triciſchen Verbrechens bezeichnet Patricium nefas . Bey M. Seneca Suasor . 6. .
Eine zweyte Rogation wodurch den Plebejern bisher
verſagte Ehren gefordert wurden , gehoͤrt ſo nothwendig
zum Ganzen dieſer Geſetzgebung , daß man wohl ver-
muthen darf , ihre Promulgation werde faͤlſchlich auf
das Jahr 387 geſetzt . Die Sibylliniſchen Buͤcher wur-
den von zwey Vorſtehern bewahrt , welche fuͤr die Zeit
ihres Lebens , urſpruͤnglich von den Koͤnigen , damals
vielleicht von den Conſuln , vielleicht von den Curien
ernannt wurden . Sie waren fuͤr die Sicherheit der hei-
ligen Buͤcher gegen Veruntreuung und Neugierde ver-
antwortlich : durch ſie ließ der Senat dieſe Urkun-
den befragen , und ſie leiteten die Ausfuͤhrung der von
den Orakeln gebotenen Feyerlichkeiten ; auch weihten ſie
Tempel die auf ihr Gebot errichtet waren . Ihre Wuͤrde
war kein Prieſteramt , ſie wird von Dionyſius nicht mit
den acht patriciſchen Prieſtercollegien aufgefuͤhrt ; daher
die Amtsfaͤhigkeit der Plebejer nicht unter dieſem Vor-
wand beſtritten werden konnte . Licinius erhob ihre Zahl
auf ein Collegium von zehn Maͤnnern , zur Haͤlfte Ple-
bejer : und wahrſcheinlich uͤbertrug er zuerſt ihre Wahl
der Nationalgemeinde .
Die dritte Rogation enthielt das liciniſche Acker-
geſetz .
Das agrariſche Recht .
Vor nicht ſehr langer Zeit waͤre es in jedem , nicht
ausſchließlich fuͤr den Philologiſchgelehrten , geſchriebenen
Werk , um die entſetzlichſte Mißdeutung zu verhindern ,
nothwendig geweſen mit großer Sorgfalt zu erweiſen ,
daß die Ackergeſetze der Tribunen das Landeigenthum
nicht betrafen . Jetzt erlauben uns bekannte , aus Ap-
pian und Plutarch verfaßte , Erzaͤhlungen der gracchi-
ſchen Unruhen , als ſchon eingeraͤumt vorauszuſetzen daß
kein tribuniciſches Ackergeſetz dieſes heilige Recht ver-
letzte : doch iſt es an ſich wichtig zu betrachten wie zwey
große Denker uͤber die roͤmiſche Geſchichte jene falſche
und ſchreckliche Anſicht gefaßt haben . Ihre Kuͤhnheit
das verwegen Frevelhafte des vermeinten allgemeinen
Heils wegen mit Beyfall zu beſchauen , moͤchten wir
nicht theilen : doch iſt ſie vielleicht verzeihlich : an dem
einen weil er in einer ſeit Jahrhunderten unaufhoͤrlich
erſchuͤtterten , und an jede Kraͤnkung des foͤrmlichen
Rechts gewoͤhnten Republik : an dem andern weil er in
einem Zeitalter lebte welches ſeiner Ruhe uͤberdruͤſſig ,
und , mit Revolutionen ſeit Menſchenaltern unbekannt ,
nach ihnen als einer Wuͤrze luͤſtern war . Aber auch
der groͤßte Geiſt traͤgt die Form und die Krankheit ſei-
nes Zeitalters .
Machiavelli Machiavelli Discorsi I. c. 37. glaubte ſchlechthin daß die Acker-
geſetze ein Maaß der Groͤße des Privatlandeigenthums
beſtimmten , und dasjenige welches die Reichen mehr
beſaßen den Armen zutheilten . Er ſetzt hinzu , es ſey
fuͤr einen jeden Freyſtaat nothwendig daß er reich ſey ,
ſeine Buͤrger aber arm : und es ſcheine daß die dazu noͤ-
thigen Geſetze in den fruͤheren Zeiten Roms entweder gar
nicht oder unvollkommen angeordnet geweſen , oder daß
ſie allmaͤhlich entartet waͤren . Er ſieht ferner in den Ak-
kergeſetzen zwar die Veranlaſſung des Untergangs der Re-
publik : aber in dem Kampf uͤber ſie den Hauptgrund ih-
rer ſo langen Erhaltung .
Montesquieu Montesquieu Considerations ch. 3 . nimmt die Sage bey Dionyſius als
hiſtoriſch an , daß Romulus die roͤmiſche Landſchaft unter
die erſten Anſiedler in gleichen kleinen Looſen vertheilt
habe . In dieſe Gleichheit ſetzt er die Kraft Roms : und
die tribuniciſchen Bewegungen ſind , nach ſeinem Urtheil ,
wie die Revolutionen des Agis und Kleomenes , ein Ver-
ſuch erloſchene Geſetze herzuſtellen , und die Verfaſſung auf
ihre Grundideen zuruͤckzufuͤhren .
Aber der Satz daß alle Ackergeſetze nur den Ager pu-
blicus , das Gemeinland oder die Domaine , betrafen , iſt
nicht nur unfruchtbar ohne weitere Entwickelung , ſon-
dern die welche man aus den ſchon genannten beyden
Hauptſchriftſtellern gezogen hat , ſo verworren , unbegreif-
lich und voll Widerſpruͤche , daß dem Nachdenkenden
nichts unklareres vorkommen kann . Vergebens ſucht er
Licht im roͤmiſchen Recht ; kaum entdeckt er einige Bezie-
hungen : kein Civiliſt hat den Gegenſtand eroͤrtert .
Schon im erſten Bande meiner Geſchichte mußte ich
der ſtrengern Unterſuchung durch einige Erwaͤhnungen
voreilen , um das erſte Ackergeſetz begreiflich zu machen .
Ich habe von dem Grundſatz der Erwerbung des Ge-
meinlands , und ſeiner Benutzung geredet Th. I. S. 116. 450—452 . .
Alles eroberte Land ward Eigenthum des ſiegenden
Staats Pomponius l. 20. D. de captivis et postlim . Publica-
tur is ager qui ex hostibus captus sit . : hatten es die Ueberwundenen fruͤher einem
andern Volk entriſſen , ſo blieb deſſen Recht erloſchen Das geſchah mit den cimbriſchen Eroberungen galliſcher
Landſchaften . :
war es aber roͤmiſch geweſen , ſo kehrte es dem Herrn wie-
der zuruͤck Pomponius a. a. O . . Gewaltſame Einnahme , oder Dedition ,
wie es ſchon deren Formel darthut Th. I. S. 351 . , oder Abtretung
durch Friedensſchluß , waren die Arten der Erwerbung .
Und wie alles Eigenthum vom Staat ausgegangen war ,
ſo konnte dieſer auch ohne Entſchaͤdigung die Privatgrund-
ſtuͤcke in einer Landſchaft abtreten . Falſch aber iſt es
daß alle Laͤndereyen in den Provinzen Eigenthum des
roͤmiſchen Staats geweſen waͤren : nur in Italien war
Befreyung von einer Ertragsſteuer der ſichere Charakter
eigenthuͤmliches Landes Aggenus p. 47. ed. Goesii . Omnes etiam privati agri
( in provinciis ) tributa atque vectigalia persolvunt . Cicero
adv. Rullum I. c. 4. Si Recentoricus ager privatus est . . In den Provinzen , — wie
in Sicilien , — zahlten die Laͤndereyen der verbuͤndeten
und freyen Staͤdte keine Abgaben , ſie genoſſen italiſche
Immunitaͤt : aber die in den abhaͤngigen Orten waren
nicht weniger Privateigenthum , obwohl zehentpflichtig ,
freylich nach fremdem und allgemeinem , nicht nach qui-
ritariſchem Recht . Nur von einzelnen Landſchaften
hatte Rom durch Eroberung des Grundeigenthum ge-
wonnen Cicero Verrina frument . c. 6. .
Auch die Saracenen gaben dem Eroberungsrecht
dieſelbe Ausdehnung und Beſchraͤnkung . In Staͤdten
die ſich unterwarfen blieb das Grundeigenthum , aber
nicht in denen die mit dem Schwerdt erobert waren , und
der Feldherr erklaͤrte daß ſelbſt die Bekehrung zum Islam
es den Einwohnern von Circeſium nicht erhalte ; ſie muͤß-
ten pachten Mohammed Elwakedi Geſchichte der Eroberung von Me-
ſopotamien . . In Indien , wie in der That in ganz
Aſien und im alten Aegypten , traͤgt alles Landeigenthum
den Charakter des roͤmiſchen Ager publicus : der Lan-
desherr iſt es im ſtrengſten Sinn , und aller Privat-
beſitz nur darin verſchieden ob er ſeinen Antheil vom
Ertrag einfordert , oder erlaͤßt , oder verſchenkt Nur das Geſchenk dieſes landesherrlichen Antheils , nicht .
Von
Von der vielfachen und verſchiedenartigen Maſſe des
roͤmiſchen ſo erworbenen Staatseigenthums muͤſſen wir
bey der ferneren Unterſuchung alles ſondern was nicht
Acker , im weiteſten Sinn , iſt . Denn ganze Staͤdte mit
allen ihren Gebaͤuden gehoͤrten zu dieſem Eigenthum , For-
ſten , Bergwerke , Steinbruͤche , Salinen . Von dieſen
laͤßt ſich nur Verpachtung derſelben Art denken wie ſie al-
lenthalben fuͤr Kammerguͤter Statt findet , denn Regie
iſt niemals zu Rom fuͤr irgend einen Gegenſtand der
Staatseinkuͤnfte geweſen , obwohl unveraͤnderliche in
Geld beſtimmte Abgaben gradehin erhoben und abgelie-
fert wurden . Zoͤlle und Acciſe wurden nothwendig an
Speculanten verpachtet .
Bey dieſer herrſchenden Verbreitung des Verpach-
tungsſyſtems in der roͤmiſchen Verwaltung , und da auch
in Beziehung auf die Domaine von Pacht und Pachtern
die Rede iſt , und der Rahme und Begriff des Ager publi-
cus das fortwaͤhrende Eigenthum des Staats enthaͤlt , ſo
iſt nichts natuͤrlicher als daß Neuere vorausſetzten , gleich
den Staaten unſerer Zeit habe die Republik ihre Domaine
verpachtet . Plutarch ſchon glaubte es Plutarch , Gracch. p. 327 . , und ſeine
Meinung hatte ein ſehr unverdientes Gewicht , denn nur
zu lange iſt es uͤberſehen wie ſchwach das Urtheil und wie
ſeicht die Kenntniſſe dieſes ſonſt liebenswuͤrdigen Schrift-
des Bodens zu Vorwerken , iſt auch in der alten Geſchichte
zu verſtehen , wenn der große Koͤnig Landſchaften an The-
miſtokles zur Haushaltung oder an Paryſatis zum Schmuck
ſchenkt .
Zweiter Theil. Z
ſtellers ſind . Andere Stellen von groͤßerer Autoritaͤt
konnten den Schein verſtaͤrken , aber dieſer weicht allent-
halben einer ſtrengeren Erklaͤrung .
Die Nichtigkeit der plutarchiſchen Nachricht ergiebt
ſich aus ihrer Pruͤfung allein , deren die Unwiſſenheit
eines griechiſchen Sophiſten kaum wuͤrdig iſt . Wir wiſ-
ſen wenigſtens das gewiß daß die Abgabe vom Ge-
meinland auf eine beſtimmte Quote der Erndte feſtgeſetzt
war : ſo daß allerdings ihr Ertrag , in Hinſicht auf die
Ergiebigkeit und die Getreidepreiſe waͤhrend fuͤnf Jahren ,
ein Gegenſtand der Speculation und des Mehrgebots ſeyn
konnte , keineswegs aber die Abgabe ſelbſt . Es iſt ſogar
uͤberfluͤſſig gegen Plutarch zu bemerken , daß der Reiche
welcher einen großen Beſitz zu vereinigen ſucht , nie ſo viel
von einem kleinen Grundſtuͤck zahlen kann als der Bauer
der mit eigenen Haͤnden arbeitet : und eine Combination
mit eigenem Verluſt die Klaſſe der kleinen Beſitzer auszu-
rotten wird man nicht annehmen . Wie vereinigt man
Luſtralpacht und einen durch Erbe oder Kauf ſeit Jahr-
hunderten uͤbertragenen Beſitz Cicero de offic. II. c. 22. Quam autem habet æquita-
tem ut agrum multis annis , aut etiam seculis ante pos-
sessum , qui habuit amittat ? c. 23 . Ut cum ego emerim ,
ædificaverim , tuear , impendam , tu , me invito , fruare
meo ? Appian de bell. civil. p. 355. A. B. ed. Steph . ? Bey der Verpach-
tung des Bodens waͤre ferner eine Uebertretung des Maa-
ßes , ſobald es einmal vorgeſchrieben war , unmoͤglich ge-
weſen , wenn ein einziger patriotiſcher Cenſor die Regiſter
unterſuchte . Und welche Vorſtellung muß man von dem
Umfang der Geſchaͤfte der Cenſur haben , um es moͤglich
zu finden daß die unermeßlichen Domainen in kleinen
Parcelen haͤtten verpachtet werden koͤnnen ? Man muͤßte
alſo nothwendig offenbare Verpachtungen weitlaͤuftiger
Diſtricte , nicht von fuͤnfhundert , ſondern von vielen tau-
ſend Jugern , annehmen , welche dann die Generalpachter ,
wenn ſie gewollt , in kleine Beſitzungen zerſchlagen haͤtten .
Fuͤr dieſe Meinung ſcheint eine Stelle des Hyginus
anwendbar , welche von Verpachtung oder Verkauf auf
hundert Jahre redet Hyginus de condit . agr. p. 205. ed. Goësii . Qui super-
fuerant agri vectigalibus subjecti sunt , alii per annos qui-
nos , alii vero mancipibus ementibus , id est conducenti-
bus , in annos centenos . — Mancipes autem qui emerunt
lege dicta jus vectigalis , ipsi per centurias locaverunt aut
vendiderunt proximis quibusque possessoribus . . Aufmerkſam gefaßt iſt ſie viel-
mehr fuͤr die wahre Meinung wichtig , und redet unzwey-
deutig nur von dem Verkauf der dem Staat gebuͤhrenden
Steuerquote ( des jus vectigalis ) , woruͤber der General-
pachter ſich oft fuͤr die ganze Dauer ſeines Contracts mit
den Steuerpflichtigen vereinigen mochte . Verkauf iſt der
eigentliche Ausdruck fuͤr cenſoriſche Location S. die unten Anm. 466. angefuͤhrte Stelle aus Feſtus . , und von
einer jaͤhrlich zu erlegenden Summe , nicht von einem Ca-
pital zu verſtehen , wodurch der Kaͤufer eine Annuitaͤt er-
langt , der Verkaͤufer die Revenuͤe anticipirt . Von einem
Manceps , und Verkauf durch Mancipation , koͤnnte bey
einem Pachtcontract uͤber den Boden die Rede nicht ſeyn :
allerdings aber wurden Rechte an laͤndliche Grundſtuͤcke ,
Z 2
wohin das Recht der Erhebung einer Steuer vom Ertrag
gehoͤrt , durch Mancipation veraͤußert Ulpian tit. XIX. §. 1. Der ager publicus war fuͤr
die Republik allerdings Gegenſtand der Mancipation ;
er ward durch die Quaͤſtoren verkauft . . Unter der
Republik findet ſich keine Erwaͤhnung einer Verpachtung
der Staatseinnahme auf laͤngere Zeit als ein Luſtrum : es
ſcheint allerdings Neuerung aus einer Zeit worin die Cen-
ſur aufgehoͤrt hatte , aber nach Veſpaſtan kann ſie auch
nicht befremden .
Eine Stelle Appians Appian bell. civil. I. p. 353. B. ed. Steph . ἐπίπρασκον ἢ
ἐξεμίσϑουν . nennt freylich auch Ver-
pachtung unter den Arten der Verfuͤgung uͤber die Do-
maine , allein im Gegenſatz der Beſitzbenutzung , und
muß auf die den alten Eigenthuͤmern ſteuerpflichtig gelaſ-
ſenen , oder die zu einer wahren Verpachtung geeigneten
Gegenſtaͤnde bezogen werden . Auch Polybius Polybius VI. c. 17. Πολλῶν γὰρ ἔργων ὄντων τῶν ἐκδι-
δομένων ὑπὸ τῶν τιμητῶν — πολλῶν δὸ ποταμῶν , λιμέ-
νων , κηπίων , μετάλλων , χώρας . redet
in Ausdruͤcken welche Mißverſtaͤndniß veranlaſſen koͤnnen .
Er beruͤhrt aber den Gegenſtand ſo ganz gelegentlich
daß die nothwendig umſtaͤndliche Erklaͤrung einer den
Griechen nicht weniger als uns fremden Einrichtung un-
paſſend , und ein ſchwankender Ausdruck angemeſſener
war . Wie er unter den verpachteten Gegenſtaͤnden Haͤ-
fen nennt , die es doch nur in Hinſicht ihres Ertrags
durch die Zoͤlle wurden , ſo konnte er auch Laͤndereyen
auffuͤhren in Beziehung auf die Abgabe von ihrem
Ertrage .
In dem angeblichen Senatusconſult uͤber das Ge-
meinland zur Zeit der caſſiſchen Ackerbewegungen , bey
Dionyſius Dionyſius VIII. c. 73 . , wird die fuͤnfjaͤhrige Verpachtung des
nichtverkauften und nicht aſſignirten Theils verordnet .
Die Beſtimmung des Ertrags — Sold zu zahlen — ,
iſt , was nach Livius ſpaͤter der Zweck eines alten Vor-
ſchlags war Ertragsſteuer vom Gemeinland zu erhe-
ben . Bey Dionyſius iſt ein Mißverſtaͤndniß um ſo we-
niger auffallend , und um ſo weniger darf es uns auf-
halten , da er an derſelben Stelle das ungetheilte Ge-
meinland limitiren laͤßt ; waͤhrend die regelloſe Occupa-
tion deſſen entſchiedener Charakter war .
Es iſt nicht zu tadeln wenn man dem evidenteſten
innern Beweiſe wegen einer ausdruͤcklichen Aeußerung
claſſiſcher Schriftſteller ſeinen Glauben verſagt . So
koͤnnte die Unbegreiflichkeit und ſcheinbare Widerſinnig-
keit der Verpachtung des Bodens eingeraͤumt , und den-
noch eine Stelle bey Livius Livius XLII. c. 19. M. Lucretius legem promulgavit ,
ut agrum Campanum censores fruendum locarent . als unwiderleglich ange-
fuͤhrt werden . Doch auch dieſe erklaͤrt ſich aus einem
wenig bekannten Sprachgebrauch . Cicero ſagt von den
ſiciliſchen Staͤdten , deren Land , obwohl an Rom ver-
fallen , ihnen wieder eingeraͤumt war , dieſes werde von
den Cenſoren verpachtet Cicero Verrina frum . c. 6. Perpaucæ Siciliæ civitates . Der Boden ſelbſt konnte
hier unmoͤglich Gegenſtand der Verpachtung ſeyn , der
war ja zuruͤckgegeben . Alſo nur der Antheil des Staats
am Ertrag So Feſtus s. v. Venditiones olim dicebantur censoriæ
locationes quod velut fructus publicorum locorum veni-
bant . So iſt dieſer Ausdruck auch im Edict zu verſtehen .
Ulpian l. 1. D. de loco publico fruendo . : und agrum Campanum fruendum
locare iſt ſo gleichbedeutend mit fructus agri Campani
locare oder vendere . Dies erlaͤutert ſich auch aus der
Erzaͤhlung von Einfuͤhrung der Acciſe zu Capua , und
ihrer Verpachtung Livius XXXII. c. 7. Censores portoria venalium Ca-
puæ — fruenda locarunt . . Die Habſucht der Einzelnen
hatte im campaniſchen Gefilde der Republik waͤhrend
dreyßig Jahren nicht eine Pacht ſondern den Zehenten
entzogen .
Der Sprachgebrauch beguͤnſtigte hier Zweydeutig-
keit : aber wenn er von der Location redet , daß ein Schein
entſteht als haͤtte ſie den Boden betroffen , ſo geſtattet
er dagegen nie entſprechend von einer Conduction zu
reden . Hier vielmehr wird er ſelbſt zum ſicherſten Be-
weis des wahren Verhaͤltniſſes . Vom Pachter kann nie
geſagt werden daß er ein Grundſtuͤck beſitze : Pachtung
und Beſitz einer Sache ſind widerſprechende Begriffe Marcellus l. 19. D. de adquir . v. amitt. possess . Ja-
volenus l. 21. eod. .
Beſitz aber und Beſitzer ſind in allen Erwaͤhnungen der
sunt bello a majoribus nostris subactæ : quarum ager cum
esset publicus P. R. factus , tamen illis est redditus . Is
ager a censoribus locari solet .
Ackergeſetze die eigenthuͤmlichen und zahllos wiederhohl-
ten Ausdruͤcke fuͤr die in der Domaine enthaltenen Land-
guͤter , und die welche , ihren Beſitz innehabend , weder
ihre Eigenthuͤmer noch Pachter waren Es braucht keiner vollſtaͤndigen Sammlung erweiſender
Stellen . Folgende bieten ſich dar ohne muͤhſeliges Nachſu-
chen . Cicero de off. II. c 22. Qui agrariam rem tentant
ut possessores suis sedibus pellantur . Siehe oben Anm. 457.
Livius II. c. 61. Ap. Claudio , causam possessorum publici
agri sustinenti . IV. c. 36. vectigali possessoribus agrorum
imposito . c. 51. Agrariæ legis quæ possesso per injuriam
agro publico Patres pellebat . c. 53 . si injusti domini pos-
sessione agri publici cederent . VI. c. 5. Nobiles in posses-
sionem publici agri grassari . c. 15 . nec jam possidendis
publicis agris contentos esse . c. 35. ne quis plus D ju-
gera possideret . Epitome LVIII. eben dieſes mit dem Zu-
ſatz ex agro publico . Florus III. c. 13. Reduci plebs in
agros unde poterat sine possidentium eversione — ? Pau-
lus l. 11. D. de eviction . Has possessiones ex præcepto
principali partim distractas , partim veteranis adsignatas .
( S. unten Anm. 497 . ) Auf die allerbuͤndigſte Weiſe unter-
ſcheidet Cicero adv . Rullum III. c. 3. die Poſſeſſionen vom
Eigenthum , unter andern : Sunt multi agri lege Cornelia
publicati , nee cuiquam assignati , neque venditi , qui a
paucis — possidentur . — hos privatos facit : hos — agros —
Rullus non vobis assignare vult , sed eis condonare qui
possident . Ferner : cum ea quæ vestra sunt condonari pos-
sessoribus videatis . : und immer
wird auf einen vieljaͤhrigen , ererbten oder erkauften ,
Beſitz gedeutet .
Ein jedes Landgut heißt prædium : aber nur das-
jenige deſſen Eigenthum dem Beſitzer gehoͤrt heißt , in
Beziehung auf ihn , ager : was wir in Beſitz haben , un-
ſer Eigenthum aber nicht iſt und nicht ſeyn kann , pos-
sessio . So ſagt Javolenus l. 115. D. de V. S. Auch im Geſetz des Rullus wurden
agri und possessiones ſich entgegengeſetzt . Cicero adv . Rul-
lum III. c. 2. : eine andere Definition
der roͤmiſchen Poſſeſſionen giebt Feſtus , welche mehrere
auszeichnende Merkmahle der Beſitzungen im Gemein-
lande enthaͤlt . Sie werden angegeben als weitlaͤuftige
Landguͤter , welche nicht durch Mancipation ſondern zur
Benutzung beſeſſen wuͤrden , und nach Willkuͤhr einge-
nommen waren Feſtus s. v. Possessiones appellantur agri late patentes
publici privatique , quia non mancipatione sed usn tene-
bantur , et ut quisque occupaverat collibebat . Die Lesart
iſt auch am Schluß ganz verdorben , aber der Sinn deutlich . . Verderbt iſt die Erklaͤrung durch
den Zuſatz privatique : welcher doch wahrſcheinlich vom
Feſtus ſelbſt iſt : Verrius mag geſagt haben , auch Privat-
grundſtuͤcke wovon man nur den Uſus nicht das Eigenthum
habe , wuͤrden Poſſeſſionen genannt . Richtig : aber die
uͤbrigen Beſtimmungen der Definition ſind den Domai-
nenguͤtern eigenthuͤmlich . Eine andere Definition , des
Aelius Gallus , faßt die Sache allgemein : Poſſeſſion ſey
der Uſus von Grundſtuͤcken im Gegenſatz des Eigen-
thums Feſtus s. v. Possessio . In dieſem Sinn iſt Lucrezens
bekannter Vers :
Vitaque mancipio nulli datur , omnibus usu .
Das Leben gehoͤrt zum Gemeingut der Natur : es wird nie
Eigenthum des Beſitzers , dem ſie es entziehen kann wann .
Unmittelbar auf den vorliegenden Gegenſtand be-
zieht ſich in Javolenus Definition der Ausdruck : was
unſer Eigenthum nicht ſeyn kann : denn es war eine
Grundregel des alten Rechts daß Uſucapion gegen den
roͤmiſchen Staat ſchlechterdings unmoͤglich ſey Der ſogenannte Aggenus des Rigaltius , de controversiis
agrorum tit. de alluvione p. 69. ed. Goësii . . Na-
tuͤrlich : weil alles quiritariſche Eigenthum vom Staat
ausging . Vielfache Beyſpiele und Erwaͤhnungen wie
Domainengrundſtuͤcke dem Staat nach langer Uſurpation
zuruͤckvindicirt worden , in Geſchichtſchreibern , Agrimen-
ſoren und Inſchriften , zeigen wie ſtreng dieſer Rechts-
grundſatz von der aͤlteſten Zeit her bis auf Veſpaſians
Cenſur geltend gemacht iſt .
Der Begriff des Ager publicus , als einer Art des
Publicum , oder des Staatseigenthums , muß aus die-
ſem allgemeineren entwickelt werden . Dieſes iſt dasje-
nige , deſſen Eigenthum der Geſammtheit der Gemeinde
gehoͤrt , die Benutzung jedem einzelnen Buͤrger frey-
ſteht So redet Cicero vom Marsfeld , es vergleichend mit dem . So gehoͤrt , aufſteigend , das Meer der All-
ſie will . Mancipium iſt das alte Wort fuͤr Eigenthum . Nur vor-
laͤufig : Usus ſcheint im aͤlteſten Sprachgebrauch der Beſitz ,
ſubjectiv , geweſen zu ſeyn : Possessio das Object des Beſitzes :
daher usu capere : jenes erſt ſpaͤter beſchraͤnkt wie in unſerm
Civilrecht , wo es auch nur Privatverhaͤltniſſe betrifft . Der
bloße Usus ließ dem Eigenthuͤmer das jus fruendi — das Recht
einer Abgabe von der uͤberlaſſenen Benutzung ( oben S. 358.
Anm. 466. ) : durch den Ususfruetus accreſcirte es dem
Nutznieſſer .
gemeinheit des Menſchengeſchlechts , und jeder mag es
benutzen , ohne Ruͤckſicht welches Staats Buͤrger er
iſt Die Verwechſelung dieſer Gegenſtaͤnde und der Gemein-
guͤter iſt ein barbariſcher , von Neueren begangener , Fehler . : abſteigend beſitzen die in der Geſammtheit des
Staats enthaltenen Gemeinden , von den groͤßten bis
zur kleinſten , ihre Gemeinguͤter nach der Analogie der
Republik Res universitatis . , welche ſie theils dem einzelnen Genoſſen
unmittelbar zur Benutzung uͤberlaſſen , theils , was bey
ihrer Lage und Eigenthuͤmlichkeit moͤglich iſt , in Erbzins
oder Pacht geben koͤnnen .
Die roͤmiſche Nation benutzte ihr unermeßliches Eigen-
thum ebenfalls auf verſchiedene Weiſen . Theils , ſofern
es Gegenſtaͤnde waren die keine unmittelbare Benutzung
fuͤr die Buͤrger zuließen , nur als Einnahme fuͤr den
Staat durch Verpachtung des Objekts ſelbſt , oder den
Verkauf einer Ertragsſteuer — dieſes bey den ihren ehe-
maligen Eigenthuͤmern als precarer Beſitz zuruͤckgegebe-
nen Feldmarken : theils beydes , zur Einnahme fuͤr den
Staat durch die Ertragsſteuer , und zur Benutzung fuͤr die
Buͤrger : theils zur Benutzung ohne Steuer . Die Benuz-
zung konnte bey einigen Gegenſtaͤnden , ihrer Natur nach ,
noch uͤbrigen ungetheilten Gemeinlande . — Fuͤr den obi-
gen Satz redet der Inhalt der l. 2. u. 4. D. de di-
vis. rer. In dem Zeitalter der Juriſten aus denen die Pan-
decten geſammelt und nach denen die Inſtitutionen ge-
ſchrieben ſind , kannte man freylich in Italien kaum ande-
res Gemeingut des roͤmiſchen Volks als Fluͤſſe , Haͤfen ,
Straßen , Plaͤtze u. ſ. w .
Statt finden , ohne daß der welcher ſie ausuͤbte einen an-
dern dadurch ausſchloß , oder ſich einen beſtimmten Ort
zueignete : ſo Fiſcherey in Stroͤhmen und Seen . Ver-
wandt iſt dieſer Art die Hutnutzung , welche ebenfalls nicht
unveraͤnderlich an die Scholle gebunden iſt : aber bey der
Benutzung zu Ackerbau und Pflanzungen tritt ein aus-
ſchließender Beſitz ein , welcher ohne gleiche Vertheilung ,
oder Wechſel , oder feſtes Geſetz , mit dem Begriff des
Gemeinlands unvereinbar ſcheint . Beydes , der Anbau
und die Weidenutzung waren , eben als ausſchließender
Gebrauch Einzelner , der Abgabe von einem Theil des
Gewinns an die Gemeinde des Staats nothwendig un-
terworfen .
Es iſt ſchon fruͤher angedeutet worden daß , ſo gewiß
eine Zeit war worin nur die Patricier die ſouveraine
Gemeinde Roms , und die eigentlichen Buͤrger der Repu-
blik waren , eben ſo gewiß ihnen damals das Benutzungs-
recht des Gemeinlands ausſchließlich gehoͤrte ; daß dieſes
Recht fortwaͤhrte als es eingefuͤhrt war die Plebejer durch
eigenthuͤmliche Landanweiſungen abzufinden , und voͤllig
rechtmaͤßig fortgedauert haben wuͤrde wenn dieſe Anwei-
ſungen redlich vollzogen , und alle uͤbrigen urſpruͤnglichen
und uͤbernommenen Verpflichtungen erfuͤllt waͤren Th. I. S. 451 . .
Daher ſind die Aeußerungen des Geſchichtſchreibers uͤber
ihre widerrechtliche und gewaltſame Uſurpation des Ge-
meinlands Livius eigenes Urtheil IV. c. 51. Oben S. 198. Anm.
230 . Als Aeußerungen der Tribunen IV. c. 53. V. c. 5. ganz falſch : Vorwuͤrfe welche die Nobili-
taͤt des ſiebenten Jahrhunderts mit großem Recht treffen ,
weil ſie , ohne die Anſpruͤche eines ſeit unvordenklicher
Zeit abgeſonderten Standes zu haben , ſich uͤber ihre Glei-
chen uſurpirend erhob , auch Sullas Sieg ganz raͤuberiſch
benutzte . Livius ſtoͤrt dieſe vermeinte tyranniſche Anmaa-
ßung der Patricier nicht in ſeiner Vorliebe fuͤr ihren
Stand : es iſt nur gerecht , ohne dieſe Vorliebe zu thei-
len , Andeutungen zu widerſprechen welche der Unpar-
theyiſche , wenn ſie gegruͤndet waͤren , ſehr ernſthaft neh-
men wuͤrde Es iſt wiederhohlt erinnert daß die patriciſchen Landguͤ-
ter zur Domaine gehoͤrten , die plebejiſchen Hufen Eigen-
thum waren . Damit will ich aber nicht behaupten , was
ſich weder bejahen noch verneinen laͤßt , daß die urſpruͤng-
liche roͤmiſche Feldmark nicht eigenthuͤmlich unter die Buͤr-
ger der patriciſchen Geſchlechter getheilt und aſſignirt war .
Die Hauptſtelle bey Livius redet allerdings nicht von die-
ſem urſpruͤnglichen Bezirk , ſondern von dem eroberten : nur
betrachtet ſie jenen als ſehr unbedeutend . .
Es ſcheint hoͤchſtens nicht unmoͤglich daß auch der
plebejiſche Ritterſtand einigen Antheil an dem Benuz-
zungsrecht hatte : das liciniſche Geſetz aber hatte zum
Zweck es allen Plebejern zu gewaͤhren , und durch die
Feſtſetzung eines Maaßes fuͤr den hoͤchſten erlaubten Be-
des Manlius VI. c. 15 . ( Anm. 469. ) des Licinius VI. c. 37 .
Noch heftiger laͤßt Dionyſius ſelbſt Koͤnig Servius ſchmaͤ-
hen IV. c. 9. τῆς δημοσίας γῆς τȣ `ς α̕ναιδεςάτȣς κρατεῖν :
und Sp. Caſſius VIII. c. 70. τῶν α̕ναιδεςάτων , καὶ σὺν
σὐδενὶ δικαίῳ κατεσχηκότων πατρικίων . So urtheilt er auch
ſelbſt VIII. c. 69 .
ſitz , bey der zunehmenden Erweiterung welche der Ur-
heber der Rogation als Folge derſelben verheiſſen durfte ,
einer bedeutend großen Zahl den wirklichen Genuß zu
verſchaffen . Aber es waͤre widerſprechend geweſen un-
mittelbaren Antheil an dem Beſttz des Gemeinlands
uͤber den Umfang der Buͤrgergemeinde hinaus zu verlei-
hen ; und wenn in der Geſchichte der gracchiſchen Un-
ruhen von den Italikern erwaͤhnt wird daß ihr Beſitz
in der Domaine bedroht war , ſo iſt dies entweder auf
zuruͤckgegebene Feldmarken zu beziehen , oder auf Be-
ſitzungen welche ſie durch Pachtung oder Kauf oder pre-
car von roͤmiſchen Buͤrgern empfangen hatten .
Der Beſitz der einzelnen Buͤrger welche ihr Recht
an der Domaine ausuͤben konnten und wollten , begann ,
nach vielfachen Zeugniſſen , durch Occupation , oder Be-
ſitznahme Haͤufig wird dies angedeutet bey den Agrimenſoren . So
bey Siculus Flaccus p. 3. Nec tantum occupaverunt quod
colere potuissent , sed quantum in spe colendi reservavere .
Daher die agri occupatorii und arcifinales : die latifundia
arcentium vicinos bey Plinius XVIII. c. 4 . Auch Livius :
Nec agros occupandi modum — Patribus fore . VI. c. 37 .
Die Stelle aus Feſtus oben Anm. 471. Sibi sumere : Fragm .
der Lex Thoria . Der entſprechende Ausdruck fuͤr das Ver-
haͤltniß des Staats war Conceſſion . Im Geſetz des Rullus
waren vom verliehenen Eigenthum die Ausdruͤcke publico
data , assignata gebraucht : von den Poſſeſſionen concessa .
Cicero adv. Rull . III. c. 8 . , nicht durch beſtimmte Anweiſung und
Verleihung von Seiten des Staats . Eine Form aller-
dings muß dieſes Geſchaͤft gehabt haben . Nach Ap-
pian Appian de bell. civil. I. p. 353. ed. Steph . wurden die Buͤrger vom Staat aufgefordert
die wuͤſten Strecken zur Benutzung in Beſitz zu nehmen .
Von welcher Magiſtratur das Edict ausging , und welche
Ordnung Gewaltthaͤtigkeiten und Verwirrung hinderte ,
meldet er nicht . So gering Appians Werth ſonſt im Gan-
zen iſt , ſo vorzuͤglich iſt die allgemeine Darſtellung der
rechtlichen Verhaͤltniſſe welche er vor der Geſchichte der
gracchiſchen Unruhen giebt : ich glaube daß man ohne
einigen Zweifel annehmen kann , er folge , hier und im
ganzen erſten Buch von den buͤrgerlichen Unruhen , dem
im Alterthum ſehr hochgeachteten Poſidonius von Apa-
mea , welcher Polybius Geſchichte mit ſeinem Geiſt und
ſeiner Einſicht fortſetzte .
Dieſer Beſitz war der Uebertragung durch Schen-
kung , Verkauf , Vererbung faͤhig S. die ſchon angefuͤhrten Stellen aus Cicero de off. II.
c. 22. 23. Ferner Appian de bell. civil. I. p. 355. A. B.
ed. Steph . Florus III. c. 13. Relictas sibi a majoribus
sedes , ætate , quasi jure hereditario possidebant . Paulus
l. 11. D. de eviction . ; wodurch aber ,
wie bemerkt iſt , niemals durch Uſucapion Eigenthum
entſtehen konnte . Dieſes blieb dem Staat , bis er es
foͤrmlich uͤbertrug , mit uneingeſchraͤnkter Befugniß den
immer precaren Beſitz aufzuheben , und die erledigten
Grundſtuͤcke zu verkaufen oder zu aſſigniren . Der Un-
terthan der das eingeraͤumte Land ſeiner Vorfahren
baute , konnte nicht murren wenn die Republik fuͤr gut
fand anders daruͤber zu verfuͤgen Cicero adv . Rullum II. c. 21 . . Nicht unverletz-
licher war der Beſitz des Buͤrgers , ſelbſt innerhalb der
fuͤnfhundert Jugern welche das liciniſche Geſetz nur zu
uͤberſchreiten verbot , nicht zuſicherte ; obwohl Ti . Grac-
chus den Beſitz bis zu dieſem Maaß als verjaͤhrt ehrte und
beſtaͤtigte . Unzweifelhaft beweiſen die folgenden Bey-
ſpiele . Der Ager trientius tabuliusque , womit der dritte
verfallene Termin der Anleihe aus dem hannibaliſchen
Krieg abgetragen ward , lag um Rom : es war den
Staatsglaͤubigern erlaubt ſich in dem Bezirk innerhalb
funfzig Millien um die Stadt Grundſtuͤcke auszuſuchen ,
welche doch hier nothwendig alle im Beſitz roͤmiſcher Buͤr-
ger ſeyn mußten Livius XXXI. c. 13. . So war die Feldmark von Capua
zwiſchen einer großen Menge kleiner Beſitzer , roͤmiſchen
Buͤrgern , getheilt : dennoch war nicht das Recht ſtreitig
ſie ihnen zu entziehen um eine Colonie zu gruͤnden , nur
die Billigkeit und Klugheit Cicero adv . Rullum II. c. 31 . .
Nach dieſer Darſtellung wird es nicht zweifelhaft ſeyn
daß die roͤmiſche Republik , wenn ſie die Niederlegung eines
Theils ihrer Domaine zu allgemeinen Aſſignationen , zu
Colonieen oder zum Verkauf , beſchloß , eben ſo rechtmaͤßig
handelte als ein Landesherr welcher Vorwerke , die meh-
rere Menſchenalter in der Pachtung einer Familie geblie-
ben , zu parcelliren oder zu verkaufen beſchließt . Dem
einzelnen entgeht freylich ein großer Vortheil , und es
kann ihn ſehr hart treffen wenn er es verlernt hatte einen
ſolchen Wechſel ſeines Schickſals zu erwarten . Ganz an-
ders verhaͤlt es ſich mit der Einziehung des Bauernlands ,
ſelbſt bey fortdauernder Erbunterthaͤnigkeit . Nur gaͤnz-
liche Unkunde des einheimiſchen alten Rechts hat es ver-
kennen koͤnnen daß Bauernland von Alters her bey allen
deutſchen Voͤlkern abgeſondert vom Hofland , unverein-
bar mit ihm , und unverletzlich beſtanden hat : wenn auch
uͤber das erbliche Anrecht der einzelnen Beſitzer , und die
Freyheit der Herren in der Belehnung , Abweichungen
Statt fanden . Durchgehends war der Beſitz veraͤußerlich
und in der Familie erblich , immer wenigſtens mußte er
einem Bauern verliehen ſeyn . Der unterthaͤnige Bauer
war nur zu Zinſen , Laudemien und Dienſten pflichtig ,
und dem Gericht ſeines Herrn unterworfen , daher frey-
lich auch ſeiner Willkuͤhr uͤberlaſſen , und nur durch ſein Ge-
wiſſen geſchuͤtzt Eine Hauptſtelle uͤber dies germaniſche Recht auch außer
Deutſchland findet ſich aus dem franzoͤſiſchen Juriſten Pe-
trus de Fontanis bey Ducange s. v. Villanus . Die weitere
Eroͤrterung fordert eine eigene Abhandlung . , wie der Unterthan gegen den Landes-
herrn . Dieſes , fuͤr kuͤnftige Ausbildung in ſich vorberei-
tete Verhaͤltniß , iſt zu einem voͤlligen Eigenthumsrecht des
Gutsbeſitzers an den Boden , und einem geduldeten Pacht-
beſitz des Bauern verdreht worden : zugleich hat ſich die
Predigt vom Mehrertrag der großen Wirthſchaften , und
der verſchwenderiſchen Koſtbarkeit kleiner Beſitzthuͤmer
fuͤr den Nationalreichthum , erhoben . Man wollte reiche
Staaten , zuſammengeſetzt aus der groͤßten moͤglichen
Summe
Summe Privatreichthums : waͤre dieſe auch nur un-
ter die kleinſte Zahl vertheilt moͤglich , die ganze uͤbrige
Nation abhaͤngig und arm , ſtatt ſelbſtſtaͤndig und wohl-
behalten . Darauf hat die Zerſtoͤrung des Bauernſtands
begonnen , und wo ſie gefoͤrdert hat werden die Staaten ,
zu ſpaͤt ihre Fehler wenn auch nicht ihre Ungerechtigkeit
bereuend , ihn nie wieder herſtellen koͤnnen , ſo wenig es
im ſinkenden roͤmiſchen Reich moͤglich geweſen waͤre .
In alten Tagen , und ehe noch Municipien entſtan-
den , war das Gemeinland wohl gewiß in ſeinem Umfang
und Werth ungleich bedeutender als das quiritariſche Ei-
genthum , gebildet durch Aſſignation und Verkauf von je-
nem . Dieſes Verhaͤltniß ſcheint , ſogar nachdem viele
Municipien und ganze Landſchaften roͤmiſcher Boden ge-
worden , und wieviel auch dagegen von der Domaine durch
Verkauf , allgemeine Aſſignation , uͤber dreyßig latiniſche
und mehrere Buͤrgercolonieen , getrennt war , wenigſtens
bis zu den Semproniſchen Geſetzen , vielleicht bis zum mar-
ſiſchen Krieg nur auf kurze Zeiten geaͤndert zu ſeyn . Wie
unmoͤglich es immer iſt die Beſtandtheile des Gemeinlands
einzeln aufzufuͤhren , ſo unſtreitig laͤßt ſich doch annehmen
daß es , ohne jene allmaͤhlichen Abſonderun-
gen , im eigentlichen Italien bis an die Macra und Ari-
minum , weit mehr als die Haͤlfte des ganzen Flaͤchenin-
halts der Halbinſel betragen haben wuͤrde .
Nun ſcheint es doch undenkbar daß ein Gegenſtand
von ſolcher Wichtigkeit , der eigentliche Reichthum ur-
ſpruͤnglich des patriciſchen Standes und dann der Nobili-
taͤt , der Unſicherheit Preis gegeben ſey , die , dem An-
Zweiter Theil. A a
ſchein nach , von einem Beſitz unzertrennlich ſeyn mußte ,
welcher nichts als dieſes , aber doch vererblich und ver-
aͤußerlich war . Wir ſind berechtigt unmittelbare Ruͤck-
ſicht der Geſetzgebung , ſey es des Staats oder der praͤto-
riſchen , vorauszuſetzen und aufzuſuchen .
Ich will es nur als eine bloße Moͤglichkeit vermuthet
haben daß die Tradition , von der in den zwoͤlf Tafeln , in
unbekannter Beziehung , die Rede geweſen iſt , ſich auf
dieſen Beſitz bezogen haben moͤchte : denn wenn ſie auch
die einzige Form der Ueberantwortung deſſelben war , ſo
konnten die Geſetze doch auch damals ſchon von ihr reden
bey Gegenſtaͤnden welche nicht mancipirt wurden . Hin-
gegen halte ich nichts fuͤr unzweifelhafter gewiß als die un-
mittelbare und urſpruͤngliche Beziehung der poſſeſſoriſchen
Interdicte auf dieſen Beſitz . Ausdruͤcklich wendet Cicero
ſie an auf den Beſitz des Gemeinlands Cicero adv . Rullum III. c. 3. Hæc trib. pl. promul-
gare ausus est , ut , quod quisque — possidet , id eo jure
teneret quo qui optimo privatum ? Etiamne si vi ojecit ?
etiamne si clam , si precario venit in possessionem ? Ergo
hac lege jus civile , causae possessionum , prætorum inter-
dicta tollentur . Die erlaͤuternde Folge oben Anm. 469.
doch bitte ich jeden das zweyte und dritte Capitel ganz zu
leſen . Auch Dionyſius giebt ſchon aus dem Iciliſchen Ge-
ſetz eine Erwaͤhnung des Beſitzes vi aut clam . Siehe oben
Anmerk. 65. , und ihr In-
halt deutet unmittelbar hieher . Freylich nicht die Formel
des Interdicts uti possidetis , wie wir ſie jetzt aus dem
beſtaͤndigen Edict leſen : denn hier iſt die Rede von Haͤu-
ſern : wohl aber die weit aͤltere , die aus Verrius Flaccus
und urſpruͤnglich aus Aelius Gallus erhalten iſt Bey Feſtus s. v. Possessio . Uti nunc possidetis eum
fundum : anſtatt eas ædes , in den Pandecten . Es iſt un-
moͤglich die Anſichten welche bey lebhaftem Ideenwechſel
dem Freunde urſpruͤnglich mehr als uns ſelbſt gehoͤren , die
welche er weckte , zu ſcheiden , obgleich ſie in ihrem Ur-
ſprung unſer eigentlich nicht ſind . Das mitgetheilte koͤnnen
wir als ſeine freye Gabe nennen : die obenſtehende Bemer-
kung hat Savigny mir mitgetheilt . .
Dieſe redet ausdruͤcklich von einem Fundus . Ferner :
wie der Beſitz des benutzenden Privatus gegen den Staat
precar war , ſo ohne Zweifel auch der des Clienten ge-
gen den Patron , der ihm von ſeinem Antheil der Domaine
ein kleines Grundſtuͤck eingeraͤumt hatte Th. I. S. 236 . Sie gaben ihnen , ſagt Feſtus , Land ,
wie ihren eigenen Soͤhnen : und jeder Beſitz des Sohns
war precar nach des Vaters Willkuͤhr . . Solche Beleh-
nungen dauerten natuͤrlich fort als die alte Clientel laͤngſt
nicht mehr beſtand : das Geſetz gebot , nach Appian , die
Anſiedelung freyer Inſten im Verhaͤltniß der Flaͤche jedes
Landguts Appian de bell. civil. I. p. 354. ed. Steph . . Man nenne es keine moderne Idee wenn
angenommen wird , dieſe , obwohl ſie nothwendig in einem
gegenſeitig ganz freyen Verhaͤltniß ſtanden , waͤren durch
eine Kathe und ein Paar Morgen fuͤr die Dauer ihrer
Dienſte mit dem Gut verbunden geweſen . Sie waren
nicht nothwendig roͤmiſche Buͤrger , auch freye Italiker
konnten in dieſes Verhaͤltniß treten , wie in der alten
Clientel . Ein ſolcher Client war , auf des alten Catos
Gut , Salonius , deſſen Tochter er heirathete . Was in
A a 2
Zeiten entſtand wo buͤrgerliche Macht wenigſtens nicht
der untergeordnete Zweck der meiſten Großen war , und
das allgemeine Wohl Roms und Italiens mehr galt als
des Einzelnen Gewinn , mußte aufhoͤren als Habſucht und
Bereicherung der einzige Gegenſtand der Wuͤnſche wur-
den . Da geſchah es , was Tiberius Gracchus bejam-
merte , daß die kleinen Leute aus ihren Beſitzungen ver-
trieben , und dieſe zu Weiden verwandelt wurden Appian a. a. O. Plutarch , Gracch. p. 828. D. Schon
Sir Thomas More ſchrieb , Schaafe waͤren fuͤr den Land-
mann furchtbarere Raubthiere als Woͤlfe . In den Hoch-
landen haben die Einwohner vieler Doͤrfer auswandern
muͤſſen , weil der Gutsherr die Schaafzucht eintraͤglicher
fand : elfhundert gingen von einem einzigen Gut nach Canada . : da
trauerte Horaz uͤber die Ausſtoßung der armen Clienten
aus der vaͤterlichen Huͤtte Horaz Carm. II. 18.
Deine Habſucht , nimmer ſatt ,
Verruͤckt den Markſtein jedes nahen Ackers :
Und du uͤberſchreiteſt ſtets
Des Schuͤtzlings Graͤnzrein : ausgeſtoßen wandern
Weib und Mann : er traͤgt im Schooß
Der Vaͤter Hausgott und die armen Kinder .
Wehe einer Nation wenn der alte Feudalſtolz erloſch , und der
Gewinnſucht wich , alles nur als Speculation berechnet wird ,
Liebe und von Geſchlecht zu Geſchlecht ererbte Anhaͤnglich-
keit keinen Reiz mehr haben , Guͤter eine jedem Wucherer
kaͤufliche Waare werden : wenn dann nicht die Verhaͤltniſſe
des Bauern zum Gutsherrn und ſein eigenthuͤmlicher Be-
ſitz ſchon unverruͤckbar . feſtgeſetzt ſind . Eine Bettelfreyheit
hilft nicht . .
Der Praͤtor wollte nicht daß das willkuͤhrlich ver-
liehene ( precario ) gegen den Geber als feſter Beſitz be-
hauptet werde , waͤhrend er dieſen , wie er beſtand ,
( uti possidetis ) unter ſeinen Schutz nahm : aber er
ſchuͤtzte nicht weniger den unabhaͤngigen kleinen Beſitzer ,
indem er den gewaltſamen Beſitz ( vi ) fuͤr unguͤltig
erklaͤrte . Auch uͤber dieſen klagen die Gracchen und alle
Tribunen ihres Zeitalters bitterlich : waͤhrend der Soldat
gegen den Feind diente , vertrieb der maͤchtige nach ſeinem
Guͤtchen luͤſterne Nachbar ſein Weib und ſeine Kinder .
Dies war bey Eigenthum offenbar unmoͤglich : bey der
Entfernung vieler Landſchaften von roͤmiſcher Jurisdic-
tion konnte es leicht auf dem Gemeinlande geſchehen .
Dem Abweſenden , dem Reichen wie dem Armen , konn-
ten ihm unbewußt ( clam ) Felder von den Nachbarn
entzogen werden ; hier ſchuͤtzte keine Limitation . Auch in
ſolchen Faͤllen gewaͤhrte der Praͤtor Huͤlfe ; und in kei-
nem Fall konnte der entzogene Beſitz durch Verjaͤhrung
verlohren gehen , welche nur das Eigenthum betraf .
Alle Deutung auf das Verhaͤltniß zum Staat ward
durch die Formel einer vom andern ( alter ab altero )
ausgeſchloſſen .
Man bezieht die Interdicte auf das praͤtoriſche Eigen-
thum : eine beſendere Sorgfalt fuͤr dieſes , und Wich-
tigkeit deſſelben in den alten Zeiten der Republik , ehe
die Ertheilung des Buͤrgerrechts an Latiner und Itali-
ker alles umgeſtaltete , ſcheint mir gar nicht im roͤmi-
ſchen Sinn . Als Beſtaͤtigung der Beziehung auf den
Beſitz des Gemeinlands laͤßt ſich vielleicht auch anfuͤh-
ren daß nach der Ordnung der Abhandlung in Ulpians
Commentar , wie in den Pandecten , jene Interdicte auf
die Verfuͤgungen welche das Gemeingut ( publicum )
betrafen , im Edict gefolgt zu ſeyn ſcheinen Die Verfuͤgungen uͤber das Publicum ſtehen Dig. XLIII.
tit. 6—15 . dann folgen die Interdicte . Jene bey Ulpian
im 69ſten , dieſe im 70ſten Buch des Commentar . . Wenn
dieſes auch hier hauptſaͤchlich nur auf Stroͤhme , Ufer ,
Straßen , beſchraͤnkt war , ſo erklaͤrt ſich das daher , daß
ſeit Domitian von der einſt unermeßlichen Fuͤlle faſt
nur dieſes in Italien dem Staat noch geblieben war .
Denn nachdem das Gemeinland in der Halbinſel
abwechſelnd durch die Buͤrgerkriege und ihre Confisca-
tionen angewachſen , und durch Militarcolonieen oder
allgemeine Aſſignationen wieder fortgegeben war : nach-
dem der Krieg wodurch Veſpaſian das Reich eroberte ,
und die Belohnungen ſeiner Legionen , die letzten großen
Veraͤnderungen dieſer Art verurſacht hatten : vindicirte
ſeine ſtrenge Oeconomie alle vernachlaͤßigte , von den
Colonieen und Municipien als Communalland uſurpirte ,
vom Staat nicht ausdruͤcklich vergebene , Landſtriche —
die Subseciva . Dies erſchuͤtterte das Vermoͤgen faſt
aller Landſtaͤdte , und Domitian ward durch ein Edict ,
welches dieſes ſaͤmmtliche Land den Gemeinden ſchenkte
die es fruͤher benutzt hatten , der Wohlthaͤter Italiens Der ſogenannte Aggenus tit. de subsecivis , p. 68. 69.
ed. Goësii . .
Dadurch aber verſchwand auch faſt alles Landeigenthum
des Staats : und ein Schriftſteller , der wahrſcheinlich
in Trajans Zeitalter gehoͤrt , weiß nur noch in dem da-
maligen Picenum , um Reate , von Laͤndereyen welche
Eigenthum des roͤmiſchen Volks waren , und deren
Steuer der Schatz empfing Siculus Flaccus p. 2. ed. Goësii . . Die Schriftſteller der
Pandecten kennen ſolche Nationalguͤter freylich noch :
Paulus redet von ihnen unter dem Nahmen agri pu-
blici , und lehrt : ihr Beſitz , da ſie auf ewig verpachtet
waͤren , koͤnne nur unmittelbar vom Kaiſer zuruͤckgeru-
fen werden Paulus l. 11. D. de public . et vectig . . Von dieſem aber ohne Entſchaͤdigung :
und die Wegnahme zu Verkauf oder Aſſignation ward
nur als ein Ungluͤck betrachtet , welches den Beſitzer
traf Paulus l. 11. D. de eviction . ( oben Anm. 469 . ) .
Der Fall uͤber den Paulus hier ein Gutachten ab-
gab , betraf ein Landgut in Deutſchland , oͤſtlich vom
Rhein , eigentlich jenſeits der Provinz in der aͤußerſten
Militargraͤnze . Auf ſie war jetzt , wie es ſcheint , dieſe
Form des alten Beſitzes beſchraͤnkt , und dauerte hier
fort bis auf Honorius und Theodoſius . Ein Geſetz des
Jahrs 423 vertilgte auch dies uralte Recht : der Kai-
ſer verwandelte den bisherigen Beſitz in volles Eigen-
thum l. un. C. Th. de rei vindicat . . Die Conſtitution iſt zu Ravenna gegeben :
uͤberhaupt ſcheint die Sache dem oͤſtlichen Reich fremd
geweſen zu ſeyn : und es iſt kein Wunder daß nicht nur
das Geſetz des Honorius im Codex fehlt , ſondern auch
in den Pandecten faſt keine Spuren des alten Rechts
uͤbrig ſind Von den kaiſerlichen Kammerguͤtern , die auch dem Pri-
vateigenthum entgegengeſetzt werden , kann hier die Rede
nicht ſeyn . .
Dagegen reden dieſe haͤufig , auch in einem eigenen
Titel , von den ſtaͤdtiſchen Vectigalguͤtern . Dieſen ha-
ben die , welche ſich dem richtigen Begriff am meiſten
naͤherten , die Beſitzungen des Gemeinlands gleichgeſtellt .
Doch iſt der rechtliche Unterſchied nicht weniger groß
als der Gegenſtaͤnde Umfang und Wichtigkeit : drey
Hauptpunkte ſind hieruͤber entſcheidend . Es iſt bemerkt
daß der dritte rechtliche Beſitzer nie ein Grundſtuͤck des
Gemeinlands des roͤmiſchen Volks uſucapiren konnte :
Vectigalguͤter der Staͤdte konnten ſo uſucapirt wer-
den Savigny vom Beſitz , 2te Ausg. S. 110 . .
Nach Paulus l. 1. D. §. 1. si ager vectigalis . hatte der Vectigalbeſitzer eine Klage
gegen das Municipium , wenn ihm , bey richtiger Zahlung
der Erbpacht l. 2. eod . , ſein Grundſtuͤck entzogen ward , gleich
dem Zeitpaͤchter l. 3. eod . Nach dieſer beſtimmten Angabe muß man , mit
Haloander , l. 1. pr. tamdiu und quamdiu verſetzen , wel-
ches die Florentina ſinnlos umſtellt . Hiernach war der ſpaͤ-
tere Vectigalbeſitz von dem emphyteutiſchen nur in Hinſicht
der verpachtenden Perſonen verſchieden : dort nothwendig
eine Commune , hier auch Privatperſonen . . Die roͤmiſche Republik hatte ein
unbeſchraͤnktes Recht den Beſitzer ohne alle Entſchaͤdi-
gung zu entlaſſen : es verſteht ſich daß auch die aufge-
fuͤhrten Gebaͤude ihr anheimfielen .
Ein Municipium uͤberließ die Erbpacht ſeiner Grund-
ſtuͤcke einem jeden rechtlich befugten durch Contract , die
Republik nur den Mitgenoſſen der Souverainetaͤt , oder
den alten Einwohnern , durch Conceſſion .
Wie die ganze Verwaltung des Staatsvermoͤgens
dem Senat gehoͤrte , ſo verfuͤgte er auch Aſſignation
und Verkauf . Doch war die Einmiſchung der Volks-
verſammlung rechtmaͤßig : fruͤher , weil zum Nachtheil
ihres Standes die Geſetze nicht erfuͤllt wurden : ſpaͤter ,
weil ſie , anerkannt als der Souverain , Kenntniß von
dem der Verwaltung anvertrauten Staatseigenthum zu
nehmen und daruͤber zu verfuͤgen unſtreitig befugt war .
Die folgende Eintheilung des Grundeigenthums ,
nach ſtrengen roͤmiſchen Begriffen , giebt , mit der Ueber-
ſicht , die eigenthuͤmlich gebraͤuchlichen Ausdruͤcke des
alten Staatsrechts. Ager ( Mark ) iſt die Geſammtheit
des einer Staatsgemeinde eigenthuͤmlichen Bodens , im
Gegenſatz von terra , Land , welches viele ſolcher Eigen-
thumsbezirke neben einander begreift Varro de L. L. VI. c. 2 . .
Alles Landeigenthum ( ager im engeren Sinn ) iſt
entweder roͤmiſch oder fremd ( aut Romanus aut pere-
grinus ) . Unter dem letzten iſt auch latiniſches zu ver-
ſtehen .
Alles roͤmiſche Land iſt Eigenthum des Staats ( Ge-
meinland , Domaine ) , oder Privateigenthum ( aut pu-
blicus aut privatus ) .
Das Landeigenthum des Staats iſt entweder den
Goͤttern geweiht ( sacer ) oder menſchlicher Benutzung
gewidmet ( profanus , humani juris ) . Spaͤtere Anſicht
machte dieſe Eintheilung zur hoͤchſten , und unterſchied
dann das Eigenthum menſchliches Rechts in Gemein-
gut und Privateigenthum Gajus l. 1. pr. D. de divis. rer. . Aber eine Schrift welche
offenbar unter Domitian verfaßt iſt Das von Rigaltius herausgegebene , von ihm dem Aggenus
zugeſchriebene , Fragment de controversiis agrorum , kann ,
nach der Art wie Domitians darin gedacht wird , nur unter
ſeiner Regierung geſchrieben ſeyn ( Præstantissimus Domi-
tianus : Tit. de subsecivis p. 69. ed. Goësii ) . So kann
niemand nach ſeinem Tode von dem geredet haben deſſen
Nahmen auf allen Denkmaͤhlern getilgt ward , wie wir es
noch an den capitoliniſchen Faſten ſehen . : — die einzige
unter den Agrimenſoren welche zu den claſſiſchen gezaͤhlt
werden kann , und mit wahrer Rechtswiſſenſchaft ge-
ſchrieben iſt : — dieſe ſagt , der Boden heiliger Haine ſey
unſtreitig Eigenthum des roͤmiſchen Volks Tit. de locis sacris et religiosis p. 74. ed. Goësii . . Dies
beſtaͤtigt die Nachricht bey Livius daß der Tempel und
Hain der Juno zu Lanuvium gemeinſchaftliches Eigen-
thum des roͤmiſchen Volks und des Municipiums ge-
worden ſey , als den Lanuvinern das Buͤrgerrecht ge-
geben ward Livius VIII. c. 14 . .
Alles Landeigenthum des Staats , menſchlichen
Rechts , iſt entweder den alten Eigenthuͤmern oder den
Buͤrgern zum Beſitz uͤberlaſſen ( aut redditus , aut oe-
cupatus . )
Alles Privatlandeigenthum iſt entweder aus dem
Gemeinland ausgeſchieden ( ex publico factus privatus )
oder es iſt durch Verleihung des Buͤrgerrechts an eine
fremde Gemeinde roͤmiſch geworden ( ager municipalis ) .
Jenes iſt entweder verkauft ( quæstorius ) oder verlie-
hen ( assignatus ) : und das verliehene iſt entweder al-
len Plebejern in gleichen Looſen gegeben — eigentlich
jedem Familienvater , denn eine groͤßere Allgemeinheit
war Ausnahme Livius V. c. 30 . — ( viritanus Feſtus s. v . ) : oder nur einer
beſtimmten in eine Gemeinde vereinigten Anzahl ( colo-
nicus ) . Iſt die Colonie latiniſch , ſo verliert das ange-
wieſene Land die Eigenſchaft eines roͤmiſchen Bodens ,
und wird fremd ; wie der dorthin ziehende Roͤmer ſein
Buͤrgerrecht aufgiebt : doch tritt es nicht aus den Graͤn-
zen des Commercium , und dem Souverain bleibt das
Recht , im Fall von Veroͤdung , zur Erhaltung der
urſpruͤnglichen Buͤrgerzahl eine neue Aſſignation zu
verfuͤgen .
Das Municipalland war entweder das Gemeinland
welches in ihrer alten Selbſtſtaͤndigkeit jede italiſche
Stadt beſeſſen hatte , — um nur von Italien zu reden
— ( ager vectigalis der Pandecten ) : oder es war Pri-
vateigenthum ( privatus ) . Daſſelbe gilt fuͤr die Co-
lonieen ; die latiniſchen der Republik , und die mili-
tariſchen .
Jenes alte Recht , dem dieſe Eintheilung angehoͤrte ,
iſt ganz untergegangen . Aber eine andre , ihre Haupt-
klaſſen durch aͤußere Form bezeichnend , hat ſich in den
Agrimenſoren erhalten : den unverſtaͤndlichſten und am
meiſten vernachlaͤßigten Schriftſtellern der roͤmiſchen Lit-
teratur , der ſie auch eigentlich nicht mehr angehoͤren
als der unſrigen Buͤcher ungebildeter Maͤnner uͤber Ge-
genſtaͤnde des ganz taͤglichen Lebens . Aber nichts ge-
winnt durch den Verlauf der Zeit an Werth wie ſolche
Schriften : technologiſche des Alterthums waͤren jetzt
ſchaͤtzbarer als nur nicht vortreffliche Dichter . Auch dieſe ,
welche jedem Roͤmer , der den Beruf ihrer ſonderbaren
Kunſt nicht uͤbte , ganz gleichguͤltig ſeyn mußten , da
wohl jeder anſchaulich einen Begriff von ihren Grund-
regeln hatte , ſind fuͤr uns mit Recht der Gegenſtand
eines muͤhſamen Studiums . Denn es lohnt ſich wohl ,
und nur durch ſie iſt es zu erlangen , jene Form zu ken-
nen wodurch die Roͤmer das zum Eigenthum vom Ge-
meingut abgeſonderte Land bezeichneten , und ſeine ein-
zelnen Theile mit unveraͤnderlichen Graͤnzen umſchrie-
ben : eine Form aͤlter als die Stadt , und die , dem
Anſchein nach eine gezwungene und hinfaͤllige Kuͤnſteley ,
mit der innern Kraft roͤmiſcher Inſtitutionen , den Un-
tergang des weſtlichen Reichs um ein halbes Jahrtau-
ſend uͤberlebt hat .
Dieſe Form , von den Etruskern gebildet und auf
ihre Aruſpicin gegruͤndet Hyginus de limitib. p. 150. fragm. de limitib. p. 215.
ed. Goësii . , war , wie es ſcheint , auch
von andern Voͤlkern Italiens angenommen , und ſogar
von den griechiſchen Italioten , waͤhrend man den Grie-
chen jenſeits des Meers jede auch nur analoge Einrich-
tung entſchieden abſprechen kann . Auf den Tafeln von
Heraklea wird die Lage von Grundſtuͤcken durch Bezeich-
nungen angedeutet , worin Mazzocchi mit Recht eine der
roͤmiſchen aͤhnliche Limitation erkennt Mazzocchi Tab. Heracl. p. 180—182 . Was dem limes
entſpricht wird hier mit einem ſonſt ganz unerhoͤrten Wort
ἄντομος genannt . . Iſt nun die-
ſes gewiß , ſo kann man auch wohl annehmen daß die Ab-
ſonderung der Feldmark welche ſich die Abkoͤmmlinge der
Sybariten zu Thurii anmaaßten , von der ihren neuen Mit-
buͤrgern angewieſenen , dem italiſchen agrariſchen Recht
und ſeinen aͤußeren Formen ſo analog war wie ihre An-
ſpruͤche auf ausſchließlichen Beſitz der buͤrgerlichen Wuͤr-
den den patriciſchen Diodor XII. c. 11 . .
Aber im Sinn des agrariſchen Rechts iſt nur das
Land limitirt welches dem Herkommen der Republik , und
den Formen der Aruſpicin gemaͤß die ſie angenommen ,
mit dieſer Eintheilung bezeichnet iſt . Jede andre Limita-
tion laͤßt es , fuͤr den Roͤmer , formlos . Der Agrimen-
ſoren Gegenſtand iſt das limitirte Land : des uͤbrigen er-
waͤhnen ſie nur durch Entgegenſetzung .
Limitirt nun iſt jedes Feld welches die Republik vom
Gemeinland abgeſondert hat : keine Abſonderung kann
ohne Limitation geſchehen : und wo dieſe ſich findet iſt ,
wenn auch einzelne Landſtuͤcke im Umfang des limitirten
Ganzen dem Gemeinland geblieben ſind , doch fuͤr das
Ganze jene Ausſcheidung nothwendig angedeutet .
Formlos dagegen ( arcifinius ) , nur durch natuͤrliche
oder willkuͤhrliche Feldſcheiden abgegraͤnzt , iſt , außer je-
der fremden , auch jede Municipalmark : der wichtigſte
Theil dieſer Klaſſe aber iſt das roͤmiſche Gemeinland Latifundia arcentium vicinos . Plinius H. N. XVIII. c. 5. .
Hier verwirren die ſpaͤten Schriftſteller zwey Begriffe : der
Form nach gehoͤrt das Gemeinland unter den ager arcifi-
nius : auch als es , vielleicht unter Trajan , eingefuͤhrt
ward die Domainen in den Provinzen zu vermeſſen und
abzugraͤnzen , geſchah dies mißbraͤuchlich zwar auch nach
den Regeln der wahren Limitation , richtiger aber in
Streifen und Bloͤcken ( per strigas et scamna ) . Aber
nur vom eigentlichſten Gemeinland kann der Ausdruck
occupatorius gebraucht werden , der die Art der Beſitz-
ergreifung bezeichnet .
Der Begriff aller Limitation iſt die Ziehung von Li-
nien , in der Richtung der vier Weltgegenden , parallel
und ſich kreuzend , zur gleichfoͤrmigen Eintheilung der vom
Gemeinland in Privateigenthum uͤbergehenden Landlooſe ,
und zu unveraͤnderlicher Feſtſtellung ihrer Graͤnzen Von denen ſie , wie es ſcheint , meiſtens zwey Seiten und
einen Winkel , wenigſtens eine Seite unmittelbar bildeten ,
und mittelbar die uͤbrigen Seiten und Winkel anzeigten .
Von der wirklichen Begraͤnzung kommt der gewoͤhnlichere
Sprachgebrauch des Worts limes . .
Daher werden ſie — die Limites — durch eine ihnen
angewieſene , von allem Anbau ausgeſchloſſene Breite , als
Reine , oder Wege , bezeichnet ; und ihre Winkel durch
eine Reihe unverkennbarer Steine beſtimmt und gezaͤhlt .
Die Ziehung der Grundlinien beruht auf etruskiſcher
Theologie und Aruſpicin . Wie das Himmelsgewoͤlbe
templum hieß , und der urſpruͤngliche Begriff eines Tem-
pels war , ſo iſt auf der Erde ein Tempel , was der Augur
in ſeinem Gemuͤth , nach den Weltgegenden , ſoweit der
Blick traͤgt , als ein Ganzes zum Behuf der Auſpicien ab-
gegraͤnzt hat . Nur in einem Tempel konnten Auſpicien
und Augurien genommen werden ; aber die ganze Stadt
war — durch die urſpruͤngliche Inauguration — ein
Tempel : auch ein Lager war ein Tempel , weil in ihm Au-
ſpicien wahrgenommen werden mußten : daher waren
Mauern und Thore sancta : daher die Unveraͤnderlichkeit
des Pomoͤrium . Denn alles was auf dieſe Weiſe beſtimmt
war ſollte unverruͤcklich ſeyn , wenn es nicht durch ſtaͤr-
kere Auſpicien aufgehoben ward ; aber geheiligt war es
nicht : hingegen waren auch die Kirchen der Goͤtter — fuͤr
ein einziges Mal muß dieſer Ausdruck erlaubt ſeyn —
nicht nothwendig Tempel , nicht in allen konnten Auſpi-
cien genommen werden : — und wieder waren viele Tempel
den Goͤttern nicht geweiht , alſo auch nicht heilig , wie
Varro lehrt Varro de L. L. VI. c. 2. . Doch muͤſſen wir dem Sprachgebrauch ,
obgleich er falſch iſt , gehorchen , vornaͤmlich um keinen
anſtoͤßigen Ausdruck zu gebrauchen , und die den Goͤttern
geweihten Gebaͤude ohne Unterſchied , und nach dem Zu-
faͤlligen als waͤre es die Hauptſache , Tempel nennen .
Eben ſo war nun ein ganzes , zur Theilung durch Auſpi-
cien beſtimmtes Territorium , in der That ein Tempel ,
und unverruͤcklich : hierauf beziehe ich den Ausſpruch Ci-
ceros als Augur , in einer Sache die nach unſrer Anſicht
fuͤr die Beurtheilung des Staatsrechts gehoͤrt , daß , wo
einmal eine Colonie unter aͤchten Auſpicien gegruͤndet war ,
ſo lange ſie unverheert beſtand , daſelbſt keine neue ange-
ſiedelt werden duͤrfe Cicero Philipp . II. c. 40 . . Alſo bekam jede Landaſſigna-
tion , ſelbſt jeder Verkauf von der Domaine , eine religioͤſe
Sicherheit : ſie konnte vom Staat nie wieder zuruͤckge-
nommen werden .
Ueber den Standpunkt der Augurn bey der Beſtim-
mung eines Tempels finden ſich drey abweichende Anga-
ben . Nach Livius Livius I. c. 18 . ſchaute der Augur , bey der Inau-
guration des Koͤnigs , und wie aus Dionyſius Dionyſius II. c. 5 . klar
wird , auch eines Conſuls , nach Oſten , und beſtimmte
Nord als links , Suͤd als rechts . Neben ihm ſaß , gegen
Suͤden gewandt , der deſſen Inauguration geſucht ward .
Hieher gehoͤrte auch die ſpaͤtere Richtung der Limiten
von Weſten nach Oſten Hyginus de limitib. p. 152. ed. Goësii . . Nach Varro Varro de L. L. VI. c. 2. und bey Feſtus s. v. Sinistræ . ſchaute er
gegen Suͤden , und Oſt war links : hierauf bezieht ſich
auch die Eintheilung des Himmelsgewoͤlbes bey Fe-
ſtus Feſtus s. v. posticum ostium . , und was aus Servius Sulpicius , in einer ver-
ſtuͤmmelten Stelle deſſelben Feſtus s. v. postica . , ausgezogen war . Aber
nach
nach Hyginus De limitib. constituend. p. 150. und das Fragm . de
limitib. p. 215. ed. Goësii . war bey der Eintheilung des Bodens
der Geſichtspunkt Weſten . Daher heißen ihnen die an
der Weſtſeite der durch den Standpunkt des Augurs ge-
henden Mittagslinie gezogenen Limiten anticæ , die an
der Oſtſeite posticæ : wogegen Servius Sulpicius die
ſuͤdlich und noͤrdlich von der von Oſt nach Weſt gezoge-
nen Linie , worauf der Augur ſteht , fallenden Parallellimi-
ten , anticæ und posticæ genannt haben muß Feſtus s. v. Sinistræ . . Dieſe
drey ſo verſchiedenen Angaben laſſen ſich , wie es ſcheint ,
durch eine aus Varro erhaltene Notiz vereinigen . Der
Augur dachte ſich ſchauend , wie die Goͤtter auf die Erde
ſchauten : der Wohnſitz der Goͤtter ward im Norden der
Erde gedacht Varro bey Feſtus s. v. Sinistræ . . In dieſelbe Weltgegend ſetzen die In-
dier den Goͤtterberg Meru : ſelbſt die Griechen dachten ſich
dieſe Erdgraͤnze , jenſeits des Boreas , als eine ſelige Ge-
gend , die Heimath gottgeliebter Menſchen . Vom Nor-
den her richteten die Goͤtter nach den drey uͤbrigen Welt-
gegenden ihren uͤber die Erde waltenden Blick : nur wenn
ſie ihr zornig den Ruͤcken wandten reichte ihre Linke nach
Weſten : und daß ſie es thaten wenn die Auſpicien unguͤn-
ſtig erſchienen , war zuverlaͤſſig die Lehre der Augurn .
Ein Widerſpruch iſt alſo in dieſen verſchiedenen Geſichts-
punkten , dem Sinn nach , nicht . Daß , ſo lange die alte
Religion in ihrer Kraft lebte , fuͤr die Landtheilung in der
That auch ein zwiefacher beſtand , Suͤd und Weſt , iſt aus
Zweiter Theil. B b
den angefuͤhrten Stellen klar . Jener erſte war den ſpaͤte-
ren Landmeſſern unbekannt geworden ; weil aber Nord
und Suͤd die Richtung des Kardo iſt , der Hauptlinie die-
ſer Eintheilung , ſcheint er gerade der aͤlteſte geweſen
zu ſeyn .
Der aͤlteſte Feldmeſſer war unſtreitig ein Augur ,
begleitet von etruskiſchen Prieſtern , oder ihren Schuͤ-
lern , denn dieſe waren gewiß allein im Beſitz der we-
nigen mathematiſchen Kenntniſſe welche Rom zum Haus-
gebrauch aus dem vielleicht reichen Schatz Etruriens er-
borgte . Der Augur , welcher auf ſeinem Standpunkt
die im Senatsbeſchluß oder Volksgeſetz beſtimmten Graͤn-
zen im Sinn faßte , — vorſichtig gegen ein Verſehen der
Rede die Inauguration durch den Vorbehalt zu ſchuͤtzen ,
es gelte was er meine , — dieſer fehlte bey den Aſſigna-
tionen der Kaiſerzeit . Da nahm der Feldmeſſer ſeine
Stelle ein : auch dieſer begann damit ſich zu orientiren ,
und zwar nach den wahren Weltgegenden , nicht nach
dem zufaͤlligen Ort des Aufgangs und Niedergangs der
Sonne . Letzteres iſt allerdings doch zuweilen geſchehen ;
ein Beweis von der Rohheit der einheimiſchen roͤmi-
ſchen Meßkuͤnſtler Hyginus de limitib. p. 153 . . Hierauf zog er die Hauptlinie
von Mittag nach Mitternacht , welche , als der Weltaxe
entſprechend , Kardo genannt ward . Die welche ſie
rechtwinklich durchſchnitt trug den Nahmen Decuma-
nus , wahrſcheinlich von der Kreuzform der Durchſchnei-
dung die dem Zahlzeichen X entſpricht , wie decussatus .
Dieſe beyden Hauptlinien wurden bis an die Graͤnze
des zur Theilung beſtimmten Bezirks verlaͤngert , und
ihnen parallel , naͤher oder ferner , wie es die Groͤße der
Vierecke worin die Feldmark eingetheilt werden ſollte
angab , andere Linien abgeſteckt , welche mit dem Nah-
men der Hauptlinie bezeichnet wurden der ſie parallel
liefen : dieſe ward durch den Zuſatz maximus unter-
ſchieden . Alle wurden auf dem Boden , ſo weit es ſeine
Beſchaffenheit zuließ , durch Reine bezeichnet , von de-
nen die welche die Grundlinien darſtellten die groͤßte
Breite empfingen : nach ihnen , wenn wir nach griechi-
ſcher Weiſe zaͤhlen , je der ſechſte , oder , nach roͤmiſcher
Sitte im Raum wie in der Zeit , da keine zweymal ,
ſondern diejenige welche auf die Grundlinie folgt als
die erſte gezaͤhlt wird , der fuͤnfte Eben ſo iſt quinquennale tempus fuͤr Roͤmer unſtreitig
eine Zeit von fuͤnf Jahren , waͤhrend die griechiſche Πςνταε-
τηρὶς nur vier begreift . .
Dieſe Streifen nun , die anſchauliche Geſtalt der
formalen Linien , werden limites genannt : ſie blieben
Gemeingut : und in Italien alle , nicht nur jene breite-
ren , zu oͤffentlichen Wegen vorbehalten . Ihr Flaͤchen-
inhalt ward dem zur Theilung beſtimmten Boden ent-
zogen , ſo daß die an die breiteren Straßen graͤnzenden
Gevierte kleiner als die uͤbrigen geriethen : ohne Zweifel
um den unwiſſenden Landmeſſer jeder nur halbverwickel-
ten Berechnung bey der Eintheilung zu uͤberheben Hyginus de limitib. p. 152 . .
Die Entfernung der Limiten von einander ward
durch die Groͤße der Vierecke beſtimmt , welche ſie zu
B b 2
bezeichnen dienten . Dieſe befaßten in den ſpaͤteren Zei-
ten , unter dem Nahmen von Centurien , als Quadrate
oder Parallelogramme , 200 , 210 , und mehr Jugern .
Alt iſt anerkannt die Eintheilung des zum Verkauf ge-
ſtellten Ackers in gleichſeitige Vierecke von 50 Jugern
Flaͤcheninhalt . Dieſes Maaß gebrauchten noch die Trium-
virn als Centurie , unter dieſem Nahmen , welchen die
Agrimenſoren auf die alten quaͤſtoriſchen Aecker nicht
anwenden wollten . Denn ſie dachten nur an das Ju-
gerum als Einheit : das Mehr erklaͤrten ſie ſich , aber
das Weniger war ihnen unbegreiflich .
Aber das Jugerum war , wie es auch der Nahme
andeutet , ein Doppelmaaß Columella V. c. 1. , und die eigentliche Ein-
heit des roͤmiſchen Feldmaaſſes iſt der Actus , von
14400 Quadratſchuhen , alſo ein Geviertes von dem jede
Seite 120 Fuß mißt Nur ungefaͤhr dieſem entſprechen , ſo daß die Roͤmer in
Gallien die Worte gleichbedeutend gebrauchten , konnte der
galliſche Aripennis : ſo wenig der Arpent von irgend einer
Groͤße dem altgalliſchen genau gleich ſeyn kann . . Ein Quadrat von 50 Ju-
gern Flaͤcheninhalt hielt zehn Actus ins Gevierte Denis actibus L jugera incluserunt . Siculus Flac-
cus p. 2. ,
und iſt allerdings eine Centurie , freylich nicht von hun-
dert Jugern ſondern von hundert Actus . Nur dieſe
fuͤhrt ihren Nahmen eigentlich : und iſt gewiß urſpruͤng-
lich allein gebraͤuchlich geweſen . Sie enthaͤlt ſiebenmal
das Maaß eines plebejiſchen Landlooſes von ſieben Ju-
gern : das funfzigſte kommt auf die Graͤnzreine von
fuͤnf Fuß Breite und was den Limiten zufaͤllt .
Zu der Quadratwurzel des roͤmiſchen Actus oder
Fundus , zwoͤlf zehnfuͤßigen Ruthen , verhielt ſich die
des etruskiſchen und umbriſchen Verſus von zehn der-
ſelben , gerade wie zu dem roͤmiſchen buͤrgerlichen Jahr
das cycliſche . Als Landmaaß jener Voͤlker kennen wir
den Verſus oder Vorſus aus dem Fragment einer gu-
ten Schrift Fragm. de limitib. p. 216. ed. Goësii . , durch Varro Varro de R. R. I. c. 10 . als Maaß Campa-
nieus , wo es ſich von der Zeit der etruskiſchen Colonie
erhalten haben muß . Eine Centurie von hundert Actus
enthielt alſo 144 Verſus , naͤmlich das Quadrat von
zwoͤlfen . Die Linien der aͤlteſten roͤmiſchen Limitation ,
ſowohl die Decumane als die Kardines , waren , jenem
gemaͤß , immer zwoͤlfhundert Fuß von einander entfernt
gezogen : die etruskiſche Limitation hingegen ohne Zwei-
fel von tauſend zu tauſend Fuß , ſo daß zwoͤlf etruski-
ſche zehn roͤmiſchen Centurien gleich waren . So durch-
greifend iſt das Parallelverhaͤltniß des roͤmiſchen Duo-
decimal zum etruskiſchen Decimal-Zahlſyſtem .
Eingetheilt ward nach dieſen Regeln der ganze Di-
ſtrict deſſen Aſſignation beſchloſſen war : aber aſſignirt , zu
Eigenthum uͤbergeben , wurden nur Aecker und Pflan-
zungen Qua falx et arater ierit . Hyginus de limitib. p. 192.
Unſtreitig eine uralte Beſtimmung , obgleich er ſie nur aus
auguſteiſchen Ackergeſetzen anfuͤhrt ; er kannte die aͤlteren
gar nicht . . Das Ackergeſetz beſtimmte den zu theilen-
den Diſtrict , die Groͤße der Ackerlooſe , und wie Viele
Land empfangen ſollten : die Vertheilung geſchah durch
Verlooſung , indem ſo viele Berechtigte , als deren An-
theile zuſammen eine Centurie fuͤllten , unter eine Num-
mer zuſammengezaͤhlt , eben ſo Looſe fuͤr alle ganz aus
urbarem Lande beſtehende Centurien , jede durch die Zah-
len ihrer Graͤnzlimiten beſtimmt , in eine Urne gethan
wurden , von denen man dann eine nach der andern
heraushob , und nach der Ordnung wie ſie herauskamen
der entſprechenden Nummer der Nahmen zuſchrieb . Die
Beſchaffenheit des Bodens war dem Gluͤck uͤberlaſſen ;
das Maaß allein , und daß der Acker angebaut geweſen
war , kam in Betrachtung : nur als ein ſehr ſeltner Fall ,
wo die Verſchiedenheit des Bodens gar zu groß gewe-
ſen ſeyn muß , wird bey den Colonieen der Kaiſer Aus-
gleichung nach der Bonitaͤt erwaͤhnt .
Aus der Art der Verlooſung folgte nothwendig daß
alle Centurien die entweder ganz oder zum Theil aus
unurbarem Lande beſtanden , oder , an die unregelmaͤ-
ßige Graͤnzlinie ſtoßend , nicht volles Maaß hielten , gar
nicht zur Vertheilung kamen : denen auf die ſie gefal-
len waͤren wuͤrde Unrecht geſchehen ſeyn . Dieſe Grund-
ſtuͤcke blieben unter dem Nahmen Subseciva ( Reſte )
Eigenthum des roͤmiſchen Volks , und mit ihnen auch
die vollſtaͤndigen Centurien urbares Landes welche bey
der Verlooſung uͤbrig bleiben mochten . Die urbaren
Reſte wurden zuweilen den Gemeinden neuer Eigenthuͤ-
mer geſchenkt , gewoͤhnlicher als Domaine genutzt : Wald ,
Weide und Wuͤſte , jenen faſt ganz als Mark verliehen ;
denn nie durften Gemeintriften fehlen weil nur Bauland
zugetheilt ward . Waͤre das urbare Land nicht hinrei-
chend geweſen jedem ſein volles Maaß zu gewaͤhren ,
ſo wuͤrde unter der Republik ein andrer Domainenbe-
zirk das fehlende erſetzt haben : bey den Militarcolo-
nieen that es geſetzloſe Confiscation der angraͤnzenden
Landſchaft , wie Mantua dieſes Schickſal erfuhr .
Das limitirte und das formloſe Land hatten , mit
allen uͤbrigen Eigenſchaften des quiritariſchen Grund-
eigenthums , auch die directe Steuerfreyheit unter ſich ge-
mein . Ihr Werth ward allerdings im Cenſus abge-
ſchaͤtzt , und im Tributum verſteuert . Dem Gemeinland
hingegen war die directe Steuerpflichtigkeit ſo eigen-
thuͤmlich , daß auf das in Zahlung gegebene Domainen-
land ein Nominalgrundzins von einem As fuͤr das Ju-
gerum gelegt ward , um ſeine Eigenſchaft zu bezeichnen ,
damit die Republik ihr Einloͤſungsrecht bewahre Livius XXXI. c. 13 . .
Sonſt aber hatte das limitirte Land Rechtseigen-
thuͤmlichkeiten , wovon freylich kaum eine andre Notiz
ausdruͤcklich erhalten iſt als die daß ihm die Alluvion
fehlte l. 16. D. de adquir . rer. dom. l. 1. §. 6. D. de fluminib . : weil ein beſtimmtes Maaß die Bedingung
ſeiner Bildung war . Faſt vorherrſchend in den meiſten
Regionen Italiens , gewoͤhnlich in den Provinzen des
Weſtens , ſcheint im Oſten dieſer Charakter des Grund-
eigenthums aͤußerſt ſelten geweſen zu ſeyn , daher die
Verſaͤumniß bey den Auszuͤgen fuͤr die Pandecten . Die
Nichterwaͤhnung auch der auffallendſten Eigenſchaften
kann folglich nicht als Widerlegung ihres Daſeyns gel-
ten ; wir duͤrfen aus innern Beweiſen folgern was fac-
tiſch darzulegen zufaͤllige Zerſtoͤrung der Zeugniſſe viel-
leicht auf immer unmoͤglich gemacht hat , vielleicht auch
nur einem beleſeneren und gluͤcklicheren Forſcher vor-
behalten iſt .
Es iſt klar daß die ganze Kunſt der Agrimenſoren
die urſpruͤnglichen Graͤnzſcheiden zu entdecken , an der
Freyheit einzelne Landſtuͤcke von willkuͤhrlichem Umfang
zu veraͤußern haͤtte ſcheitern muͤſſen : und , gewohnt dieſe
vorauszuſetzen , finden wir jene eben deswegen zwecklos
und widerſinnig . Die urſpruͤnglichen Graͤnzen mochten
ſie ausmitteln , aber von nun an entſchieden nur Kauf-
briefe und andere Documente : und wenn dieſe nicht
vollkommen geometriſch beſtimmt abgefaßt waren , ſo
konnte kein Eigenthum unſicherer ſeyn als Erwerbungen
auf limitirtem Boden , wo die in derſelben Centurie Be-
guͤterten die Controverſe de modo erheben konnten .
Dies fuͤhrt auf die Vermuthung daß ein aſſignir-
ter Fundus als eine geſchloſſene Hufe , als ein Ganzes
in unveraͤnderlichen Graͤnzen , anzuſehen iſt . Eine Vor-
ſtellung welche ſchon in den Grundzwecken der Limita-
tion ihre Bewaͤhrung zu haben ſcheint .
Aus den Pandecten , Inſchriften , und alten Urkun-
den , iſt bekannt daß ein Fundus haͤufig einen eigen-
thuͤmlichen Nahmen trug , nicht nach dem jedesmaligen
Beſitzer veraͤnderlich , ſondern ſo fortdauernd daß noch
jetzt , wer dieſen Spuren nachginge , ohne Zweifel , vor-
zuͤglich in der roͤmiſchen Campania und Sabina , viele
hundert Beyſpiele ganz kenntlich erhaltener roͤmiſcher
Nahmen von Grundſtuͤcken finden wuͤrde . Von den vier
fundis welche die Schenkung des A. Quinctilius zu Fe-
rentinum nennt , haben zwey ihren Nahmen faſt unver-
aͤndert bewahrt Ich finde dieſe Nachricht in einem Heft des Werks der
Marianna Dionigi uͤber die cyklopiſchen Mauern . , und dies wird gar nicht als etwas
auffallendes berichtet . So meldet der h. Hieronymus ,
jener Fundus welchen der Dichter Attius bey der Aſ-
ſignation der Colonie Piſaurum zu ſeinem Loos empfan-
gen , werde nach ſeinem Nahmen genannt Hieronymus Chron. 11. 1877 . : und ſo
wenig man laͤugnen kann daß auch in nichtgetheilten
Landſchaften ſolche dauernde Benennungen gelten moch-
ten , ſo einfach wahrſcheinlich iſt es daß ſie auf aſſignir-
tem Boden , wie dort zu Piſaurum , nach den erſten Be-
lehnten gegeben ſind , unter deren Nahmen ſie in das
Landbuch eingeſchrieben wurden .
Nun aber finden ſich in den aͤlteſten Urkunden je-
uer ſuburbicariſchen Gegenden die laͤndlichen Grundſtuͤcke
faſt immer unter einem ſolchen Nahmen bezeichnet , und
ihr Verkauf oder Vermaͤchtniß bald fuͤr das Ganze , bald
im Unzialverhaͤltniß . Damit ſtimmt die in den Pan-
decten haͤufige , uns auch ſo fremde , Erwaͤhnung mehrerer
Eigenthuͤmer eines Fundus : damit , aus der alten Ge-
ſchichte Roms , jene Guͤtergemeinſchaft der ſechszehn Aelier ,
denen eine einzige Hufe im Vejentaniſchen gehoͤrte Valerius Maximus IV. c. 4. n. 8 . :
ſie waren Plebejer .
Dieſes ſchließt aber nicht Theilung Daher die termini comportionales . , ja auch
nicht Verkauf , im Unzialverhaͤltniß , aus : aber die
urſpruͤngliche Graͤnze ſchloß alles wie ein Ganzes in ſich :
und alle Theile hafteten fuͤr den Modus der erſten Aſ-
ſignation . Es iſt auch ſchon bemerkt worden wie nur
durch ſolche unveraͤnderliche Einheiten der Kataſter der
Cenſoren in Ordnung erhalten werden konnte .
Ackergeſetz war der Nahme einer jeden geſetzlichen
Verordnung uͤber das Gemeinland : auch derjenigen
welche Colonieen einrichteten . In ſolchen Geſetzen wur-
den auch die Maͤrkte und Verſammlungsorte ( fora et
conciliabula ) angeordnet Capita legis Marniliæ etc. p. 339. ed. Goësii . : Worte deren ſtrenge Er-
klaͤrung wir entbehren : doch ſcheint es daß die letzten
in den allgemein getheilten Landſchaften errichtet ſeyn
moͤgen , wo die Anſiedler ohne Form einer Municipal-
verfaſſung wohnten ; die Maͤrkte hingegen auf occupir-
tem Gemeinland . Wenigſtens gehoͤren die Gegenden wo
die bekannteſten Fora genannt werden zu ſolchen confis-
cirten Laͤndern deren Theilung ſogar unwahrſcheinlich iſt .
Beyderley Orte ſicherten auch dem entfernt wohnenden
Buͤrger roͤmiſche Rechtspflege .
Fortſetzung von den liciniſchen
Rogationen .
Das liciniſche Ackergeſetz hat zwey Haupttheile ge-
habt : einen allgemeinen , bleibend legislatoriſchen , und
einen fuͤr die Gegenwart verfuͤgenden . Ich glaube daß
folgende Hauptſtuͤcke als darin enthalten aufgefuͤhrt
werden koͤnnen , weil es unſtreitig das Grundgeſetz des
ſpaͤteren agrariſchen Rechts war .
1. Das Gemeinland des roͤmiſchen Volks ſoll in
ſeinen Graͤnzen beſtimmt werden . Grundſtuͤcke welche
Privatperſonen davon uſurpirt haben , ſollen der Repu-
blik vindicirt : die deren Eigenthum ſtreitig iſt , verkauft
werden , damit das Recht unter Privatperſonen ent-
ſcheide Gewiß hat Dionyſius jenes Senatusconſult welches dem
Volk das caſſiſche Geſetz verguͤtet haben ſoll ( VIII. c. 76. )
nicht erſonnen : aber wie mehr als unwahrſcheinlich iſt die
Authenticitaͤt dieſer genauen Urkunde eines nie ausgefuͤhr-
ten Beſchluſſes , bey der Heimlichkeit der Senatsarchive vor
dem Jahr 305 ? Die Nichtigkeit der Reden wird jeder ein-
raͤumen . Mir ſcheint es daß die Annaliſten auch hier eine
duͤrftige Notiz aus dem Stoff eines ſpaͤteren Zeitalters aus-
bildeten : alſo wahrſcheinlich aus dem ihnen noch wohlbe-
kannten liciniſchen Geſetz , welches ſich folglich in dieſem
Hauptſtuͤck aus Dionyſius herſtellen laſſe . Uſurpation war
anlockend auch als die Domaine keine Abgabe zahlte , weil
Privateigenthum , als unter allen Umſtaͤnden ſicher , doch
einen hoͤheren Kaufwerth gehabt haben muß . .
2. Jeder Beſitz der nicht groͤßer iſt als dieſes Ge-
ſetz geſtattet , nicht gewaltthaͤtig , nicht verſtohlen , nicht
geliehen , ſoll gegen jeden Dritten geſchuͤtzt ſeyn .
3. Jeder roͤmiſche Buͤrger ſoll berechtigt ſeyn neu
erworbenes Gemeinland , wenn es nicht im Beſitz der
alten Eigenthuͤmer gelaſſen , noch dem Volk eigenthuͤm-
lich vertheilt , oder eine Colonie darauf gegruͤndet wird ,
fuͤr ſeinen Antheil durch Beſitz zu nutzen , ſofern er
das Maaß nicht uͤberſchreitet welches dieſes Geſetz be-
ſtimmt Seit dem liciniſchen Geſetz iſt die Benutzung der Do-
maine durch Plebejer unzweifelhaft , da C. Stolo ſelbſt ſein
Geſetz uͤberſchritt . Dies koͤnnte durch Kauf geſchehen ſeyn ,
und ſo mochten reiche Plebejer ſchon fruͤher dieſen Beſitz
theilen : aber die Nobilitaͤt des gracchiſchen Zeitalters war
groͤßtentheils plebejiſch , und ihr Beſitz gruͤndete ſich auf die
Occupation ihrer Vorfahren . .
4. Niemand darf vom Gemeinland an Acker und
Pflanzungen mehr als fuͤnfhundert Jugern beſitzen , noch
auf der Gemeinweide mehr als hundert Haͤupter gro-
ßes , und fuͤnfhundert Stuͤck kleines Vieh graſen laſſen .
Wer dagegen handelt den ſollen die Aedilen vor dem
Volk auf eine Geldſtrafe belangen ; er ſoll das Land-
maaß , welches er geſetzwidrig beſaß , verbrochen haben .
Eben ſo diejenigen welche ihre Triften unerlaubt er-
weitern Nichts iſt bekannter als das Maaß des Landbeſitzes : wie
die Hutgerechtigkeit beſchraͤnkt geweſen , meldet Appian ( de
bell. civil. I , p. 354 , ed. Steph . ) . Die plebejiſchen Aedilen
erſcheinen als Anklaͤger vor dem Volk gegen geſetzwidrige
Ackerbeſitzer im Jahr 454 , mit Erfolg : ( Livius X. c. 13. )
wegen uͤbermaͤßiger Weidebenutzung ( derſelbe X. c. 23. 47.
XXXIII. c. 42. XXXV. c. 10. Ovidius fast. V. v. 283. ff. ) .
Gewiß war auch M. Popillius Laͤnas Aedilis des Volks
( VII. c. 16. ) , als er den Urheber des Geſetzes uͤberwieß
daß er ſelbſt , durch Emancipation ſeines Sohns , ihm liſtig
ausweichend entgegenhandle . Der Geldſtrafen wird in al-
len Faͤllen gedacht . C. Licinius Stolo ward zu zehntau- .
5. Die Beſitzer des Gemeinlands ſollen an die Re-
publik vom Acker den zehnten Scheffel , von Baum-
pflanzungen und Weinbergen den fuͤnften des Ertrags
entrichten : von jedem Haupt großes Viehs , welches ſie
auf der Gemeinweide halten , … Aſſe , von jedem Stuͤck
kleines Viehs … Aſſe jaͤhrliches Grasgeld zahlen Wir muͤſſen annehmen daß dieſe Verordnung , welche
Appian ( de bell . civilib. I. p. 353. ) erhalten hat , im lici-
niſchen Geſetz enthalten war , denn es iſt wiederhohlt be-
merkt wie bis dahin unter der Ariſtokratie nichts erlegt
ward . Vom Obſt ſcheint allgemein eine hoͤhere Ertrags-
ſteuer gezahlt zu ſeyn als vom Getreide ; ſo entrichtete Ju-
daͤa den Syriſchen Koͤnigen von jenem die Haͤlfte , von die- .
ſend Aſſen verurtheilt , weil er tauſend Jugern beſaß . Nicht
daß jene Geldſumme , oder eine beſtimmte Zahl fuͤr das
Jugerum , eine feſte Strafe geweſen waͤre : Veraͤnderlichkeit
nach erſchwerenden oder mildernden Umſtaͤnden iſt der noth-
wendige Charakter einer irrogirten Mult . Daß aber uͤbri-
gens nur der unerlaubte Beſitz eingezogen , nicht auch der
geſetzmaͤßige ſeinetwegen verwirkt ward , ſcheint durch die
Milde der Semproniſchen Geſetzgebung bewieſen .
Fuͤnfhundert Jugern ſind ungefaͤhr 490 Magdeburger
Morgen : ein Vorwerk von nicht veraͤchtlichem Umfang ,
und dadurch noch bedeutender daß es ganz in Ackerland
oder Pflanzung beſtand ; indem die Gemeintrifft zur Weide
diente . Dem Athenienſer haͤtte dieſer Beſitz ſehr groß und
glaͤnzend geſchienen , da Alkibiades Familiengut weniger als
dreyhundert Plethren maaß : noch nicht eiumahl einmahl 120 Ju-
gern ( Plato , Alcib pr. p. 123. c. ) . Uebrigens galt die
Beſchraͤnkung durchaus nur fuͤr den Beſitz , nicht fuͤr den
Erwerb von Eigenthum , roͤmiſchem und fremdem : dem wa-
ren keine Schranken geſetzt .
6. Die Cenſoren ſollen die dem roͤmiſchen Volk
vom Gemeinland vorbehaltene jaͤhrliche Abgabe jedesmahl
auf ein Luſtrum an den Meiſtbietenden verkaufen . Die
Finanzpachter ſollen der Republik Sicherheit fuͤr die Er-
fuͤllung ihrer Verpflichtungen ſtellen . Bey unvorher-
geſehenen Ungluͤcksfaͤllen mag der Senat ihnen Er-
laß an der ſchuldigen Summe geſtatten . Der Ertrag
ſem den dritten Scheffel ( 1 Maccab. X. 39. ) . Der Zehnte
war eine geringe Steuer . Aegypten zahlte an die Pharao-
nen den Fuͤnften ( 1 Moſis XLVII. 24. 26. ) . Die Indier
ſteuern von einem Viertheil bis zu drey Viertheilen , wo
ſie dann im letzten Fall immer das Saatkorn , und oft
Brodkorn von den Generalpachtern borgen muͤſſen . Dieſe
Ertragsſteuern waren allenthalben in Aſien die Quelle der
unermeßlichen fuͤrſtlichen Schaͤtze : daher erklaͤren ſich die
Reichthuͤmer Davids und Salomos , naͤmlich aus der Grund-
ſteuer Syriens . Karthago ſcheint von dem unterthaͤnigen
Afrika ein Viertheil des Ertrags erhoben zu haben : denn ,
als im erſten puniſchen Kriege der Tribut der Staͤdte ver-
doppelt ward , iſt vom Lande die Haͤlfte der Erndten
an Getreide und Fruͤchten gefordert worden ( Polybius I.
c. 72. ) . Die Araber erhoben nur den Zehenten ( die
Aſchera ) : eine außerordentliche Erleichterung fuͤr den von
den byzantiniſchen Finanzen ausgeſogenen Orient , der ge-
wiß keine milderen Steuern entrichtete als jene Syriſchen ;
denn Rom erleichterte ſo viel wir wiſſen nur einmal die
Laſten der eroberten Laͤnder . So verſchmerzten die Unter-
thanen der Khalifen leicht die bey der Eroberung geforder-
ten Kriegsſteuern ; nur dann war ihr Loos hart wenn der
Landesherr das Eigenthumsrecht ausuͤbte , welches er durch
die Eroberung gewonnen hatte .
ſoll zur Zahlung des Solds an die Armee verwandt
werden Verkaufen , durch Mancipation : ſ . oben Anmerk. 459.
Ueber die Verbuͤrgung und den Erlaß ſ . Polybius VI. c. 17 .
Die Verwendung im Senatusconſult bey Dionyſius . .
7. Die Finanzpachter ſollen ſich mit den Beſitzern
uͤber den Antheil einigen den ſie , von wegen des Staats ,
vom Ertrag ihres Beſitzes zu fordern berechtigt ſind . Kein
Vieh darf ohne bey ihnen verzeichnet zu ſeyn und Hutgeld
gezahlt zu haben , auf die Gemeinweide getrieben wer-
den : was ſo der Abgabe entzogen wird , verfaͤllt der
Republik Zu unterſcheiden von dem verbotenen Uebermaaß : Cap. 4.
Cicero Verr. frum. c. 11. Varro de R. R. II. c. 1 . .
8. Die Beſitzer des Gemeinlands ſind verpflichtet ,
in einem beſtimmten Verhaͤltniß zum Umfang ihres Be-
ſitzes Freye als Feldarbeiter zu gebrauchen Dieſe Verfuͤgung giebt Appian a. a. O . .
So weit waren die Beſtimmungen des Geſetzes welche
ſich entdecken laſſen allgemeines und dauerndes Inhalts .
Das folgende war Verfuͤgung in Hinſicht der Gegenwart .
9. Was Einzelne gegenwaͤrtig uͤber fuͤnfhundert Ju-
gern Acker und Pflanzung vom Gemeinland beſitzen , ſoll
allen Plebejern in Looſen von ſieben Jugern zum Eigen-
thum angewieſen werden Varro de re rust. I. c. 2. und auch Columella I. c. 3.
ſcheinen einen von dem Geſetzgeber verſchiedenen Tribun
C. Licinius Stolo als Ackervertheiler an das Volk zu mei-
nen : doch Varros Stelle iſt ſo tief auf den Grund verdor-
ben , die Erklaͤrung von dem C. Licinius Craſſus ein ſo .
10 . Zur Ausfuͤhrung dieſes Geſetzes ſollen Decem-
virn vom Volk erwaͤhlt werden Eine außerordentliche Magiſtratur , ein Collegium von
groͤßerer oder geringerer Zahl , ward zur Ausfuͤhrung eines
jeden Ackergeſetzes ernannt . Gewoͤhnlich waren es Trium-
virn : ich nehme hier Decemvirn an , nach dem Senatus-
conſult bey Dionyſius . Conſulariſche Senatoren , von denen
er redet , koͤnnen es freylich nicht geweſen ſeyn : denn der
Tribun uͤbertrug die Ausfuͤhrung gewiß nicht den Patriciern
allein : und Conſulare im ſtrengen Wortſinn hatte Rom da-
mals vielleicht gar nicht . .
11. Dieſes Plebiſcit ſoll als Grundgeſetz von beyden
Staͤnden beſchworen werden Appian a. a. O. .
Nach dieſer Darſtellung bedarf es wohl jetzt ſo wenig
einer Rechtfertigung des liciniſchen Ackergeſetzes , als der
Volkstribun vor ſeinen Zuhoͤrern eine weitlaͤuftige Ent-
wickelung
handgreiflicher Irrthum , daß nur Emendation Sinn ſchaf-
fen kann . Columella aber iſt der Geſchichte ſo unkundig
daß er die erſte Ackervertheilung , wodurch der Senat nach
der Verbannung der Koͤnige das Volk zu gewinnen ſuchte ,
einem Volkstribunen , dem Licinius , zuſchreibt . Eine Aſ-
ſignation war vom Zweck des liciniſchen Geſetzes unzertrenn-
lich , ſo ſehr , daß wir ohne Zeugniß das Daſeyn ſolcher An-
ordnungen darin annehmen duͤrften und muͤßten . Aber die
liciniſchen ſieben Jugern waren ſprichwoͤrtlich , obwohl ſchon
fruͤher herkoͤmmliches Maaß . Sieben Jugern ſind ungefaͤhr
6 , 86 Magdeburger Morgen , und um ſo mehr hinreichend
eine Familie zu ernaͤhren , da ſie außerdem genuͤgendes
Weideland hatte .
wickelung des Rechts und der Vortheile noͤthig finden
konnte . Die Billigkeit iſt wahrſcheinlich damals wie ſpaͤ-
ter beſtritten worden , und es war auch unmoͤglich daß
hier das allgemein Heilbringende Einzelne nicht hart ge-
troffen haͤtte . Hat aber ein Patricier ſich auf alte aus-
ſchließende Anſpruͤche berufen , ſo wird ihm der Tribun
die lange uſurpirte Entziehung der Abgaben erwiedert : er
wird geltend gemacht haben daß der plebejiſche Stand ſeit
ſeiner Bildung urſpruͤngliches Recht auf Aſſignation habe ,
und daß er es ſey welcher in den Legionen die Schlachten
der Republik kaͤmpfe . Er wuͤrde ſelbſt den Habſuͤchtigen
ermahnt haben zu erwaͤgen , wie vielfacher andrer Erwerb ,
und andrer Landbeſitz , den ſein Geſetz nicht beſchraͤnkte ,
ſich eroͤffne , ſobald die Republik , bey innerer Geſundheit ,
bey Wohlhabenheit des Volks , und unverſiegenden Fi-
nanzen , ſich erobernd ausbreiten koͤnne . Er hat ſagen
koͤnnen , der Staat muͤſſe auf eine zahlloſe Menge kleiner
eigenthuͤmlicher Bauerguͤter gegruͤndet , durch groͤßere
Beſitzungen der edeln Familien geſchmuͤckt werden . Als
Pabſt Leo IV , — den die Roͤmer der beſten Jahrhunderte
als aͤchten Mitbuͤrger anerkannt , und ihn wuͤrdig ge-
funden haben wuͤrden das Pomoͤrium zu erweitern , — zu
Portus eine Colonie gruͤndete , um die Stadt gegen die
Saracenen zu ſchuͤtzen , hat er ihr nicht nur Laͤnde-
reyen des roͤmiſchen Stuhls und Kloſterguͤter , ſondern
ſogar Privatgrundſtuͤcke eingeraͤumt . Er liebte das Va-
terland mehr , ſagt ſein Geſchichtſchreiber , und die Er-
haltung des ihm vertrauten Volks , als hinfaͤllige Guͤ-
Zweiter Theil. C c
ter , deren geizige Behauptung vielen das Leben und die
geliebten Guͤter ſelbſt gekoſtet hat Anaſtaſius de vitis Pontific. p. 283. ed. Mogunt . .
Gluͤcklich der Staat wo durch ein liciniſches Geſetz
die Herſtellung einer Nation freyer Landleute geſetzmaͤßig
moͤglich war ! Da in Griechenland jede Ackertheilung , ge-
billigt von den Philoſophen , ſelbſt wie Timoleon ſie als
ein unvermeidliches Uebel ausfuͤhrte , das Eigenthum
umſtuͤrzte , und ein neues hinſtellte welches nie ſeine
wahre Feſtigkeit erhielt .
Die vierte liciniſche Rogation beugte allerdings das
Recht . Sie verfuͤgte , daß vom Capital der Schulden
der Betrag der bisher erlegten Zinſen abgezogen , und der
Ueberreſt in drey jaͤhrlichen Terminen zu gleichen Theilen
abgezahlt werden ſolle . Dieſe Rogation laͤßt ſich nur
durch Gruͤnde entſchuldigen wie etwa ein um fortſchrei-
tende allgemeine Verarmung zu hindern beſchloſſener par-
tieller Staatsbankerott — durch eigenmaͤchtige Herab-
ſetzung der Zinſen — , wobey immer eine nie zu hebende
Einſage des Rechts der Gekraͤnkten , und der allgemeinen
Erhaltung Aufgeopferten , uͤbrig bleibt . Die moraliſche
Beurtheilung vergangener Zeiten darf freylich nicht von
den uns gewoͤhnlichen Anſichten ausgehen , ſondern von
einer Kenntniß deſſen was nach dem Gefuͤhl des Zeitalters
der Handlung loͤblich oder wenigſtens erlaubt war . Das
Alterthum haßte und verdammte den Zinshandel faſt ſo
ſehr als die alte chriſtliche Kirche , oder der Islam , und
haͤufige Beyſpiele machten vertraut mit dem Gedanken
daß der Staat ſich in die Verhaͤltniſſe der Schuldner und
Glaͤubiger miſchen duͤrfe , waͤhrend , nach unſern Anſichten ,
ein Vermoͤgen , hingegeben unter den Schutz beſtehender
Geſetze , und der Wachſamkeit des Eigenthuͤmers entzo-
gen , eben dadurch , wie jeder Wehrloſe , groͤßere Unver-
letzlichkeit und Heiligkeit gewonnen hat . Doch auch im
Alterthum konnte nur die reinſte Pruͤfung ſeiner Einſicht
und ſeines Willens den Urheber ſolcher Geſetze beruhigen
und rechtfertigen : vor allem aber daß er ſelbſt , und nicht
in geringem Maaß , durch die von ihm ausgehenden Be-
ſchluͤſſe verlohr . Haͤtten ſie ihn gar nicht getroffen , ſo
konnte er leichtſinnig uͤber das Vermoͤgen Anderer ſchal-
ten : entzog er ſich ihren Schlaͤgen , ſo war er faſt ſo
verworfen als wenn ihm Vortheil daraus entſtand . Der
ſpaͤtere Reichthum der liciniſchen Familie , wodurch ſie
ſchon im hannibaliſchen Krieg beyde Staͤnde uͤbertraf ,
der ſehr große Landbeſitz des Tribunen ſelbſt , und das
Stillſchweigen jeder Beſchuldigung , machen es faſt gewiß
daß C. Licinius nicht eigennuͤtzig gehandelt habe . Ueber-
haupt vertraute ſich die roͤmiſche Nation nur wohlha-
benden und wohlbehaltenen Maͤnnern : auch die Armuth
des großen , keinem Schein dienenden , Mannes iſt in
dem beduͤrfnißloſen Suͤden wohlhabend genug : Curius
und Fabricius mangelte nichts .
Widerrechtlich wie das liciniſche Schuldgeſetz war ,
iſt dennoch der Umfang ſeiner Schaͤdlichkeit ſo viel ge-
ringer geweſen als der jedes Eingriffs eines neueren
Staats in die Schuldrechte ſeyn wuͤrde , wie die Art
und der Umfang der Verſchuldung in der alten roͤmi-
C c 2
ſchen Republik mit den Verhaͤltniſſen woran wir ge-
woͤhnt ſind , nicht verglichen werden koͤnnen .
Verſchuldung war unter den Roͤmern eine Unehre ,
wie ſie nach dem alten Recht zur Knechtſchaft , und auch
nach dem Poͤteliſchen Geſetz zur buͤrgerlichen Ehrloſig-
keit , fuͤhren konnte . Zum Gewinn und zu Speculatio-
nen borgte nur der Kaufmann auf Bodmerey , und
Rom war keine Handelsſtadt . Der Landwirth verbeſ-
ſerte ſein Feld ſoweit ſeine und der Seinigen Arbeit
reichte . Die groͤßte Quelle der Privatverſchuldung fehlte
weil es kein Hypothekenrecht gab . Die Kaufſumme von
liegenden Gruͤnden ward baar bezahlt , und wenn meh-
reren ein Grundſtuͤck durch Erbſchaft zufiel , ſo blieb es
entweder in gemeinſchaftlichem Beſitz , oder es ward in
der Subſtanz getheilt . Die Schulden welche das lici-
niſche Geſetz betraf waren alſo , was bey uns ein klei-
ner Theil der ganzen Schuldenmaſſe iſt , nur aus wah-
rer Noth entſtandene : denn Verſchwendung war auch
noch ganz unbekannt : ſie glichen in ihrer ganzen Be-
ſchaffenheit den Wechſelſchulden . Dies nun beſtimmt
auch die moraliſche Beurtheilung ; denn borgen aus
Noth erzeugt Wucher ; der Wucher iſt geſetzlichen Schutzes
unwuͤrdig ; und das liciniſche Geſetz war doch nur wie
eine Fallitenordnung zum Vortheil derer die , im Durch-
ſchnitt , zwey Drittheil ihrer Schuld abtragen konnten .
Die Geſetze uͤber den Bankerott beguͤnſtigen die Erhal-
tung eines Theils vom Vermoͤgen : das liciniſche be-
wahrte die perſoͤnliche Freyheit , und erhielt der Repu-
blik Buͤrger die ſonſt als Sklaven uͤber die Graͤnze ver-
kauft wurden . So hatte auch die Kuͤrzung der gezahl-
ten Zinſen keineswegs die Folge welche von einem aͤhn-
lichen Geſetz bey uns unzertrennlich ſeyn wuͤrde , daß
der Schuldner vielleicht das ganze Capital wegrechnen
koͤnnte . Ich glaube bey der Unterſuchung des Unzial-
zinsfußes wahrſcheinlich machen zu koͤnnen , daß das ge-
woͤhnliche Zeitmaaß eines Darleihens vor Alters das
zehnmonatliche Jahr geweſen iſt : nach deſſen Ablauf der
Schuldner , wenn ihm eigene Mittel fehlten , ſich einen
neuen Glaͤubiger Feſtus s. v. Versura . , natuͤrlich oft fuͤr Capital und Zin-
ſen , ſuchen , oder ſich mit dem erſten Zinsherrn verei-
nigen mußte . So war der Verluſt des Glaͤubigers am
Capital in den meiſten Faͤllen nicht ſehr groß : die Zin-
ſen von zwey Jahren wurden ihm allerdings auch ge-
nommen . Die dreijaͤhrige Zahlung war der Termin der
auch unverzinslichen Dos , und wie dieſe drey Jahre
cycliſch waren , ſo auch ohne Zweifel dieſe tribuniciſchen
Friſten .
Sonderbar iſt es daß die Tribunen weder die Haͤrte
des alten Schuldrechts milderten , noch Wuchergeſetze
einfuͤhrten . Die aͤltere Geſetzgebung kann keine enthal-
ten haben , ſonſt haͤtten die Tribunen den Schuldnern ,
um ihnen aufzuhelfen , nur die vierfache Strafe zu
ſchenken gebraucht welche der Republik verfallen war :
denn in jener Zeit der Noth war gewiß jedes Geſchaͤft
wucheriſch .
Wenigſtens die drey Hauptrogationen wurden von
C. Licinius und L. Sextius unter den Militartribunen
des Jahrs 378 Die Chronologie dieſes Zeitraums iſt in einer vollkom-
menen Verwirrung Den catoniſchen Faſten getreu , und
jaͤhrige Dictaturen als Luͤckenbuͤßer der varroniſchen ver-
werfend , nehme ich 365 als das Jahr der Eroberung , 389
fuͤr das erſte plebejiſche Conſulat , und fuͤnfjaͤhrige Anar-
chie , an . Dennoch bleibt eine Luͤcke von einem Jahre ; Li-
vius ſelbſt ſetzt die zehnte Wahl der beyden Volkstribunen
in das Jahr 387 : alſo ihre erſte in 378 Wir koͤnnen uns
nur helfen , indem wir dieſes fehlende Jahr der Anarchie
zurechnen : denn Dodwell handelt auch hier mit der ihm
gewoͤhnlichen Schiefheit , indem er vier Militartribunen
fuͤr das Jahr 379 aus Diodor aufnimmt , welche nur das
zweymal angefuͤhrte Collegium des Jahrs 385 mit Auslaſ-
ſung zweyer , und verſtuͤmmelten Nahmen , ſind . Anders ſind
uͤberhaupt die Faſten Diodors nicht beſchaffen . promulgirt , in welchem ſie vier
Tage vor den Iden des Decembers ihr Amt antraten ,
waͤhrend jene ihre Magiſtratur bis an die Kalenden
des Quintilis bekleideten . Wie das Volk zu Hoffnun-
gen belebt , und ſein Wille fuͤr die Annahme am Tage
der Abſtimmung unzweifelhaft war , ſo ergriff den Se-
nat Furcht , Unwille und Erbitterung . Waren die Ro-
gationen von den Comitien angenommen , dann fehlte
ihnen allerdings zur Geſetzkraft noch die Einwilligung
des Senats , aber die Verweigerung brachte dann den
Streit ſogleich zur aͤußerſten Entſcheidung . Abgewandt
konnte die Gefahr nur dadurch werden daß die Roga-
tionen hinſtarben ehe das Volk ſie beſchloß . Um dieſes
zu erreichen gewann der Senat die ſaͤmmtlichen acht
Collegen der beyden Tribunen den Vortrag in der Volks-
gemeinde zu hindern ; vielleicht ſehr rechtliche neue-
rungsſcheue Maͤnner . Als Licinius und Sextius die
Gemeinde an dem beſtimmten Tage berufen hatten , un-
terſagten dieſe die Verleſung der Rogationen , welche
der Abſtimmung vorhergehen mußte . Verleſen vor der
Volksgemeinde konnte nur ein Schreiber , uͤber deſſen
Ungehorſam nach der Willkuͤhr des widerſprechenden
Volkstribunen Todesſtrafe verhaͤngt war : die geheilig-
ten Tribunen konnten den Widerſpruch nicht dadurch
vereiteln daß ſie ſelbſt die Tafeln nahmen . Denn die
Gewalt ihres Amts war ganz perſoͤnlich , ſie herrſchten
dadurch daß nichts unternommen werden konnte , wo
nicht der Tod die Strafe des ihrem Willen Ungehorſa-
men geworden waͤre ; und daher zerſtoͤrte allerdings in
dem letzten Zeitalter der Republik C. Cornelius die
Kraft der Interceſſion , indem er ſelbſt , als ſein Diener
dem Verbot weichen mußte , den Entwurf eines Geſetzes
verlas Aſconius in argum . Cornelianæ . . Dem Volk konnte kein Tribun das Abſtim-
men verwehren : er war ja nur deſſen Repraͤſentant :
auch ſeinem Collegen nichts unmittelbar unterſagen , denn
er konnte ihn nicht ſtrafen : aber bis zu dem Augenblick
in dem ſich die Tribus abſonderten konnte er die Ab-
ſtimmung bey jedem den Dienern zukommenden Ge-
ſchaͤft , welches vorher vollendet ſeyn mußte , ſtoͤren und
unmoͤglich machen Cicero fragm. Cornelianæ und Aſconius im Commentar . .
Alſo unuͤberwindlich gehindert , und nicht keck wie
Cornelius , waren die Urheber der Geſetze ihrer Gegner
Spott . Aber ſie empfanden das nicht kleinmuͤthig : als
das Jahr ablief , und der Tag kam die Militartribu-
nen des folgenden zu ernennen , verwehrten ſie die Wahl .
Waͤhrend fuͤnf oder ſechs Jahren blieb die Repu-
blik ohne curuliſche Magiſtrate : nothwendig unter einer
ununterbrochenen Folge von Interregen . Kriege konn-
ten dieſe nicht fuͤhren da jeder nur auf fuͤnf Tage er-
nannt war , obwohl die innere Verwaltung , ſo unbe-
ſchaͤftigt im Alterthum , fortging ; und da auch die be-
nachbarten Voͤlker gern ruhten , ſo erhohlte ſich das
Volk , befreyt von Steuern und Kriegsdienſt , eben durch
die Regierungsloſigkeit welche dem Anſchein nach der
Republik Verderben drohte . Der Interrex hatte aller-
dings Jurisdiction Livius XLI. c. 9 . ; doch iſt kein Zweifel daß die
Tribunen keines einzigen Rechtsſpruchs Ausfuͤhrung in
Schuldſachen duldeten . So mußte ſelbſt den Glaͤubi-
gern die Beendigung eines Zuſtandes wuͤnſchenswerth
werden , deſſen Verlaͤngerung ihnen nachtheiliger war
als die Ausfuͤhrung des vorgeſchlagenen Geſetzes . Das
Tribunat des Licinius und Sextius ward von Jahr zu
Jahr erneuert : und wenn auch der Einfluß des Senats
hinreichte die Oppoſition durch Wiedererwaͤhlung , oder
die Ernennung andrer Anhaͤnger , zu erhalten , bey dem
fortwaͤhrenden Ringen beyder Partheyen gewann die
des Volks immer mehr Grund : Freunde der liciniſchen
Geſetze wurden zu Tribunen erwaͤhlt , und die Zahl und
die Entſchloſſenheit der Widerſacher nahmen allmaͤhlich
in gleichem Verhaͤltniſſe ab .
Als aber die Veliterner Tusculum belagerten , und
ein roͤmiſches Municipium in Gefahr war , da hinderten
die Fuͤhrer des Volks nicht daß Militartribunen erwaͤhlt
wurden und ein Heer zum Entſatz fuͤhrten ( 385 ) . Von
Tusculum zogen ſie vor Velitraͤ , wo ſie die Legionen un-
ter dem Vorwand der Belagerung hielten . Jetzt , da ein
Krieg ſich erhoben hatte deſſen Beendigung vom Senat
abhing , aus dem die Nation nicht willkuͤhrlich zuruͤckwei-
chen , am wenigſten ihr Heer ohne Oberbefehl verwaiſet
laſſen konnte , jetzt verſagte den Tribunen der Einfluß der
Wahlverhinderung . Doch blieb ihnen das Volk treu ;
und unter Licinius und Sextius achtem Tribunat bildeten
nur noch fuͤnf Volkstribunen , und dieſe muthlos und
kleinlaut , die Oppoſition . Bey der folgenden Wahl
ſcheint endlich das ganze Collegium gleichgeſinnt geweſen
zu ſeyn . Das ſagt auch Livius am Anfang der Erzaͤhlung
von den Unruhen des Jahrs 387 mit klaren Worten Cum tribus vocarentur , — nec intercessio collegarum
latoribus obstaret , trepidi Patres ad — ultima auxilia —
decurrunt . Livius VI. c. 38. :
obwohl er , mit beyſpielloſer Vergeßlichkeit , wenige Zei-
len nachher von dem Streit der Tribunen gegen ihre wi-
derſprechenden Collegen redet . Dies widerlegt aber der
Anblick der Vorgaͤnge . Gleich am Anfang des Jahrs
brachten die Volkstribunen die Annahme ihrer Geſetze
zur Entſcheidung , wie man eilt wenn endlich ein uner-
traͤgliches Hinderniß entfernt iſt welches uns jahrelang
gefeſſelt hatte . Der Senat aber kehrte zu den aͤußerſten
Mitteln der innern Fehden zuruͤck , welche , ſo lange
ihnen tribuniciſche Interceſſion zu Gebot ſtand , entbehr-
lich geweſen waren .
Camillus ward zum Dictator ernannt , und begann
an dem zur Abſtimmung angekuͤndigten Tage ein Heer zu
conſcribiren Plutarch Camill. p. 150. A. . Er befahl unter fuͤrchterlichen Drohun-
gen daß das Volk , welches ſchon angefangen hatte zu
ſtimmen , ſich aus dem Comitium entfernen ſolle : er ge-
bot den Lictoren Gewalt zu gebrauchen . Den Schreckniſ-
ſen der dictatoriſchen Macht ſetzten die Volkstribunen ru-
hige Entſchloſſenheit entgegen . Die Abſtimmung uͤber die
Geſetze war geſtoͤrt Es war geſetzwidrig eine in der Gemeinde unterbrochene
Verhandlung an demſelben Tage zu erneuern : wenn aber
das Volk ſich nicht ſtoͤren ließ einen neuen Antrag
ſchleunig anzunehmen , ſo iſt hier kein Widerſpruch . ; aber das Volk beſchloß auf ihren
Antrag daß Camillus , wenn er als Dictator handle , in
eine Mult von 500000 Aſſen verfallen ſeyn ſolle . Die
Dictatur beſaß ihre Allmacht nur durch den freyen und
ehrerbietigen Gehorſam Aller , die den Einzelnen Preis
gab . Daher iſt es ſehr begreiflich daß ſie in dieſer Gaͤh-
rung ohnmaͤchtig war , und Camillus , dem Sturm wei-
chend , abdankte : Livius Zweifel an der Moͤglichkeit ſo
großer Kuͤhnheit eines Tribunen und an ihrem Erfolg ſieht
nur auf gewoͤhnliche Zeiten . Waͤren ihm , indem er die
Jahrgeſchichten fortruͤckend nach den Aelteren ſchrieb , die
Vorfaͤlle der faſt unmittelbar folgenden Jahre ſchon be-
kannt und gegenwaͤrtig geweſen , ſo haͤtte er erwaͤgen
muͤſſen daß auch im Jahr 392 der Dictator L. Manlius
von den Volkstribunen gezwungen ward abzudanken Livius VII. c. 3. :
wahrſcheinlich ebenfalls durch Androhung einer Mult .
Auch war der Volksbeſchluß keineswegs verfaſſungswi-
drig . Camillus konnte als Dictator handeln , wenn er ſich
gefaßt machte nach dem Umlauf ſeiner Zeit die verord-
nete Buße zu erlegen .
Dem Greiſen gab der Senat P. Manlius zum Nach-
folger : aber ſo ſehr hatten ſich ſchon die Verhaͤltniſſe ver-
aͤndert , daß dieſer , entweder der Sache wohlwollend ,
oder um zu verſoͤhnen , einen ihm und dem Geſetzgeber
verwandten Plebejer , C. Licinius Calvus , zum Oberſten
der Ritter ernannte . Damals ſcheint ein Verſuch unter-
nommen zu ſeyn einen Vergleich zu ſtiften Dio Fragm. 33. ed. Reim . : der Se-
nat , ſcheint es , zeigte ſich willig alles , nur nicht das ple-
bejiſche Conſulat , zu bewilligen : es mochte leicht ſcheinen ,
ſo lange nur dieſes vereitelt war , das Volk durch einige
wirkliche Gewaͤhrungen zu beſaͤnftigen ; es dann zu taͤu-
ſchen und ihm das alte Joch aufzulegen : daß eben da-
durch zuletzt eine blutige Empoͤrung erregt werden muͤſſe ,
ſcheinen die Patricier nicht geahndet oder geachtet zu ha-
ben . Iſt es auch wahr daß das Volk , welches fruͤher un-
zweydeutig allen Rogationen hold geweſen war , jetzt , da
der Dictator Manlius die Volksgemeinde nicht hinderte ,
nur fuͤr die ihm unmittelbar vortheilhaften Rogationen ,
das Ackergeſetz und das Schuldengeſetz , ſtimmte Livius VI. c. 39 . , ſo
war dies wohl gewiß nur Folge des Verlangens endlich
das der Menge naͤchſte und wichtigſte Ziel und Ruhe zu
erreichen , bey der Drohung des Senats , er werde das
Geſetz wegen des Conſulats nie genehmigen : nicht Lau-
heit fuͤr die Ehre ſeiner Haͤupter , noch Blindheit daruͤber
daß nur ihnen fuͤr die Ausfuͤhrung des Geſetzes zu ver-
trauen ſey ; dafuͤr zeugt die gewaltſame Bewegung des fol-
genden Jahrs . Die Tribunen hingegen faßten jetzt die drey
Hauptgeſetze in eine einzige Rogation zuſammen , damit
das Ganze angenommen oder verworfen werde : eigent-
lich wohl wegen des Senats : — wie in ſchwierigen Zeiten
das engliſche Haus der Gemeinen , uneins mit der Krone ,
wenn das Haus der Pairs ihr anhing , Beſchluͤſſe , wofuͤr
die Beyſtimmung dieſes Standes nicht zu erwarten war ,
einer Geldbill einverleibte , wie fremdartig ſie ihr auch
ſeyn mochten ; weil das Oberhaus dieſe nicht aͤndern
durfte , ſondern ſie ganz annehmen oder verwerfen muß .
Es wird erzaͤhlt Licinius habe dem Volk mit altvaͤteri-
ſchem Witz geſagt ; ſie muͤßten eſſen wenn ſie trinken woll-
ten ὡς οὐκ ἂν πίοιεν , εἰ μὴ φάγοιεν : nach einer Emenda-
tion von J. A. Fabricius , in Dio Fragm. 33. . Auch nahmen er und Sextius ihre Wiederer-
waͤhlung zum zehnten Tribunat nur unter der Zuſage an ,
daß das Volk alles zu erringen entſchloſſen ſey . Doch
ward noch in dieſem Jahr die Rogation zum Geſetz , wo-
durch die Obhut der ſibylliniſchen Buͤcher beyden Staͤnden
gemeinſchaftlich anvertraut ward .
Das Jahr 388 brachte den innern Frieden . Leider
gedenkt die Geſchichte nur mit fluͤchtigen Worten der un-
geheuern Kaͤmpfe die endlich , nach Livius , den Starrſinn
des Senats und des Dictators beſiegten . Die Rogatio-
nen waren vollſtaͤndig vom Volk beſchloſſen : es fehlte ih-
nen nur die Sanction des Senats . Dieſe war d verwei-
gert , und Camillus noch einmal zum Dictator gegen das
Volk ernannt . Daß er es auch dieſesmal durch Aushe-
bung eines Heeres von der Ausuͤbung ſeiner Rechte bey
den annahenden Wahlen abzuhalten ſuchte , iſt nicht zwei-
felhaft ; daß es die Abſicht war , wie einſt unter Cincin-
natus , das Heer aus der Stadt zu fuͤhren , und die be-
ſchloſſenen Geſetze durch dictatoriſch gebotene Beſchluͤſſe
in einer Scheinverſammlung der Centurien wieder aufzu-
heben , iſt wenigſtens hoͤchſt wahrſcheinlich . Aber auch
dieſesmal verſagte der Dictatur die Macht , die zu boͤſen
Zwecken entweiht werden ſollte . Hieher muͤßte Plutarchs
Erzaͤhlung gehoͤren Plutarch Camill. p. 151. D . , daß die Tribunen in der Erbitte-
rung des Streits Camillus auf dem Forum zu verhaften
befohlen haͤtten : er draͤngt in wenige Tage zuſammen was
Monate erfuͤllt zu haben ſcheint .
Endlich waren die Geſetze vom Senat beſtaͤtigt , und
die Comitien zur Conſulwahl verſammelt . L. Sextius
Lateranus ward als plebejiſcher Conſul erwaͤhlt . Aber
die Patricier , in den Curien verſammelt , verſagten dieſer
Ernennung ihre Zuſtimmung . An dieſer unſinnigen Wei-
gerung entzuͤndete ſich die kaum gedaͤmpfte Flamme fuͤrch-
terlicher als je . Livius ſagt nur , es waͤre zu ſchreck-
lichen Drohungen , und nahe an eine Seceſſion des
Volks gekommen : Ovidius , in den Faſten ein ſorg-
faͤltig beleſener Kenner alter Erzaͤhlungen , und uͤber hi-
ſtoriſche Dinge einem hiſtoriſchen Zeugen gleich zu ach-
ten , ſagt mehr Ovidius fast. I. v. 643 . : und jener , der uͤber alle dieſe Vor-
faͤlle , unwillig zu verweilen , hineilt , mag verſchwiegen
haben was die alten Annalen vielleicht einſtimmig erzaͤhl-
ten . Nicht von nur drohender Gaͤhrung redet Ovidius :
er erzaͤhlt , das Volk habe die Waffen ergriffen , und ſich
zuſammengezogen . Ohne Zweifel auf dem Aventinus .
Aber ſelbſt Camillus war des verderblichen Kampfs muͤde ,
und ſehnte ſich in Frieden zu entſchlafen . Vier und ſechs-
zig Jahre waren nun ſeit der Schlacht des Dictators A.
Poſtumius vergangen , in der er den erſten Ruhm und die
erſten Wunden empfangen hatte . Er verſuchte nicht mehr
die Schrecken der Dictatur , er vermittelte den Frieden
unter beyden Staͤnden ; und gelobte der Concordia einen
Tempel fuͤr den gluͤcklichen Erfolg . Die Curien ſanctio-
nirten die Wahl , und wahrſcheinlich ſind alle liciniſche
Geſetze als Grundgeſetz von beyden Staͤnden beſchworen
worden , wie dies vom Ackergeſetz beſtimmt gemeldet wird .
Dagegen willigten die Plebejer in die Verminderung der
jetzt mit ihnen getheilten conſulariſchen Machtfuͤlle .
Die neuen curuliſchen Wuͤrden des
Jahrs 389 .
Schon vor der Decemviralzeit hatte die Nation eine
Beſchraͤnkung der Macht des Conſulats gefordert , welche
nur durch Zertheilung ſeiner Attribute moͤglich war : in
dieſem Sinn ward das decemviraliſche Collegium errich-
tet , dann das Militartribunat mit conſulariſcher Macht
bekleidet , die Cenſur , und die Criminaljurisdiction uͤber
die Plebejer von der hoͤchſten Wuͤrde abgeſondert . Es iſt
ſehr wahrſcheinlich daß die ſechs Militartribunen , wie ſie
waͤhrend des letzten Zeitraums beſtaͤndig ernannt wurden ,
ſich in die Gewaltzweige , welche dem Conſulat noch gehoͤr-
ten , durch das Loos theilten , alſo daß die Nation ſchon
laͤngſt gewohnt war die Jurisdiction von der hoͤchſten
Regierung und der Feldherrnwuͤrde abgeſondert zu ſehen :
doch ſo daß der mit jener beauftragte Tribun in dringen-
den Zeiten auch ein Heer fuͤhrte .
Als das Conſulat zwiſchen beyden Staͤnden getheilt
ward , forderten die Patricier wohl deswegen den aus-
ſchließenden Beſitz der Jurisdiction , weil das buͤrgerliche
Recht , nicht weniger als das geiſtliche , die Wiſſenſchaft
ihrer Caſie , und beſonders der nur aus ihnen ernennba-
ren Pontifices war Livius IX. c. 46 . . Es wurden ſo eigentlich drey
Conſuln , anſtatt zweyer , eingeſetzt : daher hatte der Praͤ-
tor ſechs Faſces : die Conſuln zuſammen hatten ihrer auch
nur zwoͤlf : der Praͤtor war ihr College , er ward unter
denſelben Auſpicien erwaͤhlt wie ſie , und unter dem Vor-
ſitz eines Conſuls Derſelbe VIII. c. 15. . Alſo hatten die Patricier von drey
Stellen ſich zwey erhalten , und behaupteten dieſes Ver-
haͤltniß den ganzen Zeitraum hindurch deſſen Geſchichte
der noch uͤbrige Theil dieſes Bandes enthalten wird . In-
dem aber die Jurisdiction den Praͤtoren uͤbertragen ward ,
blieb ſie dennoch auch dem Conſulat Derſ. XLI. c. 9. als urſpruͤnglich
in ihm enthalten , und der Conſul reformirte ſogar auf
Appellation praͤtoriſche Ausſpruͤche Valerius Maximus . VII. c. 7. u. 6. .
Die urſpruͤnglichen Attribute der Praͤtur erhielten
ſich , die Dauer der Republik hindurch , unter den ihr zuge-
legten Erweiterungen : ſie ſind daher wohlbekannt , und
erfordern keine Eroͤrterung . Ganz anders verhaͤlt es ſich
mit der curuliſchen Aedilitaͤt . Die anfaͤngliche Bedeutung
und Wichtigkeit dieſer Magiſtratur iſt unbemerkt geblie-
ben , weil ſie ſich in einem Zeitalter aͤnderten deſſen Anna-
len untergegangen ſind .
Livius thut dem hochſtolzen Sinn der alten Patricier
Unrecht , indem er erzaͤhlt ſie haͤtten ſich bey der Erwer-
bung einer Wuͤrde beruhigt deren Werth eigentlich nur im
Rang , ohne Weſentlichkeit , beſtanden haben wuͤrde , waͤre
ſie nicht mehr geweſen als er ſie definirt . Aber wir muͤſ-
ſen ſeine Erzaͤhlung von ihrem Urſprung aus der Weige-
rung der plebejiſchen Aedilen die Koſten einer Verlaͤnge-
rung der großen Feſte zu tragen , ganz verwerfen . Denn
wir wiſſen aus einem weit beſſeren Zeugen , aus Fa-
bius Dionyſius VII. c. 71 . , daß die Republik bis zum erſten puniſchen
Kriege zu dieſen Koſten jaͤhrlich fuͤnfhundert Pfund Silber ,
oder 500000 Aſſe , angewieſen habe . Die Aenderung daß
daraus eine Liturgie — im attiſchen Sinn — entſtand ,
konnte durch die große Finanzbedraͤngniß des Staats ver-
anlaßt ſeyn : ſie konnte aus dem Syſtem des Geldadels
entſtehen welches ſich nach dem Schluß jenes Kriegs feſt-
ſetzte . Fruͤher war die Leitung der Feſtlichkeiten gewiß
keine Buͤrde welcher ſich die plebejiſchen Aedilen haͤtten
entziehen wollen .
Aber
Aber nichts anderes als eben dieſe thoͤrichte Erzaͤh-
lung deutet darauf daß ſie fruͤher jene Leitung hatten .
Unwahrſcheinlich hingegen im hohen Grade iſt es , weil
die Feſtlichkeiten dem Gottesdienſt angehoͤrten , und dieſer
ganz dem patriciſchen Stande : daher es viel glaublicher
iſt daß auch ſie bis dahin dem Conſulat anvertraut waren .
Es iſt ſchon bemerkt daß die plebejiſchen Aedilen eine
Municipalmagiſtratur latiniſches Urſprungs fuͤr ihren
Stand waren . Als ſolche hatten ſie wohl von Alters her
den Vorſitz bey den plebejiſchen Spielen : ſie uͤbten die Po-
lizey , auch gegen fremden Gottesdienſt : ſie brachten An-
klagen vor die Volksgemeinde wegen Uebertretung der
Plebiſcite : ſehr wichtige Geſetze wurden eben jetzt unter
ihre Wachſamkeit geſtellt . Ihren Befugniſſen entſpre-
chend ward allerdings die curuliſche Aedilitaͤt gebildet :
die Polizey mag unter beyde getheilt ſeyn : die großen
Feſtlichkeiten wurden von der neuen Magiſtratur verwal-
tet : wie die plebejiſchen Aedilen die Aufſicht uͤber den
Tempel der Ceres hatten , ſo ſie uͤber alle andere Tempel
der Goͤtter . Aber ſie erhielten als Hauptgeſchaͤft einen
ungleich wichtigeren Beruf , der ihnen achtzig Jahre lang
unvermindert , und zu einem Theil noch weit laͤnger er-
halten blieb : die Unterſuchung von Verbrechen und die
Anklage der ſchuldig Befundenen vor dem Volk auf den
Tod oder Geldſtrafe .
Wie das Gericht uͤber alle eigentliche Verbrechen
bis in das ſiebente Jahrhundert von der Nation oder
den Tribus ausgeuͤbt ward , wie alle Geldſtrafen der
Gemeinde verfallen waren , die ſpaͤter der Anklaͤger ge-
Zweiter Theil. D d
wann Die Geldſtrafe fuͤr den Wucher ward , wie die uͤbrigen
eigentlichen Criminalbruͤchen , fuͤr den Staat eingezogen ,
und zu oͤffentlichen Zwecken verwandt : vielleicht eben ſo
fuͤr Diebſtahl . , ſo konnte auch waͤhrend dieſer Zeit nicht nur
nicht jeder willkuͤhrlich , ſondern nicht einmal der unmit-
telbar Gekraͤnkte vor dem Volk anklagen . Es iſt ſichtbar ,
daß es noch immer der einzige Gerichtsgang war , der Ma-
giſtratur , welche die Criminalinquiſition hatte , Anzeige zu
machen : daß ihre Losſprechung den Angeklagten von aller
Verfolgung befreyte : und daß ſie , wenn ſie Schuld
fand , die Sache vor dem Volksgericht anhaͤngig machte .
Nur die letzten Buͤcher der erſten livianiſchen Decade
koͤnnen uns die Criminalinquiſition in den Haͤnden der cu-
ruliſchen Aedilen zeigen ; denn im elften war die Ein-
ſetzung der Triumviri capitales ( gegen das Jahr 464 ) er-
zaͤhlt , auf welche ſie ſo uͤberging wie urſpruͤnglich die
Quaͤſtoren ſie gehabt hatten Varro de L. L. IV. c. 14 . . Spaͤter iſt allerdings
der Fall des M. Marcellus , aber unter ganz eigenthuͤmli-
chen Umſtaͤnden Er war Vater des Beleidigten . : und man vergeſſe die Grundregel
nicht , daß einer roͤmiſchen Magiſtratur ihr urſpruͤnglich
gehoͤrende Attribute nie ſo entzogen wurden daß ſie nicht in
einzelnen Faͤllen wieder ausgeuͤbt werden konnten . Die
Wuchergeſetze wurden noch in der letzten Haͤlfte des ſech-
ſten Jahrhunderts durch dieſer Aedilen Sorgfalt in Kraft
erhalten Noch 561 . . Auch dieſes , und was dem aͤhnliches uͤbrig
war , mußte aufhoͤren , als die Strafen nicht mehr fuͤr die
Republik eingeklagt wurden , und die Uebertragung aller
Sachen dieſer Art an das Tribunal der Praͤtoren dies fis-
caliſche Verfahren aufhob , und jedem Buͤrger die unmit-
telbare Klage geſtatteet , wie ohne Zweifel auch ſchon fruͤher
jeder die Anzeige vor die Inquiſition hatte bringen koͤnnen .
Folgende Faͤlle zeugen in den erhaltenen Schriften
von dieſen alten Verhaͤltniſſen der Aedilen als inquiriren-
der und anklagender Behoͤrde .
Die Giftmiſcherey der Matronen ward dem Aedi-
lis curulis Q. Fabius angezeigt Livius VIII. c. 18 . .
Die zwoͤlf Tafeln verhaͤngten Todesſtrafe uͤber den der
von einem fremden Felde Korn auf das ſeinige hinuͤberzau-
bere : wegen dieſes Verbrechens brachte der Aedilis curu-
lis Sp . Poſtumius Albinus eine Anklage vor das
Volk Plinius XVIII. c. 8. : ein Fall der die Ausrede abſchneidet , es
moͤchte doch immer nur an ſtaͤdtiſche Polizey zu den-
ken ſeyn .
Die Schaͤndung eines freyen , nicht durch ſeine Hand-
lungen ehrloſen Buͤrgers , auch mit ſeiner eigenen Einwil-
ligung , ſelbſt ſchaͤndliche Antraͤge , beſtraften die den rei-
nen Sitten der alten Nation entſprechenden alten Geſetze
mit dem Tode : auch die Triumvirn fuͤr Halsſachen ver-
fuhren nach ihnen Valerius Maximus VI. c. 1. n. 10. . Eben ſo klagte M. Marcellus als
Aedilis curulis vor dem Volk gegen den der ſeinen Sohn
zu verfuͤhren geſucht Derſ. ebend. n. 7. Plutarch Marcell. p. 298. E . Der
Verbrecher ward allein wegen der lauteren Rechtſchaffenheit
ſeines Anklaͤgers , und auf das erroͤthende Schweigen des : daß die Anklage gegen einen
D d 2
Volkstribun waͤhrend der Dauer ſeines Amts angenom-
men ward , und der Beweis welcher dem Volk genuͤgte ,
waren nicht weniger außerordentliche Umſtaͤnde als daß
Marcellus die alten Befugniſſe ſeiner Wuͤrde wieder gel-
tend machte .
Die Verletzung der Keuſchheit freygebohrner Buͤrge-
rinnen Die Sitten der Freygelaſſenen uͤberließ das Geſetz ihnen
ſelbſt : und die Vermuthung war ſo ſehr , wenigſtens gegen
die Zeit ihres Sklavenſtands , daß daher wohl die Ehe mit
einer Freygelaſſenen eines Freygebohrenen buͤrgerliche Ehre
verletzte : vielleicht ihn ehrlos machte . ward an ihnen ſelbſt und an ihren Verfuͤhrern
als Staatsverbrechen geahndet . An den Weibern ſelbſt
mit ſchweren Geldſtrafen : an den ſchuldigen Maͤnnern
vielleicht haͤrter . Gegen dieſe Livius VIII. c. 22 . und gegen jene Derſelbe X. c. 31 .
brachten die curuliſchen Aedilen die Anklage vor das
Volksgericht . Eben ſo gegen Wucherer Derſelbe VII. c. 28. X. c. 23. XXXV. c. 41 . .
Ich habe die Vermuthung geaͤußert daß die Quaͤſto-
ren des Schatzes urſpruͤnglich die fremdartigen Geſchaͤfte
der Criminalinquiſition und des Schatzmeiſteramts ver-
einigten , und daher die ſonderbare Verwirrung in der
Geſchichte ihres Amts entſtanden ſey Oben Th. II. S. 113. 114. 165. . Sie wird nicht
widerlegt dadurch daß bey dem Prozeß des M. Manlius
Duumvirn der Perduellion erwaͤhnt werden , denn dieſe
wurden als außerordentliche Magiſtratur noch in Caͤſars
Knaben , welcher den Greuel nicht ausſprechen konnte , ver-
urtheilt .
und Ciceros Tagen ernannt Cicero pro Rabirio . . Da nun die Quaͤſtur
ſchon laͤngſt unbeſtimmt beyden Staͤnden offen war , und
fruͤh ſelbſt die Mehrheit der vier Quaͤſtoren aus der Plebs
erwaͤhlt ward , ſo ſcheint es ſehr erklaͤrlich daß die Patri-
cier ſich dieſe Magiſtratur , zu curuliſchem Rang erhoben ,
als eine Art Entſchaͤdigung einraͤumen ließen . Zwar dem
ausſchließenden Beſitz mußten ſie ſchon im folgenden Jahr
entſagen : zuerſt abwechſelnd , Jahr um Jahr , war die
Wahl ſpaͤter an keinen Stand gebunden Livius VII. c. 1 . . Die Ge-
ſchaͤfte der Quaͤſtoren des Schatzes mußten durch die Be-
ſteurung des Gemeinlands ſo außerordentlich vermehrt
werden , daß eine Abſonderung der fremdartigen ihres
Amts ſehr wohl begruͤndet war .
Auch die curuliſchen Aedilen vereinigten ſonderbar
verſchiedene Geſchaͤfte : auch ihr Nahme deutet nur einen
Theil derſelben an . Daß ſie nicht , wie in Ciceros Tagen
und ſeiner roͤmiſchen Conſtitution , nur die Aufſeher der
Stadt , des Kornmarkts , und der Feſtlichkeiten waren ,
ihre Wuͤrde die erſte Stufe zu den hoͤheren Cicero de legibus III. c. 3. , erhellt
wohl ſchon daraus , daß M. Valerius Corvus ſie viermal
bekleidete , er , der ſchon im drey und zwanzigſten Jahr
Conſul war . So ward in alten Tagen T. Quinctius ,
nach drey Conſulaten , zum Blutrichter erwaͤhlt Livius III. c. 25. .
Innere Geſchichte bis zur voͤlligen Be-
feſtigung des plebejiſchen Conſulats .
Zwiſchen zwey Staͤnden die aus uraltem Verhaͤltniß
des Stolzes und der Kraͤnkung zur Gleichheit uͤbergegan-
gen waren , konnte nur die Zeit , welche den Geſetzen durch
Gewohnheit die mildeſte und wohlthaͤtigſte Gewalt ver-
leiht , einen aufrichtigen Bund ſtiften : und ſie mußte
mit Conſequenz vollenden was zum Heil der Nation
begonnen war . Es war natuͤrlich daß die Patricier
trachteten die verlohrnen Vorrechte wiederzugewinnen :
es bedurfte einer fuͤhlbaren Belehrung daß dieſes Stre-
ben eitel ſey , und es mußte ihnen ſelbſt gefaͤhrlich ge-
worden ſeyn , ehe die Republik innere Ruhe bey Frey-
heit genießen konnte . Fuͤnf und zwanzig Jahre verfloſ-
ſen in dumpfen oder heftigen Bewegungen bis dieſes
Ziel erreicht ward : und dieſe Geſchichte der Vollendung
des liciniſchen Geſetzes , wenn gleich zum Theil in die
der Kriege deſſelben Zeitraums verwebt , wird es zweck-
maͤßiger ſeyn vor ihnen zu erzaͤhlen als zu ver-
ſchieben .
Auf die Revolution , wie ſie durch voͤllige aͤußere
Ruhe oder Unwichtigkeit der Kriege moͤglich geworden
war , folgte eine Stille , in der das Volk , frey von
Steuern und Kriegsdienſt , die Wohlthaten der Geſetz-
gebung ungeſtoͤrt genoß . Die Ausfuͤhrung der Geſetze
erforderte eine ſehr lange Zeit und die ganze Aufmerk-
ſamkeit der Regierung . Es mag wahr ſeyn daß der
Senat keinen Krieg wollte , damit der plebejiſche Con-
ſul in ruhmloſer Unthaͤtigkeit bleibe Livius VII. c. 1. . Auch herrſchte
eine Peſt Eine Peſt kann man ſie wohl nennen , da ſie einen Cen-
ſor , einen Aedilis curulis , drey Volkstribunen , wegraffte ,
und im Verhaͤltniß moͤrderiſch unter der Nation geweſen
ſeyn ſoll . In dieſer Seuche ſtarb M. Camillus im hoͤchſten
Alter . Auch die roͤmiſche Geſchichte zeigt daß Feldherrn-
groͤße zu den hoͤchſten Jahren fuͤhrt , welches jedem ſehr be-
greiflich ſeyn muß der aus eigener Erfahrung weiß wie
nichts ſo lebensnaͤhrend iſt als die planmaͤßige und genau
ausgefuͤhrte Verwirklichung fruchtbarer Gedanken . Es iſt
etwas wahrhaft ſchoͤpferiſches , und gerade dem Feldherrn
im hoͤchſten Grad gegeben : dabey wecken Raſtloſigkeit und ge-
ſpannte Leidenſchaften ſein Innerſtes : Einfoͤrmigkeit laͤhmt
ihn nicht . Auch der Dichter lebt ſo , tief und jung . Der
Staatsmann des Alterthums lebte ſo : ganz im Gegentheil
der Geſchaͤftsmann unſerer Zeit : auch wir Schriftſteller ge-
lehrter Buͤcher werden von unſerer Arbeit erſchoͤpft , ſel-
ten belebt . : und der Strohm uͤberſchwemmte die
Stadt . Doch ſo veraͤndert war die Stimmung der
Nation in wenig mehr als einem Menſchenalter , daß
dieſesmal das Volk nicht durch den vorgegebenen Un-
willen der Goͤtter , wegen der Wahl aus unwuͤrdigen
Geſchlechtern , bey den Comitien irre gemacht werden
konnte . Vier Jahre verfloſſen ſo ohne Kriege : da reifte
in den Patriciern das Vorhaben , das liciniſche Geſetz
durch die alten Schrecken der Dictatur und einer ge-
waltſamen Aushebung waͤhrend der Wahlen wieder außer
Kraft zu ſetzen . Der Senat beſchloß unter religioͤſem
Vorwand die Ernennung des hochmuͤthigen und ge-
waltſamen L. Manlius zur Dictatur ( 392 ) Livius VII. c. 3 . . Die-
ſer , obwohl nur fuͤr eine Caͤremonie ernannt , begann
ein Heer gegen die Herniker auszuheben : aber die Tri-
bunen , den Zweck durchſchauend , zwangen ihn ſeinem
Unternehmen und ſeiner Wuͤrde zu entſagen .
Als im folgenden Jahr dieſer Krieg ausbrach ; als
der plebejiſche Conſul L. Genucius von den Hernikern
uͤberraſcht ward , und , wie die Legionen , von Schrecken
ergriffen , flohen , im Gefecht fiel , da , ſagt Livius Derſelbe VII. c. 6. ,
graͤmte die Patricier das Ungluͤck des Heers wenig : ſie
frohlockten uͤber die Schmach des plebejiſchen Heerfuͤh-
rers . Ein Dictator ward ernannt , und eben ſo in den
beyden folgenden Jahren ; ſo daß , was bisher unerhoͤrt
geweſen war , vier Jahre von Dictaturen ſich folgten .
Den Vorwand wenigſtens daß die plebejiſche Unfaͤhig-
keit der Auſpicien der Republik mit einem Unheil drohe
welches nur ſo abgewandt werden koͤnne , vernichtete
ſchon jetzt des Conſuls Poͤtelius Verdienſt und Gluͤck .
Aber die Gelegenheit darzuthun daß plebejiſche Auſpi-
cien weder taͤuſchend noch veraͤchtlich waͤren , verdankte
er einem außerordentlichen Beſchluß des Volks welches
ihm den tiburtiſchen Krieg uͤbertrug ; alſo wollte der
Senat , — von dem die Vertheilung der Armeen ſo aus-
ſchließend abhing daß Einmiſchung des Volks Verwen-
dung der Tribunen wegen Mißbrauch andeutet , — dem
patriciſchen Conſul oder dem Dictator alles zuwenden ,
den Plebejer uͤbergehen . Auch findet ſich im naͤchſten
Jahr ( 395 ) Erwaͤhnung einer gefaͤhrlichen Zwietracht
zwiſchen Senat und Volk , welche nur durch das Schrek-
ken des tiburtiſchen Kriegs beſaͤnftigt ward Livius VII. c. 12. . Of-
fenbar hat dieſe Gaͤhrung die Patricier furchtſamer ge-
macht ; denn ungeachtet des Kriegs verging dieſes Jahr
ohne Dictatur : die des folgenden ward durch einen gal-
liſchen Tumult gerechtfertigt .
Im Jahr 398 ließ der patriciſche Conſul Cn. Man-
lius von ſeinem Heer bey Sutrium an der etruskiſchen
Militargraͤnze , in einer Verſammlung nach den Tribus ,
eine Abgabe von fuͤnf von hundert vom Werth freyge-
laſſener Sklaven beſchließen . Der Senat beſtaͤtigte die-
ſes ſonderbare conſulariſche Plebiſcit Derſ. VII. c. 16. . Der Inhalt
war untadelhaft , weil es die Freylaſſungen erſchwerte
wodurch die Nation und bald die Buͤrgergemeinde mit
Fremden angefuͤllt ward ; auch erhielt der Staat eine
neue Einnahme : doch waͤre beydes leicht verfaſſungsge-
maͤß zu erlangen geweſen . Es war aber ein Verſuch ,
mit einem ſcheinbar loͤblichen Vorgang , geſetzgebende
Verſammlungen unter der Gewalt des Soldateneids
und unbedingtes militariſches Gehorſams , einzufuͤhren ,
wie Cincinnatus vor einem Jahrhundert , das Volks-
tribunat abzuſchaffen , ſie halten wollte . Daher verpoͤn-
ten die Tribunen noch in demſelben Jahr ſolche Ver-
ſammlungen mit Todesſtrafe Derſ. ebendaſ . .
Als der Conſul M. Fabius im Jahr darnach ( 399 )
von den Etruskern geſchlagen war , ward mit dem aͤu-
ßerſten Widerwillen des Senats C. Marcius Rutilus ,
plebejiſcher Altconſul des vorigen Jahrs , mit der Die-
tatur bekleidet . Daß ihn der Plebejer M. Popillius
ernannt habe , iſt außer Zweifel : es iſt die erſte unzwey-
deutige Spur daß der Dictator von dem Conſul er-
nannt , nicht bloß proclamirt ward . Wahrſcheinlich hatte
das Volk auf tribuniciſchen Antrag die hoͤchſte Gewalt
verordnet , und dem Conſul die Ernennung aufgetragen .
So ſehr erbitterte es die Patricier dem zweyten Stand
auch die dictatoriſche Majeſtaͤt mitgetheilt zu ſehen ; ſo
gefuͤhllos fuͤr das Heil der Republik waren die , in de-
ren Seele der ihnen hingegebene Geſchichtſchreiber , in
den fruͤheren Zeiten , den Volkstribunen Hochverrath
vorwirft , wenn ſie Aushebungen verwehrten deren ei-
gentlicher Zweck nur war das Volk zu ermatten und
vom Forum zu entfernen ; ſo ſchamlos verſaͤumten ſie
das Vaterland uͤber ihre Standesanmaaßungen , daß
der Senat , als das etruskiſche Heer bis an die Salinen ,
nahe an der Muͤndung der Tiber , vorgedrungen war ,
dem plebejiſchen Dictator alle Mittel eine Armee zu bil-
den verweigerte Livius VII. c. 17 . . Der Krieg aber ward gegen den
Feind gefuͤhrt welcher vor zwey Jahren dreyhundert ge-
fangene Roͤmer geopfert hatte . Unter ſolchen Herrſchern
war Rom verlohren , wenn nicht der Geiſt des Volks ,
und die Freyheit welche es ſchon uͤben konnte , ihre
Suͤnden unſchaͤdlicher gemacht haͤtten . So wie , — als
Faction und Neid dem großen Scipio die Mittel verſagten
das Vaterland , wie er es mit prophetiſcher Gewißheit
verheiſſen konnte , zu retten und zu raͤchen , und ihm
hoͤhniſch mit der Erlaubniß ſeine Entwuͤrfe auszufuͤh-
ren , nur ſolche Kraͤfte anwieſen mit denen er in Unmuth
unthaͤtig bleiben oder untergehen mußte , — das Volk und
ganz Italien , ſo weit es treu war , weit mehr freywil-
lig dem Helden hingaben , als der Senat haͤtte befehlen
koͤnnen ; ſo fand C. Marcius im Willen der Buͤrger alle
Mittel die ihm der Senat verſagte . Als er von einem
glorreichen Feldzuge heimkehrte verdankte er dem Volk
auch den Lohn des Triumphs den der Senat abſchlug .
Das war den Patriciern zu viel : ſie waren erinnert
alles fuͤr den Umſturz des liciniſchen Geſetzes zu wagen .
Die Conſularwahlen wurden geſtoͤrt bis das Jahr
um war ; und patriciſche Interregen hielten die Comi-
tien . Sie ließen keine Stimmen gelten fuͤr plebejiſche
Candidaten ; und indem ſie ſo die beyden Patricier , welche
die meiſten Stimmen hatten , fuͤr gewaͤhlt erklaͤrten , fuͤgte
der Interrex Fabius den Hohn hinzu : nach den zwoͤlf Ta-
feln entſcheide der juͤngſte Beſchluß des Volks gegen aͤltere
Geſetze , ſo auch hier die Wahl , ſein erzwungenes Werk ,
gegen das liciniſche . Alſo kamen ungeachtet der tribuni-
ciſchen Interceſſionen die Conſularfaſces des Jahrs 400 ,
im zwoͤlften nach dem liciniſchen Geſetz , wieder an zwey
Patricier Livius VII. c. 17. 18 . . Dieſe nannten es bey der naͤchſten Wahl
eine Ehrenpflicht ihrem Stande den wiedergewonnenen
ausſchließlichen Beſitz des Conſulats zu erhalten . Da ſie
alſo alle Stimmen fuͤr plebejiſche Candidaten ſtarrſinnig
verwarfen , verließ das freye Volk , die Plebs , das Wahl-
feld mit den Tribunen , und die Conſuln vollendeten eine
Scheinwahl durch die Stimmen der Patricier und ihrer
Clienten Livius VII. c. 18 . .
Auch fuͤr das dritte Jahr , 402 , behaupteten ſich die
Patricier in dem geſetzwidrigen Beſitz . Aber jetzt muß
die Gaͤhrung ſo heftig geworden ſeyn daß der Senat der
Macht des Conſulats mißtraute . Waͤhrend fuͤnf ſich fol-
gender Jahre ( 402 — 6 ) ward alljaͤhrlich , in Frieden
oder unter unbedeutenden Kriegen , ein Dictator ernannt ,
ſichtbar immer , wenn auch nicht immer mit Erfolg , um
die Wahlen nach den Anſpruͤchen der Patricier durchzu-
fuͤhren . Die groͤßere Gewaltſamkeit rief heftigeren Wi-
derſtand hervor . T. Manlius , als Dictator , war ent-
ſchloſſen lieber das Conſulat untergehen zu laſſen als
einen plebejiſchen Conſul zu dulden Ebendaſelbſt c. 21 . . Aber die Tri-
bunen geſtatteten ihm nicht die Wahl zu halten ; die Zeit
ſeiner Magiſtratur verfloß , und ein Interregnum trat ein
welches ſich durch gleiche Hartnaͤckigkeit beyder Partheyen
bis zum elften Interrex verlaͤngerte . Endlich befahl der
Senat , das liciniſche Geſetz ſolle beobachtet werden .
Doch war es nur erzwungene Nachgiebigkeit fuͤr ein
einziges Mal : eben wie ein dem Frieden gebrachtes
Opfer Concordiæ causa . Livius a. a. O. genannt ward , was ſchlechthin Pflicht , kei-
nes Danks werth war , und keineswegs auch nur die ge-
haͤuften Suͤnden der Widerſpenſtigkeit gegen das Geſetz
verſoͤhnte . Im folgenden Jahr ſiegten die Patricier durch
zwey Interregnen ; fuͤr das Jahr 405 behauptete das Volk
die Kraft ſeines Geſetzes : aber der Dictator L. Furius Ca-
millus , dem der Senat die Wahlen fuͤr das naͤchſte Jahr
anvertraute , erreichte den Zweck ſeiner Faction . Nicht
unbelohnt : denn waͤhrend ein altes Senatusconſult die
Wiedererwaͤhlung curuliſcher Magiſtrate verbot , und ob-
gleich die aͤußerſte Schmach unanſtaͤndiger Herrſchſucht
den traf , der fuͤr ſich ſelbſt Stimmen annahm , ſo er-
nannte dieſer Dictator dennoch ſich ſelbſt mit einem patri-
ciſchen Collegen durch erzwungene Stimmen , und eine ſo
ſchamloſe Wahl billigten die Patricier wie ſie mit aͤußer-
ſter Anſtrengung ſie unterſtuͤtzt hatten Livius VII. c. 24. . So hoch ward
ſein Verdienſt geachtet , ſo erheuchelt war das Beduͤrfniß
der Dictatur , daß , als ihm ſein College Appius Claudius
ſtarb , nicht allein kein Conſul nachgewaͤhlt ward , wo ein
Plebejer vielleicht nicht haͤtte entfernt werden koͤnnen ,
ſondern der Senat auch nicht die Ernennung eines Dicta-
tors forderte Derſ. c. 25 . . Das Uebermaaß der Frechheit , im
Lichte des glaͤnzenden plebejiſchen Conſulats des Jahrs
an deſſen Schluß dieſe ſchmaͤhliche Wahl gehalten war ,
erleichterte vielleicht die Behauptung des liciniſchen Ge-
ſetzes waͤhrend drey Jahren : aufs neue ward es verletzt in
den Jahren 410 und 412 . Dieſes war das letzte Mal .
Unter dreyzehn Conſulaten die vom Jahr 400 , da das li-
ciniſche Geſetz zuerſt gebrochen ward , bis zu dem genann-
ten ſich folgten , waren ſieben geſetzwidrig . Rom war
fortwaͤhrend in einem Zuſtand innerer Angſt und gewalt-
ſamer Stoͤhrung , der um jeden Preis endigen mußte .
Alle Hoffnung war verſchwunden daß die Patricier mit
ihren unſeligen Quaͤlereyen nachlaſſen wuͤrden . Wie die
Republik wunderbar , auf einem Wege gerettet ward der
faſt allen Freyſtaaten Verderben gebracht hat , durch die
Tugend des Volks ihr aber heilſam ward , werde ich jetzt ,
einer großen Begebenheit gerecht die ſchrecklich entſtellt
iſt , erzaͤhlen , wenn zuvor einiger wichtigen Geſetze gedacht
ſeyn wird , welche dieſer Zeitraum brachte .
Erweiterung der Rechte des Volks war es unſtreitig ,
als ein Geſetz des Jahrs 393 die Erwaͤhlung von ſechs
Kriegstribunen der Nation uͤbertrug Livius VII. c. 5 . : nur als Be-
ſchraͤnkung des Conſulats moͤchte es nicht anzuſehen ſeyn .
Waren die Tribunen bisher die Phylarchen der alten Rit-
tercenturien , durch ſie erwaͤhlt Oben Th. II. S. 170 . , ſo gewannen jetzt die
Plebejer der fuͤnf Klaſſen , wie die Ritter ihres Standes
durch die Theilung des Conſulats ; die Republik das Ta-
lent vieler Hauptleute fuͤr einen groͤßeren Beruf .
Im Jahr 397 wurden zwey neue Tribus errichtet Livius VII. c. 15 . :
wie der Rahme der pomptiniſchen Tribus ohne Zweifel
ſchließen laͤßt , aus Volskern , die Roͤmer wurden , waͤh-
rend andere ihrer Staͤdte in demſelben Jahr zu Latium
traten : ſo ward das Gleichgewicht zwiſchen beyden Bun-
desſtaaten bewahrt .
Das liciniſche Schuldgeſetz hat , wie jedes welches
den Privatcredit verletzt , den Verſchuldeten die gehofften
Vortheile nur unvollkommen gewaͤhrt . Abzahlung des
Capitals , auch unverzinslich , in drey Terminen , war
keine leichte Laſt , da mit dem friſchen Gefuͤhl ſeines Ver-
luſts jeder ſcheu geweſen ſeyn muß Darleihen zu geben :
und es laͤßt ſich nicht bezweifeln daß alle waͤhrend der
Zeit , da die Annahme des Geſetzes unentſchieden war , ge-
ſchloſſenen Schuldcontracte gegen ſeine Wirkung verwahrt
worden ſind . Allgemeine Privatverſchuldung iſt das Faß
der Danaiden . Daher wurden die Klagen uͤber Armuth
und Zahlungsunfaͤhigkeit in kurzer Zeit wieder laut und
dringend ; beſonders da das liciniſche Geſetz ſelbſt noth-
wendig zur Folge haben mußte daß der Zinsfuß zu einer
ganz wucheriſchen Hoͤhe ſtieg . In dem Wahn dieſem
Elend abzuhelfen , ward , zehn Jahre nach jenem Geſetz ,
der Unzialzinsfuß ( fœnus unciarium ) verordnet Livius VII. c. 16 . .
Ueber den Unzialzinsfuß .
Tacitus ſagt , dieſer ſey ſchon durch die zwoͤlf Tafeln
feſtgeſetzt Tacitus Annal . VI. c. 16 . . Das Talent des gleichzeitigen Geſchicht-
ſchreibers iſt aber ſo verſchieden von der gelehrten Kennt-
niß alter Zeiten , daß die hoͤchſte Vortrefflichkeit in jener
Kunſt das Urtheil und Zeugniß in dieſer Gelehrſamkeit
noch nicht bewaͤhrt . Daß Tacitus , was er dennoch haͤtte
vereinigen koͤnnen , nicht vereinigt hat , iſt allenthalben
klar wo er in das Alterthum zuruͤckgeht , und er iſt wahr-
lich hier nicht die Autoritaͤt der wir das Unwahrſchein-
lichſte glauben koͤnnen : daß eine Verordnung der Ta-
feln durch ein ſpaͤteres Geſetz als neu wiederhohlt worden
waͤre ; und Livius redet von einer ganz neuen Geſetzge-
bung . Eben dahin deutet die ſo bald hernach eingetretene
Herabſetzung auf die Haͤlfte . Es iſt auch ſchon angedeu-
tet daß zur Zeit der liciniſchen Geſetzgebung keine Wucher-
geſetze in Kraft geweſen ſeyn koͤnnen . Jetzt erſt koͤnnen
alſo auch die Strafbeſtimmungen gegen Wucherzinſen ,
urſpruͤnglich zum Vortheil der Staatscaſſe , eingetreten
ſeyn ; und man muß dieſes Geſetz gaͤnzlich aus den Her-
ſtellungen der zwoͤlf Tafeln entfernen .
Ueber die Groͤße dieſes Zinsfußes gelten zwey in einem
vielleicht beyſpielloſen Grade von einander abweichende
Meinungen : neben ihnen und gegen ſie muß ich eine dritte
aufſtellen . Jene beyden ſetzen gemeinſchaftlich voraus
daß die ſpaͤter in Rom unſtreitig allein herrſchende Zins-
rechnung nach Monaten auch urſpruͤnglich allein ge-
braͤuchlich geweſen ſey : aber von hier weichen ſie in das
Entgegengeſetzteſte aus einander . Die Erklaͤrung , welche
die Centesima , das monatliche Procent , als die Einheit
anſieht , deren Zwoͤlftheil der geſetzliche Zinsfuß geweſen
ſey , rechnet dieſen zu Eins vom Hundert im Jahr : die
welche die Einheit , das As , im Capital ſieht , von dem
monatlich ein Zwoͤlftheil ſtipulirt werden durfte , auf hun-
dert Procent jaͤhrlich .
Dieſe letzte kann ſich nur als Hypotheſe darbieten ,
denn ihr dient keine einzige Stelle weder als Zeugniß noch
als Analogie : und anſtatt innerer Wahrſcheinlichkeit , die
auch einer nicht unterſtuͤtzten Hypotheſe das Wort reden
kann , leidet ſie vielmehr an der hoͤchſten Unglaublichkeit .
Ein ſolcher Zinsfuß hat in der ganzen Welt nie und nir-
gends beſtanden noch beſtehen koͤnnen . Denn wer aus
Roth borgt , und ſo viel Eigenthum beſitzt daß er dem
Darleiher zahlungsfaͤhig ſcheint , wird doch ſein Eigen-
thum noch mit weniger als funfzig Prozent Verluſt ver-
kaufen
kaufen koͤnnen , und dabey gewinnt er gegen ein ſolches
Anleihegeſchaͤft : hat er ſo viel Eigenthum nicht , ſo wird
ihm keiner leihen . Wer aber zu Speculationen Geld auf-
nimmt , der kann , vorzuͤglich auf Bodmerey , allerdings
hohe Zinſen zahlen , aber es gehoͤrt zu den allereinzelnſten
Gluͤcksfaͤllen daß jemand , auch in den entlegenſten Gegen-
den , mehr als Capital auf Capital durch ein planmaͤßiges
Geſchaͤft gewinne . Im Lande ſelbſt iſt es unmoͤglich :
ſonſt koͤnnte der Kaufwerth aller Dinge nur ihrem jaͤhrli-
chen Ertrag gleichſtehen , waͤhrend die Capitalanhaͤufung
durch den Zinsfuß wieder eine die Preiſe ſehr ſteigernde
Concurrenz hervorbringen muͤßte . Denn hier iſt von einer
Regel , nicht von aͤußerſt einzelnen Wucherenormitaͤten
gegen Thoren und Unerfahrne die Rede . Ferner , was
geſetzlich als Erleichterung des Volks , und von ihm , zum
Kummer der Patricier , leidenſchaftlich verfuͤgt ward Livius VII. c. 16. Haud æque læta Patribus — rogatio :
et plebs aliquanto cam cupidius scivit . ,
mußte einen noch ungleich hoͤheren fruͤher gebraͤuchlichen
Zinsfuß abſchaffen . Man moͤchte fragen ob denn wohl
fruͤher 200 Procent der legale oder auch nur gebraͤuchliche
Zinsfuß geweſen waͤren , wie man bald nachher auf die
Haͤlfte , oder nach dieſer Hypotheſe , auf 50 Procent her-
abkam ? Hingegen nach dem liciniſchen Schuldgeſetz ſelbſt
mußte nothwendig nach Abzug der gezahlten Zinſen ein Reſt
des Capitals uͤbrig bleiben . Im Gegentheil wuͤrde es ,
mit Conſequenz , zur Palintokie gefuͤhrt haben Plutarch quæst . Græc. p. 295 . C. .
Zweiter Theil. E e
Mit ganz anderem Gewicht iſt die entgegengeſetzte
und wohl eigentlich herrſchende Meinung , welche in dem
Unzialzinsfuß nur ein Prozent jaͤhrlich erkennt , allerdings
ausgeruͤſtet . Daß in ſpaͤteren Zeiten das monatliche
Procent die Einheit war deren Zwoͤlftheile den Zinsfuß
ausdruͤckten , iſt ſo ſtreng erwieſen wie irgend ein Punkt
der Alterthumskunde . Aber eben daß es auch die Einheit
der alten Unzialzinſe war , dafuͤr giebt es keinen Beweis ,
hingegen iſt es an ſich hoͤchſt unglaublich Die Unciæ usurarum nomine in l. 47. §. 4. D. de ad-
ministr. et peric . waren allerdings eine geringere Zinſe
als die Centesimæ : die Differenz ward durch die Garantie
der Tuteren ausgeglichen . Ein Procent iſt aber ſo ganz un-
bedeutend daß man nicht einſieht warum der Teſtator , wenn
ihm nur daran lag das Capital der Unmuͤndigen geſichert
zu haben , es vorbehielt : aber die Differenz zwiſchen
dem laufenden Discont und dem Unzialzinsfuß nach meiner
Erklaͤrung giebt ein vernuͤnftiges Delcredere . Unciæ im Plu-
ralis wegen der jaͤhrlichen Zahlung . Ich gebe dies als eine
ungeſuchte Erklaͤrung , ſonſt gilt mir der Sprachgebrauch
des dritten Jahrhunderts ganz gleich . . Die
Geſetze waren nicht zum Schein gegeben ; ſie waren unter
die Obhut der curuliſchen Aedilen geſtellt S. Anm. 583 . . Das Volk
ſelbſt richtete uͤber die Anklagen , und hielt , drey Jahre
nachdem der Zinsfuß auf eine halbe Unze herabgeſetzt war ,
harte Gerichte uͤber angeklagte Wucherer . So war es
unſtreitig Ernſt des Geſetzes vom Jahr 408 daß kein hoͤ-
herer Zins als eine halbe Unze genommen werden duͤrfe :
kein geſteigerter ſymboliſcher Ausdruck der Mißbilligung
des Zinshandels uͤberhaupt durch die Subſtitution eines
halben Procents jaͤhrlich anſtatteines einzigen . Keines von
beyden konnte je im Ernſt als geſetzliche Norm beſtimmt
werden : eben ſo wenig aber war auf eine ſolche Herab-
ſetzung anwendbar was Livius erzaͤhlt Livius VII. c. 27 . : auch ſo haͤtte
noch ein großer Theil des Volks gelitten , aber man haͤtte
die Schwierigkeiten mit denen Einzelne kaͤmpfen mußten
geringer geachtet als die Treue welche der Staat dem Ei-
genthum ſchuldig ſey . Daſſelbe Geſetz verordnete naͤm-
lich daß alle Schulden in vier gleichen Terminen innerhalb
drey Jahren abgezahlt werden ſollten . Und da haͤtte es
als Erleichterung gelten koͤnnen daß man den noch nicht
abgezahlten Reſt des Capitals nur mit einem halben an-
ſtatt mit einem ganzen Prozent jaͤhrlich verzinſete ?
Dies ſind innere Unmoͤglichkeiten welche , bey einer
Sache die zu allen Zeiten gleicher Natur iſt , nur einem
ſtrengen Beweiſe aufgeopfert werden koͤnnen . Nicht weni-
ger aber darf man fordern daß gezeigt , wenigſtens daß an-
gedeutet werde , zu welcher Zeit denn der geſetzliche Zins-
fuß eines halben Procents geſetzlich auf das vier und
zwanzigfache , auf zwoͤlf Procent , erhoͤht worden ſey ;
und daß man angebe was denn berechtige dieſen letzten
als die alterthuͤmlich herkoͤmmliche Einheit , als das As ,
anzuſehen ? Damit dieſes gelten koͤnnte muͤßten die Cen-
tesimæ der urſpruͤngliche Zinsfuß ſeyn ; wenigſtens durch
die zwoͤlf Tafeln feſtgeſetzt : das wird aber im Ge-
gentheil von der Unze geſagt , alſo war es dieſe die
fuͤr aͤlter galt . Vielmehr iſt es wohl unmoͤglich eine
E e 2
einzige Erwaͤhnung jenes Zinsfußes nachzuweiſen welche
aͤlter waͤre als Ciceros Schriften ; und in dieſen wird
er , bis zur Vervierfachung , ſehr oft bey den Schuld-
forderungen genannt welche reiche Roͤmer in den grie-
chiſchen Provinzen ausſtehen hatten ; fuͤr Rom ſelten ,
und dann , mit dem vollen Schwanken eines Disconto ,
auch unter dem Einheitsmaaß bis zu vier Procent herab .
Zu Athen war das monatliche Procent , eine Drachme von
der Mna , und in gewiſſen Faͤllen , wie fuͤr Frauengut ,
anderthalb Procent , neun Obolen , geſetzlich , ohne Zwei-
fel von Solons Zeit , der doch den Schuldherrn haͤrter
fiel als irgend ein roͤmiſcher Tribun . Dieſer Zinsfuß , wie
er noch bis auf den heutigen Tag in der Levante gilt ,
erhielt ſich auch unter der roͤmiſchen Herrſchaft , und
die roͤmiſchen Banquiers , die ihr Vermoͤgen in den
Provinzen benutzten , zogen Vortheil von ſeiner Hoͤhe ,
und der fuͤrchterlichen Leichtigkeit ihn zu ſteigern welche
der Ausdruck ſelbſt gewaͤhrte . Es bedarf in der That
eines poſitiven Beweiſes , daß dieſe Berechnungsart nicht
erſt von dort nach Rom im ſiebenten Jahrhundert ge-
kommen ſey . Der griechiſche Zinsfuß muß allerdings
damals ganz herrſchend geworden ſeyn : aber als eine
durch den Gebrauch eingefuͤhrte und geduldete Sache .
So wie er einmal gebraͤuchlich war , veranlaßte die all-
gemeine roͤmiſche Sitte die Berechnung der geringeren
Verhaͤltniſſe nach Zwoͤlftheilen .
Die Einheit wovon die Unze , und nach einigen
Jahren die halbe Unze , erlaubte Zinſe war , iſt wohl
nur im Capital , aber nicht fuͤr den Monat , ſondern
fuͤr das Jahr , und zwar urſpruͤnglich fuͤr das alte cy-
cliſche Jahr von zehn Monaten , zu ſuchen . Gab ſie
fuͤr dieſes 8⅓ Procent , dann betrug fuͤr das buͤrgerliche
Jahr die Unzialzinſe zehn Procent , und die halbe Unze
fuͤnf : ein Maaß das von dem aller Zeiten und Laͤnder
nicht abweicht , welches mit Leidlichkeit fuͤr den Glaͤu-
biger und den Schuldner zwiſchen drey und zwoͤlf Pro-
cent betraͤgt : dieſes , wo die Capitalien von wenigen ,
dem eigentlichen Betrieb fremden Perſonen , monopoliſirt
werden , und der Capitalwerth des fruchtbaren Eigen-
thums ſehr niedrig iſt , jenes im Gegentheil . Bey dieſer
Annahme verſchwinden alle innere oben geruͤgte Schwie-
rigkeiten : und nichts iſt ungezwungener als anzuneh-
men daß das Capital die Einheit , und ein Jahr das
Zeitmaaß der Schulden war . Von Discontgeſchaͤften
auf Monate iſt gewiß nicht die leiſeſte Spur in der aͤl-
tern roͤmiſchen Geſchichte : ſondern vielmehr deuten die
von den tribuniciſchen Geſetzen der Jahre 388 und 408
beſtimmten , auf Jahre vertheilten Termine , auf eine
jaͤhrige Guͤltigkeit der Schulden . Dahin deuten auch
die Termine der Auszahlung legirter Ausſteuer , welche
in drey cycliſchen Jahren zahlbar war Polybius XXXIII. c. 13 . An andere Jahre , obwohl
nachher die gewoͤhnlichen angenommen wurden , iſt in der
alten Zeit bey allen Terminalzahlungen der Dos nicht zu
denken . . So war
es auch Sitte bey dem Verkauf der Oliven , und der
Trauben am Stamm , auch des Weins auf Faͤſſern , die
Zahlung , als Schuld , nach zehn Monaten zu bedin-
gen Cato de R. R. c. 146—148 . , und daher nehme ich den Betrag der Unzial-
zinſe fuͤr zwoͤlf Monate , nicht auf 8⅓ , ſondern auf zehn
Procent an . Dies wuͤrde nun gewiß außer allem Zwei-
fel ſeyn , wenn eine Stelle des Feſtus Feſtus s. v. Unciaria lex dici cœpta est quam L. Sulla
et Q. Pompejus tulerunt , qua sanctum est ut debitores de-
cimam partem . . . . . vollſtaͤndig
waͤre . Denn in dieſem am Schluß um wenige Worte
verſtuͤmmelten Fragment wird vom zehnten Theil des
Capitals geredet : zwiſchen dieſem aber und der Unze
laͤßt ſich nur in Hinſicht auf das zehnmonatliche Jahr
Beziehung denken . Die wahrſcheinlichſte Ergaͤnzung duͤnkt
mir , daß man die Zinſen als den Inhalt des verlohrnen
Satzes anſehe , und annehmend , Sulla , der in allem , wo
es gerathen und nicht gerathen war , das Alte herſtellte ,
habe die alten Wuchergeſetze erneuern wollen , mit den
Worten ergaͤnze : — sortis annuis usuris penderent .
Hier waͤre naͤmlich vom buͤrgerlichen Jahr die Rede .
Wollte man annehmen es betreffe die Abzahlung des Ca-
pitals in Terminen , ſo wuͤrde immer dieſelbe Beziehung
auf das cycliſche Jahr vorhanden ſeyn . Aber eine ſo
große Nachſicht — groͤßer als die Tribunen je zeigten —
war Sullas altpatriciſchem Sinn gewiß fremd . Ich
halte es fuͤr ganz unmoͤglich irgend eine dritte andere
Deutung mit einigem Schimmer von Wahrſcheinlichkeit
zu geben .
Daß der roͤmiſche Zinsfuß einſt ein Zwoͤlftheil des
Capitals war , ſcheint auch auf eine hoͤchſt einleuchtende
Weiſe in den Strafbeſtimmungen gegen den ſchuldigen
Theil bey Eheſcheidungen angedeutet zu ſeyn , obwohl die
ſchon erwaͤhnte Verwandlung der Friſten bey dem Frauen-
gut in gewoͤhnliche Jahre , auch hier die Unze auf dieſes ,
und nicht mehr auf das cycliſche bezieht . Ulpian mel-
det Ulpian Tit. de dotib. §. 12. 13 . daß die Frau fuͤr große Unſitte durch den Ver-
luſt des ſechſten Theils ihrer Dos ; fuͤr geringere mit
einem Achttheil beſtraft ward : der Mann dadurch , daß
er , im erſten Fall anſtatt der drey jaͤhrigen Friſten ſogleich
zuruͤckzahlen mußte : im zweyten in ſechsmonatlichen Ter-
minen . Nimmt man nun an daß die Strafe fuͤr beyde
gleich ſeyn ſollte , alſo der Mann durch Zinſen ſo viel ver-
liehren als die Frau am Capital ; ſo ergiebt ſich fuͤr den
erſten Fall der jaͤhrliche Zinsfuß von einem Zwoͤlftheil auf
dem erſten Blick : und im zweyten nicht weniger , wenn
man einraͤumt daß der durch keine Parallelſtelle beſtimmte
Ausdruck senum mensum die die Erklaͤrung zulaͤßt der
erſte Termin ſey ſogleich faͤllig geweſen , die beyden fol-
genden waͤren von ſechs zu ſechs Monat gefallen Denn im erſten Fall verliert der Mann an jaͤhrigen Zin-
ſen ⅓ + ⅔ + 1 = 2 = ⅙ des Capitals ; im zweyten , nach
jener Erklaͤrung , ⅓ + ½ + ⅔ = 1½ = ⅛ des Capitals . Es
gehoͤrt nicht zu dieſer Rechnung , iſt aber nicht zu uͤberſe-
hen , daß der gekraͤnkte Theil gerade ſo viel gewann als
der ſchuldige verlohr .
Auch auf dieſe Stelle hat mich Savignys Freundſchaft
geleitet . Er hatte zuerſt hier die Entdeckung eines alten
Zinsfußes erwartet , aber bey der Berechnung die Zinszin-
ſen hineingezogen , wodurch ein ſehr verwickeltes Reſultat .
Fortſetzung der abgebrochenen inne-
ren Geſchichte .
Das Geſetz des Jahrs 398 beſchraͤnkte , nach dieſer
Erklaͤrung , die erlaubten Zinſen auf zehn von hundert
fuͤr das buͤrgerliche Jahr . Daß eine allgemeine Abzah-
lung der Schulden beabſichtigt ward , und daß die Schuld-
forderungen ohne vorhergehende Kuͤndigung , mit dem
Ablauf des Jahrs , faͤllig wurden , erhellt aus der wichti-
gen und wohlthaͤtigen Geſetzgebung von 403 Livius VII. c. 21 . . Auch
hier erſcheint der freundliche Valeriſche Rahme . P. Pu-
blicola , und ſein plebejiſcher College C. Marcius Rutilus ,
lieſſen das Volk fuͤnf Commiſſarien erwaͤhlen , zwey Patri-
cier und drey Plebejer , welche eine allgemeine Liquidation
der Privatſchulden uͤbernahmen ( quinqueviri mensarii ) .
Wer , bey wirklichem Vermoͤgen , unfaͤhig war baare Zah-
lung zu leiſten , dem Staat aber Sicherheit zu ſtellen
vermochte ; fuͤr den leiſteten dieſe Zahlung durch Vor-
ſchuß aus der Staatscaſſe : wer keine annehmliche Buͤrgen
geben konnte , aber Eigenthum beſaß , dem ward es ab-
geſchaͤtzt , und dem Glaͤubiger als Zahlung uͤbergeben .
Auch aus dieſem Verfahren erhellt , wie fremd dem alten
Recht urſpruͤnglich der Gedanke war daß Vermoͤgen fuͤr
entſtand . Ich darf es aͤußern daß ihm meine Erklaͤrung
vollkommen genuͤgt : und ich wiederhohle daß genaue Ueber-
einſtimmung in Zahlverhaͤltniſſen allenthalben als der aller-
buͤndigſte Beweis anerkannt werden muß , wie das unge-
faͤhre dabey ganz unleidlich iſt .
Schuld hafte : nicht minder merkwuͤrdig iſt es wie reich
jetzt ſeit dem liciniſchen Geſetz die Staatscaſſe war . Dieſe
Befriedigung der Glaͤubiger durch Werth anſtatt Geld ,
ſagt Livius , hatte die Eigenthuͤmer vieler Gegenſtaͤnde
veraͤndert , und machte einen neuen Cenſus nothwen-
dig Livins VII. c. 32 . : eine folgenreiche Bemerkung die ſchon an einer
anderen Stelle eroͤrtert iſt . Fuͤr dieſen Cenſus ward C.
Marcius , welcher ſeinem Stand zuerſt den Glanz der
Dictatur verliehen hatte , durch die lebhafteſte Gunſt des
Volks , nicht ohne großen Widerſtand der Patricier , zum
erſten plebejiſchen Cenſor ernannt ; in einem Jahr wo die
patriciſchen Beſtrebungen gegen das liciniſche Geſetz nicht
ohne Erfolg geblieben waren .
Als im Jahr 408 der Zinsfuß auf fuͤnf von hundert
herabkam , ward fuͤr die Abtragung des Capitals eine
Friſt von drey Jahren gewaͤhrt , wobey man wieder an
cycliſche denken muß . Ein Viertheil ſollte gleich gezahlt
werden , und die uͤbrigen in drey gleichen Terminen Derſelbe ebend . c. 27. .
Ein wunderbares Dunkel ruht auf der Inſurrection
der Armee im Jahr 413 . Iſt es wahr daß alles , daß vor
allem menſchlicher Handlungen Triebe aus den Fruͤchten
am richtigſten erkannt werden , ſo muß jeder , auch wer
die alte Geſchichte Roms ohne alle Skepſis lieſet , befrem-
det erſtaunen , wie ein Raͤubergeſindel , welches die verruch-
teſte That im Sinn getragen , und ſich in der Erbitterung
uͤber ihre Vereitelung empoͤrt haben ſoll , fuͤr ſich nichts
ungeziemendes ausbedungen haͤtte , als das Vaterland
wehrlos in ſeiner Macht war ; und wie , als unverkennbare
Folge dieſes Aufſtands heilſame Geſetze gegeben werden
konnten ; wie er , anſtatt militariſche Tyranney uͤber die
Republik zu bringen , ſie von ihrer innern Plage erloͤſet .
Wer ſich aber uͤber den hiſtoriſchen Gehalt der roͤmiſchen
Annalen , auch in dieſem Zeitraum , nicht taͤuſcht , und
dann die von Livius vernachlaͤßigten Erzaͤhlungen pruͤft ,
ſo weit er uns Kenntniß davon vergoͤnnt hat , der muß
ſich uͤberzeugen , daß der Geſchichtſchreiber auch hier einer
ganz unwahren Darſtellung den Vorzug gegeben hat :
nicht ahndend daß er Vorfaͤlle entſtelle welche vor an-
dern die Buͤrgertugend des Volks der alten Zeiten in ih-
rem hoͤchſten Glanz gezeigt haben wuͤrden .
Nach Livius Erzaͤhlung erweckte der Glanz und die
Ueppigkeit des reichen Kapua , und der um ſie her gelege-
nen kampaniſchen Staͤdte , bey den roͤmiſchen Legionen
welche im Winter von 412 dort in Beſatzung lagen , die
ſchaͤndliche Verſuchung , die Einwohner zu ermorden oder
zu unterjochen , und dann einen neuen Staat zu ſtiften ,
wie ehemals die Sabeller an den tuskiſchen Buͤrgern von
Vulturnum gethan haͤtten . Als der Conſul C. Marcius
Rutilus im Jahr 413 zur Armee kam , ſey dieſer Entwurf
zu einer voͤlligen Verſchwoͤrung gediehen geweſen . Um ſie
einzuſchlaͤfern habe er das Geruͤcht ausgebreitet , die
Truppen wuͤrden auch im folgenden Winter die Quartiere
nicht verlaſſen : er habe dann , die Meuterer ſtille beob-
achtend , jeden Anlaß benutzt um ihre Raͤdelsfuͤhrer , bald
als ausgedient von den Fahnen zu entlaſſen , bald auf den
leiſeſten Wunſch ihnen Urlaub nach Rom gegeben , wo ſein
College O. Servilius Ahala ſie zuruͤckgehalten haͤtte . Eine
Zeitlang ſey die Liſt gelungen : allmaͤhlich aber haͤtten die
Soldaten den Plan errathen , da keiner von ihren beur-
laubten Genoſſen zuruͤckkam . Eine Cohorte habe bey Lau-
tulaͤ , einem Paß oͤſtlich von , und nahe bey Terracina ,
auf der roͤmiſchen Straße , Halt gemacht : an dieſe haͤtten
ſich die angeſchloſſen welche der Conſul einzeln beurlaubt
entließ : bis ihre Zahl zu einem ſtarken Heer herange-
wachſen waͤre Appian Samnit. fr. 1. ed. Schw. giebt die Zahl des
Heers der Aufruͤhrer zu 20000 Mann an . Sie haͤtten die
gefeſſelten Feldarbeiter in Freyheit geſetzt , durch dieſe waͤre
ihre Menge angeſchwollen . Er ſcheint Schuldknechte zu mei-
nen , und bezieht uͤberhaupt den Aufſtand auf die Verſchuldung
des Volks : das thut auch Victor de vir. illustr. c. 29 . .
Ich muß hier die Erzaͤhlung unterbrechen um auf —
es iſt unmoͤglich den Ausdruck zu mildern — das Unge-
reimte ihres Inhalts zu deuten . Ganze Cohorten haͤtte
der Conſul beurlaubt , daß ſie unter ihren Fahnen heimge-
kehrt waͤren , vor dem Angeſicht des Feindes , und ſo viele
Einzelne daß aus ihnen ein Heer anwachſen konnte .
Den Conſul ſelbſt , und das Heer was bey ihm nach allen
dieſen Entlaſſungen doch geblieben ſeyn muͤßte , verliert
Livius ganz aus dem Geſicht . Aber er , fuͤr die alte Dich-
tung ſo empfaͤnglich , der auch die Geſchichte wo immer
er ſichre Fuͤhrer hatte vortrefflich ſchrieb , war verdroſſen
in den verworrenen Perioden des Mittelalters Zuſam-
menhang und Moͤglichkeit zu pruͤfen : er umhuͤllte die erſte
Geſtalt welche ſich ihm darbot mit einem Mantel an-
muthiges Vortrags . Die Irrthuͤmer worin er auf dieſe
Weiſe faͤllt , verrathen den Mann der die Geſchichte
nicht im Licht des Forums und der Feldlaͤger , ſondern
nur in ſeinem Municipium anſchauen gelernt hatte .
Vielleicht wollte Aſinius Pollio nichts anders als dieſes ,
was auch ſpaͤter in den militariſchen Darſtellungen oft
anſtoͤßig erſcheint , und die zuweilen flimmernde , den
Perſonen und der Zeit manchmal wenig angemeſſene ,
mehr aus der Litteratur und der Schule , als , wie bey
Thukydides , aus der ernſten Fuͤlle des Lebens geſchoͤpfte ,
Eloquenz ſeiner Reden , durch den Tadel der Patavini-
taͤt bezeichnen .
Er faͤhrt fort : dieſes Heer ſey von Lautulaͤ ohne
Plan , ohne Anfuͤhrer , gegen Rom gezogen . Sie waͤren
aber doch inne geworden daß ihnen ein Haupt fehle , und
haͤtten beſchloſſen , ſich dazu einen edeln Herrn , wie die
Bauern den Goͤz , mit Gewalt zu holen . In der albani-
ſchen Feldmark habe ein alter Patricier T. Quinctius
auf ſeinem Gut gelebt , am Fuß gelaͤhmt , nach glorrei-
chen Feldzuͤgen vom Staat zuruͤckgezogen Die Annaliſten haben wohl entweder an den Conſul des
Jahrs 401 ( T. Quinctius Pennus ) oder an den des Jahrs
404 ( T. Quinctius Cincinnatus ) gedacht . . Sein
Haus haͤtten ſie Nachts uͤberfallen , und ihn durch Todes-
drohung gezwungen den angetragenen Befehl zu uͤber-
nehmen . Er ſey darauf als Feldherr begruͤßt , und mit
allen Ehren dieſer Wuͤrde empfangen und bekleidet wor-
den . Sie haͤtten ſich acht Millien von Rom gelagert ,
und waͤren im Begriff geweſen gegen die Stadt aufzu-
brechen , als ſie vernahmen , es ruͤcke ein Heer ge-
gen ſie aus , gefuͤhrt von dem Dictator M. Valerius
Corvus .
Die Heere haͤtten , zur erſten Buͤrgerſchlacht geruͤ-
ſtet , ſich gegenuͤber geſtanden ; da waͤren alle Herzen
weich geworden , in allen ſey Sehnſucht nach Ausſoͤh-
nung erwacht . Der Dictator , dem Volke hold und treu ,
wie es einem Manne ſeines Geſchlechts eignete , habe
Frieden angeboten : auf ihres Feldherrn Rath haͤtten
auch die Empoͤrer beſchloſſen ſich einem Valerius ganz
zu vertrauen . Mit dieſem Troſt ſey der Dictator nach
Rom zuruͤckgegangen , und nach ſeinem Antrag habe die
Volksgemeinde den Soldaten Strafloſigkeit und allge-
meine Vergeſſenheit gewaͤhrt ; auch in Scherz noch Ernſt
nie einem Schuldigen den Aufſtand vorzuwerfen , dem
Dictator zugeſagt . Hierauf waͤre ein Kriegsgeſetz an-
genommen und beſchworen worden , daß kein Soldat wi-
der ſeinen Willen von der Muſterrolle ausgeſtrichen , und
keiner der ſchon als Tribun gedient , nachher als Haupt-
mann angeſtellt werden ſolle .
Auch hier ahndet Livius nicht wie ihn thoͤrichte An-
naliſten irre fuͤhren . Mit dieſem Geſetz ſollen es die
Empoͤrer gegen einen Offizier L. Salonius gemeint ha-
ben , der ſich von ihrem Verbrechen rein gehalten haͤtte :
dieſer ſey in abwechſelnden Jahren Tribun und Haupt-
mann eines Manipels geweſen . Das letzte durch Ernen-
nung vom Conſul : jenes durch ſeine oder des Volkes
Wahl . Aber ein roͤmiſcher Hauptmann war eigentlich
nicht Offizier , kaum der Primipilus : und ſo war es
nicht minder empfindlich fuͤr den welcher ſchon Tribun
geweſen war , zum Centurio geſetzt zu werden , als Dienſt
des Gemeinen fuͤr den der ſchon Hauptmann war . So
hat es hier das Anſehen als ob eben das Volk den Sa-
lonius jedes zweyte Jahr unter den ſechs Tribunen waͤhlte
die es zu ernennen hatte . Der jaͤhrlichen Wahl mochten
Latiums gleiche Rechte hinderlich ſeyn . Aber die Conſuln
hatten die groͤßere Zahl zu ihrer Ernennung , und wenn
ritterlicher Stolz — um nicht von patriciſchem allein zu
reden — ihn dann uͤberging und in einen niederen Rang
ſetzte , ſo iſt es klar wie ein ſolches Verfahren die Solda-
ten wegen eines Mannes empoͤrte der aus ihren Gliedern
ſich empor gedient hatte . Empor , nicht herauf ; denn ein
Heraufſteigen auf vielen Staffeln einer militariſchen
Rangordnung kannte die Verfaſſung des roͤmiſchen Heers
nicht , und dies iſt nicht die letzte Urſache ſeiner Vor-
trefflichkeit geweſen : wer Fluͤgel hatte ſchwang ſich ſchnell
empor . — Nach Livius muͤßte man glauben die Armee
habe gefordert , wer einmal Tribun geweſen , ſolle ent-
weder nur dies oder gemeiner Soldat ſeyn . Nicht alſo ,
Befreyung vom Kriegsdienſt hat ſie gefordert , oder Rit-
terdienſt .
Ob die Forderung daß der Sold der Ritter , drey-
fach gegen den des Fußvolks , vermindert werden ſolle ,
Erfolg hatte , bleibt nach Livius Worten unentſchieden :
waͤre hierin nachgegeben , ſo muͤßte ſich die alte Ord-
nung ſpaͤter wieder hergeſtellt haben : denn jenes Ver-
haͤltniß galt noch in Polybius Tagen Polybius VI. c. 39 . . Und hier
hat Livius offenbar eine Empoͤrung des ganzen Heeres
im Sinn : darum haͤtten die Meuterer an den Rittern
Rache geſucht , weil ſie nicht mit ihnen ſich empoͤren
gewollt Fuͤr den ganzen Hergang : Livius VII. c. 38—41 . Ap-
pian a. a. O. weiß gar nichts von den militariſchen Be-
ſchwerden ; er erzaͤhlt den ganzen Vorfall , vom Anfang
der Conſpiration gegen Kapua , als eine Folge großer Noth
und Verſchuldung , und bezieht den beruhigenden Vertrag
auch nur hierauf . .
Und ſo unbedeutend endigt nun bey Livius , ohne eine
Erwaͤhnung , ich ſage nicht Kapuas , ſondern ſolcher Vor-
theile wie ſie ſpaͤter die Veteranen , als ihnen faſt natur-
rechtlich gebuͤhrend , begehrten , mit Abhuͤlfe einiger
Klagen , — die laͤcherlich unbedeutend ſind gegen die alten
Beſchwerden des ganzen plebejiſchen Standes , deren Ab-
ſtellung mit nie geſtoͤrter Ruhe und Geduld erlangt war , —
eine Empoͤrung die von Miſſethaͤtern angeſponnen ſeyn
ſoll . Was in ſeiner Wurzel boͤſe iſt , vergiftet ſich tiefer
und heftiger je laͤnger es reift : davon zeugt Roms ſpaͤtere
Geſchichte ſo redend als irgend ein Zeitraum der neueren .
Und hier , nachdem einer Raͤuberhorde ihre Beute ent-
wandt worden , nachdem ſie im Grimm uͤber dieſe Taͤu-
ſchung — von etwas anderem iſt gar nicht die Rede ge-
weſen — vor den Thoren der Hauptſtadt erſchienen war ,
waͤre ſie geruͤhrt in ſich gegangen , und haͤtte ſich beru-
higt nachdem ſie , wie Livius es anſieht , die Befriedigung
gehabt denen weh zu thun , die ein Unternehmen nicht
theilen gewollt , deſſen ſie ſelbſt muͤde waren und ſich
ſchaͤmten ! Wohlverſtanden daß dieſe Befriedigung die
Bedingung ihrer Unterwerfung war : waͤre ſie verwei-
gert ſo haͤtte ihre Empoͤrung , ohne einigen Zweck ,
fortgedauert . Iſt das Geſchichte ſo iſt ein Maͤhrchen be-
greiflicher und verſtaͤndiger .
Ganz andre Wahrſcheinlichkeit hat hingegen die Er-
zaͤhlung welche Livius verſchmaͤhte , wahrſcheinlich weil er
ſie nur mit wenigen Zuͤgen in den aͤlteſten Chroniken fand
die nicht mehr gaben als ſie aus dieſer ſchreibkargen Zeit
vorfanden : da hingegen Valerius Antias und Claudius
umſtaͤndliche Nachrichten darboten . Der ſelbſturtheilende
Geſchichtſchreiber , im vollen Beſitz aller alten Annalen ,
haͤtte hier uͤber die hiſtoriſche Wahrheit nicht verlegen
ſeyn koͤnnen .
Nach dieſer Erzaͤhlung hat der Aufſtand keineswegs
von der Armee begonnen , ſondern iſt in der Stadt ausge-
brochen , und hat ſich zu einer Seceſſion geſtaltet . Aller-
dings mochte dieſe wohl nicht den Charakter beſonnener
Gelaſſenheit haben welcher die fruͤheren Auswanderungen
des Volks ehrt . Die Mißvergnuͤgten ergriffen die Waf-
fen : ſonderbar iſt es daß auch hier ein Patricier , aber C.
Manlius , genannt wird , den ſie mit Gewalt zu ihrem
Hauptmann machten . Alſo waͤren ſie aus der Stadt in
das Lager gezogen welches ſie , vier Millien von ihr ent-
fernt , nahmen . Hier nun muß die Armee aus Kampa-
nien , den verbuͤndeten Latinern den Krieg uͤberlaſſend , zu
ihnen geſtoßen ſeyn : in der Erwaͤhnung der Cohorte
welche Lautulaͤ beſetzt , und andern Umſtaͤnden moͤgen
Fragmente der wahren Geſchichte unbrauchbar erhalten
ſeyn . Kein Dictator ſey ernannt worden : die Conſuln
haͤtten
haͤtten ein Aufgebot gegen ſie gefuͤhrt . Als aber beyde
Heere zum Treffen ausgeruͤckt waͤren , haͤtte das conſula-
riſche die Inſurgenten begruͤßt , und anſtatt zu fechten haͤt-
ten die Maͤnner beyder Heere ſich die Haͤnde geboten , und
ſich weinend umarmt . Man moͤchte hierin einen letzten
vereitelten Verſuch der Patricier erkennen , ihre Clientel
gegen das freye Volk gewaltſam zu gebrauchen . Als es
nun ſichtbar geworden daß Gewalt unmoͤglich ſey , haͤtten
die Conſuln ſich entſchließen muͤſſen im Senat auf Aus-
ſoͤhnung mit dem Volk anzutragen . Von nun an vereini-
gen ſich beyde Erzaͤhlungen .
Aber es iſt klar , daß der Aufſtand Geſetze von weit
hoͤherer Wichtigkeit veranlaßte als jene militariſchen .
Von dieſem Jahr an iſt das liciniſche Geſetz nie wieder
verletzt worden . Nur Appius der Blinde wollte es verſu-
chen , der nie eine Gelegenheit voruͤbergehen ließ ſich ſei-
nem Uebermuth hinzugeben : aber ſelbſt er , der bey an-
dern Gelegenheiten allen Geſetzen Hohn ſprach , wich dem
Ernſt des Volkstribuns Cicero Brut. c. 14 . . Eine ſo ploͤtzliche Heilung
einer ſo tief eingewurzelten boͤſen Neigung kann nur das
Werk aͤußerſt ernſthafter Belehrung geweſen ſeyn . Alſo
muß unſtreitig das liciniſche Geſetz uͤber das Conſulat bey
dieſer Veranlaſſung durch neue Sanctionen eingeſchaͤrft ,
hoͤchſt wahrſcheinlich ſeine Uebertretung durch Todesſtra f e
dem Verbrechen der Ernennung einer Magiſtratur ohne
Provocation Siehe oben Th. II. S. 147 . gleichgeſtellt ſeyn . Dies ſcheint durch
vollkommen genuͤgende innere Evidenz erwieſen , obwohl
Zweiter Theil. F f
Livius und Dio Zonaras VII. c. 25 . ein Geſetz hieruͤber nicht unter den
andern uͤber die Magiſtraturwahlen anfuͤhren welche die
Republik dieſem Sturm verdankte . Das wiſſen wir daß
ſonſt hieruͤber eben jetzt beſſere Ordnung geſchafft ward .
Die Maͤchtigen in einer kleinen Zahl hatten ſich faſt
ausſchließend des Conſulats bemeiſtert , welches derſelbe
vier und fuͤnfmal nach Zwiſchenraͤumen von einem oder
wenigen Jahren bekleidete . Dadurch hinderten auch Ple-
bejer , welche Einfluß gewonnen hatten , die Ausbreitung
des Adels unter ihrem Stande , wie denn C. Marcius
ſelbſt und M. Popillius das Conſulat viermal erlangten .
Eine andre Unſitte der noch kein Geſetz vorbeugte war ,
daß der naͤmliche , ſeitdem mehrere curuliſche Wuͤrden
beſtanden , ſie vereinigte . Das mag am haͤufigſten ge-
ſchehen ſeyn daß der patriciſche Conſul zugleich die Praͤ-
tur bekleidete . Jetzt ward verordnet , daß niemand die-
ſelbe Magiſtratur vor zehn verlaufenen Jahren aufs neue :
niemand zwey verſchiedene zugleich erhalten duͤrfe .
Allerdings finden ſich Ernennungen , die mit dem er-
ſten Geſetz zu ſtreiten ſcheinen , ſchon nach einiger Zeit :
und ſie werden faſt haͤufiger gegen die Mitte des fuͤnften
Jahrhunderts , bis ſie , nach der letzten Seceſſion des
Volks , ganz aufhoͤren . Im Allgemeinen aber ſind , wenn
derſelbe Nahme in den Faſten wiedererſcheint , wenigſtens
zehn Jahre ſeit dem letzten Conſulat verfloſſen : und die
in kuͤrzeren Zeitraͤumen wiederhohlten Conſulate werden
gewoͤhnlich von Maͤnnern gezaͤhlt deren Groͤße die Repu-
blik ſtuͤtzte . Dieſe ſind ohne Zweifel ausdruͤcklich vom
Geſetz entbunden worden . Ein namentliches Beyſpiel iſt
O. Fabius Maximus Livius X. c. 13 . : im hannibaliſchen Krieg ge-
ſchah es durch ein allgemeines Geſetz ; fuͤr C. Marius
perſoͤnlich . Es geſchah durch ein Plebiſcit Derſelbe a. a. O. : das Volk
ſelbſt mußte die zum Schutz ſeiner Freyheit gegen Oligar-
chie verfaßten Geſetze loͤſen . Auch kann man annehmen
daß der Ausgezeichnete nicht fuͤr den einzelnen Fall allein
ſondern voͤllig ausgenommen ward , wie denn die Faſten
die Ausnahme bey demſelben gewoͤhnlich wiederhohlt
zeigen .
Zugleich ſoll das Volk erklaͤrt haben es ſey rechtmaͤßig
auch beyde Conſuln aus dem plebejiſchen Stande zu er-
waͤhlen . Verhaͤlt es ſich richtig mit dieſem Beſchluß ,
iſt er nicht vielleicht als eine vom Senat nicht aner-
kannte Rogation verſchwunden , ſo gewaͤhrt die ganze
Geſchichte kein hoͤheres Beyſpiel von Maͤßigung und gewiſ-
ſenhafter Selbſtverſagung als deſſen Nichtbenutzung dar-
bieten wuͤrde . Die Plebejer haͤtten mit dem reinſten
Edelmuth den Verdruß uͤber die noch friſchen patriciſchen
Verletzungen der Geſetze verſchmerzt , weil ſie anerkannt
haͤtten daß , bey dem damaligen Verhaͤltniß der Nation ,
ſtrenge Theilung der Gewalt zwiſchen beyden Staͤnden die
billigſte Verfaſſung , und ihre Bewahrung der einzige
Schutz gegen ſchleunigen Uebergang zu einer aufloͤſenden
Demokratie ſey . Ihr Geſetz waͤre nur als ernſte Erinne-
rung an ihre Obermacht und den Mißbrauch welchen ſie
davon haͤtten machen koͤnnen aufgeſtellt : damit die Ueber-
wundenen ihre Vergehungen zu wiederhohlen nie verſuch-
F f 2
ten . Vor dem Jahr 537 ſcheint allerdings das patrici-
ſche Recht auf den nothwendigen Beſitz einer der Stellen
des Conſulats erloſchen geweſen zu ſeyn : denn damals
fand nur ein religioͤſes Bedenken Statt gegen zwey plebe-
jiſche Conſuln : die Wahl hatte ſie ernannt Livius XXIII. c. 31 . . Erſt
von 580 an beginnen dieſe ganz plebejiſchen Conſulate ,
und folgen ſich oft haͤufig , als der urſpruͤngliche Unter-
ſchied der Staͤnde durch die zahlreiche plebejiſche Nobili-
taͤt ganz in Vergeſſenheit gekommen war , und die Patri-
cier ſelbſt ſo wenig mehr darauf achteten , daß es einer von
ihnen war der bey der erſten Wahl dieſer Art vorſaß Derſelbe XLII. c. 9 .
Ein Plebiſcit welches Zinsdarleihen unterſagt haben
ſoll , kann nicht zur Ausfuͤhrung gekommen ſeyn : hat doch
ſelbſt die Schuldknechtſchaft bis zum Jahr 429 beſtanden .
Dieſe beſtehen zu laſſen und den Zinshandel zu unterſagen ,
waͤre hoͤchſt widerſinnig geweſen . Vielleicht iſt es damit
auch nur ein Mißverſtaͤndniß ; vielleicht muß man Appian
und Victor Appian Samnit. fr. 1. ed. Schw. Victor de vir. il-
lustr. c. 29 . glauben , welche berichten daß durch ein
gewaltſames Gelegenheitsgeſetz die Schulden getilgt waͤ-
ren . Schon einmal ſahen wir daß Livius dieſe von an-
dern eingeſtandene Schmach verſchwieg . Zonaras meldet
nur die politiſchen Geſetze Zonaras VII. c. 25 . .
Iſt es erlaubt als wahrſcheinlich anzunehmen daß
auch dieſe , in ſich einige , Geſetzgebung von einem einzi-
gen Urheber ausgegangen iſt , wie die liciniſche , die duili-
ſche , beyde publiliſche , und zuletzt die ſemproniſchen
und die des Druſus , ſo erinnert der Nahme des L. Genu-
cius , welchen Livius als den Verfaſſer der Rogation ge-
gen den Zinshandel nennt , an jenen Tribun der fuͤr ſeine
Pflichttreue meuchelmoͤrderiſchen Tod litt . So waͤre nach
hundert dreyßig Jahren ein Raͤcher aus ſeinen Gebeinen
erſtanden , und haͤtte ſeine Manen durch endliche Feſtſtel-
lung der plebejiſchen Freyheit beruhigt .
Kriegsgeſchichte von 389 bis 411 .
An den Kriegen dieſes Zeitraums bewaͤhrt es ſich ,
daß die liciniſche Geſetzgebung die Republik von widerna-
tuͤrlichen Feſſeln befreyte , welche ſie , traurig und elend ,
gegen das Ausland in Ohnmacht hielten . Bis hieher ſind
nur die innern Lebensbeſtrebungen dieſen toͤdtenden
Zwang zu brechen in der roͤmiſchen Geſchichte der Auf-
merkſamkeit werth geweſen : von nun an beginnt die Ent-
wickelung Roms in ſeinem Beruf die Voͤlker zu beherr-
ſchen . Die Klagen uͤber den Druck der Abgaben verſtum-
men , die Unmoͤglichkeit ihnen zu genuͤgen iſt verſchwun-
den , weil die Republik zu dem Genuß ihres reichen Eigen-
thums zuruͤckgekehrt war Und daß ſie verſtummen , die vor dem liciniſchen Ak-
kergeſetz verzweiflungsvollen Klagen , beweißt hinlaͤnglich ,
daß erſt durch dieſes die Beſitzſteuer hergeſtellt ward . : kein Widerſpruch gegen
Aushebungen laͤßt ſich vernehmen , ſondern Klage wenn
Soldaten wider ihren Willen von den Fahnen entlaſſen
werden ; ſo ſchnell war die Nation kriegsluſtig geworden ,
ſo reich war ſie an Kriegstugenden und Soldaten , ſeit-
dem jeder ſich den ihm gebuͤhrenden Platz erwerben konnte ,
und ein freyes Bauernerbe beſaß .
Es darf nicht taͤuſchen daß die Geſchichtſchreiber von
den galliſchen Kriegen reden als waͤren ſie unmittelbar ge-
gen Rom gerichtet geweſen : die Chroniken hatten ſich auf
den noch ſehr engen Kreis einheimiſcher Begebenheiten be-
ſchraͤnkt , und der Spaͤteren Sorgloſigkeit uͤberſah Ita-
liens allgemeines Schickſal . Denn die Gallier ſuchten
nicht Rom , manchen Tagemarſch von ihren Wohnſitzen
entfernt , und durch andre Voͤlker getrennt , ſondern auch
das roͤmiſche Gebiet und Latium verwuͤſteten ſie auf den
verheerenden Zuͤgen womit ſie bis in die entfernteſten Ge-
genden unwiderſtehlich vordrangen . Wahrſcheinlich wur-
den dieſe gewoͤhnlich von Schwaͤrmen neuer Einwanderer
unternommen , welche die ſchon angeſiedelten Staͤmme
aufregten , oder von ihnen ſelbſt , um nicht ihre Wohnſitze
theilen zu muͤſſen , weiter zu ziehen bewogen wurden .
Dieſe Voͤlkerwanderung iſt die erſte Stufe der Zerſtoͤrung
und des Verfalls der urſpruͤnglichen Bluͤthe Italiens :
nur um weniges ſpaͤter als Griechenlands innere Verwuͤ-
ſtung , und beynahe gleichzeitig mit der nie hergeſtellten
Zertruͤmmerung Siciliens und Großgriechenlands . Durch
ſie wurden unſtreitig Roms Eroberungen vorbereitet und
erleichtert : weit umher muß alles geſchwaͤcht und ermat-
tet geweſen ſeyn , und viele Voͤlker waren den Galliern
unterthan Polybius II. c. 18 . .
Zu zwey Zeitpunkten ward Rom in dieſen Jahren
durch der Gallier Annaͤherung in Schrecken geſetzt . Die-
ſer Gefahren und ihrer Abwendung gedenkt auch Poly-
bius A. a. O . : hoͤchſt abweichend von der Erzaͤhlung des roͤmi-
ſchen Geſchichtſchreibers . Eine Verſchiedenheit die uns
wohl berechtigt die von dieſem geſchilderten Schlachten
und Siege zu bezweifeln : waͤhrend es doch auch gar nicht
denkbar iſt daß ſie ohne allen Stoff erdichtet ſeyen , und
jene Kriegszuͤge ſo ſchnell und ſo thatenlos abgewandt waͤ-
ren wie ſie von dem Griechen erzaͤhlt werden . Anſtatt wi-
derſprechendes zu vermitteln , koͤnnen wir nur beyde Er-
zaͤhlungen neben einander ſtellen .
Nach der Raͤumung Roms waren , wie Polybius mel-
det , die galliſchen Voͤlker in Italien theils durch innere
Kriege , theils durch Angriffe der Alpenvoͤlker gehindert
ihre Eroberungen auszudehnen : Umſtaͤnde , welche auch
in ſpaͤterer Zeit fortwuͤrkend das uͤbrige Italien vorzuͤglich
gerettet zu haben ſcheinen . Im dreyßigſten Jahre nach
der Einnahme Roms , welches das Jahr 394 ſeyn wuͤrde ,
waͤren ſie mit einem großen Heer unerwartet bey Alba er-
ſchienen : die Roͤmer , abgeſchnitten von der Bundesge-
noſſen Huͤlfe , haͤtten ſich in die Mauern der Stadt einge-
ſchloſſen . Von einem zweyten Zuge , zwoͤlf Jahre ſpaͤter ,
alſo im Jahre 406 , unternommen , haͤtten die Roͤmer zei-
tige Kunde erhalten ; mit ihren Verbuͤndeten haͤtten ſie
den Feind im Felde erwartet . Es ſey Zwietracht unter
den Galliern entſtanden , und ſie haͤtten ſich , mit dem
Schein einer Flucht , zuruͤckgezogen .
Die roͤmiſchen Heldenlieder haben einen Zweykampf
beſungen worin der roͤmiſche Juͤngling T. Manlius einen
Rieſen uͤberwand und toͤdtete , welcher hoͤhnend aus den
galliſchen Reihen hervortrat und einen roͤmiſchen Ritter
forderte : einen Rieſen , nach des Worts eigentlichſter
Bedeutung in den Sagen und Dichtungen , nicht einen
nur vor dem gewoͤhnlichen Menſchengeſchlecht durch Lei-
besgroͤße Ausgezeichneten . Die Sage lautet daß der roͤ-
miſche Kaͤmpfer dem gewaltigen Schwerdſtreich ſeines
Gegners gewandt auswich , mit ſeinem Schild den unter-
ſten Rand des großen galliſchen Schilds in die Hoͤhe ſtieß ,
hinter ihn trat , und ſo , durch die Naͤhe geſchuͤtzt , das
Ungeheuer mit dem Schwerd anfiel . Er durchſtach ihm
Weichen und Wanſt ; ſo hoch ragte der Rieſe uͤber ihm
wie ein Fels : als er ſtuͤrzte , deckte der Leichnam einen ge-
waltigen Raum gleich dem homeriſchen Ares . Der Sie-
ger gewann ſich die goldene Halskette des Erſchlagenen ,
und davon den Beynahmen Torquatus Dies iſt treu wiedergegeben Livius Erzaͤhlung . Auch
hier zeigt dieſer dichteriſche Geiſt Ehrerbietung fuͤr die alte
Sage , ihre poetiſchen Zuͤge ſorgſam hervorhebend , weit
entfernt ſie zu hiſtoriſcher Moͤglichkeit abzuſtumpfen : wie es
von dem ein Jahrhundert aͤlteren Annaliſten Q. Claudius
geſchehen war , deſſen hoͤchſt nuͤchterne Erzaͤhlung Gellius
mit gemachter Bewunderung abſchreibt : IX. c. 13.
Aller Voͤlker alte Poeſie redet von Rieſen : es iſt nicht bloß
ein nordiſches Geſpenſt . Selbſt der Ilias Heroen werden
als Rieſen angedeutet : nicht vor den Blick gefuͤhrt , wel-
ches , gewiß nach Cyklikern , Quintus ſehr roh thut . — In
der Odyſſee ſind die Helden unſeres Geſchlechts : Polyphemus
verachtet den Zwerg Odyſſeus . .
Fuͤr dieſe Dichtung ſuchten die Annaliſten einen Zeit-
punkt . Claudius ſetzte den Zweykampf in den angeblichen
Krieg des Camillus : die meiſten in das Jahr 394 , bey
einem Zug der Gallier , wo der Anio beyde Heere getrennt
haͤtte Livius VI. c. 42 . . Doch geſteht Livius , Licinius Macer ſage :
der Dictator jenes Jahrs ſey nur fuͤr die Comitien er-
nannt geweſen , und er nennt ihn nur muthmaaßend als
Feldherrn des galliſchen Kriegs Derſelbe VII. c. 9. : welcher , nach ihm
ſelbſt , außer jenem Zweykampf ganz thatenlos verging .
Die Gallier zogen durch Tibur nach Campanien .
Jene Stadt , damals von den Roͤmern bekriegt , huldigte
den wilden Schaaren , oder kaufte ihre Lohndienſte . Im
folgenden Jahr ( 395 ) kehrten ſie nach Latium zuruͤck .
Die oͤſtliche Landſchaft bis an die Mauern Roms ward
fuͤrchterlich verwuͤſtet : ſie erſchienen vor dem Colliniſchen
Thor , durch welches ſie vor dreyßig Jahren ſich den Weg
in die Stadt eroͤffnet hatten . Ein conſulariſches Heer
beobachtete Tibur : alle uͤbrige waffenruͤſtige Roͤmer er-
warteten den Feind unter den Mauern . Nach einer lan-
gen und ſehr blutigen Schlacht , mehr zuruͤckgedraͤngt als
beſiegt , wichen die Gallier gegen Tibur : ehe ſie es er-
reichten griff der Conſul Poͤtelius den unordentlichen
Zug an , und vollendete den Sieg . Das bezeugen dem
Conſul auch die Triumphalfaſten .
Vielleicht von einem Zug in ſehr ferne Gegenden der
Halbinſel zuruͤckkehrend — wie die Cimbern erobernd um-
herwanderten , und zuweilen durch Widerſtand , zuweilen
durch Hunger zuruͤckgetrieben wurden — kamen die Gal-
lier im zweyten Sommer ( 397 ) durch das praͤneſtiniſche
Gebiet bis Pedum , in die Gegend welche fruͤher der be-
ſtaͤndige Schauplatz aͤquiſcher Kriege geweſen war . In
der drohenden Gefahr erneuerten Rom und Latium das
veraltete Buͤndniß. C. Sulpicius , einer der großen Feld-
herrn ſeines Zeitalters , faßte mit dem Heer eine feſte
Stellung . Lange ſtanden die Heere einander gegenuͤber :
die Soldaten murrten uͤber die Unthaͤtigkeit worin der
Dictator ſie in dem verſchanzten Lager hielt , welches die
Gallier zu ſtuͤrmen nicht unternahmen . Der roͤmiſche
Feldherr wollte den Feind ermuͤden und ſchwaͤchen ; aber
die Ungeduld der Soldaten brachte Gefahr daß ſich ein
unordentliches Gefecht erheben koͤnnte . Die Schlacht ,
endlich erlaubt , rechtfertigte jenes Zoͤgern : denn ſie ward ,
nachdem die Legionen ſchon gegen das Lager zuruͤckgewor-
fen waren , nur durch die Verzweiflung und durch eine
Kriegsliſt gewonnen . Troßknechte , auf den Saumthie-
ren des Lagers , die ſich im Ruͤcken der Gallier zeigten ,
ſchienen ihnen roͤmiſche Reuterey welche ſie zu umringen
drohte . Die Fliehenden warfen ſich in die Waͤlder , wohin
ſie heftig verfolgt wurden . Die Wahrheit des Siegs iſt
durch das Andenken eines Triumphs bewaͤhrt : und durch
die Weihung des erbeuteten Goldes , welches auf dem
Capitol eingemauert ward .
Acht Jahre waren verfloſſen als Latium und das roͤ-
miſche Gebiet unter M. Popillius Laͤnas drittem Conſu-
lat ( 405 ) aufs neue von den Galliern heimgeſucht wur-
den . Auch nahte ſich ihnen der Conſul mit großer Vor-
ſicht . Er waͤhlte ſein Lager auf der Hoͤhe eines ſchwer-
zugaͤnglichen Bergs , und ungeſaͤumt begannen die Tria-
rier die Verſchanzungen aufzuwerfen , waͤhrend das uͤbrige
Heer , ſie deckend , in Schlachtordnung ſtand . Die Gal-
lier liefen an gegen die Hoͤhe ; ſie wurden in die Ebene zu-
ruͤckgeworfen . Eine Wunde des Conſuls , und die friſche
Menge welche den verfolgenden Roͤmern begegnete , mach-
ten die Schlacht zweifelhaft . Die Wunde war nicht
leicht : lange nach dem Siege lag der Conſul an ihr nie-
der : doch kehrte er in das Treffen zuruͤck , und eine neue
Anſtrengung zerſprengte die dichten galliſchen Haufen .
Sie flohen in das albaniſche Gebuͤrge , und die reiche
Beute ihres Lagers belohnte den Soldaten . In das Ge-
buͤrge verfolgte der Conſul ſie nicht : noch waren die
Feinde unbezwungen und ſtreiften waͤhrend des Winters
von dort herab in Latium. L. Furius Camillus , ein ſo
vorzuͤglicher Feldherr als gefaͤhrlicher Buͤrger , hatte als
Conſul den Ruhm dieſen Krieg zu endigen . Waͤhrend die
Gallier das albaniſche Gebuͤrge behaupteten , haͤtte er es
nie wagen gekonnt einen ſolchen Feind in einer ſolchen
Stellung zwiſchen ſich und Rom zu laſſen , er haͤtte nicht
in die pomptiniſche Landſchaft hinab ziehen koͤnnen , wenn
Rom in dieſer allgemeinen Noth von dem muͤrriſchen
Stolz ſeiner Bundesgenoſſen thoͤricht verlaſſen geweſen
waͤre Livius VII. c. 25. , wenn nicht vielmehr das allgemeine Verder-
ben alle Voͤlker Latiums , auch die Volsker , an Rom
knuͤpfte , und der Conſul den Krieg in dieſe Gegenden ver-
legte , um ihre geſammten Streitkraͤfte zu benutzen .
Als ſich die Heere hier naͤherten ſoll uͤber den ſiegrei-
chen Zweykampf des Juͤnglings M. Valerius Corvus die
Schlacht begonnen haben . Auch dieſes Zweykampfs Er-
zaͤhlung iſt poetiſch : die Goͤtter ſandten dem roͤmiſchen
Krieger einen Raben zur Huͤlfe welcher , auf dem Helm
des Galliers angeklammert , mit Schnabel und Fluͤgel-
ſchlag ſeine erwaͤhlte Beute zum Kampf unfaͤhig machte .
In der Schlacht des Camillus widerſtanden die Gallier
nicht lange : der Mangel des Winters hatte ſie ſchon vor
dem Treffen uͤberwunden . Sie flohen , ſagt Livius , durch
das Volskerland an den Vulturnus , zerſtreut : von dort
zog ein Theil nach Apulien . Es iſt aber unmoͤglich daß
ein fliehendes und zerſtreutes Heer dieſen Zug durch die
ſabelliſchen Laͤnder haͤtte vollbringen koͤnnen ; und an eine
Niederlage der Gallier koͤnnen wir um ſo weniger glauben
da von keinem Triumph des Conſuls geredet wird . Poly-
bius Erzaͤhlung iſt ſchon gemeldet worden . Es war aber
auch ſchon dem glaͤnzendſten aller andern Siege gleich die
Gallier zum Ruͤckzug zu noͤthigen , denn das iſt gewiß
daß dieſer Zug der letzte war auf dem ſie Latium betraten .
Daher konnte Lucius Camillus auch in fernen Landen als
Sieger der Gallier und Retter Roms beruͤhmt ſeyn , und
ſo nannte ihn ſelbſt Ariſtoteles Plutarch Camill. p. 140. A. . Sein Feldzug faͤllt
in das dritte Jahr der 108ten Olympiade , zu welcher Zeit
der Philoſoph zu Pella lebte .
So ruhten die Roͤmer auf lange Zeit von galliſchen
Kriegen . In ihnen hatten ſie , wie Polybius bey einer ſpaͤ-
teren Zeit ſagt , ſich gewoͤhnt zerhauen zu werden , und
aus ihnen traten ſie als vollendete Kaͤmpfer in alle
italiſche .
Ich habe zuerſt von dieſen Kriegen geredet , weil alle
uͤbrige gegen ſie unbedeutend waren : jene galten das Da-
ſeyn , dieſe nur Herrſchaft Salluſt Jugurth. c. 114 . . Der Zeitordnung nach
haͤtte in dieſem Zeitraum des Kriegs gegen die Herniker
zuerſt gedacht ſeyn muͤſſen .
Sie hatten ſich ſchon nach der Einnahme der Stadt
von dem roͤmiſchen Buͤndniß getrennt Th. II. S. 297. Anm. 383. . Eine eigent-
lichere Veranlaſſung zum Krieg wird nicht erwaͤhnt : ſchon
der Dictator L. Manlius ſuchte ihn Bellum Hernicum affectans . Livius VII. c. 3. : aͤußere Bewe-
gungen ſtaͤrkten die Macht des Senats und der Patricier .
Doch ward im erſten Feldzug 393 dem plebejiſchen Conſul
L. Genucius der Befehl gegeben . Der Ausgang ſchien die
Warnung zu bewaͤhren daß der Republik vom Mißbrauch
der Auſpicien durch einen ungeheiligten Stand Ungluͤck
drohe . Das roͤmiſche Heer ward uͤberraſcht , ſein Anfuͤh-
rer fiel : ein gluͤcklicher Tod , der ihm die Demuͤthigungen
erſparte welche eine feindſelige Faction unfehlbar auf ſein
Haupt gehaͤuft haͤtte , die uͤber der Freude an der Nieder-
lage des erſten heerfuͤhrenden plebejiſchen Conſuls alles
Leid wegen der Republik vergaß Livius VII. c. 6. . Doch war der
Verluſt geringer als die Schmach der Niederlage . Der
Legat C. Sulpicius hatte das Lager behauptet , und ſchon
durch einen gluͤcklichen Ausfall den Stolz der Sieger ge-
daͤmpft , ehe Appius Claudius , als Dictator , ein neues
Heer mit dem conſulariſchen vereinigte .
Mit dieſen Kraͤften konnten die Roͤmer eine Schlacht
wagen , die noch immer nichts weniger als gewiſſen
Sieg verhieß . Die Herniker waren ihnen gleich an
Muth und Kriegszucht : ihre Anſtrengungen waren die
eines kleinen Volks welches jede Kraft die es aufbie-
ten kann aufs aͤußerſte entwickelt . In ihrer Schlacht-
ordnung ſtanden acht Cohorten , jede von vierhundert
Mann , ihre erleſenſte Jugend ; dieſe dienten mit dop-
peltem Sold und verheiſſener Befreyung von fernern
Heerdienſten , wenn dieſer groͤßte Krieg geendigt ſeyn
wuͤrde . Sie erfuͤllten , ſo weit ihre Kraͤfte hinreichten ,
den Auftrag und das Vertrauen des Vaterlands : den-
noch mußte ſich das Heer zuletzt uͤberwaͤltigt zuruͤckzie-
hen ; am folgenden Tage auch ſein Lager verlaſſen .
Den Sieg zu verfolgen wehrte den Roͤmern ihr großer
Verluſt ; der vierte Theil der Ihrigen war gefallen , und
darunter viele der erſten Juͤnglinge der Nation : denn
die Ritter hatten abſitzen muͤſſen , um den Cohorten der
Herniker auch Roms Bluͤthe entgegenzuſtellen . Aber der
naͤchſte Feldzug ( 394 ) brachte uͤber die Herniker alle
Folgen der ungluͤcklichen Schlacht : das platte Land ward
verheert , Ferentinum gewonnen : vermuthlich durch
Vertrag , denn dieſe Felſenmauern koͤnnten wohl unſerm
Geſchuͤtz trotzen .
Wahrſcheinlich im Gefuͤhl eigner Gefahr , erklaͤrten
ſich die Tiburter jetzt fuͤr die Herniker ; wenigſtens ge-
nuͤgte Verweigerung des Durchmarſches durch ihre Stadt
den Roͤmern als feindſelige Handlung . Eine Zeitlang
verſchwinden dieſe Kriege in einem groͤßeren , ſeit der
Erſcheinung der Gallier , mit denen ſich Tibur verbuͤn-
dete . Durch mehrere Feldzuͤge und Gefechte , welche als
eben ſo viele Siege genannt werden , ſollen die Herni-
ker im Jahr 397 uͤberwunden und unterjocht ſeyn Devicti subactique sunt . Livius VII. c. 15 . :
die Tiburter , nachdem zwey ihrer Staͤdte erobert wa-
ren , den uͤbrigen das naͤmliche Schickſal drohte , ſich im
Jahr 401 Roms Herrſchaft unterworfen haben Ad deditionem pugnatum — : universa gens , positis
armis , in fidem Consulis venit . Livius VII. c. 19 . .
Beydes iſt nur eine eitle Erweiterung der alten Mel-
dung daß in dieſen Jahren der Friede mit ihnen ge-
ſchloſſen ſey . Denn Tiburs Autonomie iſt in dem gro-
ßen latiniſchen Kriege eben ſo ausgemacht als die aller
uͤbrigen verbuͤndeten Staͤdte : und weit entfernt daß die
Herniker vor dem Jahr 447 Rom als Unterthanen ge-
horcht haͤtten , empfingen ſie vielmehr bis zu dieſer Zeit ,
freylich wohl nicht mehr das urſpruͤnglich ihnen gebuͤh-
rende Drittheil der Kriegsbeute — denn das waͤre jetzt
unverhaͤltnißmaͤßig geweſen — aber doch eine Entſchaͤ-
digung in Geld So ſcheint Plinius dunkler Ausdruck am richtigſten er-
klaͤrbar , H. N. XXXIV. c. 11 : Q. Marcius — qui —
capta Anagnia populum stipendio liberaverat . .
Ein achtjaͤhriger etruskiſcher Krieg gegen die Tar-
quinienſer und Falisker ( von 397 bis 404 ) endigte ohne
Vortheile durch einen vierzigjaͤhrigen Waffenſtillſtand .
Er war im Ganzen matt und nicht gluͤcklich gefuͤhrt
worden . Die Tarquinienſer unternahmen ihn ohne Bun-
desgenoſſen ; im erſten Feldzug ſchlugen ſie den roͤmi-
ſchen Conſul C. Fabius , und machten Gefangene , von
denen ſie dreyhundert und ſieben den Goͤttern opferten .
Im folgenden Jahr ( 398 ) nahmen auch die Falisker
oͤffentlich Theil am Kriege ; das roͤmiſche Heer hielt ſich
vertheidigend bey Sutrium . Darnach drangen die Etrus-
ker bis an die Salinen vor ( 399 ) , nach einer Schlacht
deren Ausgang dieſe Folgen entdecken , obgleich die roͤ-
miſchen Annalen nur eine erſte Flucht eingeſtehen , welche
gehemmt , und in einen Sieg und Eroberung des feind-
lichen Lagers verwandelt ſeyn ſoll .
Seit dem Kriege des Tolumnius hatten die Ufer
der roͤmiſchen Tiber keinen etruskiſchen Feind geſehen .
Jetzt wurden , mit dem Vejentaniſchen Gebiet , Roms
ſchoͤnſter Landſchaft , auch die alten roͤmiſchen Marken
bis an den Strohm verheert . C. Marcius Rutilus , fuͤr
dieſe Gefahr zum Dictator ernannt , hielt ſein Heer an-
faͤnglich am linken Ufer : wo ſich eine Gelegenheit dar-
bot pluͤndernde Haufen aufzufangen , ging er hinuͤber ,
und bereitete ſo die Seinigen zu groͤßeren Unternehmun-
gen , waͤhrend der Feind geſchwaͤcht ward . Als Zeit und
Umſtaͤnde erfuͤllt waren griff er die Etrusker an , er-
oberte ihr Lager , und fuͤhrte achttauſend Gefangene nach
Rom . In einem kriegeriſchen Staat , wo jede tapfre
That eines Soldaten durch Ehrenzeichen anerkannt ward ,
verweigerte der Senat fuͤr einen ſo großen Sieg den
Triumph welchen oft kleine Vortheile uͤber die oͤſtlichen
Graͤnzvoͤlker erworben hatten . Denn der ihn forderte
war Plebejer ; er hatte gegen den Willen des Senats
geſiegt:
geſiegt : aber wie das Volk ihm freywillig die verwei-
gerten Kriegskraͤfte gewaͤhrt hatte , ſo ehrte es auch ſei-
nen Mitbuͤrger mit dem Triumph . Nach einigen Feld-
zuͤgen ſuchten die Etrusker Frieden Livius VII. c. 22 . . Rom konnte
die Waffen niederlegen , denn der Frevel an den Gefan-
genen war durch die Hinrichtung von dreyhundert acht
und funfzig Tarquinienſern geraͤcht worden .
Vier Jahrhunderte ſind in den roͤmiſchen Annalen
verfloſſen , ohne daß eine einzige Fehde mit Caͤre vor-
fiel : obwohl dieſe Stadt an der Kuͤſte unmittelbar an
das roͤmiſche Gebiet gegraͤnzt haben muß . Dieſes Ver-
haͤltniß , ſo ganz entgegengeſetzt dem worin Rom zu al-
len uͤbrigen Nachbarſtaaten lebte , und ohne ganz eigen-
thuͤmliche Veranlaſſungen widernatuͤrlich fuͤr die raſtloſe
Kriegernation , iſt ſchon fruͤher , unterſtuͤtzt von andern
eigenthuͤmlichen Umſtaͤnden , als Begruͤndung einer Hypo-
theſe , daß beyde Staͤdte urſpruͤnglich durch das innigſte
Band verknuͤpft waren , erwogen worden Th. I. Zuſatz zu S. 182 . .
Die Caͤriter hatten die alte Freundſchaft bewaͤhrt
als zur Zeit des galliſchen Ungluͤcks Roms Prieſter und
Heiligthuͤmer bey ihnen Aufnahme und Schutz fanden .
Wenige Jahre nachher ( 369 ) traf ſie ein unvermuthetes
Ungluͤck , welches den Reichthum und die Schwaͤche ih-
rer Stadt andeutet . Dionyſius von Syrakuſaͤ uͤberfiel
und eroberte die Hafenſtadt Pyrgi , ſchlug die heran-
eilenden Caͤriter in die Flucht , pluͤnderte den Tempel der
Matuta , und kehrte mit einer Beute von fuͤnfhundert
Zweiter Theil. G g
Talenten zuruͤck Diodor XV. c. 14. . Von Griechen zugefuͤgt ein zwie-
fach hartes Unrecht : denn Agylla allein war rein von
Seeraͤuberey , und ehrte von alter Zeit her die griechi-
ſchen Goͤtter durch Geſchenke und Theorieen ; eine Ver-
bindung woher am wahrſcheinlichſten auch in die roͤmi-
ſche Religion gekommen iſt was ſchon in alten Zeiten
ihr mit der griechiſchen gemeinſchaftlich war .
Caͤre ward beſchuldigt heimlichen Antheil an den
Streifereyen der Tarquinienſer genommen zu haben .
Rom ruͤſtete ſich zur Rache ( 402 ) : die Bitten der Be-
drohten entwaffneten ſie , aber , nach Dio Dio , fragm. 142 . , nicht durch
edelmuͤthige Erinnerung an die alte Freundſchaft im
Ungluͤck Livius VII. c. 20 . , ſondern um den harten Preis der Haͤlfte
ihrer Landſchaft , vielleicht ihres Gemeinlands , ward
ihnen ein hundertjaͤhriger Waffenſtillſtand gewaͤhrt .
Die Annalen des Zeitraums wo dieſer erloſch , ſind
verlohren : aber im Jahr 547 ward Caͤre noch unter den
etruskiſchen Voͤlkern genannt : es kann alſo damals noch
nicht zu einer Tribus gerechnet ſeyn Derſelbe XXVIII. c. 45 . . Aber dasje-
nige Buͤrgerrecht , welches nach ihnen benannt war ,
muͤſſen ſie ſchon vor der ungluͤcklichen Stoͤrung ihres
Friedens mit Rom gehabt haben , weil die Tusculaner
ſchon fruͤher es empfangen hatten Derſelbe VI. c. 26. VIII. c. 14. vergl. mit Feſtus s. v.
Municipes . . War jenes Recht
Iſopolitie und gegenſeitig , aus einem urſpruͤnglichen
Verhaͤltniß entſtanden , ſo war auch ein Krieg zwiſchen
beyden Staaten nicht fuͤr Rebellion zu achten .
Raͤthſelhaft iſt im Jahr 406 die Erſcheinung einer
griechiſchen Flotte , welche den ganzen Sommer an der la-
tiniſchen Kuͤſte verweilte , und haͤufige pluͤndernde Landun-
gen unternahm . Die Roͤmer haben hier zum erſtenmal ge-
gen Griechen gefochten . Wer und woher dieſe Fremden
waren , fand ſich in den Annalen nicht . Livius Vermuthun-
gen haben kein Gewicht bey einer Sache uͤber die ſich nur
aus der uͤbrigen gleichzeitigen Geſchichte urtheilen laͤßt .
Hier raͤth er auf ſiciliſche Tyrannen : ganz gewiß irrig ,
denn in dieſen Jahren waren die Sikelioten in ſich zerriſ-
ſen , kraftlos , ohne Flotten , voͤllig unfaͤhig eine Unterneh-
mung uͤber die See zu wagen welche Karthago beherrſchte .
In demſelben Jahr worin Latium dieſen Raubzug er-
fuhr , ( Ol. 108 , 3. ) ſchiffte ſich Phalaͤkus nach Italien
ein mit den achttauſend geworbenen Soldaten fuͤr die er
in Phokis auf freyen Abzug capitulirt hatte Diodor XVI. c. 62 . . Zwar
er erreichte ſein Ziel nicht : Meuterey zwang ihn nach
Kreta zu gehen . Es war aber damals in Altgriechenland
eine allgemeine Zeit unruhiger Bewegung : allenthalben
liefen Schaaren den Werbern zu : der Krieg naͤhrte den
Krieg , die Maͤnner aus zerſtoͤrten Staͤdten und veroͤde-
ten Landſchaften wurden Soldaten und entſchaͤdigten ſich
fuͤr ihr Elend , indem ſie es auf andere Gegenden brachten .
Oft trieb Ungluͤck oder Raſtloſigkeit die edelſten Juͤng-
linge unter dieſe wilden Rotten , oder ſie waren genoͤ-
thigt ſie zu verſammeln : alſo that es Archidamus von
Sparta . Oft waren ſie unbeſchaͤftigt , und damit ſie
ſich nicht verliefen mußten die Anfuͤhrer eine Unterneh-
G g 2
mung wagen deren Beute bezahlte ; eben damals rief der
Krieg zwiſchen Tarent und den Lucanern die griechiſchen
Banden nach Italien . Dorthin ging Archidamus , wo
er ruͤhmlich fuͤr Griechenland fiel , obwohl an der Spitze
eines Raͤuberhaufens : dorthin wollte Phalaͤkus : und eine
ſolche eingeſchiffte Bande muß es geweſen ſeyn die , bis
ſie einen regelmaͤßigen Dienſt fand , ſich durch Raub
auf der Kuͤſte von Latium naͤhrte .
Nicht ohne Zuſammenhang mit dieſem Vorfall moͤchte
es ſeyn daß im folgenden Jahr der Tractat mit Karthago
erneuert ward Livius VII. c. 27 . . Polybius ſcheint dieſen nicht gekannt
zu haben , und der wovon er als dem zweyten redet der
Vertrag von 447 zu ſeyn . Rom und Latium konnten An-
griffen von der See auf ihre Kuͤſten nicht begegnen , aber
der Karthaginienſer Kriegsſchiffe herrſchten damals im
Meer um Lucanien Ol. 108. 4. 408. Diodor XVI. c. 66. Schon fruͤher
ſtellten ſie das verwuͤſtete Hipponium her. Derſ. XV. c. 24 . , Sardinien und ein Theil von
Corſica , der etruskiſchen und latiniſchen Kuͤſte gegenuͤber
und nahe , waren in ihrem Beſitz , und die Sicherheit je-
ner Gewaͤſſer war ihre eigene Angelegenheit .
Rom im Bunde mit Latium .
Wie Roms Fall im erſten galliſchen Kriege den alten
Bund mit den Latinern zerriſſen , und neue Verbuͤndun-
gen unter den Staaten in Latium veranlaßt hatte , ſo
ſtiftete gemeinſame Gefahr , als die Gallier aufs neue
jene Laͤnder uͤberzogen , eine allgemeine Vereinigung zwi-
ſchen Rom , den alten Latinern und ihren zugewandten
Staͤdten Polybius II. c. 18. Ῥωμαῖοι — τὰ κατὰ τȣ `ς Λατίνȣς αὖ-
ϑις πράγματα συνεςήσαντσ ; iſt hierauf zu beziehen . , wie ſchon damals der Trieb eines neuen
ſich vorbereitenden Zeitalters allenthalben die uralten
kleinen Staaten in groͤßere Koͤrper zuſammenzog .
Im Jahr 397 ward das Buͤndniß mit den Latinern
erneuert welches ſeit vielen Jahren nicht beobachtet war ,
und ſie ſtellten ein großes Heer zur Abwehrung des galli-
ſchen Kriegs Livius VII. c. 12 . . Offenbar falſch iſt der Zuſatz des Ge-
ſchichtſchreibers : die Latiner haͤtten den erbetenen Frieden
erlangt , — ein Irrthum aus dem entſtanden der in ihrer
Abſonderung eine Empoͤrung und Kriege zu ſehen waͤhnte .
Wie aus Livius eigener Erzaͤhlung hervorgeht daß Tuscu-
lum und andere naͤhere Orte nie aufgehoͤrt hatten Rom
unmittelbar bundesverwandt zu ſeyn , ſo war bey ihm
ſelbſt ſchon waͤhrend zehn Jahren keine Erwaͤhnung eines
Kriegs auch nur mit Velitraͤ oder Praͤneſte , welche er
ſonſt zu latiniſchen vergroͤßerte .
Die angefuͤhrte Nachricht wuͤrde uns weder berechti-
gen noch veranlaſſen hierin mehr zu ſehen als eine Erneue-
rung der Verhaͤltniſſe wie ſie bis zu der galliſchen Erobe-
rung mit dem Theil latiniſcher Staͤdte beſtanden welcher
ſich frey erhalten , oder nicht an fremde Vereinigungen
angeſchloſſen hatte : aber der Bund erſcheint in den letzten
Jahren ſeiner Dauer in einer Groͤße ganz neuer Art .
Nicht nur alle urſpruͤnglich latiniſche Staͤdte ſind darin
vereinigt , und mit ihnen die Colonieen ihres Nahmens ,
ſondern auch die Volsker Livius VIII. c. 5. Florentissimum — Latium — nunc
etiam Volscis adjunctis — ; colonias quoque vestras La-
tinum Romano prætulisse imperium . . Blicken wir auf die aͤl-
tere Geſchichte ſeit dem großen volskiſchen Krieg , ſo
zeigen ſich in Latium mehrere Verbuͤndungen gegen ein-
ander mit nie beſaͤnftigter Feindſeligkeit kaͤmpfend : ſeit
der Eroberung Roms Aufloͤſung , und neue Verhaͤltniſſe ,
aber noch immer keine Einheit : dieſe kann erſt mit der er-
neuerten Gefahr der Voͤlkerwanderung begonnen haben ,
ſo wie ſie wenige Jahre nachher beſtimmt ausgebildet
erſcheint .
Denn nun werden die Aurunker ein Volk des lati-
niſchen Nahmens genannt Livius VII. c. 28 . : und eben ſo Antium Derſelbe VIII. c. 13. 14 . .
Nur durch dieſe Foͤderation kann die Zahl der an den
latiniſchen Ferien theilnehmenden Staͤdte auf ſieben und
vierzig , mit Inbegriff der Volsker von Antium und
Ecetraͤ Dionyſius IV. c. 49 . , erhoben ſeyn . So lange dieſe der Latiner
Erbfeinde waren iſt ihre Theilnahme undenkbar ; eine hi-
ſtoriſche Notiz aus der Zeit des letzten Koͤnigs uͤber ihre
voruͤbergehende Vereinigung hat wenig Anſpruͤche auf
Glaublichkeit , und die Zahl dreyßig eigentlich latiniſcher
Orte gehoͤrt zu den ſehr wohl bewaͤhrten Nachrichten .
Eine Landesgemeinde des erweiterten Bundes der Voͤlker-
ſchaften welche jetzt latiniſch genannt wurden , war im
Jahr 407 im Hain der Ferentina verſammelt Livius VII. c. 25 . , da
wo ſchon vor Alters die Landtagsſtaͤtte der dreyßig Orte
geweſen war . Sie mag roͤmiſche Anmaaßungen zuruͤck-
gewieſen haben : aber daß ſie Huͤlfstruppen abgeſchla-
gen haͤtte , iſt , nach Polybius , ſo gewiß falſch als es
unſinnig geweſen ſeyn wuͤrde , da der Feind , gegen den
augenſcheinlich alles zehn Jahre fruͤher zur Vertheidi-
gung zuſammengetreten war , ſich mitten im Lande feſt-
geſetzt hatte .
Vor Alters erwaͤhlten ſich die latiniſchen Voͤlker
einen Dictator zum Bundeshaupt Th. I. S. 445 . : zwey Praͤtoren ,
fuͤr ein Jahr ernannt , waren die oberſte Magiſtratur
des erweiterten Bundes Livius VIII. c. 3. .
Vereinigt mit den Latinern , und unmittelbar der
Vergroͤßerung ihrer Macht foͤrderlich , eroberten die Roͤ-
mer 398 Privernum , und 410 Sora am Liris , beydes
volskiſche Staͤdte , auch , im letzten Jahr , die Stadt
der Aurunker , wohl nicht Sueſſa ſondern einen Ort
unbekannter Lage .
Wenn aber auch die volskiſchen Staͤdte dem Bunde
beytraten , ſo war doch die Verknuͤpfung aller Foͤdera-
tivſtaaten des Alterthums ſo loſe , daß Kriege zwiſchen
verbuͤndeten Staͤdten nur ſeltener , aber ſo wenig ganz
ausgeſchloſſen waren als unter den ſich voͤllig fremden .
So konnte Antium ſchon im Jahr 407 , als latiniſche
Stadt , mit Rom verbuͤndet ſeyn , obwohl die Herſtellung
des vor acht und zwanzig Jahren zerſtoͤrten Satricums
durch eine antiatiſche Colonie einen Krieg zwiſchen beyden
Staͤdten erregte , worin der hergeſtellte Ort , 409 , ero-
bert und aufs neue verwuͤſtet ward .
Forſchen wir nun bey Livius nach dem Verhaͤltniß
zwiſchen Rom und Latium , ſo gilt es ihm fuͤr ausge-
macht daß dieſes nach der Schlacht am Regillus durch
den Friedensſchluß in die Abhaͤngigkeit zuruͤckfiel , deren
Joch es abzuſchuͤtteln geſtrebt hatte : daß dieſe in ihrer
hoͤchſten Strenge ſogar die Selbſtvertheidigung gegen
feindliche Einfaͤlle unterſagte , und die Bedraͤngten har-
ren hieß bis Nom die Waffen zu ihrer Vertheidigung
nehme : daß die Latiner nach der Einnahme der Stadt
ſich empoͤrt haͤtten : daß endlich nach dreyßig Jahren
ihren Bitten der Friede auf die Bedingungen des alten
Vertrags gewaͤhrt , alſo die gaͤnzliche Abhaͤngigkeit wie-
derhergeſtellt waͤre . So redet er denn auch von dem
großen latiniſchen Krieg als von einer frechen und hoͤchſt
ſtrafwuͤrdigen Nebellion .
Es war den Roͤmern eine ehrfuͤrchtige Sorgfalt fuͤr
der Vorfahren guten Ruf eigen , die ihre Ungerechtig-
keiten aͤngſtlich verſchleyerte , und allen ihren Handlun-
gen die Geſtalt einer guten Sache und reines Gewiſ-
ſens zu geben trachtete . Neben dieſer aus loͤblichem
Trieb hervorgehenden Unredlichkeit bewegte ſie eine ganz
thoͤrichte Eitelkeit zu verſtecken daß es eine Zeit gegeben
hatte in der die Republik klein und ſchwach geweſen
war : dieſe Thorheit nahm zu je mehr ſie ihrem
Alterthum fremd wurden , ihre aͤlteſten Annaliſten ſchei-
nen ganz unbefangen geweſen zu ſeyn . Beyde Urſachen
der Verfaͤlſchung haben gewuͤrkt ein ganz unwahres
Bild von dem Verhaͤltniß zwiſchen Rom und Latium
zu erkuͤnſteln .
Wir kennen einen Theil vom Inhalt des Tractats
zwiſchen beyden Voͤlkern nach der Schlacht am Regil-
lus . Rom hat ſich dadurch nicht einmal einen Schein
von Hegemonie erhalten : beyder Staaten gegenſeitige
Gleichheit und voͤllige Unabhaͤngigkeit iſt ganz unzwey-
deutig .
Ein ausdruͤckliches Zeugniß , vom hoͤchſten Gewicht
durch ſeinen Urheber , habe ich ſchon mehr als einmal
aus der Vergeſſenheit aufgerufen . Wir wiſſen aus einer
Schrift von L. Cincius , uͤber die conſulariſche Macht Feſtus , Prætor ad portam . ,
daß die hoͤchſte Gewalt fuͤr die gemeinſchaftlichen Ange-
legenheiten bey der Landesgemeinde in ihren Verſamm-
lungen am Quell der Ferentina war bis zum Conſulat des
T. Manlius und P. Decius . Im Nahmen der latiniſchen
Nation wurden die Auſpicien auf dem Capitol beobachtet
in dem Jahr wo Rom der Oberbefehl des Heers zu-
kam : ein Ausdruck welcher die Folgerung veranlaßt daß
abwechſelnd , Jahr um Jahr , Rom und Latium die Feld-
herrn gaben . Der roͤmiſche Befehlshaber , durch die Au-
ſpicien beſtaͤtigt , empfing am Thor die Huldigung der
Soldaten des latiniſchen Bundes Commune Latium bey Feſtus giebt uns die richtige Ue-
berſetzung fuͤr τὸ κοινὸν τῶν Θεσσαλῶν u. ſ. f . .
Nun iſt zwar in der roͤmiſchen Geſchichte jede Spur
der latiniſchen Heerfuͤhrung ausgetilgt : redend aber zeu-
gen die latiniſchen Ferien von jenen Landtagen , wo Rom
mit gleicher Stimme gegen das geſammte Latium , ehe
man in das Feld zog , die Unternehmungen uͤberlegte
und beſchloß . Freylich ſind dieſe Ferien in der hiſtori-
ſchen Zeit nur ein Schattenbild und eine weſenloſe Foͤrm-
lichkeit : wie die Curien . Aber wenn auch jedes Zeug-
niß untergegangen waͤre , koͤnnte es doch nicht zweifel-
haft ſeyn daß auch dieſe Nationalzuſammenkuͤnfte un-
moͤglich von ihrem Urſprunge her eine leere Form und
ein Schattenbild ſeyn konnten .
So lange die Republik beſtand durfte der Conſul
erſt nach dieſer feyerlichen Verſammlung zum Heer ab-
gehen , und ſeine Feldherrnmacht antreten Livius XXI. c. 63 . . Nicht
allein das Opfer im Tempel des latiariſchen Jupiters ge-
nuͤgte , es bedurfte der latiniſchen Voͤlker Verſammlung ,
ob ſie gleich ſchon laͤngſt , theils Buͤrger , theils Untertha-
nen waren . Waͤren nun dieſe gemeinſchaftlichen Landsge-
meinden auch ganz unterbrochen geweſen ſo lange Latium
ſich von Rom getrennt hatte , ſo war ihre Herſtellung
doch eine unmittelbare Folge des erneuerten Buͤndniſſes :
aber eben ſo nothwendig war es daß Latium jetzt in einem
weit bedeutenderen Verhaͤltniß zu ſeiner Bundesſchweſter
ſtand als in jenen alten Tagen der Demuͤthigung und Zer-
truͤmmerung .
Wenn Livius ſagt : Tarquinius habe die Latiner mit
den Roͤmern in denſelben Manipeln vereinigt Derſelbe I. c. 52 . , ſo iſt
das , wie man es auch betrachten mag , ein Zeugniß von
der Sache als einer uralten Einrichtung . Er wiederhohlt
dieſelbe Nachricht in der Geſchichte des Kriegs der La-
tiums Freyheit vertilgte Derſelbe VIII. c. 6. .
Von der alten roͤmiſchen Taktik zu reden verſchiebe
ich bis zu dem Zeitpunkt wo ſie mit der griechiſchen zu-
ſammentraf , und eine Vergleichung beyder nothwendig
iſt . Nur als Erlaͤuterung wie Roͤmer und Latiner in
jener Zeit in den Manipeln vereinigt waren , welches
auch wieder die Gleichheit beyder Nationen und ihre
enge Verbindung darthut , entwickele ich hier die Ein-
theilung der Legion aus Livius Schilderung der alten
Kriegsordnung Livius VIII. c. 8. . Wenige Stellen der alten Schrift-
ſteller ſind mit einer ſo wilden Conjecturenkritik behan-
delt worden als dieſe : wenige enthalten ſolche Fuͤlle von
Belehrung : und ſie iſt ſchlechterdings nicht verſtan-
den Philologen von großer Sprachgelehrſamkeit und Bele-
ſenheit begriffen nicht daß auch im Alterthum der Zeiten
Lauf die Formen der Einrichtungen aͤnderte ; daß vielmehr
innere Evidenz darthun muß ob Jahrhunderte fruͤher oder
ſpaͤter dieſelben Eigenthuͤmlichkeiten bey einem mit demſel-
ben Nahmen benannten Gegenſtand politiſcher und milita-
riſcher Einrichtungen gedacht werden duͤrfen . Weil Poly-
bius die alte Legion , wie ſie vor Marius war , beſchrieben
hatte , ſo ſollte ſeine Beſchreibung fuͤr jede aͤltere Zeit gel-
ten , und jede Erwaͤhnung mußte ihr gewaltſam angepaßt
werden : eben als wenn man ein Bataillon des niederlaͤn-
diſchen oder dreyßigjaͤhrigen Kriegs fuͤr einerley mit dem
hielte was wir jetzt ſo nennen , und der Geſchichte Gewalt
anthun wollte um dieſes Bild hineinzutragen . . Iſt es nun auch unvermeidlich anzudeuten
daß Livius in einem einzelnen Punkt ſeine vortrefflichen
Nachrichten mißdeutete , ſo wird dies keiner Entſchul-
digung beduͤrfen , indem es einen in ſich vollkommen
zuſammenhaͤngenden , durch alle Handſchriften beſtaͤtig-
ten Text gegen die Gewaltſamkeit einer blinden Kri-
tik rettet .
Nach dieſem Bericht beſtand die Legion am Anfang
des fuͤnften Jahrhunderts aus fuͤnf verſchiedenen Ab-
theilungen , welche wir der beſtimmten Bezeichnung we-
gen , mit der Freyheit welche unſere Vorfahren ſich in
ſolchen Dingen erlaubten , Bataillons nennen koͤnnen .
Es waren die Haſtaten , die Principes , die Triarier ,
die Rorarier und die Accenſi . Die drey erſten ſind
aus der ſpaͤteren Legion bekannt genug , die Rorarier
waren leichte Infanterie , welche nachher mit dem Nah-
men Velites eine vollkommnere Einrichtung und aus-
gedehnteren Gebrauch erhielt : die Accenſi eigentlich
ein Depotbataillon , welches aber der Legion folgte ,
und vielleicht als leichte Truppe diente . Hieruͤber waͤre Li-
vius , obwohl von Andern abweichend , wohl nicht ent-
ſchieden irrig : eine arge Verwirrung aber hat er in den
Elementen gemacht aus denen die Zahl der drey letzten
Bataillone , und alſo auch der geſammten Legion her-
vorgehen ſoll , und fuͤr dieſe verdient er großen Tadel .
Denn er muͤßte ſie bemerkt haben , und leicht haͤtte er
ſie dann berichtigen koͤnnen , wenn er nur die Zahlen aus-
gerechnet haͤtte ; wie es aber augenſcheinlich iſt daß er
das gar nicht verſucht hat , ſo muß dieſes Beyſpiel zur
Rechtfertigung des Kritikers dienen , welcher ihn als
Zeugen uͤber die veralteten Formen verwirft wo er nicht
Aeltere kopirt .
Jedes der beyden erſten Bataillone zaͤhlte funfzehn
Manipeln , jedes von ſechszig Gemeinen , und zwey Cen-
turionen Der Vexillarius gehoͤrt unter die ſechszig Gemeinen ,
nicht wie die Hauptleute außer ihrer Zahl . , alſo jedes neunhundert Gemeine und drey-
ßig Centurionen . Die drey letzten , als hinter den Fah-
nen in Reſerve aufgeſtellt , waren , nach dem Schriftſtel-
ler den Livius vor Augen hatte , zuſammen nur in funf-
zehn Ordines eingetheilt : deren jeder drey Vexilla , eines
von jedem Bataillon hatte : folglich alſo dreyfach ſo
ſtark war als ein Manipulus der vorderen Treffen ,
naͤmlich hundert ſechs und achtzig Mann , unter denen
ſechs Centurionen zu verſtehen ſind Ich verweiſe auf die ſchon angefuͤhrte Stelle , welche hier
einzuruͤcken zu weitlaͤuftig iſt .
Lipſius ſind fuͤnf und vierzig Manipeln oder Ordines ein
vertilgungswerthes Aergerniß , weil die polybianiſche Le-
gion ihrer nur dreyßig zaͤhlte ; alſo muß anſtatt quindecim
zweymal decem geſchrieben werden , und anſtatt triginta ,
viginti . So verfaͤhrt er durchgehends , und ruft dabey im
hoͤchſten Vergnuͤgen : Uro et seco ! Ueber eine ſolche chir-
urgiſche Kritik iſt nun jetzt der Stab gebrochen . Gronovius ,
der ſich auch hier von dem Feld verirrt auf dem allein er
nutzte und glaͤnzte , ſtimmt Lipſius in allen Dingen bey .
Den argen Rechnungsfehler hat der letzte uͤbrigens auch
bemerkt und geruͤgt . . Hier verwirrt
ſich Livius : denn er nimmt fuͤr die Staͤrke des Vexil-
lum was Staͤrke des Ordo war , und macht jenen den-
noch zum dritten , vielleicht zum neunten Theil des Ordo ,
woraus fuͤr die drey Bataillone anſtatt 2700 Gemeine ,
eine Zahl von 8100 , oder gar von 24300 entſteht , waͤh-
rend er ſelbſt die Zahl der Legion doch nur auf 5000
angiebt . Sein Irrthum iſt aus bloßer Fluͤchtigkeit ent-
ſtanden , und , einmal bemerkt , kann er dem reinen Be-
griff der gar nicht verwickelten Sache nicht weiter im
Wege ſtehen .
Die naͤchſte Eintheilung der Bataillone ſind die Ma-
nipeln , jeder von ſechszig Mann mit zwey Centurionen ,
alſo aus zwey Centurien beſtehend , jede von dreyßig
Mann . Folglich enthielten die beyden erſten Linienba-
taillons ſechszig Centurien , die Reſerve , die Triarier ,
dreyßig : dieſe letzten waren Veterane . Erinnert man ſich
nun der ſervianiſchen Centurieneintheilung , ſo zeigt dieſe
in den drey erſten Klaſſen , welche allein die Linienin-
fanterie bildeten , ſechszig Centurien der Juͤngeren , und
ſechszig der Alten , und wir finden hier daß von jeder
der erſten in einer Legion dreyßig Mann dienten , von
den Centurien der Alten aber immer die Haͤlfte frey vom
Kriegsdienſt war , wie denn auch dieſe ungleich ſchwaͤ-
cher an Zahl geweſen ſeyn muͤſſen .
Fuͤr die vierte und fuͤnfte Klaſſe , funfzig Centu-
rien , bleiben die Rorarier , dreyßig Centurien , und ,
nach Livius , auch die Accenſi von gleicher Staͤrke .
Sieht man nun jene als einen nothwendigen Theil der
Legion an , dieſe aber fuͤr Ueberzaͤhlige , oder fuͤr ein
Depot aus allen Klaſſen , ſo haͤtte von fuͤnf Centurien der
Aelteren der letzten Klaſſen nur je eine im Felde gedient :
wurden beyde Bataillone aus ihnen gefuͤllt — und die
Accenſi konnten ausſchließlich aus ihnen beſtehen , faſt
unbewaffnet bis ſie , fuͤr die Dauer des Feldzugs , in die
Nummer eines Gefallenen oder Verwundeten eintraten
und ſeine Waffen bekamen — ſo waͤre auf die weit groͤ-
ßere Anzahl Waffenfaͤhiger Ruͤckſicht genommen welche
dieſe nachſtehenden Klaſſen enthalten mußten , und ihre
Juͤngeren haͤtten fuͤr jede Centurie womit ſie ſtimmten
vielleicht zwey ins Feld geſandt Dies iſt mir aus den im erſten Theil S. 286. entwickel-
ten Gruͤnden wahrſcheinlich . Zu den Accenſi koͤnnen aber
auch Proletarier und andere gefuͤgt ſeyn . .
Wir ſehen alſo hier noch die Centurienordnung des
Servius Als ich uͤber ihren Urſprung und anfaͤngliches Weſen
ſchrieb , hatte ich ſie in dieſer Geſtalt noch nicht wieder ent-
deckt : daher ſich vieles in jener Darſtellung abaͤndert . An
Centurien von dreyßig Mann dachte ich nicht , und wer
haͤtte es wagen duͤrfen ſie hypothetiſch aufzuſtellen ? , und ſo lange ſie beſtand hat auch gewiß
ſeine Verfaſſung der Centurien ſich erhalten : ſie findet ſich
nicht mehr ſeitdem die ſpaͤtere Legion eingerichtet war .
Freylich , wie es Livius ſagt , der Phalanx iſt aufgeloͤßt :
aber die beweglich gemachten Grundtheile waren ſchon
fruͤher vorhanden , die Umſchaffung beginnt erſt mit der
Legion die Polybius erklaͤrt .
Jede Centurie des Servius hatte einen Centurio Feſtus ni quis scivit . ,
ſo wie jede Tribus einen Tribun : und unter ihm ohne
Zweifel zog ihr Contingent in den Krieg , ſo lange die ganze
Heeresmacht in einer Legion beſtand . Wenn mehrere
Legionen bewaffnet wurden , ſind nothwendig auch eben
ſo viele Centurionen ernannt worden .
Auch die ſpaͤtere Legion ward nach den Tribus con-
ſcribirt . Hier nun deutet die Zahl dreyßig unverkennbar
auf die urſpruͤnglichen plebejiſchen Tribus , ſo daß fuͤr
jede Centurie ein ihr angehoͤriger Buͤrger aus jeder
ausgehoben ward . Als ein Theil der Regionen verlohren
war , als ihre Zahl allmaͤhlich ergaͤnzt ward , iſt die Form
noch geblieben , aber die Anwendung nothwendig abgeaͤn-
dert worden , bis man in der Form der ſpaͤteren Legion
zu einem deutlich regelmaͤßigen Verfahren zuruͤckkehrte ,
wie es die veraͤnderten Umſtaͤnde empfahlen .
Wenn nun in denſelben Legionen und in denſelben
Manipeln Roͤmer und Latiner verbunden waren , ſo laͤßt
ſich dies nur ſo verſtehen daß eine roͤmiſche und eine lati-
niſche Centurie zu einem Manipel vereinigt waren , und
dieſe Vereinigung muß eben die Entſtehung dieſer Ord-
nungen veranlaßt haben . Einer der beyden Centurionen
fuͤhrte den Befehl uͤber das Ganze Ordinem ducobat : Livius VII. c. 41 . : und daß derſelbe
Roͤmer dieſes Jahr um Jahr that L. Salonius : Livius a. a. O . , deutet an wie die-
ſer Vorrang bey den Hauptleuten beyder Nationen jaͤhr-
lich abwechſelte . So ernannten auch die Latiner Tribunen
fuͤr die Legionen Derſelbe VIII. c. 6. , von denen jeder eine Cohorte von
ſechshundert Mann , aus allen vier Abtheilungen , fuͤhrte :
da die Accenſi ſchon ihrem Nahmen nach im ſtreng-
ſten Sinn wohl nicht zur Legion gerechnet wurden , —
welche ohne ſie eine Zahl bildet die aus den bey allen
roͤmiſchen
roͤmiſchen Einrichtungen wiederkehrenden Grundzahlen
12 , 30 und 10 entſteht , naͤmlich 3600 Legionen von 4200 Mann ( Livius VII. c. 25. ) oder von
5000 ( derſelbe VIII. c. 8. ) ſind im Widerſpruch mit dieſer
Heeresordnung , alſo im fuͤnften Jahrhundert auch unmoͤg-
lich . Es iſt bezweifelt worden daß die Ritter einer Legion ,
der aͤlteren Einrichtung nach , 300 geweſen waͤren ( Schweig-
haͤuſer zu Polybius VI. c. 20. ) ; dieſe Zahl folgt aber un-
mittelbar aus der aͤlteſten Nationaleintheilung . .
Auch fuͤr Latium , das Land der dreyßig Staͤdte , ent-
ſpringt die Bildung der Centurien von dreyßig Mann ,
einem aus jeder Stadt , aus ſeiner urſpruͤnglichen Verfaſ-
ſung ; auch hier blieb die alte Form erhalten als ſie durch
die Veraͤnderungen der Zeit uneigentlich und unbequem
geworden war : da ſich der Bund auf ſieben und vierzig
Staͤdte erweitert hatte , wie zu der Zeit ſeiner groͤßten
Verengung . Aber was ſo dieſelbe Form traͤgt muß
gleichartig ſeyn , und ſo deuten die Centurien auf Klaſſen ,
und auf die Verfaſſung des Servius als eine allgemeine
latiniſche Conſtitution .
Es zeigte ſich bald daß Latiums neugewonnene Groͤße
die roͤmiſche Herrſchaft zu gruͤnden diente , obwohl da-
mals eine Gleichheit beſtand , welche gemeinſamen Ge-
nuß der zuſammen errungenen Vortheile verhieß . Rom
hatte den Herrſchergeiſt , und Rom hatte ſich durch ſeine
inneren Bewegungen und ihre Frucht , die Verfaſſung der
Freyheit , verjuͤngt . Es ſtand einer Foͤderation mit dem
ganzen Vortheil der Einheit gegenuͤber . Gegen das Aus-
land erhob ſich die noch ungeſtoͤrt verbundene Kraft bey-
Zweiter Theil. H h
der Staaten : den kleinlichen Unternehmungen der aͤlteren
Zeit waren ſie entwachſen : aber ein anderes Volk wuͤrde
ihnen nahe Graͤnzen geſetzt haben , wenn nicht deſſen Er-
oberungsluſt Staͤdte voll Reichthum und Huͤlfsquellen
aber ohne Kriegsſinn zur Vereinigung mit dem neu em-
porwachſenden Staat getrieben haͤtte , und wenn die
Bundesverfaſſung in Latium nicht bald der Einheit in
Roms Herrſchaft gewichen waͤre .
Der erſte ſamnitiſche Krieg .
Die Samniter waren damals in der Fuͤlle ihrer
Macht : an Volksmenge und Ausdehnung des Gebiets
Rom und dem ganzen latiniſchen Bunde weit uͤberlegen .
Von dem untern Meer , wo ſie Kampanien von Lucanien
trennten , wohnten ihre Voͤlkerſchaften bis an das obere :
gegen den Liris , in dem Gebuͤrg Lucaniens , und in die
Flaͤche Apuliens hinab , umfaßten ihre Graͤnzen weit mehr
als den Raum welcher auf den Landcharten den Nahmen
Samnium trug .
Aus ihrer Mitte waren zwey Voͤlker ausgegangen
welche jetzt dem Mutterlande fremd waren , die Kampaner
und die Lucaner ; von den Voͤlkern des eigentlichen Sam-
nium hatten ſich die Frentaner abgeſondert . Die uͤbrigen
betrachteten ſich allerdings noch immer als ein Volk , meh-
rere von ihnen waren auch nicht ohne Bundesobrigkeit ,
doch ſcheint es daß dieſe nie alle Staͤdte und Voͤlker ver-
einigte . Neben einander faßte Italien Rom und Sam-
nium nicht . Haͤtten die Samniter ſich und den Staat
den ſie beſiegen oder dem ſie unterliegen mußten , nicht
nach der Volkszahl , dem Muth und der Kriegsluſt allein
gemeſſen , ſondern auch nach der inneren Form welche
die Kraͤfte alle beleben und anwenden ſollte , haͤtten ſie ,
wie die Italiker des ſiebenten Jahrhunderts ihre Souve-
rainetaͤt in einer Hauptſtadt zuſammengezogen , als die
einzige vollſtaͤndige Art feſter Vereinigung eines Volks
durch einen Mittelpunkt deren die Voͤlker Italiens faͤhig
waren , ſo gehoͤrte die Oberherrſchaft Italiens ihrer Na-
tion . Davon zeugt die verfaͤlſchte und unredlich verklei-
nernde Geſchichte ihrer roͤmiſchen Kriege , ihrer felſenfe-
ſten Ausdauer , ihrer Leiden , und ihres Untergangs . Es
laͤßt ſich nicht verkennen daß ſie und alle groͤßere Voͤlker
Italiens durch die Thorheit fielen , um Sieg und Erhal-
tung nur mit den Mitteln und Einrichtungen zu ringen
welche , noch unverſehrt und unerſchoͤpft , im erſten
Kampf den Sieg verſagten , waͤhrend die Roͤmer , unablaͤſ-
ſig den Zwecken nachdenkend , und ihnen angemeſſen ruͤ-
ſtend , ſich unter den feindlichen Siegen wie der kraͤftige
Juͤngling unter einem harten Lehrer bildeten .
Seit dem Jahr 310 war Kapua ſamnitiſch : aber die
Trennung welche ſogar zwiſchen den Gebuͤrgsvoͤlkern
herrſchte , aͤußerte ſich noch ungleich ſtaͤrker zwiſchen ihnen
und ihren Stammgenoſſen die im Reichthum der uͤppig-
ſten Stadt Italiens ihren alten Sitten fremd geworden
waren . Schon nach einem Jahrhundert war zwiſchen
den glaͤnzenden Staͤdtern , und den Hirten des Gebuͤrgs
Verachtung und Haß eingewurzelt , ſo bitter wie einſt
zwiſchen den verweichlichten Etruskern von Vulturnum
und den alten Sabellern , als dieſe von den Bergen her-
H h 2
abſtiegen , um ſich den Beſitz des reichſten Kleinods zu er-
obern welches Italien in ſeinem ganzen Umfang enthaͤlt .
Auch war die Entartung der kampaniſchen Samniter da-
durch befoͤrdert daß ſie nur als herrſchendes Volk unter
einer zahlreichen Nation lebten , den Nachkommen der
alten Osker , und den uͤbrig gebliebenen Etruskern . Un-
vermeidlich mußte ſo im Verlauf dreyer Menſchenalter
der alte ſamnitiſche Charakter entſtellt , und die Buͤr-
gerſchaft ſehr gemiſcht werden .
Kapua , welches neben Rom und Karthago genannt
wird , welches von der Oberherrſchaft Italiens traͤumen
konnte , hat dem damaligen Rom ſicher weder an Groͤße
noch an Volksmenge nachgeſtanden . Aber Volksmenge
in den Ringmauern einer Stadt gab nicht das Maaß
kriegeriſcher Macht , nicht einmal die Zahl der Freyen ,
nur die der Buͤrger : und dieſe iſt zu Kapua im Ver-
haͤltniß gegen Rom nothwendig klein geweſen , weil die
ſouveraine Nation nur eine ſeit einem Jahrhundert be-
ſtehende Colonie war So erklaͤrt es ſich daß Kapua , ungeachtet die kampani-
ſchen Buͤrger weggefuͤhrt wurden , gar nicht veroͤdet war . . Die der Sklaven mußte
groß in der Stadt ſeyn in der die Gladiatoren ent-
ſtanden : und ſelbſt die hohe Bluͤthe der Kuͤnſte , welche
in den alten Republiken , wenn auch von Freyen gelei-
tet , doch von Sklaven ausgeuͤbt wurden , laͤßt auf ihr
Uebergewicht in jeder Fabrikſtadt ſchließen . Vielleicht be-
ſchaͤftigte der Anbau des reichſten Gefildes der Welt
auch viele Freye ; aber in einer Stadt , die im hoͤchſten
Luxus und der wildeſten Ueppigkeit ſchwelgte , kann der
Ackerbau nicht das ehrende Geſchaͤft jedes Buͤrgers von
jedem Stande geweſen ſeyn , wie zu Rom . Der Schweiß
an der Beſtellung des duͤrftigen Bodens der roͤmiſchen
Feldmark bildete Maͤnner , und jene freyen Landleute die
keine Verſuchung und keine Leidenſchaft vom Wege der
ſtrengen Pflicht ablockte : Kampaniens fette Fluren ge-
waͤhrten unerſchoͤpflichen Reichthum , drey Erndten folg-
ten ſich im Jahr , dem Getraide war an Vortrefflichkeit
wie an Fuͤlle der Frucht kein andres zu vergleichen , Wein
und Oel uͤbertrafen alles was Italien hervorbrachte : aber
die Beſitzer dieſes ſeligen Landes entarteten in ihm . Die
Schilderung der ſcheußlichen Unſittlichkeit Kapuas iſt keine
Erdichtung des roͤmiſchen Haſſes ; die kalte Grauſamkeit
der Kampaner beweißt , bey einem ſo gebildeten Volk ,
jene unmaͤßige Wolluſt deren ſie angeklagt werden ; und
die Entſchloſſenheit ihrer Vertheidigung als keine Rettung
außer in der Ausdauer , ſie aber gar nicht hoffnungslos
war , waͤhrend niemand ſich uͤber die Folgen einer Capitu-
lation taͤuſchen konnte , dieſe waͤſcht den Schimpf der Feig-
heit nicht ab , welchen Roms Geſchichtſchreiber freylich
uͤber viele Voͤlker oft ſehr unverdient ausſprechen . Eine
Stadt deren Hauptgaſſe , — die Seplaſia — , von Laͤ-
den eingefaßt war , in denen Salben und Wohlgeruͤche feil
ſtanden ; eine Stadt in der Ueppigkeit fortlebte als uͤber
ihre Angeſehenen das ſchrecklichſte Gericht ergangen ,
und nur noch der niedrigſte Poͤbel in ihr zuruͤckgelaſſen
war : in der ein ſolcher Senat und ein ſolches Volk
mit einander haderten wie ſie Pacuvius Calavius am
Anfang des hannibaliſchen Kriegs gegen einander miß-
brauchte : in der das Volk ſo ſchamlos aller Achtung ge-
gen die Regierung vergaß , aus Gefuͤhlloſigkeit gegen ihre
Wuͤrde , nicht aus Unwillen uͤber ihre Entweihung durch
Unwuͤrdige : eine ſolche Stadt iſt in der Geſchichte gerich-
tet . Aber wir muͤſſen nicht verſchweigen daß die bilden-
den Kuͤnſte in Kampanien die Hoͤhe griechiſcher Vortreff-
lichkeit erlangt hatten : weder die Gemaͤhlde noch Muͤnzen
ſtehen griechiſcher Kunſt nach : die Kuͤnſtler hatten das
Idealiſche gefaßt , dem die Etrusker ſtets fremd blieben :
ſie arbeiteten groß und leicht ; die mechaniſche Ausfuͤhrung
iſt ſo vortrefflich als das gedachte Bild , welches der Kuͤnſt-
ler aus ſeiner Seele darzuſtellen ſtrebte . Der Gebrauch
der griechiſchen Sprache auf den Muͤnzen beweißt eine
ganz allgemeine Kenntniß , und die griechiſche Mytholo-
gie der Kunſtwerke laͤßt auf Vertraulichkeit mit der Poeſie
Griechenlands unfehlbar ſchließen : aber dieſe Litteratur
war nur eingeimpft , und es hat ſich auch nicht das
leiſeſte Andenken irgend eines kampaniſchen Dichters
oder Schriftſtellers in griechiſcher Sprache erhalten , ob-
gleich es gewiß daran nicht fehlte . An eigenthuͤmlicher
Litteratur hatten ſie burleske Komoͤdien , die Atellanen ,
welche gewoͤhnlich improviſirt geworden zu ſeyn ſchei-
nen , und an deren Darſtellungen , Nachahmungen oder
Ueberſetzungen , das roͤmiſche Publicum lebhaftes Wohl-
gefallen hatte .
Allerdings bedeutet der Nahme Kampaner , Buͤrger
von Kapua : aber auf die Stadt iſt er nicht eingeſchraͤnkt .
Eine Landſchaft Kampanien hatte ſchon das damalige Ita-
lien , freylich in weit engeren Graͤnzen als die zu denen
es als Region bis an den Liris erweitert ward . Kapua
war einſt kriegeriſch geweſen , und es befand ſich , nach
dem italiſchen Voͤlkerrecht , im Beſitz weitlaͤuftiger Land-
ſchaften . Außer der eigentlichen kampaniſchen Feldmark ,
den phlegraͤiſchen Feldern , gehoͤrten der Stadt , was wir
namentlich kennen , der Falerner Diſtrict , das Stellati-
ſche Feld , und die Bezirke von Vulturnum , Liternum ,
und dem altgriechiſchen Dikaͤarchia Salernum und Buxentum , welche durch den Untergang
des kampaniſchen Staats an Rom verfielen , koͤnnen zu der
Zeit von der hier geredet wird noch nicht ihr Eigenthum
geweſen ſeyn : wann ſie es wahrſcheinlich geworden ſind
wird ſpaͤter angegeben werden . . Aber außer die-
ſem eigenthuͤmlichen Beſitz Kapuas gehoͤren zu Kampanien
die Staͤdte welche , in einem Halbkreis um ihr Haupt gele-
gen , ebenfalls von Sabellern beherrſcht wurden , ehemals
griechiſch oder tuskiſch-oskiſch geweſen waren . Die ſou-
verainen Buͤrgerſchaften zu Kumaͤ , Atella , Acerraͤ , Cala-
tia , Sueſſula , waren gleiches Stamms ; ſie waren frey ,
und ſtanden zu Kapua in einem aͤhnlichen Verhaͤltniß wie
die latiniſchen Staͤdte zu Rom . Nuceria und Nola , ſa-
belliſche Colonieen derſelben Art , groß und volkreich , wa-
ren als ſamnitiſche Orte dem Muttervolk treu .
Die Samniter breiteten ſich damals erobernd vom
Vulturnus gegen den Liris aus : uͤber eine Landſchaft wo
alte auſoniſche Staͤmme ſich gegen die Voͤlkerwanderun-
gen welche in dem benachbarten Kampanien neue Staaten
gruͤndeten , unverletzt behauptet hatten . Unter dieſen wa-
ren die Sidiciner das bedeutendſte Volk , ihre Stadt Tea-
num hieß , ſelbſt unter den weitlaͤuftigen Staͤdten Ita-
liens , groß Strabo V. c. 3. §. 9. , und ihr Gebiet erſtreckte ſich einſt bis
Fregellaͤ Livius VIII. c. 22 . . Doch als die Samniter ſie uͤberzogen , ver-
zagten ſie an ihrer eigenen Kraft , und ſuchten Huͤlfe
bey den Kampanern .
Es iſt ſonderbar daß , waͤhrend Italiens kriegeriſche
Voͤlker auf die kampaniſchen Legionen mit Verachtung ſa-
hen , dieſe im vierten und fuͤnften Jahrhundert unter den
fremden Corps welche in Sicilien ihre Dienſte verkauften ,
ſo ſehr bedeutend ſind Unter den kampaniſchen Regimentern ſind uͤbrigens im
Verlauf der Zeit andre Nationen ( Samniter und Luca-
ner ) wohl ſo vorherrſchend an Zahl geworden , wie Fremde
aller Voͤlker unter den Walloniſchen Regimentern Spa-
niens . Die Roͤmer litten keine fremde Werbungen , und
werden ſie auch in Kampanien verboten haben ſobald ſie
dort herrſchten . Daher iſt nach Agathokles Tode nicht mehr
von Kampanern die Rede ſondern von Mamertinern , als
dem allgemeinen Nahmen der ſabelliſchen Miethſoldaten .
Im fuͤnften Jahrhundert finden ſich auch tyrrheniſche Trup-
pen auf Sicilien in verdungenem Dienſt , nicht fruͤher . , ohne daß ihr Muth oder ihre
Kriegszucht getadelt wuͤrde , wohl aber ihre Treue . Denn
kein andrer barbariſcher Haufe folgte ſo frevelhaft dem
Meiſtbietenden , ohne den mindeſten Sinn fuͤr Kriegsehre .
Furchtbar waren ſie den Staͤdten wo ſie in Quartieren la-
gen ; unaufhoͤrlich verſuchten ſie ſich ihrer zu bemeiſtern ,
und wenn es ihnen gelang ſo verfuhren ſie nicht als Ero-
berer ſondern als Raͤuber : ſie ermordeten die Maͤnner ,
und theilten ſich Weiber und Kinder . So anlockend war
der Dienſt in Sicilien fuͤr das loſe Geſindel dieſer Gegen-
den , daß Plato ſagt , es ſey zu ſeiner Zeit Gefahr gewe-
ſen daß die Griechen der Inſel ausgerottet , und ihre
Staͤdte puniſch oder oskiſch wuͤrden Plato Ep. VII. p. 353. e . . So hatten ſie
ſich ſchon Meiſter von Entella gemacht , und bewohnten
auch Aetna . Jenen wilden Freywilligen waren die Mili-
zen des reichen Kapua nur durch den Rahmen aͤhnlich .
Sie wurden von den Samnitern im erſten Treffen bey
Teanum geſchlagen , und retirirten nach ihrer Hauptſtadt .
Die Sieger folgten , den Krieg gegen die Sidiciner ver-
ſchiebend : ſie gingen uͤber den Vulturnus , und lagerten
ſich auf dem Gebuͤrg Tifata , welches Kapua uͤber-
ſchaut . Von hier verheerten ſie die reiche Ebene rings
um die Stadt , bis die Flammen der Hoͤfe und Landhaͤu-
ſer die Kampaner in das Feld lockten , und den Samni-
tern eine gewuͤnſchte neue Schlacht gewaͤhrten . Ein zwey-
ter leichter Sieg , Beute und Verheerung , ſcheinen ih-
nen genuͤgt zu haben . Sie unternahmen die Belage-
rung nicht , und der Zuſammenhang der Erzaͤhlung zeigt
daß ſie ſogar das Gebiet Kapuas gaͤnzlich verließen .
Wahrſcheinlich dienten ihre Soldaten als Aufgebot , ohne
Sold , fuͤr die Beute : daher ihre Feldzuͤge nie den Zu-
ſammenhang und die Dauer der roͤmiſchen hatten : ihre
Eroberungen waren groͤßtentheils mit dem Ungeſtuͤm einer
Voͤlkerwanderung ausgefuͤhrt .
Kapua hatte von einer Belagerung wohl wenig zu
beſorgen ; aber alle Reichthuͤmer ſeines Gebiets lagen ohne
Schutz jaͤhrlichen Einbruͤchen der Samniter offen . Nur
das Buͤndniß eines maͤchtigen Staats konnte ſie von der
Wahl zwiſchen dieſem Ungluͤck , oder einem Frieden wie
ihn der Sieger vorſchrieb , befreyen .
Sie wandten ihre Blicke , wie Livius ſagt , auf Rom ,
welches allein den Kampf mit Samnitern beſtehen konnte ,
und konnte wagen wollen . Aber ſeit dem Jahre 401 wa-
ren beide Nationen durch ein Buͤndniß vereinigt , wozu ,
außer der Annaͤherung ihrer , ſonſt durch nicht unbedeu-
tende Voͤlker getrennten Graͤnzen , auch die in jenem Zeit-
raum vorzuͤglich furchtbare Gefahr von den Galliern , Ver-
anlaſſung geweſen zu ſeyn ſcheint . Freylich war ein
Buͤndniß , im Sinn der italiſchen Voͤlker , im Allgemei-
nen ein Vertrag durch den zwey Staaten in beſtimmte
Verhaͤltniſſe zu einander traten ; bey weitem nicht immer
ein Huͤlfstractat . Nach den Begriffen jenes Voͤlkerrechts
konnte in einem fremden Staat niemand in ſeiner eigenen
Perſon aus irgend einem Geſchaͤft oder Vertrag Rechte
ausuͤben , wenn nicht das Volk dem er angehoͤrte dies
durch gegenſeitige ausdruͤckliche Zuſicherung gewonnen
hatte . Wie Voͤlker die ſich bekriegt hatten eines Buͤnd-
niſſes bedurften um wieder in geſetzliche Verhaͤltniſſe ge-
gen einander zu treten , ſo bedurften es auch die zwiſchen
denen zuerſt Beziehungen entſtanden . Dann beſchraͤnk-
ten ſie ſich auch gegenſeitig ihr Kriegsrecht ; welche Orte
es jedem erlaubt ſey anzugreifen und ſich zu unterwer-
fen ; welche jeder Staat als ſeine kuͤnftigen Unterthanen
im Gemuͤth occupirt hatte ; wo dann der andere allerdings
befugt war , wenn Krieg ihn ſo weit fuͤhrte , Eroberungen
zu machen , doch durfte er nur Menſchen und Habe weg-
fuͤhren , die Staͤdte und den Boden verpflichtete er ſich
ſeinem Verbuͤndeten einzuraͤumen Das erhellt aus den alten Tractaten zwiſchen Rom und
Karthago , und in Hinſicht auf Samnium aus Livius VIII.
c. 1. Pacem — bellique jus adversus Sidicinos petierunt . . Kapua hatte ohne
Zweifel bedeutenden Verkehr mit Rom , das Gegentheil
iſt in der That undenkbar , und ſchon der Nahme der Porta
Capena iſt erweiſend : es muß alſo auch einen Vertrag
gehabt , dieſer aber bloß Eigenthumsverhaͤltniſſe betroffen
haben ; ſchwerlich kann man Livius glauben daß der Roͤ-
mer ſamnitiſches Buͤndniß uͤber Kampanien ſchwieg .
Er verfaͤlſchte die Wahrheit , ich glaube in ſeiner
eigenen Ueberzeugung , wo die aͤlteren Annaliſten vielleicht
einen Schleyer gezogen hatten , aus dem liebenswuͤrdigen
Wunſch die Roͤmer alter Tage fleckenlos gerecht zu ſehen :
und dieſe Verfaͤlſchung verbreitet ſich uͤber die ganze Er-
zaͤhlung auch des latiniſchen Kriegs welcher aus dem ſam-
nitiſchen entſtand . Denn er aͤndert die Wahrheit der bei-
den Angelpunkte dieſer Ereigniſſe .
Nach Livius Darſtellung war es Rom allein , La-
tiums rechtmaͤßiges ſouveraines Haupt , damals aber von
einer Empoͤrung ſeiner Unterthanen bedroht , unter deſſen
Botmaͤßigkeit ſich die Kampaner begaben . Nun waͤre es
aber doch das ungeheuerſte Mißverhaͤltniß der Kraͤfte ge-
weſen , wenn Rom ohne Latium es unternommen haͤtte
in dieſe weit entlegnen Gegenden , gegen eine Nation wie
die ſamnitiſche , Heere zu ſenden . Es iſt vor allem nicht
denkbar daß dieſe verwegne Unternehmung gewagt waͤre ,
wenn nicht wenigſtens das hoͤchſte Vertrauen auf die Treue
der Latiner geherrſcht haͤtte . Rom war verlohren wenn
dieſe ſich fuͤr Samnium erklaͤrten waͤhrend die roͤmiſchen
Heere am untern Vulturnus ſtanden ; wenigſtens das
ganze Gebiet der Republik haͤtte ihnen wehrlos offen gele-
gen . Denn eben jetzt ſtand Latium in junger Staͤrke .
Die Latiner aber ſind in den Krieg gegen die Samniter
verwickelt Livius VIII. c. 2 . . Das Jahr 413 , in dem die roͤmiſche
Armee ſich empoͤrte , vergeht auf eine ganz unerklaͤrliche
Weiſe , ohne irgend einen Kriegsvorfall gegen die Sam-
niter : ohne daß dieſe den Verluſt des vorigen Feldzugs
durch Benutzung der roͤmiſchen Unthaͤtigkeit zu erſetzen
verſucht haͤtten : der Conſul des folgenden Jahrs fuͤhrt die
roͤmiſche Armee vielmehr nach Samnium , ſo daß die
Fruͤchte der fruͤheren Siege durch jene Wehrloſigkeit nicht
verlohren waren . Eben ſo wenig benutzen die Latiner ,
welche ſchon im vorigen Jahr zum roͤmiſchen Krieg ge-
ruͤſtet geweſen ſeyn ſollen Derſelbe VII. c. 38 . , dieſen Zeitpunkt . Die
Heere welche im Jahr 412 uͤber die Herrſchaft Kampa-
niens kaͤmpfen , ſind aͤußerſt zahlreich , wenn auch die
angegebenen Zahlen uͤbertrieben ſeyn ſollten , nach denen
beiden roͤmiſchen Armeen hunderttauſend Samniter ent-
gegengeſtanden haben muͤßten ; ein Feind , den einige Le-
gionen allein zuverlaͤſſig nicht ſo beſiegen konnten . Bey
dem Ausbruch des latiniſchen Kriegs wird mit einer Be-
ſtimmtheit , die ſehr von der willkuͤhrlichen Anſicht eines
Annaliſten verſchieden iſt , bemerkt : es ſey wie ein Buͤr-
gerkrieg geweſen , denn die Offiziere haͤtten haͤufig in
denſelben Legionen als Collegen , die Soldaten neben
einander in denſelben Manipeln gedient Livius VIII. c. 6. 8 . . Livius ſezt
voraus , die Latiner haͤtten im Jahr 406 , alſo neun
Jahre vor dieſem Kriege , ihr Contingent verweigert , und
ſeitdem beſtaͤndig den Krieg gegen Rom vorbereitet , am
wenigſten alſo Truppen gegeben Derſelbe VII. c. 25. 27. 28. 38. 42. VIII. c. 4. In der
letzten Stelle ſagt derſelbe Schriftſteller welcher ſeit der gal-
liſchen Zeit immer von latiniſchen Kriegen , und unter dem
Jahr 397 von dem Friedensſchluß geredet hat , in der Per-
ſon des Praͤtors Annius , die Weigerung ( von 406 ) habe
eine zweyhundertjaͤhrige Sitte gebrochen . Bedarf es eine
weitere Rechtfertigung , neben ſo vielen ſchon gehaͤuften , wenn
wir uns von Livius Inconſequenz , Fluͤchtigkeit und Wider-
ſpruͤchen unabhaͤngig machen , ſein Urtheil und ſeine Anſicht
uͤber die alte Geſchichte ganz verwerfen , und nur die Ma-
terialien aus ihm hervorſuchen , denen er zum Gluͤck ſehr
oft , eilfertig zuſammenfuͤgend , ihre mit ſeiner Anordnung
gar nicht zu vereinigende Geſtalt ließ ? . Nun aber war
nach ihm ſelbſt das Buͤndniß erſt 397 erneuert — ich
erinnere daran daß er da von einem Friedensſchluß redet
— dieſer Zeitraum von neun Jahren konnte doch keine
ſolche Vertraulichkeit ſtiften , wenn wieder eben ſo viele in
feindſeliger Abſonderung verfloſſen waͤren . Es iſt fer-
ner zu beachten daß die Marſer und Peligner der Sam-
niter Freunde waren Livius VIII. c. 6 . , aber das Land der letztge-
nannten uͤberzogen die Latiner waͤhrend des erſten Feld-
zugs Derſelbe VII. c. 38 . .
Verfaͤlſcht iſt ebenfalls , ohne allen Zweifel , Livius
Darſtellung , Rom habe gewiſſenhaft das Buͤndniß der
Kampaner abgelehnt : als aber ihre Abgeſandten ihr Va-
terland der Republik zum Eigenthum uͤbergeben haͤtten ,
als Gewiſſensſache , den Schutz der Unterthanen , als eine
hoͤhere Verpflichtung , dem ſamnitiſchen Buͤndniß vorge-
zogen . Kapua ſtand zu Rom nicht in dieſem Verhaͤlt-
niß der Unterthaͤnigkeit ; es haͤtte nach Livius eigener
Anſicht ſchon damals , ſo gut als zwey Jahre ſpaͤter ,
ein gleiches Buͤndniß mit den Latinern ſchließen koͤn-
nen , welche dem wahrlich ſtark genug ſcheinen mußten
ſie zu ſchuͤtzen , der uns erzaͤhlt wie ihr mit den Kam-
panern vereinigtes Heer die Samniter zu muthloſer Ver-
zweiflung und zu den demuͤthigſten Bitten gegen Rom
trieb . An eigentlichen Unterthanen wuͤrden denn auch
die Roͤmer Abfall ganz anders geahndet haben als Ka-
puas Strafe nach dem latiniſchen Kriege fiel .
Auf dieſe Enthuͤllung der inneren Unwahrheit der
livianiſchen Erzaͤhlung , neben ihrer Wiederholung , muͤßte
ſich meine Geſchichte auch jetzt , wie ſchon ſo oft , be-
ſchraͤnken , wenn wir nicht hier die Wahrheit der Grund-
punkte denen bey Livius falſche untergeſchoben ſind ,
wuͤßten , oder uns doch nicht uͤber ſie taͤuſchen koͤnnten ;
und wenn nicht die ziemlich ausfuͤhrlich erhaltene Kunde
der einzelnen Begebenheiten eine Herſtellung ihrer ge-
fliſſentlich zerſtoͤrten Umriſſe beguͤnſtigte . Ich wage dieſe :
uͤberzeugt daß ſie der Wahrheit weit naͤher ſtehen wird
als die Erzaͤhlung welche ſich fuͤr hiſtoriſch ausgiebt :
aber auch wohlwiſſend daß ſich zwar das Erdichtete
ſicher erkennen und fortſchaffen , aber das Zerſtoͤrte , wel-
ches ihm aufgeopfert ward , meiſtens nur hypothetiſch
in die dann ſichtbaren Luͤcken hineinzeichnen laͤßt . Des-
wegen iſt doch der Verſuch nicht zu tadeln , und der
Geſchichte iſt eine erzaͤhlende Darſtellung des Hergangs
jener großen Begebenheiten unentbehrlich , wodurch Rom
jene Hoͤhe erſtieg von der es nach Italiens Reich ſtre-
ben konnte . Die Goͤtter verſagten ſich Pelops Wieder-
belebung nicht obwohl ſie ihm die elfenbeinerne Schul-
ter geben mußten . Unſere Arbeit iſt aber vielmehr der
eines Naturforſchers zu vergleichen der ein betruͤgeriſch
zuſammengeſetztes Skelett foſſiler Knochen von den fal-
ſchen Zuſaͤtzen befreyte : fuͤr das nun fehlende , wenn
ihm das Gluͤck diente , Ergaͤnzungen ſchaffte , und aus
dem aufgefaßten Begriff des Baus , die einſt lebendige
Geſtalt in ihren Umriſſen zeichnete . Er ſelbſt wuͤrde ſich
beſcheiden daß er in einzelnen Verbindungen irren koͤnne ,
und daß es ihm und jedem unmoͤglich ſey durch Divi-
nation das Auge , die Farbe , und die eigentliche Form
des Lebens in allen beweglichen Theilen zu errathen ;
dennoch haͤtte er der Wiſſenſchaft genutzt .
Im Jahr 412 erſchienen kampaniſche Geſandte vor
der roͤmiſchen und latiniſchen Landesgemeinde um als
Bundesgenoſſen aufgenommen zu werden , und Schutz
gegen die ſiegenden Samniter zu erhalten . Kapua
bot den Beytritt der reichſten Stadt Italiens und ihrer
Verbuͤndeten dar , ein weitlaͤuftiges Gebiet , und alles
was Ehrſucht locken konnte . Mit ihnen wurden , wahr-
ſcheinlich , die Sidiciner als fremde Bundesgenoſſen auf-
genommen , und alle dieſe Voͤlker traten ſo zu dem gro-
ßen Staat , den ſchon fruͤher die Furcht welche vor den
Samnitern herging erweitert hatte , deſſen Oberbefehl
in jenem Jahre Rom fuͤhrte .
Der Senat ließ den Samnitern das abgeſchloſſene
Buͤndniß mit Kapua anzeigen , und forderte daß alle
Feindſeligkeiten gegen die Kampaner und Sidiciner Sonſt wuͤrden die Samniter ſich im Friedensſchluß von
414 das Recht des Kriegs gegen die Sidiciner nicht ausbe-
dungen haben . Livius VIII. c. 1.
eingeſtellt wuͤrden . Die Samniter aber erkannten in der
Verbuͤndung mit ihren erklaͤrten Feinden einen Friedens-
bruch ; ſtolz nahmen ſie den Krieg an , und ihre Cohor-
ten zogen vor den Augen der roͤmiſchen Geſandten nach
Kampanien .
Beyde Conſuln fuͤhrten Heere dorthin ; eines be-
ſtimmt die Feinde aus dem Lande der Bundesgenoſſen
zu vertreiben , unter M. Valerius Corvus : das zweyte
durch Eroberung der Gebuͤrgspaͤſſe die Gegend von Ka-
pua zu decken , und die Verwuͤſtungen des Kriegs nach
Samnium ſelbſt zu tragen .
Valerius fand die Feinde zwiſchen dem Vulturnus
und dem Meerbuſen von Neapel ausgebreitet , wo die
Griechen von Parthenope , wie immer der naͤchſte Furcht-
bare zur Verbuͤndung mit ſeinem Feinde treibt , von den
Kampanern , den Verwuͤſtern ihres Mutterſtaats bedroht ,
mit ihnen im Buͤndniß ſtanden Livius VIII. c. 22. Dionyſius Exc. de Legat. p. 2324.
ed. R. . Der roͤmiſche Con-
ſul
ſul nahm ſein Lager uͤber Kumaͤ , auf dem uͤber den Lucri-
nerſee hervorragenden , damals fruchtbaren und waldrei-
chen , jetzt , ſeit der Saracenen Zeit , nackten und wuͤſten
Berge Gaurus Fuͤr dieſen , gegen einen andern Berg gleiches Nahmens
bey Nuceria ( Eckhel Doctr. num. I. p. 114. ) entſcheiden
die Vorfaͤlle nach der Schlacht . Waͤre ſie in der Gegend
von Nuceria vorgefallen , ſo wuͤrden die Samniter nach
Sueſſula vorgeruͤckt , nicht zuruͤckgewichen ſeyn . : eine Stellung die theils durch ihre
ausgeſuchte Feſtigkeit auf Vertheidigungskrieg deutet ,
theils eine erzwungene Wahl verraͤth , weil ſie ein Winkel
iſt wohin ſich nur ein zuruͤckgedraͤngtes Heer begeben
wuͤrde ; wo , faſt umringt von der See , abgeſchnitten von
Kapua , den tiefen Vulturnus auf der Straße nach Rom ,
das roͤmiſche Heer nach einer Niederlage rettungslos ver-
lohren war . Die Geſchichte der erſten Vorfaͤlle des Feld-
zugs , welche Gefechte den Conſul zwangen bis in dieſe
gefaͤhrliche Lage zu weichen , und den Samnitern das
Siegsvertrauen gaben , mit dem ſie ungeſtuͤm zum Angriff
eilten ſobald ſie das conſulariſche Heer erblickten ; dieſe
Geſchichte iſt , wie faſt alles wodurch uns die ſamnitiſchen
Kriege begreiflicher werden wuͤrden , in ewige Nacht
gehuͤllt .
Die Schlacht am Gaurus , wie ſelten ſie auch ge-
nannt wird , gehoͤrt zu den merkwuͤrdlgſten der Weltge-
ſchichte : ſie entſchied als Praͤrogative uͤber den großen
Kampf der jetzt zwiſchen Sabellern und Latinern uͤber der
Welt Herrſchaft angehoben hatte . An Muth waren die
Samniter den Roͤmern gleich : an Bewaffnung noch uͤber-
Zweiter Theil. J i
legen ; denn von ihnen entlehnten dieſe erſt die ausgezeich-
net vorzuͤglichſten ihrer Waffen Salluſtius Catil. c. 51. . Auch Kriegskunſt
entſchied an dieſem Tage nicht , nur Ausdauer , und
wahrſcheinlich die Verzweiflung des Heers welches ſiegen
mußte um nicht vertilgt zu werden . Die Samniter , als
Bergbewohner , hatten ihre ganze Staͤrke in der Infan-
terie . Die Reuterey der Roͤmer , immer ihre ſchlechteſte
Waffe , verſuchte vergebens die eiſernen Reihen zu durch-
brechen . Aber die roͤmiſchen Ritter waren die Bluͤthe der
Nation , und der Legionen ſobald ſie zu Fuß dienten .
Ihre Todesverachtung entfernte jede Furchtſamkeit aus
der Seele des Fußknechts , wie die Aufopferung der Offi-
ziere wenn ſie im Moment der Noth voran treten . Tau-
ſende waren bey den ſamnitiſchen Fahnen gefallen , welche
die Roͤmer mit unaufhoͤrlich erneuerter Anſtrengung
ſtuͤrmten : beyde Heere waren , nach Livius ſchoͤnem Aus-
druck , entſchloſſen ſich nur vom Tode beſiegen zu laſſen :
der Tag war weit vorgeruͤckt : noch ſchwankte keins der
beyden Heere ; da entſchied ein letzter verzweiflungsvoller
Angriff der Roͤmer . Die Samniter wichen , und unor-
dentliche Flucht verbreitete ſich , ehe ihr verſchanztes La-
ger ſie aufnahm . Dieſes raͤumten ſie in der Nacht , und
gaben dem Sieger Preis was nicht fortzuſchaffen war .
Die ſamnitiſchen Soldaten dieſer Schlacht haben nachher
geſagt : es habe ihnen gedaͤucht , die Augen der Roͤmer
brennten : ihre Minen haͤtten Wahnſinn geredet : vor die-
ſem Anblick waͤren ſie geflohen .
Vom Gaurus zog das ſamnitiſche Heer ſich auf Sueſ-
ſula zuruͤck , am Fuß der Huͤgel gelegen , auf der Straße
die von Kapua nach Nola fuͤhrt . Im feindlichen Lande ,
in dieſer gedraͤngt bewohnten Ebene , durchſchnitten von
Canaͤlen , durchkreuzt von dichten Baumpflanzungen ,
ward der Ruͤckzug hinter Verhacken , abgeworfenen Bruͤk-
ken und brennenden Doͤrfern leicht gedeckt . Valerius war
als Sieger von den frohlockenden Kampanern empfangen
worden ; aber es erwartete ihn noch ein zweyter Kampf
ehe das Land vom Feinde befreyt war .
Waͤhrend er am Gaurus ſiegte , brachte die Unkunde
und Unbeſonnenheit ſeines Collegen A. Cornelius Coſſus
das ihm anvertraute Heer in die aͤußerſte Gefahr ; in den-
ſelben oder benachbarten Bergpaͤſſen wo Rom , ein und
zwanzig Jahre ſpaͤter , die Caudiniſche Schmach betraf .
Samniums Graͤnze lag nahe an Kapua : die erſte Stadt war
Saticula : von dort fuͤhrte der Weg uͤber die Gebirge nach
Beneventum , in fruchtreiche und lachende Thaͤler . Die
Bergreihen des Apenninus laufen hier parallel von Nor-
den in einer ſuͤdlichen Richtung : zwiſchen ihnen liegen
wohlgewaͤſſerte Gefilde , die Straße uͤberſteigt die Berg-
ruͤcken , und durchſchneidet die von ihnen eingeſchloſſenen
Thaͤler Vergl. Livius IX. c. 2. mit der an ſich kaum verſtaͤndli-
chen Erzaͤhlung VII. c. 34 . .
Auf dieſem Verderben drohenden Weg fuͤhrte der
Conſul ſein Heer ſorglos , weil , was ihn haͤtte beunruhi-
gen ſollen , kein Feind ſichtbar war . Als aber die Spitze
der Colonne ſchon das Thal erreicht hatte , erblickte man
die Samniter auf der Hoͤhe des Bergruͤckens von dem ſie
J i 2
herabſtieg , ſeitwaͤrts im Walde der das ganze Gebuͤrg
und ſeine Soͤhne deckte Ich gebe die einzige Darſtellung der von Livius erzaͤhlten
Begebenheit welche fuͤr mich nach vielfacher Ueberlegung
denkbar iſt . . Es war ein ganzes Heer ,
und ſchon bewegte ſich dieſes um den Nachzug anzugrei-
fen : der Weg uͤber die gegenuͤberſtehenden Berge war
geſperrt . Es gab keine Rettung als nur auf ſeinen Schrit-
ten zuruͤckzukehren : aber ehe dies gelang , konnte ſchon
der Ruͤckweg abgeſchnitten ſeyn . In dieſer entſetzlichen
Gefahr erbot ſich der Tribun P. Decius mit den Haſtaten
und den Principes ſeiner Legion , achtzehnhundert Mann ,
eine Berghoͤhe einzunehmen , die auf dem Wege woher die
Samniter andrangen hervorragte . Es gelang ihm ſie vor
den Feinden zu erreichen . Von dieſem kleinen Corps aus
der Hoͤhe mit jeglichem Geſchoß angegriffen , machten ſie
Halt , um es zu vertreiben . Der heftigſte Widerſtand ,
und freywillige Angriffe der Roͤmer hielten das ganze Heer
auf , bis der unwiederbringliche Augenblick verlohren war ,
und die roͤmiſche Armee den Berg wieder gewonnen hatte ,
von dem ſie in ſicherer Ordnung in eine beſſere Stel-
lung zuruͤckkehrte .
Indeſſen behauptete ſich Decius mit den Seinigen
in unaufhoͤrlichem Gefecht , bis die Nacht einbrach und
die Samniter ſich um den Huͤgel herlagerten . Hier uͤber-
ließen ſie ſich dem Schlaf : um die zweite Nachtwache ſtie-
gen die Roͤmer herab , um ſich einen Weg durch die Feinde
zum Heer des Conſuls zu bahnen . Sie waren ſchon in
der Samniter Mitte als ſie entdeckt wurden : ihr Muth
verließ ſie nicht , und fuͤhrte ſie gluͤcklich an das Ziel . Als
ſie dem Lager nahe waren , ließ Decius ſie Halt machen
bis es tage : es gezieme ſich nicht daß ſolche Maͤnner unter
dem Schatten der Nacht zuruͤckkehrten . Da das Heer
erfuhr , die , welche ſich fuͤr ſein Heil dem Tode dargebo-
ten , waͤren erhalten und nahe , eilte ihnen alles entgegen :
der Tribun zog im Glanz eines freywilligen Triumphs in
das Lager ein ; und der Conſul begruͤßte ihn mit oͤffentli-
chem Dank . Aber Decius unterbrach die muͤßige Lobrede :
es ſey die Zeit , der Feinde Beſtuͤrzung ob ihrer zwiefachen
Taͤuſchung zu benutzen . Ungeſaͤumt ſollen die Legionen
gegen die Berge gefuͤhrt , viele Feinde zerſtreut niederge-
macht , viele entflohen ſeyn . Dreyßigtauſend , die ſich in
das Lager geworfen , waͤren allzumal darin niederge-
hauen . Dieſen Sieg erzaͤhle ich zweifelnd , weil nicht auf
die entfernteſte Weiſe angedeutet wird daß der Zweck des
Zugs , Samniums Verheerung , verfolgt ward ; welches
doch nach einem ſolchen Vortheil haͤtte geſchehen muͤſſen .
Der Triumph des Conſuls beweißt ihn nicht : denn er
theilte ohne Zweifel die Schlacht von Sueſſula . Freylich
koͤnnte man auch muthmaßen , es ſey der Ruͤckzug
ſeines Collegen bis Kumaͤ geweſen welcher ihn genoͤthigt
haͤtte der Benutzung des Siegs zu entſagen .
Es ſcheint mir glaublich daß die mit denen A. Cor-
nelius focht , ein Aufgebot waren welches die Hei-
math deckte , waͤhrend der Kern der Armee auf feind-
lichem Boden den Krieg fuͤhrte .
Es erfreut , die Belohnungen welche Decius und die
Seinigen empfingen , nach dem roͤmiſchen Geſchichtſchrei-
ber zu erzaͤhlen . Der Tribun erhielt , außer andern ge-
woͤhnlichen Ehrenzeichen , einen goldenen Kranz , hundert
Rinder , und einen ausgezeichneten weißen Stier mit ver-
goldeten Hoͤrnern . Dies war vor Alters die hoͤchſte Beloh-
nung . Die Soldaten empfingen auf immer doppelte Portio-
nen , jeder zwey Kleider , und einen Ochſen . Die Ar-
mee , das Geſchenk des Conſuls mit lautem Geſchrey
billigend , uͤberreichte Decius einen von Gras gewunde-
nen Kranz , den Ehrenlohn desjenigen der ein Heer aus
Feindes Gewalt und Belagerung befreyte : einen glei-
chen weihten ihm ſeine Gefaͤhrten . Er brachte den Opfer-
ſtier dem Kriegsgott dar , die hundert Rinder ſchenkte
er ſeinen Soldaten ; und um ihr Feſt zu vollenden , gab
jeder Soldat des uͤbrigen Heers ihnen ein Pfund Korn
und einen Schoppen Wein .
Gegen Sueſſula muͤſſen beyde roͤmiſche Heere unter
Valerius Oberbefehl vereinigt geweſen ſeyn , weil dieſer ,
den Feind von dort verfolgend , zwey Legionen zuruͤck-
ließ : mehrere aber , außer den Huͤlfstruppen , zaͤhlte ein
conſulariſches Armeecorps nach der alten Einrichtung
nicht , alſo daß deren zwey vereinigt geweſen ſeyn muͤſſen .
Dort hatte ſich das am Gaurus geſchlagene Heer
geſetzt , durch zahlreiche Aushebungen hergeſtellt , und
fuhr fort Kampanien zu verwuͤſten . So vorſichtig als
entſchloſſen , wagte es Valerius nicht das feſte Lager an-
zugreifen : er ſchickte allen Troß fort , welcher in Ka-
puas Naͤhe um ſo leichter entbehrlich war , und bezog
ein enges Lager welches nur die Bewaffneten , vermuth-
lich , wie das Lager der Conſuln C. Claudius und M.
Livius , beyde Armeen faßte . Getaͤuſcht durch den Schein ,
und die Zahl der Soldaten berechnend wie ein Lager
dieſes Umfangs ſie zu enthalten pflegte , ſehnten ſich die
Samniter es zu ſtuͤrmen : ihre Feldherrn geſtatteten es
nicht . Lange ſcheinen ſich die Heere gegenuͤber gelegen
zu haben : einreißender Mangel noͤthigte die Samniter
das Land um Vorraͤthe zu durchſtreifen . Die Unthaͤ-
tigkeit des Conſuls ermunterte ſie ſolche Zuͤge in wei-
terem Umfang zu wagen : dies war ſein Zweck . Er
bemaͤchtigte ſich nun des ſchwachvertheidigten Lagers :
zwey Legionen blieben zur Beſatzung zuruͤck ; das uͤbrige
Heer theilte ſich die zerſtreuten Corps der Samniter
anzugreifen , und ihnen Vereinigung oder Ruͤckzug ab-
zuſchneiden . Alles gelang : die , welche in Schlacht-
ordnung am Gaurus bis auf den Tod gefochten hat-
ten , fluͤchteten beſtuͤrzt , oder ſtreckten die Waffen . Vier-
zigtauſend Schilde , von Todten und Fluͤchtlingen , und
hundert und ſiebzig Fahnen , ſollen vor dem Conſul auf-
gehaͤuft worden ſeyn : freylich ſind die roͤmiſchen Anga-
ben erbeuteter Trophaͤen ſelten frey vom Verdacht eini-
ger Uebertreibung .
Solche Triumphe wie dieſer Conſuln hatte Rom noch
nie geſehen .
M. Valerius war der erſte Feldherr ſeines Zeital-
ters Livius VIII. c. 16 . ; aber nicht weniger maͤchtig im Heer durch Lie-
benswuͤrdigkeit als durch Bewunderung und Vertrauen .
In den edeln Spielen , die ſtatt der Wuͤrfel der rohen
Horden des dreyßigjaͤhrigen Kriegs Wie ihre Sitten mit der alleranſchaulichſten Wahrheit im
Simpliciſſimus geſchildert ſind . den roͤmiſchen
Soldaten im Lager ergoͤtzten , im Lauf , im Sprung ,
im Aufrichten ſchwerer Hebel Salluſtius Fragm. Histor. p. 284. ed. Bip . , maß er ſich , als Feld-
herr , außer den Stunden des ernſten Befehls , mit je-
dem Soldaten : er neckte ſie vertraulich , und hoͤrte un-
beleidigt den ſoldatiſchen Scherz Livius VII. c. 33 . . Er war die Zu-
verſicht ſeiner Nation im Krieg und im Staat , er ver-
mittelte den endlichen Frieden der Staͤnde . Sein Le-
ben war beyſpiellos durch reiche Fuͤlle von Gluͤck , und
deſſen langen Genuß . Im neun und zwanzigſten Jahr
ſiegte er uͤber die Samniter , im drey und zwanzigſten
war er zu ſeinem erſten Conſulat erwaͤhlt : ſechs und
vierzig Jahre nachher bekleidete er das ſechſte ; nicht als
ein bloßes Geſchenk der Volksliebe , ſondern weil die
Republik in einer ſehr ſchwierigen Zeit den alten Hel-
den aufrief . Es iſt ſuͤß fuͤr eine große Seele aus we-
nigen Proben in fruͤher Jugend erkannt , und aus der
gewoͤhnlichen Reihe auf ihre eigenthuͤmliche Stelle ent-
ruͤckt zu werden : es iſt noch ſeltner daß ein ſolcher Mann
Beſtaͤndigkeit bey ſeinem Volk fuͤr ein halbes Jahrhun-
dert , und , wie Valerius , in einem Menſchenalter finde
welches die Zeit ſeiner Vaͤter durch Reichthum an großen
Maͤnnern verdunkelt . Ein und zwanzigmal hat er den
curuliſchen Thron eingenommen , und das hundertſte
Lebensjahr erreicht . Er hat noch den Sieg uͤber Pyr-
rhus , und Italiens Unterwerfung erlebt , welche er be-
gruͤndet hatte .
Waͤhrend dieſes Feldzugs uͤberzog ein abgeſondertes
latiniſches Heer die Peligner , der Samniter Stammge-
noſſen und Verbuͤndete ; eine Unternehmung die fuͤr
das Urtheil des Unbefangenen in unlaͤugbarer Verbindung
mit dem ganzen Plan dieſes glorreichen Feldzuges ſteht .
Im folgenden Jahr muß der abwechſelnde Ober-
befehl bey den Latinern geweſen ſeyn , denn Rom war
durch die Empoͤrung der Armee gelaͤhmt : es wird kei-
nes einzigen Kriegsvorfalls gedacht , und es iſt ſchon be-
merkt worden daß ungeachtet dieſer ſcheinbaren Unthaͤ-
tigkeit alle im vorigen Feldzuge gewonnenen Vortheile
den Verbuͤndeten geblieben ſeyn muͤſſen . Vielmehr iſt
es wahrſcheinlich daß waͤhrend des Jahrs 413 neue er-
fochten wurden , aber durch die Latiner : am Ende des
Feldzugs von 412 ſtreiften die Samniter ungeachtet der
großen verlohrnen Schlachten doch an beyden Seiten
des Vulturnus , und noͤrdlich ſogar bis Sueſſa Livius VII. c. 38 . : ſo
unverzagt verſchmerzte das maͤnnliche Volk auch die
groͤßten Niederlagen . Dagegen dringt im Jahr 414
ein einziges conſulariſches Heer , unter L. Aemilius , unge-
hindert in Samnium ein . Ohne Zweifel ſtand die ſabel-
liſche Armee in einer anderen Gegend gegen einen ge-
faͤhrlicheren Feind : und der Krieg zwiſchen Rom und
Samnium war in den Gemuͤthern ſchon geendigt .
Ihn fortzuſetzen , die beſten Kraͤfte an einer ſehr
entlegenen Graͤnze zu verbluten , war fuͤr Rom nichts
weniger als zweckmaͤßig , ſobald Gefahr da war daß die
Fruͤchte theuer erkaufter Siege fuͤr Andere gewonnen
wuͤrden , und die Republik ſich alſo im zwiefachen Ver-
haͤltniß ſchwaͤche und in Gefahr bringe . Nach den Sie-
gen der erſten Feldzuͤge konnte die voͤllige Demuͤthigung
Samniums nahe ſcheinen ; und dann war die Verbin-
dung Latiums und Kampaniens eine furchtbare Macht
welche Rom gegen ſich ſelbſt geſtaͤrkt , ſich ſelbſt des Ge-
gengewichts beraubt hatte welches die ſamnitiſche Na-
tion gewaͤhrt haben wuͤrde . Es war alſo dringend noth-
wendig dieſen Krieg zu endigen , die Macht eines ent-
fernten Volks zu ſchonen , und ſeine Freundſchaft wie-
derzugewinnen . Der Friede ward leicht geſchloſſen :
fuͤr Roms Ehre genuͤgte es daß die Samniter den
Betrag eines jaͤhrlichen Solds zahlten , und eine drey-
monatliche Getreideverpflegung fuͤr die Armee abliefer-
ten ; aber ſie verlohren keinen Zollbreit Landes , und
die Roͤmer verſprachen ſie nicht zu hindern ſich die
Sidiciner zu unterwerfen , uͤber welche der Krieg ent-
ſtanden war , und deren Land , mit Samninm vereinigt ,
Latium und Kampanien trennte . Dem Frieden folgte ,
oder war in ihm enthalten , ein foͤrmliches Vertheidi-
gungsbuͤndniß beyder Staaten Dies iſt klar aus dem Anfang des latiniſchen Kriegs : die
Conſuln ziehen durch das Land der Marſer und Peligner ,
durch die Samnitiſche Graͤnze , und vereinigen ſich bey Ka-
pua mit den Samnitern , ohne daß ein neues Buͤndniß ge-
ſchloſſen waͤre . Livius VIII. c. 6 . . Dieſes konnte nur
gegen diejenigen gerichtet ſeyn , an deren Seite noch
eben vorher die roͤmiſchen Soldaten gefochten hatten :
deren wachſende Macht aber jetzt Unruhe und Abgunſt
erregte . Sie hingegen ſetzten , vereinigt mit den Kam-
panern und Sidicinern , den Krieg gegen Sam-
nium fort .
Der latiniſche Krieg .
Feindſeligkeiten zwiſchen Rom und den Latinern
ſcheinen ſchon im Lauf dieſes Jahrs ausgebrochen zu
ſeyn : denn ſo nahe wie die Antiaten jetzt mit Latium
verbunden waren , dem auch Privernum ſich ohne Zwei-
fel angeſchloſſen hatte , iſt der Krieg welchen die Roͤ-
mer noch in demſelben Jahr 414 gegen beyde , damals
kraftvolle , Staͤdte fuͤhrten , nicht anders denn als feind-
ſelig gegen den geſammten Bund anzuſehen .
So war es ſichtbar daß ein harter Kampf zwiſchen
Rom und Latium entſcheiden mußte , ob jenes eine la-
tiniſche Stadt , oder dieſes Rom unterthaͤnig werden
ſollte : und fuͤr dieſen Kampf erwaͤhlte die Nation zum
Conſulat , mit T. Manlius , den Retter des corneliſchen
Heers in Samnium , P. Decius , deſſen Leben dem Va-
terland ganz , nicht ihm ſelbſt , gehoͤrte . Es war das
Jahr 415 .
Die Latiner indeſſen wuͤnſchten dieſem Krieg durch
einen Verein auszuweichen : welcher , nach dem recht-
lich und factiſch geltenden Verhaͤltniß der Gleichheit
zweyer voͤllig freyer Voͤlker beurtheilt , von dem dar-
geboten welches damals an Zahl eigener und verbuͤn-
deter Streiter das zahlreichſte geweſen ſeyn muß , kei-
neswegs ſo unzulaͤſſig erſcheinen darf als ihn Livius
ſchildert . So weit ſeine Erzaͤhlung uns fuͤr hiſtoriſch
gelten kann , unternahmen die Roͤmer , um einen Vor-
wand des Kriegs gegen die Latiner zu haben , die Ver-
mittelung zwiſchen ihnen und den Samnitern . Latini-
ſche Geſandte , und ſelbſt die beyden Praͤtoren des Bun-
des begaben ſich nach Rom , wo ihnen der Senat auf
dem Capitol Gehoͤr gab . Dieſe Geſandten erklaͤrten im
Nahmen ihrer Nation : Sie ſaͤhen wohl ein daß das
von den Vorvaͤtern ererbte Verhaͤltniß nicht mehr auf
die jetzigen Umſtaͤnde anwendbar ſey , und daß es ſich
durch Krieg oder Vertrag aͤndern muͤſſe . Sie waͤren
bereit Roms Vorrang anzuerkennen , und den gemein-
ſchaftlichen Nahmen ihres Landes mit dem der erſten
unter allen latiniſchen Staͤdten zu vertauſchen . Der
roͤmiſche Nahme moͤge ſtatt des latiniſchen herrſchen .
Aber ſeiner Wuͤrde und Freiheit etwas zu vergeben ,
ſey Latium ſo wenig genoͤthigt als geneigt , jetzt da es
das Haupt aller umwohnenden Voͤlker ſey . Es gebe
nur eine wahre Verbindung zweyer Voͤlker , in gemein-
ſchaftlicher Regierung und voͤlliger Gleichheit . Rom
und Latium moͤchten zu einer Nation zuſammentreten :
die Haͤlfte des Senats aus Latinern beſtehen , und ein
Conſul aus Latium erwaͤhlt werden . — In dem Sinn
dieſes Antrags war nothwendig enthalten daß die Zahl
der roͤmiſchen Tribus — es waren ihrer damals ſieben
und zwanzig — durch eben ſo viele latiniſche vermehrt ,
und die Theilnahme an den Magiſtraturen auf jede die
zwiefache Stellen hatte ausgedehnt , alle andern , durch
Erweiterung , dieſer Theilung haͤtten faͤhig gemacht wer-
den ſollen .
Ein ſolcher Antrag mißfiel nicht heftiger dem Se-
nat und den Maͤchtigen als jedem Quiriten , der auf
dieſe Weiſe ſeine individuelle Theilnahme an der Lan-
deshoheit eingeengt und verkuͤmmert ſah . Eine andere
Frage iſt die der Billigkeit : daß aber dieſe haͤtte ent-
ſcheiden , oder ihre Eroͤrterung unter dem Sturm ſol-
cher Leidenſchaften geduldet werden ſollen , konnte nicht
gefordert werden . Die Senatoren erhoben ſich um ſo
erbitterter gegen die ſtolzen Latiner , als der Ausgang
des Kampfs nichts weniger als entſchieden war . Sie
klagten ſie des Eidbruchs und der Treuloſigkeit an ,
ſie riefen die Goͤtter zu Raͤchern ihrer Sache . Den-
noch ſcheint es auch nicht an Einzelnen gefehlt zu ha-
ben welche den Wunſch nicht verhehlten , durch einen
Vergleich , der allerdings eine ſehr furchtbare Macht
gebildet und die Erobernng Eroberung Italiens wohl noch mehr
beſchleunigt haben wuͤrde , einem Kampf zu entgehen
der ſich wenig vom Buͤrgerkriege unterſchied . Gegen
dieſe , und um den Anfang nachgiebiger Abſtimmungen
zu verhuͤten , erklaͤrte der Conſul T. Manlius , er wuͤrde ,
wenn die Republik dieſe Forderungen feig bewilligte ,
bewaffnet in den Senat kommen , und den erſten La-
tiner den er in der Curie erblicke niederſtoßen .
Bey ſolcher Heftigkeit der Gemuͤther war die Sen-
dung der latiniſchen Geſandten beendigt , und ſie ent-
fernten ſich mit nicht geringerer Bewegung als ihre For-
derungen erregt hatten . Der Praͤtor L. Annius von
Setia , ihr Wortfuͤhrer , eilte mit der Heftigkeit des Zorns
die Stufen des Huͤgels hinunter : ein Fehltritt brachte
ihn zum Wanken , er ſtuͤrzte hinab und lag entſeelt am
Fuß der Treppe So redeten faſt alle Annalen : Livlus VIII. c. 6. ; er
zog mit einigen eine Ohnmacht vor , um des Wunderba-
ren weniger zu haben . . Auch erzaͤhlte die Sage daß Jupiter
ſeinen Zorn uͤber die Verletzung ſeiner Majeſtaͤt durch ein
fuͤrchterliches Gewitter kund that , welches ſich erhob da
die Roͤmer , nachdem die latiniſchen Geſandten ihre Rede
geendigt hatten , ſeinen Beyſtand anriefen .
Die Latiner ſtanden im Felde gegen Samnium , ver-
eint mit den Kampanern , bey Kapua Livius VIII. c. 6. . Man muß an-
nehmen daß ſie dorthin ſchon fruͤher aufgebrochen waren
ehe ihre Geſandten zur Unterhandlung nach Rom eingela-
den wurden ; denn , haͤtten ſie den nahen Ausbruch eines
roͤmiſchen Kriegs erwartet , ſchwerlich haͤtten ſie dann ihre
ganze Macht in die entlegenſte Entfernung geſandt . Daß
ihr Heer in Kampanien ſtand ehe die roͤmiſchen dort ein-
trafen , ſagt Livius ; auch iſt es nicht wahrſcheinlich daß ,
waͤre dieſes nicht geweſen , die Bitten der Kampaner ſie
bewogen haben wuͤrden ein dann ſo augenſcheinlich ver-
kehrtes Verfahren anzunehmen .
Die Roͤmer aber entwarfen und verfolgten einen
Plan des Feldzugs der zu den kuͤhnſten zugleich und tief-
ſten gehoͤrt , welche je einen Feldherrn mit Lorbern ge-
kraͤnzt haben . Zwey conſulariſche Heere , vier Legionen ,
waren fuͤr den Krieg beſtimmt : eine Reſerve , von ſoge-
genannten ſtaͤdtiſchen Legionen , blieb ohne Zweifel unter
dem Praͤtor bey Rom . Wahrſcheinlich unmittelbar nach-
dem die Unterhandlungen abgebrochen waren , eilten die
Armeen in forcirten Maͤrſchen durch das Land der Sabi-
ner , der Marſer und Peligner , wo allenthalben das ſam-
nitiſche Buͤndniß freye Straßen und Quartiere bereitete ,
nach Samnium : den Bogen beſchreibend deſſen Sehne
die Straße von Rom nach Kapua bildet . Das latiniſche
Heer befand ſich an deſſen entfernteſtem Punkt , und die
Kuͤhnheit ſelbſt der Unternehmung bannte ſie feſt dar-
auf : denn es war unentſchieden ob und wo die Roͤmer
von ihrer Straße abweichen , ob ſie ſie bis in Kampanien
verfolgen wuͤrden ; dieſes mußten die Latiner nach kleinen
Motiven lieber als Latium Schauplatz des Kriegs ſehen ;
ſchwankende Hin- und Hermaͤrſche , durch Geruͤchte von
den Bewegungen des Feindes geleitet , wuͤrden ſchon al-
lein den Ausgang des Feldzugs gegen ſie entſchieden ha-
ben . Dieſes , und daß die Latiner Kapua , ihren großen
Erwerb , nicht ſich ſelbſt und ſeiner Muthloſigkeit uͤberlaſ-
ſen wuͤrden , konnten die Roͤmer berechnen , und darauf
berechneten ſie ihren Feldzug .
Der ſtaͤrkere Geiſt gebietet ſeinem ſchwachſinnigeren
Gegner die Fehler welche er begehen ſoll . Waren die La-
tiner wohlbedacht , ſo mußten ſie von Kapua eilig aufbre-
chen , und gegen Rom ziehen : alsdann zerſtoͤrten ſie den
Plan des Feldzugs ; ſie ſchnitten die Armee von der
Stadt ab ; ſie hatten nur gegen die Roͤmer allein zu
kaͤmpfen ; eine Schlacht konnte unter guͤnſtigen Umſtaͤn-
den entſcheiden , wenn dieſe auf die Nachricht von dem
Entſchluß der Latiner ihren Marſch abgebogen haͤtten ; ihr
Verluſt war nicht vernichtend mitten im eignen Lande
und unter feſten Staͤdten .
Auch fuͤr die großen Hoffnungen der Zukunft lag
Rom maͤchtig daran daß die Samniter nicht allein in
Kampanien entſcheiden moͤchten ; denn , hatte Kapua ein-
mal ihnen gehuldigt , dann war damals wenig Hoffnung ,
je wieder das Reich uͤber den Vulturnus ausdehnen zu
koͤnnen .
So durchgreifend war die Verfaͤlſchung der roͤmi-
ſchen Annalen , daß einige vorgaben die Samniter waͤren
erſt nach der Schlacht zu den Roͤmern geſtoßen , waͤhrend
die meiſten vernuͤnftig erzaͤhlten , das roͤmiſche Heer ſey
mit den Samnitern vereinigt vor Kapua geruͤckt Livius VIII. c. 11. vergl. 6. 10. Dionyſius ergreift die Luͤge ,
als Stoff zu Staatsdiscourſen. Exc. de leg. p. 2320 . 2323. ed. R. .
Aber nicht bey dieſer Stadt , ſondern am Fuß des Veſuvs
entſchied die Schlacht Ich nenne ſie die Schlacht am Veſuvius : Livius ſagt ,
ſie ſey am Fuß des Berges vorgefallen , auf der Straße ad
Veserim . Daher die Roͤmer ſie die Schlacht ad Veserim
nennen : wir wiſſen aber nicht ob das ein Ort oder ein
Fluß war . .
In den Tagen da beyde Heere einander gegenuͤber
ſtanden ereignete ſich der Vorfall welcher den Nahmen des
Conſuls Manlius mit einem ſchrecklichen Andenken be-
zeichnet hat . Der Aufſtand der Armee vor zwey Jahren
mochte eine Aufloͤſung zuruͤckgelaſſen haben deren Folgen
die Feldherrn in einem ſolchen Kriege fuͤrchteten , wo alles
Heil
Heil von der unbedingten Kriegszucht abhing , wodurch
das Heer ein phyſiſcher Koͤrper wird deſſen Seele der
Feldherr , und mit ihm nur ein lebendes Ganze iſt . Da-
her das Verbot der Conſuln , und die Nothwendigkeit es
ohne alle Milderung in Kraft zu erhalten , daß , bey To-
desſtrafe , keiner ſich in ein einzelnes Gefecht bey den Vor-
poſten einlaſſen ſolle , wozu der Anlaß um ſo leichter ent-
ſtehen konnte , da alle Roͤmer und Latiner aus den fruͤhe-
ren Feldzuͤgen ſich kannten . Denn daraus konnte ſich
leicht zu unguͤnſtiger Stunde ein allgemeines Gefecht erhe-
ben , oder die Nothwendigkeit entſtehen einen Nachtheil zu
verſchmerzen . Der Sohn des Conſuls Manlius recogno-
ſcirte mit einigen Reutern : ihm begegnete ein tuskulani-
ſcher Befehlshaber , und hoͤhnte ihn , weil er einem Ge-
fecht auswich . Die Kraͤnkung riß den Juͤngling hin eine
Ausforderung zum Zweykampf anzunehmen ; er ſiegte .
Hinreiſſend ſchoͤn iſt Livius Erzaͤhlung wie der bethoͤrte
Siegstrunkene ſeinem entſetzten Vater die blutigen Spo-
lien darbrachte ; wie dieſer ſein Urtheil ſprach , und voll-
ziehen ließ ; wie die Kriegsgefaͤhrten des ungluͤcklichen
Juͤnglings ſeine Leiche mit den traurigen Siegszeichen
verbrannten , welche , haͤtte er ſie in erlaubtem Gefecht ge-
wonnen , ihn bey dem Triumph ſeines Vaters begleitet ,
und ſeine Penaten geſchmuͤckt haben wuͤrden ; wie die Krie-
ger , waͤhrend der Vater ſein Herz verhaͤrtet hatte , den
Todten klagten : wie die Juͤnglinge dem Sieger nicht
entgegen gingen , und ihn , ſo lange er lebte , flohen und
verwuͤnſchten Livius VIII. c. 7. 12 . .
Zweiter Theil. K k
Im Traum erſchien beyden Conſuln die Geſtalt eines
uͤbermenſchlichen Weſens , und verkuͤndigte ihnen , der
Feldherr des einen der kaͤmpfenden Heere , das andere
Heer , ſeyen den Todtengoͤttern und der Mutter Erde ver-
fallen . Beyde vereinigten ſich , der , deſſen Fluͤgel anfinge
zu weichen , wolle ſich und das feindliche Heer der Unter-
welt weihen . Auch vor der Schlacht weiſſagte das Opfer
dem Decius Ungluͤck : es ſchadet nicht , antwortete er dem
Aruſpex , weil er vernahm daß ſein College gluͤckliche
Wahrzeichen gefunden habe .
Die Roͤmer verſchweigen den Antheil der Samniter
an dem entſcheidenden Tage : aber es war nicht Geiſt dieſes
Volks , entfernt aufgeſtellt dem Leben der Schlacht muͤßig
zuzuſchauen : auch ſchien der Preis des Siegs fuͤr ſie noch
naͤher als fuͤr Rom , wenn es auch dieſem gelang ihn zu
entwinden . Vermuthlich ſtanden ſie den Kampanern , wie
die Roͤmer den Latinern , ſabelliſche Kriegsordnung der
ſabelliſchen , latiniſche der latiniſchen entgegen . Ich
wiederhohle nicht Livius Erzaͤhlung dieſer Schlacht ,
weil ſie eine Aufſtellung vorausſetzt welche man ohne An-
ſtand fuͤr praktiſch unmoͤglich erklaͤren muß , und die Ei-
genthuͤmlichkeit der verſchiedenen Waffen verkennt Naͤmlich eine Aufſtellung der Manipeln en échelon in
fuͤnf Treffen , augenſcheinlich mit ſo großen Intervallen
daß ein entſchloſſener Cavallerieangriff die ganze Legion in
wenigen Augenblicken haͤtte zerſprengen muͤſſen . Oder , wenn
die Latiner ihre Manipeln zuſammenzogen , und in einer ge-
ſchloſſenen Maſſe auf die loſe Schlachtordnung eindrangen ,
ſo war dieſe auch ſo ohne Huͤlfe zerriſſen . — Livius haͤlt die .
Als auf dem linken roͤmiſchen Fluͤgel , wo Decius
befahl , das erſte Treffen , die Haſtaten , auf die Prin-
cipes zuruͤckwich , da vollfuͤhrte der Conſul ſein Ge-
luͤbde . Nach der vom Pontifex M. Valerius ausge-
ſprochenen Formel , betete er im Feyerkleide , mit ver-
huͤlltem Haupt , auf einem Schwerdte ſtehend : „ Ja-
nus , Jupiter , Vater Mars , Quirinus , Bellona , La-
ren , Ihr neun Goͤtter Dii Novensiles : die einfachſte Erklaͤrung iſt von den
neun blitzſendenden Goͤttern der etruskiſchen Religion . Die
Ungewißheit hieruͤber gehoͤrt zu den ſprechendſten Beweiſen
wie das hohe Alterthum ſchon Caͤſars Zeitgenoſſen ein ver-
ſchloſſenes Buch war , und entſcheidet wie wenig Autoritaͤt
ihre Meinungen daruͤber haben koͤnnen . , Ihr Ahnengoͤtter , Goͤtter
die ihr uͤber uns waltet und uͤber die Feinde , und Ihr
Todtengoͤtter : zu Euch bete ich , Euch flehe ich , daß Ihr
wollet dem roͤmiſchen Volk der Quiriten Gewalt und
Sieg ſegnen und gedeihen laſſen , Furcht , Grauſen ,
Tod auf die Feinde ſenden . Alſo weihe ich fuͤr die Re-
publik der Quiriten , fuͤr das Heer , die Legionen , die
Bundesgenoſſen des roͤmiſchen Volks der Quiriten , der
Feinde Legionen und Verbuͤndete mit mir den Todten-
goͤttern und der Mutter Erde “ . Dann ſchwang er ſich
aufs Pferd , und ſprengte in die feindlichen Reihen .
Rorarier fuͤr Linientruppen , das waren ſie aber nicht , ſon-
dern leichte Infanterie . Iſt die Schlachtgeſchichte aus alten
Erzaͤhlungen nur mißverſtanden , ſo hat vielleicht Manlius den
Sieg durch zweckmaͤßigen Gebrauch der in der Kindheit der
alten Kriegsſyſteme ſehr verſaͤumten leichten Truppen vorbe-
reitet : in die Linie kann er ſie nicht gebracht haben .
K k 2
Beyden Heeren erſchien er als ein uͤberirdiſches We-
ſen , als der Geiſt des Verderbens der ſich unter die
latiniſchen Legionen ſtuͤrze . Entſetzen ging vor ihm her :
und als er von Geſchoſſen durchbohrt niederſank , da
wichen die Latiner . Manlius aber beſtand inzwiſchen
einen ſchweren Kampf . Erſt als die Kerntruppen der
Reſerve , die Triarier , einruͤckten , lange zur Entſchei-
dung zuruͤckgehalten bis die latiniſchen Triarier ſchon
ermattet waren , erklaͤrte ſich der Sieg voͤllig fuͤr Rom .
Auf den hartnaͤckigſten Widerſtand folgte eine allge-
meine Flucht und ein unermeßliches Blutbad . Kaum
der vierte Theil der latiniſchen Armee ſoll entkommen
ſeyn . Unmittelbar nach der Schlacht eroberten die Sie-
ger das Lager , und machten eine große Menge Gefang-
ner , beſonders Kampaner . Decius Leichnam ward erſt
am folgenden Tage unter einem Haufen feindlicher Tod-
ten entdeckt , und herrlich beſtattet .
Die Truͤmmer des latiniſchen Heers , ohne Zweifel
verlaſſen von den Kampanern , welche , wie es nicht
zu bezweifeln iſt , dem Sieger bald nach der Schlacht
auf leidlichen Accord ihre Stadt uͤbergaben , ſammel-
ten ſich erſt hinter dem Liris , in der Auſoniſchen
Stadt Veſcia . Verzweiflung , Gewißheit einer blutigen
Rache , fuͤhrte jetzt auch die Cohorten einiger Staͤdte
welche den fuͤr ihr Schickſal entſcheidenden , von Rom
nie vergeſſenen Schritt einer zoͤgernden und unſchluͤſſi-
gen Bewegung , gethan hatten Das Contingent von Lavinium vernahm die Nachricht
von der Niederlage eben als es zu den Thoren ausruͤckte . , und einen allge-
meinen Landſturm , dem latiniſchen Feldherrn Numi-
ſius zu , der die Nation beſchwor den Krieg nicht auf-
zugeben . Er wagte es mit dieſem unordentlichen Heer
uͤber den Liris zu gehen , der ihn gedeckt hatte : bey
Trifanum , zwiſchen Sinueſſa und Minturnaͤ , traf ihn der
Conſul , und die Erbitterung trieb beyde Heere ſogleich
zur Schlacht . Die Niederlage der Latiner war ſo ent-
ſchieden , daß alle Staͤdte außer Antium capitulir-
ten . Waͤhrend des Winters wurden ſie von dem Sie-
ger gerichtet . Das Blut welches nach den unabaͤnder-
lichen Grundſaͤtzen roͤmiſcher Obmacht in allen Staͤdten
gefloſſen ſeyn muß ; das Blut welches ein Conſul wie
Manlius vergoſſen haben muß , iſt unſern Blicken durch
die mildernde Geſchichte entzogen . Wir haben nur
Kunde von der Vertheilung des latiniſchen Gemeinlands ,
welches durch die Aufloͤſung des Bundes dem Sieger
verfallen war , und mit zwey Drittheilen der Priver-
nermark , und der Falerner Landſchaft bis an den Vul-
turnus , der kampaniſchen Republik confiscirt , fuͤr das
roͤmiſche Volk getheilt ward ; doch ſo daß den Vorneh-
men noch ein großes Gemeinland geblieben ſeyn muß Daher die Klage uͤber geizige Aſſignation : ager maligne
plebei divisus . Livius VIII. c. 12 . ,
denn die welche dieſſeits des Liris Land empfingen , er-
hielten nur 2¾ , die aber jenſeits , 3¼ Jugern . Aeußerſt
Es ſcheint daß ſie ihren Marſch einſtellten , und damit die
Sache vergeſſen glaubten : indem gemeldet wird , ihr Praͤ-
tor Milionius , anders geſinnt , habe geſagt , ſie wuͤrden fuͤr
den kurzen Weg den Roͤmern theuer bezahlen muͤſſen .
merkwuͤrdig iſt daß der kampaniſche Adel , weil er Rom
treu geblieben war , das roͤmiſche Buͤrgerrecht erhielt ,
und der Republik Kapua die Verpflichtung aufgelegt
ward , jedem Ritter , es waren ihrer aber ſechszehn-
hundert , eine jaͤhrliche Rente von 450 Denarien zu zah-
len . Es laͤßt ſich nur vermuthen daß ſie , bey einer
der roͤmiſchen aͤhnlichen Verfaſſung , durch einen Curien-
beſchluß , ſich fuͤr Rom erklaͤrt hatten . Die Rente ward
ihnen wohl als Entſchaͤdigung fuͤr die Falerniſche Land-
ſchaft , als von ihnen benutztes Gemeinland ihres Staats ,
zugeſprochen . Die Groͤße der Summe , 720000 Dena-
rien , zeugt merkwuͤrdig von Kapuas Reichthum , und
es war ſehr klug auf dieſe Weiſe die große , und , wenn
ſie nur wollte , maͤchtige Stadt zu theilen , und ihre
Vornehmen , gleich den Eigenthuͤmern einer Staats-
ſchuld , an Roms Schickſal zu knuͤpfen .
Was die Samniter durch dieſen Krieg gewannen ,
koͤnnen wir nicht angeben : wahrſcheinlich freye Erwei-
terung gegen den oberen Liris . Kapua entging ihnen ;
dennoch kann ihr roͤmiſches Buͤndniß wohl nicht als
unbeſonnen getadelt werden . Denn Latium war ihnen
eben ſo gefaͤhrlich , Latium und Rom mit friſcher Macht
zu einem Staat verbunden noch gefaͤhrlicher als Rom :
dieſe Vereinigung entſtand aber wahrſcheinlich wenn ſie
Rom ſich ſelbſt uͤberließen ; jetzt verbluteten und ſchwaͤch-
ten ſich beyde Voͤlker , ehe ſie unter einer Souveraine-
taͤt vereinigt wurden .
Antium , welches noch allein die Waffen nicht nie-
dergelegt hatte , verwuͤſtete das roͤmiſche Gebiet , und
bewog durch ſein Beyſpiel die bey den Leiden welche
dem Kriege folgten verzweifelnden Latiner im folgen-
den Jahr ( 416 ) zu einer allgemeinen Empoͤrung . In
den praͤneſtiniſchen Gebuͤrgen ward Pedum der Sitz
dieſes Aufſtands , und hier verſammelte ſich ein Heer
aus Tibur , Praͤneſte , Velitraͤ und Antium . Daran
daß dieſer Krieg ſehr matt gefuͤhrt ward , ſieht man
klar , wie entſetzlich blutig und erſchoͤpfend der vorige
Feldzug auch fuͤr Rom geweſen ſeyn muß . Der Con-
ſul Ti . Aemilius ſchlug die Inſurgenten im Felde , aber
er vermochte nicht Pedum einzunehmen .
Die Eroberung Latiums ward im Jahr 417 vol-
lendet . Die Latiner hatten der Hoffnung entſagt in
Schlachten zu widerſtehen : ſie beſchraͤnkten ſich darauf
daß jede Stadt ihre Mauern vertheidige , und im Fall
eines Angriffs von den uͤbrigen unterſtuͤtzt werde . Der
Conſul C. Maͤnius ſchlug die Veliterner , Ariciner und
Lanuviner , welche zum Entſatz der Antiater heranka-
men ; mit dieſen , am Fluß Aſtura , L. Camillus die Ti-
burter und Praͤneſtiner , die ihn um die Belagerung
von Pedum aufzuheben angriffen . Nach dieſen Nie-
derlagen legten alle Latiner die Waffen nieder , roͤmi-
ſche Beſatzungen hielten ihre Staͤdte in Unterwuͤrfigkeit .
Aber Latium wuͤrde eine nutzloſe Eroberung gewe-
ſen ſeyn , Rom haͤtte die Truppen verlohren welche bis
dahin die Legionen verdoppelten , es waͤre ohnmaͤchti-
ger durch ſeinen Sieg geworden , und die Empoͤrung
haͤtte ſich bey jeder Veranlaſſung wieder entzuͤndet , wenn
nicht der Senat ein Syſtem der Maͤßigung und der
Klugheit angenommen haͤtte . Die latiniſchen Voͤlker
wurden getheilt , einige , zu Roͤmern erhoben , von ih-
ren alten Verbuͤndeten getrennt , und ihren Wuͤnſchen
und Unternehmungen entgegengeſtellt : die vornehmſten
ihrer Staͤdte wurden geſchwaͤcht und gedemuͤthigt ohne
daß die ganze Nation es als ihre Sache anſah .
Lanuvium , Aricia , Nomentum und Pedum erhiel-
ten , Tusculum blieb in dem Beſitz des Buͤrgerrechts :
alle ohne Zweifel mit Stimmrecht . Den Antiaten wur-
den ihre bewaffneten Schiffe genommen , und ihre Stadt
zu einer Hafencolonie caͤritiſches Rechts gemacht , ſo
daß auch die alten Buͤrger darin aufgenommen wur-
den , folglich ein Theil des Grundeigenthums Antiatern
blieb , obgleich nicht ſo viel noch dasjenige welches je-
der fruͤher beſeſſen hatte . Denn auch fuͤr den Theil der
nicht an roͤmiſche Coloniſten kam , war die Theilung
und Aſſignation eine Separation durch das Loos . Ve-
litraͤ ward ſehr hart behandelt : die Mauern der Stadt
wurden eingeriſſen , der Adel uͤber die Tiber verbannt ,
ihre Guͤter eingezogen , und an roͤmiſche Coloniſten ver-
theilt : wahrſcheinlich die Domaine der Republik Veli-
traͤ , die nach altem Recht im Beſitz ihrer Patricier
war . Tibur und Praͤneſte verlohren einen Theil ihrer
Landſchaft .
Allen latiniſchen Voͤlkern wurden Landtage unter-
ſagt , und das Recht guͤltiger Ehen und Landeigenthum
zu erwerben auf die Buͤrger jeder einzelnen Stadt be-
ſchraͤnkt Das ganze Grundgeſetz bey Livius VIII. c. 14 . . So konnte ſich nicht nur keine Vereini-
gung durch Beſchluß der Regierungen bilden , Empoͤ-
rungen , wenn ſie vorfielen , waren nur tumultuariſche
Bewegungen : allmaͤhlich wurden ſich die Orte fremd ,
und , wie es unter benachbarten Gemeinden geht ſobald
ſie ſich von einander entfernen , feindſelig : in einer
Stadt die in Verfall gerieth konnte kein fremder La-
tiner die im Werth ſinkenden Grundſtuͤcke kaufen ; ſie
kamen in die Haͤnde roͤmiſcher Buͤrger Es ſollte uͤberfluͤſſig ſeyn , iſt es aber vielleicht nicht , daß
der Geſchichtſchreiber welcher die tiefberechnete Zweckmaͤßig-
keit ſolcher Verfuͤgungen erklaͤrt ſich gegen die Beſchuldi-
gung verwahre daß er ſie mit Wohlgefallen entwickle . Ich
bin wohl weit entfernt Roms Entſcheidung uͤber der Latiner
Loos edel und großmuͤthig , und ſeine Sache in dieſem Kriege
gerecht zu finden : aber moraliſche Betrachtungen ſind muͤßig :
es hat keine Gefahr daß der Leſer partheyiſch fuͤr Rom ſey .
Das Mitgefuͤhl mit dem Ungluͤcklichen iſt eine ganz andre
Sache : und das gebuͤhrt den Latinern . .
Kapua , Kumaͤ , Sueſſula , Fundi und Formiaͤ wur-
den roͤmiſche Municipien , aber ohne Stimmrecht Nach Vellejus I. c. 14. erhielten Kapua und ein Theil
der Samniter vier Jahre ſpaͤter , 421 , das Buͤrgerrecht .
Die Erwaͤhnung der Samniter iſt raͤthſelhaft . .
Das alte latiniſche Buͤndniß war vernichtet : und die
Latiner dienten nun mit abgeſonderten Contingenten außer
den Legionen , mit den Hernikern und den Volſkern .
Ein ſolches Contingent fuͤhrte den Nahmen Cohorte ,
der nachher in der Marianiſchen Taktik eine Zeitlang
große Bedeutung hatte . Das unterſchied die Latiner
und die Italiſchen Bundesgenoſſen , daß dieſen , groͤßten-
theils , ihre Verpflichtungen durch Vertrag beſtimmt wa-
ren , jenen durch einſeitiges Geſetz : viel fehlte daran
daß ſie , obgleich den Roͤmern verwandt , groͤßere Rechte
genoſſen haͤtten .
Die Geſetze des Dictators Q. Pu-
blilius .
Der Conſul Ti . Aemilius , im Jahr 416 , war mit
dem Senat entzweyt , und ernannte , als ihm vorgeſchrie-
ben ward den Befehl der Armee einem Dictator zu uͤber-
geben , Q. Publilius Philo , einen heftigen Plebejer , aus
dem Geſchlecht , und vielleicht einen Nachkommen des
Volkstribunen Volero , durch den die Gemeinde der Tri-
bus ein Zweig der Geſetzgebung geworden war .
In dieſer Wuͤrde berechtigt die Centurien zu ver-
ſammeln , und maͤchtig den Widerſpruch der Ariſto-
kratie zu uͤberwinden , fuͤhrte Q. Publilius drey Ge-
ſetze durch , welche die neue Verfaſſung zur Vollendung
brachten .
Die Theilung der hoͤchſten Gewalten zwiſchen beyden
Staͤnden ward durch das erſte auch auf die Cenſur mit
gleicher Nothwendigkeit ausgedehnt . Ein zweytes hob
das Veto der Curien in der Geſetzgebung auf , und erhielt
nur zum Andenken eine vorlaͤufige Genehmigung des Be-
ſchluſſes den die Centurien faſſen wuͤrden Livius VIII. c. 12 . Ut legum quæ comitiis centuriatis
ferrentur ante initum suffragium Patres auctores fierent . ; eine Foͤrm-
lichkeit die nachher als ganz unbedeutend aufgehoͤrt zu ha-
ben ſcheint . Fuͤr die Wahlen blieb die Abſtimmung der
Patricier noch ein halbes Jahrhundert laͤnger , und bis
ſich die neue Nobilitaͤt voͤllig gebildet hatte . Bey dieſen
naͤmlich hatte der Senat ſchon laͤngſt keine Stimme mehr ,
waͤhrend Geſetze den Centurien nur in Gemaͤßheit ſeines
Beſchluſſes vorgeſchlagen werden konnten ; der Senat aber ,
nothwendig damals noch immer in einer weit uͤberwie-
genden Mehrheit aus Patriciern beſtehend , repraͤſentirte
hier ihren bisher in dieſem Fall zwiefach entſcheiden-
den Stand .
Der Sinn des dritten Geſetzes , welches die Plebiſcite
fuͤr alle Buͤrger verbindlich machte , iſt ſchon in einer Un-
terſuchung der drey Geſetze die daſſelbe verfuͤgt zu haben
ſcheinen , eroͤrtert Oben Th. II. S. 150 . : es iſt bemerkt worden daß die Ge-
nehmigung oder die Initiative des Senats nicht aufgeho-
ben , wahrſcheinlich aber eine einfachere Form anſtatt der
Beſchluͤſſe der Centurien fuͤr Gegenſtaͤnde der Verwaltung
eingefuͤhrt ward , die fruͤher den Tribus nicht vorge-
legt wurden .
Alſo ward damals die Verfaſſung vollendet , die in-
nere Zwietracht verbannt , ein ſchnell ausgebreiteter weit-
laͤuftiger Staat dauerhaft gegruͤndet , und eine weit glaͤn-
zendere Zukunft vorbereitet : es begann jenes goldene Zeit-
alter der roͤmiſchen Tugend und Heldengroͤße , welches
die erwachende Aufmerkſamkeit der Griechen auf das
Wie es erwieſen iſt daß die Sanction der Patres bey den
Wahlen von den Patriciern und den Curien zu verſtehen iſt ,
ſo kann es auch hier nur auf dieſe , nicht auf den Senat bezo-
gen werden .
maͤchtig emporwachſende Barbarenvolk mit ehrerbietiger
Bewunderung erfuͤllte : ein Zeitalter welches die Welt nur
einmal geſehen hat , und zu dem ſchon der cenſoriſche Cato
als aus der Mitte eines entarteten Geſchlechts wehmuͤthig
hinaufblickte .
Anhang .
I.
Beylagen zum erſten Theil .
W as ſich an den Reſultaten meines erſten Theils uͤber
die roͤmiſche aͤlteſte Verfaſſung und ihre Erweiterung , ab-
zuaͤndern gefunden hat , iſt in den Anmerkungen dieſes
Bandes bemerkt worden . Dieſe Berichtigungen ſind kein
Widerruf der aufgeſtellten neuen Anſichten , ſondern viel-
mehr bewaͤhren ſie ihre Wahrheit noch mehr ; denn ſie ſind
buͤndig erwieſen , und heben Inconſequenzen , die ich fruͤ-
her lieber unaufgeloͤſet beſtehen laſſen , als ſcheinbar be-
ſtimmte Zeugniſſe verwerfen wollte . Beſtaͤtigende und
erlaͤuternde Stellen behalte ich andern Veranlaſſun-
gen vor .
Eine Menge Zuſaͤtze haͤufen ſich fuͤr jede mythiſche
Geſchichte ; und wenn der Stoff der roͤmiſchen in ihren
Quellen ohne Vergleich duͤrftiger iſt als der griechiſchen ,
ſo geraͤth die Nachleſe wegen ihrer gaͤnzlichen Verſaͤu-
mung bey der erſten Bearbeitung um ſo reichlicher . Aus
dieſer ſcheint es mir nicht uͤberfluͤſſig ſchon jetzt einiges ein-
zeln herauszuheben .
1.
Romulus , Aeneas Enkel .
Naͤvius und Ennius wußten nichts von albaniſchen
Vorfahren der Gruͤnder der Stadt : Ilia , auch bey die-
ſen Dichtern ihre Mutter , war , nach ihnen , Aeneas Toch-
ter . Ennius erzaͤhlte , Amulius von Alba habe ſie in den
Strohm ſtuͤrzen laſſen : es iſt ungewiß ob er die Tiber oder
den Anio nannte : der Flußgott habe ſie errettet und ſich
vermaͤhlt . ( Servius , ergaͤnzt aus dem Cod. Fuld . ad
Aeneid. I. v. 274. und VI. v. 778. Schol. zu Horaz
Carm. I. 2 . Auch erklaͤrt ſich hieraus in dem Enniani-
ſchen Fragm. p. 124. ed. Hessel . Post ex fluvio for-
tuna resistet . ) Sonſt aber fand ſich in ſeinem Gedicht
die einheimiſche Sage von der Knaben goͤttlicher Erzeu-
gung und wunderbarer Ernaͤhrung ( Serv. ad Aeneid.
VIII. v. 630. ) ; und dieſe ſcheint ſo unzweydeutig allgemei-
ner Nationalglaube geweſen zu ſeyn , daß man jener ande-
ren roͤmiſchen Erzaͤhlung ( bey Dionyſius I. c. 73. ) ohne
Bedenken den Charakter der Aechtheit und des Alterthums
abſprechen kann , welche Romulus und Remus zwar auch ,
der Chronologie zum Trotz , an Aeneas Zeit , als ſeine
Enkel , hinaufruͤckt , aber von ihnen nichts als proſaiſche
Hiſtorie weiß .
Jene Poeten des ſechſten Jahrhunderts , beſonders
Ennius , ein Halbgrieche und gar kein Fremdling in der
Litteratur , haͤtten wohl leicht die einheimiſchen Sagen zur
Uebereinſtimmung mit der Chronologie des Eratoſthenes
und Timaͤus gekuͤnſtelt : daß ſie von ihr ſich entfernt haben
ſollten wenn es die alte Dichtung nicht gebot , oder gar
eine Annaͤherung zeigte , iſt gar nicht denkbar . Wohl
aber mußten ſpaͤtere Proſaiker ſo verfahren , welche , rech-
nend , der unermeßlichen Kluft inne wurden die Roms
Gruͤndung nach den Faſten , von Trojas Zerſtoͤrung nach
den griechiſchen Chronologen , trennte .
Amulius muß nach dieſer Sage dem Geſchlecht des
Aeneas fremd , oder ſein Sohn geweſen ſeyn : wahrſchein-
licher jenes . Ilia redet in dem Ennianiſchen Fragment
von einer Schweſter , die allen uͤbrigen Erzaͤhlungen unbe-
kannt iſt : man moͤchte auch mit Beſtimmtheit vermuthen
daß ſie dort nicht Veſtalin war , welches nur in der Ge-
ſchichte von Amulius und Numitor weſentlich iſt . Daß
Fabius Pictor dieſe aus einer fremden Bearbeitung der
vaterlaͤndiſchen Sage entlehnte , moͤchte ich jetzt nicht
laͤugnen , ſo gewiß auch der Grieche , wer er geweſen ſeyn
mag , Mars den Erzeuger , die ungluͤckliche Mutter und
die ſaͤugende Woͤlfin aus altroͤmiſcher Dichtung empfing .
2.
Die Urſtadt .
Nach Briefen aus Rom ſind bey dem Aufraͤumen der
Arena des Coloſſeum , unter deren ehemalige Flaͤche man
gegraben hat , auch Reſte einer cyklopiſchen Mauer an das
Licht gekommen . Ihre Richtung iſt leider nicht angege-
ben , vermuthlich wird es ſich zeigen daß ſie der Roma
quadrata angehoͤrte , obgleich es ſonderbar ſcheint daß
ſie hier im tiefen Thal gezogen war . Dieſe Bauart
zeugt fuͤr ein Alter der Stadt weit uͤber unſere Zeit-
rechnung hinaus , und auf ein verſchwundenes Volk al-
ter Einwohner .
Nahe und fern um Rom hatte jede Feldmark ihren
Nahmen von der Stadt der ſie angehoͤrte , ſo der ager
Tusculanus , Lavicanus , Albanus . Wie dieſer letzte
ſeine Benennung bewahrte obwohl die Stadt zerſtoͤrt war ,
und ihr Andenken erhielt , ſo deutet auch der Nahme des
Ager Vaticanus auf eine Stadt Vaticum oder Vatica ,
die einſt in ſeinem Umfang geſtanden haben muß , deren
laͤngſt vertilgtes Daſeyn keiner unſerer Autoren ahndet .
Haͤtte doch Plinius ( H. N. XVI. c. 87. ) die erklaͤrten
Worte jener etruskiſchen Inſchrift gegeben welche , mit
ehernen Buchſtaben an einer heiligen Eiche in der vatica-
niſchen Feldmark befeſtigt , aͤlter geweſen ſeyn ſoll als
Roms Gruͤndung !
Cascus , ſagt man , heißt alt , und daher Casci po-
puli , wie Ennius die aͤlteſten Bewohner Latiums nannte ,
nur ſo viel als die alten Voͤlker . Er aber hat es offen-
bar als einen eigenthuͤmlichen Nahmen der uralten Na-
tion gebraucht ( ſ . die angefuͤhrten Stellen bey Columna
p. 14. ed. Hessel . ) — man vergleiche als Volksnahmen
mit gleicher Endung Tusker , Casker , Osker — und
man benannte vielmehr das Uralte nach ihrer Zeit , wie
wir das Altgeſtaltete gothiſch oder altfraͤnkiſch nennen .
Waͤre es nicht wohl angemeſſen jenes nahmenloſe verſchol-
lene Volk ſo zu benennen welches die cyklopiſchen Staͤdte
gruͤndete , und dieſe caskiſch ?
3. Servius
3.
Servius Tullius und Caͤles Vibenna .
Die glaͤubigſten Anhaͤnger der Meinung von einer
angeblichen eigentlichen Geſchichte der aͤlteſten Zeiten
Roms koͤnnten uns die Aufforderung nicht abſchlagen
etruſkiſchen Geſchichtsbuͤchern die Entſcheidung zu uͤberlaſ-
ſen , wenn ein wunderbarer Gluͤcksfall ſie uns in einer
verſtaͤndlichen Sprache verſchaffte . Denn ſie muͤſſen ein-
raͤumen , daß Etrurien eine weit aͤltere Litteratur als
Rom hatte , und daß die aͤlteſten roͤmiſchen Schrift-
ſteller den juͤngſten etruſkiſchen in der Zeit nur gleich
geſtanden haben koͤnnen .
Es hat ſich aber in der That eine Nachricht von
dem erhalten was jene Hiſtorien uͤber einen bey den
Roͤmern ſehr beſtimmt ausgebildeten Theil ſogar der
ſpaͤteren koͤniglichen Geſchichte meldeten , welche zur Ent-
ſcheidung genuͤgt ; indem es darnach unwiderſprechlich
iſt daß die etruſkiſchen Annalen uͤber die roͤmiſchen Koͤ-
nige eine mit der unſrigen ſchlechterdings unvereinbare
Geſchichte enthielten . Sie findet ſich in den Fragmen-
ten der Rede des Kaiſers Claudius uͤber die Aufnahme
vornehmer Gallier in den Senat , welche ſeit Lipſius
nicht ſelten mit Tacitus Werken gedruckt ſind , aber wohl
ſelten einen Leſer finden . Das ſollte nicht ſeyn , ſchon
wegen ihrer litterariſchen und pſychologiſchen Merkwuͤr-
digkeit , woruͤber zu reden hier freylich der Raum nicht
erlaubt . Noch wichtiger aber iſt ihr hiſtoriſcher In-
halt , und es iſt unmoͤglich nach ihnen den Verluſt der
Zweiter Theil. L l
Schriften , beſonders der tyrrheniſchen Geſchichte , des un-
gluͤcklichen gemuͤthskranken Fuͤrſten nicht eben ſo ſehr
als den der herrlichſten Meiſterwerke zu beklagen ; ob-
wohl man auch denen verzeihen muß , die , fuͤr die Ge-
ſchichte ganz verſchwundener Zeiten gleichguͤltig , Buͤ-
cher untergehen ließen die ohne Zweifel eben ſo ſehr als
jene Rede die Geiſteskrankheit ihres Verfaſſers ver-
riethen .
Claudius beginnt vom Urſprung der Stadt herzu-
zaͤhlen wie oft die Verfaſſung geaͤndert , wie das Buͤr-
gerrecht und die Souverainetaͤt ausgedehnt , und wie
ſchon die Koͤnigswuͤrde auch Fremden mitgetheilt ſey .
Nachdem er nun die gewoͤhnliche Erzaͤhlung von Ser-
vius Tullius niedriger Geburt wiederholt hat , faͤhrt er
fort : Alſo ſagen unſere Annalen ; folgen wir aber den
Etruſkern ſo war er der treuſte Gefaͤhrte des Caͤles
Vibenna , und theilte alle ſeine Schickſale . Zuletzt ,
durch mancherley Ungluͤck uͤberwaͤltigt , raͤumte er Etru-
rien mit den Ueberreſten des caͤlianiſchen Heers , zog
nach Rom , und nahm dort den Berg Caͤlius ein , den
er nach ſeinem ehemaligen Feldherrn benannte . Er
ſelbſt vertauſchte den tuſkiſchen Nahmen Maſtarna mit
dem roͤmiſchen , erlangte die Koͤnigswuͤrde , und beklei-
dete ſie fuͤr den Staat hoͤchſt erſprießlich .
Ich zweifle kaum daß dieſes wahre Geſchichte iſt :
wir koͤnnen ſie aber nicht aufnehmen weil ſie die Ein-
heit der Gedichte von der Koͤnigszeit zerreißt . Wenn
wir aber in Servius den Anfuͤhrer eines in ſich ver-
bundenen Heers ſehen , welches zu Rom , vielleicht un-
ter ſehr guͤnſtigen Bedingungen , Aufnahme fand , ſo
verbreitet ſich ein neues Licht uͤber ſeine ganze Geſetz-
gebung . Die Landanweiſung ſorgte fuͤr ſeine Begleiter ;
die militariſche Conſtitution wird noch erklaͤrlicher , und
die Zahl der Centurien der erſten Klaſſe kann nicht mehr
auffallen , wenn man die Wahrſcheinlichkeit zugiebt daß
der Feldherr ſeine Linienſoldaten darin aufnahm , ohne
von ihnen den vorgeſchriebenen Cenſus zu fordern : von
den beyden Erforderniſſen , Vermoͤgen und Waffen , hat-
ten ſie das letzte . Es erklaͤrt ſich dann auch auf eine
weit weniger verhaßte Weiſe die Verſchwoͤrung der Pa-
tricier gegen ihn , und die Revolution welche ihn ſtuͤrzte .
Caͤles Vibenna ſcheint der Anfuͤhrer eines fuͤr ſich
beſtehenden , keinem etruſkiſchen Staat angehoͤrenden
Heers geweſen zu ſeyn , mit dem er ſich ein Reich zu
gruͤnden verſuchte , aber in dem Unternehmen nach viel-
fachem Gluͤckswechſel unterlag . Nach dieſer etruſkiſchen
Nachricht hat er ſelbſt Rom nicht mehr erreicht . Die
Kunde von ihm , und der Niederlaſſung der Seinigen auf
dem Caͤlius , und daß dieſer nach ihm benannt ſey , iſt
bey den Roͤmern nicht ganz untergegangen , obgleich ſie
aus dem Gedicht entfernt war deſſen Inhalt Livius er-
halten hat . Nach dieſem ward der Caͤlius den Albanern
angewieſen . Die ungeſtoͤrte dichteriſche Conſequenz ſei-
nes erſten Buchs gehoͤrt eben zu deſſen hohen Schoͤn-
heiten , aber in einzelnen Notizen Varros und der Gram-
matiker fließt allein , eine zwar hoͤchſt getruͤbte und ver-
faͤlſchte , doch vielleicht auf vielen Umwegen aus tuſki-
ſchen Quellen abgeleitete hiſtoriſche Wahrheit .
L l 2
Nach ihnen wohnte Caͤles ſelbſt mit den Seinigen zu
Rom . Er kam dorthin nach Varro ( de L. L. IV. c. 8. )
und Dionyſius ( II. c. 36. ) in Romulus ſabiniſchem
Kriege : nach Tacitus ( Annal . IV. c. 65. ) , der die Wi-
derſpruͤche der Annalen bemerkt , unter Tarquinius Pris-
cus . Beyde Erzaͤhlungen ſagen daß Rom ihn mit ſeiner
Macht zu Huͤlfe rief . Feſtus hat einmal die erſte ( s. v.
Cælius mons ) : an einer andern Stelle die zweyte , hier
macht er aus Caͤles und Vibenna zwey Bruͤder die L. Tar-
quinius nach Rom gefolgt waͤren , ( s. v. Tuscus vicus :
wo man anſtatt secum , secuti leſen muß ) .
II.
Ueber die Agrimenſoren .
Ich habe in der Unterſuchung uͤber das agrariſche
Recht nicht ſeltenen und nicht geringen Gebrauch von den
Schriften und Fragmenten uͤber die Feldſcheidekunſt ge-
macht ; deren Sammlung wenigſtens in der juͤngſten der
drey verſchiedenen Ausgaben des ſechszehnten und ſieb-
zehnten Jahrhunderts , von denen jede der ſpaͤteren neue
Zuſaͤtze aus Handſchriften enthaͤlt , keineswegs zu den lit-
terariſchen Seltenheiten auch gewoͤhnlicher Privatbiblio-
theken gehoͤrt : wohl aber , wie ſchon bemerkt worden ,
unbekannter iſt als irgend ein anderes Werk der profanen
alten Litteratur . Es lautet kaum glaublich daß ſie in
litterariſchen Werken unter die uͤber den Ackerbau geſtellt
iſt ; und wenn einzelne Citate anzudeuten ſcheinen daß
dieſe Schriften in der juͤngſten Zeit etwas weniger verachtet
wurden , ſo ſieht man doch klar daß ſie noch immer ein
verſchloſſenes Raͤthſelbuch ſind , worin man nur die ein-
zelnen abgeſondert verſtaͤndlichen Stellen beachtet , der-
gleichen ſich ſelbſt in cabbaliſtiſchen Buͤchern finden .
Mich haben dieſe Schriften aus mehreren Urſachen
mit einem eigenthuͤmlichen Reiz angezogen . Den aͤußert
ſchon an ſich alles Raͤthſelhafte und Schwierige : und
da ſie , wo ich ſie einigermaßen verſtehen lernte , mir lehr-
reich wurden , ſo erwachte das Gefuͤhl der Dankbarkeit
welches auch fuͤr verſaͤumte Schriften eine beſonders leb-
hafte Theilnahme erregt . Wir verlieren uns in einem
Bilde von Roms Schickſalen und der Umgeſtaltung Ita-
liens , wenn wir in dieſen ſonderbaren Fragmenten ein
Bruchſtuͤck der Schrift eines etruſkiſchen Aruſpex aus
dem fuͤnften Jahrhundert der Stadt finden , anderswo
einen Ingenieur reden hoͤren welcher Trajan bey der Er-
oberung Daciens diente , und die Hoͤhe der Siebenbuͤrger
Alpen maß , und endlich , in der juͤngſten der verſchiede-
nen Sammlungen , Auszuͤge aus einem Buch des wei-
ſen , ſein Zeitalter unterrichtenden Pabſtes Gerbert , vom
Schluß des zehnten Jahrhunderts unſerer Zeitrechnung ,
antreffen . Alle Zeiten des roͤmiſchen Nahmens ſtehen
hier neben einander : die alte Aruſpicin und Religion ,
und das Chriſtenthum : Plebiſcite und Titel aus dem theo-
doſianiſchen Geſetzbuch und den Pandecten : uraltes La-
tein , und das beginnende Italieniſche des ſiebenten Jahr-
hunderts . Der Ort wo die Sammlung gemacht ward ,
die Zeit in der ſie entſtand , ſind ein Raͤthſel ; und wenn
wir es loͤſen , ſo finden wir uns zu Rom in dem Zeitalter
wo die gefallene Hauptſtadt mit dem allerdichteſten
Schleyer verhuͤllt iſt .
Einige allgemeine , das Verſtaͤndniß dieſer Schriften
erleichternde Bemerkungen , werden alſo auch hier zuge-
laſſen werden koͤnnen : denn was an ſich wichtig iſt wird
beſſer an einem auch nicht ganz paſſenden Ort aufgenom-
men als ganz uͤbergangen werden . Ich wuͤnſche daſſelbe
Intereſſe an der Sache in Anderen zu erregen . Denn mir
fehlt was zum voͤlligen Verſtaͤndniß der juͤngeren Frag-
mente unentbehrlich iſt : ich war nie in Italien , wo ohne
Zweifel , beſonders in der Campagna , unbeachtet von
Reiſenden und ſelbſt von Einheimiſchen , eine Menge
Eigenthuͤmlichkeiten der Feldſcheidekunſt und der Bezeich-
nung der Graͤnzſteine bis auf den heutigen Tag fortge-
dauert haben werden , wodurch ſich das unverſtaͤndlichſte
dieſer Buͤcher von ſelbſt erklaͤren wuͤrde . Von Handſchrif-
ten iſt wenig Heil zu erwarten : denn die erſten Ausgaben
ſind nach uralten gemacht , andere ſind bey ihnen vergli-
chen , und haben eine ſehr geringe Ausbeute gegeben : die
entſetzliche Verwirrung des Textes iſt aͤlter als jede die
moͤglicherweiſe erhalten ſeyn kann : doch auch dieſe Huͤlfe ,
welche mir ganz fehlt , muͤßte zu einer kritiſchen Ausgabe
vorhanden ſeyn .
Das Geſchaͤft der roͤmiſchen Agrimenſoren betraf
Vermeſſung und Theilung von Feldmarken deren Aſſigna-
tion beſchloſſen war , — wovon die Charte im kaiſerlichen
Archiv , eine Copie in dem der Colonie niedergelegt ward
— Vermeſſung und Kataſtrirung von formloſen Laͤnde-
reyen fuͤr den Staat , gewoͤhnliche Feldmeſſung fuͤr den
Eigenthuͤmer , Erhaltung und Entdeckung der Graͤnzen
der aſſignirten Fundi Man moͤchte vielleicht gegen die oben S. 392. aufgeſtellte
Vermuthung daß die aſſignirten Fundi unveraͤnderliche Ein-
heiten waren , l. 1. C. fin. regund . und l. 12. D. eod. an-
fuͤhren , deren letzte im Edict. Theodor. §. 105. aufgenom-
men iſt : ich glaube aber daß dieſe nicht nur ohne Zwang
auf den Ager arcifinius allein bezogen werden koͤnnen , ſon-
dern daß ſolche Erklaͤrungen nur da abgegeben werden konn-
ten wo es eine bedeutende Klaſſe von Laͤndereyen gab de-
nen das Gegentheil eigenthuͤmlich und nothwendig war . , ihre Bezeichnung auf dem form-
loſen Lande , und die Kunſt mit Huͤlfe der Grundriſſe und
eigenthuͤmlicher Zeichen jede unrechtmaͤßige Veraͤnderung
der Graͤnzen zu entdecken : endlich mußten ſie auch von
dem Graͤnzrecht und den bey laͤndlichem Eigenthum vor-
fallenden Controverſen unterrichtet ſeyn , wo ſie theils mit
richtender Gewalt , theils als Kunſtverſtaͤndige ſehr haͤu-
fig beauftragt wurden .
Sie bildeten im ſinkenden Reich einen zahlreichen
und angeſehenen Stand , dem Theodoſius der juͤngere den
Titel und Rang der Spectabilitaͤt gewaͤhrte : ihre Muͤhe
ward durch eine vom Staat feſtgeſetzte ſehr reichliche Re-
muneration belohnt . Sie hatten foͤrmlich eingerichtete
Schulen , nicht weniger als die Rechtsgelehrten , und
ſchon den Studirenden war das Clariſſimat verliehen .
( Theodoſius und Valentinian p. 343. ed. Goësii . )
Es gab der Schriften uͤber den nicht mathematiſchen
Theil ihrer Kunſt eine große Menge , und aus dieſen
ward , vielleicht um die Zeit der theodoſianiſchen Geſetzge-
bung , eine weitlaͤuftige Sammlung gemacht , deren zwoͤlf-
tes Buch in der unſrigen angefuͤhrt wird ( Ueberſchrift
p. 220. vergl. mit Rigaltius Anm. p. 276 . not . Arca-
dius p. 259. ed. G. ) . Dieſe aber enthielt nun nicht bloß
wiſſenſchaftliche Abhandlungen wie die des Frontinus ,
Hygenus ( denn ſo leſen die Handſchriften unveraͤnder-
lich ) , ſondern auch die Geſetze welche die Gegenſtaͤnde
der Kunſt betrafen , und eine Menge Specialberichte uͤber
Aſſignationen und Limitationen , und Grundriſſe aufgenom-
mener Landſchaften mit ihren begleitenden Berichten .
Aus ſolchen beſteht der groͤßte Theil der kleinen Frag-
mente . Ein Schriftſteller ihrer Zunft ſcheint von ihnen
vorzugsweiſe Auctor genannt zu ſeyn .
Der Sinnesart jenes Zeitalters war es angemeſſen
daß die ſpaͤteren Agrimenſoren , wovon die des zweyten
Jahrhunderts noch gar nichts gewußt zu haben ſcheinen ,
eine große Kuͤnſtlichkeit in der Form und Bezeichnung der
Graͤnzſteine erfanden , welche ihre urſpruͤngliche Stellung
bey jeder Verruͤckung kenntlich machen ſollte : ſo wie ſie
auch mit wohl noch groͤßerer Muͤhſeligkeit eine Symbolik
ausſannen , um weitlaͤuftige Charten zu erſparen . Dieſe
letzte wird uns immer ganz unverſtaͤndlich bleiben . Alles
war in ihre Pandecten aufgenommen , und dieſe waren es
ohne Zweifel welche von den Lehrſtuͤhlen erklaͤrt wurden :
ſie wuͤrden uns , wenn ſie vollſtaͤndig erhalten waͤren , gar
nicht ſchwer auszulegen ſeyn .
Der Barbarey und der Armuth , die ſich ſchon mit
dem fuͤnften Jahrhundert uͤber Italien verbreiteten , und
bereits vor dem Ende des ſechſten die hoͤchſte Stufe erreich-
ten , waren weitlaͤuftige Werke eine unnuͤtze und beſchwer-
liche Laſt . Ein Zeitalter welches keine tuͤchtige Schriften
hervorbringen kann , vermag auch nicht Buͤcher zu leſen .
So war es damals : es iſt als ob die Faͤhigkeit zu ergruͤn-
den und zu entwickeln in jenen ungluͤcklichen Jahrhunder-
ten ganz verſchwunden geweſen waͤre . In dem geheim-
nißvollen Wuͤrken des Geiſtes welches im Lauf des Lebens
die Gedankenwelt ſchafft die unſer eigentlicher Reichthum
iſt , koͤnnen wir wenigſtens die lebensvollen , vor dem an-
ſchauenden Nachſinnen aufkeimenden und ſich entfaltenden
Ideen , ſey es daß wir ſie unmittelbar bilden oder daß ſie
von Andern auf uns hinuͤbergehen , von denen ſehr be-
ſtimmt unterſcheiden welche leblos , nur unter der aͤußern
Huͤlle der ſie bezeichnenden Worte , beſtehen . Wie nun
die Gewohnheit die Ideen von der aͤußeren Seite zu be-
handeln die Kraft ihr Leben zu wecken gefaͤhrdet , und ſo-
fern das Wortgedaͤchtniß nicht mit Unrecht als bedenklich
verrufen iſt , ſo giebt es Nationen und Zeitalter welche
nur einer aͤußerlichen Verbindung derſelben faͤhig ſind :
denen ihre Belebung verſagt zu ſeyn ſcheint . Man muß
dies von den Morgenlaͤndern eingeſtehen , und es iſt eben
ſo gewiß von den Jahrhunderten welche vom Verfall
Roms bis zur Wiederbelebung Italiens verfloſſen . Das
zeigt ſich in den zeichnenden Kuͤnſten , welche , mit einer
merkwuͤrdigen Uebereinſtimmung zwiſchen den Geſtalten
der Kunſtwerke jener Zeit und denen welche noch jetzt die
perſiſchen und indiſchen Mahler hervorbringen , auch bey
ſorgfaͤltiger Behandlung leblos und unnatuͤrlich ſind : es
zeigt ſich in der Unfaͤhigkeit in den Wiſſenſchaften uͤber
den Begriff des unmittelbar vorliegenden hinauszugehen .
Das Zeitalter worin Gloſſatoren entſtehen konnten welche
die Rechtsbuͤcher durch unaufhoͤrliche Vergleichungen aus
ſich ſelbſt erklaͤrten , hatte den entſcheidenden Schritt aus
der Barbarey gethan , und ſtand ſchon in der Geiſtesfrey-
heit wovon Italien zur Poeſie und zu den Wundern der
Kuͤnſte fortgehen konnte .
Ein muͤndlicher Unterricht erhielt ſich noch uͤber die
Agrimenſur in jenem Elend der Barbarey , und fuͤr den
wurden kuͤrzere Werke gebraucht . Nicht zuſammengezo-
gene Syſteme , denn das Zeitalter hatte kein Beduͤrfniß fuͤr
ſie , ſondern Werke worin ein Theil des zu lehrenden vor-
kam . Muͤndliche Tradition mochte einiges ergaͤnzen was
ſich nicht in ihnen fand . Gerade ſo ſtand es mit dem Recht .
Damals iſt der Auszug jener alten Sammlung ver-
faßt worden welchen wir haben . Die Zunft der Landmeſ-
ſer dauerte fort , ihre Kunſt ward in allen Theilen Ita-
liens gebraucht welche der griechiſchen Herrſchaft und den
roͤmiſchen Geſetzen unterworfen blieben . Die Untertha-
nen der Longobarden verlohren freylich nicht nur ihre Ge-
ſetze , ſondern der Vertilgungskrieg uͤbertrug faſt allent-
halben das Eigenthum an Barbaren die ſich neue Graͤn-
zen ſetzten . Aber das Exarchat , das roͤmiſche Gebiet , ein
großer Theil von Suͤditalien und Sicilien blieben in der
Verfaſſung die ſie unter Juſtinian empfangen hatten .
Die rohe Unwiſſenheit der Zeit iſt ſichtbar in jedem
Theil der Sammlung . Ihr Verfaſſer muß ein ſehr ver-
worrenes Exemplar vor ſich gehabt haben , worin Blaͤt-
ter der verſchiedenſten Tractate vermiſcht waren , andere
faͤlſchlich in mehrere getrennt ſchienen . Er arbeitete bey
der Compilation nach der Sitte ſeines Zeitalters ; ge-
woͤhnlich abſchreibend , verkuͤrzend durch Weglaſſung ,
ſelten einmal nur zuſammenziehend oder wieder ergaͤn-
zend ; denn die Latinitaͤt der Aelteren iſt nur aͤußerſt
einzeln durch eingeſchobene Worte der ſpaͤteren Sprache
verderbt . Das iſt klar daß er ſelbſt bey den ganz zer-
ruͤtteten Stellen ſich nichts gedacht haben kann .
Ohne muͤndlichen Unterricht wuͤrde das Ganze auch
den damaligen Landmeſſern unbrauchbar geweſen ſeyn :
man begreift es daß dieſer das Nothwendige verſtaͤnd-
lich machte .
Das Beduͤrfniß der Agrimenſoren war aber zwie-
fach : der Feldmeſſer brauchte einen Unterricht in der
Geometrie , wonach er die vorkommenden Probleme me-
chaniſch aufloͤſen konnte : andere , welche ſich eigentlich
nur dem Geſchaͤft und Myſterium der Graͤnzſcheidekunſt
widmeten , bedurften mehr die rechtlichen Kenntniſſe und
die Symbolik . Dadurch erklaͤrt es ſich wie jene zwey theils
von einander ganz verſchiedene , theils uͤbereinſtimmende
Sammlungen entſtanden ſind , welche ſich in den uralten
Handſchriften finden , ſeit Rigaltius im Druck zuſammen-
geworfen ſind : wobey es ſich aus der Planloſigkeit des Zeit-
alters leicht erklaͤrt daß die fuͤr den Feldmeſſer beſtimmte
dennoch einiges enthaͤlt was den Graͤnzſcheider eigen-
thuͤmlich betrifft , und doch in ſeiner Sammlung fehlt :
wie die aͤchten Fragmente des Frontinus , theils unter
ſeinem eigenen Nahmen , theils unter denen die ihn
verſtecken .
Wir wollen jene Sammlung , deren Haupturkunde
der Codex Arcerianus iſt , die erſte , die welche Turnebus
herausgegeben hat , die zweyte nennen . Das Zeitalter
zu beſtimmen worin jene verfaßt iſt , fehlen uns die
Kennzeichen , welche fuͤr die zweyte die Zeit uͤber die ſie
nicht hinausgeſetzt werden kann unzweydeutig angeben ,
da ſie ſich groͤßtentheils in Schriften finden welche die erſte
entweder nie , oder auf den am Anfang und Schluß
verlohrnen Blaͤttern hatte . Dahin gehoͤrt die um die
Grammatik gekommene Sprache , wie de latus se ( an
ſeiner Seite ) und die Nominative Frusinone , Formias ,
Puteolis ( wie bey dem h. Gregorius Fundis , Liparis ) :
oder ſolche Worte als fontana , branca , casale , cam-
pania , cambiare , de sub , flumicellus , monticellus .
Der Pandectentitel den drey Handſchriften enthielten ,
von denen wenigſtens zwey uralt waren , verbietet uns
uͤber die Mitte des ſechſten Jahrhunderts : das Excerpt
aus Iſidors Origines ( p. 290. ed. G. ſ . Rigaltius not . )
bis an den Anfang des ſiebenten zuruͤckzugehen .
Dieſem Jahrhundert aber glaube ich ſie mit großer
Wahrſcheinlichkeit zuſchreiben zu koͤnnen , und Rom als
den Ort wo ſie verfaßt worden annehmen zu duͤrfen .
Jenes , wegen der ſchon erwaͤhnten Aehnlichkeit der
Sprache mit der des Zeitalters des h. Gregorius und
Urkunden dieſes Jahrhunderts : ſie iſt ganz ruſtik , aber
ſie hat noch nichts germaniſches : dann , weil die wich-
tigſten Handſchriften mit ſehr alter Uncialſchrift geſchrie-
ben waren ( uͤber den Codex Arcerianus ſ . Lipſius Elect.
I. c. 15 . bey Go ë ſius , und Haſe in Bredows Epistolæ
Parisienses , p. 208. ff. , welche ich gerade erhalte da
dieſe Blaͤtter zum Druck gegeben werden ſollten : uͤber
den von St. Omer P. Gallandius in der Vorrede zu
Turnebus Ausgabe , und die Literæ Agrimensorum da-
ſelbſt p. 202. 203. : uͤber den Heidelberger , Rigaltius in
der Vorrede ) . Jene zufaͤllig gegebene Zuͤge der Hand-
ſchrift von St. Omer ſtimmen , das M ausgenommen ,
namentlich in der ſeltneren Geſtalt des B , G , R und S
mit den eben darin eigenthuͤmlichen Papyrusfragmenten
der Pandecten uͤberein , von denen Savigny eine meiſterhaft
treue Abzeichnung beſitzt . Aus dem achten Jahrhundert
giebt es eine ſo ſchoͤne Uncialſchrift wohl nicht mehr .
Endlich weil die Abſchreiber des Griechiſchen voͤllig kun-
dig waren , und zwar nicht bloß in einer , ſondern we-
nigſtens in zwey Handſchriften , der von St. Omer ,
und der des Alciatus . Zu Rom glaube ich ſie verfaßt ,
theils , weil geſagt wird eine Notiz ſey aus dem Archiv von
Albanum genommen ( p. 145. ed. G. ) , theils , weil ſo
gar keine Beziehung auf Ravenna vorkommt wohin man
ſie ſonſt ſetzen muͤßte .
Nur weniges uͤber die aͤlteren Buͤcher der Samm-
lung . Außer Hygenus uͤber die Limitation , der voll-
ſtaͤndig zu ſeyn ſcheint , und der Vorleſung des Agge-
nus Urbicus uͤber den ſogenannten Frontinus , ſind alle
uͤbrige nur Fragmente , und groͤßtentheils ganz zerriſſen .
Bey weitem das ehrwuͤrdigſte iſt das Excerpt aus
Vegoja ( p. 258. ed. G. ) . Es iſt gewiß aus einer Ueber-
ſetzung einer aͤchtetruskiſchen Schrift , die Erwaͤhnung
des achten Saͤculums , welches beynahe das letzte ſey ,
( ob avaritiam prope novissimi octavi sæculi ) beweißt
die Aechtheit nach der etruskiſchen Lehre von den Welt-
altern ( Th. I. S. 91. ) .
Die Schrift welche Rigaltius aus dem Codex Ar-
cerianus unter dem Titel Aggenus de controversiis
gegeben hat , traͤgt dieſen wohl in der Handſchrift : er
aber ſetzte hinzu Pars altera . Sie iſt offenbar unter
Domitian geſchrieben , und , wenn auch entſtellt , doch
ſehr vorzuͤglich und antik . Nun will ich zwar nicht
laͤugnen daß ein Aggenus unter Domitian geſchrieben
haben koͤnnte , obwohl es befremdet daß es einem ſo
aͤußerſt tuͤchtigen Gelehrten wie Rigaltius denkbar ſchien
daß dieſes Fragment , und der elende , des ſchlechteſten
unter den Gloſſatoren wuͤrdige Commentar , von einem
Verfaſſer ſeyn koͤnnten .
Weil aber Frontinus ſo haͤufig als Agrimenſoriſcher
Auctor erwaͤhnt wird , — obwohl ihm , außer zwey Frag-
menten , von denen das eine vorzuͤglich ( p. 215 — 219 )
ſeiner wuͤrdig iſt , das uͤbrige alles faͤlſchlich zugeſchrieben
wird , — weil er unter Domitian die Buͤcher von den Kriegs-
liſten ſchrieb , in denen er von ihm nicht weniger ehrerbie-
tig redet als hier , ſo halte ich es fuͤr hoͤchſt wahrſchein-
lich daß dieſe wichtige Schrift von ihm iſt . Die Sprache
ſogar ſcheint denſelben Verfaſſer anzudeuten : ſie iſt noch
nicht ſchlecht , aber ſie hat ſchon die Schwerfaͤlligkeit welche
in den ſpaͤteren Jahrhunderten immer herrſchender ward .
Die vier Controverſen welche gewoͤhnlich zuerſt ge-
nannt werden , de terminorum positione , de rigore ,
de fine , de loco , fehlen : ſie laſſen ſich hingegen groͤßten-
theils , obwohl ganz zerruͤttet , ſo daß man eine durchge-
hende Verſetzung der Blaͤtter wahrnimmt , in dem Liber
Simplicii wiederſinden . Aus dieſem wird eine Stelle als
Excerpt aus dem zweyten Buch des Frontinus wieder-
holt ( Vgl. p. 78. 79. 308. 309. ) , und was der Com-
mentator Aggenus aus Frontinus anfuͤhrt , findet ſich in
dieſem Simplicius ( S. Rigaltius ad p. 51. not. p. 244.
ed. G. ) . Ich zweifle auch nicht daß jene verworrenen
Truͤmmer mit den beſſer erhaltenen Controverſen unter
Aggenus Nahmen ein Ganzes bildeten , und zu des Fron-
tinus Werk gehoͤrten : welches aus ſechs Buͤchern beſtan-
den hat ( p. 86. ) .
Das alte Plebiſcit iſt zuverlaͤſſig durch Frontinus
erhalten , eben wie er in das Buch uͤber die Waſſerlei-
tungen Geſetze und Senatusconſulte als Belege eingetra-
gen hat .
Der Commentar des Aggenus Urbicus gehoͤrt in die
ſpaͤteſte Zeit , vielleicht in das ſechſte Jahrhundert . Es iſt
ein hoͤchſt einfaͤltiger Compilator , von roher Unwiſſenheit .
Was Frontinus an Celſus uͤberſchrieben iſt , ſollte
nun gewiß ſeinen Nahmen nicht fuͤhren . Die Schrift de
agror . qualitate mag ein Excerpt aus ihm ſeyn : wie das
Buch von den Colonieen theils aus ihm ( ſo die Provincia
Tuscia p. 111. ed. G. ) , theils aus einem andern unter
oder nach Commodus geſchriebenen Werke gezogen iſt . Lie-
ber moͤchte man jene erſt genannte Schrift mit der erſten
Sammlung einem Balbus zuſchreiben , oder mit andern
dem Nypſus . Rigaltius und Go ë ſius haben ſie interpo-
lirt durch das zweyte Capitel aus Pabſt Gerberts Geome-
trie ( bey Pezius T. III. P. 2. ) , welches vielleicht auch
nur aus Nypſus entlehnt iſt .
Der Anfang des erſten Buchs des Euklides ( p. 316.
u. f. ed. G. ) iſt aus einer vollſtaͤndigen Geometrie des
Boethius genommen : der gedruckten fehlen die Beweiſe
und Aufloͤſungen . Es gehoͤrt aber dieſes Bruchſtuͤck ſo
wenig als die uͤbrigen von Turnebus mit beſondern Sei-
tenzahlen herausgegebenen Stuͤcke zu einer der alten
Sammlungen .
Zu den groͤßten Merkwuͤrdigkeiten der zweyten
Sammlung — denn wenigſtens im Arcerianus fehlen ſie
— ſind die Titel aus den beyden großen kaiſerlichen
Rechtsſammlungen zu zaͤhlen : von denen der aus dem
theodoſianiſchen Codex , unter der Aufſchrift de finium
regundorum , nach dem Fragment an Celſus ; der Pan-
dectentitel unter den gemiſchten Excerpten p. 177. ed.
Turneb . ſich findet .
Der Titel des theodoſianiſchen Codex ( II. 26. ) fin-
det ſich in den Ausgaben vollſtaͤndig , obwohl das Bre-
viarium nur die l. 2. enthaͤlt . Daß er in der von Cuja-
cius ( 1566. ) aus unſerer Sammlung hergeſtellt ſey , hat ,
wie es ſcheint , ſelbſt Jacob Gothofredus nicht bemerkt :
und ſo iſt die einzige Quelle ſogar von Rigaltius nur fuͤr
ein verſchiedenes Exemplar angeſehen worden . Außer
den vollſtaͤndigen Geſetzen des Titels finden ſich zwey
Fragmente aus Conſtitutionen Impp . Theodosius et Va-
lentinianus Numo M. O. , und Florentino P. P. ( p. 343. )
und die Novelle Tit. X. 1. Iidem Impp . Cyro P. P. O .
Auch uͤber jene beyden Fragmente , welche in allen Aus-
gaben
gaben des Codex Theodoſianus fehlen , hat Etatsrath
Cramer mich belehrt daß ſie , nach der Zeitrechnung , aus
Novellen genommen ſind .
Dieſe Conſtitutionen ſind zuerſt von Joh. Sichardus
im Maͤrz 1528 mit dem Breviarium herausgegeben , und
zwar als in der Schrift des Frontinus enthalten : daher
er weder auf dem Titel noch in der Vorrede ihrer gedenkt .
Fruͤher aber ſchon hatte ſie Alciatus in einer Hand-
ſchrift , denn wenn gleich die Zueignung ſeiner Schrift
de quinque pedum præscriptione erſt vom Auguſt 1529
iſt , ſo kannte er doch den Pandectentitel aus den Agri-
menſoren ſchon im Jahr 1519 , als er die Dispunctiones
ſchrieb ( Lib. II. c. 6. ) . In den Stellen jener Schrift
p. 12. 13. 29. 30. ( ed. Lugdun. 1529 . ) wo er von dieſen
Conſtitutionen redet , hat er Lesarten die von den Sichar-
diſchen abweichen : er nennt den Commentator nicht
Aggenus ſondern Agennius , die erlaͤuterte Schrift legt
er nicht dem Julius Frontinus ſondern dem Junius Hyp-
ſus ( Druckfehler , ſtatt Nypſus ) bey .
Neben dieſen aͤchten Conſtitutionen ſteht eine unter-
geſchobene , angeblich von Tiberius . Ein unwiſſendes
Zeitalter fabelt und faſelt , ſo die Byzantiner uͤber Con-
ſtantin . So bezogen die Agrimenſoren den Urſprung ih-
rer Kunſt auf Julius Caͤſar und Auguſtus : auf eine allge-
meine Vermeſſung des ganzen roͤmiſchen Gebiets unter
dieſem , welche ſie vielleicht mit der bibliſchen Erzaͤhlung
von dem allgemeinen Cenſus begruͤndeten , theils aber auch
auf die Meſſung des Balbus bezogen , welche ein Itinera-
rium geſchafft zu haben ſcheint . Sie hatten einen angeb-
Zweiter Theil. M m
lichen Brief Caͤſars , der ihnen als Stiftungsurkunde ih-
rer Zunft galt ( Caſſiodor Var. 52. l. III. p. 120. 121. ed.
1656 . Liber de Colon. p. 109. ed. G. Boethius Geo-
metr. II. p. 1537 . 1538. ed. Basil. 1570 . ) .
Auch ſteht hier aus Julius Paulus V. 22. §. 2. , nicht
aus dem Breviarium , ſondern aͤcht .
Es iſt ein nicht beachteter merkwuͤrdiger Umſtand daß
ein Theil des theodoſianiſchen Codex noch nach der Juſti-
nianeiſchen Geſetzgebung in Italien practiſche Wichtig-
keit behalten hat .
Eine nicht geringere Merkwuͤrdigkeit , und eben ſo
uͤberſehen , iſt der Pandectentitel Finium regundorum .
Wir wiſſen beſtimmt daß er ſich in vier Handſchriften be-
fand , von denen wenigſtens eine der Florentina am Alter
gleich ſtand . Aus der von St. Omer hat ihn Turnebus
mit augenſcheinlich buchſtaͤblicher Treue abdrucken laſſen ;
aus einer andern giebt Alciatus ( Dispunct. II. c. 6. )
den griechiſchen Text in der l. 13. , welchen Haloander aus
ihm hat . Ich nenne den Abdruck des Turnebus buchſtaͤb-
lich treu , weil er aus der Vergleichung des Codex Herve-
tianus eine Variante giebt die ein gemeiner Schreibfehler
iſt : und weil er nicht einmal die Verwirrung abſtellt die ,
in der ganzen Sammlung herrſchend , auch dieſen Titel er-
griffen hat . Naͤmlich l. 4. bricht ab mit dem §. 10. dann
folgen l. 7 . 9. 10. 13. Alsdann werden unter der Rubrik
Item post alia von l. 4. §. 9. 10. wiederholt , und der
§. 11. hinzugefuͤgt , nun kommen l. 5. 6 . 8. 11. 12 .
Dieſe Unordnung iſt ganz unerklaͤrlich : an Verwir-
rung der Blaͤtter kann man hier wohl nicht denken da je-
des Geſetz ein einzelnes Blatt eingenommen haben muͤßte :
und die meiſten enthalten nur wenige Zeilen . Dies
waͤre nur eine Sonderbarkeit ; aber wir finden hier einen
von der Florentina ſowohl als von der Bononienſis ( Cra-
mer præf. ad Tit. de V. S. p. 13. ) ganz abweichenden
Text . Er enthaͤlt originale und ſingulaͤre Varianten , un-
ter denen einige der Pruͤfung ſehr werth ſind . Unter
die Quellen der Bononienſis gehoͤrt die Recenſion keines-
wegs von der ſich hier ein Theil erhalten hat : denn nur
in aͤußerſt wenigen Faͤllen ſtimmt ſie mit ihr gegen die
Florentina zuſammen .
Contius hat in der Ausgabe 1571 ( in 16 mo ) die
wichtigſten Varianten als aus Julius Frontinus gege-
ben : ſie ſcheinen ganz in Vergeſſenheit gerathen zu ſeyn :
in der Gebauerſchen Ausgabe ſind , nach Brenkmann ,
nur einige wenige , nicht die wichtigſten , angefuͤhrt . Ich
gebe daher am Schluß dieſer Abhandlung eine vollſtaͤn-
dige Vergleichung mit der Florentina , und an allen
Stellen wo dieſe Texte variiren , ( aber auch nur an die-
ſen ) mit alten Ausgaben , und der Haloandriſchen und
Sennetoniſchen . Rigaltius ließ den Titel weg aus ſei-
ner Ausgabe , und Goeſius redet gar nicht von ihm .
Ohne handſchriftliche Autoritaͤt hat er hingegen l. 7. u. 8.
§. 1. dieſes Titels , l. 16 . de adquir . res. dom. und l. 3. §. 2.
de term . moto abdrucken laſſen , als ob ſie zum Corpus
gehoͤrten . Ich vermuthe daß er Turnebus Ausgabe nur
dem Nahmen nach gekannt hat .
Es wuͤrde ſehr wichtig ſeyn die Handſchriften zu
kennen die von unſerer Sammlung gebraucht , zu wiſſen
M m 2
wo ſie noch etwa vorhanden ſind , und welche unbenutzt
ſeyn moͤgen . So wie ich alle dieſe Bemerkungen nur
darum gebe weil meine Lage mich nicht hoffen laͤßt die Un-
terſuchung viel weiter zu foͤrdern , ich alſo nur ſuchen kann
ſie Andern erleichtert zu empfehlen die das Schickſal hierin
mehr beguͤnſtigt , ſo verſuche ich auch nur unter dieſem
Geſichtspunkt eine aͤußerſt unvollkommene Ueberſicht der
handſchriftlichen Quellen .
1. Die erſte Erwaͤhnung der Agrimenſoren iſt bey
Raphael Volaterranus . Er erzaͤhlt daß Thomas Phaͤ-
drus ſie 1494 im Kloſter zu Bobbio entdeckt habe : er
ſelbſt las und excerpirte ſie aus der Handſchrift des Ang.
Colotius ( Fabricii bibl. lat. l. IV. c. 7. Vol. 2. p. 475. Ed.
Venet. 1728 . Raph. Volat. l. XXX. ad calcem Agrimenso-
rum Turnebi . ) .
2. Dann folgt dem Zeitalter nach Alciatus , der ,
wie ſchon gedacht , bereits 1519 den Titel D. fin. regund .
hatte : der das ganze einem Junius Nypſus zuſchreibt ,
und ſeinem Commentator Agennius . Seine Handſchrift
muß alſo von denen aller folgenden verſchieden ge-
weſen ſeyn .
3. Sichardus hat den ſogenannten Julius Frontinus ,
die kaiſerlichen Conſtitutionen und den Aggenus , aus einem
Strasburger , und einem Fuldiſchen Codex , vor-
zuͤglich nach dem letzten , abdrucken laſſen ( Cod. Theod.
ed. 1528 . margo fol. 174. vers. ) . Er hatte aber noch
mehrere geſehen ( margo fol. 171. vers. ) . Er hatte auch
den Siculus Flaccus und Innocentius ( Dedic . ad Ferdin.
Reg. ) , alſo eine Handſchrift der zweyten Sammlung .
4. Im Jahr 1554 ließen P. Gallandius und A. Tur-
nebus , in der Druckerey des letzten , den Text einer Hand-
ſchrift abdrucken welche ſie zu St. Omer in der Biblio-
thek des Kloſters St. Bertin entdeckt hatten . Sie nennen
ſie vetustissimum exemplar , venerandæ vetustatis
monumentum : und offenbar war ſie auch uralt .
5. Zu einem Theil von Siculus Flaccus , zum Hy-
genus de limitib. , dem Plebiſcit , und dem Pandecten-
titel , gaben ſie Varianten aus einem Codex , den Gen-
tianus Hervetus aus Italien gebracht hatte ( p. 256.
ed. Turneb . ) ; man ſieht nicht ob ein Original oder eine
Abſchrift . Daß Rigaltius ihn beylaͤufig ein Pergament
nennt ( p. 262. not. ed. G. ) , kann unſer Urtheil nicht
entſcheiden : denn was er daraus anfuͤhrt hat er alles
aus Turnebus entlehnt .
6. Eben ſo melden ſie an einem andern Ort von
einer Handſchrift , ohne zu ſagen ob ſie alt geweſen ,
welche , an ungedruckten Schriften , Stuͤcke unter den
Nahmen Vitruvius , Epaphroditus , Balbus , Simpli-
cius und den Hyginus von der Caſtrametation enthielt
( dedic. ed. Turneb . ) : der Text ſchien ihnen fuͤr einen
Abdruck gar zu heillos zerruͤttet . Es kann eben der
Codex des Hervetus geweſen ſeyn , denn wie dieſem ,
nach der Collation , außer dem Pandectentitel , alle Stuͤcke
fehlen welche die Turnebiſche Sammlung mehr hat als
die vorher mit dem Nahmen der erſten bezeichnete , naͤm-
lich der Commentar des Aggenus , der theodoſianiſche
Titel und die Excerpte uͤber die eigentliche Graͤnzſchei-
dekunſt , ſo wuͤrden dagegen die Schriften aus denen
Varianten gegeben ſind , verbunden mit den obengenann-
ten , das Ganze jener erſten Sammlung ausmachen .
7. Vielleicht aber haben ſie ſchon den Hauptcodex
vor Augen gehabt , jene Handſchrift welche Rigaltius
die Arcerianiſchen Fragmente nennt . Dieſe be-
ſchreibt er als pervetustum codicem — grandioribus
litteris exaratum ( præf . ) : und Lipſius ( Varior . testim .
in pr. ed. Goës. ) ſagt daß ſie mit großen roͤmiſchen
Buchſtaben , das heißt reinen Uncialen , geſchrieben war .
Denn der Codex Arcerianus und der Nanſianus
von dem Lipſius hier redet , ſind dieſelbe Handſchrift
( vgl. Lipſius a. a. O. P. Scriverius præf . ad Vegetium
S. 4. ed. 1607 . ) : woraus der eben angefuͤhrte Gelehrte
des Hyginus Gromaticus herausgab ( a. a. O. und Ri-
galtius præf . ) . Der Nanſianus ward von Rutgerſius
dem Rigaltius , es ſcheint in einer Abſchrift , mitgetheilt
( Testim . in pr. ed. Goës . ) . Die Handſchrift war ihm ,
wie jener ſchreibt , hoͤchſt nuͤtzlich : aber unter denen die er
als benutzt verzeichnet kommt keine vor welche dafuͤr ge-
nommen werden koͤnnte , wenn es nicht die ſo oft ange-
fuͤhrte Arcerianiſche iſt .
Ich hatte die Induction fuͤr die Identitaͤt beyder
Handſchriften viel ausfuͤhrlicher verfolgt , als ich , — was
man wohl am allerwenigſten erwarten konnte , uͤber einen
ſeit zweyhundert Jahren aus dem Geſicht gekommenen
Gegenſtand eben in den Tagen worin man ſich beſonders
mit ihm beſchaͤftigt Kunde zu erhalten , — durch die in Bre-
dows Epist . Paris . enthaltene Notiz von Haſe uͤber dieſen
Codex uͤberraſcht ward . Er befindet ſich naͤmlich , wie es
ſcheint ſeit 1805 , in der kaiſerlichen Bibliothek zu Paris ,
wohin er aus Deutſchland ( aus Wien ? ) gefuͤhrt iſt : da
die Nahmen der Beſitzer , von Sixtus Arcerius bis auf
P. Scriverius , eigenhaͤndig eingeſchrieben ſind , ſo wuͤrde
man mit inneren Beweiſen uͤberfluͤſſige Worte verlieren .
Haſe hat aus dieſer Handſchrift einen Theil der geo-
metriſchen Fragmente bekannt gemacht , und buchſtaͤblich
wie ſie mit Unzialen in zwey ſchmalen Columnen ge-
ſchrieben ſtehen .
Auch hier findet ſich wie wir ſie ſchon aus dem Ab-
druck des Hyginus de Castrametatione , und aus dem
ſogenannten M. Baro , und ſelbſt dem Titel von dem Trac-
tat des M. Betrubius ſehen , grade dieſelbe abſcheu-
liche Orthographie welche in der Florentina fuͤr ihre An-
beter ein koͤſtlicher Roſt iſt . Es iſt aber nichts anderes als
die gemeine roͤmiſche Ausſprache , welche durch das Mit-
telalter fortdauerte : in dem Leben von Cola di Rienzo ,
nach der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts , leſen wir
eben ſo , Balerio , Bespasiano , benne , und hingegen
vattaglia , havitazione u. ſ. f. Zu Ravenna ſprach und
ſchrieb man ſo nicht . Da nun unter den Exarchen die
griechiſche Sprache die des Hofs und der Geſchaͤfte war ,
da es ſo vornehm duͤnkte ſich ihrer zu bedienen daß man
in den Urkunden jener Zeit Italieniſch ( Latein kann man
es nicht mehr nennen ) mit griechiſcher Schrift nicht ſel-
ten findet , ſo iſt es wohl nichts weniger als ausgemacht
daß der Schreiber der Florentina ein Grieche war , ſon-
dern viel glaublicher daß er ein eigentlicher Roͤmer gewe-
ſen iſt , den Jargon ſeiner Heimath in der Orthogra-
phie darſtellend ; in den Geſchaͤften gewoͤhnt an den Ge-
brauch der Sprache der Regierung , ihn ſogar affectirend :
ſein Zeitalter aber das ſiebente Jahrhundert .
Das Verzeichniß der im Arcerianus enthaltenen
Stuͤcke giebt Haſe genauer als Lipſius , aber ſo wie ſie bey
Go ë ſius uͤberſchrieben ſind , leider nicht mit den Titeln
der Handſchrift .
8. Sammelt man nun aus Rigaltius Anmerkungen
die Stellen an denen er die Abſchrift der Colotianiſchen
Handſchrift , unter dem Nahmen des Codex Memmianus ,
anfuͤhrt , welche wahrſcheinlich N. 7229 . der Pariſer Bi-
bliothek iſt , — Haſe irrt , indem er meint , Rigaltius
habe nur dieſe gebraucht — ſo erhellt daß dieſe und
die Arcerianiſche in ihrem Inhalt uͤbereinſtimmen . Nun
aber iſt die letzte von der Zeit am Anfang und am Schluß
verſtuͤmmelt , und ſo muͤßte man erwarten daß eine an-
dere , gleichfalls alte , mehr als ſie enthalten muͤßte ,
wenn ſie urſpruͤnglich uͤbereingeſtimmt haͤtten . Da die-
ſes der Fall nicht iſt , ſo wird die Vermuthung gerecht-
fertigt ſeyn daß Sixtus Arcerius eben dieſen Colotia-
niſchen Codex uͤber die Alpen brachte .
Und war dieſer verſchieden von jenem der zu Bob-
bio entdeckt ward , und unter denen geweſen ſeyn duͤrfte
die Th. Phaͤdrus von dort nach Rom brachte ? Auch
das wuͤrde ich fuͤr unwahrſcheinlich halten , da alle von
Volaterranus daraus angefuͤhrte Schriften ſich im Ar-
cerianus finden , ſelbſt Hyginus de castrametatione ,
wenn nicht die Rubrik : Cæsarum leges agrariæ ( Vo-
laterranus bey Fabricius a. a. O. ) zweifelhaft machte .
Freylich hat dieſe Ueberſchrift etwas unauthentiſches :
ſie waͤre ſo unpaſſend fuͤr den theodoſianiſchen Titel
f inium regundorum , den die erſte Sammlung nicht
hat , als falſch fuͤr das Plebiſcit , welches ſie enthaͤlt :
und wie dieſes im Arcerianus uͤberſchrieben iſt , meldet
Haſe leider nicht , obwohl wir freylich von ihm erfahren
daß es die aus der zweyten Sammlung genommene Ue-
berſchrift : Lex Mamilia etc. nicht hat . Inzwiſchen iſt die-
ſer Umſtand doch bis weiter nicht leicht zu beſeitigen .
Die Handſchrift des Hervetus war aber gewiß ver-
ſchieden von der des Arcerius : denn ſie hatte den Pan-
dectentitel , und es werden aus beyden abweichende Va-
rianten angefuͤhrt .
9. Neben der Arcerianiſchen hatte Scriverius noch
eine andere ſehr alte Handſchrift , wenigſtens von eini-
gen Stuͤcken ( p. 164. ed. 1607 ) .
10. Rigaltius benutzte ferner , durch Gruter , einen
Heidelberger Codex , den er auch uralt nennt ( p. 341.
ed. Rigalt . ) . Dieſer und der von St. Omer gehoͤrten zu
einer Klaſſe . Beyde hatten die der zweyten Sammlung
eigenen Stuͤcke : dagegen nicht den Aggenus ( Frontinus )
von den Controverſen , den Simplicius , die aͤchten Frag-
mente des Frontinus , und die geometriſchen Buͤcher . Der
Heidelberger Codex war der vollſtaͤndigere und beſſere , er
gab den Innocentius , wie eine von Sichardus Hand-
ſchriften , war vielleicht dieſe ſelbſt .
11. Goëſius beſaß ſelbſt eine Handſchrift , die ,
weil ſie ein Excerpt aus Pabſt Gerberts Geometrie , unter
ſeinem Nahmen , enthielt , nicht juͤnger als das elfte
Jahrhundert geweſen ſeyn kann .
12. In daſſelbe Jahrhundert ſetzt Bandini ( Catal.
Codic . Latinor. Bibl. Laurent. Tom. II. p. 47 — 50. )
einen Codex ( Plut. XXIX. cod. 32. ) , welcher , in zwey
Buͤcher eingetheilt , das erſte Frontinus , das zweyte Nyp-
ſus zugeſchrieben , eine neue Abkuͤrzung der Samm-
lung darbietet . Man ſieht aus dem ſehr ausfuͤhrlich ge-
gebenen Inhalt , daß hier nur das noch vorkommende
Rechtliche und das Geometriſche Zweck war : das Alter-
thuͤmliche , wie die Lehre von der Limitation , iſt als un-
praktiſch uͤbergangen , obgleich wegen der elenden Art
womit ſolche Abkuͤrzungen gemacht wurden hin und wie-
der einiges zuruͤckgeblieben iſt . Der Titel des C. Th iſt
uͤberſchrieben : Ex Corpore Theodosiani libri secundo
titulo de finium regundorum .
13. Von dieſer aͤußerſt ſchlechten Epitome ſcheinen
die Handſchriften nicht ſelten zu ſeyn . Vermuthlich war
die des Go ë ſius von dieſer Art : zuverlaͤſſig die Mode-
neſiſche aus der Muratori ( Antiq. Ital. T. III. p. 981 ff. )
eine Probe gegeben hat . Ich moͤchte daſſelbe von Hand-
ſchriften in der Vaticana ( Montfaucon Bibl. Manusor.
p. 110. D. ) und zu St. Germain ( p. 1153. F. ) ver-
muthen .
Von den im 16ten und 17ten Jahrhundert gemach-
ten Abſchriften zu reden waͤre uͤberfluͤſſig : der Pariſer
Catalogus zeigt keine andre , und leider hat man bey
den uͤbrigen großen Bibliotheken , wenn auch die Ver-
zeichniſſe der griechiſchen Handſchriften leidlich bekannt
gemacht ſind , die lateiniſchen ganz verſaͤumt . Gudius
fuͤhrt in den Noten zum Phaͤdrus einen ihm gehoͤren-
den antiquissimus Codex des Siculus Flaccus an : in
dem Catalog ſeiner Manuſcripte habe ich ihn nicht fin-
den koͤnnen .
14. Aem . Ranconnetus , der ſich mit den Agrimen-
ſoren eifrig beſchaͤftigte , hat auf ein Blatt in ſeinem
Exemplar der Sichardſchen Ausgabe des Breviarium
eine Reihe von Titeln theils bekannter theils jetzt ganz
verſchwundener Buͤcher geſchrieben , welche er entweder
ſelbſt gehabt , oder geſehen haben muß . ( Notiz von Sa-
vigny ) . Zuletzt ſteht , raͤthſelhaft , Sña Muciorum de
finibus regundis : und dann , unter einem Strich , ein
Verzeichniß einer agrimenſoriſchen Sammlung , welches
einen von den uns naͤher bekannten verſchiedenen Codex
verraͤth . Merkwuͤrdig iſt daß der Commentator Agge-
nus hier , wie bey Alciatus , Agennius heißt , und daß
nach Hyginus de limitibus angefuͤhrt wird : Boëtius
de eadern re .
Wie es ſich damit auch verhalten mag , ſo iſt es
augenſcheinlich klar daß der Abſchnitt uͤber die Graͤnz-
ſcheidekunſt in Boethius Geometrie ( p. 1537 . — 1541 )
unmoͤglich von dem geiſtreichen und gelehrten Conſular
geſchrieben ſeyn kann . Es iſt ein verworrener Wuſt ,
faſt noch aͤrger als die große Compilation . Boethius
Geometrie war , bis die des Pabſtes Gerbert erſchien ,
mit Nypſus , Vitruvius uud und Epaphroditus , das Hand-
buch der Landmeſſer , und von ihrer einem iſt dieſer den
Nahmen des großen Mannes entweihende Zuſatz hin-
eingeſchrieben ; ſo wie die rohe Unwiſſenheit der Ab-
ſchreiber , wenigſtens der Handſchrift welche den Druk-
ken zum Grunde liegt , die Saͤtze und Diagramme vom
weſentlichſten entkleidet hat .
Ein kuͤnftiger Herausgeber der Agrimenſoren muͤßte
allerdings auch dieſes Stuͤck mit der Sammlung ver-
binden . Wie moͤchte ich dieſen Herausgeber hervorru-
fen der den ehrwuͤrdigen Ruinen , ruͤhrend durch die
Erinnerungen welche ſie wecken und durch ihre Ent-
ſtellung ſelbſt , den philologiſchen Geiſt unſerer Zeit ,
die Gelehrſamkeit und den Fleiß der franzoͤſiſchen Schule
des ſechszehnten Jahrhunderts weihte !
Er koͤnnte ſchon , ohne ſeine Heimath zu verlaſſen ,
eine reiche Leſe aus den Ausgaben des Turnebus und
Rigaltius machen , deren erſte Go ë ſius ganz verſaͤumt ,
aus der zweyten vieles vernachlaͤßigt hat . Rigaltius
Verdienſt um unſere Schriften iſt groß : Go ë ſius muͤh-
ſelige Arbeit faſt ohne Werth . Er muͤßte das in den
ſpaͤteren Ausgaben hinzugekommene abtrennen : ſich die
zuſammengeworfenen Fragmente ordnen : das ſogenannte
Buch des Simplicius in die Blaͤtter aufzuloͤſen ſuchen
welche ſinnlos durcheinander geworfen und zuſammen-
gefuͤgt ſind : dieſe dann mit dem beſſer erhaltenen Frag-
ment von den Controverſen verbinden . Der Commen-
tar des Aggenus wuͤrde ihn dabey leiten , und viele Er-
gaͤnzungen geben koͤnnen .
Aber dies kann noch lange nicht hinreichen : er muß
auch die Handſchriften unterſuchen , wenigſtens die von
hohem Alterthum . Gewaͤhrt ihm dann das Gluͤck daß
er Rom beſuchen kann , ſo thue er endlich was noch
Niemand that , weil faſt jeder , den nicht die Kunſt dort-
hin fuͤhrt , eben ſo wenig weiß was er dort zu thun hat
als die Meiſten es fuͤr ihr ganzes Leben wiſſen , wenn
ihnen nicht , wohlthaͤtig , ein nothwendiger Beruf vorge-
ſchrieben iſt worin ſie einfoͤrmig fortgehen muͤſſen bis
ihre Zeit um iſt . Er gehe auf das Land : er verſchmaͤhe
es nicht auch die kleinſte Eigenthuͤmlichkeit zu beobachten
und zu faſſen : alles iſt Reliquie auf dem heiligen Boden :
irgendwo werden ihm die Raͤthſel geloͤſt werden an de-
nen wir an die nordiſche Barbarey Geketteten unſern
Scharfſinn vergebens verſuchen wuͤrden .
Es ermuntere ihn daß er eine Arbeit behandele
welche die etruſkiſche Zeit , freylich durch tauſend Ab-
ſtufungen und Entſtellungen , an das ſpaͤtere Mittelal-
ter knuͤpft .
Dort iſt es auch , in Italien ſelbſt , in Archiven
und Bibliotheken , wo allein die Frage beantwortet wer-
den kann , wann das eigenthuͤmliche alte Acker- und
Graͤnzſcheidenrecht ganz verſchwand . Ich kann daruͤber ,
zum Schluß dieſer ſchon zu ſehr erweiterten Abhandlung ,
nur wenige Data geben ; meine Unterſuchungen ſind nicht
unfleißig , aber in ihren Huͤlfsmitteln leider ſehr be-
ſchraͤnkt geweſen .
Es laͤßt ſich erwarten , und man erhaͤlt bald davon
vollkommene Gewißheit , daß in allen lombardiſchen
Staaten dieſe alten Rechte mit der Eroberung unterge-
hen mußten , und daß ſie ſich nur im roͤmiſchen Gebiet ,
und in den drey neapolitaniſchen Republiken , erhalten
konnten . In den griechiſchen Provinzen machte die
Sprache die agrimenſoriſchen Schriften unbrauchbar .
Ich habe nur uͤber das roͤmiſche Gebiet Spuren gefun-
den wo der Limitation als einer noch wohlbekannten
und praktiſchen Sache erwaͤhnt wird .
In Schenkungsurkunden und Kaufbriefen kommt die
Formel ſehr haͤufig vor cum omnibus finibus , termi-
nis , limitibusque suis : dieſe findet ſich noch in einem
Diplom von Pabſt Leo IX , vom Jahr 1049 , bey Ughelli ,
Italia sacra , Tom. I. p. 122. : mir iſt ſie ſpaͤter nicht
vorgekommen .
Eine ſolche Formel konnte freylich bey den Nota-
rien lange ſinnlos fortdauern : wenn aber der Limes
als Graͤnzbeſtimmung angegeben wird , ſo kann man
doch nicht beſtreiten daß das Wort in ſeinem eigent-
lichſten alten Sinn zu nehmen iſt . Auch davon will ich
nur die juͤngſten mir bekannten Beyſpiele anfuͤhren .
In einer Urkunde des Jahrs 961 ( Marini , papiri
diplomatici n. CII. p. 160. 161. ) wodurch ein Graf
Balduinus einem roͤmiſchen Kloſter ein Caſale an der
Via Appia , ſechs bis ſieben Millien von der Stadt ,
ſchenkte , wird deſſen eine Graͤnze beſtimmt : Exinde
per limitem alto majure , infra silva , recte in arca
marmorea antiqua .
In einer tiburtiniſchen Urkunde von 990 ( ebendaſ .
Annotazioni p. 255. ) heißt es , ebenfalls in einer Graͤnz-
beſtimmung : deinde venientem usque in limite ma-
jore qui dividit inter nostros Episcopio terra que de
Marengi , et deinde ipso limite venientem in via
publica . Hier ſind ſchon alle Nahmen lombardiſch ,
in jener Urkunde waren ſie , außer dem des Gebers ,
roͤmiſch .
Auch noch in einer Urkunde Pabſt Benedict VIII vom
Jahr 1019 kommt dieſelbe Beſtimmung vor : Sicuti a
muro , et a fluvio Tyberis , atque limitibus circumda-
tur ( Ughelli Tom. I. p. 116. ) .
Pabſt Gerbert , am Ende des zehnten Jahrhunderts ,
verwieß uͤber die Controverſen , die Qualitaͤten und Nah-
men der Aecker , und die Limiten , auf Julius Fronti-
nus , und Aggenus Urbicus ( Rigaltius in not. p. 240.
ed. Goës . ) . Das alles muß alſo noch praktiſch gewe-
ſen ſeyn ; das beweißt auch das Daſeyn von Handſchrif-
ten aus dem elften Jahrhundert , und die wahrſcheinlich
ſogar damals gemachte neue Abkuͤrzung .
Die roͤmiſchen Statuten , ſelbſt in der Ausgabe aus
dem funfzehnten Jahrhundert , enthalten gar nichts :
Terminus ward nicht mehr verehrt , ſeitdem die deut-
ſchen Kaiſer , durch ihre Belehnungen in der Campania
und rings um die Stadt , das ehrwuͤrdige matt fortle-
bende Alterthum getoͤdtet , und die Barbarey in Rom
eingefuͤhrt hatten .
Die Gloſſatoren , in der lombardiſchen Stadt , konn-
ten die alten Rechte nicht praktiſch kennen . Daß ſie
aber doch ſehr wohl wußten was ein Ager limitatus
ſey , und wie er entſtand , zeigt ihre Erlaͤuterung ad
l. 16. D. de adquir . rer. domin . Auch die Urheber der
Gloſſe zum Titel C. fin. regund . waren mit dem Geſchaͤft
der Agrimenſoren gar nicht unbekannt . Bey der l. 7. D.
eod. denken ſie freylich an lombardiſche Einrichtungen ,
Gemeinheitstheilung .
Vergleichung des Pandectentitels Finium
regundorum , aus der Turnebiſchen Aus-
gabe der Agrimenſoren , mit der Floren-
tina , und Ausgaben des funfzehnten
und ſechszehnten Jahrhunderts .
Die bey den abweichenden Stellen vergliche-
nen Ausgaben , ſaͤmmtlich aus Savignys Bibliothek , ſind
folgende : A. Nuͤrnberg , Koberger , 1482. B. Venedig ,
Fratres Furlivienses , 1484. C. Venedig , De Tortis ,
1501. D. Paris , Boucard , 1509. E. Lyon , Fradin ,
1514. F. Paris , Blaublom , 1528 . Hal. Haloander ,
1529. S. Lyon , Senneton , 1550 .
Wo dieſe oder eine von ihnen von der Florentina , wie
ſie in der Goͤttinger Ausgabe gegeben iſt , ſonſt abweicht ,
ſtimmt der Text im Corpus der Agrimenſoren mit der letz-
ten zuſammen . Die Verſetzungen ſind ſchon oben ange-
geben ( S. 546. ) : ſie ſind keine Variante ſondern ein
grober Irrthum .
Die Varianten des Alciatiſchen Codex zu dem Solo-
niſchen Geſetz in l. 13 . ( aus den Dispunct . II. c. 6. ) ſind
aus dem vierten Theil ſeiner Werke , Frankfurt 1617 .
l. 1. Flor. und Alle : rei est . Turn . rei sit .
l. 2. pr. Flor. und Alle : in confinio . Turn. in confini um .
§ . 1. Von den Worten et si forte ein neues Geſetz , mit
der Inſcription : PAULUS lib. XXIII. ad edictum .
Wahrſcheinlich beſſer . — Alle Ausg . wie Flor .
Flor. judicationem . Turn. und Alle : ad judicationem .
l. 3.
l. 3. inscr. Flor. Gajus. Turn. Cajus . ( auch l. 13 . )
l. 4. pr. Flor. und Alle : scindi . Turn. re scindi .
§. 1. Flor. inique . Alle : an inique. Turn. non inique . Gut.
Flor. und Alle : So lo . Turn. So cio .
§. 2. Flor. A. C. D. E. Hal. ju dicio . Turn. B. F. S. ju-
dici um .
et dolus exinde . Codex Hervetianus ( ed. Turn. p. 257 . )
et dolus et duobus exinde . ( bloßer Schreibfehler . )
Flor. und Alle : præs tantur . Turn. præs tatur .
Flor. A. B. C. hoc in . Turn. D. E. F. Hal. ( fehlt
bey Geb. ) S. in hoc .
Flor. und Alle : ve nient . Turn. ve niunt .
§. 5. Flor. und Alle : parti adjudicare . Turn. adjudicare
parti .
Flor. A. bis F. habet , et pro indiviso . Qui . Hal. S.
habet quam et pro indiviso habebat . Qui. Turn.
habet. Et ii , pro indiviso qui . Eine ſchoͤne
Lesart .
§. 7. Flor. und Alle : Et scribit . Turn. scribit .
Flor. und Alle : Sed unius . Turn. Sed et unius .
§. 8. Flor. A. B. Hal. Singuli . Turn. C. D. E. F. S. Si Singuli .
§. 9. Flor. und Alle : actio et in . Turn. Actio in .
§. 10. Flor. urbauorum . Alle : in urbanorum. Turn. nam
in confinio prœdiorum urbanorum .
Flor. und Alle : etsi in agris . Turn. an der erſten
Stelle : ( S. oben S. 546. ) eben ſo . An der zwey-
ten : si agris .
Flor. B. C. F. S. Turn. p. 180. S i nt . Turn.. p. 181.
A. D. Hal. S u nt .
§. 11. Flor. Sive via . Turn . Sive flumen sive via . A bis F.
Si vero via . Hal. S. Si vero flumen vel via .
l. 6. inscr. Flor. XXIII. Turn. XVIIII. ( als ob aus Ulpian . )
l. 7. inscr . Flor. X. Turn. primo et decimo .
Zweiter Theil. N n
l. 8. pr. Flor. A. conf u dit . Turn. B. bis F. conf un dit . Hal.
S. conf uderit .
§. 1. Flor. und Alle : Ad off. Turn. Et ad off.
l. 10. Flor. erciscundæ . Turn. herciscundæ .
l. 11. Flor. Hal. S. ordinati . Turn. ordinatim . In den alten
Drucken fehlt hier alles zwiſchen monumenta und
sequenda : dann leſen ſie sunt ſtatt est .
l. 13. Flor. A bis F. Solonem . Turn. Hal. S. Solon .
Flor. Alc. Hal. S. ἁιμασιὰν. Turn. ἁιμασιὰ .
Flor. Turn. Hal. ὀρυγῇ. Alc. S. ὀρύξῃ .
Flor. Turn. παραβαίνειν. Alc. Hal. S. διαβαίνειν .
Flor. ἀπολιπεῖν. Turn. Alc. Hal. S. ἀπολείπειν .
Flor. Alc. Hal. ὅσον τὸ βάϑος ᾖ. Turn. ὅσον τὸ βάϑος.
S. ὅσον ἂν τὸ βάϑος ᾖ .
Flor. ἀπολιπεῖν. Turn. Alc. Hal. ἀπολείπειν . ( S. Druckf .
ἀπολείπει . )
Flor. Alc. Hal. ἐλαίαν. Turn. S. ἐλέαν .
Flor. Turn. καὶ συκῆν. Alc. Hal. S. ἢ συκῆν .
Flor. Turn. Hal. πέντε. Alc. S. marg. Hal. δύο .
III.
Zu der Charte Italiens .
Zuvoͤrderſt muß ich bemerken daß das Verdienſt
der geographiſchen Darſtellung , wie die Pflicht ſie zu
rechtfertigen , ſowohl fuͤr dieſe Charte als die des vor-
hergehenden Bandes , nicht mir gebuͤhrt ſondern dem ge-
ſchickten Zeichner deſſen Nahmen beyde anzeigen : ich habe
nur die Orte und Graͤnzen eingetragen . Doch muß ich
der Bemerkung zuvorkommen , daß , waͤhrend das ſuͤdoͤſt-
liche Italien ( das alte Calabrien ) nach den neueſten Be-
richtigungen entworfen iſt , alſo bedeutend oͤſtlicher vor-
tritt , Apulien , die Kuͤſte bis uͤber Ancona , und die angraͤn-
zenden innern Gegenden eine damit nicht harmonirende
nach Weſten verſchobene Lage behalten haben . Doch dies
iſt bey einer bloß hiſtoriſchen Charte kein ſehr weſentli-
cher Nachtheil .
Die gegenwaͤrtige beruͤckſichtigt Stammverſchiedenheit
nur in ſo fern als ſie politiſche Abſonderung veranlaßte :
verſchiedene Voͤlker , in einem Staat vereinigt , ſind als ein
Ganzes bezeichnet . Rom , Samnium und Etrurien ſind
durch Farben unterſchieden . Die uͤbrigen unabhaͤngigen ,
nicht griechiſchen , Voͤlker Italiens haben eine Farbe : ihre
Graͤnzen ſind ſo wahrſcheinlich als moͤglich , nicht ohne
ſorgfaͤltige Pruͤfung , gezeichnet .
Zu Samnium in der damaligen Periode rechne ich ,
was im dritten Theile naͤher erwieſen wird , nicht nur die
Kuͤſte vom Veſuv bis an den Silarus , ſondern auch das
volskiſche Land am linken Ufer des obern Liris , und von
Apulien nicht nur Luceria , ſondern auch Venuſia . Dies
ward als eine ſamnitiſche Stadt erobert ( Dionyſius Exc.
Valesiana p. 2335. ed. R. ) : unter den von dort vertriebe-
nen Sabellern ( Horaz Serm . II. 1. v. 36. ) koͤnnen auch
nur Samniter verſtanden ſeyn . Auch Acherontia rechne
ich zu Samnium , weil es auf den Muͤnzen Akurunniar ,
oskiſch , geſchrieben wird , und , nach Eckhels Bemerkung ,
alle lucaniſche Muͤnzen griechiſche Aufſchriften haben .
So wie hier den Nahmen Akurunniar habe ich , wo
Muͤnzen die einheimiſche Schreibart angaben dieſe ge-
waͤhlt : alſo Paisto , Nuvla , Nuvkrinum , Velatherri
N n 2
( durch Ergaͤnzung der Vokale ) , Tianur , Louceria . Die
daraus entſtehende Diſſonanz mit den mehreren Nahmen
deren Schreibart wir nur latiniſch haben ließ ſich nicht
vermeiden .
Einige Staͤdte die auf der Charte des vorigen Ban-
des als griechiſch beſtehen , gehoͤren hier barbariſchen
Staaten , nicht nur Kumaͤ , ſondern auch Poſidonia ( hier
ſchon Paiſto ) , Hipponium ( jetzt Vibo ) . Dieſes , und
daß die griechiſchen Staaten nicht mehr die ganze Kuͤſte
zuſammenhaͤngend bis Tarent einnehmen , von einander
getrennt , großentheils erobert und zerſtoͤrt durch die Lu-
caner und Bruttier , rechtfertigt die Geſchichte von Groß-
griechenland .
Die griechiſchen Colonieen auf den Inſeln an der il-
lyriſchen Kuͤſte , und Ankon , gehoͤren in das Zeitalter des
aͤlteren Dionyſius . Nach dem Etymologicum M. ( S.
Weſſeling zum Diodor XV. c. 13. ) habe ich auch Hatria
( die Schreibart haͤtte jetzt ſeyn ſollen Adria ) als griechiſch
bezeichnet : es war eine Colonie des alten Dionyſius .
Ohne Zweifel iſt auch bey Skylax p. 6. nicht Σπίνη ſon-
dern Ἀδρία ausgefallen . Das marruciniſche Adria kann ,
bey der Macht dieſer ſabelliſchen Voͤlker , nicht gemeint
ſeyn : das tuskiſche , umringt von Barbaren , nahm eine
griechiſche Colonie wahrſcheinlich mit Freuden auf . Auch
iſt Dionyſius venetiſche Pferdezucht bekannt .
Ariminum und Piſaurum haͤtten als picentiſch be-
zeichnet werden ſollen .
Die Graͤnze zwiſchen den galliſchen und liguriſchen
Staͤmmen in Hochitalien iſt nach Plinius gezogen : Tau-
riner und Vercellaͤ ſind liguriſch , Novaria galliſch ( Pli-
nius H. N. III. c. 21. ) . Das Land der Bojer iſt auf
Danvilles Charte viel zu beſchraͤnkt .
Die illyriſchen Voͤlker ſind nach dem Zeitgenoſſen
Skylax angezeigt .
Eine groͤßere Genauigkeit als geleiſtet werden kann ,
darf niemand fordern . Wer es thaͤte muͤßte allen anſchau-
lichen Darſtellungen der alten Geographie entſagen ; von
Hypotheſen kann keine ganz frey ſeyn : ich hoffe daß die
meinige ihrer ſo wenige als moͤglich hat .
Die Graͤnze der karthaginienſiſchen Eparchie in Sici-
lien iſt die von Timoleons Frieden . Auf der Charte des
erſten Bandes ſind die Sikaner durch ein Verſehen auf
eben dieſes Land eingeſchraͤnkt : es haͤtte ihnen außer dem
weſtlichen auch der ſuͤdliche Theil der Inſel zugetheilt wer-
den ſollen .
Druckfehler und Verbeſſerungen .
S. 10. letzte Zeile ſtatt ) ſetze 6 ) .
— 23. Z. 11. v. u. ſtatt dem lies den .
— 41. Z. 6. v. u. die Worte : der Lictoren auszuſtreichen .
— 57. Z. 14. ſt. hatten l. hatte .
— 82. Z. 4. v. u. ſt. Bundesgenoſſen l. Bundesge-
noſſin .
— 90. Z. 12. ſt. verkuͤndigte l. verkuͤndigten .
— 102. Z. 9. ſt. mag l. moͤgen .
— 109. Z. 2. ſt. das Volk , l. ein Buͤrger .
— 179. Z. 3. v. u. ſt. boͤſer l. boͤſen .
— 211. Z. 9. ſt. 320 l. 329.
— 212. Z. 15. ſt. 328 l. 329.
— 236. Z. 7. die Worte : der Juno auszuſtreichen .
— 239 . Zu Anm. 84. ſetze hinzu : Appian Ital. fr. 8. ed. Sch .
Der Krater ward von Onomarchus eingeſchmelzt ,
aber die Baſis war erhalten .
— 299. Z. 4. ſt. 396 l. 397.
— 310 . Anm. 2. Z. 2. v. u. ſt. nuti l. necti .
— 346. Z. 8. ſt. Seegen l. Segen .
— 352. Z. 8. ſt. des l. das .
— 359. Anm. 69. Z. 5. v. u. ſt. hee l. nec .
— 365. Z. 5. ſt. Beſttz l. Beſitz .
— 375. Z. 4. v. u. ſt. 93 ) l. 98 ) .
— 416. Z. 6. ſt. iſt l. ſind .
— 419. Z. 3. ſt. geſtatteet l. geſtattete .
— 434. Anm. 10. Z. 1. ſt. in l. in .
— 477. Z. 2. ſt. jedes l. jeden .
— 482. Z. 11. v. u. ſt. trug l. traͤgt .
6. v. u. ſt. ein Volk l. eine Nation .
— 483. Z. 6. ſt. Volks l. Staats .
Im erſten Theil haben ſich noch folgende Druckfehler gefunden :
S. 197. Z. 5. ſt. 25 ″ l. 15 ″ , und S. 199. Anm. 57. Z. 15.
v. u. ſt. Kalender l. Kalenden .