Das Französische im neuen Deutschen Reich.
I.
( Schluß. )
H. S. Unter den am östlichen Wasgen=Abhang gesprochenen französischen
Mundarten haben wir nur über eine, die des Steinthals, franz. Ban de la
Roche, ausführliche, freilich nun fast ein Jahrhundert alte Mittheilung.
Sie rührt von dem bekannten Elsäßer Gelehrten Jeremias Jakob Oberlin
( 1735--1806 ) her, dessen wohl noch bekannterer Bruder Johann Friedrich
im Steinthal Pfarrer war und sich um die Civilisation desselben sehr ver-
dient machte. Der Essai sur le patois lorrain des environs du comté
du Ban de la Roche ( Straßburg 1775 ) ist dem Göttinger Schlözer ge-
widmet, auf dessen Veranlassung er veröffentlicht wurde: Vous jugiez,
qu'il seroit avantageux que l'on fît des recherches ultérieures sur
le Patois en général, et sur celui de ces contrées en particulier, et
que pour cet effet on imprimât en attendant ce petit essai. Mit
derselben Genugthuung mit welcher wir diese deutsche Anregung französi-
scher Dialektstudien constatiren, lesen wir die Verse am Schlusse der Wid-
mung, die uns freilich aus dem Mund eines zu annectirenden Elsäßers
oder Lothringers noch willkommener klingen würden:
Vos a trop bi-n è vote aise;
On n'a mi dchî nos,
Biai Sire, ne vos depiaise,
Asi bi-n, qu'on a dchî vos.
Das heißt wörtlich:
Vous êtes trop bien à votre aise;
On n'est pas ( mica ) chez nous,
Beau ( Mon ) sieur, ne vous déplaise,
Aussi bien, qu'on est chez vous.
Von demselben Oberlin erschien 1791 zu Straßburg: Observations
concernant le patois et les mœurs des gens de la campagne.
Die Mundart von Lapoutroie ( Weißthal ) soll sehr sowohl vom Loth-
ringischen überhaupt als auch gerade vom Steinthalischen abweichen, und
nach französischem Urtheil am meisten an das alte Keltisch erinnern.
Wir gedenken im Vorbeigehen der lexikographischen Arbeiten die sich
auf andere Lothringer Mundarten beziehen, nämlich der von Cordier für
das Departement der Meuse und der von Richard für das Departement
der Vosges, und auch speciell für den Ort Dommartin bei Remiremont.
Das Franc=Comtois nähert sich, indem es die Gränzen des Elsaßes
überschreitet, dem Lothringischen sehr an, ja eine uns vorliegende Sprach-
probe aus der Altkircher Gegend ( sic! ) zeigt sogar mehr charakteristische
Merkmale der letzteren. Es fehlt uns, um ein sicheres Urtheil zu fällen,
an Stoff; Fallots Untersuchungen über die Patois der Franche=Comt é,
Lothringens und des Elsaßes ( Montbéliard 1828 ) würden wohl Aufklä-
rung geben.
Es ist also das Lothringische welches über Mosel und Wasgen her-
über seine Zweige in das neue Deutsche Reich streckt. Die Repräsentanten
desselben, das Metzische und das Steinthalische, locken den Linguisten durch
manche besondere Reize an, und zwar dieses noch weit mehr als jenes, da
es den Endpunkt eines längeren Radius bezeichnet. Denn daß es im Ge-
birge versteckt und gegen den Westwind geschützt liegt, das getraue ich
mir nicht in Anschlag zu bringen. Würde doch ein Franzose der auf einer
Reise von Metz nach dem Steinthal den zunehmenden Barbarismus stü-
dierte, in Lunéville aus den Klängen des Patois so ziemlich richtig die
Halbwegsentfernung vom Steinthal heraushören. Wir können uns hier
auf eine Charakteristik beider Mundarten weder in ihrem Verhältniß zu
einander noch zur Schriftsprache einlassen; eine solche Charakteristik ist ein
schwieriges Ding, sie ist, dem Namen zum Trotz, nicht in wenige Worte zu-
sammenzufassen und, was das schlimmste, sie ist, da sie sich fast ausschließlich
innerhalb der Lautlehre zu halten hat, für den nicht völlig Eingeweihten
trocken und langweilig. Doch wollen wir wenigstens dem deutschen Chauvin
zu seiner Freude mittheilen daß, welche Einwendungen auch immer die
französischen Reichsbrüder gegen das neue Regiment erheben mögen, eine
ihnen abgeschnitten bleibt, nämlich die: es sei ihnen unmöglich deutsches
h und ch auszusprechen. Wer rah on für raison, dom ' h alle ( Magd ) für
demoiselle, ch pâle für épaule, lai ch i für laisser sagt, der ist des
Rechtes -- ledig die Rauhheit der anderen Sprache unter die Gründe na-
tionaler Antipathie einzureihen. Solche antiromanische Aspirationen
kennzeichnen den größten Theil der Westgränze des Französischen, und es
scheint fast, als ob nicht nur in den Gemüthern, sondern auch in der
Sprache die Hoch, Hussahs, Hallohs, Haidiridohs ( s. Scheffel ) unserer
Vorfahren, die also fast Sprachpioniere gewesen wären, einigen Eindruck
hinterlassen hätten.
Jn der Conjugation haben die communistischen Jdeen der Franzosen
eine merkwürdige, ich weiß nicht, soll ich sagen Verwirrung oder Verein-
fachung bewirkt. Zunächst werden die Personen verwechselt, zwar nicht das
Mein und Dein -- aber was eigentlich gerade so schlimm ist -- das Mein
und Unser: durch ganz Frankreich sagt das Volk j'avons für nous avons
( selten kommt j'avons für j'ai vor ) . Dann, und dieß ist wenigstens im
Norden allgemein gäng und gäbe, wird der Besitzstand der Personen ver-
wechselt oder vielmehr Gemeingut: durch alle drei Personen des Plural
heißt es z. B. dje, vos, il -- aimine ( nous aimions, vous aimiez, ils
aimaient ) . Das stolze Gebäude der lateinischen Conjugation, welches,
trotz Stützen und Klammern, als da sind Personalpronomina und Hülfs-
zeitwörter, mehr und mehr verfallen ist, bietet hier nicht einmal den An-
blick einer malerischen Ruine dar; der praktische Geist ist wie mit einem
Hobel darüber hingefahren, und nur selten wird das Auge für den Verlust
antiker Säulencapitelle und Giebelschmucks durch einen mittelalterlichen
Kragstein oder Dachrinnenausguß, wie que dje finisseusse ( finisse ) oder
que j' euïecince ( eussions ) , einigermaßen entschädigt. Aber da wir hier
Linguistik noch ein wenig im Sinne des preußischen Landwehrmannes
Kutschke treiben, so haben wir vor allen Dingen nach heimischen Wörtern
umherzuhorchen. Jn bedeutender Anzahl begegnen uns solche im Steinthal.
So tritt uns verschiedenes Geflügel und Gewürm unter deutschen Namen
entgegen: chtork, Storch, ch patz, Spatz, chnidre, ch nadrelle, EidechseUmgekehrt hat der Straßburger aus franz. lézard, ganz als ob dieß la zard
wäre, Jungfer Sara gemacht. D. E.
( heißt diese in irgendeiner Mundart Schneider, Schneiderlein? ) , chnôque,
Schnake, hoèrnat, Horniß, roupe, Raupe, voueindel, Wanze ( im älteren
Hochdeutsch auch Wentel aus ursprünglichem wantlus, Wandlaus, woher
die Romanen von Enneberg und Abtei in Tirol ihr antlus haben ) . Dann
eine ganze Reihe von andern Substantiven, meist concreter Bedeutung:
bouoch a, Buche, buôbe, Bube, ch litte, Schlitten, ch nitses, Schnitze,
ch tande de beurre, Butterstand, ch uèbe, Schwefel, h auoue, Haue, hoffe,
Hof, keubli, Kübler, quoetches, Zwetschen ( mundartl. Quetschen ) ,
uouermeute, Wermuth, vouâle, Wahl. Viele Zeitwörter: cheltè, schel-
ten, s' ch uttlè, sich schütteln, erfârè, erfahren, færbè, färben, grodè, ge-
rathen, kiélè, kühlen. Wenig Adjectiva: kiatte, glatt, vouonderli, wun-
derlich. Sogar eine untrennbare Präposition in f'rcontè, sich ver--zählen,
welches ein merkwürdiger Fall internationaler Wortehe ist. Jn Luneville
neben aïe auch ïo, ja. Manche Wörter die Deutschen und Franzosen ge-
meinsam sind tragen deutsche Uniform; so crappe, Krippe ( crèche ) ,
Chtrosebourgue, Straßburg ( Strasbourg ) , Ch uitze, Schweizer ( Suisse ) ,
oryelles, Orgel ( orgues ) . Und wie heimeln uns nicht an Baerbele,
Bärbel, Haïrie, Heiri, Ouali, Uli, Yéry, Joerg! Setzte sich diese thal-
aufwärts gerichtete Wanderung deutscher Wörter unablässig fort, so
würden die Steinthaler schließlich in die gleiche Lage kommen wie
ein gewisser Völkerstamm Südamerika's im vorigen Jahrhundert.
Derselbe entdeckte nämlich eines Tags daß alle Wörter deren er sich
bediente spanisch seien, und ihm von der alten Sprache weiter nichts als
die Grammatik geblieben sei, daß er also rufen konnte: Alles verloren,
nur die Ehre nicht. Aber deßhalb darf man nicht zu voreilig diese frem-
den Elemente im Patois als die siegreichen Spitzen des feindlichen Heeres
betrachten; könnten sie nicht auch abgeschnittene und gefangene Heeres-
massen, nicht auch Deserteure bedeuten? Annectiren sie oder werden sie
annectirt? Die Frage ist gerade ebenso schwierig zu beantworten als die:
ob die Deutschen in Paris den Parisern, oder diese jenen mehr zu verdan-
ken haben. Jmmerhin steht das eine fest: wo zwei Sprachen bei sonst
gleichen Bedingungen um ein Terrain ringen, wird diejenige den Sieg
davon tragen welche am meisten aus dem Wortschatze der andern annimmt;
die sprödere, heiklere unterliegen. Jene hat den Nachtheil übel zugerichtet
zu sein, den Vortheil den Platz zu behaupten. Es kommt also auch hier,
wie beim Maccaroni=Wettessen, auf den guten Magen an. -- Spärlicher
und weniger leicht erkennbar ist der deutsche Beisatz im Metzischen z. B.:
ch loné, schlagen, ch pékeur, Spieker ( Schiffsnagel ) , couesse, Zwetsche,
handlé, kehren, honque, Hengst, houre, ro ch a, Rock ( vgl. franz. rochet,
Chorrock ) . Die Wörter germanischen Ursprungs gehören nämlich hier
schon meist derselben Kategorie an wie die in den Mundarten des innern
Frankreichs, d. h. ihre Matrikel ist eine sehr alte. Die Mundarten stehen
hierin noch auf der Stufe des Altfranzösischen, das an solchen Wörtern
viel reicher ist als die neufranzösische Schriftsprache, obwohl auch so der
Akademie der Schmerz nicht erspart geblieben ist fast auf jedem Blatt
ihres Wörterbuchs Spuren barbarischer Jnvasionen verzeichnen zu müssen.
Hr. Edélestand du Méril, um nichts mit den Deutschen zu thun zu
haben, scheut die weite Fahrt nach Jsland nicht um von dort allen barbari-
schen Wortvorrath der romanischen Sprachen herzuholen; doch dünkt es
uns er habe zu viel mitgebracht, denn sollte erst der Jsländer den Jtalie-
ner das andare ( andra ) und den Franzosen die courtoisie ( kurteisi )
gelehrt haben? Freilich erschien seine Histoire de la poésie scandinave
zu einer Zeit in welcher man schon stark nach dem deutschen Rhein schielte
und ein gelinder Wahnsinn alle guten Franzosen befieng, womit indessen
keineswegs gesagt sein soll daß dieser Wahnsinn bei ihm ein vorübergehen-
der gewesen sei. Uebrigens dürfte auch neuerdings, während der Feld-
züge von 1814 und 1815 und nachher, manches deutsche Wort tiefer nach
Frankreich hineinverschlagen worden sein; wenn man z. B. in der Cham-
pagne das Wort chelm hört, so ist daran vielleicht eine Scene à la Kur-
märker und Picarde schuld. -- Jn Steinthal merkt man noch an manchem
anderen die deutsche Nachbarschaft. So sind z. B. den deutschen Wörtern
Katze, Arbeit, Predigt, Luft zu Liebe chat, travail, prêche, air zum
weiblichen Geschlecht übergetreten. Bekannt ist de romanische Unbestän-
digkeit des Adjectivs, das seinem Substantiv bald voraneilt, bald hinter
ihm herhinkt. Der Deutsche sieht auf Zucht und Ordnung; er stellt es
immer vor. Die Steinthaler haben manche Neuerung im deutschen Sinne
gemacht; sie sagen z. B.: d'aigres - dchottes für des choux aigres, sâ-
vaidge djas für coq sauvage. Die Malmedyer, nun schon geraume
Zeit Preußen, haben es noch weiter gebracht: l'cras vai für le veau
gras ist ihnen mundgerecht worden; doch möchten wir warnen einen direc-
ten landräthlichen Einfluß vorauszusetzen.
Die Geschichte der französischen Sprachgemeinden am östlichen Ab-
hange der Wasgen ist noch nicht aufgehellt. Man berufe sich nicht auf
deutsche Ortsnamen, mit denen es sich verhalten kann wie mit manchen
in Graubünden, Tirol und Friaul. Zu Rothau und Waldersbach im
Steinthal erscheint das Romanische als altansässig; und wenn die Rothauer
die Waldersbacher grobiches nennen ( was von diesen durch h abla, d. i.
hableurs, erwiedert wird ) , so deutet dieß nicht etwa auf die grob= germanische
Abkunft der letzteren, sondern bezieht sich darauf daß bei ihnen der Ge-
brauch des Lautes tch in höchster Blüthe steht, der zu Roth au unbekannt
ist; grobiches wird gesagt für grobitches, Dickschnäbler. Auch lasse man
sich, wenn man die sonst treffliche Kiepert'sche Karte der Gränzländer vor
sich hat, nicht durch die gelbe Farbe beirren, welche früher deutsches, seither
größtentheils französisch gewordenes Sprachgebiet bezeichnet. Viel wahr-
scheinlicher ist es uns daß hier das Germanische das Romanische zurück-
gedrängt habe, als daß es von ihm zurückgedrängt worden sei. Aber es
ist noch ein anderer Fall denkbar: es ist weder germanisirt noch romanisirt
worden; jede Gemeinde ist bei ihrer ursprünglichen Sprache verblieben,
und die Gemischtheit des Sprachgebiets ist nicht so zu erklären, daß Gränz-
festungen durch Eroberung aus der einen Hand in die andere übergegan-
gen sind, als vielmehr so daß die Demarcationslinie von der einen oder
von beiden Seiten durch Colonisation überschritten ist. So besteht Sainte-
Marie = aux = Mines ( Leberthal ) aus zwei Kirchspielen, einem lothringischen
und einem elsäßischen, die eine Brücke über den kleinen Fluß verbindet.
Jenes ist katholisch und französisch, dieses protestantisch und deutsch, und
sogar in Sitte und Kleidung verräth sich die verschiedene Abstammung.
Wenigstens bestand dieser Gegensatz vor nicht zu langer Zeit noch in sei-
ner ganzen Schroffheit; seitdem mag er sich vielfach verwischt haben. Da
in diesem Orte sogar manche Häuser zu einem Theil dieser und zum andern
jener Provinz angehören, so sagt man scherzend: man macht das Brod im
Elsaß, und man backt es in Lothringen, oder die Frau schlafe im Elsaß und
der Mann in Lothringen.