Ein Lehrgedicht
von
Friedrich Rückert.
Die
Weisheit des Brahmanen,
ein Lehrgedicht in Bruchſtücken.
Von
Friedrich Rückert.
Erſtes Bändchen.
Leipzig,
Weidmann'ſche Buchhandlung.
1836.
I.
Rückert, Lehrgedicht. I. 1
1.
Ein indiſcher Brahman, geboren auf der Flur,
Der nichts geleſen als den Weda der Natur;
Hat viel geſehn, gedacht, noch mehr geahnt, gefuͤhlt,
Und mit Betrachtungen die Leidenſchaft gekuͤhlt;
Spricht bald was klar ihm ward, bald um ſich's klar zu machen,
Von ihn angeh'nden halb, halb nicht angeh'nden Sachen.
Er hat die Eigenheit, nur Einzelnes zu ſehn,
Doch alles Einzelne als Ganzes zu verſtehn.
Woran er immer nur ſieht ſchimmern einen Glanz,
Wird ein Betkuͤgelchen an ſeinem Roſenkranz.
1*
2.
Die Flamme waͤchſt vom Zug der Luft, und mehrt den Zug;
So haͤlt ſich Leidenſchaft durch Leidenſchaft im Flug.
Das Feuer ſchuͤrt der Wind, und loͤſcht das Feuer wieder;
So kaͤmpfet Leidenſchaft die Leidenſchaft danieder.
Wie ſtill die Lampe brennt am windbeſchirmten Ort,
So ein beruhigt Herz in Andacht fort und fort.
3.
Wie nur die Schleuder kann in rechter Ferne wirken,
So muß der Sinne Kraft auch eine Grenz' umzirken.
Zu nah den Augen iſt nicht beſſer als zu fern;
Dich ſelbſt durchſchauſt du nicht, und nicht den Himmelsſtern.
Doch zwiſchen deinem Ich und jenem Daͤmmerſterne
Liegt eine weite Welt, die zu durchſchauen lerne!
4.
Wer Furcht vor keinem hegt, Furcht keinem auch erregt,
Sieht den furchtbaren Tod von keiner Furcht bewegt.
Wer keine Luft verſtoͤrt, wen keine Luft bethoͤrt,
Erlangt die hoͤchſte Luft, wo alle Luft aufhoͤrt.
Wem hoch und niedrig gleich, gleichviel iſt hart und weich,
Gleichgiltig reich und arm, der iſt in Armuth reich.
Wer Lieb' mit Lieb' umfaßt, und ſelbſt den Haß nicht haßt,
Der iſt zu Hauſe dort, hier auf der Welt ein Gaſt.
5.
Bedenke daß ein Gott in deinem Leibe wohnt,
Und vor Entweihung ſei der Tempel ſtets verſchont.
Du kraͤnkſt den Gott in dir, wenn du den Luͤſten froͤhneſt,
Und mehr noch wenn du in verkehrter Selbſtqual ſtoͤhneſt.
Gott ſtieg herab, die Welt zu ſchaun mit deinen Augen;
Ihm ſollſt du Opferduft mit reinen Sinnen ſaugen.
Er iſt, der in dir ſchaut und fuͤhlt und denkt und ſpricht;
Drum was du ſchauſt, fuͤhlſt, denkſt und ſprichſt, ſei goͤttlich licht.
6.
Alswie der Menſch, ſo iſt ſein Gott, ſo iſt ſein Glaube,
Aus geiſt'gem Aether bald, und bald aus Erdenſtaube.
Doch doppelt iſt der Gott, der Glaube doppelt auch,
Hier ſelbſtentglommner Trieb, dort uͤberkommner Brauch.
Das Eigenſte wird ganz nie frei vom Angenommnen,
Doch uͤbt die Eigenheit ihr Recht am Ueberkommnen.
Man reißt das Haus nicht ein, das Vaͤter uns gebaut,
Doch richtet man ſich's ein, wie man's am liebſten ſchaut.
Und raͤumt man nicht hinweg ehrwuͤrd'ge Ahnenbilder,
Durch Deutung macht man ſie und durch Umgebung milder.
Des Glaubens Bilder ſind unendlich umzudeuten,
Das macht ſo brauchbar ſie bei ſo verſchiednen Leuten.
7.
Wie Blaſen in dem Strom auftauchen und zergehn,
So ſah die Fantaſie Goͤtter aus Gott entſtehn.
Die Kunſt, das wirre Spiel der Fantaſie zu mildern,
Bezaubernd bannte ſie den Geiſt in Marmorbildern.
Des Sinnbilds Misgeſtalt will nichts ſein, nur bedeuten;
Der Wohlgeſtalt gebuͤhrts, Anbetung zu erbeuten.
Doch ſoll der Allgeiſt nicht im engen Haus verkuͤmmern,
Muß mit dem falſchen Schein die Schoͤnheit ſelbſt zertruͤmmern.
Wenn der verſoͤhnte Geiſt frei mit unſchuld'gem Spiel
Begoͤttert die Natur, dann iſt die Kunſt am Ziel.
8.
Wenn das Erhabne ſtaunt die junge Menſchheit an,
Spricht ſie im hellen Traum: das hat der Gott gethan.
Und wenn ſie zum Gefuͤhl des Schoͤnen dann erwacht,
Bekennt ſie freudig ſtolz: Es hats der Menſch vollbracht.
Und wenn zum Wahren einſt ſie reift, wird ſie erkennen,
Es thuts im Menſchen Gott, der nicht von ihm zu trennen.
9.
Die Sekten alle ſind im Glauben einverſtanden,
Es ſei ein hoͤchſtes Gut zu ſuchen und vorhanden.
Wo es zu finden ſei, das iſt die erſte Spaltung,
Und wie zu ſuchen? das des weitern Streits Entfaltung.
Der eine ſteckte hoch das Ziel, der andre tiefer,
Danach nach ſeiner Kraft dann kroch er oder lief er.
Der Niedrigſte wird auch nach etwas Hoͤchſtem geizen,
Das hoͤchſte Hoͤchſte kann den hoͤchſten Sinn nur reizen.
Ein Hoͤchſtes iſt Genuß, ein Hoͤh'res ſel'ge Ruh;
Was dir das Hoͤchſte gilt, Erkenntnis ſuche du.
In der Erkenntnis iſt Genuß das Suchen ſchon,
Und einſt wird ſel'ge Ruh ſeyn der gefundne Lohn;
Wenn alles du als gut im hoͤchſten Gut erkennſt,
Und einen boͤſen Schein allein das Boͤſe nennſt.
Inzwiſchen mußt du Gut und Boͤſes unterſcheiden,
Und fuͤr das Gute ſelbſt den Schein des Boͤſen meiden.
Erkenntnis, Ruh, Genuß, iſt nie bei boͤſem Muth;
Nur auf des Guten Pfad kommſt du zum hoͤchſten Gut.
10.
Drei Eigenſchaften gibts, die ſich verſchieden gatten
In dir und jedem Ding: Licht, Finſternis und Schatten.
Urgoͤttlich iſt das Licht, ungoͤttlich Finſternis,
Und zwiſchen beiden ſind die Schatten ungewis.
Die Schatten ſuchen Theil am Licht, um zu entſtehn,
Und durch die Finſternis beſtehn ſie und vergehn.
Ob ſie in Finſternis vergehen, ob im Licht?
Im Kampf vergehen ſie, den dis und jene ficht.
Im Kampf, in welchem ſie vergehn, entſtehn ſie immer,
Verſoͤhnen wollen ſie den Kampf und koͤnnens nimmer.
Sie legen, um den Kampf zu ſuͤhnen, ſich dazwiſchen,
Und muͤſſen in den Kampf ſich wider Willen miſchen;
Alswie ein Brudervolk ſich in zwei Voͤlker ſpaltet,
Wenn um die Krone Streit von zweien Haͤuptern waltet.
Das iſt der große Kampf, der ringt durch die Natur,
Und alles Groß' entringt ſich dieſem Kampfe nur.
11.
Aus Finſternis zum Licht ſteigt eine Stufenleiter,
Die dunkel iſt am Fuß und an der Spitze heiter.
Im Schatten ſiehſt du nicht, wie hoch die Leiter du
Aufklommeſt, doch du klimmſt zum Licht auf, klimm nur zu!
Wenn du im Licht erkennſt, wie aus dem Licht erſtanden
Nothwend'ge Finſternis, dann iſt die Welt verſtanden.
War Finſternis einſt Licht, ſo wird ſie Licht einſt ſeyn,
Wann das Entſprungne geht in ſeinen Urſprung ein.
Jedweder Sieg des Lichts im ſchwachen Geiſt vollbracht,
Weiſſagt den ew'gen Sieg der lichten Geiſtermacht.
Ihn profezeit die Sonn' an jedem Tage tagend,
Mit einem Stral von Licht ein Heer von Schatten ſchlagend.
Am Abend wird ſie roth vor Scham daß ſie erlag,
Und traͤumt die Nacht hindurch vom großen ew'gen Tag.
12.
Als Knabe hab' ich einſt die Frucht am Baum geſehn,
Und ſehe nun als Greis die Bluͤtenknoſpen ſtehn.
Vom Menſchen wird nur das, was er nicht hat, geſucht,
Der Bluͤtentrieb vom Greis, vom Kind die reife Frucht.
Warum nach reifer Frucht das Kind begierig greift?
Weil es die Bluͤt' iſt, die der Frucht entgegen reift.
Warum das alte Herz an jungen Trieben haͤngt?
Weil die getriebne Frucht zu neuen Trieben draͤngt.
Wo traͤgt die Gegenwart der Zukunft Bluͤtenkrone?
Wo ſich ein Vater ſieht verjuͤngt in ſeinem Sohne.
Der Gaͤrtner ſei gelobt, der dieſen Baum begießt,
Wo Frucht aus Bluͤt' und Bluͤt' aus Frucht unendlich ſprießt.
13.
Stell dich in Reih und Glied, das Ganze zu verſtaͤrken,
Mag auch, wer 's Ganze ſieht, dich nicht darin bemerken.
Mag auch, wer 's Ganze ſieht, dich nicht darin bemerken;
Das Ganze wirkt, und du biſt drin mit deinen Werken.
Stell dich in Reih und Glied, und ſchaare dich den Schaaren;
Und theilſt du nicht den Ruhm, ſo theilſt du die Gefahren.
Wird nicht der Muſterer den Einzelmann gewahren,
Mit Luſt doch wird er ſehn vollzaͤhlig ſeine Schaaren.
Damit im Lanzenwald nicht fehlet eine Lanze,
Heb deine fein, und ſei gefaßt auf jede Schanze.
Sei nur ein Blatt im Kranz, ein Ring im Ringeltanze,
Fuͤhl' dich im Ganzen ganz, und ewig wie das Ganze!
14.
Wenn es dir uͤbel geht, nimm es fuͤr gut nur immer;
Wenn du es uͤbel nimmſt, ſo geht es dir noch ſchlimmer.
Und wenn der Freund dich kraͤnkt, verzeih's ihm, und verſteh:
Es iſt ihm ſelbſt nicht wohl, ſonſt thaͤt' er dir nicht weh.
Und kraͤnkt die Liebe dich, ſei dir's zur Lieb' ein Sporn;
Daß du die Roſe haſt, das merkſt du erſt am Dorn.
15.
Zwei Spiegel ſind, worin ſich ſelber ſchaut mit Wonne
Die hohe Himmels- und die hoͤchſte Geiſterſonne:
Ein Spiegel iſt das Meer, von keinem Sturm empoͤrt,
Ein andrer das Gemuͤth, von keinem Drang verſtoͤrt.
16.
Baumeiſterin Natur ſcheint fuͤr ſich ſelbſt zumeiſt
Zu baun, und baut zuletzt doch Alles fuͤr den Geiſt.
Der ſchrankenloſe Geiſt iſt darum nur gefangen
In Schranken, um darin zur Freiheit zu gelangen.
Ein Saͤugling iſt der Geiſt, Natur iſt ſeine Amme,
Sie naͤhrt ihn, bis er fuͤhlt, daß er von ihr nicht ſtamme.
Die dunkle Mutter will ihr Kind in Schlummer halten;
Von oben bricht ein Stral durch ihres Hauſes Spalten.
Und wie der Schmetterling erwacht vom Puppentraum,
Schwingt der Gedanke frei ſich uͤber Zeit und Raum.
Wie, wann die Frucht iſt reif, von ſelbſt die Kapſel ſpringt,
Und hin der Saame fliegt, von Himmelsluft beſchwingt.
Wie der Bruͤtmutter Huhn die Entenbrut entrann,
Und auf die Flut ſich wagt, wo ſie nicht folgen kann.
17.
Verſtand zu ſeinem Bau braucht manche Stuͤtz' und Kruͤcke,
Natur und Fantaſie baut ganz aus Einem Stuͤcke.
Die Stuͤtzen fehlen nicht, ſie ſind nur nicht zu ſehn;
Und auf ſich ſelber ſteht, was ſcheint auf Nichts zu ſtehn.
Was du begreifen kannſt, ſiehſt du in ſeiner Bloͤße;
Stets unbegreiflich iſt die Schoͤnheit und die Groͤße.
18.
Ich ſtreue Perlen aus, und Niemand achtet drauf;
Bald ſtreu' ich keine mehr, dann leſt ihr dieſe auf.
Wenn du erkennen kannſt, wie vielfach iſt das Eins,
Faͤllt mit der Vielheit ein die ganze Welt des Scheins.
Das Eins iſt zweierlei, das Eine und das Zweite,
Die Zwei ſind Eines mit ſich ſelbſt im Widerſtreite.
Das eine Eins iſt hier, das andre Eins iſt dort,
Die tauſchen unter ſich den Namen und den Ort.
Blick' in den Spiegel und verdoppelt ſiehſt du dich;
Blick weg, und auf in Eins loͤſt ſich das Doppel-Ich.
Im Spiegel iſt dein Bild, du ſelber aber biſt
Nur deſſen Spiegelbild, der Aller Urbild iſt.
Wenn in den Spiegel er mit Liebesblicken ſchaut,
Entſteht ein Weltbild, das, blickt er hinweg, zerthaut.
Drum preiſt die Liebe, die ihm ſtets den Spiegel haͤlt,
Daß ihm, dem Einen, ſich als zwei zu ſchaun gefaͤllt!
Das Eins iſt zweierlei, hier Einheit unentzweit,
Dort in der Zweiheit hergeſtellte Einigkeit.
Eins iſt der Punkt, der Kreis das andre, und das dritte
Iſt zwiſchen Kreis und Punkt die vieltheilbare Mitte.
Was iſt der Kreis? Ein Punkt, der um ſich ſelber kreiſt,
Und ſeinen Umfang woͤlbt, wie ſeinen Leib der Geiſt.
Zieh einen weitſten Kreis, und ruͤck' ihn weit ins Ferne,
Sogleich erſcheint er dir als Punkt, gleich jedem Sterne.
Setz' einen kleinſten Punkt, ob unſichtbar er waͤre,
Brauch' ein Vergroͤßrungsglas, und er erwaͤchſt zur Sfaͤre.
Ins Waſſer wirf den Stein, und ſieh wie ſich erweitern
Aus Kreiſen Kreiſe, um im weiteſten zu ſcheitern.
Eins ob der Kreis zerfloß, Eins ob er nie entſtand,
Denn Eins iſt Alles, wenn der Schein der Zweiheit ſchwand.
Die Zwei iſt Zweifel, Zwiſt, iſt Zwietracht, Zwieſpalt, Zwitter;
Die Zwei iſt Zwillingsfrucht am Zweige ſuͤß und bitter.
Wenn Zwietracht Eintracht wird, und Einfalt das Zwiefalte,
Dann wird der Schaden heil am alten Weltzwieſpalte.
19.
Wer Schranken denkend ſetzt, die wirklich nicht vorhanden,
Und dann hinweg ſie denkt, der hat die Welt verſtanden.
Alswie Geometrie in ihren Liniennetzen
Den Raum, ſo faͤngt ſich ſelbſt das Denken in Geſetzen.
Anſchaulich macht man uns die Welt durch Laͤndercharten,
Nun muͤſſen wir des Geiſts Sterncharten noch erwarten.
Indeß geht, auf Gefahr den Richtweg zu verlieren,
Der Geiſt durch ſein Gebiet, wie wir durchs Feld ſpazieren.
20.
Thu was du kannſt, und laß das andre dem, der's kann
Zu jedem ganzen Werk gehoͤrt ein ganzer Mann.
Zwo Haͤlften machen zwar ein Ganzes, aber merk:
Aus halb und halb gethan entſteht kein ganzes Werk.
Wer halb und halb geſund, der mag nur krank ſich nennen;
Und gar nicht kennen wir, was halb und halb wir kennen.
Wenn etwas Ganzes wuͤrd' aus noch ſo vielen Halben,
Ganz gut! es wimmelt jetzt von Halben allenthalben.
In jeder Halbheit wohnt ein Trieb zur Uebertreibung;
Bei Uebertreibung bleibt nicht aus die Unterbleibung.
Zuwenig und zuviel iſt beides ein Verdruß;
So fehl iſt uͤberm Ziel wie unterm Ziel ein Schuß.
Zuwenig und zuviel iſt gleichſehr unvollkommen;
Im Ernſt iſt und im Spiel das rechte Maß willkommen.
21.
Gelobt ſei jede Form, weich ſei ſie oder ſchroff;
Denn jede neue Form erzeuget neu den Stoff.
Der Geiſt, der einer iſt und vielfach wird geboren,
Sucht neuen Leib, wann er am alten Luſt verloren.
Er thut durch Ein Organ ſich nur zur Haͤlfte kund,
Verſchweigt die Haͤlfte, bis er findet andern Mund.
Was als Kriſtall er konnt', als Edelſtein nicht ſpruͤhn,
Wird er einmal als Pflanz', als Blum' einmal ausbluͤhn.
22.
Das Echo, das du weckſt, reizt dich, o Nachtigall,
Wie einen Dichter ſpornt des Beifalls Widerhall.
Was iſt der Widerhall? Biſt du es nicht allein?
Gib dir den Beifall ſelbſt, und laß den tauben Stein.
Was hilfts! Es waͤchſt die Kraft des Worts und ſeine Luſt,
Wenn ſtatt aus deiner du es ſprichſt aus Aller Bruſt.
23.
Wie ich dich kehren mag, du kehrſt dich ſelber zu
Dem Licht, o Bluͤtenzweig, mich ſelbſt beſchaͤmeſt du.
Und jeder Sproß, verkehrt im Boden eingeſenkt,
Hat bald das Unterſte nach Oben umgelenkt.
Von innerm Drang gedraͤngt, von aͤußerm Zug gezogen,
Bleibt ihr dem Licht getreu, und bis zum Tod gewogen.
So haltet ihr das Licht, ihr dunkeln Trieb', in Ehren,
Und nur der lichte Geiſt kann ab zur Nacht ſich kehren.
Doch kann auch er, indeß ihr bleibt an Wurzeln hangen,
Dem Lichte zugewandt, zum Lichte ſelbſt gelangen.
24.
Der Strom, einmal getruͤbt, muß fließen eine Weile,
Eh aus der innern Fuͤll' er ſeinen Schaden heile.
Vom Sturm erſchuͤttert, muß in Wolkendampf die Luft
Ausgaͤhren, bis ſie ſich verklaͤrt in reinen Duft.
So muß ein menſchliches Gemuͤth auch erſt ausſchwanken,
Wenn es ein aͤußrer Stoß, ein innrer, macht' erkranken.
Leicht heilt die Wunde, die man deinem Leib geſchlagen;
Die ſelbſt dein Herz ſich ſchlug, wird ſpaͤte Narben tragen.
Doch wenn es grauſam heißt, dem Freund die Wund' aufreißen;
Sich ſelber es zu thun, kann auch nicht menſchlich heißen.
Viel lieber lindes Oel geuß, das du haſt im Haus,
Auf deine Schmerzen und auf alle fremden aus.
25.
Ich freue jeden Tag dem Abend mich entgegen,
Und jede Nacht im Traum mich auf den Morgenſegen.
Ich freue ſtill mich mit unungeſtuͤmer Luſt,
Nicht ungeduldig iſt die Freud' in meiner Bruſt.
Ich freu' mich auf die Stund' und auf den Augenblick,
Auf groß und kleines, mein und anderer Geſchick.
Vom Herbſt den Winter durch freu' ich dem Lenz mich zu,
Und aus dem Sommer durch den Herbſt zur Winterruh.
Ich freu' mich durch des Jahrs und durch des Lebens Zeit,
Und aus der Zeit hinaus mich in die Ewigkeit.
26.
Ich bin der Leib nicht, der euch vor den Augen ſteht,
Ich bin des Liedes Ton, der euch zu Herzen geht.
Und wenn das Lied ergreift und heiligt euern Sinn,
So danket Gott dafuͤr daß ichs geworden bin.
Rückert, Lehrgedicht. I. 2
27.
Ungluͤcklich biſt du nicht, wie unbegluͤckt du ſeiſt;
Das Schickſal nur begluͤckt, doch gluͤcklich macht der Geiſt.
Denkſt du, wie ſchoͤn es waͤr', ob du ein Gut gewannſt;
Denk auch, noch ſchoͤner iſts, daß du's entbehren kannſt.
Ob auszutheilen du nicht Schaͤtze haſt im Haus,
So theile, die du haſt, die goldnen Lieder aus.
Ich gebe, was ich hab', und hab' um nur zu geben;
Zu geben ſamml' ich ein, dis Sammeln iſt mein Leben.
Den Koͤnig wollt' ich ſehn, der in Freigebigkeit
Mit mir wetteiferte! wer, Fuͤrſten, wagt den Streit?
Dazu aus Oſt und Weſt erheb' ich Geiſteszehnten,
Zu lohnen koͤniglich all meinen Kronbelehnten.
So zieht die Sonne wol das Waſſer auf mit Stralen,
Und gibts der Welt zuruͤck in Regenbogenſchalen.
28.
Die Kraͤnze, die du ſiehſt, ſind lauter Trauerzeichen
Erblichner Freuden, die den Freuden nach erbleichen.
Fuͤr jede Luſt, die ſtarb, zum Denkmal einen Kranz
Hab' ich geflochten, und umkraͤnzt bin ich nun ganz.
Hier haͤngt der Freundſchaft Laub, und hier der Liebe Flitter,
Und hier das Vatergluͤck, gemaͤht vom dunklen Schnitter.
Hier welkt die Jugend, hier der Ruhm, und hier daneben
Iſt eine Stelle noch fuͤr dieſen Reſt von Leben.
Wer nach mir uͤbrig bleibt, wann ich geſchieden bin,
Haͤng' einen letzten Kranz aus dunkeln Blumen hin.
Und wenn ein Gaſt beſucht die leere Siedelei,
Ihr welken Kraͤnze, ſagt: So geht die Welt vorbei.
2*
29.
Freuſt du auf Kuͤnft'ges dich, ſo ſieh doch zu, weswegen?
Ob du nur hier dich weg, ob dort dich freuſt entgegen?
Entgegen ſoll man ſich dem Tode ſelber freun,
Doch uͤbers Leben ſich hinwegzuwuͤnſchen ſcheun.
Wie nuͤchtern, freudenleer, wie oͤd' ein Tag, woruͤber
Du nichts zu denken haſt, als: Waͤr' auch er voruͤber!
30.
Ring an, den Himmel mit der Erde auszugleichen!
Wer das errungen hat, der traͤgt das Siegeszeichen.
'S iſt keine Kunſt, die Welt roh unter'n Fuß zu treten;
So zarte Blumen bluͤhn auf dieſen Gartenbeeten.
Es iſt auch keine Kunſt den Himmel fuͤr die Schwachen
Einladend, und dem Trotz die Hoͤlle heiß zu machen.
Den Himmel zieh herab, die Erd' empor mit Brunſt!
Nur dis, der Rede werth, iſt Erdenhimmelskunſt.
31.
Dein Auge kann die Welt truͤb' oder hell dir machen;
Wie du ſie anſiehſt, wird ſie weinen oder lachen.
Dein aͤußres Auge kannſt du ſchaͤrfen ſelbſt und uͤben;
O huͤte dich vielmehr, dein inneres zu truͤben!
Wenn rein dein innres ſchaut, das aͤußre mag erblinden,
Du wirſt das helle Bild der Welt im Herzen finden.
32.
Der Vater mit dem Sohn iſt uͤber Feld gegangen;
Sie koͤnnen nachtverirrt die Heimat nicht erlangen.
Nach jedem Felſen blickt der Sohn, nach jedem Baum,
Wegweiſer ihm zu ſeyn im weglos dunklen Raum.
Der Vater aber blickt indeſſen nach den Sternen,
Alsob der Erde Weg er woll' am Himmel lernen.
Die Felſen blieben ſtumm, die Baͤume ſagten nichts,
Die Sterne deuteten mit einem Streifen Lichts.
Zur Heimat deuten ſie; wohl dem, der traut den Sternen!
Den Weg der Erde kann man nur am Himmel lernen.
33.
Kommſt du in fremde Welt, ſo ſiehſt du fremden Baum,
Fremd Antlitz, fremd Gethier, dich ſchreckt der fremde Raum.
Doch ſieh den Boden an, er iſt vom ſelben Steine,
Und ſieh das Waſſer auch, es iſt vom ſelben Scheine.
Dann ſieh zum Himmel auf, es ſind dieſelben Sterne;
Und ſo im fremden Raum dich heimiſch finden lerne.
Die Sterne helfen dir, das Waſſer und die Erde,
Daß unfremd Baum und Thier und auch der Menſch dir werde.
Befreundet wirſt du leicht mit fremdeſter Natur,
Am laͤngſten bleibt der Menſch dem Menſchen fremde nur.
Und erſt der Himmel muß erklaͤren und die Erde
Dir deines Bruders ganz entfremdete Geberde.
34.
Es iſt ein heil'ger Brauch, im reinen Gartenraum
Bei deines Sohns Geburt zu pflanzen einen Baum.
So aͤhnlich iſt der Trieb des Menſchen und der Pflanze,
Und ſo verſchieden auch, wie Blatt und Blatt am Kranze.
Das zarte Reis kann nur durch Jahresgunſt gedeihn,
Und nur durch Himmelsgunſt gedeiht ein Kind allein.
Der Baum, gepflanzt, erwaͤchſt dir ohne weitre Muͤhn;
Nicht ſonder Sorge wirſt du ſehn den Sohn erbluͤhn.
Wenn du ihn biegen willſt, ſo biege fein den jungen;
Das iſt vom Baum ſowohl wie von dem Sohn geſungen.
Der Baum zu ſeiner Zeit traͤgt ſeine Frucht fuͤr dich;
Dein Sohn traͤgt ſeine Frucht, wenn er ſie traͤgt, fuͤr ſich.
Doch ſeine Frucht zu ſehn, macht Freuden dich erſatten,
Und einſt zufrieden ſchlaͤfſt du ein in ſeinem Schatten.
35.
Des Herzens Pfoͤrtner iſt des Mannes Angeſicht,
Der den und den Empfang beim Herren dir verſpricht.
Ein freundliches Geſicht wird Hoffnung dir erwecken,
Und ein unfreundliches zuruͤck die Hoffnung ſchrecken.
Doch oft, wann du zum Herrn gelangt, haſt du entdeckt,
Daß Hoffnung oder Furcht der Pfoͤrtner falſch erweckt.
Ein herzensholder Herr hat oft unholde Mienen
Zu Dienern, waͤhrend auch unholdem holde dienen.
Drum laß ein Laͤcheln dir nicht zuviel Hoffnung wecken,
Und auch ein Schmollen laß nicht gleich zuruͤck dich ſchrecken.
Ihr aber, Herzensherrn, ſagt euern Dienern fein,
Daß ſie nicht euerm Sinn umhuͤllen falſchen Schein.
Warum ſoll Freundlichkeit vergebens Hoffnung wecken,
Und gar Unfreundlichkeit zuruͤck die arme ſchrecken?
Die muͤden Hoffnungen, die oft ſo irre gehn,
O koͤnnten ſie das Ziel gleich recht am Eingang ſehn!
36.
Ein Weiſer ſprach: Ich hab' auf meines Lebens Bahn
Nie einem Menſchen weh, nie einem wohl gethan.
Unweiſe fragten ihn: Was alſo thateſt du?
Er ſprach: Ich that nur mir, was ich fuͤgt' andern zu.
Wohl that mir, was ich wohl gethan, und weh, was wehe;
Drum that ich keinem, was ich that daß mir's geſchehe.
37.
Ein Koͤnig ward gefragt, was ihm das Liebſte ſei
An der erlangten Macht? Er ſagte: Zweierlei:
Daß ich mit Wohlthat nun die, ſo mein Wohl beriethen,
Und meine Feinde kann mit Großmuth uͤberbieten.
38.
Ein maͤcht'ger Koͤnig ſprach: Mehr als im Ueberwinden
Konnt' ich erſt meine Macht ganz im Verzeihn empfinden.
Der weiſe Koͤnig ſprach: Scheu dich, den zu beleidigen,
Den Niemand gegen dich, als Gott nur, kann vertheidigen.
Die Kraͤnkung fremder Ehr' iſt deiner Wuͤrd' Entweihung,
Denn den Gekraͤnkten mußt du bitten um Verzeihung.
Wenn dich der Zorn befaͤllt im Stehn, ſo ſetz dich nieder,
Und wenn im Sitzen, ſtreck' aufs Lager aus die Glieder.
Laß ſeyn, was du nicht hoͤrſt! weil ſichs von ſelbſt verſteht,
Daß, wer ins Antlitz lobt, auch hinterm Ruͤcken ſchmaͤht.
Ein unbeſonnen Wort, wo du es hoͤreſt ſprechen,
Thu alsob du nicht hoͤrſt, ſo brauchſt du's nicht zu raͤchen.
Derſelbe ſprach: Mein Reich liegt in der Sinne Schranken;
Ich richte nach der That, und nicht nach den Gedanken.
39.
Dein Feind iſt zweierlei, ein Feind der Boͤſes that
An dir, und einer der's von dir erlitten hat.
Mußt du um Hilf' in Noth den einen von den beiden
Anrufen, ſei's der that, nicht der es mußte leiden.
Denn jenem ſteht nun zu, daß gut er's wieder mache,
Doch dieſer ſinnet nur auf des Erlittnen Rache.
40.
Wer einen Fehltritt that, verzeih ihm, lieber Mann!
Bedenk, auch einen Fuß haſt du der ſtraucheln kann.
Heil dem, der Demuth lernt nicht durch Demuͤthigungen,
Der ohne daß die Welt ihn zwang, ſich hat bezwungen.
Den Niedern blaͤht Beſitz, und Armuth macht ihn zahm,
Den Edeln macht ſie ſtolz, und Reichthum demuthſam.
Ein ſchlechtes Schauſpiel iſts, wenn hoch die Niedern ſteigen,
Und ein erbaͤrmliches, wenn ſie zum Fall ſich neigen.
Wer ohne ſein Verdienſt geſtiegen iſt, erhaͤlt
Durchs Steigen Achtung nicht, noch Mitleid wenn er faͤllt.
Der oberſte der Plaͤtz' iſt ſchwankender als alle,
Und jeder ſtrebt hinauf, nur daß herab er falle.
Wer ſeine Stellung kennt und dazu ſeine Kraft,
Und beiden wirkt gemaͤß, der wirkt untadelhaft.
Zum Selbſtgefaͤll'gen ſprich: Ich moͤchte lieber Allen,
Wie du dir ſelbſt, als mir, wie ihnen du, gefallen.
Die Demuth ehre du, und zu der Demuth Ehren
Sei gegen Stolze ſtolz, um Demuth ſie zu lehren.
41.
Ein rechter Mann hat zwei Geſichter, die er haͤlt
Das eine auf ſein Haus, das andre auf die Welt.
Das freundliche Geſicht, das wendet er in's Haus,
Das ernſte aber kehrt er in die Welt hinaus.
42.
Den Thoren iſts umſonſt von einem Schaden heilen,
Denn ſeine Thorheit wird ſogleich zum andern eilen.
Von einem Aeußerſten zum andern ſpringt ein Thor;
Vom rechten ſchiebt der Aff' die Muͤtz' aufs linke Ohr.
43.
Zum Milden ſprach ein Freund: Du mußt die Mild' ablegen,
Die dich verarmen macht. Der Milde ſprach dagegen:
Zur Milde hab' ich mich gewoͤhnt nach Gottes Bilde,
Und ſeine Mild' hat ſich gewoͤhnt an meine Milde.
Ich fuͤrchte, wenn ich nun ablegen ſollte meine
Gewohnheit, moͤchte Gott ablegen mir die ſeine.
44.
Von ſichrer Meiſterſchaft iſt Scherz ein ſichres Zeichen;
Wie ſich die Katze laͤßt zum Scherz die Maus entweichen.
Der Scherz iſt ein Verſuch, Ungleichheit gleichzuſtellen;
Drum ſcherzen ungeſtraft nur unter ſich Geſellen.
Mit Kleinerm ſcherze nicht! er wird ſich uͤberheben;
Und nicht mit Groͤßerem! er wird dir's nicht vergeben.
Der Scherz iſt ſicher, der den Ernſt hat an der Hand,
In Schutz zu nehmen ihn vor bloͤdem Misverſtand.
Der Scherz iſt ſicher, nie die Achtung zu verſcherzen,
Der ein Bewußtſeyn traͤgt von hoͤhrer Wuͤrd' im Herzen.
Sich wegzuwerfen mag ein Weilchen ſich nicht ſchaͤmen,
Wer ſicher iſt, ſich ſelbſt gleich wieder anzunehmen.
Wer mit den Schmerzen ſcherzt, der hat ſich uͤberwunden
Entweder, oder wird von ihnen nie gefunden.
Drum reimet Scherz auf Schmerz, und beides reimt auf Herz,
Weil Dichterherzen ſtets verwandeln Schmerz in Scherz.
45.
Der Menſchenrede werth iſt nicht was Menſchen thaten;
Mit der Natur und Gott ſoll ſich mein Geiſt berathen.
Die Weisheit Indiens hat vergeſſen der Geſchichte,
Daß ſie allein von Gott, Natur und Geiſt berichte.
Und ſo ihr Schuͤler ich hab' auch, was ich beſeſſen,
Gethan und thun geſehn, mit Gott in Gott vergeſſen;
Und weiß nur Eines noch, und weiß dis Eine ganz:
Gott iſt die Geiſterſonn' und die Natur ſein Glanz.
46.
Nichts haſt du ſchlecht gemacht, auch was du machteſt ſchlecht,
Es half dir daß du nur was andres machteſt recht.
Du haͤtteſt nur vielleicht dem Unverſtand verſchweigen
Das Eine ſollen und allein das Andre zeigen.
Man ſieht den Weg dich gehn, nicht blos am Ziel dich ſtehn,
Und immer lehrreich iſt auch jenes anzuſehn.
47.
Die Roſe taucht den Fuß in Waſſer doch und Roth;
Was wuͤrzt ihr denn den Mund und macht die Wang' ihr roth?
An ihrem Fuße ſteht ein erdgeborner Schwamm,
Den giftig hat geſchwellt der gern geſogne Schlamm.
Er trank den Schaum ihr weg, der Geiſt iſt ihr geblieben,
Den ſie zur Bluͤt' erſchloß, von ihrer Art getrieben.
Sei du die Himmelsroſ' und nicht der Erdenpilz;
Saug Aether in dein Herz, nicht Gift in deine Milz.
48.
Wol ſein Erkenntniskreis iſt jedem Geiſt beſtimmt,
Doch unbeſtimmt, wieviel er in den Kreis aufnimmt.
Du kannſt das Zimmer nicht, in dem du wohnſt, erweitern,
Doch es nach deiner Luſt ausſchmuͤcken und erheitern.
Ich blicke ſtets umher, was ich noch ohne Schaden
Der innern Einheit kann in meine Kreiſe laden.
Der engſte Raum iſt weit dem was kein Raum umkreiſt,
Und alle Geiſter ſind zu Gaſte gern beim Geiſt.
49.
Wer den kennt, der allein gewirkt hat und gedacht,
Wird ſich nicht ruͤhmen daß er ſelbſt ein Werk vollbracht.
Das Gute das du thuſt, das thut in dir der Gute,
Und nur das Boͤſe kannſt du thun aus eignem Muthe.
Das Boͤſ' iſt, daß du nicht gedenk des Guten biſt;
Was ſein gedenk du thuſt, muß gut ſeyn wie er iſt.
50.
Zieh deine Selbheit aus, und an die Goͤttlichkeit!
Die Selbheit iſt ſo eng, die Goͤttlichkeit ſo weit.
Sei ſelbſt! Er ſelber will, daß ſelbſt du ſolleſt ſeyn,
Daß du erkenneſt ſelbſt, er ſei dein Selbſt allein.
Erinnre dich daran! du haſt es nur vergeſſen.
Laß dich erinnern! ſtets erinnert er dich deſſen.
Wenn du ihn hoͤren willſt in dir, mußt du nur ſchweigen;
So ſpricht er laut: Du warſt, ſollſt ſeyn und biſt mein eigen.
51.
Den Geiſt an ſeinen Leib knuͤpft ein natuͤrlich Band,
Das loͤſt er nicht, wenn er ſich jedem ſonſt entwand.
Er hat es nicht geknuͤpft, und ſoll es drum nicht loͤſen;
Verſtricken ſoll er nur ſich nicht darein zum Boͤſen.
Der Leib iſt zwiſchen Geiſt und Welt zwar ein Verband,
Doch zwiſchen Geiſt und Welt auch eine Scheidewand.
Der Geiſt kann durch den Leib ſich in den Weltſchmutz tauchen,
Doch gegen ihre Flut ihn auch zum Damme brauchen.
Es fuͤhlt ein reiner Geiſt, vom reinen Leib befangen,
Sich frei vom Dienſt der Welt, allein in Gott gefangen.
52.
Wer ſich vorm Andern ſchaͤmt, fuͤhlt ſich vor ihm gelaͤhmt;
Doch ſich gekraͤftigt fuͤhlt, wer vor ſich ſelbſt ſich ſchaͤmt.
Wenn deinem Bilde leiht ein Maler ſchoͤnern Schein,
Beſchaͤmt dich das Gefuͤhl, daß du nicht ſo kannſt ſeyn.
Doch wenn ins Schoͤnre dich dein innrer Maler malt,
Spornt dichs, zu ſtralen ſelbſt, wie jetzt dein Bild nur ſtralt.
53.
Ein Wunder iſt die Welt, das nie wird ausgewundert,
Das niederſchlaͤgt den Geiſt und wieder ihn ermuntert.
Daniederſchlaͤgt den Geiſt vorm ew'gen Stoff ein Bangen,
Und ſtets ermunterts ihn den Kampf neu anzufangen.
Ob du benennen willſt das Viele, Einzle, Kleine?
Ob du erkennen willſt das Große, Ganze, Eine?
Unendlichkeit iſt dort und hier Unendlichkeit,
Und mit den beiden wagſt du Endlicher den Streit!
Eh du am Boden ganz ein Gras haſt durchbetrachtet,
Gieng eine Welt voll Glanz vorbei dir unbeachtet.
Und eh du Zweig und Blatt gezaͤhlt am Sternenbaum,
Bluͤht ungenoſſen ab ein Erdenfruͤhlingstraum.
Getroſt! zwar du nicht biſt, doch Gott iſt uͤberal;
Du ſiehſt das ganze Licht in jedem Farbenſtral.
Und Alles iſt dem Geiſt ein wuͤrd'ges Element,
Was ſchuͤrt die Andachtsglut, in der die Schoͤpfung brennt.
54.
Der Geiſt des Menſchen denkt nur durch den Gegenſatz;
Drum iſt der Gegenſatz im Denkgedicht am Platz.
Auch im gefuͤhlten Lied ſind tiefe Gegenſaͤtze,
Anmuthig uͤberhuͤllt vom fließenden Geſchwaͤtze.
Wo des Gefuͤhles Flut an Felſen ſcharfgezackt
Der Leidenſchaft ſich bricht, ſinds Gegenſaͤtze nackt.
55.
So ſprach Saraswati, des Brahma hohes Weib,
Als ſie ſchuf Poeſie zu Goͤtterzeitvertreib:
Du ſollſt, gefluͤgelt Kind, die Goͤtter ſtets umſchweben,
Denn ſchwunglos ohne dich im Himmel waͤr' ihr Leben.
Wenn dirs gelungen iſt in Schlummer ſie zu wiegen,
Vom Himmel darfſt du dann zur Erde niederfliegen.
Den Menſchen magſt du dort vom Goͤtterhaushalt plaudern,
Doch ſo daß ſie's erfreut, nicht ſo daß ſie erſchaudern.
Und kehrſt du heim, eh hier erwacht der ſel'ge Chor,
Trag auf den Schwingen mit den Menſchengeiſt empor.
Doch Eines ſag' ich dir, wenn es dir ſoll gelingen,
Auf deinen Schwingen ihn zum Himmel herzubringen:
Du mußt den Menſchengeiſt mit Gottgeheimnis kirren,
Doch ihn betaͤuben nicht, noch blenden und verwirren.
Laß ihm die Taͤuſchung ſelbſt als klare Wahrheit ſehn,
Und was er nicht verſteht, glaub' er doch zu verſtehn.
Die Raͤthſel magſt du ihm in Raͤthſeln ſelber deuten,
Die unentraͤthſelt auch ſinnreich den Sinn erfreuten.
Sei wie der Himmel klar und tief in dunkle Ferne:
Lichtſterne beut dem Schaun, der Ahnung Nebelſterne!
Und wenns ſein Aug' ertraͤgt, ſei ihm der Blick gewaͤhrt,
Der Nebelſterne ſelbſt in Lichtgeſtirne klaͤrt.
Doch wie Unendlichkeit dort das Erhabn' umzirkt,
Von ſchoͤner Endlichkeit ſei dein Gebiet umwirkt.
Im Unermeßlichen wirſt du das Maaß verlieren;
Das Kleine ſollſt du klein mit Kunſt, nicht kleinlich, zieren.
Vor allem, liebes Kind, willſt du dich filoſofiſch
Vernehmen laſſen, ſei's nur ſtrenggereimt und ſtrofiſch.
Sonſt reißt der Rieſengeiſt dort der Filoſofie
Ins Schrankenloſe gleich dich, arme Poeſie.
Meintwegen huͤpfe ſelbſt in Chori-Choliamben,
Nur flieh wie deinen Tod die ungereimten Jamben.
Den Goͤttern ein Verdruß, den Menſchen kein Genuß,
Iſt ſolch ein uferlos ergoßner Woͤrterfluß.
Anmuthig werden ſelbſt alltaͤgliche Sentenzen
Im Silbenwaſſerfall melodiſcher Kadenzen.
56.
Wer in ſich traͤgt bewußt des Wiſſens hoͤchſte Sfaͤren
Darf, was er nicht verſteht, fuͤr Unverſtand erklaͤren.
Was euch fuͤr Tiefſinn gilt, weil keinen Grund ihr ſeht,
Iſt Untief' uͤber die des Unſinns Springflut geht.
57.
Doch keine Fratze gibts, die nicht als Schoͤnheit preiſt
Hier ein verliebter Narr, dort ein verſchrobner Geiſt.
Ein Wicht, der gar nichts kann als winſeln, aͤchzen, ſtoͤhnen,
Lebt, wenn du ihm es glaubſt, im Guten, Ganzen, Schoͤnen!
Spinnweb'ges Ideal, Idee ſchwindſuͤchtig hohl,
Biſt du Idalia? erbaͤrmliches Idol!
Der Schoͤnheit Goͤttin iſt dem Schaum entboren zwar,
Doch iſt ſie nicht ein Schaum, und nicht ein Abſchaum gar.
Wie auch geſchmacklos ein Geſchmack ſei, ſo vertrackt
Iſt keiner als der ward aus Feinheit abgeſchmackt.
Zu hobeln iſt der Plump', ein Dummer iſt zu witzigen,
Doch nichts zu machen mehr iſt aus dem Ueberſpitzigen.
Rückert, Lehrgedicht. I. 3
58.
Dem Menſchen kann nicht leicht ein groͤßrer Spott geſchehn,
Als, gibt ein Spiegel ihm verzerrt ſich ſelbſt zu ſehn.
Das iſt ein Buch, das dir in einem fremden Geiſt
Den eigenen, entſtellt zur Geiſtesfratze, weiſt.
59.
Zum Tod bereite ſich, wer nicht mehr kann geneſen;
Und was nicht weiter haͤlt, mag auseinander weſen.
Wol iſts ein Troſt zu ſehn, daß in Verweſung auch
Sich neues Leben regt, nur iſts kein ſuͤßer Hauch.
Der Moderſchoͤpfung ab wend' eilig deine Blicke,
Daß rein des Lebens Bild dich Lebenden erquicke!
60.
Vergeiſtigen die Welt iſt geiſtiges Ergetzen,
Doch ein entſetzliches, ſie nur durch Geiſt zerſetzen.
Schad' um die ſchoͤne Welt, wenn ſie hinweg nur thaut
Der Geiſt, und nicht daraus mir eine ſchoͤnre baut;
Wie Winterſonnenſtral Froſtblumen nur zerthauen,
Doch Fruͤhlingsblumen nicht kann wecken auf den Auen.
61.
Ein ganzer Fruͤhling waͤchſt mit einmal aus der Erden;
Was Menſchen wirken, kann nur Eins ums Andre werden.
Doch wer beim Wirken feſt haͤlt einen Gotteshauch,
Des Einzles wird zuletzt ein ganzer Fruͤhling auch.
3*
62.
O fuͤhle: was du haſt, das haſt du nur empfangen;
Und laß, wie dir es kam, es andern zugelangen.
Sei wie der Mond, der von der Sonn' entlehnt ſein Licht,
Und leiht's der Erdennacht, fuͤr ſich behaͤlt ers nicht.
Gott iſt die Sonne, die laͤßt ewig Licht ausgehn,
Um hell die Welt, und ſich hell in der Welt zu ſehn.
63.
Wie außer Athem, wem der Kopf brennt, kommt gelaufen
Und um zu loͤſchen ſich ſtuͤrzt in den Waſſerhaufen;
So komm' ein Lernender, deß Hirn Weltwirbelglut
Umſchwindelt, auch gerannt zum Brunnen kuͤhler Flut,
Zum weiſen Lehrer, der ihn tief ins Wiſſen taucht,
Durch das auf ewig ihm der Brand der Welt verraucht.
Der Meiſter mitleidsvoll hilft treu den Kampf ihm kaͤmpfen;
Denn ſtets begierig iſt das Waſſer Glut zu daͤmpfen.
64.
Das heil'ge Feuer ſchuͤr', ein ewiges Symbol
Des Feuers das die Welt durchfacht von Pol zu Pol;
Des Feuers, das die Welt durchwirkt von Sfaͤr' in Sfaͤre,
Und ohne das die Sonn' ein kaltes Goldſchild waͤre;
Des Feuers jener Eſſ', an der der dunkle Schmied,
Stets foͤrdernd neu Geſchmeid, im Dienſt des Lichtherrn, kniet:
Des Fruͤhlings Blumenſchmelz, geſtirnter Nachtlazur,
Thier-Menſchen-Geiſtgebild, ſind deſſen Funken nur.
65.
Verein' mit Selbſtvertraun Mistraun in deine Kraft;
Durch ſtetes Ringen wird der Schuͤler meiſterhaft.
Daß du's noch nicht vollbracht, daß du es kannſt vollbringen,
Daß du's vollbringen mußt, das macht es dich erringen.
Aufloͤſen mußt du erſt, doch Alles iſt das nicht,
Den Glanz der Außenwelt in innerliches Licht.
Entfalten mußt du dann, und dieſes iſt der Kranz,
Das innerliche Licht in aͤußerlichen Glanz.
Du mußt die fremde Welt in deinen Buſen faſſen,
Um als die eigne dann ſie ſchoͤner zu entlaſſen.
Das ſagt dir der Poet, auch wenn du keiner biſt,
Weil doch die Poeſie ein Bild des Lebens iſt.
Die Dichtkunſt moͤgeſt du als Kunſt des Lebens brauchen,
Um recht dich in die Welt, die Welt in dich zu tauchen.
Auf! wenn dein Bau dir ſelbſt und andern ſchoͤn ſoll deuchten,
So miſche recht den Stoff des Trocknen und des Feuchten.
So miſchet Bluͤtenſtaub die Bien' und Honigſeim,
Und baut die Zelle, wie der Dichter ſeinen Reim.
Sieh, was das Trockne ſei, und was das Feuchte, ſchau!
Das Wiſſen iſt der Staub, und das Gemuͤth der Thau.
66.
Die Roſ' und Lilie, die im Gedichte bluͤht,
Iſt die nicht die zu bluͤhn auf unſrer Flur ſich muͤht.
Auf unſrer Flur ſich muͤht, und halb nur bluͤht vor Scham
Die Lilie, und halb die Roſe nur vor Gram.
Auf unſrer Flur ſich muͤht, und halb nur bluͤht vor Weh
Die ird'ſche Herrlichkeit, die Roſ' und Lilie.
Die Roſ' und Lilie, die halb nur bluͤht vor Weh,
Iſt Blut mit Flut gemiſcht, gemengt mit Feuer Schnee.
Die Roſ' und Lilie, die im Gedichte bluͤht,
Iſt reiner Glanz aus Gott und Duft aus dem Gemuͤth.
67.
Ich habe nichts erdacht, nur manches ausgedeutet,
Gegraben keinen Schacht, nur manchen ausgebeutet.
Kann ich, wo ich gelernt, auch nicht den Lehrer nennen
Ich lernte doch, und muß als Schuͤler mich bekennen.
Und der es mich gelehrt, der wird gelernt es haben
Von ſeinem Lehrer, dem es andre Lehrer gaben.
Die Ueberliefrung iſt, wenn auch die Namen ſchwanden
Der Ueberliefernden, vom Anfang her vorhanden.
Wer ſagt mir nun, woher der erſte ſelbſt es nahm,
Von dem aus Hand zu Hand zu mir herab es kam?
So kommt der durſt'ge Geiſt auf Wegen der Erfahrung
Durch Ueberliefrungswald um Quell der Offenbarung.
68.
Die Ueberliefrung iſt ein umgekehrter Fluß,
Der, wie er weiter fließt, ſich weiter theilen muß.
Nicht Fluͤſſe rinnen hier in einen Strom zuſammen,
Die aus viel Baͤchen und aus noch mehr Quellen ſtammen;
Das Ganze war Ein Quell, der ward ein Doppelbach,
Aus welchem Fluͤſſ' und Stroͤm' entſtanden hundertfach.
Der Meiſter jeder Schul' und ſeiner Schuͤler Schwarm
Reißt von dem Mittelleib ſich los als Seitenarm.
Der Arm wird ſelbſt ein Leib, der ſich in Glieder ſpaltet,
Ein Stamm, der ſich in Aſt und Zweig und Blatt entfaltet.
Ein Stromgeaͤder, das, wie es ſich kraus verſchlingt,
Nicht kennt den Mittelpunkt, aus dem, zu dem es dringt.
Das wirre Stromgeflecht, wer ſchlingt es ein als Meer,
Und ſtellt im tiefen Sinn des Urquells Einheit her?
Denn wie's vom Herzen kommt, zum Herzen iſt ſein Streben;
Und daß der Blutlauf kreiſt, das iſt des Leibes Leben.
69.
Die Seligkeit iſt nicht, nur ſelig ſelbſt zu ſeyn,
Die Seligkeit iſt nicht allein und nicht zu zweyn;
Die Seligkeit iſt nicht zu vielen, nur zu allen;
Mir kann nur Seligkeit der ganzen Welt gefallen.
Wer ſelig waͤr' und muͤßt' unſelig andre wiſſen,
Die eigne Seligkeit waͤr' ihm dadurch entriſſen.
Und die Vergeſſenheit kann Seligkeit nicht ſeyn,
Vielmehr das Wiſſen iſt die Seligkeit allein.
Drum kann die Seligkeit auf Erden nicht beſtehn,
Weil hier die Seligen ſoviel Unſel'ge ſehn.
Und der Gedanke nur gibt Seligkeit auf Erden,
Daß die Unſeligen auch ſelig ſollen werden.
Wer dieſes weiß, der traͤgt mit Eifer bei ſein Theil
Zum allgemeinen, wie zum eignen Seelenheil.
Gott aber weiß den Weg zu Aller Heil allein;
Drum iſt nur ſelig Gott, in ihm nur kannſt du's ſeyn.
70.
Wenn du der Außenwelt verſchließeſt deine Sinne,
Wirſt du in dir das Welt- und Gottgeheimnis inne.
Nimm von der Welt nicht ein, was deinen Geiſt zerſtreut,
Nur ſoviel daß daran dein Denken ſich erneut.
Nur einen Schimmer laͤßt ins dunkle Zimmer ſtreifen,
Wer in dem Strale will das ganze Licht begreifen.
Dann mach das Fenſter auf, damit du auch erkennſt,
Das Licht iſt mehr noch als ſein farbiges Geſpenſt.
71.
Ich kam, ich weiß nicht wie, zu dieſer Siedelei,
Vertrieben und entflohn, genoͤthiget und frei.
Wenn ich nicht gerne kam, will ich doch gerne bleiben,
Will, hergetrieben, mich von hier nicht laſſen treiben.
Bin angewurzelt, angewachſen; reißt nicht aus
Die Pflanz' aus ihrem Grund, die Schneck' aus ihrem Haus!
72.
Ich wuͤßte nicht, wem ich noch Blumen ſollte bringen,
Duͤrft' ich ſie nicht ums Grab geliebter Kinder ſchlingen.
Die Mutter wird ſchon ernſt, die Bruͤder werden groß,
Und unveraͤnderlich bleibt ihr nur Kinder bloß.
Ihr nehmt an jedem Tag mit immer gleicher Liebe
Die euch von Vaterhand gebrachten Fruͤhlingstriebe.
73.
Ich habe, ſeit, o Freund, die Goͤtter uns verbanden,
Nie deine Weiſe ſo, wie meine du, verſtanden.
Du biſt nach deiner Art geuͤbt, an ſich zu denken,
Und ich, Gedanken nur in Bilder zu verſenken.
Du haſt mir nach und nach geholfen aus dem Traum,
Im innern auch zu ſchaun alswie im aͤußern Raum.
Und manches, was ich ſonſt gethan, weil ich gemußt,
Thu' ich mit hoͤherem Genuſſe nun bewußt.
74.
Kann jeder doch die Welt nur ſeinem Sinn anpaſſen;
Und was ich faſſen ſoll, muß ich in Verſe faſſen.
Drum, ob an manchem Vers von mir du habeſt nichts,
So denk: Den hat fuͤr ſich der Meiſter des Gedichts.
Haͤtt' ich den Vers, an dem du nichts haſt, nicht gemacht,
Haͤtt' ich auch die, woran du viel haſt, nicht erdacht.
75.
Reich iſt wol der Gehalt, allein die Form iſt ſteif;
Weich war die gruͤne Saat, hier ſind die Aehren reif. —
Drei Saͤle ſchritt ich durch, gebaut im Haus der Zeit,
Fuͤr Zukunft, Gegenwart, und fuͤr Vergangenheit.
Im Saal der Zukunft ſah ich farbige Tapeten
Mit Bildern, die heraus ins Leben wollten treten.
Im Saal der Gegenwart ſah ich nach allen Seiten
Die ſchon ins Leben eingetretnen Bilder ſchreiten.
Im der Vergangenheit geweihten Saale nun
Sah ich zu Stein erſtarrt die Lebensformen ruhn.
Ich ſprach: Die Malerei malt uns der Zukunft Flor,
Und die Bildhauerei ſtellt das Vergangne vor.
Es iſt wol Poeſie, die zwiſchen beiden Sfaͤren
Uns die Geſtalten ſoll der Gegenwart erklaͤren.
Die ew'ge Gegenwart, was iſt ſie? die Natur:
Ein Schein Vergangenheit, ein Schein die Zukunft nur.
Von hier und dort der Schein ſchwebt um die Wirklichkeit,
Und immer tauſcht den Platz Zukunft-Vergangenheit.
Das Gegenwaͤrt'ge wird in Zukunft ſeyn vergangen,
Und das Vergangne hat als Kuͤnft'ges angefangen.
Eh das Vergangne war, war es als Zukunft ſchon;
Und Alles bleibt im Jetzt, wann Einſt und Einſt entflohn.
76.
Des ganzen Menſchen und des einzelnen Geſchichte,
Zuſammenfaſſen kannſt du ſie in drei Berichte:
Der Menſch, mit der Natur im Frieden, war ein Kind;
Das ſind die Gluͤcklichen, die es geblieben ſind.
Der Menſch, mit der Natur im Kampfe, ward ein Mann,
Gewann, verlor, gewann, verlor, gewann, gewann.
Der Menſch mit der Natur Beſiegung wird ein Greis,
Des neuen Friedens Kind; ſo kreiſt in ſich der Kreis.
77.
Aus jungen Augen ſieh die Welt ſtets neu entfaltet;
Glaubs deinen alten nicht, ſie ſei mit dir gealtet.
Ein alter Vogel lernt nicht mehr; kommt her, ihr jungen,
Und ſingen lernt von uns, doch nicht wie wir geſungen;
Nein, immer beſſer zu! denn Alles muß auf Erden
Doch immer beſſer, auch der Sang der Voͤgel werden.
Und macht ihr's beſſer nicht, ſo denkt doch daß ihr's macht;
Wir haben ebendas zu unſrer Zeit gedacht.
Was iſt die Aehnlichkeit, und was der Unterſchied?
Wir ſangen, und ihr ſingt, das neuſte ſchoͤnſte Lied.
78.
Die Jungen ſtaun' ich an, die ſich ſo jung geberden,
Als fuͤrchteten ſie nicht, noch hofftens, alt zu werden.
Wir aber wurden alt, und werden es, und ſehn
Mit Gott auch dies Geſchlecht von Jungen noch vergehn.
Was wollen ſie, daß ſich die einen ſo titaniſch
Anſtellen, andere geberden gar ſataniſch?
Die einen wollen vom geſtuͤrmten Himmel prallen,
Die andern ſind der Hoͤll' in ihrer Bruſt verfallen.
79.
Was iſt die Weite denn des Lebens und die Enge?
Weit machſt du dir's allein, eng macht es dir die Menge.
Wer aus dem dunkeln Ich noch nicht hinaus gekommen,
Der fuͤhlt ſich eng in ſich, dem mag die Weite frommen.
Doch aus dem Aeußern wer gelangt zum hellen Ich,
Dem iſt die Weite leer, der fuͤhlt ſich voll in ſich.
Dich treibt verworrner Drang ins wirrende Gedraͤnge;
Die Einheit nur iſt viel, und wenig iſt die Menge.
Die Einheit iſt nicht viel, ſie ſelber iſt das All;
Die Meng' iſt wenig nicht, nichts iſt der ganze Schwall.
Das All und Eine hat ein Weiſer im Allein;
Das Allgemeine ſelbſt iſt ohne All gemein.
80.
Von beiden Welten wenn ich ſollt' entbehren eine,
Die große draußen waͤrs, und nicht in mir die kleine.
Du wirſt die Welt in dir nicht mehr die kleine nennen,
Wenn du das goͤttliche im Menſchen wirſt erkennen.
Klein iſt und eng, was Zeit und Raum nennt ſeine Schranke,
Nur goͤttlich weit iſt ein Gottfaſſender Gedanke.
Viel leichter macht der Menſch von jedem ird'ſchen Band
Sich los als von dem Zug nach einem hoͤhern Land.
Der Sinnennahrung kannſt du ſelber ehr entbehren,
Als des Gedankens, der den Gott in dir muß naͤhren.
Begluͤckt, wenn dir ein Hauch der Fantaſie mit Kunſt
Die beiden Welten ſchmelzt in Eine rein von Dunſt.
Das Unſichtbare ſiehſt du klar im Sichtbarn nur,
Und nichts im Sichtbarn als des Unſichtbaren Spur.
Umringt von einer Welt verkoͤrperter Gedanken,
Empfindeſt ſchrankenlos du dich in Koͤrperſchranken.
81.
Der Pfluͤger kehrt vom Grund das Unterſte nach oben,
Und ſeine Gruͤndlichkeit wird einſt die Ernte loben.
Das Obere verſtockt in Trocknis, und das Untere
In Feuchtnis; ruͤttl' es um, daß eins das andr' ermuntere.
Reg' ein Vermoͤgen, Geiſt, ſtets mit dem andern an
Daß wechſelnd jedes ſei fuͤr jedes Glut und Span.
82.
Es ſtroͤmt ein Quell aus Gott, und ſtroͤmt in Gott zuruͤck,
Der Einſtrom hohe Luſt, der Ausſtrom hoͤchſtes Gluͤck.
Er ſtroͤmet in dich ein durchs offne Thor der Sinnen,
Und ſtroͤmet aus dadurch, und nimmt dich mit von hinnen.
Durchs Auge ſtroͤmt er ein als Licht, daß er verklaͤre
Dein Innres, und entſtroͤmt verklaͤrt als Freudenzaͤhre.
Den Geiſt zu wecken, ſtroͤmt er ein als Ton durchs Ohr,
Und ſtroͤmt aus deinem Mund als Dankgebet hervor.
Einſtroͤmt er dem Geruch als Lenzduft, Sehnſuchtshauch,
Und ſtroͤmt im Athem aus als Seufzeropferrauch.
Er ſtroͤmt durch den Geſchmack ins Mark und ins Gehirne,
Und als Gedanke tritt er leuchtend aus der Stirne.
Er ſtroͤmt als irdiſcher Empfindungen Gewuͤhle
Ins Herz, und aus der Bruſt als himmliſche Gefuͤhle.
Du fuͤhleſt: Was du biſt, iſt er in dir, nicht du;
Und ſtroͤmſt in dem Gefuͤhl dich deinem Urquell zu.
83.
Du biſt, und biſt auch nicht. Du biſt, weil durch dich iſt
Was iſt; und biſt nicht, weil du das, was iſt, nicht biſt.
Du biſt das Seiende, und das Nichtſeiende,
Seyngebende und von dem Seyn befreiende.
Du biſt einfaches Licht, und ſiebenfache Farben
Sind Welten, die durch dich den Schein des Seyns erwarben.
Durchs Licht erſcheinen ſie, das Licht nicht ſind die Farben,
Im Lichte ſind ſie dann, wann ſie im Scheine ſtarben.
Du biſt einfacher Ton, die ſiebenfachen Saiten
Der Weltenleier ſinds die dich mit dir entzweiten.
Du biſt der Grundton, der in ſieben Stralen traͤuft
Die Leiter nieder, und zuruͤck zum Anfang laͤuft.
Du ſelber biſt der Laut, und biſt der Lautenſchlaͤger,
Und alle Schwingungen der Seele deine Traͤger.
Du biſt des Morgens Hauch, du biſt des Abends Luft,
Du biſt des Fruͤhlings Strauch, du biſt des Herbſtes Duft.
Du biſts und biſt es nicht, du biſt wie Tag und Jahr,
Der Kreis, der in ſich kreiſt, unwandel-wandelbar.
Das Raͤthſel ſtaun' ich an, und will es loͤſen nicht,
Weil ſich die Loͤſung in mein eignes Seyn verflicht.
Du, Wunderbarer, gabſt mir Luſt am Wunderbaren;
Mich, Ewigklarer, labſt du mit dem Daͤmmerklaren.
84.
Auf Erden geheſt du, und biſt der Erde Geiſt;
Die Erd' erkennt dich nicht, die dich mit Bluͤten preiſt.
Auf Sonnen ſteheſt du, und biſt der Sonne Geiſt;
Die Sonn' erkennt dich nicht, die dich mit Stralen preiſt.
Im Winde weheſt du, und biſt der Luͤfte Geiſt;
Die Luft erkennt dich nicht, die dich mit Athmen preiſt.
Auf Waſſern geheſt du, und biſt des Waſſers Geiſt;
Das Waſſer kennt dich nicht, das dich mit Rauſchen preiſt.
Im Herzen ſteheſt du, und biſt der Liebe Geiſt;
Und dich erkennt das Herz, das dich mit Liebe preiſt.
II.
Rückert, Lehrgedicht. I. 4
1.
Nichts beſſers kann der Menſch hienieden thun, als treten
Aus ſich und aus der Welt und auf zum Himmel beten.
Es ſollen ein Gebet die Worte nicht allein,
Es ſollen ein Gebet auch die Gedanken ſeyn.
Es ſollen ein Gebet die Werke werden auch,
Damit das Leben rein aufgeh' in einen Hauch.
2.
Gib Acht, was ſuchſt du denn mit deiner Arbeit Streben?
Es ſoll Befriedigung dir deiner Wuͤnſche geben.
Was iſt dein erſter Wunſch? wol Gut und Eigenthum?
Und was dein anderer? vielleicht auch Ehr' und Ruhm?
4*
Wann aber hat ein Menſch an Gut und Ruhm genung?
In beiden alſo ſuchſt du nicht Befriedigung.
So ſucheſt du vielleicht dir ſelber zu genuͤgen,
Ein Werk nach deinem Sinn und deiner Kunſt zu fuͤgen!
Wann aber thateſt du dir jemals ſelbſt genug?
Auch die Befriedigung des Wunſches iſt ein Trug.
Und keine andre bleibt, als deine Lieb' und Staͤrke
Zu weihen treu dem dir von Gott vertrauten Werke.
Thuſt du ſoviel du kannſt, ſo thuſt du ihm genug,
Und dis Gefuͤhl allein genuͤgt dir ohne Trug.
Dann kommen wol von ſelbſt die Guͤter auch und Ehren;
Und wenn ſie bleiben aus, ſo kannſt du ſie entbehren.
3.
Ich war im fremden Land in Sklaverei gekommen,
Da hat ein frommer Herr ſich meiner angenommen.
Ich dient' ihm treu ein Jahr, da gab er ſchon mich frei,
Und mir als Lohn dazu der Silberſtuͤcke zwei.
Sogleich gelobt' ich eins zur Heimreiſ' anzuwenden,
Das andre dankbar als Almoſen auszuſpenden.
Da kam ich uͤber'n Markt, und nahm im Kaͤfich wahr,
Vom Faͤnger zum Verkauf geſtellt, ein Vogelpaar.
Was iſt fuͤr einen der Gefangenſchaft entgangnen
Verdienſtlicher als frei zu kaufen die Gefangnen?
Fuͤr beide forderte der Mann zwei Silberſtuͤcke;
Doch eins behielt' ich ſelbſt zur Reiſe gern zuruͤcke.
Ich bot ihm auf die zwei ein Stuͤck, nicht wollt' er's thun.
So kauf' ich alſo los von beiden einen nun?
Allein ſie ſind vielleicht ein Paar, ſollt' ich ſie ſcheiden?
Da blieben beſſer in Gefangenſchaft die beiden.
Doch wollt' er fuͤr die zwei durchaus zwei Silberſtuͤcke;
Die beiden gab ich hin, und mir blieb keins zuruͤcke.
Der dieſe ſpeiſt und traͤnkt, wird traͤnken dich und ſpeiſen,
Er wird wie ihnen dir den Weg zur Heimat weiſen.
Doch ließ' ich hier euch los in der euch fremden Stadt,
Wo gaſtlich euch empfaͤngt kein Baum mit gruͤnem Blatt?
Von neuem wuͤrden hier euch fangen bald die Boͤſen,
Und einer fehlte dann vielleicht um euch zu loͤſen.
So trug ich ſie hinaus zur Stadt, hinaus vom Weg,
Ins unzugaͤnglichſte Waldeinſamkeitsgeheg.
Und ließ ſie los, und wie ſie froh empor ſich ſchwangen,
Hoͤrt' ich, wie unter ſich ſie ſprachen oder ſangen:
Womit vergelten wir dem Manne, der ſein Geld
Daran verwendet, uns zu bringen frei ins Feld?
Moͤg' ein geliebtes Weib er ſein in Zukunft nennen,
Daß er ein Vogelpaar nicht grauſam wollte trennen.
Wir kennen Weg und Steg, wir kennen Land und Stadt,
Und wuͤrden Boten gern, wenn er ſie noͤthig hat.
Doch lieber ſollten wir ihm einen Fuͤhrer geben,
An deſſen Hand der Menſch am liebſten geht durchs Leben.
Kennſt du nicht einen Platz, kennſt du nicht einen Schatz,
Der koͤnnte dienen ihm zum Reiſegeld-Erſatz?
Dort unter jenem Baum dem duͤrren ſoll er graben,
Dort liegt aus alter Zeit ein Silberſchrein vergraben.
Daraus nehm' er ſoviel um unterwegs zu zehren,
Und mehr, um ſeiner Braut daheim es zu verehren. —
Sie ſchwangen ſich hinweg, und ich ſah nach und dachte:
Ob ich die Schwaͤtzerei der Loſen wohl beachte?
In Luͤften fliegen ſie, und wollen ſich geberden,
Verborgne Heimlichkeit zu wiſſen in der Erden.
Wie haͤtten einen Schatz geſehn die Muͤßiggaͤnger,
Die nicht die Schlinge ſahn, gelegt vom Vogelfaͤnger?
Doch blind und ſehend macht, zum Frommen und zum Schaden,
Das Schickſal, es iſt groß, doch groͤßer Gottes Gnaden.
In Gottes Namen denn am angewieſ'nen Platz
Fieng ich zu graben an, und fand den Silberſchatz.
Ich fand fuͤr meine zwei ſoviele Silberſtuͤcke,
Daß ich davon nach Haus baun koͤnnte Weg und Bruͤcke.
Doch Weg und Bruͤcke war gebahnt ſchon und gebaut;
Ich nahm nur wenig mit zum Schatz fuͤr meine Braut.
4.
Thu deine Schuldigkeit, und laß dir nur nicht bangen,
Du wirſt zu ſeiner Zeit dafuͤr den Lohn empfangen.
Nimm dir nicht ſelbſt den Lohn; ſonſt wird es dir mit Rechte
So gehn wie dort es gieng dem eigenmaͤcht'gen Knechte,
Der brot- und arbeitslos zum Hauſe war gekommen
Des reichen Herrn, und ward von ihm in Dienſt genommen.
„Dir geb' ich fuͤr dies Jahr Ackergeraͤth und Samen;
Das Landgut vor der Stadt beſtell' in meinem Namen.
Und bring im Herbſte nur mir den Ertrag davon,
So geb' ich dir alsdann auch den verdienten Lohn.“
Da zog der Knecht aufs Land und ackert' und beſtellte,
Und ſah die Ernte bald, die reicher Segen ſchwellte.
Und als er aus dem Halm die Koͤrner nun gebracht;
Eh er dem Herrn ſie bringt, hat er ſich ſo bedacht:
„Wer weiß, ob mir der Herr den vollen Lohn wird geben?
Zu meiner Sicherheit behalt' ich etwas eben.
Hier am verborgnen Ort will ich ein Theil bewahren,
Bis die Geſinnung dort des Herrn ich hab' erfahren.“
Der Koͤrner einen Theil vergraͤbt er in der Grube,
Und bringt den uͤbrigen Ertrag dem Herrn der Hube.
Der Herr iſt mit der Frucht des Jahres wohl zufrieden,
Und hat dem Knecht mehr als verdienten Lohn beſchieden.
Der Knecht hat kaum den Muth ins Antlitz ihm zu ſchaun
Daß er zum guten Herrn nicht hatte mehr Vertraun.
Er geht beſchaͤmt und will gleich das Vergrabne holen,
Doch am verborgnen Ort hat es ein Dieb geſtolen.
Und ganz betroffen tritt er vor den Herren wieder;
Der fragt: warum ſchlaͤgſt du vor mir die Augen nieder?
Er ſpricht: Wie duͤrft' ich je zu dir ſie mehr erheben?
Du haſt mir uͤber den verdienten Lohn gegeben.
Ich aber habe mir mein Theil vorweg genommen;
Nun ich es bringen wollt', iſt es abhanden kommen.
Der Herr ſprach: beſſer iſt's wer ſeine Schuld bekennt;
Doch weil du ſie begiengſt, ſind wir hinfort getrennt.
Behalte deinen Lohn, und ich will dir nicht fluchen;
Doch mußt du nun dein Brot bei andern Thuͤren ſuchen.
5.
Die Perlen nicht allein, in deines Mundes Pforte
Bewahren mußt du mehr als Perlen deine Worte.
Die gute Lehre nahm vordem ein weiſer Mann
Von einem armen, der mit Schaden ſie gewann.
Der Arme, der im Sand ein Dutzend Perlen fand,
Vernaͤhte zehn davon in ſein zerlumpt Gewand.
Die beiden uͤbrigen, weil ihm die Liſt war kund
Der Diebe, nahm er und verwahrte ſie im Mund.
Die Diebe kamen ihm die Kleider durchzuſehn,
Und nahmen die darin verborgnen alle zehn.
Er dachte: Fahret hin! ihr ſeyd des Gluͤckes Gabe;
Mir gnuͤgen noch die zwei, die ich im Munde habe.
Zum Gluͤcke dacht' ers nur, denn haͤtt' er es geſprochen,
Sie haͤtten auch die zwei ihm aus dem Mund gebrochen.
Doch wenn ſich dir das Gluͤck verſchworen hat zum Boͤſen,
So wird zur Unzeit es dir ſchon die Zunge loͤſen.
Er geht zur Stadt und will verkaufen ſeinen Schatz,
Und denkt, beim Juwelier iſt wohl der rechte Platz.
Dem aber kamen heut zwoͤlf Perlen grad abhanden;
Er freut ſich, daß ſobald die zwei davon ſich fanden.
Wie er das lump'ge Kleid des Finders angeſehn,
Fragt er: Das ſind die zwei, wo ſind die andern zehn?
Der Mann in Unſchuld ſpricht: der Dieb hat ſie genommen.
„Ganz recht! wer iſt der Dieb? Du mußt zum Richter komm
Der arme Mann erſchrickt, laͤßt ſeinen Schatz in Stich,
Entflieht in Eil und nimmt die Lehr' allein mit ſich:
Die Perlen nicht allein, in deines Mundes Pforte
Bewahren mußt du mehr als Perlen deine Worte.
6.
Wenn du das dicke Buch durchblaͤtterſt der Geſchichte,
Du findeſt wiederholt auf jedem Blatt Berichte
Von widerwaͤrt'gem Kampf und greulichem Verrath,
Und ſelbſt auf dunklem Grund ſteht jede lichte That.
Und auch des Dichters Kunſt, die ſich die freie nennt,
Doch knechtiſch hinterdrein nur der Geſchichte rennt.
Weiß auch nichts Beſſeres zu unſerem Ergetzen,
Als naͤchtliches Geſchick und blutiges Entſetzen.
Als ſei von Gottes Welt nur dieſes vorzuzeigen,
Was man ehr ſollt' aus ihr vertilgen durch Verſchweigen.
Als ſei in der Natur nur Froſt und Hagelſchlag,
Und gift'ger Raupenfraß, kein bluͤhnder Roſenhag;
Und in des Menſchen Haus nur Krankenſtubenjammer,
Kein Kindertummelplatz und keine Hochzeitkammer.
Die Weichlichkeit iſt ſchlecht, der Leichtſinn iſt nicht gut,
Doch noth iſt heitrer Ernſt und froher Lebensmuth.
Des Schattens kann im Bild entbehren nicht die Kunſt,
Doch iſt ihr Element das Licht, und nicht der Dunſt.
Mag die Geſchichte nicht des traur'gen Amts entbehren,
Daß durch Unmenſchliches ſie uns will Menſchheit lehren;
O Fantaſie wenn du die Bluͤte willſt entfalten
Der Menſchheit, ſollſt du ihr kein Jammerbild vorhalten.
7.
Bezaͤhme deinen Zorn, und laſſe dem die Rache,
Der beſſer als du ſelbſt kann fuͤhren deine Sache.
Der ſtrenge Koͤnig, der nie ein Vergehn vergeben,
Erhielt, weil eines er vergab, dadurch ſein Leben.
Du fragſt, wie dieſes war? ich will es dir berichten,
Wie mir es kund gethan wahrhaftige Geſchichten.
Der Koͤnig auf der Jagd in kuͤhnem Uebermuth
Schwelgt in der Thiere jetzt wie ſonſt in Menſchenblut.
Auf einmal, wie er ſteht im ſtolzen Jaͤgerchor,
Fliegt her ein Ungluͤckspfeil und ſtreift ſein linkes Ohr.
Wie wird der raſche Grimm des Koͤnigs jetzt entlodern,
Und ſein vergoßnes Blut wie blut'ge Rache fodern!
Allein es iſt alsob der Pfeil ihm hab' ins Ohr
Ein leiſes Wort geſagt, das ſeinen Grimm beſchwor.
Ich haͤtte koͤnnen dir, ſagt' er, das Herz durchbohren,
Und ſtreifte ſchonend nur das Laͤppchen an den Ohren.
Vom Boden nimmt er auf den Pfeil, von Blut befleckt,
Den zum Gedaͤchtnis er in ſeinen Buſen ſteckt.
Wo iſt der Schuͤtze, der den Meiſterſchuß gethan,
Der eines Koͤnigs Herz gelenkt zur beſſern Bahn?
Der fremde Juͤngling iſt's, der, wannen er gekommen,
Nicht ſagen wollte, da er ward in Dienſt genommen.
Man ſoll, der Koͤnig ſpricht, ſein Reiſegeld ihm geben;
Denn immer wuͤrd' er hier vor meiner Rache beben.
Denn freilich iſt die Welt von mir nicht des gewohnt,
Zu ſehn Vergehungen verziehen, ja belohnt.
Der fremde Juͤngling zieht davon und dankt dem Gluͤcke,
Und bei dem Koͤnig bleibt von ihm der Pfeil zuruͤcke;
Von dem er ſtets gemahnt, dem ernſten Vorſatz treu,
Blieb zum Verzeihn geneigt, vor Blutvergießen ſcheu.
Doch alle Herzen, die vordem ſein Zorn gekraͤnkt,
Empoͤren jetzt ſich, da zur Huld er umgelenkt.
Er muß aus ſeinem Land, dem Aufruhr weichend, fliehn,
Und heimlich im Gewand der Pfeil begleitet ihn.
Es iſt der Reue Pfeil, der ihm am Herzen nagt,
Doch ihm auch einzig Troſt in der Verbannung ſagt.
Zuletzt in fernem Land, wo zu Gefangenſchaft
Man jeden Fremdling bringt, wird er gebracht in Haft.
Im dunkeln Koͤnigshof liegt er am Tag gefangen,
Wo Sonnenſtralen matt hoch uͤber Mauern drangen.
Da hoͤrt er frohen Hall von Stimmen aus der Ferne,
Und denkt an laute Jagd, wobei er waͤre gerne.
Er zieht den Pfeil hervor mit ahnungsſchwerem Sinn,
Der ihm bisher gereicht zu nichts denn Ungewinn.
Ein Koͤnigsreiher ſchwebt hoch uͤber ihm gemach;
Und ſchnell aus freier Hand wirft er den Pfeil danach.
Den Vogel fehlt der Schuß, doch iſt er nicht gefallen
Vergebens draußen, wo die frohen Stimmen hallen.
Dort ſteht der Koͤnigsſohn im ſtolzen Jaͤgerchor,
Da fliegt der Pfeil heran, und ſtreift ſein linkes Ohr.
Sie fragen ſich beſtuͤrzt: wo kam er her geflogen?
Dort von den Mauern, um den dunkeln Hof gezogen.
Wer ſitzt in jenem Hof? Ein Fremdling, juͤngſt gefangen.
Schnell, ſpricht der Koͤnigsſohn, laßt ihn hieher gelangen.
Er wird herbei gefuͤhrt, und glaubt zum Tod zu gehn;
Inzwiſchen hat den Pfeil der Koͤnigsſohn beſehn.
Den Pfeil in ſeiner Hand, ſpricht er zu dem Verbannten:
Du hatteſt, Fuͤrſt, in Dienſt einſt einen Unbekannten.
Der Unbekannte war ein fremder Fuͤrſtenſohn,
Der ſeines Vaters Zucht im Jugendmuth entflohn.
Erkenne mich, wie ich dich kenn', an dieſem Pfeile,
Der uns verhaͤngnisvoll beruͤhrt am gleichen Theile.
Du raͤchteſt nicht, daß er von mir dein Ohr verletzt,
Doch ſieh, der Himmel raͤcht's zur guten Stunde jetzt.
Durch welch Geſchick du biſt aus Land und Reich gefallen,
Komm, das erzaͤhle dort in meines Vaters Hallen!
Heut ruhen wir darin, doch morgen ziehn wir aus,
Und fuͤhren dich zuruͤck mit Heermacht in dein Haus.
8.
Der Fuͤrſt ritt auf die Jagd, und ward durch ein Gewitter
Getrennt vom ſtattlichen Geleite ſeiner Ritter.
Er fand zum erſtenmal, woran er nie gedacht,
Ohnmaͤchtig ſelber ſich in eines Hoͤhern Macht.
Ihm war nun Heer und Hof und Herrſchaft ohne Nutz,
Er ſuchte gegen Sturm im offnen Felde Schutz.
Er ſpaͤhte weit umher, und ſah mit halber Freude
Zuletzt ein laͤndliches unſcheinbares Gebaͤude.
Mit Unmuth trat er ein ins niedre Huͤttendach;
Mit ſeiner Tochter ſaß ein Vater im Gemach.
Der alte Vater herb, ein Landmann ſtarr und ſproͤde,
Die junge Tochter mild, ein Landkind hold und bloͤde;
Alsob ein alter Dorn mit rauhbemooſ'tem Nacken
Die ſchoͤnſte Roſe truͤg' als Schmuck an ſeinen Zacken.
Der Fuͤrſt gewahrte nicht die Roſe duftumſchwommen,
Und hoͤrt' es kaum, wie ihn der Vater hieß willkommen.
Der Tochter winkte der, die ſich mit Anſtand ſchuͤrzte,
Dem Gaſt ein Mahl auftrug, und es mit Anmuth wuͤrzte.
Das Mahl blieb unberuͤhrt, der Gaſt ſtumm und verdroſſen,
Die Wuͤrze merkt' er nicht, ſonſt haͤtt' er es genoſſen.
Er dacht' im ſtillen Kreis an ſeinen lauten Troß,
Und aus der nackten Huͤtt' in ſein vergoldet Schloß.
Da trat am Abend ein des Bauern Knecht, der Hirte,
Und um der Herde Stand ward er befragt vom Wirthe.
Er ſprach: die Herde war noch nie in ſchlimmerm Stande,
Die Nahrung ſcheint ihr nicht mehr anzuſtehn im Lande.
Die Euter alle ſind verſiegt, es hilft kein Fuͤttern,
Den eignen Laͤmmern wird kein Trunk von ihren Muͤttern.
Der alte Landmann wiegt ſein Haupt erſtaunt: Verſiegt
Die Euter auf einmal! Wer ſagt, woran das liegt?
Da hebt die Tochter an: Es liegt allein daran,
Daß nicht des Fuͤrſten Herz dem Land iſt zugethan.
Denn wo nicht zugethan der Himmel iſt der Erde,
Alda verſchmachten muß aller Lebend'gen Herde;
Und alſo, wo der Fuͤrſt in Liebe nicht dem Land
Iſt zugethan, das ihm vertraut des Himmels Hand.
Der Alte ſprach: Was bleibt denn uͤbrig, als zu wandern
Aus einem Land, das Gott verlaſſen hat, zum andern?
Geh, Hirte, gib dem Vieh hier ſeine letzte Raſt!
Und du, o Tochter, trag dein letztes auf dem Gaſt!
Wir haben manchen hier geſpeiſet und getraͤnket;
Nun ſchaffe, daß mit Dank es dieſer uns gedenket!
Wir werden keinen Gaſt hier traͤnken mehr und ſpeiſen;
Wer weiß, im fremden Land wer uns es wird erweiſen?
Da ſah der Fuͤrſt ſie an, die ſich mit Anſtand ſchuͤrzte,
Ein neues Mahl auftrug, und es mit Anmuth wuͤrzte.
Das Mahl blieb unberuͤhrt; doch, wenn ers nicht genoß,
Nicht war es weil er dacht' an ſein vergoldet Schloß;
Vielmehr weil er ans Wort, das ſie geſprochen, dachte,
Von dem zuerſt die Lieb' in ſeiner Bruſt erwachte;
Die Liebe fuͤr ſein Land, mit welcher Hand in Hand
Vielleicht noch eine gieng, die er ſich nicht geſtand.
Zum Herzen ſprach er: Weh dem Trotz, der dich bethoͤrte,
Der wie ein Fluch das Gluͤck unſchuld'ger Huͤtten ſtoͤrte!
Daß ſo der Segen fehlt, wo Liebe nicht vermaͤhlt
Dem Land des Fuͤrſten Herz, warum blieb mirs verhehlt?
Er dachte nach, da trat von neuem ein der Hirte,
Und um der Herde Stand ward er befragt vom Wirthe.
Er ſprach: die Herde hat ſich anders nun beſonnen;
Der Muͤtter Euter ſchwillt und fuͤllet alle Tonnen.
Wetteifernd laſſen ſie die Milch im Kuͤbel ſchaͤumen;
Sie haben offenbar nicht Luſt das Land zu raͤumen.
Der alte Landmann lenkt den Blick, den er geſenkt,
Der ſinn'gen Tochter zu, die wohl weiß was er denkt.
Und laͤchelnd hebt ſie an: Das liegt gewiß daran,
Daß nun des Fuͤrſten Herz dem Land iſt zugethan.
Denn wo nur zugethan der Himmel iſt der Erde,
Da naͤhret ſich mit Luſt aller Lebend'gen Herde.
Und alſo, wo der Fuͤrſt in Liebe ſeinem Land
Iſt zugethan, das ihm vertraut des Himmels Hand.
Der alte Landmann ſpricht: Der Himmel ſei geprieſen,
Daß er zu rechter Zeit dem Land die Huld erwieſen.
Das Land zu raͤumen, wird nun keine Noth uns dringen;
Doch wer wird unſern Dank dem Fuͤrſten hinterbringen?
Ich ſeh' an dir, mein Gaſt, nachdem dir am Gewand
Der Regen trocknete, du biſt von edlem Stand.
Bring morgen, wenn du ziehſt, die Kund' ins Fuͤrſtenhaus;
Heut aber ruh vergnuͤgt in Bauernhuͤtten aus.
9.
Es kann dir freilich nicht auf dieſer Welt gefallen,
Da deine Seele wohnt in ſchoͤnern Himmelshallen.
Der Abſtand iſt zu weit, die Kluft wird niemals voll,
Die aufgaͤhnt zwiſchen dem was iſt, und werden ſoll.
Die Worte die du hoͤrſt, die Mienen die du ſiehſt,
Sind lauter Widerſpruch mit dem wovor du knieſt,
Der Menſchheit ſchoͤnem Bild, wie es muß einſt auf Erden
Geweſen ſeyn, und wie es muß einſt wieder werden.
Wes ganzes Streben iſt auf dieſes Ziel gerichtet,
Iſt von der Welt getrennt, und iſt ihr doch verpflichtet,
Will ihr mit Liebeszorn, was ſie nicht will, aufdringen,
Fuͤhlt daß ers muß, und fuͤhlt daß es ihm muß mislingen.
10.
Sieh, unter weißlicher Wolken zerſtreutem Voͤlkchen
Der Mond am Himmel ſchwebt als kleinſtes weißes Woͤlkchen.
Ganz wie die andern bleich, an Groͤße keinem gleich,
Unſcheinbar in des Tags ihm fremden Sonnenreich.
Doch, tritt er an mit Macht das Regiment der Nacht,
Sieh, wie ſein Licht zunicht den Stolz der Wolken macht!
Sie betteln nun um Glanz, und ehrerbietig ganz
Von ferne ſchlingen ſie um ſeinen Thron den Kranz.
So, der ſich unterm Chor Unedler erſt verlor,
Wann ſeine Zeit kommt, tritt des Edlen Glanz hervor.
Rückert, Lehrgedicht. I. 5
11.
Laß nur den tollen Spuk der Zeit voruͤberflirren!
Ergetzen kann er dich, er kann dich nicht verwirren.
Doch wenn dem Schwindel trotzt dein Geiſt mit feſter Stirne;
Bedenke daß es gibt auch ſchwaͤchere Gehirne.
Den Wirbel mehre nicht, worin ſie trunken drehn;
Zeig' ihnen ehr den Punkt, worauf man feſt kann ſtehn.
12.
Sieh dort den Baum, der nie im Sonnenbrand ermattet,
Weil er als Sonnenſchirm den eignen Fuß beſchattet.
Er haͤlt den Boden kuͤhl und feucht worauf er ſteht,
Woraus der Wurzel Saft in alle Zweige geht.
Die Wurzel iſt bedacht, die Kraft zu wenden oben
Dem Wipfel zu, von dem ihr Schutzdach wird gewoben.
Der Wipfel aber ringt ſtets dichter ſich zu falten,
Um friſch den Nahrungsquell der Wurzel zu erhalten.
So iſt ein Maͤnnerſtamm, der wechſelnd ſich beſchuͤtzt;
So jeder einzle Mann, der ſeine Kraͤfte nuͤtzt.
13.
Das Sprichwort ſagt, daß Art von Art nicht laſſ'; ich glaube,
Daß durch Erziehung nie zum Adler ward die Taube.
Doch innerhalb der Art, wird ganz von gleichem Stamm,
Zum Widder hier, und dort zum Schoͤpfen nur, das Lamm.
Und wie Erziehung ſelbſt den Stand macht, iſt erſchienen
Am muſterguͤltigen Verfahren ſinn'ger Bienen.
Nur einen Weiſel ziehn in einem Stock ſie klug,
Weil fuͤr ein ganzes Volk ein Herrſcher iſt genug.
5*
Doch wenn zu Schaden kam die koͤnigliche Brut,
So machen ſie durch Kunſt den Schaden wieder gut.
Ein andres Bienenkind nehmen ſie, das zu weiter
Nichts war beſtimmt als zum einfachen Feldarbeiter;
Erweitern nur die Zell' in der es liegt, und legen
Ihm beſſre Nahrung zu, ſo waͤchſts mit Zauberſegen.
Aus einem Arbeitsmann iſt ſchnell ein Weiſel worden,
Als aͤchter Stammfuͤrſt anerkannt von ſeinen Horden.
14.
Die Perlenmuſchel ſelbſt, ganz in die eigne Reinheit
Verſchloſſen, theilet doch des Meeres Allgemeinheit.
An ihrer Perle Farb' erſcheinet, ob ſie ſchwamm
In Flut ſeicht oder tief, auf Meergras oder Schlamm.
Doch ob ſie laͤnglicht ward, ei- oder kugelrund,
Das liegt am Muſchelhaus, und nicht am Meeresgrund.
Ob endlich groͤßer, ob ſie kleiner ſelber ſei,
Liegt an der Kraft die von Natur ihr wohnet bei.
Ein Menſch nimmt aus der Welt mehr oder minder Licht,
Die Form aus ſeinem Stand, und aus ſich ſein Gewicht.
15.
Das Mehl zu ſichten, braucht man Siebe, groß und kleiner;
Durch je mehr Sieb' es geht, je feiner iſts und reiner.
Das iſt das groͤbſte, was im erſten Sieb ſich fieng,
Und das vorzuͤglichſte, was durch das feinſte gieng.
Auch Perlen ſichtet man in mehr als einem Sieb,
Doch iſt die beſte, die im erſten hangen blieb.
Je ſchlechter nur, jemehr durch Siebe ſie gegangen,
Bleiben die ſchlechteſten zuletzt im feinſten hangen.
Wenn du die Perle biſt, ſei lieber groß als klein;
Doch wenn du Mehl biſt, kannſt du fein genug nicht ſeyn.
16.
Das Eiſen, wenn ſich ihm des Feuers Kraft vereint,
Roth gluͤht es, daß es wie ein Edelſtein erſcheint.
Der roth von ſelber iſt, der feurige Rubin,
Erſcheint dagegen blaß, gluͤht man im Feuer ihn.
So hat des Menſchen Sinn, von Leidenſchaft berauſcht,
Sein Eignes, auf den Schein, um Fremdes ausgetauſcht.
Doch, wenn erkaltet, wird das Eiſen wieder dunkel,
Und wieder hell, wie er geweſen, der Karfunkel.
17.
Der beſte Edelſtein iſt der ſelbſt alle ſchneidet
Die andern, und den Schnitt von keinem andern leidet.
Das beſte Menſchenherz iſt aber, das da litte
Selbſt lieber jeden Schnitt, als daß es andre ſchnitte.
18.
Ein frommer Bettler ſtand an Kraͤmerladenwand,
Haͤtt' einer Gabe noth, doch ſtreckte nicht die Hand.
Der geiz'ge Kraͤmer denkt, ſein Schweigen ſei ein Heiſchen;
In ſeinem Kram geſtoͤrt, begann er aufzukreiſchen.
Er hatt' in manchem Sack zu wuͤhlen und zu kramen,
Und ſprach zum Bettler barſch: Geh hin in Gottes Namen!
Der Bettler ſprach: Ich geh' in Gottes Namen leicht,
Da mir zum Hindernis kein ſchwerer Pack gereicht.
Du aber, der du haſt ſo manchen Sack zu tragen,
Wie gehſt du, wann man wird des Aufbruchs Trommel ſchlagen?
Von dieſem Worte ward des Kraͤmers Herz getroffen,
Dem Bettler gieng er nach, und ließ den Laden offen.
Er nahm den Bettelſtab und wanderte durchs Leben.
So gute Lehren kann ein Bettler Kraͤmern geben.
Wol jenem Weiſen gleich, der, als vor Feindesdrohn
Die Buͤrger, um Verluſt der Habe klagend, flohn,
Im ſchwerbepackten Zug gieng leicht an ſeinem Stabe,
Und ſagte, daß er all das Seine bei ſich habe.
19.
Alswie der Schwan, der rein auf reinen Fluten ſchwimmt,
Im Himmel unter ſich ſein Spiegelbild vernimmt,
Und wenn er lang' im See gezogen ſeine Kreiſe,
Taucht unter, und zuruͤck laͤßt keine Spur der Reiſe;
Gluͤckſelig, wer ſo rein ſich auf der Welt bewahrt,
Und Abſchied alſo nimmt, daß Niemand es gewahrt.
20.
Im Meer gen Suͤden wohnt auf Inſeln ein Geſchlecht,
Reich in Zufriedenheit, in Einfalt, ſchlicht und recht.
Die Inſelgruppen ſind alswie ein Kranz gewunden,
Da wohnen ſie zerſtreut, getrennt und doch verbunden.
Auf jeder Inſel wohnt ein kleines Volk beiſammen,
In Frieden, alle die von einem Vater ſtammen.
Und uͤber alle herrſcht die Inſelkoͤniginn,
Die hat nicht Waffenmacht, und friedlich iſt ihr Sinn.
Und friedlich iſt der Sinn von ihren Unterthanen,
Sie folgen nicht des Kriegs und nicht des Ruhmes Fahnen.
Ihr Waffen iſt Gebet, ihr Ruhm Geſang und Pſalmen,
Im Tempel der Natur geſungen unter Palmen.
Die Palmen ſind ihr Dach, das Blatt iſt ihr Gewand,
Und mit den Fruͤchten faͤllt die Speiſ' in ihre Hand.
In dieſer Frucht iſt Oel und Milch und Honigtrank,
Der heiter ſie berauſcht, und nie laͤßt werden krank.
Die Palmen leben, gleich den Menſchen, hundert Jahr,
Und bringen eine Ernt' in jedem Monat dar.
Faͤllt dann, vom Alter hohl, ein Schaft am Meeresrande,
Dient er zum Nachen, der ſie ſchifft von Strand zu Strande,
Wobei ſie Ruder nicht, noch Stang' und Segel brauchen,
Weil uͤber Spiegelflut die Luͤfte ſpielend hauchen.
Zum Gaſtgeſchenk, wohin ſie zum Beſuche wallen,
Pfluͤcken ſie unterwegs nur aus der Flut Korallen;
Die unterm Waſſer bleich an weichen Zacken bluͤhn,
Und haͤrtend an der Luft in hohen Farben gluͤhn.
Geld aber fuͤhren ſie kein andres, als ſoviele
Sie Muſcheln ſammelten von buntem Farbenſpiele.
Doch weil ſie ſelber Krieg nie fuͤhren, kommen ihnen
Dazu denn Fremde, die zu ſolchem Schauſpiel dienen.
Seeraͤuber ſuchen auf mit kriegeriſchen Truppen
Die Meereswindungen der Friedensinſelgruppen.
Allein ſie ſchlagen ſich nur mit ſich ſelbſt herum,
Und taſten niemals an der Inſeln Eigenthum.
Denn ſie erfuhren es und glaubens, daß belaſtet
Ein Fluch des Himmels den, der es haͤtt' angetaſtet.
Durch dieſen Glauben blieb das Volk der Inſeln frei,
Das, wehrlos wie es iſt, ſonſt fiel in Sklaverei.
Doch wenn ein Schiffer kommt, ein friedlicher, von ferne,
Mit dem vermaͤhlen ſich die Inſeltoͤchter gerne.
Dann treibt der Schiffergeiſt ihn weiter, und zuruͤck
Laͤßt er dort Weib und Kind, das kurz gefundne Gluͤck.
Denn wol verlaſſen mag das Land, wer es erkohren,
Doch keiner der dort iſt erzogen und geboren.
Der Schiffer bringt davon, wenn's Sturm und Meer erlaubt,
Die Kunde heim, die gern hoͤrt jeder, keiner glaubt.
21.
Weltherrſcher Raghu kehrt vom Welterobrungszug
Als Sieger heim und bringt Weltſchaͤtze mit genug.
Die Schaͤtze theilet er beim Siegesopfer aus,
Und hat nun keinen Schatz als ſeinen Ruhm im Haus.
Ihm kommt ein frommer Gaſt; wie ſoll er ihn empfangen?
Die Goldgefaͤße ſind dem Hauswirth ausgegangen.
Ein hoͤlzernes Gefaͤß, gefuͤllt mit Willkommsflut,
Traͤgt er entgegen ihm, und gruͤßet wohlgemuth.
Den ehrenden Beſuch, ſprich, was ihn mir gebracht?
Gewaͤhrt iſt dein Geſuch, wenn's ſteht in meiner Macht.
Doch jener, der erkennt die Armuth an den Zeichen,
Will ohne Wortverluſt zuruͤck beſcheiden weichen.
Doch als mit bittendem Befehl der Koͤnig dringt,
Sagt er das wichtige Anliegen, das ihn bringt:
In Waratantu's Hain, vom Weltgeraͤuſch entfernt,
Lernt' ich zwoͤlf Jahre lang, nun hab' ich ausgelernt.
Als er mich nun entließ, den Schuͤler und den Sohn,
Fragt' ich beim Abſchied ihn: was iſt der Lehre Lohn?
Er ſprach: „Fuͤrs Wiſſen iſt kein ird'ſcher Lohn beſchieden;
Ich bin mit langem Dienſt und treuem Fleiß zufrieden.“
Doch als ich ungeſtuͤm mit meinen Bitten drang,
Ergriff der Zorn ihn, den kein Weiſer ſelbſt bezwang.
Er rief: „Und wenn du Lohn denn bieteſt, wahnumhuͤllt;
Der Lohn ſei ſoviel Gold, als Raghu's Schatzhaus fuͤllt.“
Dein Holzkrug laut genug ſagt was dein Schatzhaus faſſe;
Drum mit Entſchuldigung, o Koͤnig, mich entlaſſe!
Ich ſeh', o Koͤnig, wohl, dir blieb kein Eigenthum,
Als unveraͤußerlich allein der eigne Ruhm.
Doch Koͤnig Raghu ſpricht: Iſt mir der Ruhm geblieben,
Was waͤr' er, wenn er nicht auch Gold haͤtt' aufgetrieben?
Geruh' in meinem Haus als Gaſt dich auszuruhn;
Nachts denken wir wol aus, was wir am Morgen thun.
Der Koͤnig ſinnt bei Nacht: wo ſoll ichs her bekommen?
Den Koͤn'gen rings umher hab' ich es laͤngſt genommen.
Doch auf dem Goldberg wohnt Kuwera, Gott der Guͤter,
Der hat bei mir ſein Amt verſaͤumt als Schatzhaushuͤter.
Und Raghu in der Nacht laͤßt rufen aus mit Schall:
Dem Gott Kuwera droht von Raghu Ueberfall.
Noch in der Nacht beſteigt er ſeines Ruhmes Wagen,
Der mit dem Tag ihn ſoll zum Sieg am Goldberg tragen.
Und als er Morgens nun zur Abfahrt iſt bereit,
Tritt ſein Schatzmeiſter her mit eil'ger Freudigkeit:
„O Herr, es hat zu Nacht im Schatzhaus Gold geregnet.“
Dem drohnden Ueberfall iſt ſo der Gott begegnet.
Und Raghu ſpricht zum Gaſt: Du ſiehſt, o frommer Mann,
Wie in der Noth der Ruhm das Gold erſetzen kann.
Dann leert er fuͤr den Gaſt die volle Kammer aus,
Und hat nun wieder nichts als ſeinen Ruhm im Haus.
22.
Zu Naciketas einſt, dem Weiſen, kam der Tod,
Der alle Herrlichkeit der Welt zur Wahl ihm bot.
Von Roſſen, feurigen, gezogen war ſein Wagen,
Worauf Erobrerſchwert' und Koͤnigskronen lagen.
Mehr als von Sonnenſchein und Mondglanz ſtralt der Wagen,
Mit allem Prachtgeſtein und Gold der Welt beſchlagen.
Die Freuden und die Kuͤnſt' im Fruͤhlingsblumenkranz
Begleiteten die Fahrt mit Sang und Klang und Tanz.
Und aus dem bunten Chor aufrichtete der Tod
Sich hoch, als er die Wahl dem Naciketas bot:
Erwaͤhle, was du willſt, von dieſen Guͤtern allen;
Denn deine Weisheit hat erregt mein Wohlgefallen.
Doch Naciketas ſprach: Wenn ich die Weisheit habe,
Wie duͤrft' ich denn von dir begehren ein Gabe?
Satt wird das Menſchenherz von allen Schaͤtzen nicht;
Und wer begehrte ſie, der ſah dein Angeſicht?
Das Leben, was es hat und iſt, was iſts? ein Hauch:
Der Hauch vergeht durch dich, und du vergeheſt auch.
Laß dieſen Lebenshauch mich hauchen denn in Frieden,
Solang es dir beliebt, und es mir iſt beſchieden.
Er ſprachs, da war der Tod mit Wagen und mit Roſſen,
Mit Schlacht und Macht und Pracht, in Nacht und Nichts zerfloſſen.
23.
Ein Edler auf Beſuch kam zu dem Thor des Andern,
Und zur Anmeldung ließ hinein dis Blatt er wandern:
Iſt Eintritt mir gewaͤhrt? Ich komme wie die Feder,
Die herfuͤhrt jeder Wind, und weiter fuͤhret jeder.
Und jener ſchrieb heraus: Zum Eintritt nicht gereicht
Wird die Erlaubnis dir, du machteſt dich zu leicht.
Und jener ſchrieb hinein: Ich komme wie der Stein,
Wo der ins Waſſer faͤllt, da bleibt er liegen fein.
Und jener ſchrieb hinaus: Erlaubnis nimmermehr
Wird dir zum Eintritt hier, du machteſt dich zu ſchwer.
Und jener ſchrieb hinein: Ich komme wie der Reiter,
Der, wo er ſein Geſchaͤft gethan hat, reitet weiter.
Und jener rief hinaus: Das iſt ein wahres Wort;
Thuͤrhuͤter, laß mir ein den edlen Gaſt ſofort!
24.
Dem jungen Wolfe will der Hirt die Wolfsart nehmen,
Das Mutterſchaf muß ihn zu ſaͤugen ſich bequemen.
Die gute Mutter ſaͤugt an einer Bruſt ein Lamm,
Zur andern einen Wolf, als ſeien beid' Ein Stamm.
Als flockig ward das Lamm, ward ſein Milchbruder zottig;
Der Pflegemutter Milch ſie duͤnkt' ihm duͤnn und ſchottig.
Doch als er einſt die Bruſt geſogen bis aufs Blut,
Da duͤnkte ſo gewuͤrzt nun erſt die Milch ihm gut.
„Wo ſuͤß iſt Milch und Blut, iſt feiſt das Fleiſch und zart:“
So ward ſich unbewußt bewußt die Wolfesart.
Die Mutter mit dem Biß, den Bruder mit der Tatze
Erwuͤrgt' er und entſprang dem Pferch mit einem Satze.
Froh uͤberraſcht der Sohn im Walde Vater Wolfen,
Und hat in dem Beruf bald treulich ihm geholfen.
Die Luſt an Schaffleiſch wollt' er lehren ſeinem Sohn;
Der aber ſprach: Die lernt' ich an der Mutter ſchon.
25.
In unſers Herren Haus viel Knechte ſind geſchaart,
Und jeder dient dem Herrn auf ſeine eigne Art.
Der Herr laͤßt jeden gern auf ſeine Weiſe dienen,
Und weiß allein, wer ihm der liebſte ſei von ihnen.
Der eine dienet ihm, weil es ſein Vater that,
Ein hausgeborner Knecht, ohn' eignen Sinn und Rath.
Der andre dienet ihm, weil einem Herren dienen
Er eben will, und der ein guter Herr geſchienen.
Ein andrer lief vom Dienſt, und iſt dann wieder kommen,
In Gnaden hat der Herr ihn wieder aufgenommen.
Ein andrer iſt zu faul um aus dem Dienſt zu laufen;
Der gute Herr laͤßt ihn mitlaufen unterm Haufen.
Der eine dient dem Herrn mit Eifer vorm Geſicht,
Und hinter'm Ruͤcken traͤg', als ſaͤh' der Herr da nicht.
Der eine traͤgt ein Bild des Herrn vor ſeiner Bruſt,
Stets eingedenk des Herrn zu ſeyn und dienſtbewuſt.
Er hat das Bild von Holz nach ſeiner Kunſt geſchnitzt,
Und fuͤhlt ſich glaͤubig ſtolz, daß er die Gunſt beſitzt.
Ein andrer traͤgt den Herrn in ſeines Buſens Schrein,
Ihn mahnt der innre Stern, kein Bild von Holz und Stein.
Der eine thut nur das, was ihm der Herr befohlen,
Der andre geht, Befehl ſich ſelber einzuholen.
Ein dritter fragt nicht erſt, was ihm der Herr befiehlt,
Er ſieht ſein Angeſicht, und weiß worauf er zielt.
Der dient aus Eigennutz, der dient aus Furcht und Scheue,
Der dient aus Pflichtgefuͤhl, und der aus Herzenstreue.
Der eine dient dem Herrn auf feſtgeſetzten Lohn;
Der Herr ſetzt ihm nichts zu, und bricht nichts ab davon.
Der andre dient und hat bedungen keinen Lohn,
Lang gab der Herr ihm nichts, dann macht' er ihn zum Sohn.
26.
Ich ſah den Schoͤpfungsbrunn, der Schoͤpfer ſaß daran,
Und ſchoͤpfte, daß die Flut vom goldnen Eimer rann.
Er ſchoͤpft' und goß den Thau rings in die Wuͤſte aus,
Die ward zur Lebensau mit Fruͤhlingsblumenſtraus.
Die Baͤch' und Baͤchelchen, die Quell' und Quellchen rannen,
Zu Gras und Kraut hinan, und ſchneller noch von dannen.
Wo eine Welle kam, bluͤht' eine Fruͤhlingsbraut;
Wo eine Abſchied nahm, da war verwelkt ein Kraut.
Und wo in Aſche war ein Pflanzenleib zerfallen,
Schnell ward er neu gebaut von rinnenden Kriſtallen.
Der Schoͤpfer ſchoͤpfte fort, der Brunnen ward nicht leer,
Wiewol ihm fort und fort entſchoͤpft ward Meer um Meer.
Denn was von oben goß der goldne Eimer nieder,
Das alles unten floß zuruͤck zum Brunnen wieder.
27.
Wie Waſſer von der Erd' ein Sonnenſtral aufzieht,
So hoͤhres Licht den Geiſt, wenn er dem Leib entflieht.
Doch wie zur Erde neu die ſchwerern Duͤnſte fallen,
Wer weiß, ob Geiſter ſo ins Leben wieder wallen?
Und wie zum Aether nur die feinſten Duͤfte ſteigen,
So ein aͤtheriſcher Geiſt zum hoͤchſten Geiſterreigen!
28.
Durch den allein ich mit der Welt zuſammenhaͤnge,
Seitdem ich nebenaus mich ſtellte vom Gedraͤnge!
Du bringſt, o Freund, die Welt mir her von Zeit zu Zeit,
Ich merkte ſonſt ſie nicht in meiner Einſamkeit.
Du bringeſt von der Welt die Kunden mir getreulich,
Doch weniges dem Sinn, nichts dem Gemuͤth erfreulich.
Nichts hoͤr' ich von der Welt, was mich verlocken kann,
Neu auf das Meer zu gehn, da ich zum Port entrann.
Ich ſehe truͤb', und muß mir leider es geſtehn:
Das Alter iſt es nicht, was mich macht truͤbe ſehn.
Ein unzufriedenes Geſchlecht mit Zorngeberden
Will aͤndern ſeine Welt, und ſelbſt nicht anders werden.
Wo nicht ein aͤußrer tobt, ein innerlicher Kampf,
Wird ſelbſt des Lebens Luſtgeberd' ein Todeskrampf.
Den Wehen des Geſchicks iſt Fehlgeburt entrungen,
Vom Drang des Augenblicks Ruh und Genuß verſchlungen.
Ich weiß nicht, wo ſich wird die Wiſſenſchaft verkriechen,
Die Poeſie doch wird unzweifelhaft verſiechen.
Wo ſich genuͤberſtehn Unglaub' und Ueberglauben,
Will dir die Seele der, und der die Sinne rauben.
Die Sinne raubt er nicht, doch hat er ſie verdumpft;
Die Seele raubt er nicht, doch hat er ſie verſumpft.
In dieſem Suͤndenpfuhl, in dieſen Jammerfroͤſten,
Kann fuͤr die Welt mich nur ein neuer Glaube troͤſten;
Der Glaube, daß der Geiſt, der mit der Sonne blickt,
Von Zeit zu Zeit, wo Huͤlfe noth iſt, Helfer ſchickt;
Und wenn das Unheil ſich unheilbar Menſchen zeigt,
In menſchlicher Geſtalt er ſelbſt herniederſteigt.
So mehr als einmal ſchon iſt er herab geſtiegen,
Und jetzo denkt er, wo er will geboren liegen.
29.
Wenn ihr Orakel wollt, ſollt ihr Orakel hoͤren;
Der Geiſt iſt uͤberall, man darf ihn nur beſchwoͤren.
An wen die Welt glaubt, wer an ſich glaubt, iſt Prophet,
Theurg und Philoſoph, Apoſtel und Poet.
Denn einer iſt der Geiſt, der in den vielen waltet,
Der nur die Fluͤgel nicht in allen gleich entfaltet.
Die Raupen ſehn erſtaunt den Schmetterling ſich wiegen,
Und denken nicht im Traum, daß ſie auch ſollten fliegen.
Rückert, Lehrgedicht. I. 6
Das Raupenvolk der Zeit iſt zur Verwandlung reif,
Es traͤgt ſein Todtenkreuz im falben Ruͤckenſtreif.
Sie freut der Blaͤtterfraß nicht mehr, des ſie ſich freuten,
Es treibt ſie innre Qual noch einmal ſich zu haͤuten.
Sie wechſeln eine Haut, und bleiben Raupen noch,
Und wechſelten ſie zehn, ſie blieben Raupen doch.
Von gift'gen Weſpen ſind die meiſten angeſtochen,
Lebendig innen aufgezehrt an Mark und Knochen.
Und wann aus ihnen ſchon frei werden ſoll der Sohn
Des Himmels, fliegt mit Hohn ein Schwarm Geſchmeiß davon.
Euch, zahme Raͤupchen, hier hat man auf Maulbeerblaͤtter
Geſetzt, vor Hagelſchlag geſichert und Sturmwetter.
Jetzt wollet ihr mit Ruh in eur Geſpinnſt euch ſpinnen;
Dem heißen Waſſertod nicht werdet ihr entrinnen.
Denn billig wollen ſich die Hirten, die euch weiden,
Nun gegen Winterfroſt in eure Seide kleiden.
Die wilden Raupen dort, im Graſe nicht bemerkt,
In Freiheit wachſen ſie, vom Hauch der Nacht geſtaͤrkt.
Als Puppen knuͤpfen ſie ſich auf am lichten Faden;
Den goldnen Maſken wird nicht Winterkaͤlte ſchaden.
Kalt wird der Winter ſeyn, erfroren werden ſtehn
Viel ſtolze Naſen, die aus ſeidnen Kraͤgen ſehn.
Vom erſten Fruͤhlingsſtral belebt, wird dann entſchweben
Der Zukunft Schmetterling; Heil denen, die's erleben!
30.
Des Mondes Geiſterlicht macht fremd auch das Bekannte,
Wenn fremde Schauder ſelbſt ein Blick der Sonne bannte.
Drum ſieh ein fremd Gefild im Licht der Sonne nur,
Und lieblich fremd im Glanz des Monds die eigne Flur.
6*
31.
Du biſt begluͤckt, wenn dir, was da iſt, ganz gefaͤllt,
Und deine Luſt daran ſolang haͤlt als es haͤlt,
Und dann vergeht, wenn es zum Gehn auch Anſtalt macht;
Dann iſt dir andre Luſt an anderm zugedacht.
32.
Wenn du am rechten Ort das rechte Wort zu ſagen
Haſt unterlaſſen, bleibt es immer zu beklagen.
Wenn in Gedanken dann du's ſageſt hinterher,
Wird die Verſaͤumnis dir nur fuͤhlbar um ſo mehr.
Doch unterlaß nur nicht, und ſage dir es fein;
Vielleicht ein andermal wirſt du dann kluͤger ſeyn.
33.
Der Gaukler, wie geſchickt er ſeine Glieder braucht,
Prall wie aus Stahl geſpannt, und wie aus Luft gehaucht!
Und wozu braucht er ſie? Um Schauder, Furcht und Schrecken,
Anſtatt Bewunderung, ja Abſcheu zu erwecken.
Der arme Gaukler! ſo geht ſeine Kunſt nach Brot;
Doch andre thun's ihm gleich, und habens minder noth.
Wenn ſchon ein Schauder iſt misbrauchte Koͤrperkraft,
Misbrauchter Geiſt und Witz iſt doppelt ſchauderhaft.
34.
Von einem Koͤnig wird erzaͤhlt, daß im Pallaſt
Er hatte ſich gehaͤuft die groͤßte Buͤcherlaſt.
Und zog der Koͤnig aus, ſo zogen auf den Pfaden
Hundert und ein Kamel mit Buͤchern nach beladen.
Da ward er doch gewahr am Ende daß ihm ſei
Beſchwerlich auf der Fahrt die große Buͤcherei.
Und ließ zu beſſerer Bequemlichkeit beim Reiſen
Auszuͤge machen von hundert und Einem Weiſen.
Von dieſen ward gemacht ein Auszug, den beim Zug
Des Koͤniges gemach ein ſtarkes Maulthier trug.
Doch noch bequemer wollt' er haben ſeine Sachen,
Und aus dem Auszug ließ er einen Auszug machen.
Ein art'ges Buͤchlein ward nun aus der Maulthierbuͤrde,
Das auf der Reiſe ſelbſt der Koͤnig trug mit Wuͤrde.
Doch immer noch zu ſehr belaͤſtigte das ihn,
Des Auszugs Auszug ließ er aus noch einmal ziehn.
Da zogen ſie ihm aus dem ausgezognen Buch
Den Kern zuſammen kurz in einen einz'gen Spruch.
Den faßt' er ins Gemuͤth, und konnt' ihn leicht behalten,
Um ſeines Heils danach und ſeines Reichs zu walten.
Ob ihm dis Heil gelang? Wenn er's nicht ganz vollbracht,
So war's nur, weil er ſelbſt den Auszug nicht gemacht.
Das aber iſt gewis, daß aus dem Buͤcherwuſt
Du machen fuͤr dein Heil ſolch einen Auszug mußt.
35.
Du ſollſt den Stand, auf dem du ſteheſt, nicht verkennen,
Vom Ird'ſchen Ewiges nicht eigenmaͤchtig trennen.
Zu beiden biſt du da, der Erde Kampf zu ſtreiten,
Und dich zum Frieden vor des Himmels zu bereiten.
Wer feige Frieden nur ſucht fuͤr ſein eigen Theil,
Wird zum Verraͤther an der Welt gemeinem Heil.
Zu foͤrdern Menſchengluͤck mit aller Kraft hienieden,
Kein Opfer iſt zu groß, als nur der Seele Frieden.
Doch laß von keiner Macht, von keinem Ruhm dich zwingen,
Von keiner Liebe ſelbſt, dis Opfer ihr zu bringen.
Das iſt nicht Eigenſucht, noch ſchwerer Pflichten Scheue,
Es iſt die deinem Ich, dem ew'gen, ſchuld'ge Treue.
36.
Der Mond am Himmel iſt nicht ſchoͤn im leeren Raum,
Der Mondſchein lieblich nicht auf Fluren ohne Baum.
Entweder muß ſein Glanz aus lichten Wolken ſteigen,
Oder gebrochen ſanft erſcheinen zwiſchen Zweigen.
So nimmt die Schoͤnheit ſelbſt bald einen Schleier vor,
Bald ſchauet man zu ihr durch einen auch empor.
37.
Der Sonne kannſt du nicht ins Feuerauge ſchaun,
Zum ſanften Monde nur haſt du ein ſolch Vertraun.
Die Blumen aber thun vorm Mond ihr Auge zu,
Und auf vorm Sonnenblick, den Blumen gleichſt nicht du.
Wenn deine Unſchuld erſt iſt Blumen gleich vollendet,
Wirſt du die Sonne, wie den Mond, ſehn ungeblendet.
38.
Ob Tugend Reinigung, ob Reinheit ſelber ſei?
Ob Streben Hoͤchſtem zu, ob Hoͤchſtes ſtrebenfrei?
Nach Hoͤchſtem ſtreben iſt das Hoͤchſte freilich nicht,
Ein Hoͤchſtes iſt es doch, wo Hoͤheres gebricht.
Und ſo iſt Reinheit auch nicht deine Reinigung;
Und Menſchentugend thut ſich ſelber nie genung.
39.
Ein ſchoͤnes Streben iſt's, den Guten aͤhnlich werden,
Die hier vom hoͤchſten Gut Abbilder ſind auf Erden.
Doch immer wird das nur ein Bild vom Bilde ſeyn;
Du bilde deinem Geiſt das Urbild ſelber ein.
40.
Der Weisheit Anfang iſt immer Bewunderung,
Durch ander nichts erhaͤlt die Seele Himmelſchwung.
Aus ſich und aus der Welt zur Gottheit hingeriſſen,
Zu ahnen und zu ſchaun, zu forſchen und zu wiſſen.
Wenn erſt das Licht du ſchauſt, ohne daß es dich blende,
Nichts zu bewundern iſt alsdann der Weisheit Ende.
Zum Ende ſind noch nicht gedrungen deine Schritte,
Du ſtehſt bewundernd noch in aller Wunder Mitte.
41.
Die Unvollkommenheit der Welt hat zu beklagen,
Wer ſie geſchaffen glaubt zur Luſt und zum Behagen.
Geſchaffen iſt ſie wol zu anderem Bedarf,
Wie der fuͤr gut befand, der ſo den Plan entwarf,
Zu ſeinem nicht, und nicht zu unſerem Vergnuͤgen,
Zu unſerm Heil gewis; darein mußt du dich fuͤgen.
42.
Der Schoͤpfung Mittelpunkt wenn dieſe Erde waͤre,
Nicht nebenaus am Rand der Sfaͤren eine Sfaͤre,
So haͤtte Menſchenwitz ein Recht, beklommener
Zu fragen, warum ſie nicht ſei vollkommener.
So aber hat er nur Urſache, ſie zu fragen,
Wieviel der Winkel kann von heller Mitte ſagen.
In Mitten ſteht ein Licht hoch auf dem Tiſch im Zimmer,
Und fuͤllt den ganzen Raum, doch mit ungleichem Schimmer.
Ein Spiegel wirft den Glanz dem andern Spiegel zu,
Der wieder andern, und vorm letzten ſteheſt du.
Du ſiehſt gedaͤmpft genug das Licht, daß dichs nicht blende,
Und hell genug, daß dich zum Lichtquell Sehnſucht wende.
Im Winkel warte nur geduldig, bis die Augen
Dir, einzutreten in den Glanz der Mitte, taugen.
Wie ſchonend Mondlicht ſanft um Eulenbloͤdheit fließt,
Bis ſich ein Adlerblick der Sonne kuͤhn erſchließt.
Ein blaſſer Mond, o Erd', iſt deine Mittagsſonne,
Die nur mit Sehnſucht fuͤllt, nicht ſelbſt iſt volle Wonne.
Die Sonn' im Wolkenflor webt einen Regenbogen;
Wie rein iſt der Akkord des Farbenſpiels gezogen!
Der Bogen aber ſpielt in einem zweiten dann,
Worin der bunte Schmelz in mattes Grau zerrann.
Der Regenbogen nicht, vom Regenbogen nur
Biſt du der Nebenglanz, die halberloſchne Spur.
O Menſch, in des Gemuͤth ſich Lieb' und Hochmuth gatten,
Du biſt zwar Licht vom Licht, doch Schatten nur vom Schatten.
43.
Ich gebe dir mein Sohn, das moͤgeſt du mir danken,
Gedanken ſelber nicht, nur Keime von Gedanken.
Nicht mehr zu denken ſind Gedanken, ſchon gedacht;
Von Bluͤten wird hervor kein Bluͤtenbaum gebracht.
Doch ein Gedankenkeim, wohl im Gemuͤth behalten,
Wird ſich zu eigener Gedankenbluͤt' entfalten.
III.
1.
Nun fliegt die Schwalbe weg, und nach ihr fliegt der Sommer;
Iſt etwa noch zuruͤck ein ſchoͤner Herbſt, ſo komm' er!
Daß, wer noch ſeinen Theil von Jahrluſt nicht genoß,
Genieße, bis das Buch der ſtrenge Winter ſchloß.
2.
Ich will den Winter durch die Kraͤnze laſſen hangen,
Die welken, bis im Lenz die Bluͤten neu entſprangen;
Ein Zeichen nicht allein der Freuden, die verbluͤht,
Auch kuͤnft'ger Unterpfand dem hoffenden Gemuͤth.
3.
Ein wenig laͤnger noch Geduld und froher Muth,
Und hell wird alle Truͤb' und alles Uebel gut.
Schon iſt ein ſanfter Stral dem Dunkel eingeſprengt,
Ein ſuͤßer Vorſchmack ſchon dem Bittern eingemengt.
Wenn ab der Schatten nur, wenn zu das Licht nur nimmt,
Wie ſchwer auch jener faͤllt, wie ſchwach auch dieſes glimmt;
Ein wenig laͤnger noch Geduld und froher Muth,
Und hell wird alle Truͤb' und alles Uebel gut.
4.
Die Tage ſehen wir, die theuren, gerne ſchwinden,
Um etwas theureres herangereift zu finden,
Ein ſeltenes Gewaͤchs, das wir im Garten treiben,
Ein Kind das wir erziehn, ein Buͤchlein das wir ſchreiben.
5.
Dein Wirken wirſt du nach verſchiednen Stund- und Tagen
Bald alzu niedrig, bald auch alzu hoch anſchlagen.
Das ſind des Hochmuths und des Kleinmuths boͤſe Geiſter,
Die laß nie ſeyn in dir der rechten Demuth Meiſter.
Mit hoͤchſtem Selbſtgefuͤhl vertraͤgt die Demuth ſich:
O Werkzeug Gottes, du nicht wirkſt, er wirkt durch dich.
6.
Ei ſchaͤme dich, daß dir noch immer ganz der Zuͤgel
Nicht feſt iſt in der Hand, noch feſt der Fuß im Buͤgel.
Ei ſchaͤme dich, daß dich im Sattel wankelhaft
Noch immer wirft umher das Roß der Leidenſchaft.
7.
Mein Sohn, du ſollſt dich nur auf Straßen und auf Gaſſen,
Sehn mit ehrbaren, mit geehrten Leuten laſſen.
Die halbe Ehr' iſt dein, wenn man ſich neigt vor ihnen;
Am Ende lerneſt du die ganze ſelbſt verdienen.
8.
Begluͤckt, wer alles nicht muß durch ſich ſelber werden,
Sich nur anbilden darf vorbildliche Geberden;
Wer einen Vater hat, wer einen Lehrer findet,
Ein Muſter, daran ihn Lieb' und Nachahmung bindet.
Er rankt daran empor mit unbewußtem Fleiß,
Und iſt geworden gut und edel, eh ers weiß.
Und fuͤhlt er dann, wozu Beruf und Pflicht ihn treiben,
Darf er bewußt, was unbewußt er ward, nur bleiben.
9.
Wie hoch, wie tief du ſeiſt, will das dir nicht ſich zeigen,
Doch fuͤhlſt du, ob du biſt im Sinken oder Steigen.
Im Sinken fuͤhlſt du Schwer', im Steigen Leichtigkeit,
Dort von dir ſelbſt gedruͤckt, und hier von Druck befreit.
Das merk, und denk dabei: Du kannſt im freien Wallen
Steigen aus jeder Tief', aus jeder Hoͤhe fallen.
10.
Im großen Rechnungsbuch der Welt iſt eingeſchrieben,
Was wir genießen, was wir haben, was wir lieben.
Wie lang es zum Genuß auf dieſer Welt uns bleibt,
Er weiß es, der das Buch in ſeinem Sinne ſchreibt.
11.
Sich ſelber anzuſchaun, der Schoͤpferkraft bewußt,
Erſchuf Gott die Natur, den Spiegel ſeiner Luſt.
Im Anblick der Natur wenn du dich fuͤhlſt erbaut,
Dann haſt du ihn belauſcht, der in den Spiegel ſchaut.
12.
Du fuͤhlſt dich uͤberall im Mittelpunkt der Welt,
Wo in dein Auge Sonn- und Mond- und Sternlicht faͤllt.
Kein Unterſchied iſt, ob du hoͤher oder tiefer
Genuͤber ihnen ſtehſt, gerader oder ſchiefer.
Wie Standes Abſtaͤnd' auch hier auseinander wichen,
Vor der Unendlichkeit dort ſind ſie ausgeglichen.
13.
Wo du mit der Natur dich fuͤhlſt im Gleichgewicht,
Zweifelſt du an der Welt Vollkommenheit auch nicht.
Wol zweifeln magſt du, wo das Gleichgewicht geſtoͤrt,
Der Elemente Kampf iſt gegen dich empoͤrt.
Doch muß der Menſchengeiſt nur ſeine Waffen nuͤtzen,
Um gegen Himmelſtrich und Jahreszeit zu ſchuͤtzen.
Und immer iſt die Welt vollkommen ausgedacht,
Auch wo der Menſchengeiſt ſie erſt vollkommen macht;
Weil ja der Menſchengeiſt dazu grad' aufgenommen
Iſt in den großen Plan, daß dieſer ſei vollkommen.
14.
Du frageſt, wo und wie im Land du wohnen ſolleſt,
Wenn du des Menſchen Zweck und Gluͤck erreichen wolleſt.
Wohn' unter Himmelklar auf ſelbſtbegruͤnter Flur,
Ruhend im Vollgenuß am Buſen der Natur.
Wohn' auf bebautem Feld, wo, was man pflanzte, ſprießt,
In Fuͤlle, die ſie ſchafft, die Arbeit ſich genießt.
Wohn' in belebter Stadt, wo eins das andre regt,
Bild' und laß bilden dich, bewegend und bewegt.
Wohn' in der Wuͤſte, wo Natur- und Menſchenweben
Dich beides nicht beruͤhrt, um dir und Gott zu leben.
Wo du auch wohnen magſt, da kannſt du ſeyn und bleiben
Ein Menſch, und Menſchliches ſo oder anders treiben.
15.
Was deinem innern Trieb iſt angemeſſen, treibe,
Nur daß fein auch der Trieb ein angemeßner bleibe!
Und was du liebend treibſt, laß dir das Hoͤchſte gelten,
Ohn' anderstreibende misliebig drum zu ſchelten.
Sei doch in jeder Art ein Hoͤchſtes offenbart;
Du offenbare dein Hoͤchſtes in deiner Art!
16.
An**
Auf! hinter'm Berge haſt du lang genug gehalten,
Auf nun und brich hervor mit deinen Streitgewalten.
Die Feinde ſtehn geſchaart: ſchlag oder laß dich ſchlagen,
Damit wir wiſſen, wer uns ſoll die Krone tragen.
17.
Von Ruhm und Ehre wird das Herz durchaus nicht ſatt;
Ehr hat es Ueberdruß, ehr es Genuͤge hat.
Man ſagt: Es klingt dein Ohr, wenn fern dein Ruhm ertoͤnt;
Doch ſchwache Dumpfheit iſts, wenn es von ſelber droͤhnt.
Dir moͤg' es weder ſo noch ſo im Ohre gellen;
Zufriedne Stille wohn' in deines Herzens Zellen!
Rückert, Lehrgedicht. I. 7
18.
Mit Andacht hab' ich in den Regen aufgeblickt,
Der endlich, lang erſehnt, die durſt'ge Welt erquickt.
Ich habe wol fuͤr mich zu trinken ſtets gehabt,
Doch hat nichts, weil die Welt gedurſtet, mich gelabt.
Nun ſchweigend alle, die zuvor gedurſtet, tranken,
Mußt' ich in meinem und in ihrem Namen danken.
19.
Von Lob und Tadel haͤngt mitnichten ab dein Adel,
Doch ehr als halbes Lob wuͤnſch' ich dir ganzen Tadel.
Der Tadel ſpornet dich, den du gerecht erachteſt,
Und ungerechter kraͤnkt dich nicht, den du verachteſt.
Doch kahles Lob, wie zur Abſpeiſung nur beſtimmt,
Ein Brocken iſts, womit vorlieb ein Bettler nimmt.
20.
Mit einem Neidiſchen iſt Freundesumgang peinlich,
Denn ſeine Freuden ſind mit deinen unvereinlich.
Du ſchaͤmſt dich einer Luſt, weil ſie den Freund verſtimmt
Und eines Gluͤcks aus Furcht, daß er es uͤbel nimmt.
21.
Wozu begehrſt du Gut, mehr als du haſt, und Ehre?
Wie? daß es dir dein Gluͤck, dein innres Wohlſeyn mehre?
Gut, Ehre, ſuch' ich nicht, damit ich ſchwelg' in ihnen,
Als Mittel ſuch' ich ſie, die meinem Zwecke dienen,
Zu ſchaͤrfen glaͤnzender des Selbſtgefuͤhles Waffen,
Um Schoͤnes, meine Luſt, nachdruͤcklicher zu ſchaffen.
7*
22.
Nicht auf die Schwalbe, die des Fruͤhlings Botſchaft bringt,
Und mir von ewiger Erneuung Lieder ſingt,
Freu' ich ſo ſehr mich als auf einen Freundesgruß,
Der das mir bringt, was ich zum Leben haben muß:
Daß Zeitenwechſel geht, feſt die Geſinnung ſteht,
Iſt was mein Herz mit mehr als Fruͤhlingshauch durchweht.
23.
Was innig dich ergreift, das laß fein langſam reifen;
Was außen dich nur ſtreift, mußt du ſogleich ergreifen.
Wo du's nicht gleich ergreifſt, fuͤr immer iſts verloren;
Doch was du in dir reifſt, wird ſchon einmal geboren.
24.
Warum gehſt in der Welt du aus dir ſelbſt hinaus?
Um ſtill in dich zuruͤck zu kehren aus dem Braus.
Und warum aus dem Braus gehſt du in dich zuruͤck?
Zu ſinnen fuͤr die Welt im Stillen Luſt und Gluͤck.
Begluͤckt, wenn dir die Welt gibt, was du brauchen kannſt,
Und brauchen will die Welt, was du fuͤr ſie erſannſt.
25.
Mehr als ein Paradies ein nie verlorenes
Iſt ein aus dem Verluſt zuruͤckbeſchworenes.
Das mußt du glauben ſchon, weil jens verloren iſt,
Und dieſes, wenn du willſt, in dir geboren iſt.
Sonſt rieth' ich nicht, wenn es nicht ſchon verloren waͤre,
Es zu verlieren nur damit ſichs neu gebaͤre.
26.
Wie der Geneſene ganz der Geſundheit Gluͤck
Empfindet, wenn er an die Krankheit denkt zuruͤck;
Des ungehemmten Stroms der Lebensfuͤlle froh,
Wenn er der Hemmung nun, er hofft auf ſtets, entfloh:
So auch, wer voriger Verirrungen gedenkt,
Aus denen Gott ihn hat zur rechten Bahn gelenkt;
Er mag die rechte Bahn mit rechter Freude wallen,
Kraft fuͤhlend und Entſchluß, nie mehr zuruͤck zu fallen.
Doch wie ein Nachgefuͤhl der Krankheit den Geſunden
Oft leiſe mahnt, und, kaum ſich meldend, iſt geſchwunden;
So den, der voriger Verirrung auch gedenkt,
Nur daß dis Nachgefuͤhl von Krankheit ſtaͤrker kraͤnkt.
Denn einen Unterſchied in dem, was wir erduldet,
Macht immer, ob es war ver- oder unverſchuldet.
27.
Wenn du den Muth verlierſt, verliereſt du die Kraft
Zu wirken, und dein Werk verkuͤmmert kruͤppelhaft.
Wenn der geſunkne Muth auf einmal wieder ſteigt,
Zu wilden Ranken iſt alsbald der Trieb geneigt.
Drum bitte taͤglich Gott, daß er dich, ſtreng wie guͤtig,
Nie muthlos laſſe ſeyn, noch werden uͤbermuͤthig.
28.
Zu werden das was du nicht biſt, das was du werden
Sollſt, was du werden kannſt, iſt eng der Raum auf Erden.
Es iſt Unendliches, darum aus dieſer Zeit
Dehnt es hinuͤber ſich in die Unendlichkeit.
Getroſt! was du hier thuſt, das nimmſt du mit von hinnen;
Und was vollendet dort will ſeyn, muß hier beginnen.
29.
Du mußt das Gute thun, du mußt das Wahre ſprechen.
Warum? damit mußt du dir nicht den Kopf zerbrechen.
Es iſt kein andrer Rath; wenn du nicht willſt, du mußt;
O Heil dir, wenn du es aus innrer Freude thuſt.
30.
Ich habe lang genug gelernt, um ausgelernt
Zu haben, doch vom Ziel bin ich noch weit entfernt.
Ich lebe nur um noch zu lernen, und begraben
Wird man zuletzt mich doch, ohn' ausgelernt zu haben.
31.
Ich hatte von der Zeit mich nebenaus gerettet,
Vor ihren Stuͤrmen in ein Ruhthal mich gebettet.
Da richtet' ich mich ein, bequem fuͤr mich zu hauſen,
Und ließ die tolle Zeit indeſſen weiter brauſen.
Ich dacht' ich ſei zuruͤck, und weit ſei mir die Zeit
Voraus, da ſah ich daß ſie ſelbſt zuruͤck ſei weit.
Was iſt das hinter ihr, vor dem ſie nimmt die Flucht;
Und was das außer ihr, nach dem ſie ewig ſucht?
32.
Du ſondre ſtolz und kalt dich nicht von der Gemeine
Der Betenden, weil du ſo gut es kannſt alleine.
Zwar Gott iſt uͤberall, und nie wird in der Schaar
Ihn finden, wem er nicht bereits im Herzen war.
Doch wo der Scheiter viel in einer Flamme brennen,
Wird das Gefuͤhl es an vermehrter Glut erkennen.
33.
Wenn du dich anders willſt als all die andern kleiden,
So ſagt man, daß du dich auszeichneſt unbeſcheiden.
Und ſagſt du, daß du's nur thuſt aus Bequemlichkeit,
So wiſſe, daß man die noch minder dir verzeiht.
34.
Viel Angedenken ſtellſt du um dich her zuſammen
Zu Ehren Theuerer, von denen ſie dir ſtammen.
Die theuern Namen nennt dir nun ihr ſtummer Mund,
Und machet dir das Herz nicht froͤhlich, ſondern wund.
Beim Angedenken denkſt du, daß vom Lebensmale
Dir nichts geblieben iſt, als die geleerte Schale.
35.
Ich kann aus meinem Haus nicht auf- noch abwerts ſchreiten,
Daß nicht mich Kinder zwei verlorene begleiten.
Denn aufwerts liegt vom Haus ein Graben, den mein Fuß
Beſchreitet niemals, daß ich nicht gedenken muß,
Wie ich das letztemal ſie dieſes Weges fuͤhrte,
Als heimlich Todesglut in ihnen ſchon ſich ſchuͤrte.
Den kleinen Schrittchen war der Graben da zu breit,
Doch ſie vertrauten auf mein vaͤterlich Geleit.
Daruͤber hob ich ſie, und dachte ſie zu haben
Gebracht, wie uͤber den, ſchon uͤber jeden Graben.
Nicht bei dem Graben fiel mir damals ein das Grab;
Jetzt faͤllt mirs immer ein, ſeitdem ich ihm ſie gab.
Doch abwerts von dem Haus wenn ich mich wenden wollte,
Da iſt das Pflaſter wo der Leichenwagen rollte.
Sein Rollen hoͤr' ich noch, und glaube noch die Spur
Zu ſehn, wie auch indeß manch andres druͤber fuhr.
Was auch daruͤber fuhr, nie hat's die Spur verwiſcht,
Und ſtets auf dieſer Spur geh' ich, die nie erliſcht.
36.
Ein weiter Thorweg iſt, ein Pfoͤrtchen eng zur Seiten,
Zum Gehn und Schreiten das, zum Fahren der und Reiten.
Im Fahrweg iſt Gedraͤng, heut Staub und morgen Koth;
Durchs enge Pfoͤrtchen kommt man immer gut zur Noth.
Ein Buͤcken darf dich nur und Druͤcken nicht verdrießen;
Allein zu Buck und Druck konnt' ich mich nie entſchließen.
Und wie ich taͤglich dort geh' aus und ein das Thor,
Zieh' ich das weite ſtets dem engen thoͤricht vor.
Mir iſt, ein Ungluͤck muͤßt' am Tage mich befallen,
Wo ich mich buͤckte durch das enge Joch zu wallen.
Und jeder Fahr ſchein' ich mir fuͤr den Tag entgangen,
Wo meine Schritte durch den koth'gen Fahrweg drangen.
Du ſprichſt: ein Aberglaub' iſt dis und Wahn ein toller.
Ja freilich, aber mir ein nicht unſegenvoller.
Denn nie gedankenlos geh' ich nun aus und ein,
Stets unterm Thore faͤllt mir meine Thorheit ein.
Der Mann iſt weiſe, der an ſeine Thorheit denkt,
Und weiß, mit welcher Macht ſie unſre Schritte lenkt.
Wo dir's unmoͤglich iſt der Thorheit widerſtreben,
Magſt du ihr wenigſtens der Weisheit Anſtrich geben.
37.
Wieviel Abwechſlung iſt im kleinſten Raum zu haben!
Dich kann ein taͤglicher Spaziergang immer laben.
Sei auch die Stunde gleich, und gleich des Weges Richte,
Doch jede Jahreszeit erſcheint in anderm Lichte.
Und willſt du ab vom Weg nur wenig Schritte gehn,
Wirſt du Bekanntes neu von neuer Seite ſehn.
38.
Du brauchſt, was andre thun, nicht immer zu verſtehn,
Um tuͤchtig dem, was dir zu thun iſt, vorzuſtehn.
Doch zwiefach dir gereichts zu Foͤrderung und Luſt,
Wenn du auch ihrs verſtehſt, indem du deines thuſt.
39.
Wieviel gibt dir ein Freund! genug, um ihm zu danken,
Statt insgeheim um das, was er nicht gibt, zu zanken.
Und gibt er grade nicht, was du gebrauchteſt eben,
Gebrauche nur, ſogut du kannſt, was er kann geben.
40.
Laß dich nicht gutes Geld noch gutes Wort verdrießen,
Wenn es um Fried' und Ruh den Handel gilt zu ſchließen.
Nicht iſt das beſte Geld, das beſte Wort zu gut,
Viel beſſer noch iſt Fried', und Ruh, die noth dir thut.
Du gabeſt Geld und Wort ſonſt unnuͤtz manches aus;
Verwende ſie nunmehr zum Nutzen in dein Haus.
Gib was du haſt, gib was du geben kannſt mit Ehren,
Aus Großmuth, ſo daß ſie dir's nicht zur Feigheit kehren
41.
Entbehren magſt du ehr den Segen vom Geſchicke,
Als ſo geſegnet ſeyn, daß es dich nicht erquicke.
Ehr, ſonn- und regenlos, o Pflanze dich gehaͤrmt,
Als Regen, der nicht naͤßt, und Sonnſchein der nicht waͤrmt.
42.
Du klagſt, du koͤnneſt dich nicht mit der Welt vertragen,
Nicht der Geſelligkeit Beſchraͤnkungen ertragen.
Zur Wildnis flieheſt du, dem Menſchen zu entfliehn;
Du traͤgſt ihn mit an dir, und kannſt ihn aus nicht ziehn.
Wenn aber du dich ſelbſt ertragen mußt und leiden;
Von deinem Ebenbild warum willſt du dich ſcheiden?
Du fuͤhlſt mit der Natur dich mehr in Eintracht nur,
Weil du nicht ihrem Gang vorzeichneſt deine Spur;
Den Menſchen aber willſt du deine Wege zeigen,
Bedenklos daß, wie du, auch jeder iſt ſein eigen.
Traͤgſt du ohn' Ungeduld Froſt, Regen, Sturm und Wind?
Nur Menſchenunbeſtand iſt dir zu ungelind?
Der Mann, der vor dem Zwang des Lebens nimmt die Flucht,
Iſt wie der Knabe, der entlaͤuft der Eltern Zucht,
Der ſich bequemen will ehr allem Unbequemen,
Um Rache, wie er meint, nur an der Zucht zu nehmen.
Der rechte Mann erkennt und ehrt des Lebens Schranken,
Und der Erkenntnis wird er ſeine Freiheit danken.
Sein Innres iſt ſein Thun, das ſtrebt er zu vermehren;
Von außen leidet er, das ſtrebt er abzuwehren.
Und ſelbſt ſein Leiden weiß in Thun er zu verwandeln,
Wenn menſchlich handelnd er lehrt Menſchen menſchlich handeln.
Denn uneins unter ſich macht Menſchen Leidenſchaft,
Und nur in der Vernunft iſt ihrer Einheit Kraft.
Des Menſchen Aufgab' iſt Erziehung und Entwildung
Des menſchlichen Geſchlechts und eigne Menſchheitsbildung.
43.
Wenn eine Uhr du haſt, mußt du doch jedes Nu
Darnach nicht ſehn, viel Zeit damit verſaͤumteſt du.
Thu dein Geſchaͤfte nur mit Luſt und aus dem Grunde,
Und frage nicht, ob es grad aufgeht mit der Stunde.
Laß andre von der Zeit gar raſchem Laufe ſprechen,
Ihr rennen nach und vor, um ſich den Hals zu brechen.
Und bliebſt du auch zuruͤck, merkſt du's nach einer Friſt,
Und holſt die Zeit ſchon ein, wenn an der Zeit es iſt.
Genug, wenn du nur mit fortkommſt in Bauſch und Bogen,
Wenn du im Strome ſchwimmſt, und zaͤhleſt nicht die Wogen.
Den Zeitungsſchreibern und Zeitſchreibern laß die Luſt,
Genau zu merken, was nun an der Zeit iſt juſt.
Dir aber wo die Uhr die Zeit nicht ſagt, da ſage
Sie dir der Sterne Stand Nachts und der Sonn' am Tage.
44.
Wenn dich Gethanes freut, ſo magſt du froͤhlich ruhn
Und freut dichs nicht, ſo mußt du etwas Neues thun.
Nie moͤge gar zu ſehr dich ein Gethanes freuen,
Weil rechte Freude doch nur iſt im Thun vom Neuen.
45.
Sind denn der Koͤrner durch die weggefegte Spreue
Geworden mehr, daß dich ihr Anblick mehr erfreue?
Nein, Koͤrnlein ſelber ſind wol mit der Spreu entlaufen;
Was aber blieb iſt nun ein reiner Koͤrnerhaufen.
46.
1.
Zwar iſt Vollkommenheit ein Ziel das ſtets entweicht,
Doch ſoll es auch erſtrebt nur werden, nicht erreicht.
2.
Wol ein mit Sicherheit vorwerts gethaner Schritt
Iſt ihrer zweie werth, wobei man ruͤckwerts glitt.
3.
Erſt denkſt du nicht daran, wie weit es ſei zum Ziel;
Schon iſt es halb gethan, nun iſt der Reſt ein Spiel;
4.
Wer ſucht, der findet. Ja! nur der nicht, wer erblindet
An Orten ſucht, wo ſich nicht das Geſuchte findet.
5.
Wo du den Weg nicht weißt, folg' einem Fuͤhrer du;
Doch, ob der Fuͤhrer auch den Weg weiß, ſiehe zu!
6.
Sandalen druͤcken neu, bequem ſind ſie zerſchliſſen;
Sobald dir etwas ganz gerecht iſt, wirſt du's miſſen.
7.
Das Wort hat Zauberkraft, es bringt hervor die Sache;
Drum huͤte dich, und nie ein Boͤſes namhaft mache.
8.
Gib Worte deinem Schmerz, ſo iſt er dir benommen;
Gib Worte deiner Luſt, ſo iſt ſie dir entkommen.
9.
Wer alzueiferig bekraͤftigt ſein Verſprechen,
Beweiſet dir damit den Willen es zu brechen.
10.
Wer einmal luͤgt, muß oft zu luͤgen ſich gewoͤhnen;
Denn ſieben Luͤgen braucht's um eine zu beſchoͤnen.
11.
Im Stachel hat ſein Gift der Skorpion, im Zahn
Die Schlange, doch ein Menſch iſt giftig um und an.
12.
Leicht mag, wer ſieht die Frucht, des Baumes Namen ſagen;
Ein Gaͤrtner ſieht am Baum, was er fuͤr Frucht wird tragen.
13.
Was einem Menſchen du nicht frei ins Angeſicht
Darfſt ſagen, ſag ihm das auch hinter'm Ruͤcken nicht.
14.
Ein Aergernis iſt nur, wo man es nimmt, gegeben;
Dir vorgeworfnes brauchſt du ja nicht aufzuheben.
15.
O Koͤnig, willſt du mich in dieſer nicht beſchuͤtzen,
In jener Welt wird mir und dir dein Schutz nicht nuͤtzen.
16.
Das Huͤndlein wedelt, dir ſein Futter abzuſchmeicheln;
Den edlen Hengſt, damit er's annimmt, mußt du ſtreicheln.
17.
Wo Bettelſtolz ſich ſchaͤmt zu fordern, ſchaͤmt zu nehmen;
Muß nicht Freigebigkeit ſich auch zu geben ſchaͤmen?
18.
Wer ſchlaͤft, den hungert nicht, geborgen iſt der Mann;
Weh aber dem, der nicht vor Hunger ſchlafen kann.
19.
Schlimm ſind die Schluͤſſel, die nur ſchließen auf, nicht zu;
Mit ſolchem Schluͤſſelbund im Haus verarmeſt du.
20.
Das Weib kann aus dem Haus mehr in der Schuͤrze tragen,
Als je einfahren kann der Mann im Erntewagen.
21.
Am Weibe wird geſchmaͤht, was an dem Mann geachtet;
Die gleich dem Hahne kraͤht, die Henne wird geſchlachtet.
22.
Haſt du ein großes Gut, begehre nicht noch Kleines;
Wenn dir die Sonne ſcheint, bedarfſt du Kerzenſcheines?
23.
Woran du es gewoͤhnſt, das fordert bald dein Herz;
Gewoͤhne nicht dein Kind an Boͤſes auch im Scherz.
24.
Unſchuldig irrt nur, wer den rechten Weg nicht kennt,
Nicht wer den Richtweg ſieht und doch ins Dickicht rennt.
Rückert, Lehrgedicht. I. 8
25.
Am ſchwerſten immer wird ſich in der Irre faſſen,
Wer ſelbſt den rechten Weg muthwillig hat verlaſſen.
26.
Ein unbefangner Sinn benutzt die fremde Spur,
Den ſelbſtbefangenen verwirrt die eigne nur.
27.
Lern von der Erde, die du baueſt, die Geduld:
Der Pflug zerreißt ihr Herz, und ſie vergilts mit Huld.
28.
Die Rach' iſt eine Luſt, die waͤhrt wol einen Tag,
Die Großmuth ein Gefuͤhl, das ewig freun dich mag.
29.
Beſcheidenheit, ein Schmuck des Manns, ſteht jedem fein,
Doch doppelt jenem, der Grund haͤtte ſtolz zu ſeyn.
47.
Daß etwas gruͤndlich du verſtehſt, iſt nicht genug;
Gelaͤufig muß dirs ſeyn, dann uͤbeſt du's mit Fug.
Und iſt es dir nur recht gelaͤufig, brauchſt du's gar
Nicht zu verſtehn; das nimmſt du leicht beim Rechnen wahr.
Der edlen Rechenkunſt Vollkommenheit gedeiht
Am allerbeſten bei Gedankenloſigkeit.
8*
48.
Den einen ehr' ich, der nach Idealem ringt;
Den andern acht' ich auch, dem Wirkliches gelingt.
Den aber lieb' ich, der nicht dis noch jenes waͤhlt,
Der hoͤchſtes Ideal der Wirklichſtheit vermaͤhlt.
49.
Vielſeitigkeit gefaͤllt an zierlichen Kriſtallen,
Das Licht gebrochen ſpielt darin mit Wohlgefallen.
Doch auch Einſeitigkeit in rechter Art iſt gut;
Die Luſt des Himmels iſt des Se'es Spiegelflut.
50.
Wo jeder misverſteht den andern unwillkuͤrlich,
Und misverſtanden ſelbſt zu ſeyn klagt ungebuͤrlich;
Was bleibt da Lernenden zu lernen? Misverſtand;
Da lerne lieber nichts! Das iſt gewiß Verſtand.
51.
Viel beſſer, daß ein Volk nur einen Irrthum habe,
Als eine Wahrheit fuͤr ſich ſelber jeder Knabe.
Viel beſſer, daß den Dienſt ein großer Goͤtz beſitze,
Als jeder fuͤr ſein Haus ſich einen kleinen ſchnitze.
Der Unſinn machte mir nicht die Erbitterung,
Als der Geſinnungszwiſt, die Sinnzerſplitterung.
52.
Zu lehren glaubt' ich oft, was ich an mir erfuhr,
Und ſah dann: ich umſchrieb ein altes Sprichwort nur.
Das eben iſt die Art des Sprichworts: wir gewahren
Erſt ſeinen Sinn, wenn wir ihn an uns ſelbſt erfahren.
53.
Du haſt, o ſchwacher Menſch, alswie an jedem Tage,
Ein anderes Gemuͤth in jeder andern Lage.
Das hab' ich an mir ſelbſt auf mancher Reiſ' erfahren,
Daß anders mir zu Muth im Gehn war als im Fahren.
Im Fahren war ich ſtolz, geneigt herabzuſehn,
Verachtend alle die ich ſah zu Fuße gehn.
Im Gehen war ich ſtolz, verachtend, doch nach oben,
Die uͤber mich zu Roß und Wagen ſich erhoben.
Und wenn es beſſer gieng, ſo trat als Weggeſelle
Dort Großmuth, Demuth hier, an Hoch- und Unmuths Stelle.
Das hoͤchſte doch, wozu wir dort und hier es brachten,
War Selbzufriedenheit ohn' andre zu verachten.
54.
Ich habe nun genug die Fluren mir beſchaut,
Und mich an Blumenſchrift nach meinem Sinn erbaut.
Ich ſuche ſchoͤnere nicht mehr im Erdenreich,
Denn alle Fluren ſehn in Einem doch ſich gleich.
O buntes Einerlei, ſtatt deiner moͤcht' ich Auen
Einmal ganz andre mit ganz andern Augen ſchauen.
55.
Der Vogel, der wie ſonſt ſein Abendlied mir bringt,
O wie ſo eigen heut es mir zu Herzen klingt.
Was iſt es? er hat heut nicht einen von den Tagen,
Den letzten Sommertag hat er zu Grab zu tragen.
Die gute Nacht iſt, die mir bietet ſein Geſang,
Auf keine kurze Nacht, auf einen Winter lang.
56.
Ihr Huͤgel, unter die ich legte meine Lieben,
Nicht ganz verlor ich ſie, denn ihr ſeid mir geblieben.
Was iſt des Todes Macht? da Blumen ſanfter Pracht
Mir nun an Orten bluͤhn, wo ich es nie gedacht.
Was iſt das ich verlor? wenn ſolch ein Liebesflor
Nun eine Stelle ſchmuͤckt, mir oͤd' und leer zuvor.
57.
Nicht wachſen ſieheſt du, wie aufmerkſam du biſt,
Das Gras, doch merkſt du bald, daß es gewachſen iſt.
So troͤſte dich, wo gleich nicht das Gedeihn erſchien
Von jedem Werk, zuletzt auf einmal iſts gediehn.
58.
Ich mach', alt wie ich bin, zu lernen manchen Plan,
Spaͤt nachzuholen was ich zeitig nicht gethan.
Ich hoffe Schritt vor Schritt noch abzuthun, was jung
Ich haͤtte leichter abgethan mit einem Sprung.
Und kaͤme nun der Tod auch zwiſchen meinen Plan,
So waͤre mit dem Sprung grad' alles abgethan.
59.
Du ſiehſt, daß leicht wie Nichts dem einen von der Hand
Geht etwas, das gar ſchwer dir geht in den Verſtand.
Dagegen weißt du flink mit etwas umzuſpringen,
Wovon dem andern faſt will kein Begriff gelingen.
Entweder wenn du nun das Deine ſchaͤtzeſt hoch,
So ſchaͤtze nicht gering auch das des andern doch.
Und wenn du dieſes willſt anſchlagen ſo gering,
So halte deines auch fuͤr kein ſo großes Ding.
60.
Wenn es dir nicht bequem, behaglich iſt und gut,
In unbemerktem Fall rinnt deines Daſeyns Flut;
So ſcheueſt du dich wol das Kleinſte zu verruͤcken
An des Gewohnten auch bedeutungloſen Stuͤcken,
Aus Furcht, zu ruͤhren an verborgnen Talisman,
Durch deß Zertruͤmmerung dein Gluͤck zertruͤmmern kann.
61.
Nie ſuch' ich in der Nacht den Schlummer auf den Pfuͤhlen,
Ohn' erſt mein liebſtes Kind mit Haͤnden anzufuͤhlen.
Und wenn ich ihm befuͤhlt die Hand und das Geſicht
Im Dunkeln, iſts genug, zu ſehen brauch' ichs nicht.
Zwar weiß ich wohl, nicht wird ihm die Beruͤhrung nuͤtzen,
Wenn beſſre Maͤchte nicht die Nacht-durch es beſchuͤtzen.
Doch bildet' ich mir ein, haͤtt' ich es je verſaͤumt,
Ich haͤtte boͤſer Macht den Spielraum eingeraͤumt.
Und haͤtt' es deshalb auch nicht minder wohl geruht,
Geſchlafen haͤtt' ich ſelbſt darum doch minder gut.
62.
Was ſagſt du mir? du willſt mir ſagen wol von dort,
Wohin du mir voran gegangen biſt, ein Wort?
Du ſtehſt, o Schweſtergeiſt, mit ſprechenden Geberden
Vor meinen Augen, wie du wandelteſt auf Erden.
Die Mienen mir bekannt, die Toͤne mir vertraut,
Nur leiſer fuͤr den Sinn, dem Ohre minder laut;
Doch deutlich mir, daß du, mit deinem Looß zufrieden,
Nicht von der Theilnahm' auch an meinem biſt geſchieden.
Theilnehmen laͤſſeſt du an deinem Gluͤck mich auch,
Hinſchwebend, wie du hergeſchwebt, ein Friedenshauch.
63.
Wenn du zum Ziele mich den rechten Weg willſt leiten,
Zu langſam ſollſt du nicht, noch auch zu ſchnell mir ſchreiten.
Der Unterhaltung ſei nicht unterwegs zuviel,
Damit wir nicht den Weg vergeſſen und das Ziel.
Kurz mache mir den Weg, und leicht und unbeſchwerlich,
Nicht ſchwerer, um dich ſelbſt zu machen unentbehrlich.
Denn Fuͤhrer ſollſt du mir nicht immer wieder ſeyn,
Ablernen will ich dir den Weg zu gehn allein.
64.
Zur Freundſchaft iſts genug, des Freundes Freund zu ſeyn;
Den Freund des Freundes ſchließt der Bund darum nicht ein.
Daß du an dieſer mich, ihn haͤltſt an jener Hand,
Knuͤpft zwiſchen mir und ihm unmittelbar kein Band.
Doch deines Feindes Freund zu heißen, muß ich laſſen,
Weil man nicht lieben kann, was man den Freund ſieht haſſen.
65.
Die Blaͤtter, die ſo feſt juͤngſt ſaßen an den Stielen,
Ich dachte daß ſie nicht vor einem Monat fielen.
Friſch, hofft' ich, ſollten ſie tief in den Winter dauern;
Auf einmal rieſeln ſie herab in bangen Schauern.
Kein Sturm hat ſie geknickt, kein Froſt hat ſie verletzt;
Was hat ſich in der Luft, im Baumſaft was zerſetzt?
Wodurch verkommen ſind ſie ſo auf einmal nur?
Sie ſtarben, Greiſen gleich, am Nachlaß der Natur.
66.
So wenig achteſt du der Welt und ihres Guts,
Daß, was du nicht bedarfſt, du hingibſt frohes Muths.
Du mußt nur deinen Sinn den Weltlichen verhehlen,
Sonſt werden ſie auch das, was du bedarfſt, dir ſtehlen.
67.
Wer immer kommt zur Welt, verbraucht von ihr ein Stuͤck,
Und doch wird ſie davon nie minder, welch ein Gluͤck.
Warum wird ſie davon nie minder? weil, wer auch
Sie mag verbrauchen, ihr dient wieder zum Verbrauch.
68.
Ein Geiziger, der mit Begier ſein Gold beſchaut,
Und am verborgnen Schatz mit Andacht ſich erbaut;
Der außerm Anblick nichts von ſeinem Gut genießt,
Und nur den Kaſten auf und zu den Kaſten ſchließt;
Iſt doch vernuͤnftiger als manch vernuͤnft'ger Mann,
Der einen edlern Schatz als goldenen gewann,
Der ein lebendig Gut beſitzt von Fleiſch und Blut,
Mit deſſen Anblick er ſich nichts zu Gute thut.
Was, Vater, hilft es dir, daß Gott dir Kinder gab,
Wenn ihnen du den Blick gleichguͤltig wendeſt ab?
Wenn du aus reiner Luſt nach ihnen ſchaueſt ſelten,
Und faſt nur, wann du willſt befehlen oder ſchelten!
69.
Mir kam ein Freund, den ich nicht ſah in langen Jahren,
Der hatte nichts von mir, ich nichts von ihm erfahren.
Nun gieng er ohne daß er viel von mir erfuhr,
Weil er von ſich allein mich ließ erfahren nur.
Es war ihm offenbar viel minder um mein Leben
Zu thun, als Kunde mir vom ſeinigen zu geben.
So hat er denn von mir in Wahrheit nichts bekommen;
Ich habe, was von ihm zu brauchen war, genommen.
70.
Gar manches, was gewis du nennſt, iſt ungewis;
Die Sprache ſelber, die du redeſt, ſagt mir dis.
Wenn ich will wiſſen: wer? und du's nicht ſagen willſt;
Was iſt das Wort, womit du meine Neugier ſtillſt?
Dis: Ein gewiſſer iſt's. Weiß ich es nun gewiſſer?
Nein! Dein Gewiſſer iſt fuͤr mich ein Ungewiſſer.
Du gibſt dir nur den Schein, indem du Ungewiſſes
Mir kund thuſt, daß du kund auch koͤnnteſt thun Gewiſſes.
71.
Aus Eigennutz entſpringt die Dankbarkeit der Meiſten,
Fuͤr einen Dienſt, den wir geleiſtet oder leiſten.
Doch iſt die Dankbarkeit auch ſo der ſchoͤnſte Lohn,
Den ſelbſt man ſoll mit Dank annehmen, nicht mit Hohn.
Sei dankbar, daß den Dank der Eigennutz dir bringt,
Daß aus ſo ſchlechtem Grund ſo edler Trieb entſpringt.
72.
Soll unſre Jugend nicht durchaus den Teufel miſſen,
So laßt ſie wenigſtens von ihm was Rechtes wiſſen.
Sie lernt, der Teufel geh' umher als wie ein Leu,
Der bruͤll' und ſuche wen er einſchling' ohne Scheu.
Der Teufel aber geht nicht mehr auf Mord und Rauben
So loͤwenhaft einher mit Bruͤllen und mit Schnauben.
Er ſchleicht noch um vielleicht mit Argliſt wie ein Fuchs,
Und lauert ungeſehn mit Scharfſicht wie ein Luchs.
Wie aber ſoll vor ihm das junge Volk ſich huͤten,
Das ihn erkennen ſoll am Bruͤllen und am Wuͤten?
73.
Ich nahm ein froſtig Buch und legt' es auf die Flammen:
Auch dir im Tode ſoll noch Lebensglut entſtammen.
Die Blaͤtter kruͤmmten ſich, vom Finger angeruͤhrt
So heißer Hand, wie ſie nicht leicht ein Leſer fuͤhrt.
Umſchlug die Flamme voll Begierde Blatt fuͤr Blatt,
Und las an meiner Statt daran ſich ſatt und matt.
Dann meditirend iſt ſie druͤber eingeſunken,
Und ſo verloſchen ſchnell bis auf den letzten Funken.
Das Buch hat ihr gedient zu kurzer Unterhaltung,
Und ſeiner Art gemaͤß geendet mit Erkaltung.
74.
Zu leſen lieb' ich nicht, was aneinander haͤngt
So daß ein jeder Schritt zum andern vorwerts draͤngt;
Wo, wenn ich aus der Bahn hab' einen Schritt gethan,
Ich ſie verlor, und muß von vorne fangen an.
Zu leſen lieb' ich das, wo ich auf jedem Schritte
Zugleich am Anfang bin, am End' und in der Mitte;
Wo ſtillzuſtehen, fortzufahren, abzubrechen
In meiner Willkuͤr ſteht, und mit darein zu ſprechen.
Den Dichter lieb' ich, der fuͤr mich verſteht zu pflanzen
Ein Ganzes, das beſteht aus tauſend kleinen Ganzen.
75.
Wanns an zu daͤmmern faͤngt, ſo iſt der Tag nicht ferne;
Des troͤſt' ich mich, wann ich was ſchwerbegriffnes lerne.
Nur eines iſt, woran mein Unmuth oft erlag:
Daß nach der Daͤmmerung kommt ein ſo grauer Tag.
76.
Gar viel belohnt die Muͤh nicht, es gelernt zu haben,
Wenn wir zur eignen Luſt uns nicht die Muͤhe gaben.
Oft lohnet nicht das Ziel des Wegs Zuruͤckelegung,
Doch der Spaziergang dient zu unſerer Bewegung.
77.
Wer noch nichts rechtes iſt, kann noch was rechtes werden;
Doch ein verkehrter wird ſich niemals recht geberden.
Du bildeſt Falſches dir auf falſche Bildung ein;
Nie, o Verbildeter, wirſt du gebildet ſein.
78.
Stets ſah ich einen Mann, nicht wußt' ich wie er hieß;
Was ich erfragen wollt', und immer unterließ.
Auch einen Namen hoͤrt' ich nennen oft genug,
Und konnte nie den Mann erblicken, der ihn trug.
Neugierig war ich doch, wie ausſeh der Genannte,
Neugierig, wie genannt ſei der vom Sehn Bekannte.
Nun find' ich, jener Nam' iſt eben dieſer Mann,
Und alle beide gehn mich weiter nichts mehr an.
79.
Du gibſt dir viele Muͤh, Unarten abzuthun,
Doch ſchon zu deiner Art geworden ſind ſie nun.
Die Art nun, ſolcher Art Unarten abzulegen,
Erſcheint als Unart ſelbſt, drum laß ſie unterwegen.
Geartet biſt du ſo, daß du unartig ſcheinſt,
Grad wenn der Unart du dich zu enthalten meinſt.
Geartet biſt du ſo, daß artig du erſcheineſt
Nur durch Unarten, die ſo artig du vereineſt.
80.
Nicht jeden boͤſen Geiſt treibt guter Ruch vondannen,
Wol manchen lockt herbei der Dampf geweihter Pfannen.
Oft weicht ihr Uebelduft nur uͤbelduft'gen Pflanzen,
Alswie vor Rauchtabak nicht halten Stand die Wanzen.
81.
Du ſcheuchteſt den hinweg, der dir war unbequem;
Und nun er wegbleibt, iſt dirs doch unangenehm.
Mit Vielem geht es ſo, das einen druͤckt und quaͤlt;
Man fuͤhlt erſt, daß mans braucht zum Leben, wann es fehlt.
82.
Dem, was ich fuͤrchte, wag' ich Namen nicht zu geben,
Aus Furcht, daß erſt dadurch es treten moͤcht' ins Leben.
Ich wage, was ich hoff', auch nicht beſtimmt zu nennen,
Aus Furcht, es moͤcht' ein Hauch das luft'ge Bildnis trennen.
Es ſei, ſo was ich hoff', als was ich fuͤrchte, ſtill
Dahin geſtellt, wie Gott es ſenden, wenden will.
83.
Rings um mich her im Haus ein ſtillgeſchaͤftig Regen
Iſt meinen ſinnenden Gedanken nicht entgegen.
Behaglich fuͤhlt ſich drin der kleine Schoͤpfer Geiſt,
Dem großen gleich, um den der Schoͤpfung Einklang kreiſt.
Doch ein Geſchrei zerreißt den leichten Schoͤpferwahn,
Und um die Harmonie der Sfaͤren iſts gethan.
84.
Es hat Natur dem Mann dazu das Weib beſchieden,
Damit der Geiſt geſtellt ſei durch den Leib zufrieden.
Der Geiſt, wenn er den Zoll der Sinnenwelt gegeben,
In ſeine Reiche ſoll er ungehindert ſchweben.
Wenn Er im Innern nun des Lebens Fruͤchte zeitigt,
Hat Sie die Stoͤrungen von außen ihm beſeitigt.
Und was er ſo vollbringt, das hat ſie mitvollbracht,
Weil ſie fuͤr ihn gelebt, weil er fuͤr ſie gedacht.
Fragt ihr, in welcher Schul' ich, was ich lehre, lernte?
Mein Liebesfruͤhling traͤgt nun ſeine Weisheitsernte.
Rückert Lehrgedicht. I. 9
85.
Um Eines iſt das Thier vom Menſchen zu beneiden,
Daß es nicht ſorgen darf, wie es ſich ſolle kleiden.
Im Winter waͤchſt ſein Pelz, im Sommer haͤr't er ſich,
Der Jahrzeit ſtets gemaͤß und jedem Himmelſtrich.
Das Kleid veraltet nie und kommt nicht aus der Mode,
Mit der Geburt wird's angelegt und ab im Tode.
Kein Wechſel iſt erlaubt mit Purpur, Gold und Seide;
Und der Verſchwendung bleibt kein Anlaß noch dem Neide.
Vom Thiere gilts allein: das Kleid macht nicht den Mann;
Weil keins vorm andern ſich durchs Kleid auszeichnen kann.
86.
Stets klarer wird es mir, und endlich wird es klar,
Daß ich nichts andres ward, als was ich anfangs war.
Ein Pflanzenkeim, der erſt ſich in zwei Laͤppchen ſpaltet,
Dann Stengel wird und Blatt, und ſich als Blum' entfaltet.
Die Blume, die mit Licht ſchaut in ſich ſelbſt hinein,
Erkennt die Pflanz' in ſich, das wird ihr Saame ſeyn.
87.
Wir leben nur zum Schein in Einer Welt zuſammen,
In die zuſammen gar verſchiedne Welten ſchwammen.
So, aͤußerlich vereint, und innerlich getrennt,
Schwimmt jeder eigne Geiſt im eignen Element.
9*
88.
Ich weiß vier Wiſſende, ein fuͤnfter geht mit drein;
Die viere wiſſen nichts, der fuͤnfte weiß allein.
Der eine weiß zum Ruhm, der andre zum Genuß,
Der dritte zum Erwerb, der vierte zum Verdruß.
Der fuͤnfte weiß nicht, was, woher, wozu ers weiß,
Stralt Waͤrm' aus wie die Sonn', und wird ihm ſelbſt nicht heiß.
89.
Sie haben mich gelobt, und mich dadurch beſchaͤmt;
Getadelt haben ſie, und meinen Muth gelaͤhmt.
Entweder haben ſie mir Lob und Tadel ſchlecht
Gegeben, oder ich genommen es nicht recht.
Ein ſtaͤrkendes Gefuͤhl ſoll Lob und Tadel geben,
Daß etwas iſt erreicht, und mehr noch anzuſtreben.
90.
Ihr duͤrft unanerkannt mich laſſen und vergeſſen;
Doch wenn ihr an mich denkt, ſo ſei es angemeſſen.
Daß ihr mich ehren ſollt, hab' ich ja nicht begehrt;
Wenn ihr mich ehren wollt, ſo ſei es ehrenwerth.
91.
Ich weiß nicht, was geſchehn iſt in der Welt derweile?
Gewiß viel Wichtiges in dem und jenem Theile.
Allein es hat mein Ohr, mein Auge nicht beruͤhrt,
Und keine Ahnung auch hab' ich davon geſpuͤrt.
Und gleichwol iſt es da, nur ohne daß ichs weiß,
Und macht, auch unbemerkt, ſchon kalt mir oder heiß;
Weil nichts den großen Leib der Menſchheit kann beruͤhren,
Davon nicht Mitgefuͤhl die Glieder muͤßten ſpuͤren.
Und koͤnnt' ich klar nur in des Herzen Spiegel ſehn,
So faͤnd' ich ſchon darin, was in der Welt geſchehn.
Nun muß ich warten, bis zuletzt Geruͤcht und Zeitung
Zu mir gelangt mit des Geſchehenen Verbreitung;
Daß mich mitfreue, mitbetruͤbe, was betraf
Von Wohl und Weh die Welt, derweil ich lag im Schlaf.
92.
Dem Federſchneider.
Dich nehm' ich heute nicht zum Tiſchgenoſſen an,
Wenn du nicht deiner Pflicht erſt haſt genuggethan.
Der wicht'gen großen Pflicht, die Federn mir zu ſchneiden,
Womit ich ewige Gedanken will bekleiden.
Denn das iſt dein Beruf, die Pfeile mir zu ſchnitzen,
Und ich verſchieße ſie mit oder ohne Spitzen.
Was, fragt ein Leſer, der nach Verſen Hunger litt,
Schreibt Ruͤckert nichts? weil Kopp ihm keine Federn ſchnitt
IV.
1.
Wo ſchroff ein Vorgebirg ins Meer die Stirne ſchiebt,
Und am gehoͤlten Fuß in Schaum die Brandung ſtiebt,
Hat ſeine Siedelei ein frommer Mann gebaut,
Wo ſeinen Horſt zu baun der Adler nicht getraut.
Vom kahlen Baume, den der Fels mit Zittern traͤgt,
Sieht er dem Abgrund zu, der Todeswogen ſchlaͤgt.
So oft er auf der Flut gewahrt ein ſchwankes Bret
Mit Menſchenleben, hebt die Haͤnd' er zum Gebet.
Und ehr nicht im Gebet laͤßt er die Haͤnde ſinken,
Bis fern das Schiff entflohn den Zacken und den Zinken.
Selbſt hat er einſt erprobt, das nun um andre tobt,
Das Meer des Sturms, da hat er dis Geluͤbd gelobt.
Nicht ſchirmen kann er euch, noch warnen vor den Riffen,
Doch beten, daß ſie Gott euch gnaͤdig laſſ' umſchiffen.
2.
Ich kam auf meiner Reiſ' im Karawanenpfade
Unſern dem Kaukaſus an's kaſpiſche Geſtade;
Und lernt' auf Baku's Flur begreifen, wie die Guebern
Dort machte die Natur zu Feuerdienſt-Urhebern.
Halb eine Meile von der Stadt iſt eine Stelle,
Im naftareichen Land die reichſte Nafta-Quelle.
Dort iſt ein weiter Kreis, in deſſen Mitt' ich ſah
In ew'gen Flammen bluͤh'n das heil'ge Ateſchgah.
Und von den Parſen legt' ein Fuͤhrer mir es aus,
Daß Ateſchgah bedeut' auf Perſiſch Feuerhaus.
Die heil'ge Flamm' entbluͤht der Erde gelb und blau,
Am Tag ein ſchoͤner Glanz, Nachts eine Wunderſchau.
Ein Volk von Guebern hat im Kreis um dieſe Flammen
Sich angebaut und wohnt in ſtillem Fleiß beiſammen.
Den Feuerehrern hat das Feuer zur Belohnung
Gegeben ohne Muͤh' die ſchoͤnſte Winterwohnung.
Aus Steinen leicht gefuͤgt, ein Haus mit Dach und Wand
Steht jedem nach der Wahl, wo einen Platz er fand.
Sie duͤrfen ſich bei'm Bau'n nicht um den Bauplatz ſtreiten,
Der Kranz der Haͤuſer waͤchſt mit Luſt nach allen Seiten.
Denn uͤberall durchzieht die heil'ge Gluth die Erde,
Und machet jedes Haus von ſelbſt zum Feuerherde.
Den untern Boden deckt von Lehm die feſte Tenne,
Daß den Bewohner ſie von ſeiner Gottheit trenne.
Doch Oeffnungen ſind da gelaſſen, wo erbeten
Des Elementes Kraft ſoll aus dem Boden treten.
Du ſteckeſt in die Spalt' ein lehmumgeb'nes Rohr,
Und leiteſt wie du willſt den Feuergeiſt empor.
Und uͤberall im Haus, wohin das Rohr du muͤndeſt,
Da leuchtet es, ſobald du an den Dunſtſtrom zuͤndeſt.
Es iſt ein ſchoͤnes Licht und brauchſt es nicht zu putzen,
Ohn' Aufwand kannſt du es im Haus beliebig nutzen.
Leinweber ſah ich ſo die ganze Nacht durch weben,
Nach Luſt mit ſchwebenden Rohrleuchten rings umgeben.
Wer aber Kaffe will und wer will Speiſe kochen,
Aus andrer Oeffnung kommt ein andrer Strom gebrochen.
Ein Feuerſtrom, der, ohn' Holz oder Kohlenfeuer,
So gut als beides brennt, und lange nicht ſo theuer.
Das Feuer ſchuͤrt ſich ſelbſt, und brennt, ſo lang du's willſt,
Und ſtill vergeht's, wenn du mit einem Wink es ſtillſt.
Aus kleinſter Oeffnung bricht's mit groͤſter Kraft hervor,
Und waͤchſt, vom Zwang befreit, zur hoͤchſten Hoͤh' empor.
Aus einer Muͤndung von zwei Zollen ſah' ich's ſteigen
Drei Fuß zuerſt, und ſich zuletzt zu zwei Fuß neigen.
Und braucheſt du's nicht mehr, ſo brauchet nur zu faͤcheln
Ein Faͤcher, und ſogleich verſchwindet es mit Laͤcheln.
In's unterird'ſche Haus kehrt es zuruͤck, ſein Thor
Verſchließeſt du, und ſtill nun wohnt es wie zuvor.
Nur an der Waͤrme magſt du dann ſein Walten ſpuͤren;
Sie wohnen Winterlang daſelbſt bei offnen Thuͤren.
Das iſt vom Feuergeiſt die eine der Geſtalten;
In einer zweiten iſt noch glaͤnzender ſein Walten.
Wie er im Hauſe ruht als brennbar Element,
So ſchweift er durch die Flur als Feuer, das nicht brennt.
Oft im September, wann des Herbſtes warmer Regen
Die Abendluft erfriſcht, dann iſt der Geiſt zugegen.
Dann ſiehſt du weit und breit, ſoweit die Blicke gehn,
Die Felder wie ein Meer in Flammenwogen ſtehn.
Oft rollt der Feuerſtrom in ungeheuren Maſſen
Vom Berg herab in's Thal, das ihn nicht ſcheint zu faſſen.
Dann im Oktober, wann der Mond erhellt die Nacht,
Das ganze Weſtgebirg von blauem Feuer lacht.
Doch wann die Nacht iſt truͤb, irrt wimmelndes Gefunkel
Buntflammig uͤber's Feld, und das Gebirg iſt dunkel.
Von ſolchem Feuer ſah ich ſelber uͤberhuͤllt
Das ganze Lager Nachts der Karawan' erfuͤllt;
Daß wilder Schreck ergriff Mauleſel und Kamele
Und ſelber leiſe Furcht die doch bewußte Seele.
Wir wußten, daß ein Schein es waͤre, doch es drang
Der Schein als Wirklichkeit ſich auf, und macht' uns bang.
Wir ſahen, daß die Glut kein trocknes Haͤlmchen ſehrte,
Und am bethauten ſelbſt den Tropfen Thau nicht zehrte.
Die Flammen ſchienen nur zu ſchweben auf den Spitzen,
Wo Bluͤten ſaßen ſonſt, und wieder ſollten ſitzen;
Alsob dis Flammenſpiel des Herbſtes, beiderlei,
Ein Sommernachſpiel und ein Fruͤhlingsvorſpiel ſei.
Wir ſchritten durch die Glut, die rings empor ſich bauſchte,
Um uns wie Ueberſchwang von goldnen Aehren rauſchte.
Selbſt mitten in der Glut war Waͤrme nicht zu ſpuͤren;
So linde Feuer kann die Gottes Allmacht ſchuͤren.
Nicht Waͤrme fuͤhlten wir, doch eine milde Glut,
Bewunderung der Macht, die lichte Wunder thut.
Das war vom Feuergeiſt die zweite der Geſtalten,
Am ſchoͤnſten aber ſoll die dritte ſich entfalten:
Wann uͤber'm Boden ſelbſt nicht eine Flamme bleibt,
Sich jede drunten birgt, und im Verborgnen treibt;
Im Fruͤhling brechen dann vom Boden in zahlloſen
Verwandlungen hervor die Flammen ſelbſt als Roſen.
Die Gegend heißt davon das Roſenparadies;
Und jeder, wer ſie ſah, ſagt, daß ſie recht ſo hieß.
Und jeder, wer ſie ſah, muß preiſend anerkennen,
Wie hell zu Gottes Preis die Roſenfeuer brennen;
Gelbblaues Nafta ſich in Wangenroth verklaͤrt,
Und Schwefelbrodem ſelbſt nun Roſenodem naͤhrt.
Die Roſe bracht' ich mit von dort, ſie iſt verbluͤht,
Doch die verglomm'ne ſchuͤrt noch Andacht im Gemuͤth.
3.
In einem Garten ſind drei ungebetne Gaͤſte;
Die Aepfel freſſen ſie und brechen noch die Aeſte.
Der Gaͤrtner wehrlos iſt gewachſen nicht den drein,
Doch klug beſinnt er ſich die Eintracht zu entzwein.
Mit Neigen naht er ſich und gruͤßt: ich wuͤßte gern,
Wer ſind, die des Beſuchs mich wuͤrdigen, die Herrn?
Ich bin ein Mann vom Schwert. Ich bin des Rechts gelehrt.
Ich, ſprach der dritte, bin ein Kaufmann ehrenwerth.
„Ein Schurke biſt du wol, die beiden Herrn in Ehren,
Die mir die Ehre thun im Garten einzukehren.
Der eine mit dem Schwert, der andre mit der Feder,
Beſchuͤtzen Eigenthum und Recht, gleichtapfer jeder.
Wenn ſie fuͤr ihren Schutz von meinen Aepfeln ſpeiſen,
So wollen ſie mir ganz beſondre Gunſt erweiſen.
Du aber, haſt du hier gehandelt und gekauft?
Bezahlt zum mindſten nicht; nun zahlſt du mir's gehauft.“
Der Gaͤrtner ruͤſtig faßt den Kraͤmer an im Nu,
Und wirft zu Boden ihn, die beiden ſehen zu.
Sie ſehn unſchluͤſſig zu, wie er ihn tuͤchtig preßt,
In Weidenſtricken ihn geknebelt liegen laͤßt.
Und als er ausgeſchnauft, wandt' er ſich zu den beiden:
„Nun laßt uns ferner Recht und Unrecht unterſcheiden.
Der edle Kriegsmann iſt gewohnt an Kriegesbeute;
Es freut mich, wenn er heut ſich meiner Fruͤchte freute.
Du aber, welchen Anſpruch haſt du oder Titel?
Schwebt hier ein Rechtſtreit ob, daß du dich ſchlaͤgſt ins Mittel,
Und nimmſt in Voraus dir die Sporteln und Gebuͤhren?
Laß ſehn, ob ich nicht ſelbſt kann meinen Rechtſtreit fuͤhren!“ —
Er packt ihn wacker an, dem zweiten iſt gethan
Alswie dem erſten, und der dritte ſiehts mit an.
Dann kehrt er ausgeſchnauft zum dritten ſich zuletzt:
„Meinſt du, ein Raͤuber ſei dem Krieger gleich geſetzt?
Wenn du ein Krieger biſt, iſt hier denn Feindesland?
Nun, wenn du dieſes meinſt, ſo fuͤhl' auch Feindeshand!“ —
Er greift ihn tapfer an, und thut ihm wie den beiden;
Die Nachbarn ruft er dann, den Handel zu entſcheiden.
Und als die Schaͤdiger den abgeſchaͤtzten Schaden
Geguͤtet, laͤßt er ſie aus ihrer Haft in Gnaden. —
Du fragſt vielleicht, warum, wenn auch der Rechtsgelehrte
Sich ſchlecht gewehrt, ſich nicht der Kriegsmann beſſer wehrte?
Ihm laͤhmte Schwert und Hand das Unrecht wol allein,
Das man zu fuͤhlen muß kein Rechtsgelehrter ſeyn.
4.
Die groͤſten Fuͤrſten all, die auf des Ruhmes Bahnen
Bei Hindu's wandelten und bei den Muſelmanen,
Sie hatten einen Brauch, mit abgelegten Zeichen
Des Standes unter'm Volk vermummt umherzuſchleichen,
Um zu erfahren, was ſie ſonſt nicht leicht erfuhren,
Was man von ihnen denk' in Huͤtten und auf Fluren.
Doch hielten ſie dabei ſtreng ein Geſetz, den Leuten
Nie das Verborgene verborgen anzudeuten,
Noch minder, in des Zorns und Ungeſtuͤms Entwallen,
Der Roll', in der ſie aufgetreten, zu entfallen;
Still, was Erſprießliches ſie hoͤrten, zu ermeſſen,
Und was Verdrießliches, als Fuͤrſten zu vergeſſen.
5.
Mein Prinz! die Schmeichler ſind gefaͤhrlicher als Raben,
Die pflegen Todten nur die Augen auszugraben,
Indeß der Schmeichler ſie dem Lebenden entwendet,
Und den ſcharfſichtigſten mit falſchen Kuͤnſten blendet.
Wer in der Jugend ſo hat das Geſicht verloren,
Erlangts nie mehr, und bleibt als ſei er blind geboren.
6.
Zum Koͤnig ſendet ein Erobrer die Geſandten,
Die fordern zum Tribut ihn auf als Schutzverwandten.
Da wollt' er ſeine Pracht recht ihnen laſſen ſcheinen,
Und zeigte ſich geſchmuͤckt mit Perl' und Edelſteinen.
Entlaſſen wollt' er ſie von ſeinem Glanz geblendet:
Traͤgt ſolchen Schmuck der Mann, der euch verwegen ſendet?
Sie ſprachen: Solchen nicht, doch andern, auch wohl theuer;
Die Augen ſpruͤhen ihm, wie Edelſteine, Feuer;
Und wenn am Tag der Schlacht ihm wird die Stirne heiß,
Umdiademet ihn mit Perlentropfen Schweiß.
Wer ſolchen Schmuck traͤgt, ihm faͤllt leicht der andre zu,
Abfallend einem, der zur Schau ihn traͤgt wie du.
7.
Der edle Koͤnig kam an ſeinem Siegestag
Zur praͤcht'gen Gruft, in der ſein Widerſacher lag.
Da ſprachen ſie: Es iſt nach unſres Koͤnigs Siege
Nicht Recht, daß ſo geehrt ſein aͤrgſter Todfeind liege.
Ausgraben ſoll man ihn und nebenaus ihn legen.
Der Koͤnig aber ſprach: Es ſoll ihn Niemand regen.
Im Todfeind gegen uns war Tod und Feind verbunden;
Nun hat der Tod den Feind, den Tod der Feind gefunden.
Laßt ihn nur liegen ſo! Was koͤnnt' ich beſſers haben,
Als laͤge jeder Feind ſo praͤchtig mir begraben!
8.
Das Volk iſt gluͤcklich, des Mannsalter iſt durchdrungen
Von unveraltenden Jugenderinnerungen;
Das, immer werdend, nie Gewordenes verliert,
Und ſich aus eignem Grund ſtets hoͤher umgebiert.
Sowie der Einzelne ſich auch nur kann verjuͤngen,
Wenn ſein Bewußtſeyn ruht auf ſeinen Selbſturſpruͤngen;
Wenn er die Ordnung fuͤhlt, in der durch jede Wendung
Der Stufen ſich ſein Gang geſteigert zur Vollendung;
Fuͤhlt, daß zur Ordnung ſelbſt gehoͤrten Stoͤrungen,
Und die Beſonnenheit wuchs aus Bethoͤrungen.
Wie ſich viel Knoten- durch ein Rohr zur Reife draͤngt,
Ein Strom ſein Bette durch beſchaͤumte Felſen ſprengt.
Zum Himmelſpiegel iſt zuletzt der Strom geworden,
Und wuͤrz'gen Markes voll das Rohr an ſeinen Borden.
9.
Den heil'gen Weda wenn du lieſeſt in der Nacht
Beim Schein der Lampe, ſei der Lampe Schein bewacht,
Daß er nicht duͤſter brenn' und daß er irr nicht flirre,
Daß dir's nicht dunkel ſei, und daß dein Sinn nicht irre.
Auch ſei nach außen hin ein Schirm geſtellt vors Licht,
Damit kein Luͤftezug es ſtoͤr' im Gleichgewicht,
Auch naͤcht'ge Fliegen nicht und naͤcht'ge Schmetterlinge,
Verlockt von deinem Licht, verſengen ihre Schwinge.
Denn weil du denkeſt den, der Leben hat gegeben
Den Weſen allen, ſoll verlieren keins das Leben;
Und nie gereichen ſoll geweihter Flamme Schuͤrung
Zu Ungeweihter Tod, zu Schwacher Irrefuͤhrung.
10.
Den heil'gen Weda willſt du leſen mit Erſprießen?
So jeder Stoͤrung mußt den Zugang du verſchließen:
An einem reinen Ort ſollſt du den Sitz aufſchlagen,
Wo fromme Blumen bluͤhn und ſtille Baͤume ragen;
Wo klare Waſſer gehn, doch die nicht wallend brauſen,
Wo friſche Luͤfte wehn, doch die nicht ſtuͤrmend ſauſen.
Kein greller Vogelſchall, kein thieriſches Geſtoͤhne,
Kein lauter Widerhall, kein menſchliches Getoͤne;
Solang du leſeſt, ſei die Luft im Gleichgewicht;
Hoͤr' auf zu leſen gleich, ſobald der Donner ſpricht,
Sobald der Regen rauſcht, ſobald der Sturm ſich regt,
Sobald das Licht, bei dem du wachſt, der Wind bewegt.
Nur wo des Flaͤmmchens unbewegte Spitze brennt,
Da iſt der Andacht, der Vertiefung Element.
Rückert, Lehrgedicht. I. 10
Vom feuchten Dochte kehrt der Lichtblick ſich nach oben;
So fuͤhlt ſich das Gemuͤth dem Irdiſchen enthoben.
Doch wo Natur fuͤrs Ohr laut Gottes Lob anſtimmt,
Da ſchweigt der Geiſt der Schrift, den nur der Geiſt vernimmt.
11.
Im heil'gen Weda hat ſein Wort Gott offenbart;
Doch ſein Verſtaͤndnis nun, wo iſt es aufbewahrt?
Im Weda ſelber, der, in ſich verſtaͤndlich klar,
Zureichend ſich aus ſich erklaͤret immerdar.
Wol ſo von Urſprung klar iſt Gottes Wort entfaltet,
Allein die Sprach', in der es ſpricht, iſt nun veraltet.
Du, um ſie zu verſtehn, mußt ſie erſt uͤbertragen;
Und ob den rechten Sinn du trafſt, wer kann dirs ſagen?
So ſcheint das heil'ge Wort zu rechten Sinns Erbeutung
Zu fordern fort und fort ein heil'ges Amt der Deutung.
Wer aber kann und darf nun fuͤhren dieſes Amt,
Daß irdiſch nicht entweiht ſei, was vom Himmel ſtammt?
Zu Richtern wirft ſich auf der Schriftgelehrten Zunft;
Doch wir empfehlen dir Schiedsrichterin Vernunft.
Und wer unfaͤhig mit Vernunft iſt zu vernehmen,
Mag unvernuͤnftiger Auslegung ſich bequemen.
12.
Die Welt iſt wirklich; nur ein Wirkliches allein
Bringt Wirkliches hervor, Gott muß drum wirklich ſeyn.
Die Welt iſt Leben; nur Lebendiges allein
Kann Leben wirken, drum muß Gott lebendig ſeyn.
Der Geiſt des Menſchen denkt; nur Denkendes allein
Kann Denken ſchaffen, Gott muß alſo denkend ſeyn.
Des Menſchen Wille will; nur Wollendes allein
Kann Willen wirken, Gott muß ſelber wollend ſeyn.
Darum im heiligen Sanskrit, wie dir bekannt,
Iſt er Swaiambhu, der Selbweſende, genannt;
Der Unbedingte, der ſein eignes Seyn bedingt,
Selbſt durch Hervorbringung der Welt hervor ſich bringt.
13.
Zu Gott gelangſt du nicht im Wachen noch im Traum;
Er iſt im Weltraum nicht, noch im Gedankenraum.
Du kannſt die Grenze nicht des Denkens uͤberſchreiten,
Doch ſtehend an der Grenz', hinuͤber ſehn vom weiten.
Und wie dein Auge ſieht, was du nicht kannſt ergreifen,
So kann dein hoͤhrer Sinn ins Undenkbare ſtreifen.
14.
Im Kampf iſt Welt und Ich, und nur in Gott iſt Frieden,
Weil Welt und Ich in Gott nicht weiter ſind geſchieden.
Den Acker friedigſt du von außen ein vorm Wild,
Doch unbefriedet bleibt im Innern dein Gefild.
Nicht durch Befriedigung befriedigſt du die Triebe;
Zufriedenheit gibt nur die Friedlichkeit der Liebe.
Ihr habet oft den Witz misbraucht zu Krieg und Hader;
Doch ſeht, es hat der Witz auch eine Friedensader.
15.
Der Fried' iſt ſprachverwandt wol mit der Freiheit auch;
Aus Blut des Freiheitkampfs erbluͤht des Friedens Strauch.
Die Freiheit macht dich frei, o Menſch, von der Natur,
Doch von der ew'gen nicht, von deiner eignen nur.
Gar mit der Freiheit nicht iſt die Natur in Streit,
Nur Du Entzweiter haſt die Himmliſchen entzweit.
Nur du Verſoͤhnter kannſt die Himmliſchen verſoͤhnen,
Wenn Freiheit und Natur du neu vermaͤhlſt im Schoͤnen.
16.
Erſt baut Natur den Leib, ein Haus mit Sinnenthoren,
Worin ein fremdes Kind, der Geiſt, dann wird geboren.
Er findet Hausgeraͤth und braucht es nach Gefallen,
Und wenn er dann das Haus verlaͤßt, wird es zerfallen.
Doch die Baumeiſterin baut immer Neues wieder,
Und lockt den Himmelsgaſt zur ird'ſchen Einkehr nieder.
17.
O Quelle, wenn du hier bewaͤſſert haſt den Garten,
Fließ nur dem naͤchſten zu, der durſtig auch wird warten.
Weil uͤbern Berg das Licht des Morgens uns gekommen,
Ruͤhmt ſich der ſtolze Berg, es ſei von ihm entglommen.
Die Sonn' auch prahle nicht, daß ſie die Welt erhelle;
Sie ſchoͤpfet auch ihr Licht nur aus verborgnem Quelle.
Der Lehrer, den du lernſt, war eines Lehrers Lerner;
Du biſt nur einen Grad vom erſten Lehrer ferner.
Nicht das gedeiht zumeiſt, was man gepflegt mit Fleiß;
Stets das Lebendigſte waͤchſt ohne daß mans weiß.
Drum wechſelt Tag und Nacht, weil bald Nachtthaubefeuchtung
Das Leben noͤthig hat, bald Morgenſonnerleuchtung.
Drum, weil er in der Nacht vergaß die alten Lieder,
Singt ſie mit neuer Luſt der Vogel taͤglich wieder.
Erinnrung daͤmmert mir, daß ich ſchon einſt ſo ſang,
Und immer neu Gefuͤhl liegt in dem alten Klang.
18.
Die Blumen bluͤhn ſo ſchoͤn noch wie vor tauſend Jahren,
Und wir ſind ſchlechter nicht als unſre Vaͤter waren.
Die Blumen bluͤhen jetzt nicht ſchoͤner als vor Jahren,
Und wir ſind weiſer nicht als unſre Vaͤter waren.
Denn wo nur Himmelſtrich und Jahrzeit es erlaubt,
Bluͤht Geiſt in Glanz getaucht, Gemuͤth von Duft beſtaubt.
19.
Solang es in dir ſtuͤrmt, ſo troͤſte dich: Du biſt
Auch eine Speich' am Rad, das ſtets im Wirbel iſt.
Und ward es ſtill in dir, ſo magſt du ſanftgeruͤhrt
Zuſchauer ſeyn des Spiels, das dir die Welt auffuͤhrt.
Wenn als Mitſpieler ſelbſt du Beifall nicht erhielteſt;
Du ſpielteſt nicht umſonſt, wenn dir zur Luſt du ſpielteſt.
20.
Schauſpielerin Natur tritt auf in allen Rollen
Vorm Geiſt, die taͤuſchen ihn und ihn ergetzen ſollen.
Und wenn ſie ſich erkannt in jeder Maſke ſieht,
Tritt ſie beſchaͤmt zuruͤck, und alle Taͤuſchung flieht.
21.
Der heil'ge Weda wird verglichen mit dem Euter
Der Kuh, verglichen wird der Melker mit dem Deuter.
Man melkt heraus ſoviel man braucht, und das iſt gut;
Doch zuviel Melken melkt ſtatt Milch am Ende Blut.
22.
Ein koͤniglicher Spruch von Sonnenſchein und Gnade
Iſt aufbewahrt: Die zwei beſtralen Erdenpfade.
Weich macht die Sonne Wachs, doch Lehmen hart und trocken;
Die Gnade beſſert den, die jenen macht verſtocken.
23.
Von einem Hoͤfling wird erzaͤhlt auf dieſem Blatte,
Daß kluͤger als er ſelbſt der Hund war, den er hatte.
Von dieſem immer ward, ſo oft er mußte kommen
Zum Dienſt ins Fuͤrſtenſchloß, das Huͤndlein mitgenommen.
Stets lief das Huͤndlein nach, bis daß einmal es zauſte
Im Schloß des Fuͤrſten Hund, davor ihm kuͤnftig grauſte.
Seit folgt' es ſeinem Herrn nicht weiter als zur Pforte,
Und wartete, bis er herauskam, an dem Orte.
Da ſprach der Hofmann ſelbſt: Mein Hund iſt viel geſcheiter,
Daß er zur Pforte geht des Schloſſes und nicht weiter,
Weil drin einmal gezauſt ihm wurden Fell und Glieder,
Da ich, ſo oft gezauſt, hineingeh' immer wieder.
24.
So ſprach der kluge Narr zu einer ſchoͤnen Frau,
Die im geſchmuͤckten Kleid am Fenſter ſtand zur Schau:
Wenn du fuͤr deinen Mann haſt angethan den Putz,
So geh vom Fenſter weg! wozu biſt du hier nutz?
Als daß wir von der Gaſſ' aufkehren unſre Blicke,
Uns ſtoßen an den Stein und brechen das Genicke!
25.
Es iſt ein kleiner Fuͤrſt im Land, den groß ich preiſe,
Den, weil er nicht will laut gelobt ſeyn, lob' ich leiſe.
Er hat die Fuͤrſtlichkeit erkannt in ihrem Weſen,
Und will den Titelprunk nicht hoͤren und nicht leſen.
Die Schranken hat er weggehoben zwiſchen ſich
Und ſeinem Volk, daß frei ihm nahn darf maͤnniglich.
Er will den Zugang nicht zu ſeinem Ohr vertheuert,
Und die Erlaubnis ihn zu bitten, unbeſteuert.
Er will beweiſen, daß ein Fuͤrſt noch mit Vertraun
Kann auf ſein Volk, ein Volk auf ſeinen Fuͤrſten ſchaun.
O moͤg' er den Beweis, der noth thut, glaͤnzend fuͤhren,
In dieſer Zeit, wo ſich des Mistrauns Feuer ſchuͤren.
Ihr groͤßern, ſchaut auf ihn, und nehmt von ihm ein Zeichen!
Wie muͤßt ihr wachſen noch, wenn ihr ihn wollt erreichen!
26.
Er hat in ſeinem Land das Gluͤckſpiel unterſagt,
Durch das noch Niemand hat ein ernſtlich Gluͤck erjagt.
Er weiſt das wankle Gluͤck von ſeinem Land zuruͤck,
Weil ſelbſt er ohne Wank will machen deſſen Gluͤck.
27.
O wie kurzſichtig iſt die Weisheit der Geſchichte,
Von der du glaubſt daß ſie gerecht die Todten richte.
Zu wandeln lieb' ich nicht in dieſem Pantheon,
Wo, wie hier außen, nur gereiht iſt Thron an Thron.
Alsob nichts Großes ſei, das nicht auf Thronen ſaͤße,
Sich innrer Menſchenwerth an aͤußerm Glanz nur maͤße.
Geh doch die Reihe durch der Einzigen, der Großen!
Wieviel ſind die man nicht vom Throne ſollte ſtoßen?
Daß Großes ſie gethan mit großer Macht und Kraft,
Macht das auf ewig ſie fuͤr Menſchen muſterhaft?
Wo iſt, wenn du auch das willſt ziehen in Betrachtung,
Ein Fuͤnkchen Menſchenlieb', ein Koͤrnchen Menſchenachtung?
28.
Ich liebe nicht, daß ihr des Himmels goldne Thronen
Mit Koͤnigsnamen auch beſetzt wie Erdenzonen.
Die Maͤcht'gen machen ſich auf Erden breit genug,
Den Himmel ihnen auch zu raͤumen iſt nicht klug.
Laßt dort nur ungeſtoͤrt Chimaͤren und Zentauern,
Unthier' und Ungeheur, einmal verewigt, dauern.
Und wenn ihr fuͤllen wollt noch leer gebliebne Strecken,
Schreibt deren Namen drein, die dort die Stern' entdecken;
Daß es der Erde ſei ein Zeichen jede Nacht,
Daß droben hoͤher gilt die Weisheit als die Macht.
29.
Sieh, wie unmaͤchtig ſind, die nun im Lande walten,
Die neuen Fuͤrſten, wenn man ſie vergleicht den alten.
Der Fuͤrſt trat ſtaunend an des Rieſenbaues Rand,
Wo er in alter Schrift geſchrieben dieſes fand:
„Ich baute, wer darf einzureißen ſich getraun,
Der thu's, weil leichter doch Einreißen iſt als Baun.“
Berechnen ließ der Fuͤrſt die Schreiber alle Poſten,
Was ihm der Rieſenbau moͤcht' einzureißen koſten.
Doch weil die Koſten weit die Einkuͤnft' uͤberſtiegen,
Ließ er die Truͤmmer ſtehn, bis ſie der Zeit erliegen.
30.
Die beiden Palmen, die dort alternd ſtehn beiſammen,
Sie danken nicht ihr Heil dem Grund aus dem ſie ſtammen;
Sie danken es dem Hauch des Himmels, Poeſie;
Sie ſtehn, weil einmal ſprach ein Dichter ſcheidend hie:
Ihr beiden Palmen, gebt mir euern Abſchiedsgruß,
Weil ich von allem, was mir lieb iſt, ſcheiden muß.
Nie raſtet das Geſchick, zu ſcheiden und zu trennen
Auf Erden alle, die ſich lieben und ſich kennen.
Ihr aber bleibet ungeſchieden mir, ihr beiden!
Doch wird das Ungluͤck auch einſt kommen, euch zu ſcheiden.
Der Dichter ſprachs, und gieng den ſchweren Abſchiedsgang,
Doch in den Luͤften hier blieb ſeines Liedes Klang.
Es gieng von Ohr zu Ohr das Lied, von Mund zu Munde,
Und nie droht' Axt und Beil dem heil'gen Palmenbunde.
Da kam der Koͤnig her auf ſeinem Siegeszug,
Die Palme ſtand im Weg dem Wagen, der ihn trug.
Des Beiles Schaͤrfe war ſchon angelegt dem Fuß;
Der Fuhrmann aber ſprach des Dichters Abſchiedsgruß:
Ihr Palmen bleibet ungeſchieden mir, ihr beiden!
Doch wird das Ungluͤck auch ſchon kommen euch zu ſcheiden.
Das war der beiden Heil; der Koͤnig rief: halt ein!
Ich will das Ungluͤck, das ſie ſcheiden ſoll, nicht ſeyn.
Dem Dichterworte mag zur Ehre ſich bequemen
Mein Siegeswagen wol, den Umweg hier zu nehmen.
Ihr aber ſteht, bis euch Sturm oder Alter bricht!
Das mag das Ungluͤck ſeyn, von dem der Dichter ſpricht.
31.
Hoch im Gebirge quillt aus einem Felſenſpalt
Von wunderbarer Kraft ein Waſſer ſuͤß und kalt.
Es quillt das ganze Jahr an einem Tag allein,
Und jeder wird geheilt, wer dann ſich ſtellet ein.
Mehr oder minder quillt das Waſſer nach der Zahl
Der Heilbeduͤrftigen, die da ſind jedesmal.
Stets minder Pilger ſinds, die das Gebirg erſtiegen;
Und wenn einſt keiner kommt, ſo wird der Quell verſiegen.
32.
Nordoͤſtlich im Gebirg liegt eine feſte Stadt,
Worin ein eignes Volk ſich angeſiedelt hat.
Die glauben, daß ein Heil zukuͤnftig ſei den Frommen,
Und hoffen jeden Tag, der Heiland werde kommen.
Beim erſten Morgenſtral beſteigen ſie das Roß,
In vollem Waffenſchmuck, und reiten aus dem Schloß.
Entgegen reiten ſie dem Kommenden mit Prangen,
Alsob ſie ſeines Nahns Eilboten ſchon empfangen,
Alsob auf heute ſei die Ankunft angeſagt.
Und wenn nun, ohne daß er kommt, die Sonne tagt,
So reiten ſie zuruͤck, mit Trauer in den Mienen,
Und Klag' im Mund: Er iſt heut wieder nicht erſchienen.
33.
Mit meinem Meiſter gieng ich pilgern uͤber Land,
Wir waͤhlten einen Baum zur Raſt im Mittagsbrand.
Ein wilder Tiger kam vom Wald daher im Lauf,
Beſinnungsloſe Furcht trieb mich den Baum hinauf.
Ich ſah von obenher, wie jener drunten ſaß,
Und ſeinen Grimm vor ihm das wilde Thier vergaß.
Es wedelte geſchmiegt alswie ein Huͤndlein zahm,
Und wandelte zuruͤck zum Wald, aus dem es kam.
Ich ſtieg beſchaͤmt herab, wir aber zogen weiter,
Ein Obdach ſuchten wir bei Nacht als muͤde Schreiter.
Da war's nach Mitternacht, als eine Muͤcke ſtach
Den Meiſter, daß er ſtoͤhnt', und ich verwundert ſprach:
Ein Tigerrachen ließ dich geſtern unverletzt,
Wie nun verwundet dich ein Muͤckenſtachel jetzt?
Er aber ſprach: Das Herz hat zwei verſchiedne Staͤnde;
O gluͤcklich, wenn es ſtets in einem ſich befaͤnde.
Am Tage geſtern war mein Herz im beſſern Stand,
Es ſtand in Gottes, nun ſteht es in meiner Hand.
34.
Den Meiſter ſah ich Nachts, von einer Kerze Schimmer
Hell angeleuchtet, gehn gedankentief durchs Zimmer.
Den Boden ſchien er mit der Sohle nicht zu ruͤhren,
Geſpraͤche leiſe, die ich nicht vernahm, zu fuͤhren.
Aufſchlug er dann den Blick, und als er ſtehn mich ſah,
Sprach er: Biſt du da? und ich ſagte: Meiſter, ja.
„Wie lange?“ Lange ſchon. Dann ſprach er weiter nichts:
Ich aber bat: O gib mir einen Stral des Lichts!
Er ſprach: Ich war bei Gott, er hat mich eingeladen:
Zu waͤhlen eine mir von ſeinen Wundergnaden;
Zu ſchweben in der Luft, zu wandeln auf dem Meer,
Zu ſehn unſichtbares, und ſolcher Gnaden mehr.
Ich aber waͤhlte mir von allem dieſen Nichts,
Und war zufrieden mit dem Glanz des Angeſichts.
Der Meiſter ſchwieg; ich ſprach: Warum nicht waͤhlteſt du,
Ihn zu erkennen ſelbſt? Da rief er laut mir zu:
Schweig! Ihn erkennen duͤrft' ich wollen? Nein, nein, nein!
Ich will nicht, daß Ihn wer erkenn' als Er allein.
35.
Du haſt auf ſtein'ger Hoͤh mit Muͤh gepflanzt den Garten,
Und noch muͤhſamer iſt der Waͤſſerung zu warten.
Ich wuͤnſchte dir dazu ſolch einen Quell verliehn,
Wie der von dem ich las, ſelbſt ſah ich niemals ihn;
Der ſo willfaͤhrig iſt, wie alle Elemente
Dem Menſchen waͤren, wenn er erſt den Zauber kennte.
Der fließt aus einer Schlucht, doch fließt nur wenn man will;
Und wenn man es befiehlt, ſo ſteht er wieder ſtill.
Wer von den Nachbarn nun will ſeinen Garten waͤſſern,
Der geht zum Quell hin nicht mit Naͤpfen oder Faͤſſern.
Er geht nur hin und ruft laut in die Felſenſchlucht:
Ich brauche Waſſer, Quell! und nimmt ſogleich die Flucht.
Alsbald kommt auf den Fuß die Flut ihm nachgefloſſen,
Und hat aufs Gartenland befruchtend ſich ergoſſen.
Und wenn hinreichend nun ſcheint die Bewaͤſſerung,
So gehſt du hin zur Schlucht und rufſt: Es iſt genung!
Und ſtampfeſt mit dem Fuß dreimal. Auf dieſes Zeichen
Alsbald ſiehſt du die Flut zuruͤck zum Quelle weichen.
Er ſammelt wieder die entſandten Waſſerſchlangen,
Und haͤlt im Schooß ſie bis auf weiteres gefangen.
Rückert, Lehrgedicht. 1. 11
36.
Wol Hirten ſeid ihr all, und wiſſet, jeder werde
Mir geben Rechenſchaft von ſich und ſeiner Herde.
Du Koͤnig biſt ein Hirt, der Volksherd' angeſtammt,
Und gibſt mir Rechenſchaft von deinem Hirtenamt.
Du Richter biſt ein Hirt des Rechtes in dem Lande,
Und gibſt mir Rechenſchaft von deinem Hirtenſtande.
Du Prieſter biſt ein Hirt in meines Stalles Huͤrde,
Und gibſt mir Rechenſchaft von deiner Hirtenwuͤrde.
Du Lehrer biſt ein Hirt in Zucht und Unterricht,
Und gibſt mir Rechenſchaft von deiner Hirtenpflicht.
Du Krieger biſt ein Hirt, und wachſt fuͤr Schutz und Ehre,
Du gibſt mir Rechenſchaft von deiner Hirtenwehre.
Du Buͤrger biſt ein Hirt im anvertrauten Gut,
Und gibſt mir Rechenſchaft von deiner Hirtenhut.
Du Vater biſt ein Hirt, fuͤr Weib und Kind erleſen,
Und gibſt mir Rechenſchaft von deinem Hirtenweſen.
Du Diener biſt ein Hirt fuͤr deines Herren Habe,
Und gibſt mir Rechenſchaft von deinem Hirtenſtabe.
Wol Hirten ſeid ihr all, und wiſſet, jeder werde
Mir geben Rechenſchaft von ſich und ſeiner Herde.
11*
37.
Wer hier die Nachbarn hat, die ſtets mit ihm zufrieden
Geweſen ſind, dem iſt ein Platz bei Gott beſchieden.
Wer hier nicht Frieden kann mit ſeinen Nachbarn halten,
Den nimmt man dort nicht auf, wo ew'ge Frieden walten.
Wer Zwietracht zwiſchen dir und deinem Nachbar ſtiftet,
Hat zwiſchen euch den Brunn, den beid' ihr trinkt, vergiftet.
Wer dich nicht kraͤnkt, iſt drum kein guter Nachbar noch;
Der iſt es, der, von dir gekraͤnkt, es bleibet doch.
Die Ueberlieferung ſagt: Wer ſinnet aufs Verderben
Des Nachbars, deſſen Haus laͤßt Gott den Nachbar erben.
Es heißt auch im Gebet: Bewahr' uns Gott in Gnaden
Vor Nachbars Aug' und Ohr an Thor und Fenſterladen.
Er ſieht dir durch die Wand bis in des Hauſes Mitte,
Und aus- und eingehn ſieht er deine Tritt' und Schritte.
Das Gute das er ſieht, das macht das Herz ihm wund,
Und was er Boͤſes ſieht, macht er den Leuten kund.
Ein leider Nachbar iſt ein Leid, dem du nie fliehſt,
Das leider jeden Tag du durch dein Fenſter ſiehſt.
Was hilft es, magſt du Kraut in deinem Garten baun,
Wenn dir der Nachbar wirft ſein Unkraut uͤbern Zaun.
Warum verkaufeſt du dein Haus? fragt man den Mann.
Weil ich den Nachbar nicht, ſprach er, verkaufen kann.
38.
Der Neid verzehrt ſich ſelbſt, ſollt' er nichts andres koͤnnen;
Die rechte Misgunſt iſt, ſich ſelbſt nichts Gutes goͤnnen.
Drei Neider ſind in Streit, wer koͤnn' am beſten neiden,
Und ihre Streitigkeit ſollt' alſo ſich entſcheiden.
Der eine ſprach: Vernehmt, wie weit mein Neiden gehe:
Ich goͤnn' es keinem, daß im Traum ihm Gut's geſchehe.
Der andre ſprach: Du biſt noch gar zu ſchwach ein Ritter;
Ich goͤnn' es keinem, daß ihm Gutes dank' ein Dritter.
Der dritte ſprach: Ihr ſeid allbeide viel zu gut;
Ich goͤnn' es keinem, daß er ſelbſt mir Gutes thut.
39.
Ein Reicher ſah den Dieb, der an der Hand verholen
Trug einen Edelſtein, den jenem er geſtohlen.
Abnehmen wollte er den Schatz ihm vor Gericht,
Da ſah dem armen Dieb er erſt ins Angeſicht;
Und ſprach mitleidig ſo, als haͤtt' er ihn gekraͤnkt:
Nicht wahr? ich habe dir den Edelſtein geſchenkt! —
O Menſch, wo haͤtteſt du dein Leben hergenommen,
Wenn du es nicht geſchenkt haͤtteſt von Gott bekommen?
40.
Bedachtet ihr einmal, was die Unſterblichkeit,
Nach der ihr trachtet, iſt, ihr Koͤnige der Zeit!
Denkmale ſtiftet ihr, Bildwerke, Rieſenmauern;
Die Nachwelt ſtaunt ſie an, und dankt nicht den Erbauern.
Und wenn man fraget nach dem Namen, wird man ſagen:
Hoch kam zu Ehren Stein und Erz in deſſen Tagen.
War auch ſo wohlgefugt des Landes Luſt und Gluͤck,
Wie Stein und Erz, ſo ganz aus einem Guß und Stuͤck?
Er hat die Ewigkeit geſucht in Stein und Erzen,
Und nach dem Denkmal nicht gefragt in Menſchenherzen.
So ſei auf ewig denn der Namen eingeſchrieben
In Stein und Erz, anſtatt in Herzen welche lieben.
41.
Der Koͤnig von Lahor', in ſeines Reiches Mitte,
Hat aus Freigebigkeit erfunden eine Sitte.
An jedem Monat laͤßt er ſich einmal aufwaͤgen
Mit Muͤnzen groß und klein von eigenen Gepraͤgen.
In eine Wagſchal' iſt er als Gewicht gethan,
Und in die andre Geld, genau auf Unz' und Gran.
Wenn einfach gnaͤdig nur, iſts Silber, wenn er hold
Beſonders ſeyn will, wird gemiſcht darunter Gold.
Und ſoviel als er wog, ſoviel theilt er gewogen
Den Armen aus, davon wird ihnen nichts entzogen.
Die Armen beten, daß ihr Fuͤrſt auf ſeine Wage,
Statt jeden Monat, doch ſich ſetz' an jedem Tage.
Sie beten, daß ihr Fuͤrſt fett werde, dick und ſchwer,
Der leider magrer wird und leichter immermehr.
Bald wird ein Federchen des Fuͤrſten Leib aufwiegen,
Dann werden weder Gold noch Silber Arme kriegen.
42.
Wer iſt ganz ein Tyrann? Nicht, wer hat unterjocht
Ein freies Volk mit Macht; er that was er vermocht.
Nicht, wer ſich ſelber ſagt: Weil es die Freiheit liebt,
Muß es mich haſſen; doch ihm nicht die Freiheit gibt;
Er hofft, daß ein Verein von Streng' und Mild' erringe
Das Ziel zuletzt, daß aus Gewohnheit Lieb' entſpringe.
Wer aber, wenn ſich ihm der Nacken ſklaviſch beugt,
Und Unterwuͤrfigkeit ihm Hand und Mund bezeugt,
Zu ſagen wagt: Ich weiß, daß euch die Liebe fehle
Zu mir, und dieſe Lieb' iſts die ich euch befehle;
Der iſt ganz ein Tyrann, der nicht Gehorſam ſtill
Sich laͤßt genuͤgen, und befehlen Liebe will.
43.
Zum Flaſchenkuͤrbiſſe ſprach ſtolz ein Kuͤchentopf:
Wie biſt du gegen mich ein unerfahrner Tropf.
Mich formte Fleiß und Muͤh, dem Nutzen hier zu dienen;
Du biſt, ich weiß nicht wie, alswie aus nichts erſchienen.
Die Sonne waͤrmte dich, weil mich das Feuer hitzte;
Im Schatten ruhteſt du, weil ich am Herde ſchwitzte.
Und jetzt biſt du herein, ſag an wozu, gekommen;
Was nuͤtzeſt du, nachdem man dich vom Zweig genommen?
Der Flaſchenkuͤrbis ſprach: Was iſts worauf du pochſt?
Ich kuͤhle das Getraͤnk, wenn du die Speiſe kochſt.
Voll kuͤhlen Saftes wuchs ich einſt, nun iſt die Hoͤle
Gefuͤllt mit friſcher Flut, Wein, Honig, Milch und Oele.
Zwei von ungleichem Stamm, ſind wir an gleicher Staͤte
Deſſelben Haushalts nur verſchiednes Hausgeraͤthe.
Du ein Gefaͤß der Glut, ich ein Gefaͤß der Huld,
Iſt unſer Schickſal doch weder Verdienſt noch Schuld.
44.
Den Roſenzweig benagt ein Laͤmmchen auf der Weide,
Es thuts nur ſich zur Luft, es thuts nicht ihm zu Leide.
Dafuͤr hat Roſendorn dem Laͤmmchen abgezwackt
Ein Floͤckchen Wolle nur, es ward davon nicht nackt.
Das Floͤckchen hielt der Dorn in ſcharfen Fingern feſt;
Da kam die Nachtigall und wollte baun ihr Neſt.
Sie ſprach: Thu auf die Hand, und gib das Floͤckchen mir,
Und iſt mein Neſt gebaut, ſing' ich zum Danke dir.
Er gab, ſie nahm und baut', und als ſie nun geſungen,
Da iſt am Roſendorn vor Luft die Roſ' entſprungen.
45.
Das Hoͤchſte, was der Menſch erſtreben ſoll und kann,
Erſtreben kann und ſoll es doch nicht jedermann.
Die große Maſſe laͤßt am Boden ſich genuͤgen,
Und ſtaunt den Wen'gen nach auf ihren Himmelsfluͤgen.
Wenn der Brahmane, der Nichts Lebendes verſehrt,
Und ſelbſt im Schaͤdlichen den Odem Gottes ehrt,
Allein im Lande wohnt'; es waͤre laͤngſt indeſſen
Von Thieren groß und klein, und er mit, aufgefreſſen.
Drum wurzelt neben ihm fleiſcheſſende Gemeinheit,
Und der Gemeinheit Bluͤt' iſt des Brahmanen Reinheit.
46.
Ein weiſer Mann, der ſich den Bart lang wachſen laſſen,
Gefragt, warum ers that? ſprach: Mich daran zu faſſen,
Zu fuͤhlen dran, daß ich kein Weib ſei und kein Kind,
Und Dinge nicht zu thun, die nur fuͤr beide ſind.
47.
Ein rechter Lehrer iſt, wer pilgernd alle Staͤten
Von Gangas Quellenmund hat bis ans Meer betreten;
An jedem heil'gen Strom, der in die Ganga muͤndet,
Hat im Gebet gekniet, und ſich im Bad entſuͤndet;
Und dann zur Einſamkeit den Duft zuruͤckgebracht
Von Gottes Gnadenfuͤll' und ſeiner Schoͤpfung Pracht.
Und in der Einſamkeit das helle Bild entfaltet
Von Gottes Herrlichkeit, die durch die Schoͤpfung waltet.
Auf ſeines Mundes Wort mag wohl ein Schuͤler lauſchen,
Vereinigt hoͤrt' er dort die heil'gen Stroͤme rauſchen.
48.
Ein Troͤpfchen, das zuruͤck blieb in der Opferſchale;
Ein Koͤrnchen Reißes unverzehrt beim Opfermale;
Ein Staͤubchen Aſchen, aufbewahrt vom Opferfeuer;
Die welke Blume, die gedient zur Opferſteuer:
Mit hoher Andacht nimm, mit tiefer Ehrfurcht du
Dergleichen, was dir gibt dein Lehrer, dein Guru.
Nicht unter ſchaͤtze du's, nein uͤber den Geſchenken,
Die ein Verliebter nimmt zu Liebesangedenken;
In welchen Liebe glaubt das Hoͤchſte zu erbeuten,
Durch das nicht was ſie ſind, durch das was ſie bedeuten.