VII.
Rückert, Lehrgedicht III. 1
1.
Das Veilchen fuͤllt die Luft mit Wohlgeruch von Amber;
An Perſiens Grenzen iſts genannt Guli Peigamber.
Guli Peigamber, das beſagt Profetenblume;
Wie gerne huldigen wir dem Profetenthume!
Profetenblum' iſt es, weil es uns profezeit
Des Fruͤhlings Himmelreich, der Roſe Herrlichkeit.
2.
Geh, wann du haſt am Tag im Hauſe ſtill zu thun,
Am Abend aus, das iſt der Weg um auszuruhn.
Die Ruh ermuͤdete, Bewegung ruhet aus,
Und zu der Arbeitsruh kehrſt du geſtaͤrkt nach Haus.
1*
Und einen friſchern Straus, als du mit Kunſt geſchmuͤckt
Daheim, bringſt du nach Haus, auf Gottes Flur gepfluͤckt.
Auf Gottes ſchoͤner Flur o wollt' es lenzen nur
Wie ſonſt! doch von dem Lenz iſt nirgend eine Spur.
Auf Gottes ſchoͤne Flur o bring im Herzen nur
Den Fruͤhling mit, ſo gehſt du nicht auf Winterſpur.
Der Lenz im Herzen nur zeigt dir des Lenzes Spur
Von außen auch, und macht die Welt zur Gottesflur.
3.
Als wie ein Kind im Schlaf empor ſein Auge ſchlaͤgt,
Und alſobald ſein Haupt befriedigt wieder legt,
Weil nah das Angeſicht ſich ihm der Mutter zeigt,
Die wachend uͤber ihr geliebtes Kind ſich neigt;
Begluͤckt, wer ſo den Traum des Erdenlebens lebt,
Und wenn dazwiſchen er den Blick zum Himmel hebt,
Die Mutter Liebe ſieht hernieder ſchauen heiter
Und laͤchelnd winken ihm: Ich wache, ſchlaf nur weiter!
4.
Es liegt ein Kluͤmpchen Schnee, da alles rings gethaut,
Nordwerts in einer Kluft, wo ihn der Blick nicht ſchaut,
Der Sonne Lebensblick, der weg das Weiße nahm.
Nun wird der weiße grau vor Aerger und vor Gram;
Und wird vor Jammer ſchwarz. Schon recht geſchieht dem Stolzen;
Warum nicht friſch und zart iſt er mit weggeſchmolzen? —
Ihr fragt ob das villeicht auch bildlich ſei gemeint?
Gemeint nicht eigentlich, doch auch gut, wenn es ſcheint!
Oft wenn ich aus ein Licht und an ein Feuer bließ,
Merkt' ich, daß das ſich auch ſinnbildlich deuten ließ.
5.
Wie augentroͤſtlich auch und lieblich lenzverjuͤnglich
Das Gruͤn der Fluren ſei, es iſt doch nicht urſpruͤnglich.
Das Gruͤn iſt, wie bekannt, gemiſcht aus Gelb und Blau;
Nun welches Blau und Gelb miſcht ſo das Gruͤn der Au?
Der Sonne goldner Schein, das Blau im Aetherraum;
Aus beiden iſt gewebt des Fruͤhlings gruͤner Traum.
Das Gruͤn unzweifelhaft ſtammt nicht aus gruͤnem Saft,
Denn nur durch Luft und Licht erlangt es ſolche Kraft.
Drum iſt von Fruͤhlingsgruͤn dein Auge ſo erquickt,
Weils drin vereint die zwei unſichtbaren erblickt.
Heil ihm, wenn dankbar es den Erdentraum genießt,
Bis er in Sonnengold und Aetherblau zerfließt.
6.
Aus Gelb und Blau entſpringt nach unten Gruͤn durch Miſchen;
Nach oben miſcht ſichs nicht, dort bluͤht das Roth dazwiſchen.
Beſonderſtes iſt Roth und Allgemeinſtes Gruͤn,
Und beide fordern ſich, wo Schoͤnſtes ſoll erbluͤhn.
Drum iſt der hoͤchſte Schmuck, vom Lenz der Welt verliehn,
Auf Thronen von Smaragd die Roſe von Rubin.
7.
Der Fruͤhlingshimmel ſoll in Wolkenduͤnſten bruͤten,
Bis ſich die Fruͤhlingsflur gefuͤllt mit Laub und Bluͤten.
Schoͤn iſt der blaue Raum, der wolkenloſe, nur,
Wenn ihm entgegen bluͤht die farbenreiche Flur.
Doch bis die Lebensfuͤll' erwacht im Erdgefild,
Sei ein Erſatz mir ein fantaſtiſch Wolkenbild.
8.
Das Licht iſt leicht, es iſt die umgekehrte Schwere;
Einleuchten wird dirs leicht, wenn ich dirs klar erklaͤre.
Das Licht von oben nimmt, wenn es hernieder ſchwimmt,
In gleichen Maßen ab, wie zu die Schwere nimmt.
Am ſchwerſten alles iſt der dunklen Erd' am naͤchſten;
Der Sonn' am fernſten wirkt des Lichtes Kraft am ſchwaͤchſten.
Das leichte Licht iſt hoch, tief iſt die ſchwere Schwaͤrze,
Und zwiſchen beiden bluͤhn der Toͤn' und Farben Scherze.
Der hoͤchſte Ton iſt Licht, der tiefſte Ton iſt Nacht,
Der endlich ganz erliſcht, entſchlaͤft und neu erwacht;
Wie dir der Schlaf bei Nacht ſchwer druͤckt die Augenlieder,
Die leicht der lichte Stral des Morgens aufſchließt wieder.
9.
Sieh wie die Blaͤttchen ſich um ihren Stengel ſtellen,
Die lebensluſtigen vertraͤglichen Geſellen!
Stets eines oberhalb des andern, aber ſo,
Daß keines hinderlich iſt keinem irgendwo;
So in gewundenen Abſtufungen erhoben,
Daß keines keins verdeckt, von unten frei und oben;
Daß jedes ſaugen kann von unten her den Segen
Des Thaus der aufſteigt, und von oben her den Regen,
Nach allen Seiten hin ſich breitend in die Luft,
Schwelgend in Sonnenglanz und in der Naͤchte Duft.
10.
Oft haͤngt das Hoͤchſte mit dem Niedrigſten zuſammen,
Wie Knollenfruͤchte, die der Wurzel ſelbſt entſtammen,
Wo, was die Pflanze ſonſt durch Zweig' und Kronen ſucht,
Gleich an der Wurzel iſt gefunden, Saam' und Frucht.
11.
Was iſt der Vorzug wol der menſchlichen Vernunft
Vor allen Trieben, die beſitzt der Thiere Zunft?
Thuts nicht der menſchlichen in allen Stuͤcken gleich
Naturvernunft und Kunſt, an Wunderwerken reich?
Der Menſch kann feiner als der Seidenwurm nicht ſpinnen,
Und kuͤnſtlicher nicht baun als Immen goldne Zinnen.
Und nicht gelernt iſt das, geerbt iſts vom Geſchlecht;
Der juͤngſte Biber baut gleich wie der aͤlt'ſte recht.
Die uranfaͤngliche Naturvollkommenheit
Iſt nie vollkommener geworden durch die Zeit.
Und dieſes iſt, was der Vollkommenheit gebricht;
Vollkommnungsfaͤhigkeit fehlt nur dem Menſchen nicht.
Die junge Spinne ſpinnt nur wie die alte ſpann,
Indes der Menſchenſinn ſtets neu Geweb erſann.
Vom Vater erbt ers nicht, vom Meiſter kann ers lernen,
Und ausgelernt von ihm mit Freiheit ſich entfernen.
Die Freiheit voll Gefahr iſt jedes Irrthums Spiel,
Indes der ſichre Trieb nothwendig geht zum Ziel.
Doch iſts ein niedres Ziel vor jenem, das erreichen
Der Menſch will, ſoll und kann, mag es auch ſtets entweichen;
Wo Kunſtbehendigkeit und Thatverſtaͤndigkeit
Ihm wird in hoͤhrer Art Naturnothwendigkeit.
12.
Ein einzig Bienchen war im Bienenſtock erwacht,
Die andern ſchliefen noch in honigduftiger Nacht.
Ein einzig Bluͤmchen war am Blumenſtock erbluͤht,
Die andern ſchliefen tief im daͤmmernden Gemuͤth.
Ein einzig Bluͤmchen lacht, noch ſchlaͤft der ganze Flor;
Ein einzig Bienchen wacht, noch ſchweigt der ganze Chor.
Das eine Bienchen fuhr durch all die Fruͤhlingsflur,
Und fand, wie fand es nur? des einen Bluͤmchens Spur.
Wenn dis nicht bluͤhte, haͤtt' umſonſt ſich jens bemuͤht,
Und wenn nicht jenes kam, wem haͤtte dis gebluͤht?
Hat jenes wol gewußt, daß dieſes bluͤhte juſt?
Hat dieſes bluͤhn gemußt, weil jenes war voll Luft?
Von beiden welches rief das andre das noch ſchlief?
Ein drittes rief die zwei, ſonſt ſchliefen ſie noch tief.
Sei's fern wie Orient von Occident getrennt,
Es findet ſich und kennt, was gleichen Triebs entbrennt.
Was gleichen Triebs entbrennt und gleichen Sinns ſich nennt,
Es findet ſich und kennt und eint ſich ungetrennt.
Es eint ſich ungetrennt in gleichem Element
Die Lieb' aus Orient der Lieb' im Occident.
13.
Ich hab' ein wonniges Gefild im Traum geſehn,
So heller Lichter, die mir noch im Herzen ſtehn.
Ich weiß nicht ob ein Land, wo ich daheim einſt war,
Daheim einſt werde ſeyn, doch heimiſch wunderbar.
So heimiſch war es mir, ſo heimlich und geheim,
Vertraulich zeigte mir ſein Sehnen jeder Keim.
Ich ſah das gruͤne Laub, das nie wird Windesraub,
Die Luft von keinem als erfuͤllt von Bluͤtenſtaub.
Ich ſah des Waldes Kranz im Abendſonnenglanz,
Der doch nicht untergieng, und hell war immer ganz.
Da ich ſo helle ſeh in Traͤumen, ſoll ich klagen,
Daß mehr und mehr den Dienſt die Augen mir verſagen?
Ja wol, es ſieht ein Menſch mit Augen nicht allein;
Was ſehenswerth iſt, ſieht dein innres Licht allein.
14.
Geſchichten hab ich viel geleſen und gehoͤrt,
Die vielfach angeregt mich haben und verſtoͤrt.
Geſchichten moͤcht' ich euch anregende erzaͤhlen,
Doch wollte nie mein Geiſt ſich dieſer Form vermaͤhlen.
Und mich begeiſtern koͤnnt' Eine Geſchichte nur,
Beherrſcht' ich deinen Stoff, Geſchichte der Natur!
Inzwiſchen hat genug Beruhigung geſogen
Befriedigung mein Geiſt aus deinen Regenbogen.
Der Regenbogen wirkt in ſanfter Farbenpracht
Die Friedensfahne beigelegter Wolkenſchlacht,
Wie nach der Leidenſchaft gedaͤmpfter Wetterſchwuͤle
Mein heißes Aug' erfriſcht der Weltbetrachtung Kuͤhle.
15.
Die Unſchuld liebt im Thier Menſchaͤhnliches zu ſehn,
Bosheit im Menſchen Thierverwandtes zu erſpaͤhn.
Und leicht iſt eines auch aufs andre auszulegen,
Weil beides uͤberall in beidem iſt zugegen,
Da das geringſte Thier ſchon auf den Menſchen deutet,
Und ſelten ſich ein Menſch hat ganz vom Thier gehaͤutet.
Aus jedem Thiere guckt ein Stuͤckchen Menſch hervor,
Und jeden Menſchen zupft die Thierheit noch am Ohr.
Wenn Scharfſinn und Verſtand nun liebet Unterſcheidung,
So liebt dagegen Witz und Fantaſie Verkleidung.
Doch edler als die Luft an der Karrikatur
Iſt harmlos ſpielende Begeiſtrung der Natur,
Die lieber Niederes um eine Stufe ruͤckt
Herauf, als Hoͤheres hinab um eine druͤckt;
Der Kindermaͤrchenwelt tiefſinnige Betrachtung,
Und des Brahmanen draus entſprungne Thierweltachtung.
16.
Die Schwalbe die ins Haus, und die am Hauſe baut,
Sind in verſchiednem Grad dem Menſchen lieb und traut.
Die eine bietet ſich zu naͤchſtem Nachbarsmann,
Die andere ſich dir zum Hausgenoſſen an.
O haͤtt' ich immer, waͤrs vom Himmel mir beſchloſſen,
So treue Nachbarn und ſo fromme Hausgenoſſen!
17.
Es iſt ein Kraut das Allmannsharniſch wird genannt;
Wer's an ſich traͤgt, der ſiegt, wo er wird angerannt.
Der Aberglaube ſucht das Kraut auf Feld und Wieſe,
Doch kommts dem Menſchen nur herab vom Paradieſe.
Das Gottbewußtſeyn iſts, das droben iſt zu Haus,
Das iſt der Straus mit dem du ſiegſt in jedem Straus.
18.
Nach Sonne, Mond und Stern in ihrem Strahlenblitze
O deute nicht empor mit deiner Fingerſpitze!
Nach ihnen ſpaͤhend hebt der Aſtronom ſein Rohr,
Du aber ſchaue nur mit frommem Aug' empor.
Denn du haſt ihre Bahn nicht ihnen vorzuſchreiben;
Du gehſt darunter weg, und ſie dort oben bleiben.
19.
Die Furcht vor Sonn- und Mondverfinſtrung iſt geſchwunden,
Seit beſſere Naturerkentnis ſich gefunden.
So vor Aufklaͤrung muß verſchwinden jede Blendnis,
Und ſelber Goͤtterfurcht vor reinrer Gotterkentnis.
20.
Um Mittag, wenn mit Duft der Himmel ſich umſaͤumt,
Und hinter weißem Flor die ſtille Sonne traͤumt,
Kein Hauch das welke Blatt im Waldgebirg erfriſcht,
Wo nur die Grille ſchrillt und nur die Schlange ziſcht;
Dann halten weißverhuͤllt die Geiſter ihre Runde,
Und alle Schaͤtze thun ſich auf im Erdengrunde.
Das ſind die Geiſter und die Schaͤtze, die der Macht
Der Sonne folgen, nicht dem Mond der Mitternacht.
Und wer ein Sonnenkind iſt rein von allem Boͤſen,
Der kann der Schaͤtze Bann, das Band der Geiſter loͤſen.
21.
Ich gieng den Strom hinauf und forſchte nach der Quelle,
Aus deren Schoße ſich ergoͤſſe jede Welle.
Je weiter aber ich hinaufkam, ward mir kund,
Statt einer Quelle ſei's ein ganzer Quellengrund.
So, welcher Sache nach du forſchen magſt und graben,
Statt einen Grund wirſt du gefunden viele haben.
22.
Der junge Vogel wo lernt er den frohen Sinn,
Flug und Geſang? lernt' ichs von ihm, welch ein Gewinn!
Im ſchwanken Neſte ſchwankt er ob der Fruͤhlingsflur,
Und athmet um ſich her friſch athmende Natur.
Von dieſem Athem iſt ihm Mark und Bein durchdrungen,
Die Bruſt gehoben und die junge Schwing' erſchwungen.
Er ſieht nur freie Luft, und fuͤhlt nur friſchen Duft,
Und hoͤrt den Vater froh wie er der Mutter ruft.
Nur nachzuſingen, nachzufliegen, nachzuahmen
Hat ers, und nie wird er verkruͤppeln und erlahmen.
Haͤtt' eine Saͤngerinn mein Wiegenkind zur Amme,
Die ihm des Wohllauts Oel traͤuft' in die zarte Flamme;
Ein farbenbuntes Bett, ein kuͤhles Laubgemach,
Den Pfuͤhl des Fruͤhlings und des Himmels goldnes Dach!
Auf ſeinem gruͤnen Pfuͤhl, unter dem goldnen Dach,
Wiegt' ihn der Mond in Schlaf, kuͤßt' ihn die Sonne wach!
Er pfluͤckte jede Bluͤt', und braͤche jede Frucht,
Und ohn' Erziehung wuͤchſ' er auf, ein Bild der Zucht.
Er muͤßte frank und frei, froh wie ein Vogel werden,
Und wenn nicht fliegen, doch vor Luſt ſich ſo geberden.
23.
Als Bluͤtenalter iſt die Jugend wol bekannt,
Mir aber ſei hinfort das Alter ſo genannt.
Die junge Pflanz' iſt gruͤn; wielang muß ſie ſich muͤhn
Durch Blatt und Zweig hindurch, bis ihr gelingt zu bluͤhn!
Ihr letztes iſt das Bluͤhn, nicht erſtes, zweifelsohne;
Dann ſtirbt ſie wann ſie aufgeſetzt die Bluͤtenkrone.
Wie in der Jugend auch als Raupe kriecht, im Alter
Die bluͤtengleiche Schwing' entfaltet der Zwiefalter.
Doch fragſt du wo denn ſei des Alters Schwing' und Bluͤte?
So ſag' ich: außen nicht, doch innen im Gemuͤte.
Das iſt die Bluͤte, die hier athmet Seelenduft,
Dis Silfenfluͤgelpaar traͤgt uͤber Welt und Gruft.
24.
Sieh, wie die Fantaſie des Fruͤhlings einen Raum
Mit Blumen dort beſaͤt, hier ſchmuͤckt den Bluͤtenbaum,
Worin ein ganzer Wald von Trieben iſt vereinigt,
Doch hat er ſeine Kunſt wie hier auch dort beſcheinigt;
Wie dich ein Dichter freut, ob einzeln er verſtreut
Viel Schoͤnes, ob er dir ein ſchoͤnes Ganzes beut.
25.
Geſundes Auge ſieht, es hoͤrt geſundes Ohr
Durch Kraft von innen das was außen iſt davor.
Doch wird der Sinn ſich ſelbſt zum Gegenſtand, ein Graus
Iſt kranken Augs Gefunk und kranken Ohrs Gebraus.
So ſei zum Gegenſtand die Außenwelt verliehn
Geſunder Fantaſie, nicht kranke Fantaſien.
26.
Ohr oder Auge, mit der Toͤn' und Farben Flimmer,
Was iſt wol beſſer? was, taub oder blind, iſt ſchlimmer?
Auf gleicher Linie ſoſehr ſtehn dieſe beiden
Im Menſchenangeſicht, daß ſchwer iſt zu entſcheiden.
Das Recht entſcheidet nicht, entſcheide denn nach ſeiner
Vorliebe jeder, ich entſcheide ſo nach meiner:
Von blinden Dichtern hab' ich vieles ſchon geleſen,
Von keinem großen doch gehoͤrt, der taub geweſen.
27.
Das Aug' iſt uͤberm Ohr in allen Stuͤcken, traun,
Nur daß man nicht mit ihm kann um die Ecken ſchaun.
Das Aug' iſt uͤberm Ohr fuͤrwahr in allen Stuͤcken,
Nur daß man nicht mit ihm kann ſehen hinterm Ruͤcken,
Wie mit dem Ohre man wol hinterm Ruͤcken hoͤrt,
Doch auch nur Schlimmes meiſt, das unſre Ruhe ſtoͤrt.
28.
Die Zunge geht dahin, wo weh der Zahn dir thut,
Und mehret ſo den Schmerz, den ſie will machen gut.
Wie oft hat ſo die Zung' auch weh ſtatt wohl gethan
Bei Schmerzen tiefern als aus einem holen Zahn.
29.
Die Sinne, welchen Gott die obre Stelle gab,
Sehn auf die untere mit zuviel Stolz herab.
Sie ſehn vor lauter Stolz nicht ein auf hohem Pfuͤhl,
Daß ſie nichts ſind als ein beſondertes Gefuͤhl.
Das Auge fuͤhlt das Licht, und ſieht, vom Licht beruͤhrt;
Und durch Erſchuͤttrung wird der Schall ins Ohr gefuͤhrt.
Die Naſe riecht den Ruch, es ſchmeckt den Schmack der Mund;
Empfindlich ſpuͤren ſie, was ſich vom Ding thut kund.
Wenn taſtend Aug' und Ohr ausgreifen in die Ferne,
Mag alles Naſ' und Mund in ſich hineinziehn gerne.
Und zwiſchen beiden ſchwebt, im wogenden Gewuͤhl
Der Sinnenwelt, der allgemeinſte Sinn, Gefuͤhl.
Du fuͤhleſt nicht allein, was deine Hand beruͤhrt;
Du fuͤhlſt in deiner Bruſt, dein Herz fuͤhlt ſich geruͤhrt.
Was aͤußerlich dein Sinn, iſt innerlich dein Sinnen;
Kein Unterſcheiden ſchied das Außen von dem Innen.
30.
Geh in die Welt hinaus mit allen deinen Sinnen,
Um Bienen-gleich ins Haus den Honig zu gewinnen.
Wohin du fliegen magſt, da biſt du eingeladen,
Und irre kanſt du auch nicht gehn auf allen Pfaden.
Dich zieht von hier und dort, von jedem Duftverſuch,
Zu deinen Zellen heim der ſuͤßre Honigruch,
Der Vorrath ſtaͤrker, als den draußen du begehrſt,
Den aber du mit dem von außen immer mehrſt.
Muͤde von Flug und Braus, kehr' in dich ſtill zuruͤck,
Ruh' in dir ſelber aus, ſo fuͤhlſt du hoͤchſtes Gluͤck,
Rückert, Lehrgedicht III. 2
Wenn du dich, ohne zu verſinken, ganz verſenkeſt,
Ausdichteſt ſpiegelglatt, was du durchſichtig denkeſt.
Wie du ziehſt von Natur den Athem aus und ein,
Lern' auch im Geiſte nur außen und innen ſeyn.
31.
Sieh die Verfaſſungen der Voͤlkerſtaaten hie,
Ameiſenrepublik und Bienenmonarchie.
Die fliegen in der Luft, die kriechen an der Erde;
Die ſammeln Bluͤtenduft, die Koͤrner mit Beſchwerde.
Dort waltet ein Geſetz, und hier ein Oberhaupt,
Hier wird geſchaut, was dort unſichtbar wird geglaubt.
Der Bienenſtaat iſt hin, wann ſtirbt die Koͤniginn;
Ameiſenreich beſteht, unſterblich iſt ſein Sinn.
Mit Andacht ſammle du in reinlichen Geſchirren
Von Bienen Honigſeim, und von Ameiſen Mirren.
32.
Mein Sohn, ſieh an den Hirſch! wie edel, ſchoͤn und groß,
Und doch wie voller Furcht und alles Muthes bloß!
Die Waffe des Geweihs kann ſeine Furcht nicht mindern,
Die Zinken dienen nur ihn auf der Flucht zu hindern.
Er kann auf ſeinen Feind nicht wenden ihre Schaͤrfen,
Und dem Ausreißer gleich ſie nicht einmal wegwerfen.
33.
Wol iſt im Saamenkorn die Pflanze ſchon enthalten,
Doch ſiehſt du's ihm nicht an, wie ſie ſich wird entfalten.
Viel groͤßer als der Kern des Apfels iſt die Bohne,
Doch Ranken gibt ſie nur, er eines Baumes Krone.
2*
34.
An einem Pfuhle ſah ich ſprudeln eine Quelle,
So truͤb ſein Waſſer war, ſo hell war ihre Welle.
Durch einen ſchmalen Rand war ſie von ihm geſchieden,
Wie vom Unedelſten das Edelſte hienieden.
Hat ihre Reinheit vom Unreinen ſich genaͤhrt,
Geſintert durch den Sand Unklares ſich geklaͤrt?
Unſchoͤnes, ſo verſchoͤnt, waͤr' um nichts minder ſchoͤn;
Doch ſieh, die Quelle ſpringt, und deutet nach den Hoͤhn.
Nicht ſpringen koͤnnte ſie, wenn ſie nicht waͤr' entſprungen
Von jenen Hoͤhen, die dis niedre Thal umrungen.
Sie iſt ein ſchoͤnes Bild, daß, was herab geboren
Von dort iſt, nie nach dort empor den Trieb verloren.
Dis Angedenken hat die Reinheit ihr bewahrt,
Ihr Weſen nahm nichts an von ihres Nachbarn Art.
Laß dich die Nachbarſchaft des Schlechten nur nicht kraͤnken;
Den Einfluß wehrt dir ab des Beſſern Angedenken.
35.
Am Stromesufer ſteht erſchwungen eine Palme
Hoch ob der Duͤnſte Kreis und erdenahem Qualme,
So hoch, daß Menſchenwitz nicht ihre Kron' entblaͤttert,
So glatt, daß Affenkunſt nicht ihren Stamm erklettert.
Die reifen Fruͤchte wirft ſie aus der Luft hinab
Ins Waſſer, welches ihr dazu die Nahrung gab.
Die Fruͤchte, wann ſie ſind den Strom hinab geſchwommen,
Schwimmen dort an ein Land, wo Palmen nicht bekommen.
Willkommen ſind ſie dort, die Gaben aus der Ferne,
Die Menſchen eſſen ſie und ſammeln ihre Kerne.
Sie zoͤgen aus dem Kern ſelbſt eine Palme gern,
Doch Erd' und Himmel iſt dagegen, Sonn' und Stern.
36.
Geſchichte und Natur, zwei Raͤume ſind ſie nur,
Wo uͤberall der Tod geht auf des Lebens Spur.
Du ſiehſt, wohin du ſiehſt, Zerſtuͤckelung, Bruchſtuͤcke;
Das eine iſt dahin, das andre noch zuruͤcke.
Du ſiehſt Verbindungen und fuͤhleſt eine Luͤcke,
Sucheſt Zuſammenhang und findeſt keine Bruͤcke.
Blick' in die Sternwelt auf, damit dein Geiſt geſundet!
Dort iſt der ewige Kreis, der in ſich ſelb ſich rundet.
Die Ordnung droben iſt, wo aufgehoben iſt
Die Wirrung, wo ſich fuͤgt, was hier verſchoben iſt.
Freu dich in jeder Nacht, daß Sterne niederglaͤnzen
Mit hoͤhrer Hofnung Stral dein Daſeyn zu ergaͤnzen.
37.
Der Apfel faͤllt, gereift, in ſeines Gaͤrtners Hand;
So faͤllt in Gott ein Geiſt, der ſeine Reife fand.
Wol faͤllt ein Apfel auch, zu fruͤh vom Sturm gebrochen,
Von Willkuͤr abgepfluͤckt, oder vom Wurm geſtochen.
Doch hierin iſt der Baum im engen Gartenraum
Hoch uͤberragt und weit vom Weltengartenbaum,
Den ſolch ein Gaͤrtner zieht, der auch dem Sturm befihlt,
Den keine Willkuͤr ſtoͤrt, kein ſchwacher Wurm beſtihlt;
Und ſicher fuͤhleſt du's: von ihm wird hingenommen
Zum Heile jede Frucht, wann ihre Zeit gekommen.
Villeicht erſchien ſie dir von außen nicht geſtreift,
Sie aber, glaub' es mir, war innerlich gereift.
38.
Wann wacher Sinne Krieg geſchlichtet Gottesfriede,
Und aufgehoben hat des Daſeyns Unterſchiede,
Wo Inn- und Aeußres iſt in Einen Duft verſchwommen,
Beſonderheitsgefuͤhl ins All zuruͤckgenommen,
In ſolchem Schlaf, in den hinein kein Wachen bebt,
In deſſen Ruh' kein Traum verwirrte Bilder webt;
Wann jeder Thaͤtigkeit Thorweg geſchloſſen ſteht,
Und ungehemmt nur aus und ein der Athem geht;
Erloſchen iſt das Aug' und jedes Bild des Schoͤnen,
Erloſchen iſt das Ohr mit allen hellen Toͤnen,
Erloſchen Red' und Wort mit der Begriffe Samen,
Den Zeichen aller Ding' und aller Weſen Namen;
Erloſchen, ausgeloͤſcht, das Denken der Gedanken,
Des Wollens Wallungen und der Gefuͤhle Schwanken;
Und nur ein ſtilles Licht, geklaͤrt von Glut und Rauch,
Und von dem Leben nichts zuruͤckbleibt als der Hauch:
Der Hauch (ſagt der Brahman), der Gottes Athem iſt,
Bezeugt, daß du in Gott dann aufgenommen biſt;
Und wann du dann vom Schlaf erwacheſt ſanft und kuͤhl,
Bezeugt daſſelbe dir ein ſeligs Nachgefuͤhl.
39.
Willſt du erquickenden traumloſen Schlaf genießen,
Laß wach dich im Genuß nicht Maͤßigkeit verdrießen.
Und ſo im Leben auch ſei maͤßig, wenn begraben
Du ruhn in Gott willſt und nicht boͤſe Traͤume haben.
Sieh, welchen Lohn der Seel' hat Maͤßigung beſchieden!
Im Wachen und im Schlaf, im Tod und Leben Frieden.
40.
Die Kropfgans ſchlingt den Fiſch hinein auf Einen Schluck;
Es fehlt ihr der Geſchmack, ſie fuͤhlet nur den Druck.
Ein Schlemmer aber mag in kleinen Biſſen kauen,
Die Waͤrzchen des Geſchmacks andaͤchtig zu erbauen.
So wenig jene mir, gefaͤllt mir dieſe Sitte;
Ich rathe dir auch hier wie uͤberall die Mitte.
41.
Geſelligkeit erhoͤht den Menſchen nicht allein,
Das Thier veredelt auch und ſteigert der Verein.
Der Biber baut voll Kunſt, der in Geſellſchaft lebt,
Indeß der einſame nur ſchlechte Hoͤlen graͤbt.
Des Bienenſtaates Fleiß thuͤrmt goldner Schloͤſſer Duft,
Nicht Wachs noch Honig fuͤllt der Mauerbiene Kluft.
42.
Ein Voͤglein hatte ſich in meinen Schutz begeben,
Es wollt' in Sicherheit, wenngleich gefangen, leben,
In Sicherheit vorm Schreck des Reichs der Luft, dem Geier,
Vor welchem ſicher ſich kein Vogel fuͤhlt, kein freier.
So gern gefangen nun vor meinem Fenſter hieng's,
Doch im Gefaͤngniſſe dem Schickſal nicht entgieng's.
Ein Geier nahte kuͤhn zum Kerker ſeiner Luſt,
Und ſchlug durchs Gitter ihm die Krallen in die Bruſt.
Doch konnt' er ſeinen Raub nicht in die Luͤfte tragen,
Und ſterbend ließ ers uns zuruͤck, es zu beklagen.
Durch ſeine Dienſtbarkeit hat es nur dis erworben,
Daß es nicht unbemerkt noch unbeklagt geſtorben.
43.
Vom Onyx wird geſagt, daß er, im Ring gefaßt,
Macht einen, der ihn traͤgt, in jedem Ding gefaßt,
Und, wem ein ſolcher Stein zur Erbſchaft iſt gelaſſen,
In Gluͤck und Ungluͤck iſt er jederzeit gelaſſen.
Wol ſo gefaßt zu ſeyn, iſt eine ſchoͤne Faſſung,
Und die Gelaſſenheit die reichſte Hinterlaſſung.
Doch laß dir deuten recht die Hinterlaſſenſchaft,
Und faß in deinen Sinn der Faſſung Wunderkraft!
Der ſo gefaßte Ring will an der Hand dir reichen
Ein Zeichen, daß dein Herz ſich faſſen ſoll desgleichen.
Denn wol zu jeder Friſt gefaßt wird ſeyn ein Mann,
Der nie vergißt, daß er gefaßt ſeyn ſoll und kann.
So trag den Stein, und trag das Leben fein gelaſſen,
Wie der das Leben trug, der dir den Stein gelaſſen.
Ja ſei wie er, der nun, in Grabesrund gefaßt,
Die Welt gelaſſen hat, gelaſſen und gefaßt!
44.
Das menſchlichſte Geſchaͤft iſt Menſchen zu erziehn;
Und Blumen ziehe, wem nicht Kinder ſind verliehn.
Der Blumen Jugend laͤßt vor Stuͤrmen und Gefahren
Sich immer leichter als die menſchliche bewahren.
Dankbarer ſind ſie auch, vom Wiegenrand zur Gruft,
Erziehunglohnender mit Farbenſpiel und Duft.
Gern mag mein altes Aug' aus ihren Kinderaugen
Saugen das Licht, das ſie ſelbſt aus der Sonne ſaugen.
Dann ſaugt ſie ihnen aus das eingeſogene,
Entflogen iſt der Glanz der angeflogene.
Die Farben auf der Flucht von Kronen ſtets zu Kronen;
Trauer iſt wo ſie fliehn, und Freude wo ſie wohnen.
Sieh deine Blumen an in deiner Luft und Trauer,
Und troͤſte dich, daß auch an dir iſt keine Dauer.
45.
Der Gaͤrtner liefert mir zum Schmuck in meinem Zimmer
Blumen von Zeit zu Zeit, neu bluͤhnde Blumen immer.
Da ſtehn ſie denn ſolang als ſie in Bluͤte ſtehn,
Und muͤßen abgebluͤht zuruͤck zum Gaͤrtner gehn.
Ich habe den Genuß, der Gaͤrtner hat die Muͤhen,
Nur bluͤhen ſeh' ich ſie, er ſorget daß ſie bluͤhen.
Was mir der Gaͤrtner iſt, das iſt der Dichter euch,
Der Bluͤt' und Blume zieht am kahlen Weltgeſtraͤuch.
Ihr habt den Augenblick des Aufgehns zu genießen,
Doch das iſt ſeine Luſt ſtets neue zu erſchließen.
46.
Die Sonne, die ſoviel iſt groͤßer als die Erde,
Iſt ſie die Hirtin, und die Erd' ein Lamm der Herde?
Iſt ſie die goldne Trift, mit Flammengras bekleidet,
Worauf die Erde mit den andern Laͤmmern weidet?
Iſt ſie der Bronnen, der mit Glanz die Herde traͤnkt?
Die Huͤrd', in welche ſie wird Abends eingelenkt?
Ob Hirtin oder Trift, ob Bronnen oder Huͤrde,
Sie hat ein ſchoͤnes Amt und eine hohe Wuͤrde.
Wenn Hirtin, huͤte ſie mit treuem Blick die ihren;
Wol aus den Augen wird ſie leicht kein Stuͤck verlieren.
Wenn Trift, ſo treibe ſie mit ew'gen Fruͤhlingstrieben,
Und luſtgetrieben gehn die Laͤmmer nach Belieben.
Wenn Bronnen, ſei ſie uns voll ſtets vom Thau der Gnaden;
Wenn Huͤrde, ſammle ſie die Herd' ein ohne Schaden.
Ein ſchoͤner Sommertag, den ausgeſprungen habend,
Die muͤde Herde ſucht den warmen Stall am Abend.
47.
Siehſt du, wie der Planet ſich um ſich ſelber dreht,
Und ſtill dabei im Kreis um ſeine Sonne geht?
Was um die Sonn' ihn zwingt, und was um ſich ihn ſchwingt,
Iſt nicht verſchieden, eins durchs andre iſt bedingt.
Das iſt des Mannes Muth, der auf der Liebe ruht,
Der ſelbſt ſich thut den Dienſt, den er dem andern thut.
Dagegen ein Trabant iſt jener Stern genant,
Der ſeinem Hauptſtern ſich zuwendet unverwandt.
Er kehrt in Dienſtespflicht ihm zu ſein Angeſicht,
Und dreht ſich ſo um ihn, doch um ſich ſelber nicht.
48.
Es ſtreiten um die Welt das Waſſer und das Feuer,
Welches von beiden ſoll fuͤhren der Schoͤpfung Steuer.
So ſchlicht' ich ihren Streit: der Schoͤpfer der Natur
Iſt Waſſer, Feuer ſei der Schoͤpfer der Kultur.
49.
Die Berge werden ſtets vom Regen abgeſpuͤlt,
Doch tiefer auch vom Fluß das Bette ſtets gewuͤhlt.
So bleibt im Ganzen das Verhaͤltnis wie zuvor;
An Tiefe wird erſezt, was ſich an Hoͤh verlor.
50.
Von Stroͤmen taͤglich traͤgt und ſtuͤndlich welch ein Heer
Dem Meer ſuͤß Waſſer zu, doch bitter bleibt das Meer.
So taͤglich, ſtuͤndlich bringt von Weisheit auch genug
Zur Welt der Weiſen Zunft, doch wird die Welt nicht klug.
Doch ließen dieſes ſich die Weiſen wol verdrießen,
Da unverdroſſen ſtets ins Meer die Stroͤme fließen?
Da nie in ihrem Lauf die Stroͤme ſich verbittern,
Wie ſollten Weiſe ſich im ihrigen erbittern?
Die Stroͤme ſuͤßen nie das Meer, doch ziehen ſie
Aus ihm ihr Suͤßes ſelbſt, und wiſſen ſelbſt nicht wie,
Ob unterirdiſch aufgedampft und ausgebraut,
Ob uͤberirdiſch abgeklaͤrt und angethaut;
Des Meeres bittre Flut wird ſuͤße Quelle wieder,
Und billig ſtroͤmt der Quell darum zum Meere nieder.
51.
Die Erd' in ihrem Bau iſt gar nicht eingerichtet
Ein Paradis zu ſeyn, wie Fantaſie es dichtet,
Ganz ungeeignet, von Unſterblichen bewohnt
Zu ſeyn, da uͤberall auf ihr Zerſtoͤrung thront,
Ihr ew'ges Leben nur auf ewiger Zerſtoͤrung,
Ihr ew'ger Friede ruht auf ewiger Empoͤrung;
Darum unſterblich kann nur das Geſchlecht allein
Von Anbeginn, wie es noch iſt, geweſen ſeyn,
Kein Einzelner, der, ſelbſt unſterblich, das Verderben
Nicht haͤtte koͤnnen ſehn ringsum, ohn' auch zu ſterben,
Nicht haͤtte koͤnnen ſehn die Pflanzen jaͤhrlich bluͤhn
Und welken, ohne mit in Sehnſucht zu vergluͤhn,
Nicht zittern ſehn die Erd' und ihre Berge ſplittern,
Ohn' uranfaͤnglichem Granit gleich zu verwittern.
52.
Die Goͤttin, die, verhuͤllt, ums Antlitz Schleier traͤgt,
Die Braut, nach welcher Luſt der freche Freier traͤgt,
Mit Andacht nahen mußt du der geheimnisreichen,
Wenn ſie den Schluͤſſel dir ſoll zum Geheimnis reichen.
Belauſche, die im Traum ununterbrochen ſpricht,
Doch unterbrich ſie mit Dazwiſchenſprechen nicht.
Behorchen magſt du ſie, nicht peinlich ſie verhoͤren;
Gehorchen wird ſie nie, nur guͤnſtig dich erhoͤren;
Erhoͤren guͤnſtig den, der bruͤnſtig ſie erſucht,
Den aber aͤffen, der zudringlich ſie verſucht,
Den, der mit Gaukelwerk und Taſchenſpiel beſchwoͤren
Sie will, mit Gaukelwerk und Taſchenſpiel bethoͤren.
53.
Was iſt unwandelbar in der Verwandlung Reich?
Das Ew'ge ſelber bleibt ſich ſelbſt nicht ewig gleich.
Der Laͤnder Grenzen ruͤckt nicht Voͤlkerwechſel nur,
Es ruͤckt durch Stroͤm' und Meer ſie ſelber die Natur.
Und jene Bahnen auch, die unveraͤnderlichen,
Wovon die Wandelſtern' im Wandel nie abwichen;
Daß ſie von Zeit zu Zeit ein wenig doch ausbeugen,
Muß jede Sternkart' uns, die nicht mehr paßt, bezeugen.
54.
Iſt dir es nicht verliehn, lebendig anzuſchaun
Die Welt, als einen Leib mit Geiſt ſie aufzubaun,
So zimmre lieber ſie aus ſtoßenden Atomen
Und traͤgen Kraͤften, als aus dunſtigen Fantomen.
Was fuͤr ein Hirngeſpinſt du auch in ihr erkennſt,
Wenn du in ihr nur ſiehſt kein grinſendes Geſpenſt,
Wie ſolch ein kranker Geiſt, der ſeine Todeswunden
Gern fuͤhlet uͤberall, macht aus der kerngeſunden.
55.
Was glaͤnzt, daß du es ſiehſt, iſt gleichſam im Verbrennen;
Die Farben werden ſich davon wie Funken trennen.
Was ſchallt, daß du es hoͤrſt, iſt nah dran zu zerſpringen;
Nur durch Erſchuͤtterung vermag's dich anzuklingen.
Was duftet, daß du's riechſt, und was du ſchmeckeſt gar,
In dieſem nimmſt du leicht der Theil' Aufloͤſung wahr.
Und das was dich beruͤhrt, daß es dein Finger ſpuͤrt,
Iſt ſeinem Untergang entgegen ſo gefuͤhrt,
Wenn alles auch ſo leicht nicht der Zerſtoͤrung Staub
Wird durch Beruͤhrung, wie des Silfen Fluͤgelſtaub.
Dem Sinne kann die Welt nicht anders kund ſich geben
Als nur im Uebergang zum Tode von dem Leben.
56.
Laß dir in der Natur am Was, Wozu und Wie
Genuͤgen! das Warum begreifeſt du doch nie.
Was wirkt, und wie es wirkt, wozu du brauchen kannſt
Die Wirkung, ohne daß du ihren Grund erkannſt.
Fuͤhrt ſicher uͤbers Meer zum Ziel doch der Magnet
Den, der nicht fragt warum, nur ſieht wie er ſich dreht.
57.
Wie mittheilt ein Magnet die eigne Eigenſchaft
Dem Eiſen, ohne daß er ſelbſt verliert an Kraft,
Weil, was er mittheilt, nicht iſt ſeiner Kraft Bewegung,
Vielmehr die Richtung nur und gleicher Kraft Anregung;
Nicht, wie ein Feuchtes, wenn man drein ein Trocknes taucht,
Ein Theilchen Feuchte fuͤhlt vom Trocknen aufgebraucht,
Und Warmes kaͤlter wird, das Kaltes machet waͤrmer;
So wird ein Reicher, der dem Armen reicht, wol aͤrmer,
Doch aͤrmer werden ſoll kein Geiſt, wenn angehaucht
Von ihm ein andrer auch nun brennet oder raucht:
Klagſt du, daß etwas durch Mittheilung dir entgeht,
O ſchaͤme dich, du biſt ein Schwamm, und kein Magnet.
58.
Du ſiehſt ein Andres als du hoͤreſt, und du ſchmeckeſt
Und riechſt ein Andres als du durchs Gefuͤhl entdeckeſt,
Am Ding, von welchem du verſchiedne Kund' einziehſt,
Wie du es fuͤhleſt, riechſt, ſchmeckſt, hoͤreſt oder ſiehſt.
Auch iſt kein Zweifel, daß, ſobald ein Sinn dir fehlt,
Gleich eine Seite ſich vom Dinge dir verhehlt;
Die wichtigſte villeicht, wenn grade dir entweicht
Der Sinn, durch den das Ding vorzuͤglich dich erreicht;
Wie ja ein Blinder mit all ſeinen andern Sinnen
Den Farben eines Bilds kann wenig abgewinnen.
Drum, wenn dir zu Gebot mehr als fuͤnf Sinne ſtuͤnden,
So wuͤrdeſt du auch mehr als jetzt vom Ding ergruͤnden;
Wie ſchon der edelſte, den jetzt du haſt, verſtaͤrkt
Durch Kunſt, dein Auge, mehr als von Natur bemerkt.
Und gieng dir nicht villeicht ein ſechſter Sinn verloren,
Ein ſiebenter, villeicht auch wird er einſt geboren?
Weil mit den fuͤnfen doch, die dir inzwiſchen dienen,
Du unzufrieden biſt und kommſt nicht aus mit ihnen,
Weil mit den fuͤnfen du ſo wenig kanſt bezwingen
Das Ding, das du ſoſehr begehreſt zu durchdringen.
Unnuͤtze Traͤumerei! Gebrauche fein mit Fug
Die fuͤnfe, die du haſt, du haſt daran genug.
Wo ſollt' ein ſechſter Sinn herkommen oder hin?
Waͤr' es ein niedrerer, ſo waͤr' es kein Gewinn;
Dir koͤnnt' ein hoͤherer nur als dein hoͤchſter frommen,
Doch uͤber'm Auge hat den Platz der Geiſt genommen.
Wenn du es recht bedenkſt, laß ihm nur ſeinen Platz!
In ihm gefunden haſt du den vermiſſten Schatz.
Rückert, Lehrgedicht III. 3
59.
Nie der Erſcheinung ſiehſt du voͤllig auf den Grund,
Die Dinge thun ſich nur durch ihre Wirkung kund.
Erklaͤren magſt du ſie dir, wie du willſt, mein Kind,
Die Hauptſach' aber iſt: ſie brauchen, wie ſie ſind.
Du ſiehſt: damit dis Naß vom Heber fließe, muß
Laͤnger ſein aͤußrer ſeyn, kuͤrzer ſein innrer Fuß.
Dann gnuͤgt ein Mundeshauch, ſo ſteigts von ſelbſt im Rohr
Im kuͤrzeren, und fließt im laͤngeren hervor.
Warum? ob du's begreifſt, das iſt nicht von Gewicht;
Doch nimmſt du ihn verkehrt, ſo fließt der Heber nicht.
Die Dinge der Natur ſtehn unter Zauberbann,
Und der beherrſcht ſie, wer das Wort ausſprechen kann.
Es auszuſprechen gnuͤgt, ob oder nicht verſtanden;
Und ganz es zu verſtehn, iſt noch nicht Zeit vorhanden.
60.
Dem edleren Metall iſt vom unedlern immer
Ein wenig beigemiſcht, das ſchwaͤcht nicht deſſen Schimmer,
Verfaͤlſcht nicht deſſen Guß; nur daß es viel nicht ſei,
Sonſt wird zu Kupfer Gold und aus dem Silber Blei.
61.
Ein Zentner Silber, wenn darein von Gold ein Gran
Geſchmolzen worden, nimmt nur wenig Goldglanz an;
Doch haͤtteſt du damit das Silber uͤberzogen,
Es haͤtte mit dem Schein von Gold die Welt betrogen.
3*
62.
Der Maulwurf iſt nicht blind, gegeben hat ihm nur
Ein kleines Auge, wie ers brauchet, die Natur,
Mit welchem er wird ſehn ſoviel als er bedarf,
Im unterirdiſchen Palaſt, den er entwarf,
Und Staub ins Auge wird ihm deſto minder fallen,
Wenn wuͤhlend er empor wirft die gewoͤlbten Hallen.
Den Regenwurm, den er mit andern Sinnen ſucht,
Braucht er nicht zu erſpaͤhn, nicht ſchnell iſt deſſen Flucht.
Und wird in warmer Nacht er aus dem Boden ſteigen,
Auch ſeinem kleinen Stern wird ſich der Himmel zeigen;
Und ohne daß ers weiß, nimmt er mit ſich hinnieder
Auch einen Stral, und wuͤhlt vergnuͤgt im Dunkeln wieder.
63.
Den Maulwurf nennſt du blind, weil er, wenn du ans Licht
Ihn ziehſt, geblendet ſcheint, blind aber iſt er nicht.
Vielmehr es iſt ſo fein ſein Auge, daß es fuͤhlet
Das Licht im dunkeln Grund, wo er die Gaͤnge wuͤhlet.
Drum, grabend, graͤbt er ſtets, die Sonn' im Ruͤcken habend,
Am Morgen gegen Weſt, und gegen Oſt am Abend;
Der Sonne, die er doch nicht ſiehet, abgewendet,
Damit nicht in der Nacht ihr ſcharfer Glanz ihn blendet.
Mein Sohn, oft iſt von Unempfindlichkeit der Schein
Nur eine aͤußerſte Empfindlichkeit allein.
64.
Iſt dir bekannt, warum in der Gefangenſchaft
Der Elefant verliert die Stammfortpflanzungskraft?
Weil er, der luſtentbrannt im freien Wald gegangen,
Von zahmer Weibchen Liſt bethoͤrt ward und gefangen;
Die ſchmeichelnd lockten ihn und in die Mitte nahmen,
Bis ſie ins Fangbereich der Menſchen mit ihm kamen.
Aus Scham nun, daß er ſich von ihnen ließ verfuͤhren,
Laſſ' er, ſo ſagt man, nie mehr ſich von ihnen ruͤhren.
Doch andre ſagen, nicht daß er den Weibchen grolle,
Nur daß er kein Geſchlecht von Knechten zeugen wolle.
Noch andre, daß er ſei zu ſchamhaft, weil ihm fehlen
Die dunklen Waͤlder, um ſein Minneſpiel zu hehlen.
Und wieder andre, weil mit ſeinem Kriegerſtande
Es unvertraͤglich ſei, zu knuͤpfen zarte Bande.
Darum auch dieſes Heer, das ſtehnde, bald ausſtuͤrbe,
Wenn nicht Liſt und Gewalt ſtets neue Mannſchaft wuͤrbe.
65.
Sieh dieſe Muſchel, Kind, gewunden, glaͤnzendroth,
Und ſag' ob Menſchenkunſt je baute ſolch ein Boot!
Als noch der Steuermann darin, der Nautil, lebte;
Wie ſicher und gewandt durchs Meer der Nachen ſchwebte!
Schiffkuttel hieß er auch, und nie hat Schiff und Kutter
Es ihm wol gleich gethan, wenn er ſchwamm aus auf Futter.
Man ſagt, es hat von ihm der Menſch gelernt das Schiffen,
Doch hat er von der Kunſt nur einen Theil begriffen,
Und braucht dazu viel mehr Gezeug, Geraͤth, Geruͤſt,
Als unſer Nautil, der ſich ſelber Alles iſt.
Wenn eben war die Flut, und es ihm duͤnkte gut
Zu ſchiffen, ruͤſtet' er ſein Schifflein wohlgemut.
Von ſeinen Aermen, den in großer Zahl verliehnen,
Streckt' er ein Paar empor, zu Maſten ihm zu dienen.
Und zwiſchen ihnen dehnt' er aus nach rechter Regel
Ein Haͤutchen zart und fein, das ſchwoll im Wind als Segel.
Als Steuer iſt ins Meer ein andres Glied getaucht,
Und Ruder rechts und links, ſoviel er immer braucht.
Gliedmaßen blieben ihm frei immer noch genug,
Zu haſchen einen Raub auch im Voruͤberflug.
Wann aber naht ein Feind, wann droht ein Ungewitter,
Wovor ein Menſchenſchiff verzagt und geht in Splitter;
Dann zeigt weit ihre Macht ob aller Kunſt Natur:
Sich ſelbſt und ſein Geraͤth zieht ein der Kuttel nur.
Meerwaſſer nimmt er ein, nicht fuͤrchtend zu ertrinken;
Statt Untergang dient ihm zur Rettung das Verſinken.
Zum ewig ſtillen Grund verſinkt er ohne Grauſen,
Und wartet bis ſich legt der Oberflaͤche Brauſen.
Dann taucht er wieder auf im umgeſtuͤlpten Nachen,
Der Taucherglocke gleich, um nun die Fahrt zu machen.
So, lang geſegelt und geſteuert iſt ſein Schiff,
Und ſeine Ribben wund gerieben hat kein Riff.
Und als der Tod gebot dem Bootsmann doch ſein Boot
Zu raͤumen, blieb der Raum der leere glaͤnzend roth.
So iſt es dir, mein Kind, zum Spiel ans Land geſchwommen,
Und ſeine Farben ſind nach Jahren unverglommen.
66.
Der Aberglaube ſagt: Wirſt du beim Wandern ſpuͤren,
Daß dich ein irrer Geiſt bei Nacht will irre fuͤhren;
So halte dich nur mit dem rechten Fuß im Gleiſe
Des Fahrwegs fein, und ungeirrt geht deine Reiſe.
Denn auf dem Gehweg nur, nicht auf dem Fahrweg kann
Es Schaden thun, und hat Macht uͤbern Wandersmann.
In Zweifelsfaͤllen iſts und bei Bedenklichkeiten
Im Heerweg beſſer als auf eignen Pfaden ſchreiten.
67.
Sonſt ward dem Zauberer in aberglaͤubiſchen Tagen
Ein Vorderzahn des Munds ein obrer eingeſchlagen,
Der Schlange gleichſam ſo der Giftzahn ausgebrochen,
Daß kraftlos ſei das Wort, undeutlich ausgeſprochen.
Doch ſchluͤgſt du Zahn und Zahn dem Ohrenblaͤſer ein,
Sein Ohrenblaſen wird nicht minder giftig ſeyn.
68.
Ein Wandersmann, der aus der weiten Wuͤſte kam,
Wo er nicht Menſchenwort noch Menſchenblick vernahm,
Tritt in ein Felſenthal, von Baͤumen kuͤhl beſchattet,
Wo eine Quelle rauſcht, da ſetzt er ſich ermattet.
Nun ſchaut er in den Quell, und ſieht ſich ſelb darinn,
Und weiß nicht daß ers iſt, und ſchwankt in ſeinem Sinn.
Er ſchwankt, alswie er ſieht ſein Bild im Quelle ſchwanken,
Und ſinkt, wie in die Flut, in wogende Gedanken.
Dann ruft er ſtaunend aus: Wer biſt du? und mit Staunen
Hoͤrt er der Felſen Mund Wer biſt du? gegenraunen.
Durch Gegenfrage wird die Frage nicht beſchwichtet,
Doch hat die Einſamkeit nichts andres ihm berichtet.
Sich ſelb nur ſieht der Menſch im Spiegel der Natur,
Und was er ſie befragt, das widerholt ſie nur.
69.
Auf jener Wieſe, wo ſtatt Blumen Sterne ſtehn,
Wird auch ein Fruͤhlingswind, der Roſen wecket, wehn,
Und Knoſpen werden dort auch uͤber Nacht aufgehn.
Mit bloßen Augen ſiehſt du nicht in jener Ferne,
Doch mit bewaffneten, o Sohn, die Nebelſterne,
Von außen daͤmmernd noch, doch ſtralend ſchon im Kerne.
Das ſind die Knoſpen, die noch nicht ſind aufgegangen,
Die aufgegangen einſt als Roſen werden prangen.
Wann? frage nicht. Ein Tag ſchmuͤckt hier den Roſenhag,
Doch hunderttauſend Jahr ſind dort ein Fruͤhlingstag.
70.
Im Anfang war das Licht, ein goldner Aetherduft,
Der wollte anders ſeyn, und ward ſein Andres, Luft.
Die Luͤfte ſtrebten ſich mit Sehnſucht auszudehnen,
Und nieder floſſen ſie in Waſſer wie in Thraͤnen.
Das Waſſer gohr vor Luſt und zeugete den Schaum,
Da ward verdichtet Schlamm, und trug dann Gras und Baum.
Die Schlammerd' aber ſchloß ſich feſt in ſich hinein,
Und ward im Innerſten verhaͤrtet Erz und Stein.
Der Stein erregte ſich, und ſchlug hervor das Feuer,
Das ward im Tiefen bald ein Herrſcher ungeheuer.
Erſt glaubt' es ewig ſich, am Ende fiel ihm bei,
Daß es von Anfang nur das Licht geweſen ſei.
Und es beſchloß die Welt von unten auf zu treiben,
Wie Licht von oben her; ſo wird die Schoͤpfung bleiben.
71.
Nicht erſt vom Werkzeug wird Naturtrieb angehaucht,
Naturtrieb bringt hervor das Werkzeug das er braucht.
Das Voͤgelchen im Neſt will ſchon Gefieder regen,
Das nicht gewachſen iſt, und muß ſich wieder legen.
Mit ungewachſnem Horn ſiehſt du das Boͤckchen ſtoßen,
Und mit noch glatter Stirn vergebens ſich erboßen.
Das Boͤckchen fuͤhlt ſein Horn, das Voͤgelchen die Schwingen
Zum Voraus, und ihr Trieb ſucht ſie hervor zu bringen.
So ſiehſt du auch das Kind mit weicher Zunge lallen,
Eh noch das Werkzeug laͤßt vollkommne Toͤn' erſchallen,
Und ſiehſt es zum Verſuch mit ſeinen Haͤndchen langen,
Noch eh ſie ganz geſchickt es wiſſen anzufangen.
Der Geiſt gebraucht nicht, weil ſie brauchbar iſt, die Hand,
Die erſt die Brauchbarkeit, weil er ſie brauchte, fand.
Er richtet nicht im ſchon gebauten Haus ſich ein,
Von innen baut er es, und zieht nicht erſt hinein;
Wie nicht die Schnecke kriecht ins leere Schneckenhaus;
Sie woͤlbt es um ſich her und ſtreckt den Kopf heraus.
72.
Aus Aeußerm fuͤhlſt du dich und Innerem zuſammen
Geſetzt, o Menſch, die von verſchiednen Enden ſtammen.
Doch deine Aufgab' iſt, die beiden auszugleichen,
Und weder hier vom Pfad noch dorthin auszuweichen.
Zu aͤußern Inneres und Aeußres zu verinnern,
Das iſt der Dinge Recht, der aͤußern und der innern.
Zu aͤußern Inneres und Aeußres zu verinnern,
Iſt Geiſtes Aeußerung und geiſtiges Erinnern.
Sich aͤußern ſoll der Geiſt, nicht aber ſich veraͤußern;
Die innern Regungen ſind nicht ein Spiel der aͤußern.
Dein Innres uͤberwiegt dem Aeußern, das ſagt ſinnig
Die Sprache ſchon, die bei dem Innern gab ein Innig.
Drum huͤte dich, mein Sohn, je außer dich zu kommen;
Und iſts geſchehn, ſo wird in dich zu gehn dir frommen.
Aus ihrem Innern durch Naturtrieb nimmt die Flucht
Die Pflanze, bis ſie ſich erinnert in der Frucht.
Doch ganz iſt aͤußerlich geworden Stein und Erz,
Kann nicht mehr in ſich gehn, wie ein verhaͤrtet Herz.
Darum muß aͤußerlich der Stein ſich laſſen waͤlzen
Von Fluten, und das Erz von Feuergluten ſchmelzen.
Doch wem die aͤußern gleich ſind und die innern Enden,
Der iſt ein Handſchuh, nach Belieben umzuwenden,
Und hoͤchſtens ein Polyp, den es nicht im Behagen
Stoͤrt, wenn ſein Magen wird zur Haut, die Haut zum Magen.
73.
Betrachteſt du die Welt als einzig da fuͤr dich,
Biſt du ein Thier, das Thier thut ebendis fuͤr ſich.
Nur wenn du ſelbſt die Welt fuͤr ſich wirſt anerkennen,
Dich ſelbſt auch fuͤr die Welt, biſt du ein Menſch zu nennen.
74.
Die Miſtel, wenn ſie kocht fuͤr dich den Vogelleim,
Mein Sohn, ſorgt nur damit fuͤr ihren Samenkeim.
Sie kann im Boden nicht gleich andern Pflanzen wurzeln,
Nur Nahrung ſaugen aus Baumaͤſten oder Sturzeln.
Und nimmer wuͤrde ſie Nachkommenſchaft erzielen,
Wenn ihre Samen hoch vom Baum zur Erde fielen.
Dis zu verhindern iſt die Klebrigkeit beſtimmt
Dem Koͤrnchen, das in halbdurchſichtiger Beere ſchwimmt.
Das Koͤrnchen kommt im Fall hier oder dort zu kleben
An einen Zweig, und wird nicht lang unſchluͤſſig ſchweben.
Da wo es anklebt, wird's geſchwind ein Wuͤrzlein ſchlagen,
Dann treiben einen Sproß, und wieder Beeren tragen.
Viel anders aber treibt es untenher und oben
Als andre Pflanzen, die ſich frei vom Boden hoben.
Denn ſenkrecht ſenken ſie die Wurzel all nach unten,
Und gradauf oben ſteigt ihr gruͤnes Blatt zum bunten.
Die Miſtel aber muß ſich fremdem Stamm bequemen,
Wie er gewachſen iſt, danach ihr Wachsthum nehmen.
Ob oben, unten, ob ſie huͤben ſitzt ob druͤben
Am Stamm, danach muß ſie verſchiedne Kuͤnſte uͤben.
Bald abwerts, bald hinauf, bald mehr und minder ſchief
Weiß ſie die Wurzel einzuſchieben ſtark und tief,
In jeder Richtung dann den Stengel zu entfalten,
Und auch kopfunterſich die Schwebe wol zu halten.
75.
Welch eine Pflanze traͤgt im Fruͤhling ihren Samen,
Da ihre Bluͤten erſt hervor im Herbſte kamen?
Die Zeitloſ' iſt hierin der Blumen Widerſpiel,
Daß ſie am Anfang iſt, wo jene ſind am Ziel;
Daß ſie am Ziel iſt, wo am Anfang jene ſtehn;
Drum hat ſie die Natur zum Sinnbild auserſehn,
Das aus dem Herbſte, wo der Sturm das Feld erbeutet,
Den kahlen Winter durch, zum Lenz hinuͤber deutet.
Da ſie im Sommer nicht zu reifen Zeit gewann,
Und nur die Bluͤtenſpitz' im Herbſte zeigen kann;
Jenſeit des Froſtes tritt, geweckt von Fruͤhlingsluft,
Die Samenkapſel ſamt den Blaͤttern aus der Gruft.
Zeitloſe heißt ſie, weil ſie vom Geſetz der Zeit
Iſt gleichſam losgeſagt, der Ewigkeit geweiht.
76.
Sieh, wie der Dotter ſo im Weiß des Eies ſchwimmt,
Daß, wie du's drehſt, er ſtets die obre Stell' einnimmt.
Er liegt im weißen Meer geſchaukelt an zwei ſchwanker
Doch ſtarker Baͤnder Kraft, alswie ein Schiff vor Anker.
Ein Schiff, das ganz und gar aus Proviant beſteht,
Fuͤr ein Lebendiges, das aus dem Keim entſteht.
Der Keim, auf welcher Seit' im Neſt das Ei auch liegt,
Bleibt immer naͤchſt der Bruſt, die ihn durchwaͤrmt, geſchmiegt.
Er iſt nicht tief ins Ei verſenkt, um zu erſticken;
Der muͤrben Schale nah, darf nur das Huͤnlein picken.
Und hoͤrt die Mutter drin ſein Picken zart und ſchwach,
So hilft ſie außen mit dem Schnabel leiſe nach.
Wir liegen an der Bruſt der Liebe noch im Ei,
Und werden, wenn ſie hilft, von muͤrben Schalen frei.
77.
Es ſcheint alsob Natur bei jedes Thieres Bilden
Zur Hauptſach' es gemacht allein vor allen Gilden,
Die Abſicht nur gehabt, es voͤllig auszuruͤſten,
Alsob nicht neben ihm beſtehn mehr andre muͤſten.
Alswie ein Bildner wol in jedes ſeiner Werke,
Nicht denkend anderer, legt ſeine ganze Staͤrke.
Sie ſtellt dem Krokodil die Zaͤhne ſo im Rachen,
Als wollte ſie zur Beut' ihm alles Leben machen.
Die ehrnen Zacken ſtehn wie feſtgefugte Mauern,
Doch hinter jedem muß ein neuer Zahnkeim lauern.
Und wie der erſte bricht, ſo dringt der andre vor,
Der ſchaͤrfer iſt als er, und ſchließt die Luͤck' im Thor.
Und unter dieſem lauſcht ein andrer noch verborgen,
Ein andrer unter dem, kein Mangel zu beſorgen.
Und ſo nach ſeiner Art der Tiger und der Hai,
Und ebenſo bedacht viel andre mancherlei.
Bei jedem uͤbet ſie gleich unumſchraͤnkten Brauch,
Daß alle Schoͤpfung ſei nur Futter ſeinem Bauch.
Und haͤlt ſie dadurch nicht allein das Gleichgewicht,
Daß jede Spitze ſich an einer andern bricht?
Sie ſchuf die einzelnen, als diene alles ihnen,
Da ſie einander all', und all dem Ganzen dienen.
78.
Du magſt, ſoviel dir nur beliebt von Blumen, pfluͤcken,
Um dich, und wen und was du willſt, damit zu ſchmuͤcken.
Dazu ſind Blumen da, von dir gepfluͤckt zu ſeyn,
Sie laden ſelber dich dazu mit Nicken ein.
Wozu der Fruͤhling auch ſei auf der Welt erſchienen,
Fuͤr dich iſt er nun da, zum Kranze dir zu dienen.
Nur eines unterlaſſ' ich nicht dir einzuſchaͤrfen,
Daß du nichts pfluͤcken ſollſt, nur um es wegzuwerfen.
Bedenk: der ſchoͤne Strauß des Fruͤhlings bluͤht fuͤr dich;
Doch wenn du ihn nicht brauchſt, ſo laß ihn bluͤhn fuͤr ſich.
79.
Der Gaͤrtnerburſche will zu ſeines Herrn Ergetzen
Die Pflanz' aus ſchlechtem Grund in beſſern Boden ſetzen.
Da zieht er ſie heraus ganz mit dem Wurzelknollen,
Und ſchuͤttelt, daß herab die Erdentheilchen rollen.
Denn in den guten Grund, worein ſie nun ſoll kommen,
Soll aus dem ſchlechten nichts heruͤber ſeyn genommen.
Der Gaͤrtner ſiehts und ſpricht: Sei nur zu ſtrenge nicht;
Laß haͤngen, was zu feſt der Wurzel ſich verflicht.
Der gute Boden wird das ſchlechte ſchon verzehren,
Du aber wuͤrdeſt ihr die Wurzel nur verſehren.
80.
Die Menſchen wollen doch von Werken der Natur,
Was ihnen Nutzen bringt, am meiſten ruͤhmen nur;
Entweder was ſie ſelbſt zu fuͤttern dient, zu kleiden,
Doch oder wenigſtens ihr zahmes Vieh zu weiden.
Schrieb' auch ein Vogel nun einmal Naturgeſchichte;
Wie, meint ihr, lauteten vom Menſchen die Berichte?
Daß unter allem, was zu Vogelſchirm und Schutze
Geſchaffen Gott, der Menſch ſei vom geringſten Nutze;
Ja recht zum Ungemach, Verderben und Entſetzen,
Mit Raͤnken tauſendfach, Nachſtellungen und Netzen.
Und nichts ſei gut an ihm, als daß mit ſeltnem Triebe
Er Baͤume pflanze, zwar dem Vogel nicht zu Liebe,
Von denen doch alsdann ein Vogel dann und wann,
Wenn ihn der Menſch nicht ſcheucht, die Fruͤchte picken kann.
81.
Ein treuer Kampfgenoß dem Menſchen iſt das Roß,
Scheut keines Schwertes Blitz und fuͤrchtet kein Geſchoß.
So iſt ihm ohne Fehl ein Diener das Kamel,
Gehorſam beugt es ſich und hebt ſich dem Befehl.
Roß aber und Kamel ſind unter ſich in Feindſchaft,
Im Dienſt des Menſchen nur gekommen in Gemeinſchaft.
So iſt auch von Natur entzweiet Hund und Katze,
Vertragen muͤßen ſie ſich doch an Einem Platze.
Du kanſt dich gleich erfreun verſchiedenſter Geſtalten,
Lern' auseinander nur die ſtreitenden zu halten.
Dich machte die Natur zum Herren ihrer Schaͤtze,
Damit du glicheſt aus all ihre Gegenſaͤtze.
82.
Die Loͤwin gieng auf Raub, und ließ daheim zwei Jungen,
Die hatten noch kein Blut geleckt mit ihren Zungen.
Sie hatten nur die Milch der Mutterbruſt geſogen,
Und ihren Kindern war der Mutter Herz gewogen.
Sie ſchlang den blut'gen Raub nun mit zwiefacher Luſt,
Um ihrem Paar mit Milch zu fuͤllen jede Bruſt.
Doch als ſie heim nun kam, war ihr zuvorgekommen
Ein kuͤhner Jaͤger, der die Jungen weggenommen.
Die Loͤwin, wie ſie ſah ſich ihrer Brut beraubt,
Wie hat ſie mit Gebruͤll den Wald durchraſ't, durchſchnaubt!
Die Aeffin auf dem Baum (ſie hielt im Arm ein Kind)
Sah zu, und rief: Warum tobſt du ſo ungelind?
Sie ſprach: Wie ſollt' ich nicht, wenn ihre Luſt die Affen
Behalten, und ich mir die meine ſah entraffen?
Die Aeffin ſprach: Moͤg' ich ſtets meine Freude ſehn!
Dir aber iſt villeicht verdientes Leid geſchehn.
Rückert, Lehrgedicht III. 4
Sprich: wovon naͤhrſt du dich? von Fruͤchten wol und Laube? —
„Nein! meinem Stamm und Stand gemaͤß, von blut'gem Raube.“ —
Und fragteſt du erſt, die du fraßeſt, ob ſie Gatten,
Ob Eltern ſie daheim, oder ob Kinder hatten? —
Sie ſprach: Nein, Alt und Jung fraß ich ohn' Unterſcheid;
Doch das that ich, wem that die Unſchuld was zu Leid?
Die Aeffin ſprach: Zu Leid wird ſie auch nie was thun;
Der Kinder Unſchuld buͤßt die Schuld der Mutter nun.
Doch iſts ein Widerſpruch, unſchuld'ge Loͤwenbrut;
Die Milch, die ſie an dir getrunken, war ſchon Blut.
83.
Der Koͤnig Loͤwe haͤlt im Walde Mittagsruh,
Verdrießlich gehen ihm die Augen auf und zu.
Die Sorge kann er ſich nicht aus dem Sinne ſchlagen;
Den Unmuth minder noch vertraͤumen als verjagen.
Da ſieht er uͤber ſich im Baum ein Eichhorn huͤpfen,
Behaglich durchs Gezweig und unermuͤdlich ſchluͤpfen.
Er ruft hinauf: Warum trag' ich des Thierreichs Krone
Du ſitzeſt, kleines Thier, dort auf der Freiheit Throne.
Wie kommt es, daß du haſt ein Gluͤck, das mir nicht ward?
Es rief herab: Das kommt von unſrer Lebensart.
Ihr eſſet Fleiſch und Blut, und habet ſchweren Muth;
Ich eſſe Knoſp' und Frucht, und habe leichtes Blut.
Entbehrung iſt Genuß, Genuß iſt eine Buͤrde;
Herr Koͤnig, unvereint iſt leichter Sinn und Wuͤrde.
84.
Den Wald erfuͤllte laut der Loͤwe mit Gebruͤlle,
Daß mit dem blut'gen Raub er ſeinen Rachen fuͤlle;
Als unterm Raſen leiſ' ein Ameisloͤwchen ſprach:
Was jagt ſo ungeſtuͤm dem Wild der Wilde nach?
Ich ſitze ſtill im Sand, um ruhig zu verſpeiſen
Die durch den Trichter mir herrollenden Ameiſen;
4*
Und von dem magerſten Ameischen werd' ich ſatt,
Wie er vom fettſten Reh, wenn ers erjaget hat.
Mag er nun groͤßern Raub und blutigern zerreißen,
Was liegt daran, wenn wir doch beide Loͤwen heißen?
85.
Der hoͤchſten Liebe Bild, die Henne ſieh, die bruͤtet,
Wie mit der Fluͤgel Schild ſie ihre Brut behuͤtet.
Sie hat der Kuͤchlein viel, doch jedes iſt gezaͤhlt,
Und ruhig iſt ſie nicht, wenn ihr nur eines fehlt.
Verſammeln unter ſich wird ſie den ganzen Haufen,
Wie weit auch ſich von ihr die einzelnen verlaufen.
Wie angelegen laͤßt ſie ſich es ſeyn, zu locken;
Kanſt du, verlaufne Brut, dagegen dich verſtocken?
Und lockt dich nicht herbei der Mutterliebe Schrei,
So ſchrecke dich von dort mit dem Gekreiſch der Weih.
Kriech unter, und du biſt vor dem Gekreiſch geborgen,
Und fuͤr dein Futter laß der Mutter Liebe ſorgen.
86.
Mein Herz, ſieh an den Baum in ſeiner Bluͤtenpracht;
Es wird ihm gar nicht ſchwer, was ihn ſo herrlich macht.
Aus ſeinem Innern ſcheint, er braucht ſich nicht zu zwingen,
Ein Strom von Luſt und Licht und Liebe zu entſpringen.
Mit Muͤhe ringt er nicht, das Einzle zu gebaͤren;
Das Ganze lebt und wirkt, er laͤſſet es gewaͤhren.
Du ſollteſt deine Pflicht, wie er die ſeine, thun,
Dann waͤreſt du ſo licht, und biſt ſo truͤbe nun.
87.
Die Bienen wollen auch wie gute Nachbarsleute
Behandelt ſeyn, um gern mit dir zu theilen Beute.
Wenn jemand ſtirbt im Haus, muſt du's nicht nur anſagen
Den Nachbarn, ſondern auch dem Bienenſtocke klagen.
Begruͤßen muſt du ihn mit einem frommen Spruch,
Und breiten druͤberhin zugleich ein Trauertuch;
Damit ſie merken, daß nicht ihnen Heg und Pfleg
Entzogen ſei; wonicht, ſo fliegen ſie dir weg. —
Du ſprichſt: Und lehreſt du mich ſolchen Aberglauben?
Das nicht; doch will ich dir unſchuldigen erlauben.
88.
Man ſagt: der Donner rollt, wann auf unreine Geiſter
Der Luͤfte reiner grollt und wird im Kampf ihr Meiſter.
Der Blitz iſt ſein Geſchoß, geſchleudert aufs Gezuͤchte,
Das zitternd ſucht, wohin vor ſeinem Grimm es fluͤchte.
Wohin es nehmen mag die Flucht zu Schlucht und Schluft,
In jedem Schlupf erreichts der ſchnelle Geiſt der Luft.
Drum, wenn du biſt im Haus, ſteh nicht am Fenſter offen;
Sie koͤnnten ſich herein vor ihm zu retten hoffen.
Und wenn du biſt im Feld, ſteh auch nicht unterm Baum;
Dort bergen koͤnnten die Verfolgten ſich im Raum.
Nur, ſtille wo du biſt, bleib, bis ſie ausgekriegt;
Bald die unreinen hat der reine Geiſt beſiegt.
89.
Warum der Vogel Strauß ſo garviel Eier legt?
Weil er fuͤr alle ſo garwenig Sorge traͤgt.
Er legt ſie, ohn' ein Neſt zu machen, in den Sand,
Der bruͤtet ſie fuͤr ihn im heißen Sonnenbrand.
Faſt wollen ihm es gleich die Gans und Ente thun
Am Ufer, und im Feld die Wachtel und das Huhn;
Die ihr kunſtloſes Bett baun zwiſchen Schilf und Aehren,
Und ziehn mehr Junge, dan ſie koͤnnten ſelbſt ernaͤhren.
Daher die junge Brut, von Schalen halb getrennt,
Schon ihrem Futter nach ſelbſtaͤndig ſchwimmt und rennt.
Dagegen auf dem Baum der Fink, die Schwalb' am Haus,
Bringen mit viel mehr Muͤh viel wen'ger Kinder aus.
Warum? ſie baun ihr Neſt in kunſtgerechter Enge,
Das faſſet Eier nicht, noch minder Jung', in Menge.
Der Finke hats aus Moos den Zweigen eingewebt,
Die Schwalbe hats der Wand mit Moͤrtel angeklebt.
Der Finke muß gar lang mit Wuͤrmchen, die er naſcht,
Gar lang die Schwalbe mit den Muͤckchen, die ſie haſcht,
Die Kleinen fuͤttern, die nicht ſchwimmen und nicht laufen,
Und koͤnnen nichts wan ſchrein nach Freſſen und nach Saufen.
Den Eltern koſtet es der kleinen Biſſen viel,
Bis ihren Jungen waͤchſt der Flaum und dann der Kiel.
Nun erſt der Liebe Bild, die gattentreue Taube,
Die weiße zahm im Haus, die blaue wild im Laube,
Zieht, wie gepaart ſie iſt, auch nur ein Kinderpaar,
Weil ihrer Zaͤrtlichkeit mehr ganz unmoͤglich war.
Denn harte Saamen, die ſie hat kein andres Toͤpfchen
Zu kochen, weicht ſie ein in ihrem eignen Kroͤpfchen,
Und wuͤrgt das Futter, das ſie nicht fuͤr ſich verſchlungen,
Hervor und machet ſatt, ſelbſt hungrig, ihre Jungen.
Sie uͤbertrifft an Lieb' allein der Pelikan;
Wenn keine Wirklichkeit, ſo iſt es doch kein Wahn,
Vielmehr ein hohes Bild, das ewig wahr wird bleiben,
Im Herzen wohnend, wenn ſie's aus der Welt vertreiben:
Daß er voll Zaͤrtlichkeit ſich aufreißt ſeine Bruſt,
Und traͤnket ſeine Brut mit ſeinem Blut voll Luft.
Die ew'ge Mutter iſts, die alle traͤnkt und ſpeiſet,
Die dir, o Menſch, ihr Bild im Wunderſpiegel weiſet.
Groß iſt der Unterſchied vom Strauß zum Pelikan;
Die andern bleiben wo ſie ſtehn, du ringſt hinan.
90.
Der Froſch im Laub verſteht vom Wetter mehr als du,
Und gift'ge Kraͤuter kennt ehr als der Arzt die Kuh.
In allem iſt das Thier dem Menſchen uͤberlegen,
Was ſeiner Nothdurft dient auf dunklen Lebenswegen.
Des Menſchen Augen ſind darum im Einzlen blind,
Weil offen ſie allein dem Allgemeinen ſind;
Weil, was die Thierheit ſpuͤrt mit eigennuͤtz'gem Triebe,
Die Menſchheit forſchet mit uneigennuͤtz'ger Liebe.
Drum thuts ein dumpfer Sinn, verwandt mit thier'ſcher Zunft,
Im Irdiſchen zuvor der goͤttlichſten Vernunft,
Weil er nur ſeinem Zweck die Welt ſucht zu bereiten,
Doch ſie mit Liebe hegt Weltangelegenheiten.
91.
Du haſt ein Saitenſpiel, ganz rein in allen Saiten
Geſtimmt, die Melodie des Herzens zu begleiten.
Nur eine Sait' iſt dran, die, wenn du ſcharf ſie ruͤhrſt,
Gibt einen Mißton an, den du im Herzen ſpuͤrſt.
Was willſt du thun? du mußt, wenn du die ſchwachen Saiten
Nicht ganz vermeiden kanſt, daruͤber leiſ' hingleiten.
Du haſt ein liebes Herz, auch rein dir gleichgeſtimmt,
In deſſen Widerklang ſich deines ganz vernimmt.
Nur eine Sait' iſt dran, die, wenn du ſcharf ſie ruͤhrſt,
Gibt einen Mißton an, den du im Herzen ſpuͤrſt.
Willſt du dem Herzen wie dem Saitenſpiel nicht thun?
Laß die verſtimmende verſtimmte Saite ruhn.
92.
Wie, wer aus Finſternis auf einmal tritt ins Licht,
Geblendet iſt und ſieht vor lauter Sehen nicht;
Und wie hinwiederum wer aus dem vollen Stral
Des Tages ploͤtzlich tritt in voͤllig dunkeln Saal:
Das Auge ſtarrt, bis es dem Wechſel ſich gewoͤhnt,
Und mit der innern Welt die aͤußre ſich verſoͤhnt;
Bis dort das Auge lernt im Glanze ſich zu weiden,
Und hier die Gegenſtaͤnd' im Dunkel unterſcheiden:
So kann ein Menſchenherz viel Gluͤck und Ungluͤck faſſen,
Doch iſts am gluͤcklichſten in ſeiner Ruh gelaſſen;
Von Glanz geblendet nicht, noch auch von Nacht umhuͤllt,
Von ſanftgedaͤmpftem Licht Aug' und Gemuͤth erfuͤllt.
93.
Aus einem Kreiſe kanſt du nie ein Viereck machen,
Nicht aus Unendlichem die Endlichkeit der Sachen.
Doch wol im Kreiſe kanſt du dir ein Viereck denken,
Im Viereck einen Kreis, und eins ins andre ſchrenken.
So von Unendlichem iſt Endliches umfangen,
Und ſelbſt im Endlichen Unendlichs aufgegangen.
Zum Viereck iſt der Kreis erſtarrt, wenn ſeiner Speichen
Vier ſtille ſtehn und ſich die Hand durch Sennen reichen.
Das Viereck wird zum Kreis ſich runden, wenn ſich drehn
Die Speichen, und im Schwung die Sennen raſch vergehn.
Das ſtarrſte wandelt ſich, in Schwung geſetzt, zum Rade;
Des Lebens Kreis iſt rund, und Tod iſt alles Grade.
94.
Wie mangelhaft und falſch kann eines Menſchen Wiſſen
Von Himmelslaͤufen ſeyn, Mondſonnenfinſterniſſen!
Die Sterne werden durch ſein Irren irr nicht werden,
Weiß er nur ſelber was er hat zu thun auf Erden.
Und wenn er das nicht weiß; was hilft daß er die Bahn
Des Himmels kenne, die er doch nicht wandeln kan!
95.
Wenn du erkennen willſt den Ruhm in ſeiner Bloͤße,
Vergleich am Himmel ihn mit Sternen erſter Groͤße.
Die letzter Groͤße, ſind ſie etwa minder groß?
Sie ſcheinen kleiner dir durch ihre Hoͤhe bloß.
Drum laͤchle, ruͤckt man dich zum letzten Range nieder;
Und ruͤckt man dich empor zum erſten, laͤchle wieder!
96.
Zwei Augen, die getrennt im eignen Kreiſe ſtehn,
Und doch dasſelbe Ding als eins, nicht doppelt ſehn,
Sie ſind das ſchoͤnſte Bild von zweier Seelen Innung,
Die ganz zu einer macht grundeinige Geſinnung.
Den gleichen Gegenſtand ſehn alſo gleich die beiden,
Das ſie als zwei ihn gar nicht koͤnnen unterſcheiden.
Dis voͤllig gleiche Sehn hat aber zur Bedingung
Des innern Sehgewebs Durchdringung und Verſchlingung.
Anlag' und Stimmung iſt ſich ſo harmoniſch gleich,
Daß ganz unmoͤglich wird Zwieſpalt in ihrem Reich.
Und nie, wenn Krankheit nicht und Rauſch den Frieden bricht,
Kommt Doppelſichtigkeit in ihre Weltanſicht.
97.
Von allen Thieren iſt ein Nutzen anzugeben,
Auch außer jenem Zweck, dem hoͤchſten, daß ſie leben.
Denn wenn an einigen kein andrer Nutz erſchienen,
Die werden wenigſtens zur Nahrung andern dienen.
Und andere, die ganz und gar ſonſt ſchaͤdlich waͤren,
Nuͤtzen indem ſie ſich von ſchaͤdlichen ernaͤhren.
Nun koͤnnten ſagen zwar die thoͤrichten Vermeſſnen,
Entbehrlich ſeien ſamt den Freſſern die Gefreſſnen.
Doch hoͤchſte Weisheit wollt' auch denen Leben goͤnnen,
Die fuͤr nur oder durch den Tod nur leben koͤnnen.
98.
Steh fruͤh auf! fruͤh auf ſteht die Sonn' am Sommertag,
Daher ihr klarer Blick die Welt verklaͤren mag.
Am Wintermorgen ſteht ſie ſpaͤt auf, und verdroſſen
Bleibt ihr den ganzen Tag das Haupt von Dampf umfloſſen.
99.
Die Winde wechſeln wol nach jedem Himmelſtrich,
Doch Einer iſt der bleibt und iſt der Wind an ſich:
Der Oſtwind, der ſogleich die heil'gen Fluͤgel regt,
Sobald das Ungeſtuͤm der andern ſich gelegt;
Der Oſtwind, der allein, wenn andre aufgeſtoͤrt
Vom Zufall ſind, dem Gang der Sonne ſelbſt gehoͤrt;
Dem Gang des Sonnenlichts, das ſich entgegenbreitet
Der Erd' in jedem Nu, wie ſie gen Oſten ſchreitet.
Wol fuͤhleſt du von ihm den Kuß an Stirn und Wange,
Wenn windſtill iſt die Luft, bei jedem Sonnaufgange.
Den heil'gen Fruͤhhauch laß, eh einer von den vielen
Tagwinden ſich erhebt, dich ahnungsvoll umſpielen.
100.
Der Bach zum Strome ſprach: Du ſchlingſt mich ein ſo jach;
Ich dacht' ich waͤr', und fuͤhl', ich bin in dir nichts, ach!
Der Strom ſprach: Laß das Wort! zum Meere gehn wir fort,
Und wie du hier in mir, in ihm vergeh' ich dort.
101.
Du ruhſt nicht, bis den Strom, der breit durch Laͤnder ſchwillt,
Du ſchwach und ſchmal entdeckſt, wie er dem Sand entquillt.
Und meinſt du nun, der Strom ſei dieſem Quell entſproſſen,
Da ſoviel tauſend Baͤch' in ihm zuſammenfloſſen?
Du legſt nur, damit klein des Großen Urſprung ſei,
Den Namen eines Stroms dem winz'gen Rinſal bei.
102.
Vom Abhang rollt ein Stein in jedem Nu hernieder,
Von allen aber kommt zur Hoͤhe keiner wieder.
So muͤßen nach und nach die Thaͤler hoͤher werden,
Die Berge niedriger und alles flach auf Erden.
Doch ſcheinen innerlich die Berge nachzuſprießen,
Alswie die Waſſer, die aus ihnen ſich ergießen.
Und ewig bleibt die Welt in ihrem Gleichgewicht;
Du fuͤhle, wer ſie haͤlt, und zittre fuͤr ſie nicht!
103.
Sieh an den Edelſtein, wie feſt in ſich geſchloſſen,
Wie undurchdringlich, ganz aus Einem Stuͤck gegoſſen!
Von fremdem Einfluß doch erwehret er ſich nicht,
Den undurchdringlichen durchdringet Waͤrm' und Licht.
Und ſeine Farbe ſelbſt, die er hat eingeſogen
Mit ſeiner Art, iſt doch von Wechſel angeflogen.
Bald blitzt er feuriger, wie er bald matter ſchmachtet,
Und ſchillert anders, wie man anders ihn betrachtet.
Ein leichtes Woͤlkchen, das in ſeiner Helle ſchwimmt,
Veraͤndert ſelbſt den Platz, daß es dich Wunder nimmt.
Nicht Wunder nehm' es dich, doch eine Lehre nim
Vom Edelſtein, wenn du an Veſte gleicheſt ihm.
Es kann kein Herz ſo ſtarr ſich in ſich ſelber ſchließen,
Das nicht ein Mitgefuͤhl der Welt wird doch durchfließen.
Biſt du ſo hart wie er, ſei auch wie er ſo rein,
Und ſchmuͤcke Gottes Welt nur auch als Edelſtein.
104.
Sieh, wie das Raͤuplein auf dem ſchwanken Blatte geht,
Das Koͤpfchen her und hin nach ſeinem Futter dreht!
Wenn es ein Hauch beruͤhrt, wenn einen Feind es ſpuͤrt,
Schnell wirfts ein Seil aus, das es immer bei ſich fuͤhrt.
Aus ſeinem Leibe ſpinnt es ſelber ſich das Seil,
Wo's Noth thut, und daran haͤngt ſeines Lebens Heil.
Am Seile ſelbſtgewebt, ſieh, wie's hernieder ſchwebt,
Ohne zu fallen haͤngt, und wieder ſich erhebt!
Was ſein Beduͤrfnis heiſcht zur Sicherheit und Nahrung,
Hat es ſein Trieb gelehrt, nicht Kunſt und nicht Erfahrung.
Haͤtt' einen ſolchen Strick in jedem Augenblick
Der Taͤnzer auf dem Seil', nie braͤch' er ſein Genick.
Wol wandelt wie die Raup' auch er auf ſchwankem Steig,
Und in den Luͤften ſucht er ſeinen Nahrungszweig.
Doch treibt der Vorwitz ihn, das Raͤupchen die Natur,
Drum ſchwebt er in Gefahr, und es iſt ſicher nur.
105.
Nicht von der Sprache will ich ſprechen, noch vom Licht
Des Himmels, welches aus des Menſchen Auge ſpricht;
Noch will ich ſprechen von der ſprechenden Geberde,
Der herrſchenden, die ſich weiß unterthan die Erde;
Bezeichnen will ich dir vier kleinre Menſchheitszeichen,
Laͤcheln und Weinen nur, Erroͤthen und Erbleichen.
Ein fluͤcht'ger Sonnenblick, ein Thau aus Wolken ſpruͤhend,
Ein leiſes Morgenroth anglimmend und verbluͤhend.
Von Farben der Natur an Erd' und Himmelsflur
Verblieb im Angeſicht des Menſchen nur die Spur.
Die Farben ſelber ſind der niedern Welt gewaͤhrt,
In ſeinem Angeſicht ſind ſie zu Duft verklaͤrt.
Der Himmel ſelber hat ihm aufgedruͤckt die Zeichen,
Laͤcheln und Weinen und Erroͤthen und Erbleichen.
Drum ſtehen dieſe vier nicht in des Menſchen Macht;
Kein rechter Menſch iſt, wer weint wenn er will und lacht.
Und wer nicht, weil er will, erbleicht mehr und erroͤthet,
Der hat die Menſchlichkeit mit Meuchelkunſt getoͤdtet;
Der hat zerriſſen ſelbſt mit thoͤrichtem Verrath
Sein adliches Diplom, ein ſchlechter Diplomat.
Heiß' er ein Weiſer nur, beherrſchend die Natur,
Sich und die Welt, er iſt ein großer Affe nur;
Statt laͤcheln grinſen kann der Aff, ſtatt weinen heulen,
Zeigt ſtatt Erbleichen und Erroͤthen farbige Beulen.
106.
Kennſt du den Boten nicht, der dir allein Bericht
Von hoͤhern Welten bringt? Der Bote heißet Licht.
Was iſt vor ihm der Schall? ein ungeſtuͤmer Prall,
Der hoͤchſtens niederkommt vom niedern Wolkenwall.
Was iſt vor ihm der Wind? ein wetterwendiſch Kind,
Das uͤber Land und Meer faͤhrt ſtuͤrmiſch oder lind.
Was iſt vor ihm der Duft? ein weicher Gruß der Luft,
Der deine Sehnſucht nur ins Unbeſtimmte ruft.
Hat Schall, Wind oder Duft vom Hoͤchſten dir geſprochen?
Haſt du das Ewige gehoͤrt, gefuͤhlt, gerochen?
Das Licht nur ſteiget dir aus hoͤchſten Sfaͤren nieder,
Und ſteigt mit deinem Blick zu hoͤchſten Sfaͤren wieder.
Folge nur ſeiner Spur! Verſtaͤndeſt du es nur,
Und unverſtanden waͤr dir nichts in der Natur.
Schon hat der Aſtronom vom Lichte dort gelernt,
Wie weit am Himmelsdom die Kuppeln ſtehn entfernt.
Er hat von ihm gelernt die Groͤßen und die Bahnen,
Die Maße meſſen und die Eigenſchaften ahnen.
Weißt du, wieviel Geſtalt der Vielgeſtaltige traͤgt,
Der Mittler, wie und wo er ſich ins Mittel ſchlaͤgt?
Er ſelbſt iſt wol der Duft, er ſelbſt iſt wol die Luft,
Er ſelbſt iſt wol der Schall, den er ins Leben ruft.
Hier ſiehſt du unvermerkt in Waͤrm' ihn ſich verlieren,
In Spiel der Farben dort, die ſeine Saͤume zieren.
Der hier des Fruͤhlings Schein, dort Kern von Holz und Stein
Wird im Magnet der Zug und Gegenzug auch ſeyn;
Wird ſchlagen hier als Puls, und dort elektriſch blitzen,
Und ſich in alles zu verwandeln Kraft beſitzen.
Du kanſt nicht zweifeln, Geiſt, es ſei ein großer Geiſt;
Die Frag' iſt was zu ihm du im Verhaͤltnis ſeiſt.
107.
Die Sterne leuchten auch am Tag, nur ſiehſt du's nicht,
Weil deine Augen ganz erfuͤllet Sonnenlicht.
Doch wird geſagt, daß man am helleſten Mittag
Aus tiefem Brunnengrund die Sterne ſehen mag.
Wer ſo ſich ganz vertieft, der hat ſich ganz erhoben,
Ihm leuchtet hoͤhres Licht als von der Sonne droben.
Auch ſah ich ſelbſt am Tag die Sterne treten vor,
Als durch Verfinſterung die Sonn' ihr Licht verlor.
Das iſt ein ploͤtzliches eingreifendes Geſchick,
Das aufthut dem Gemuͤth ins Ewige den Blick.
Doch der gelinde Weg, wie man am ſchoͤnſten ſieht
Die Stern', iſt Nachts wann ſich zuruͤck die Sonne zieht.
Sie troͤſten in der Nacht dein Auge, wenn es wacht,
Und wachen, wenn es ſchlaͤft, bis neu die Sonne lacht.
Rückert, Lehrgedicht III. 5
108.
Was Waͤrme ſchnell annimmt, laͤßt ſchnell ſie wieder fahren;
Was ſie nimmt langſam an, wird lange ſie bewahren.
Das gilt vom Menſchenſinn alswie von Holz und Stein;
Ein leicht erwaͤrmter Freund wird leicht erkaͤltet ſeyn.
Was ſchiltſt du ihn? Er iſt ein guter Waͤrmeleiter;
Was er von dir empfieng, gibt er an andre weiter.
109.
Licht iſt auch ohne Waͤrm', und Waͤrm' auch ohne Licht,
Doch ohne Licht zugleich und Waͤrm' iſt Feuer nicht;
(Gemaltes abgezaͤhlt) drum wird das Feuer ſeyn,
Was Licht und Waͤrm' auch ſei, von beiden der Verein:
Ein Geiſt, in dem vermaͤhlt Verſtand iſt und Gefuͤhl,
Des Innigkeit nicht dumpf, und Klarheit nicht iſt kuͤhl.
110.
Die Klarheit, die man lobt am Waſſer, am Kriſtall,
Am Edelſtein iſt doch ein Fehl in einem Fall:
Sie deutet, daß im Ei kein Keim des Lebens ſei;
Erhalte nur dein Herz von ſolcher Klarheit frei.
111.
Nicht alles in der Welt kanſt du geſehen haben;
Annehmen mußt du viel, was dir nur Worte gaben.
Doch dem Gehoͤrten iſt Anſchaulichkeit verliehn,
Wenn du es weißt auf ein Geſehnes zu beziehn.
5*
112.
Such immer was du machſt, zu machen beſſer immer,
Doch halte drum, was du gemacht haſt, nicht fuͤr ſchlimmer.
Der dunkeln Wurzel mag die lichte Bluͤt' entſtammen,
Sie hat darum kein Recht die Wurzel zu verdammen.
113.
Doch keine Aufgab' hat die Baumfrucht, als zu reifen;
Mit Luſt wird ſie dazu die Sommerglut ergreifen.
Doch wann die Todesglut ſie nun in ſich geſogen,
Und fallen ſoll vom Zweig, der ſie ſolang gepflogen;
Mit neuer Lebensluſt will ſie den Zweig umfangen,
Zu ſpaͤt! was reif iſt, faͤllt, unreifes nur bleibt hangen.
114.
Am Fenſter taͤglich ſiehſt du an dein Blumenſtoͤckchen,
Doch ſcheinſt du anzuſehn nur die gewelkten Gloͤckchen,
Nicht die noch bluͤhenden, und die erſt bluͤhen ſollen,
Die an die Stelle der gewelkten treten wollen.
O Unzufriedenheit, die ihre Schaͤtze zaͤhlt,
Zu ſehn nicht was ſie hat, zu ſehn nur was ihr fehlt.
VIII.
1.
Ich glaube nicht, daß ich viel eignes neues lehre,
Noch durch mein Scherflein Witz den Schatz der Weisheit mehre.
Doch denk' ich von der Muͤh mir zweierlei Gewinn;
Einmal, daß ich nun ſelbſt an Einſicht weiter bin;
Sodann, daß doch dadurch an manchen Mann wird kommen
Manches, wovon er ſonſt gar haͤtte nichts vernommen.
Und auch der dritte Grund ſcheint werth nicht des Gelaͤchters:
Daß, wer dis Buͤchlein liſt, derweil doch liſt kein ſchlechters.
2.
Vom niedern Huͤgel ſah ich auf mein Heimatsthal,
Und alles lag vor mir verklaͤrt im Sonnenſtral.
Ich ſah das Einzelſte mit Liebesblick, das kleinſte,
Und jeder Unterſchied ward mir vertraut, der feinſte.
Ich ſah mich ſatt daran, viel liebe lange Stunden;
Dann ſtieg ich hoͤher an, als jene Luſt geſchwunden.
Ich ſtieg auf einen Berg, der ſich vor mir erhoben;
Und wieder auf mein Thal ſchau' ich herab von oben.
Es iſt daſſelbe noch, und iſt ein andres doch,
Ich ſeh es ganz, und ſeh dazu viel andres noch
Nun laben will ich mich am neuen Blick mit Schweigen,
Und eine Stufe dann vielleicht noch hoͤher ſteigen.
3.
Weltweisheit lehr' ich dich, nicht Weisheit dieſer Welt,
Doch Weisheit, die zu gut nicht fuͤr die Welt ſich haͤlt;
Weltweisheit, die die Welt in allen Lebensweiſen
Dir zur Belehrung will, zur Unterhaltung weiſen;
Weltweisheit, die nicht ſich beweiſen will der Welt,
Noch in Beweiſen vor der Welt ſich wohlgefaͤllt;
Weltweisheit, in der Welt Wegweiſerdienſt erweiſend,
Mild unterweiſend hier, dort ſtreng, wo's gilt, verweiſend.
4.
Welt auszuſprechen, welch ein Stuͤck der Welt es ſei,
Tief oder hoch, groß oder klein, iſt einerlei
Dem dichtriſchen Beruf; es iſt zu ſeinem Gluͤck
Die ganze große Welt in jedem kleinen Stuͤck.
5.
Die Welt hat ſolche Schaͤtz' im Innern aufgethan,
Daß ſie der Dichtkunſt Form nun nicht mehr faſſen kan;
Wie ſonſt die Dichtkunſt wol, was iſt und war, umfaßte,
Als noch ihr Maß mit dem der Welt zuſammen paßte.
Doch nun begnuͤgt ſie ſich, was ſie nicht auszubeuten
Vermag, mit fluͤcht'gem Schlag der Wunſchruth' anzudeuten.
Wenn auch den Vollgehalt die Form nicht in ſich haͤlt,
Doch im Bewußtſeyn ruht die Fuͤlle dieſer Welt.
6.
In ſchoͤne Leiblichkeit Gedanken eingebaͤren,
Und in Gedankenduft ein leibliches verklaͤren,
Iſt beides Poeſie nach zwei verſchiednen Seiten;
Der mag auf dieſer Bahn, und der auf jener ſchreiten.
Das Hoͤchſte doch gelingt, Vollkommenſtes entſpringt,
Wo ganz, urſpruͤnglich eins, ſich beides rein durchdringt.
7.
In einer Hoͤle hochgewoͤlbt und tiefgegraben
Sind traͤge Wohner, die dort feſte Sitze haben.
Wie angefeſſelt ſind ſie an dem Sitz von Stein,
Und ſitzen auswerts nicht gewendet, ſondern ein.
In ihrem Ruͤcken iſt von oben eine Kluft
Geſprengt, durch welche dringt des Himmels Licht und Luft.
Vor ihrem Angeſicht der Hoͤle finſtre Wand
Dient ihrem Augenmerk zum einz'gen Gegenſtand.
Sie halten zugewandt den Ruͤcken jenem Licht,
Und nur auf dieſe Wand gewendet ihr Geſicht.
Was werden ſie da ſehn? die Schatten, die entſtehn
Der Dinge, die vorbei in ihrem Ruͤcken gehn;
Die Schatten, welche wirft der Sonne Glanz vom Ruͤcken,
Um auch mit einem Bild das dunkle Haus zu ſchmuͤcken.
Die Leute drinnen ſehn die Dinge nicht, und halten
Das Schattenbild davon fuͤr wirkliche Geſtalten.
Sie freuen maͤßig ſich am bunten Schattenſpiel,
Und wiſſen doch davon den Grund nicht noch das Ziel.
Nun aber iſt ein Geiſt zu einem hergekommen,
Der hat die Feſſeln ihm, die Traͤgheit abgenommen.
Geblieben ſind geſchnuͤrt die andern unberuͤhrt,
Ihn aber hat der Geiſt befreiet und entfuͤhrt.
Sein Angeſicht zum Licht wandt' er mit ſchneller Wendung,
Da traf ſein Angeſicht vom Licht zuerſt die Blendung.
Doch aufwerts zog er ihn die hehre ſchwere Kluft,
Und ihm entgegen kam zur Staͤrkung Himmelsluft.
Und als er draußen war, erſtaunt' er nicht geringe,
Daß er nun offenbar ſtatt Schatten ſah die Dinge.
Sein Auge war noch ſchwach fuͤr die Gewalt des Schoͤnen,
Er mußte nach und nach ſich an den Glanz gewoͤhnen.
Er ſah der Sonne Bild zuerſt im Spiegelteich;
Sie war noch nicht ſie ſelbſt, doch ſchon ſich ſelber gleich.
Dann aber konnt' er ihr ins Auge blicken frei,
Beſeligt, daß ihr Blick in ſeinem Auge ſei.
Nun aber durchs Geſchick iſt er zuruͤckgekommen
Zur Hoͤl', und hat den Sitz dort wieder eingenommen.
Dort ſitzen noch, die ſich am Schattenbild erbaun,
Denſelben wollt' er nun, was er geſchaut, vertraun.
Viel Muͤhe gab er ſich, in Bildern zu erklaͤren,
Daß dis die Bilder nur, und nicht die Dinge waͤren.
Doch ſie verſtanden's nicht, und glaubten's nicht, und lachten,
Und fuhren ruhig fort die Schatten zu betrachten.
8.
Nach Gottes Weſenheit iſt gar nicht dein Beruf
Zu forſchen; forſche du nach Weſen die er ſchuf.
Den Unerſchaffnen kanſt, Geſchaffner, du nicht denken,
Doch mit der Schoͤpfung Glanz im Schoͤpfer dich verſenken.
9.
Die Muͤcke, wenn ſie daͤcht' und ſpraͤch', o Menſch, wie du;
Dem Hoͤchſten legte ſie wol ihre Fluͤgel zu:
„Wie ſollte ſeinem Bild mein Schoͤpfer mir nicht gleichen?
Dem, was er ſchuf, wird er nicht an Vollendung weichen.
Drum muͤckenaͤhnlich, nur vollkommner wird er ſeyn;
Wie waͤr' er Gott, wenn er nicht haͤtte Fluͤgelein?“
10.
Zur Gotterkentnis ſind die Thiere nicht erſchaffen,
Du unterſcheideſt dich durch ſie, o Menſch, vom Affen.
Ohne ſie ſtehſt du nicht mit ihm auf gleichen Stufen,
Sondern auf niederern, weil hoͤhern zuberufen.
Denn Trank und Speiſ' und Schlaf und ſinnliche Begier,
Die voͤllig ihm genuͤgt, genuͤgt nie voͤllig dir.
Du haͤltſt ein Hoͤheres dir im Bewußtſein vor,
Und biſt nicht du, wo du nicht ewig ringſt empor.
11.
Wie koͤnnte Denken denn und Seyn verſchieden ſeyn?
Was in dir denket, iſt; dein Denken iſt dein Seyn.
Seyn, das nicht Denken iſt, hat nur ſich ſelbſt verloren,
Und wird im Denken erſt zu ſich zuruͤck geboren.
Das iſt, der die Natur verklaͤren ſoll, der Geiſt;
Dein Leben iſt, daß du in ihm lebendig ſeiſt.
12.
Sie narren dich herum, um dir in Raͤthſelworten
Zu ſagen, was du laͤngſt gehoͤrt an andern Orten.
Wo es verſtaͤndlich klang, beachteteſt du's nie,
Das Unverſtandne nun nennſt du Philoſophie.
13.
Der Erde kann der Menſch, an der er hangt, entbehren
Noch eher als des Zugs zum Himmel ſich erwehren.
Die Pflanze ſelber koͤnnt' ehr in den Luͤften ſchweben
Mit ihren Wurzeln, als den Trieb nach Licht aufgeben.
Um aber zu gedeihn, muß ſie im Boden ſtehn,
Und nach der Sonne Schein ſich mit dem Wipfel drehn.
14.
Von Zeit und Raum iſt viel zu hoͤren und zu leſen,
Als ſeien beide gleich, und ſtets zugleich geweſen.
Doch eher iſt die Zeit geweſen als der Raum,
Wie Wachsthum eher war als der gewachſne Baum.
Entſtanden war die Zeit ſobald als Geiſter dachten,
Der Raum erſt als ſich breit darinnen Koͤrper machten.
Und mit den Koͤrpern wird der Raum zuſammenfallen,
Doch mit den Geiſtern erſt die Zeit in Gott entwallen.
15.
Du biſt kein Tropfe der im Ozean verſchwimmt,
Du fuͤhleſt dich als Geiſt auf ewig ſelbſt beſtimmt.
Vom hoͤchſten Geiſte fuͤhlſt du dich nicht zur Verſchwimmung
Im hoͤchſten Geiſt beſtimmt, ſondern zur Selbſtbeſtimmung.
16.
Du mußt dein dunkles Selbſt zum hellen Selbſt erweitern;
Nur die Verſchloſſenheit iſt in Gefahr zu ſcheitern.
Dem Ich, dem Schifflein, ſteht Nicht-Ich, die Klipp' entgegen,
Und der Nothwendigkeit iſt Freiheit unterlegen.
Doch ſchließ in Gott dich auf, und fuͤhl' dich unbezwinglich,
Vom Alldurchdringenden durchdrungen undurchdringlich.
Das Nicht-Ich war dein Feind; nun ſieh, Nichts iſt als Ich!
Worin denn fuͤrchteteſt du zu verlieren dich!
17.
Ich will auch meinen Leib zuruͤck vom Staube fodern;
Denn nicht ein Staͤubchen des, was mein iſt, ſoll vermodern.
Was ich als ein Gewand hab' abgelegt im Grabe,
Anzieh' ichs wieder, wann ich ausgeſchlafen habe.
Es wird das alte Kleid, und doch ein neues ſeyn;
Die Mutter in der Nacht wuſch es dem Kinde rein.
18.
Der Zweifel, ob der Menſch das Hoͤchſte denken kann,
Verſchwindet, wenn du recht dein Denken ſieheſt an.
Wer denkt in deinem Geiſt? der hoͤchſte Geiſt allein.
Wer zweifelt, ob er ſelbſt ſich denkbar moͤchte ſeyn?
In den Gedanken mußt du die Gedanken ſenken:
Nur weil Gott in dir denkt, vermagſt du Gott zu denken.
19.
Nicht iſt das Seyn zuerſt und wird nachher gedacht,
Vielmehr vom Denken erſt wird Seyn hervorgebracht.
Des Denkens Vorrang vor dem Seyn iſt darin kund:
Des Schoͤpfers Denken iſt der Schoͤpfung innrer Grund.
Gott denkt ſich ſelbſt, und iſt; er denkt, ſo iſt die Welt,
Und ſein Gedank' iſt das, was ſie im Seyn erhaͤlt.
Gott denkt ſich ſelbſt, und iſt; du denkſt dich ſelbſt und biſt,
Biſt ewig wie Gott ſelbſt, weil er dein Denken iſt.
Wie koͤnnte je dein Seyn im Denken untergehn,
Da es das iſt woraus muß ewig Seyn entſtehn?
Wer ſagt, daß ſich der Quell in ſeinem Strom verliert,
Da ewig er vielmehr aus ſich den Strom gebiert?
20.
Der Tod iſt jedenfalls ein wicht'ger Augenblick;
Und wie man ſtirbt, daran haͤngt etwas vom Geſchick.
Gelingt doch jeder Schritt, den man im Leben ſchreitet,
Je minder oder mehr man iſt dazu bereitet.
So wird beim letzten auch es nicht gleichguͤltig ſeyn,
Mit welcher Faſſung man hier austritt und dort ein.
Gewis iſt foͤrderlich und wuͤnſchenswerth Beſinnung
Hier zur Beendigung und druͤben zur Beginnung.
21.
Was ſagt Bewußtſeyn aus? es ſagt Bewußt und Seyn;
Von Seyn und Wiſſen iſt es alſo der Verein.
Von beider welchem ward nun welches angenommen?
Iſt Wiſſen hin zum Seyn, zum Wiſſen Seyn gekommen?
Das Wiſſen ſteht zuerſt, es ſteht das Seyn zuletzt,
Das Wiſſen alſo iſt dem Seyn vorausgeſetzt.
Jawohl iſt meinem Seyn vorausgeſetzt ein Wiſſen,
Ein Wiſſen, welchem nie mein Seyn kann ſeyn entriſſen.
Ich bin von Gott gewußt, und bin dadurch allein;
Mein Selbſtbewußtſeyn iſt, von Gott gewußt zu ſeyn.
Ich war nicht mein bewußt, und war nicht dein bewußt,
O Gott, und war es doch, denn du warſt mein bewußt.
Bewußtſeyn aber weiß nicht um ſich ſelbſt allein,
Es weiß auch um die Welt, das wird es gleich entzwein.
Doch die Verſoͤhnung iſt dem Streit ſchon eingewoben,
Da ich die Welt und mich in Gott weiß aufgehoben.
Nicht aufgehoben, wie ſich Ja und Nein aufhebt;
Emporgehoben, wie zur Sonn' ein Adler ſchwebt.
Im Gottbewußtſeyn geht nicht mein Bewußtſeyn aus;
Eingeht es wie ein Kind in ſeines Vaters Haus.
22.
Du denkeſt fort und fort, dein Denken iſt ein Schaffen,
Und deine Denkkraft hat zu fuͤrchten kein Erſchlaffen.
Was du einmal gedacht, das kanſt du nie vergeſſen;
Was du geſchaffen, ſtets erinnerſt du dich deſſen.
Indem du meiner dich erinnerſt, haſt du mich
Im Innern ewig, und im Innern hab' ich dich.
Vergiß mich, Welt! ich weiß, daß Er ſich mein erinnert;
Und ſterb' ich außen dir, leb' ich in ihm verinnert.
23.
Weil nicht ein großer Fuͤrſt im weiten Laͤnderbann
In alles Einzelne ſich miſchen ſoll und kann;
So meineſt du, daß Gott auch nur das Allgemeine
Der Welt geordnet hab', und walte nicht ins Kleine.
Doch macht ja wohl ein Fuͤrſt auch durch ſein Land die Fahrt,
Eingreifend hier und dort mit eigner Gegenwart.
Und waͤr' Allgegenwart, wie Gott, auch ihm verliehn,
So braucht' er nicht die Fahrt, und alles fuͤhr' um ihn.
Allgegenwaͤrtig iſt Gott in den Welten nicht
Sowohl als ſie vielmehr es ſind in ſeinem Licht.
Er ſelber iſt darum das Groͤſte Allgemeinſte,
Weil in ihm alles iſt das Einzelſte, das Kleinſte.
24.
Die Erde hat ein Recht, ſich ſelber anzuſehn
Als Mittelpunkt, um den ſich alle Himmel drehn.
Unſchuldig uͤbte ſie dis Recht ſeit alten Zeiten,
Und die Aufklaͤrung auch ſoll es ihr nicht beſtreiten.
Zur Einſicht kam ſie zwar, daß ſie nur ſei ein Theil
Vom Ganzen, und auf ſie nicht eingeſchraͤnkt das Heil.
Rückert, Lehrgedicht III. 6
Fuͤrs Ganze laͤſſet ſie den Geiſt des Ganzen ſorgen,
Begnuͤgt, daß ſie ſich fuͤhlt an ihrem Theil geborgen.
Sie fuͤhlet feſt ſich ſtehn, und ſieht den Himmel drehn;
Was kann vereintem Sehn und Fuͤhlen widerſtehn?
Die Sonne ſcheint fuͤr ſie am Tag, und in der Nacht
Schmuͤckt ihr das Himmelbett der Sterne goldne Pracht.
Der Geiſt ſteigt wie das Licht zu ihr im Traume nieder,
Und ihr Gedanke ſteigt empor und ihre Lieder.
Es iſt der Augenſchein, kein Schein, was ihr erſchienen;
Sie dienet Gott, und weiß, daß ihr die Himmel dienen.
Und dienen ſie ihr nicht? Es haͤngt in dieſem Tanze
Am Ganzen wol das Glied, doch auch am Glied das Ganze.
O wunderbarer Bau, o Herr des Baus und Meiſter!
Dein Grundſtein biſt du ſelbſt, Grundpfeiler deiner Geiſter.
Du biſt der Architekt, du biſt der Architrab,
Der Koͤnig, der ſich ſelbſt den Koͤnigsbau aufgab.
So groß, vollkommen, ſchoͤn iſt dein Palaſt, die Welt,
Daß jeder Winkel ſich fuͤr deinen Thronſaal haͤlt.
25.
Zu jeder Stund' iſt dir, was du bedarfſt gereicht;
Ergreif es nur, daß es nicht ungenutzt entweicht.
Erkenne immermehr allſehender Vorſicht Walten
In dem, was Bloͤdere fuͤr blinden Zufall halten.
26.
Der Meiſter, als er war geſtorben, iſt erſchienen
Dem Juͤnger in der Nacht mit ſonnenhellen Mienen.
Meiſter, wie ſtraleſt du! von wannen iſt dein Licht?
Er ſprach: von wannen als von Gottes Angeſicht! —
Und haſt du und wodurch den Zutritt dort erlangt?
Er ſprach: dadurch weil ich nach andrem nicht verlangt.
Ich ward von Glanz zu Glanz die Himmel durch gefuͤhrt,
Voruͤber aber gieng ich allem ungeruͤhrt.
6*
Ich ward gefragt: Was hat vor allem dir gefallen?
Ich aber ſagte: Nichts gefaͤllt mir von dem allen.
Da rief der Herr: So fuͤhrt ihn nur zu mir herein!
Er ſei bei mir, weil er will nirgend anders ſeyn.
Und haͤtte draußen dir genuͤgt ein ander Licht,
So haͤtt' ich dir's verliehn, und zu mir kamſt du nicht.
27.
Sobald dem Menſchen wir die Freiheit zugeſtehn,
Scheints um die goͤttliche Allwiſſenheit geſchehn.
Denn wenn die Gottheit weiß, wohin mein Thun ſich lenkt,
So bin ich ja zu thun gezwungen, wie ſie denkt.
Der alte Meiſter ſprach: das ſei nur als ein Zeichen
Euch angefuͤhrt, wie weit des Menſchen Kraͤfte reichen,
Und daß ſein ſchwacher Witz ſich laſſe nicht verfuͤhren,
An unbegreifliche Geheimniſſe zu ruͤhren.
28.
Der alte Meiſter ſprach: Laß kuͤrzlich dir entfalten,
Woran im Forſchen du, im Wirken dich ſollſt halten.
Ein Unzugaͤngliches gibt es in der Natur,
Und ein Zugaͤngliches; die unterſcheide nur!
Wer nicht zu ſcheiden weiß, der quaͤlt ſich lebenslaͤnglich
Am Unzugaͤnglichen, und macht es nie zugaͤnglich.
Doch wer es weiß, wird ans Zugaͤngliche ſich halten,
Und frei auf feſtem Grund nach allen Seiten walten.
Ja ſelbſt auf dieſem Weg, dem unverfaͤnglichen,
Wird er von ferne nahn dem Unzugaͤnglichen;
29.
Vier Dinge ſind zugleich unendlich weit und ſchmal,
Unendlich groß und klein: Zeit, Raum, Bewegung, Zahl.
Du kanſt die groͤſte Zahl vergroͤßern immer doch,
Du kanſt die kleinſte Zahl verkleinern immer noch.
So kanſt du jeden Raum erweitern und verengern,
So kanſt du jede Zeit verkuͤrzen und verlaͤngern.
Und ſo verlangſamen kanſt du und vergeſchwindern
Jede Bewegung auch, vermehren und vermindern.
So haben dieſe vier, Zahl, Raum, Bewegung, Zeit,
Nach beiden Seiten hin zwiefach Unendlichkeit.
Und wie ſie wechſelnd ſich verbinden und bedingen,
Siehſt du unendliche Verhaͤltniſſe entſpringen.
Doch unerſchuͤtterlich auf den vier Pfeilern ſteht
Der Mathematik Bau in kalter Majeſtaͤt.
Dieſelbe Grundlag' haͤlt und traͤgt den Bau der Welt;
Wo aber iſt der Geiſt, der ſelbſt ſie traͤgt und haͤlt?
30.
Wie oft geſchieht's, daß ich ein Dunkles mir erklaͤre
Durch etwas andres, das an ſich noch dunkler waͤre.
Doch weil der Forſchung Blick ruht auf der dunklen Stelle,
Erſcheint im Gegenſatz ihm jede andre helle.
Gelang' ich dorthin nun, ſo iſt das Raͤthſel dort,
Das Unerklaͤrliche ruͤckt mit der Forſchung fort.
Und unverſehns mach' ich dis neue Dunkel klar
Durch jenes alte, das erſt zu erklaͤren war.
Es ſcheint, kein Ausgang iſt aus dieſem Zauberkreiſe,
Sobald der Geiſt ſich will einlaſſen auf Beweiſe.
31.
Gott iſt ein Denkender, ſonſt waͤr ich uͤber ihn,
Ich aber denke, daß ich unter ihm nur bin.
Gott iſt ein Wollender, ſonſt haͤtt' ich mehr als er,
Mein Wollen aber kommt von ſeinem Wollen her.
Mit deinem Denken ſei, mit deinem Wollen ſtill
Vor ſeinem, liebes Herz! er denkt in dir und will.
32.
Wenn du ein bergiges Gelaͤnde ſteigſt empor;
Als ſteigeſt du hinab, kommt dirs zuweilen vor.
Denn bis von einer Hoͤh zur andern wird geſtiegen,
Gehts uͤber Senkungen, die zwiſchen beiden liegen.
Und eh nicht, als erreicht der andre Gipfel iſt,
Erkenneſt du, daß du geſtiegen wirklich biſt.
Die Ausſicht, ſchon zuvor gewonnen, dann geſchwunden,
Hat wieder nun, und zwar erweitert, ſich gefunden.
Doch auch zur Niederung wo du dich ſchienſt zu neigen,
In Wahrheit warſt du dort begriffen ſchon im Steigen,
Nur niedrer im Bezug auf das woher du kameſt,
Hoͤher an ſich, weil du den Weg zur Hoͤhe nahmeſt.
Es iſt naturgemaͤß der Weg, o geh ihn nur!
Selbſt keinen andern iſt gegangen die Natur,
Als ſie mit Bildnertrieb und ſchoͤpferiſchem Witze
Durchs Reich der Formen klomm von Spitz' empor zu Spitze.
Sie konnte nicht umhin, in ihrem Vorwertsſtreben
Sich hier zu ſenken, um dort wieder ſich zu heben.
Sie hatte ſich vom Gras mit windgeknicktem Halme
Emporgehoben ſchon zum ſtolzen Schaft der Palme.
Dann hat ſie ſich bequemt und ſich herabgelaſſen,
Mit Bildungen von Kraut und Strauch ſich zu befaſſen.
Sie dacht' an Palmen nicht zuruͤck beim niedern Strauch,
Sie dachte vorwerts an der Roſe Liebeshauch.
Und als ſie hingelangt zum Goͤtterbild der Roſe,
Stieg ſie von ihm hinab, und ſchuf den Wurm im Mooſe.
Der Roſe dachte ſie beim Wuͤrmlein auch nicht mehr;
Sie dacht', indem es lebt', ein ganzes Lebensheer.
Ein großer Ruͤckſchritt ſchien von dort zu hier gethan,
Der groͤſte Vorſchritt war die Senkung ihrer Bahn.
Und als hinauf, hinab, die Ordnungen von Thier
Zu Thier hindurch, ſie kam zu Loͤwe, Roß und Stier;
Da ſann ſie deren Herrn und ihren zu erſchaffen,
Und ſchuf zur Menſchenvorbereitung erſt den Affen.
Das war der tiefſte Fall, den ſie zuletzt gethan,
Um ſich zum hoͤchſten Schwung zu heben himmelan.
Drum troͤſt' ein Kuͤnſtler ſich, wenn ihm ein Bild mislingt,
Iſt er ſich nur bewußt, daß er zum Hoͤchſten ringt.
33.
Der große Aſtronom ſprach: Alle Himmelsflur
Hab' ich durchforſcht und nicht entdeckt von Gott die Spur.
Hat er nicht recht geſagt? Bei Mond- und Sonnenflecken,
Im Sternennebel dort, iſt Gott nicht zu entdecken.
Des Sehrohrs Scharfblick ſieht den Unſichtbaren nicht,
Den nicht berechnen kann Zahl, Groͤße, Maß, Gewicht.
Wer Gott will finden dort, der muß ihn mit ſich bringen;
Nur wenn er iſt in dir, ſiehſt du ihn in den Dingen.
34.
Was unterſcheidet dich, o Menſch, von Thier und Pflanze?
Daß du fuͤr dich auch biſt, nicht blos wie ſie fuͤrs Ganze.
Fuͤrs Ganze biſt auch du, wie Thier und Pflanze ſind,
Doch biſt du's nicht wie ſie, du ſelbſtbewuſt, ſie blind.
Sie ſind fuͤrs Ganze nur, weil ſie nur ſind fuͤr ſich;
Weil du fuͤr's Ganze biſt, ſind ſie und es fuͤr dich.
Fuͤrs Ganze biſt du ganz, wenn ganz fuͤr dich du biſt,
Erkennend, daß durch dich das Ganze ganz nur iſt.
35.
Der Menſch kann nie ſo ganz ins Sinnliche verſinken,
Der Geiſt treibt ihn empor ſtets Geiſtesluft zu trinken.
Doch hat er ſeine Lung' erfriſcht an Himmelshauchen,
Treibt es ihn bald genung zuruͤck in Schlamm zu tauchen.
So in ſein Leben theilt ſich der getheilte Trieb;
Nicht Vogel und nicht Fiſch, was iſt er? ein Amfib;
Das nicht ganz Fiſch mehr iſt, dem ſtummen Abgrund eigen,
Doch auch noch nicht ganz Thier, ans feſte Land zu ſteigen;
Das jetzo ſich erhebt, und ſchoͤpft zu leben Luft,
Dann wieder ſich begraͤbt in feuchten Moderduft.
Im innerlichen Streit mit ſich befangen ewig,
Die ganze Lebenszeit bleibt es hindurch beidlebig.
Wird auch die Menſchheit ſo in alle Ewigkeit
Hier bleiben unerloͤſt von der Beidlebigkeit?
Wird nie ihr beſſrer Geiſt ſie ihren niedren Wiegen
Entraffen, um mit ihr von Hoͤh zu Hoͤh zu fliegen?
Soll immer nur der Geiſt allein, als wie der Schwan,
Geſchieden von dem Leib, ſich ſchwingen himmelan?
36.
Was unterſcheidet dich, o Menſch, von der Natur?
Du biſt ein Werdender, ſie iſt geworden nur.
Sie iſt geworden, was ſie werden ſollt' und kann;
Du aber biſt ein Kind, das werden ſoll ein Mann.
Darum an der Natur iſt alles ſchoͤn und groß,
Vollkommen, reich und ſtark, du ſchwach, nackt, arm und bloß.
Doch iſt die Kraft in dir, ſtark, reich und groß zu werden;
Und daß die Kraft du fuͤhlſt, ſeh' ich an den Geberden.
Und dis Gefuͤhl der Kraft ſoll man dir nicht zerbrechen;
Dir ſoll wenn es erſchlafft, der Himmel Muth einſprechen.
Du kanſt nicht ſinken, wenn du dich erheben willſt,
Wenn du am Niedern nicht dein Hochverlangen ſtillſt.
Gewonnen iſt das Ziel, wenn du den Muth gewannſt,
Daß du ſchon jetzt biſt viel, und mehr ſtets werden kannſt.
37.
Wenn ſein Gottaͤhnliches du willſt dem Menſchen zeigen,
So darfſt du ihm auch nicht ſein Thieriſches verſchweigen.
Gefaͤhrlich iſt es, ihn bewundern ſich zu laſſen;
Gefaͤhrlich auch, ihn nur zu zwingen, ſich zu haſſen.
Auffordern mußt du ihn, ſich ſelber zu bekriegen,
Um durch ſein Beſſeres ſein Schlechteres zu beſiegen.
38.
Das Boͤſe iſt nicht aus der Welt hinauszuluͤgen,
Und das Bewuſtſeyn laͤßt ſich nicht um es betruͤgen.
Erklaͤren laͤßt es auch ſich nicht im Bild als Schatten,
Der nur zu beſſerm Glanz dem Lichten kommt zu Statten.
Es iſt zu wenig Tag, und zuviel Schattenſchlag,
Als daß der Schoͤnheitſinn ſich dran erfreuen mag.
Und von den glaͤnzenden Partieen nicht beſchwichtigt
Wird der Beſchauer, der die ſchadhaften beſichtigt.
Das Bild iſt offenbar nicht in dem rechten Stand,
Wie es gekommen iſt aus ſeines Meiſters Hand.
Wir kommen uͤberein hierinnen, und entzwein
Uns darin nur, wie dem mag abzuhelfen ſeyn;
Wer uͤbernehmen ſoll und kann beim Bild das Amt,
Es herzuſtellen ſo, wie es vom Meiſter ſtammt.
39.
Nur wer ein Koͤnig war, kann den Verluſt empfinden,
Daß er ein Reich verlor, und kann's nicht wieder finden.
Und ſo empfindet wol der Menſch, daß er verlor
Die Herrſchaft der Natur, die er beſaß zuvor.
Wodurch ließ er den Stab der Herrſchaft ſich entwinden?
Und was ſoll er nun thun um wieder ihn zu finden!
40.
Ein Weiſer, um mit Kraft den Vorzug zu beweiſen
Des Menſchen vor dem Thier, wollt' auch ſein Alter preiſen.
Von Thieren ſoll der Menſch das hoͤchſte Alter haben;
Denn Fabel nur iſt was man ſagt von Hirſch und Raben.
Doch macht dir nun ein Thier den Vorzug ſtreitig kaum,
So thut es jeder Fels, ſo thut es mancher Baum.
Drum etwas anders muß dein Menſchenvoraus ſeyn,
Den dir alswie das Thier auch einraͤumt Pflanz' und Stein:
Daß du in jedem Nu, in Gott und Welt und dir
Mehr lebſt als lebenslang Fels oder Baum und Thier.
41.
Was nennſt du groß und klein? du nenneſt groͤßer, was
Iſt uͤber, kleiner wol, was unter deinem Maß.
Selbſt gegen Kleineres kommſt du dir groͤßer vor,
Und gegen Großes klein, ſo ſchwankeſt du o Rohr.
Biſt du das Maß der Welt? haſt du an dir das Maß?
Sprich, iſt an deinem Leib, in deinem Geiſte das?
Nicht klein nenn' oder groß, was groß iſt oder klein
Nach deinem Leibe bloß, nach deinem Sinn allein.
Groß iſt kein Sonnenball, und klein kein Sonnenſtaͤubchen;
Groß iſt der Schoͤpfung Baum, doch klein daran kein Laͤubchen.
Nur der Gedank' iſt groß, daß nichts ſo groß, ſo klein,
Als der Gedanken iſt, der alles iſt allein.
42.
O Menſch, ſieh hier das Nichts, aus welchem du entſprungen,
Dort die Unendlichkeit, in die du biſt verſchlungen.
Das Nichts hier, dort das All, und in der Mitte du,
Du ſchwankſt in jedem Nu von dieſem jenem zu.
Du ſtreifeſt hier ans Nichts, und ſchweifeſt dort ins All,
Ergreifeſt keines doch im Steigen noch im Fall.
Wielange fuͤhreſt du mit Wolkenbildern Streit?
Das Nichts iſt nichts, und nichts iſt die Unendlichkeit.
Gott iſt wo Nichts dir ſcheint, Gott iſt wo dir erſcheinet
Unendlichkeit, in ihm iſt Nichts und Nichts verneinet.
Du biſt vor jedem Nichts gerettet, Ihm vereint;
Nichts iſt nur, was ohn' Ihn Etwas zu ſeyn vermeint.
43.
Was iſt der kleine Menſch in der Unendlichkeit!
So eng iſt ſein Begriff, ihr Umfang iſt ſo weit.
Mit Schrecken ſiehſt du dich in einen Kreis geſtellt,
Der ruͤckſichtlos auf dich, den ew'gen Umſchwung haͤlt.
Ein Kreis, des Mittelpunkt, wenn er iſt irgendwo,
Nur uͤberall iſt, und ſein Umkreis nirgendwo.
Wenn dieſer Mittelpunkt denn allerorten iſt,
So iſt er ja, o Menſch, am Ort auch wo du biſt.
Du ſtelleſt kuͤhn dich hin als Mittelpunkt der Welt,
Und ſiehſt wie ſie um dich den ew'gen Umſchwung haͤlt.
So klar iſt ihr Geſetz, daß du's erkennen kannſt,
Und durch die Einſicht ſelbſt am Weltplan Theil gewannſt.
Wie du es ſiehſt durchs Rohr, ſo kreiſt der Sfaͤren Chor,
Als zeichneteſt du ſelbſt ihm ſeine Taͤnze vor.
Nur kannſt du das Geſetz nicht aͤndern zum Vergnuͤgen,
Mußt ins gegebene erkannte ſchoͤn dich fuͤgen.
O Menſch, dis iſt dein Loß, dich in Selbſtaͤndigkeit
Zu fuͤgen frei und groß der Weltnothwendigkeit.
44.
Dich irret in der Welt die Vielgeſtaltigkeit,
Einfaͤlt'ger, dir misfaͤllt die Manigfaltigkeit:
Daß nicht an jedem Ort gilt, was an einem gilt,
Und daß die eine Zeit lobt, was die andre ſchilt;
So iſt es, wie der Spruch des Meiſters ausgeſprochen:
Es wird hier Widerſpruch von Widerſpruch gebrochen.
Dich aber moͤcht' ich nicht zum Gaͤrtner meinem Garten,
Da du nicht zugeſtehſt den Blumen ihre Arten.
Doch ſtellte gar dich Gott in ſeinem Garten an,
Wie wuͤrde nicht zu Spott ſein Plan vor deinem Plan!
Wie wuͤrde nicht genutzt die Scheer', und weggeputzt
Unnuͤtzer Putz, und fein gleichfoͤrmig zugeſtutzt;
In Unergetzlichkeit wuͤrd' alles eingeſchnuͤrt,
Soweit Geſetzlichkeit du haͤtteſt eingefuͤhrt.
45.
Wer Gott nicht fuͤhlt in ſich und allen Lebenskreiſen,
Dem werdet ihr ihn nicht beweiſen mit Beweiſen.
Wer uͤberall ihn ſieht, was wollt ihr dem ihn zeigen?
Drum wollt mit euern Gottbeweiſen endlich ſchweigen!
Wollt ihr mir auch vielleicht beweiſen, daß ich bin?
Ich glaubt' es ſchwerlich euch, glaubt' ichs nicht meinem Sinn.
46.
Iſt unſrer Handlungen Beweggrund, wie ſie ſagen,
Gluͤckſeligkeit allein, wie ſind wir zu beklagen!
Denn die Gluͤckſeligkeit, wo iſt ſie zu erfragen?
Wo iſt ſie zu erſpaͤhn? wo iſt ſie zu erjagen?
Dieſe Gluͤckſeligkeit, die jeder will erreichen,
Je naͤher er ihr kommt, ſcheint weiter zu entweichen.
Dieſe Gluͤckſeligkeit, die jeder wuͤnſcht und ſucht,
Iſt einem Schatten gleich beſtaͤndig auf der Flucht.
Bald ſcheint der Schatten rechts, bald links an uns zu ſtreifen,
Nun vor, nun hinter uns, und nirgend zu ergreifen.
Dieſe Gluͤckſeligkeit, ein Trugbild manigfalt,
Lockt jeden anderen in anderer Geſtalt.
Der ſieht ſie an fuͤr dis, und der fuͤrs Gegentheil;
Der nennt Verderben das, was jener nennt ſein Heil.
Darum kann nimmermehr dis Wechſellaunenſpiel,
Dieſe Gluͤckſeligkeit, ſeyn unſer Zweck und Ziel.
Wir wiſſen dieſes nur, daß hier uns etwas fehlt;
Wo es uns werden ſoll, und wie, iſt uns verhelt.
Wo iſt es? hier im Raum iſt es nicht aufzuſpuͤren;
Und uͤber'n Raum hinaus, wie ſoll ein Weg uns fuͤhren?
Wir koͤnnen aus der Welt und uns hinaus nicht treten;
Wann, Himmelsgaſt, tritſt du bei uns ein, laͤngſterbeten.
Laͤngſt harr' ich deiner hier in Abgeſchiedenheit;
Das Gluͤck iſt nicht bei mir, doch die Zufriedenheit.
Gluͤckſeligkeit zerpfluͤck', und jedem gib ein Stuͤck,
Die Seligkeit gib mir, und dem, wer will, das Gluͤck!
47.
Ein Menſch ſeyn ohne Gott, was iſt das fuͤr ein Seyn!
Ein beßres hat das Thier, die Pflanze, ja der Stein.
Denn Stein und Pflanz' und Thier, die zwar um Gott nicht wiſſen,
Er aber weiß um ſie, ſie ſind ihm nicht entriſſen.
Sie ſind nicht los von Gott, gottlos biſt du allein,
Menſch, der du fuͤhlſt mit ihm, und leugneſt, den Verein.
48.
Sturm der Vernichtung, ſprich, wohin denn mich verſchlagen,
Wohin denn willſt du mich, wo Gott nicht waͤre, tragen?
Von Gott iſt alles Seyn umſchlungen und umrungen,
Und ich bin ſein, nicht mein, ich bin von ihm durchdrungen.
Wohin ich ſehe, ſeh' ich Gottes Schooß mir offen,
Der nur dem Zweifel iſt verſchloſſen, nicht dem Hoffen.
Verſchloſſen iſt er nur dem ihm verſchloſſnen Sinn;
Drum iſt er offen mir, weil ich ihm offen bin.
Rückert, Lehrgedicht III. 7
49.
Woher ich kam, wohin ich gehe, weiß ich nicht;
Doch dis: von Gott zu Gott! iſt meine Zuverſicht.
Warum ich jetzo bin, und andre ſonſt geweſen;
Warum mir dieſer Platz, kein andrer, iſt erleſen?
Ich bluͤhe wie die Blum', und wachſe wie der Baum,
In meiner Jahreszeit, in meinem Gartenraum.
Im großen Garten iſt kein abgelegnes Beet,
Das nicht zu ſeiner Zeit von Lenzluft iſt durchweht.
Kein abgelegnes Beet, das nicht erbluͤht in Wonne
An ſeines Gaͤrtners Blick, ſein Blick iſt Mond und Sonne.
Ich fuͤhle Sommerluſt, und fuͤhle Winterſchauer,
Und einen Schauder, daß ich bin von kurzer Dauer,
Doch eine Ahnung, daß ich ewig bin von Stamme,
Und daß nicht ſich verzehrt, die mich verzehrt, die Flamme.
Es iſt ein niedrer Trieb in mir und hoͤhres Streben,
Dem ſoll ich folgen und mich jenem nicht ergeben.
Zur reinſten Bluͤte will ich meine Luſt entfalten,
Und meine Schmerzen ſelbſt zu Wonnen umgeſtalten.
Ich ſteh' in Gottes Hand, und ruh' in Gottes Schooß;
Vor ihm fuͤhl' ich mich klein, in ihm fuͤhl' ich mich groß.
50.
Arabiſch heißet Dien Religion von Dienen,
Denn nicht zum Herrſchen iſt ſie auf der Welt erſchienen.
Religion, ſolang ſie dienſtbar iſt auf Erden,
Der Menſchheit dienet ſie zum Troſt in den Beſchwerden.
Da iſt ſie Gottesdienſt ohn' aͤußern Prunk und Braus;
Sobald ſie herrſchend wird, wird eitler Weltdienſt draus.
7*
51.
So ſprach ich, als ich juͤngſt gieng durch die Flur am Abend —
Sie war fuͤr Aug' und Ohr und jeden Sinn ſo labend;
Ich aber dachte, was der Filoſofen groͤſter
Von der Natur gedacht, fuͤr mich ein leid'ger Troͤſter:
Daß ein mislungener Verſuch mit viel Beſchwerden
Sie des Begriffes ſei, ſich aͤußerlich zu werden. —
So ſprach ich: O wieviel des Schoͤnen doch entſprang
Fuͤr mich aus dem Verſuch, der dem Begriff mislang.
Und waͤre dem Begriff nun der Verſuch gelungen,
Welch eine Herrlichkeit waͤr' erſt daraus entſprungen!
Welch hoͤhere Natur, worin von all den Choͤren,
Die meinen Sinn zerſtreun, den Geiſt nichts wuͤrde ſtoͤren!
Welch hoͤhere Natur, worin von all den Choͤren,
Die meinen Sinn erfreun, ich ſehn nichts wuͤrd' und hoͤren!
Ich, dem Begriff zum Spott, will hoͤren, ſehn und ſingen,
Und danken, daß ihm Gott ließ den Verſuch mislingen.
52.
Unleidlicher iſt nichts, geeigneter zu Kraͤmpfen,
Als zwei Syſteme, die als ſolche ſich bekaͤmpfen.
Dis klappert hier, das dort, mit eigner Formeln Knarren,
Und wer dazwiſchen ſteht und hoͤrt es, wird zum Narren.
Zwei Inſtrumenten gleich, in zwei verſchiednen Toͤnen
Geſtimmt, wo eines will das andre niederdroͤhnen.
Jedwedes waͤr', allein gehoͤrt, villeicht erfreulich;
Ihr Durcheinanderſchrei'n iſt ganz und gar abſcheulich.
53.
Nicht darum ſoll es ſich bei deinem Willen handeln,
Ihn zu verbeſſern, Menſch, vielmehr ihn zu verwandeln;
Denn unverbeſſerlich, unheilbar ſei der Schade,
Umwandlung moͤglich nur durchs Wunderwerk der Gnade.
Allein der hoͤchſte Streit, der uͤber die Natur
Des Willens wird gefuͤhrt, ſcheint mir ein Wortſtreit nur.
Umwandeln moͤgt ihr ihn, verwandeln ganz und gar,
Zu einem andern doch nicht machen als er war.
Verwandeltet ihr mich, daß ich nicht mehr waͤr' ich,
So haͤttet ihr, ich weiß nicht wen, geheilt, nicht mich.
Doch einen guten Kern muͤßt ihr dem Willen goͤnnen;
Denn ſchlecht im Kerne, wuͤrd' er gut nie werden koͤnnen.
Am kahlen Suͤnderkopf muͤßt ihr ein Loͤckchen laſſen,
Daran der Finger ihn der Gnadenzucht kann faſſen.
Ein Aſchenfuͤnkchen muß doch ſeyn im Aſchenhaufen,
Sonſt blaͤſt das Feuer an kein Schnauben und kein Schnaufen.
Ein gleich Beduͤrfnis wird verſchiedentlich gefuͤhlt,
Daß etwas ſei hinweg gewaſchen und geſpuͤlt,
Ein Schmutz hinweggefegt, ein Roſt hinweggeſcheuert,
Damit im eignen Glanz der Spiegel ſei erneuert.
Daß ſich der Spiegel ſelbſt nicht klaͤren kann, iſt klar;
Daß ihm nur Gott den Dienſt gewaͤhren kann, iſt wahr.
Daß Gott ſich ſpiegle, mußt du ihm den Spiegel leihen,
Von Selbſtbeſpieglung fern und von Vorſpiegeleien.
Die Hauptſach' aber iſt, daß rein der Spiegel ſei;
Das Uebrige, mein Sohn, iſt Spiegelfechterei.
54.
Was iſt Zuſammenhang der Rede, den du lobſt,
Und deſſen Zauberkraft du tief an dir erprobſt?
Zuſammen ſcheinen dir zu hangen die Gedanken,
Und drum die Sachen auch, die ſtets ſo unſtaͤt ſchwanken.
Die Frage draͤngt ſich auf, und wird zuruͤckgedraͤngt,
Ob nur der Denker ſo zuſammen ſie gehaͤngt?
Zuſammenhang der Ding' iſt wirklich ihm erſchienen,
Und ſeine Rede zeigt dir dieſen Schein an ihnen.
Am ganzen Netze willſt du keine Maſche miſſen;
Denn eine fehlt, ſo iſt der ſchoͤne Schein zerriſſen.
55.
Die Wahrheit iſt durchaus ein mittleres Gebiet,
Das nicht nach hier und dort unendlich hin ſich zieht.
Ihr nachgehn kanſt du meiſt gar wenig Schritte nur,
Und ausgehn ſiehſt du ſchon in Irrthum ihre Spur.
Wahrheiten haͤngen nicht zuſammen wie Korallen,
Die man kann an der Schnur herzaͤhlen nach Gefallen.
Oft iſt das Wahre gar vom Falſchen nicht zu ſcheiden,
Wie Faͤden eines Zeugs, halb wollen und halb ſeiden.
Von Wahrheit einen Kern ſchließt jeder Irrthum ein,
Und jede Wahrheit kann des Irrthums Saame ſeyn.
Vor allem huͤte dich vor ſtrengen Folgerungen,
Denn folgerichtig iſt meiſt naͤrriſchſtes entſprungen.
Wahrheit, die du zuweit verfolgen willſt und jagen,
Iſt, eh du dichs verſiehſt, in Irrthum umgeſchlagen.
Viel lieber mag, anſtatt die Jagd zu uͤbertreiben,
Ein ungewiſſes Wild im Grenzwald uͤberbleiben.
Der Schuͤtze laͤßt, was flieht, fliehn an der Grenz', und zieht
Mit ſeiner Beute ſich zuruͤck auf ſein Gebiet.
56.
Bedenke, wenn der Stolz des Denkens dich bethoͤrt,
Welch eine Kleinigkeit dein Denken, Denker, ſtoͤrt.
Ein Bißchen Weh im Kopf, ein Bißchen Weh im Magen,
Im Fuß, der doch nichts ſcheint zum Denken beizutragen.
Nicht irren kann dich nur der Feldſchlacht heiſres Klirren,
Verwirren kann dich ſchon der Muͤcke leiſres Schwirren.
Und haͤtteſt du wie Gott nun eine Welt gedacht,
So haͤtte ſie, o Spott, ein Muͤcklein umgebracht.
Drum iſt es gut, daß du nur denkeſt ſchon Gedachtes,
Und im Gedanken nur nachmachſt von Gott Gemachtes.
57.
Du waͤhnſt, o Weiſer, dich vom alten Wahn entkettet,
Wirklich zur Wirklichkeit des Denkens hingerettet.
Du ſprichſt, „Ich ſetze nichts voraus mehr gegenwaͤrtig,
„Eben ſo wenig nehm' ich etwas an als fertig.
„Ich ſehe zu, was iſt unmittelbar gegeben,
„Wie es entwickelnd ſich vermittelt.“ — Das iſts eben!
Wo iſt unmittelbar gegebnes denn zu Haus?
Was du vermitteln willſt, das ſetzeſt du voraus.
58.
Du haſt den Geiſtern der Geſchicht' ihr Recht gethan,
Wenn du ſie alle nimmſt als Fortſchritt' auf der Bahn,
Die wahre Seit' erkennſt an den Einſeitigkeiten,
Und gleichſt in Einſicht aus der Anſicht Streitigkeiten.
Dein Irrthum iſt allein, daß du zur Offenbarheit
Auf deinem Standpunkt glaubſt gelangt die ganze Wahrheit.
Doch dir geſchiht dein Recht, wie ihnen ihrs geſchehn,
Wenn wir die Wahrheit auch in deinem Irrthum ſehn.
59.
Der Aehnlichkeiten Spur zu folgen haſt du Freiheit,
Verwechſeln darfſt du nur ſie nicht mit Einerleiheit.
Das Ding, das du begreifſt, iſt freilich im Begriff,
Doch der Begriff iſt nicht des Dinges Inbegriff.
Wer ſieht nicht, daß ſein Bild im Spiegel aͤhnlich ſei
Ihm ſelber? doch iſt es mit ihm drum einerlei?
Ob ich der Spiegel ſei der Welt, ob ſie der meine,
Wir bleiben immer Zwei, worin ſich zeigt das Eine.
60.
Du denkeſt, was du denkſt, das muͤße drum ſo ſeyn;
Doch denke: denkeſt du denn auf der Welt allein?
Viel andre denken auch, viel andres denken ſie,
Doch anders wird das Seyn durch anders denken nie.
Es laͤßt ſich ſo und ſo von unſerm Denken faſſen,
Bleibt was es iſt, und ſieht dem Spiele zu gelaſſen.
61.
Verzweifelſt du, der Welt zu ſchaun ins innre Weſen,
So ſchau umher auf ihr, wie viele ſind geweſen,
Wie viele werden ſeyn, wie viele ſind um dich,
Die ihren Stand zur Welt, den Stand der Welt zu ſich
Begreifen, und mit ihr wohl wiſſen auszukommen,
Doch haben nie die Hoͤhn des Weltbegriffs erklommen.
Drum muͤßen andere Erkenntnisquellen fließen,
Die dir kein Schluͤſſel braucht des Gruͤbelns aufzuſchließen.
Aus dieſen ſchoͤpfe, ſo, daß Vorwitz nie ſie ſtopft;
Aus Felſen ſpringt ein Quell, wo nur der Glaub' anklopft.
62.
Wenn nur auf Eine Art ſich Gott haͤtt' offenbart,
Zu offenbar haͤtt' ihn des Menſchen Geiſt gewahrt.
Doch nun verhuͤllen ihn viel Offenbarungen,
Und unvollkommen ſind die Gottgewahrungen.
Der Glaubensweiſen Streit zeigt ſeine Herrlichkeit,
Denn Er iſt Eins, um den ſich unſer Wahn entzweit.
63.
Ein jeder Glaube haͤlt ſich fuͤr den einzig wahren,
Und ſeine Kraft kann er auch ſo nur offenbaren.
Der einzig wahre nur iſt er an ſeinem Ort,
Nicht minder aber wahr ſind andre hier und dort.
Was hat denn nun ein Menſch vom Glaubenswort zu halten?
Das ſeinige fuͤr wahr an ſeinem Ort zu halten.
Sohn, halt an deinem Ort an deinem Glaubenswort,
Und laß am ihrigen die andern halten dort!
64.
Der Eſel iſt bekannt, der hungernd ſtehen bliebe,
Weil zu zwei Buͤndeln Heu ihn gleicher Hunger triebe.
Bekannt iſt auch, daß er nicht wirklich ſtehn wird bleiben,
Weil von zwei Treibenden muß eines ſtaͤrker treiben.
Und bleibt er gleichwol ſtehn, ſo iſts aus Eſelei;
Der Zweifel wohnt ihm ſelbſt, doch nicht der Sache bei.
Ein Eſel iſt wer nicht kommt zum Entſchluß deswegen,
Weil Fuͤr und Wider er nicht kann aufs Loth abwaͤgen.
65.
Die Liebe Gottes kann ſo werden uͤbertrieben,
Daß ſie fuͤr Suͤnd' es haͤlt den Menſchen auch zu lieben;
Als wuͤrde Gott um das, was ihm gebuͤhrt, betrogen,
Der Antheil, den du weihſt dem Menſchen, ihm entzogen.
So iſts, den Menſchen wenn du liebſt als Kreatur;
Lieb' ihn als ewigen Gedanken Gottes nur!
Du liebeſt Gott nicht ganz, wenn du ihn liebſt allein,
Wenn nicht auch alles, was er liebet, groß und klein.
66.
Geſetze der Natur willſt du, o Menſch, entdecken;
Du ſollteſt dir das Ziel etwas beſtimmter ſtecken.
Nicht das, wie ſich verhaͤlt an und fuͤr ſich die Welt,
Entdecken ſollſt du, wie ſie ſich zu dir verhaͤlt.
Wozu Gott immer ſonſt die Dinge moͤgen dienen,
Du weißt nicht was ſie ſind, nur was du haſt an ihnen.
67.
Wenn du fuͤr dein Verdienſt erwarteſt reichen Lohn;
Such dich um Stadt und Land verdient zu machen, Sohn!
Denn Wohlthat einzelnen, wie ſchoͤn ſie ſei, erwieſen,
Beſcheiden bleibt ſie ſtill von einzelnen geprieſen.
Nur voll Beſeligung ein goͤttlich Hochgefuͤhl
Iſt, ringsum danken ſehn ein lautes Volksgefuͤhl,
Ins Antlitz keinem ſchaun der Kinder, Muͤtter, Vaͤter,
Ohn' in der Bruſt ſich ſelbſt zu fuͤhlen ihr Wohlthaͤter.
Dagegen kommt nicht auf, wie groß es ſei und echt,
Sonſt ein Verdienſt um Welt und menſchliches Geſchlecht,
Das geiſtig-fein und zart, von unſichtbarer Art,
Entbehret auf dem Markt lebend'ger Gegenwart.
68.
Es war ein Koͤnigsſchloß, darauf war eine Uhr,
Die wies dem Koͤnige die eine Stunde nur,
Die eine Stund', in der ſein Vorfahr einſt erblich,
Dieſelbe zeigte ihm der Zeiger, der nie wich.
Und weißt du, wann er ſich erſt von der Stelle ruͤhrte?
Wann er den nahen Tod des neuen Koͤnigs ſpuͤrte.
Dann gieng er kurze Friſt, und wieder in den Frieden
Sank er zuruͤck, ſobald der Koͤnig auch verſchieden.
Du frageſt: Koͤnige, mit ſolcher Uhr begabt,
Die alſo ihren Tod vor Augen ſtets gehabt,
Vor allen ſind ſie weiſ' und maͤßig wol geweſen?
Man ſollte meinen, ja! Doch hab' ichs nicht geleſen.
69.
Mein Sohn, das Ehrgefuͤhl iſt eine Umgeſtaltung
Vom allgemeinen Trieb des Lebens, Selbſterhaltung.
Wir fuͤhlen unſer Seyn geſteigert und gemehrt,
Indem wir anerkannt uns ſehen und geehrt,
Und moͤgen billig bis von uns erworbne Leben
Vertheidigen ſogut wie das uns Gott gegeben.
70.
Die Stimmenmehrheit nur entſcheidet jeden Streit,
Doch ehr entſcheiden ſollt' ihn Stimmenminderheit.
Denn gelten ſollten mehr die Weiſen als die Thoren,
Und ſtets zur Minderheit ſind jene auserkoren.
71.
Sein eigen nennt der Menſch ein Gut uneigentlich;
Daß Gutes iſt von Gott, geſteht er ſchweigentlich.
Du ſollſt, was deiner Art, was deinem Sinn kann eignen,
Wo dir's auf deiner Fahrt begegnet, dir aneignen.
Der Eigner dieſer Welt das iſt ein Geiſt, der eignet
Sich dauernd alles zu, was fluͤchtig ſich ereignet.
Das Eigenthum iſt nur ein aͤußerlich Geleit,
Dein rechtes Eigenthum iſt Eigenthuͤmlichkeit.
Auf dieſe Eigenblum' halt ohne Eigenruhm,
Und laß dir rauben nie dein eigenſt Eigenthum.
Gleichfern von Eigenſucht alswie von Eigenflucht,
In Eigenzucht gedeiht des Herzens Eigenfrucht.
Dis ſei mein eigner Sinn, zu ſeyn ohn' Eigenſinn;
Mein eigen bin ich nur, wenn ich dein eigen bin.
Ich bin in Luſt und Schmerz liebeigen und leibeigen
Dir, welchem ſtets mein Herz blieb eigen und bleib' eigen!
72.
So ſprach zum Koͤnige, der mit den Leuten grollte,
Die ſich nicht beſſerten, und ſich nicht beſſern wollte,
Sein Narr Geheimerath, als ihn der Koͤnig fragte,
Woher der Unmuth ſei, der ihn heut ſichtlich plagte?
Er ſprach: Daher iſt er, daß ich der Magd mit Aſchen
Und Waſſer heut befahl die Treppe rein zu waſchen.
Da wuſch ſie ungeſchickt von unten ſtatt von oben,
Und ſchelten mußt' ich ſie, wo ich ſie wollte loben.
Denn von der obern floß zur untern Stufe nieder
Der Unrath, und beſchmutzt ward das Gewaſchne wieder.
Ich hab' es ihr geſagt: Umſonſt iſt was du putzeſt,
Wenn mit dem Obern du das Untre ſtets beſchmutzeſt.
Ich ſagt' es nochmals ihr, mein Wort war ohne Nutzen:
Von unten kanſt du nicht die Treppe gruͤndlich putzen.
Ich ſag' es abermals: Wenn ſich der Glanz erneuern
Der ganzen Treppe ſoll, fang oben an zu ſcheuern!
73.
So ſprach zum Adlichen, der mit den Ahnen prahlte,
Der Buͤrgerliche, der mit ſeinem Werthe zahlte:
Wenn du Vorrechte haſt, ſo ſei derſelben werth;
Steck' ein die Zung' und zieh fuͤrs Vaterland das Schwert.
Wenn deine Vaͤter all gut waren, ſei nicht ſchlechter;
Und ſind ſie ungerecht geweſen, ſei gerechter.
Wenn Raub villeicht und Blut klebt am ererbten Gut,
So mache durch Gebrauch das ſchlechterworbne gut.
Hab' ich nicht Ahnen auch? nur ſind ſie ungenannt;
Von deinen mancher waͤr' auch beſſer ungekannt.
Die deinen konnten dir Erworbnes nur vererben;
Die meinen ließen Luſt und Kraft mir, zu erwerben.
74.
So ſang ein armer Mann, des einz'ger Reichthum lag
An ſeinem Bienenſtand und ſeinem Taubenſchlag:
Sie haben all ihr Gut verzaͤunet und verſchanzt,
Und was ſie pflanzen drin, iſt nicht fuͤr mich gepflanzt.
Ich darf und mag auch nicht durchbrechen ihren Zaun,
Und nuͤchtern iſt die Luſt, von außen drein zu ſchaun.
Doch wenn ich ſelbſt ſie nicht beraube, ſo berauben
Nun meine Bienen ſie fuͤr mich, und meine Tauben.
Die Tauben hier und dort aufpickend Koͤrnerſaat,
Die Bienen fort und fort eintragend Mundvorrath.
Die Tauben fuͤttern mir ihr Junges aus dem Kropf,
Die Bienen fuͤllen mir mit Fleiß den Honigtopf.
Wenn man vom Acker auch mir ſcheuchen will die Tauben,
So muß man freien Flug den Bienen doch erlauben.
Und wenn uns dann im Haus entgeht der fette Braten,
So werden wir doch nie der Suͤßigkeit entrathen.
75.
Der Koͤnig auf der Pirſch' hat einen Hirſch erjagt;
Mit Zittern ſteht der Hirſch, der um ſein Leben zagt.
Der blickt den Koͤnig an, und beugt vor ihm die Glieder,
Selbſt eine Thraͤne rann von ſeinem Auge nieder.
Der Koͤnig will geruͤhrt dem Thier das Leben ſchenken,
Und ſtiftet, wies gebuͤhrt, davon ein Angedenken.
Man legt ums Hirſchgeweih ein Reiflein Gold, da war
Dem Koͤnigsnamen bei geſchrieben Tag und Jahr.
Der Hirſch enteilt mit Dank, und heim der Koͤnig kehrt;
Bald wird der Koͤnig krank, der Hirſch lebt unverſehrt.
Der Koͤnig ſtirbt, ihm folgt ein Sohn, und dem ein Sohn;
Der jagt im ſelben Wald, wo einſt der Hirſch entflohn.
Da ſtellt der Hirſch ſich dar, den Nacken alterſteif,
Doch um die Stirne war noch hell der goldne Reif.
Verwundert ſchauet ihn der junge Koͤnig an,
Bis dort ihm klar erſchien der Ruhm von ſeinem Ahn.
Und als man Jahr und Tag zuſammenzaͤhlte, war
Von damals der Betrag bis heute hundert Jahr.
Die hundert Jahre froh hat in dem Wald gewohnt
Ein Lebendes, weil ſo ein Koͤnig es geſchont.
Groß iſt des Koͤnigs Gluͤck, der, wenn man ihn begraͤbt,
Ein Denkmal laͤßt zuruͤck, das hundert Jahre lebt.
Rückert, Lehrgedicht III. 8
76.
Ein Fuͤrſt ließ ſeinem Sohn verfertigen ein Schild,
Vier Felder von Azur, in jedem Feld ein Bild.
Und jedem Sinnbild war ein Sinnſpruch beigegeben,
Doch rings ums Ganze ſtand: Nach dieſem ſollſt du leben.
Im erſten Felde war ein Hirſch von Gold, dazu
Die Schrift von Diamant: die Goͤtter fuͤrchte du.
Im andern Feld ein Storch von Silber, und dazu
Die Inſchrift von Rubin: die Eltern ehre du.
Im dritten Feld, von Erz die Schildkroͤt', und dazu
Die Schrift von Karneol: dein Haus beſtelle du.
Im letzten Feld, von Stahl ein Delfin, und dazu
Die Schrift von Perlenſaat: den Freunden diene du.
Warum iſt Goͤtterfurcht vom Hirſch gemeint? Er zittert
Im Walde, wenn ob ihm der Himmel hochgewittert.
Wodurch iſt Elternlieb' im Storch erklaͤrt? Der junge
Traͤgt die gealterten mit ſeiner Fluͤgel Schwunge.
Wie zeigt die Schildkroͤt' Hausbeſtellung an? Sie traͤgt
Feſt auf dem Ruͤcken eins, das ihr kein Stein zerſchlaͤgt.
Womit thut Freundesdienſt der Delfin kund? Er kuͤndet
Den Sturm, und bleibt im Sturm den Schiffenden verbuͤndet.
Es iſt ihm nicht genug, daß er gewarnet haͤtte;
Er muͤht ſich auch, daß er umſonſt gewarnte rette.
8*
77.
Die ihr, und zwar mit Recht, eur altes Recht umwacht,
Den Neurer ſchreckt ihr: laß! denn ſo hats Gott gemacht.
Der Neurer, wenn er dis beſtreiten will, iſt dumm;
Wenn er geſcheit iſt, kehrt er keck die Waffen um.
Ja, Gott hat es gemacht, denn er macht alle Sachen;
Drum, weil ers ſo gemacht, kann ers auch anders machen.
Ein Werkzeug ſeiner Hand iſt auch der Andersmacher,
Ein Werkzeug ſtark und neu, an alter ſtatt und ſchwacher.
78.
Sohn, aufrecht ſei dein Gang, und all dein Thun aufrichtig!
Aufrechter Gang iſt fuͤr den Menſchen nicht unwichtig.
Er iſt, von Gott gewaͤhrt, die erſte hehrſte Gunſt,
Und iſt, vom Kind gelernt, die erſte ſchwerſte Kunſt;
Die, und die eng mit ihr verbundne Kunſt der Rede,
Begruͤndet und bedingt der andern Kuͤnſte jede.
Hoch halte ſie, o Sohn, und mach Gebrauch davon;
Steh aufrecht, wo du ſtehſt, nah oder fern dem Thron.
Vorm hoͤchſten Throne ſelbſt halt aufrecht die Gedanken;
Wen Gottes Gnade haͤlt, den laͤſſet ſie nicht wanken.
Steh wie ein frommer Knecht vor deinem Herrn aufrecht,
Geguͤrtet, winkbereit, zur Arbeit, zum Gefecht.
So geh, aufrechtes Haupts, ohn' Hochmuth auf der Erde;
Aufrichtig ſei dein Sinn, dein Wort und die Geberde.
Halt aufrecht, wie dich ſelbſt, das Recht, wo du vermagſt;
Richt auf Erliegende, und dich, ſo du erlagſt.
Die Sterne winken dir, zu ihnen aufzurichten
Den Blick, und deinen Gang nach ihrem Lauf zu richten.
79.
Dem Menſchen iſt ein Recht gegeben auf die Sachen,
Von Gott hat ers zu Lehn, wer kanns ihm ſtreitig machen?
Wenn von den Menſchen waͤr' ein einziger am Leben,
Die ganze Erde waͤr' in ſeine Hand gegeben.
So wie im Anbeginn, wir glauben's, einer war,
In dem ſich ungetheilt die Menſchheit ſtellte dar.
Doch als zum Manne nun das Weib hinzugekommen,
Ward dieſem wohl ein Theil, der jenem ward genommen?
Mitnichten; weil das Paar in Zweiheit Eines war,
War zur Entzweiung im Beſitz auch nicht Gefahr.
Und alſo, wo noch zwei in Liebe werden Eines,
Iſt ihr Beſitzrecht an die Welt ein allgemeines.
Denn ganz in jedem Paar ſtellt ſich die Menſchheit dar,
Von allwievielen ſchon die Welt beſeſſen war.
Beſcheiden ziehen ſie auch ihr beſchieden Loß,
Und ſei es klein, ſo mach' es Lieb' und Treue groß.
Doch als zum Vater dort hinzu die Soͤhne kamen,
Beſaß das Oberhaupt mit in der Glieder Namen.
Sie waren im Beſitz von ſelbſt mit eingeſchloſſen;
Wie haͤtten nicht auch, was der Baum hat, ſeine Sproſſen?
Doch als die Glieder drauf ſich los vom Haupte riſſen,
Da wollte jedes, was ihm eigen waͤre, wiſſen.
Da ſprach ihr Vater: Geht nun in die Welt hinaus,
Und bauet, wie und wo ihr moͤget, Feld und Haus.
Die Welt iſt weit genug, um drin euch auszuweichen,
Euch auszubreiten ohn' einander zu erreichen.
Es wird am Gegenſtand nicht fehlen eurer Hand,
Und jeder habe, was er zu ergreifen fand.
Demſelben druͤck' er auf das Zeichen des Beſitzes,
Das Zeichen ſeiner Kraft, das Zeichen ſeines Witzes.
Doch welcher Sache ſchon ihr eures Bruders Zeichen
Seht aufgedruͤckt, davon ſollt ihr zuruͤcke weichen.
Doch wann die Zweige nun zu Staͤmmen ſind geworden,
Und ihr das Land erfuͤllt mit Herden und mit Horden;
Dann wird der Hader bald im Kleinen, bald im Großen
Erwachſen da, wo ihr zuſammen werdet ſtoßen,
Wenn ihr entfremdet nicht mehr eure Zeichen kennt,
Und, ſtatt was euch verband, nur fuͤhlet was euch trennt.
Dann wird Volk gegen Volk zum Schutze ſich verbuͤnden,
Und einzle Ganze ſich im großen Ganzen ruͤnden.
Natuͤrlich ſteht zuerſt als Mittelpunkt im Kreiſe
Der Aeltſte, der zugleich der beſte ſcheint und weiſe.
Ob einer dann den Platz dem andern ſtreitig mache,
Doch immer dienen wird dem ſtaͤrkeren der ſchwache.
Der ſtarke dienet auch dem ſchwaͤcheren zum Schutze;
Doch Kunſt und Geiſt dient bald zur Wohlfahrt, bald zum Putze.
Den Muth zu dienen, der da Demuth heißet, lernt,
Hochmuͤth'ge, die ihr euch vom Vaterhaus entfernt.
Zum Vaterhaus fuͤhrt euch der Geiſt der Demuth wieder,
Wenn menſchlich ihr euch fuͤhlt des Leibs der Menſchheit Glieder.
80.
Wolfeiler kanſt du nicht den Fordernden abſpeiſen,
Als ihm, daß er ſchon was er fordert hat, beweiſen.
In Ruh genießeſt du den Ueberfluß der Gaben,
Wenn du uns glauben machſt, daß wir die Fuͤlle haben. —
„Was fechten Niedere der Hoͤhern Vorrecht an?
Sein eigen Vorrecht hat auch der gemeine Mann.
„Hat nicht der Bettelmann den Vorzug vor dem Reichen?
Er nimmt Almoſen an, und dieſer muß es reichen.
„Du haſt, was er dir gab, den Reichen hat die Habe;
Es geht kein Herrſcherſtab vor deinem Bettelſtabe.
„Dir ſtihlt, weil er iſt leer, kein Dieb den Bettelſack;
Leicht trag ihn, und entbehr den ſchweren Sorgenpack.
„Schwer haͤlt dem ird'ſchen Sinn des Irdiſchen Entſchlagung;
Leicht faͤllt der Hauptgewinn des Lebens dir, Entſagung.“ —
Ein luſt'ger Bettler mag ſo troͤſten ſeinen Sohn,
Doch in des Reichen Mund klingt dieſer Troſt wie Hohn.
81.
Die Suͤnd' iſt innerlich; und innerlich fuͤr ſich
Seyn wollen, eben das iſt Suͤnde weſentlich.
Die Suͤnde kann gar aus dem Innern nicht heraus,
Und wie heraus ſie tritt, wird Anderes daraus.
Daraus wird eine That, die in die Reihe trat
Der andern Thaten, die dort tragen gute Saat.
In Gottes Acker iſt von Nutzen auch der Miſt;
Pfui aber uͤber dich, wenn du nichts beſſers biſt.
82.
Was richtet das Geſetz am menſchlichen Beginnen?
Was davon außen iſt, oder was davon innen?
Ein Aeußeres allein iſt leerer Schein, der flieht;
Ein Inneres allein, nur Gott iſt der es ſieht.
Das richtet das Geſetz, wo beides iſt vereint,
Ein Inneres, ſoweit im Aeußern es erſcheint;
Kein voͤllig Inneres, das außen ſich verhelt,
Noch ein bloß Aeußeres, wobei ein Innres fehlt.
83.
Ein eiſernes Geſetz hat gleiche Strafe, Tod,
Verſchiedenſten Vergehn, groß oder klein, gedroht.
Ein mildres aber raubt ihm ſeine Kraft, und glaubt,
Auch gegen Toͤdtung ſelbſt ſei Toͤdtung unerlaubt.
Von beiden welch's hat Recht? hat Recht villeicht das dritte,
Das zwiſchen beiden haͤlt der Unterſcheidung Mitte?
Recht haben beide. Tod verdienen all, die ſuͤndigen;
Doch wer iſt ſuͤndlos gnug, es ihnen anzukuͤndigen?
84.
Wennauch von Rache nicht das Recht iſt ſo benannt,
Doch von der Seite ſind die Wurzeln anverwandt.
Tritſt du aus deines Rechts in meines Rechtes Kreis,
So iſt mein Widerſtand des Uebertretens Preis.
Doch, thatſt du Unrecht mir, darf ich dir's wieder thun?
Dann thuſt du's wieder mir, und wo wird's endlich ruhn?
Die Rach' iſt ſchrankenlos, das Recht iſt nur in Schranken;
Darum beſchraͤnke dich in Wort, Werk und Gedanken.
Beſchraͤnke dich, damit du ſeieſt unbeſchraͤnkt,
Und kraͤnk nicht innen dich, wenn man dich außen kraͤnkt.
Dein iſt dein Recht, doch dein iſt nicht Gericht und Rache;
Ein allgemeines Recht vertritt die Einzelſache.
Weißt du dein Thun gerecht, und andres ungerecht,
So laß die Rache dem, der nichts laͤßt ungeraͤcht.
85.
Wer iſt freigebig? Wer, dis ſagt das Wort, gibt frei,
Frei, ohne daß er ſelbſt dazu gezwungen ſei,
Gezwungen weder durch Gewalt, noch Ruͤckſicht auch,
Die gleichgewaltig iſt, auf Ruhm, Stand oder Brauch.
Freigebig iſt, dem Wort wohnt dieſer Sinn auch bei,
Wer den Unfreien gibt, den Schuldverbundnen, frei.
Freigebig iſt, wer frei dir gibt, daß, wie du magſt,
Du hinnimmſt, was er gibt, Dank oder nicht ihm ſagſt.
Freigebig, wer als Mann, als freier, kund ſich gibt
Durch Geben, weil er kann hingeben, was er liebt.
Denn Sklav' iſt ſeines Guts, wers nicht hingeben kann;
Frei fuͤhlt ſich vom Beſitz nur der freigeb'ge Mann.
86.
Wie wunderbarer Trieb Ameiſenmillionen
Beſeelt, die einen Bau, den alle baun, bewohnen,
In Ordnung ohne Bruch, in Eintracht ohne Stoͤrung,
Ohn' Obrigkeit und Spruch, ohn' Aufruhr und Empoͤrung;
Als regte ganz den Staat gemeinſchaftlicher Rath,
Da ganz nur ihn bewegt gemeinſchaftliche That.
Menſch, hinter der Natur wie ſtehſt du weit zuruͤck!
Wann wirſt du aus dir ſelbſt entfalten ſolch ein Gluͤck?
Wann wie ein hoͤherer Naturgeiſt dich durchdringt
Die goͤttliche Vernunft, und Goͤttliches vollbringt;
Daß, wie Ameiſen jetzt, einſt Menſchenmillionen,
Von gleichem Trieb beſeelt, beiſammen alſo wohnen,
In Ordnung ohne Bruch, in Eintracht ohne Stoͤrung,
Ohn' Obrigkeit und Spruch, ohn' Aufruhr noch Empoͤrung.
87.
Es iſt ein altes Wort, ich will es dir entfalten:
In einem Zweifelsfall iſts gut ſich zu enthalten.
Mein Sohn, es gilt dis Wort, ich will es dir erklaͤren,
In einer Sfaͤre nicht, es gilt in allen Sfaͤren.
Es gilt im Rechtsgebiet: Wo zwiſchen Mein und Dein
Ein Zweifel waltet ob, ſag barſch nicht: es iſt mein!
Es gilt im Sittlichen: Wo zwiſchen boͤſ' und gut
Die That iſt zweifelhaft, thut wohl, wer nicht ſie thut.
Es gilt im Handel auch und Wandel: Iſt Gewinn
Und Schaden zweifelhaft, ſo leg den Handel hin.
Es gilt im Waffenſpiel: Wo zweifelhaft der Sieg
Dem klugen Feldherrn ſcheint, vermeidet er den Krieg.
Es gilt im Wandern auch: Wo dir durch ein Geheg
Der Weg unſicher ſcheint, bleib auf dem ſichern Weg.
Es gilt im Wiſſen auch: Wo das kann ſeyn und dis,
Sag nicht: das iſt, dis nicht! ſag: es iſt ungewis.
So hab' ich dir erklaͤrt dis Wort, um dir zu zaͤhmen
Den ungeſtuͤmen Sinn, doch nicht den Muth zu laͤhmen.
Solang ein Zweifel iſt, laß dich von ihm bedingen,
Doch daß er nicht mehr ſei, verſuch' ihn zu bezwingen.
Verzweifle nicht an dir vor jedem Zweifelsfall;
Wenn du mit Muth ihm ſtehſt, ſiehſt du des Zweifels Fall.
Gib dich gefangen nie in traͤger Zweifel Haft!
In jedem Zweifelsfall raͤth Gott unzweifelhaft.
88.
Dem Ganzen offenbar gereicht es nicht zum Heil,
Wenn es beguͤnſtiget vor andern einen Theil;
Doch auch dem Theile wird es nicht zum Heil gereichen,
Der ſich beguͤnſtigt ſieht vor allen ſeines gleichen:
Der unbeguͤnſtigte wird zwar am Mangel ſterben,
Doch der beguͤnſtigte vor Ueberfluß verderben.
89.
Den Menſchen wenn der Menſch im Menſchen ſtets erkennte,
So manche Schranke nicht von Menſchen Menſchen trennte;
Es wuͤrde weniger Menſch gegen Menſchen ſtehn,
Es wuͤrde ſich kein Menſch am Menſchlichen vergehn.
Was wuͤthet hoch vom Thron herab ein Wuͤtherich?
Er ſieht die Menſchen tief gleich Thieren unter ſich.
Was gilt dem Muſelman fuͤr einen Hund der Chriſt?
Er ſieht es ihm nicht an, daß er ſein Bruder iſt.
Was macht den Weißen hart dem Schwarzen gegenuͤber?
Der Menſchheit Zuͤge ſind auf deſſen Antlitz truͤber.
Der Arme, Niedre, haßt den Hoͤheren, den Reichen,
Weil er ſo wenig ſelbſt ſich fuͤhlt als deſſen gleichen.
Und wer ſich jedes Rechts von andern ſieht beraubt,
Haͤlt jedes Unrecht auch ſich gegen ſie erlaubt.
Ihr Menſchenwaͤchter, drum, wenn ihr wollt ruhig ſchlafen,
Abhelfen muͤßt ihr dem, was ihr nur wollt beſtrafen.
Macht, daß ein Menſch ſich koͤnn' und muͤß' als Menſchen fuͤhlen,
So wird er nicht den Grund der Menſchheit unterwuͤhlen.
90.
Der Streit von Goͤttlichkeit und Menſchheit iſt geſchlichtet,
Denn nur vom Gleichen kann das Gleiche ſeyn gerichtet.
Denn nur vom Gleichen kann das Gleiche ſeyn erkannt;
Doch die Ausgleichung iſt verſchieden zubenannt.
Der Hochmuth ſagt: Zu Gott hat ſich der Menſch erhoben;
Die Demuth: Niederſtieg zum Menſchen Gott von oben.
91.
Was heißt dich, wie dich ſelbſt, jedweden Menſchen achten?
Das Menſchenangeſicht! Du darfſt es nur betrachten.
Du ſiehſt dein eigen Bild, und haſt dich ſelbſt entehrt,
Wenn du die Achtung, die es fordert, ihm verwehrt.
Aus jedem Angeſicht blickt menſchliche Vernumft,
Das Gotteslicht, wieauch getruͤbt, gedaͤmpft, verdumft.
Wenn du es nicht erkennſt, ſo liegt die Schuld an dir;
Du ſiehſt das Thier nur, weil du ſelbſt nur ſiehſt als Thier.
Des Thieres Seyn iſt Kampf, des Menſchen Geiſt iſt Frieden;
Sind wir erſt Menſchen ganz, ſo iſt der Kampf geſchieden.
92.
Wer keinen Willen hat, kann uͤberhaupt nichts wollen,
Auch alſo dieſes nicht, daß wir ihn achten ſollen.
Du achteſt in dem Kind, das keinen Willen hat,
Den kuͤnftigen, den du erziehſt mit Zucht und Rath.
Im Wahnſinn achteſt du und im Verbrechen was?
Den Willen, der ſich dort vergaß, hier ſich vermaß.
Fuͤr den, der ſich vergaß, haſt du die Pflicht zu denken,
Und den, der ſich vermaß, rechtmaͤßig zu beſchraͤnken.
Dem Kranken unterlegſt du deine Willensweiſe,
Und wehreſt, die er will, ihm die verbotne Speiſe.
Die Schwachen ſind mit Recht dem Starken unterthan,
Der das fuͤr ſie, was ſie nicht koͤnnen, wollen kan.
93.
Ein jeder hat ſein Recht, um ſich in ſich zu ruͤnden;
Doch was die Einzlen trennt, das ſoll ſie auch verbuͤnden.
Denn nur auf den Beding iſt dein, was dein du nennſt,
Wenn du hinwider auch als mein das Mein' erkennſt.
Doch nimmſt du Meines mir, iſts nicht genug, daß du
Es wiedergibſt, du mußt verlieren Deins dazu.
Das iſt die Strafe, die du ſelbſt dir zuerkannt;
Dein eignes Thun hat ſich auf dich zuruͤck gewandt.
Das ganze Recht iſt dis, daß du dem andren nicht
Das thuſt, was du nicht willſt, daß dir von ihm geſchicht.
In dieſem ſeid ihr gleich, und frei, wenn ihr verſtaͤndig
Des Rechtes Unterſchied erkennet als nothwendig.
94.
Der Menſch im Weltverkehr lebt nur fuͤr ſich allein,
Und erſt davon getrennt, im menſchlichen Verein.
Durch Leib, Beſitz, Beruf, beſchraͤnkt und abgeſchieden,
Wo faͤnde da der Geiſt, der ſchrankenloſe, Frieden?
Nicht im Gedankentauſch, der nur verworren iſt,
Nicht in der Liebe Rauſch, der waͤhrt ſo kurze Friſt.
Nur in der Einſamkeit ſpinnt er ein Traumgewebe,
Daß in der Menſchheit er, in ihm die Menſchheit lebe.
Zur Wahrheit aber wird nur dort das Traumgeſpinnſt,
Wo du den Sondrungen der Koͤrperwelt entrinnſt;
Wo alle Geiſter eins im hoͤchſten Geiſte ſind:
Dort freut ſich des Vereins die Menſchheit, Gottes Kind.
95.
Der erſte Koͤnig iſt es durch Gewalt geworden,
Und um zu ſiegen fehlt' ihm nicht der Muth zu morden.
Auf Blut gegruͤndet, ließ er ſterbend ſeinem Blut
Die Herrſchaft und die Luſt dazu, doch nicht den Muth.
Zuletzt iſt ſie herab gelangt an einen weichen,
Der ſehn kein rothes Blut kann ohne zu erbleichen.
Er ſcheut ſich in der Hand ein bloßes Schwert zu tragen,
Aus Furcht deswegen kann er keine Ritter ſchlagen.
Sie aber ſchlagen ſich fuͤr ihn nicht minder kuͤhn,
Bereit ihr Herzblut fuͤr den Blutſcheu'n zu verſpruͤhn.
So ob der Wirklichkeit iſt ſiegreich der Gedanken,
Der Unumſchraͤnkte ſetzt dem Schrankenloſen Schranken.
96.
Es wirkt Gerechtigkeit, es wirkt die Lieb' ein Band;
Wie wirken beide ſchoͤn verbunden Hand in Hand!
Warum Gerechtigkeit, warum traͤgt Liebe Binden
Ums Aug'? um fuͤr der Welt Ungleichheit zu erblinden.
Was die Gerechtigkeit haͤlt aͤußerlich im Bund,
Haͤlt nur, weil innerlich die Liebe legt den Grund.
Zwar was Gerechtigkeit verbindet, iſt verbindlich,
Doch nur Verbindlichkeit der Lieb' unuͤberwindlich.
Wenn nicht Gerechtigkeit mit Liebe ſich verbaͤnde,
Wer waͤre ſo gerecht, der im Gericht beſtaͤnde?
Nur wo Gerechtigkeit und Liebe ſind verbuͤndet,
Iſt Menſchenſchuld geſuͤhnt, und ird'ſcher Sinn entſuͤndet.
97.
Warum iſt Redlichkeit von Rede ſo benannt?
Weil aus der Rede nur das Innre wird erkannt.
Die Redlichkeit beſteht darin, daß einerlei
Mit ſeiner Aeußerung dein Innerliches ſei.
Die Redlichkeit beſteht nicht in Wohlredenheit,
In Ueberredungskunſt, Ausred' und Redeſtreit.
Die Redlichkeit beſteht darin: Ein Wort, ein Mann;
Weil man den Redlichen beim Worte halten kann.
Darin beſtehet ſie, daß ſich dein Herz beredet
Mit ſeiner Pflicht, und thut das was dein Mund geredet.
98.
Der Menſch iſt, wie er ſagt, ein Buͤrger zweier Welten,
Doch kann er nicht zugleich und ganz in jeder gelten.
In keiner iſt er ſonſt von beiden recht zu Haus,
Und zwiſchen beiden ſchwebt er wie die Fledermaus.
Rückert, Lehrgedicht III. 9
Solang die Buͤrgerſchaft iſt hier in voller Kraft,
Iſt deine dortige nur eine Anwartſchaft.
Du mußt die wirkliche hier wirklich dir erwirken,
Jedoch dabei nichts thun, dort jene zu verwirken.
So thuſt du deine Pflicht gleichzeitig und gleichſeitig,
Und keine Buͤrgerſchaft macht dich der andern ſtreitig.
99.
Wenn du Gerechtigkeit nicht in des Menſchen Bruſt
Gewurzelt anerkennſt, wie Unrecht du dir thuſt!
Du biſt von ſtaͤrkeren umgeben als du biſt,
Die ſchaden koͤnnten dir, wenn wollten, jede Friſt.
Nichts gibt dir Sicherheit, als aus dir ſelbſt zu wiſſen,
Daß Unrecht dir zu thun ſie hindert ihr Gewiſſen.
100.
Wol gibt es zwiſchen Recht und Unrecht ſcharfe Graͤnzen,
Doch deinen Scharfſinn laß nicht in der Schaͤrfe glaͤnzen.
Gewis beſtimmter als dis zweifelhaft Gebiet
Iſt zwiſchen Acker hier und dort der Unterſchied.
Doch haͤlt der Ackersmann von hier und der von dort
Ein wenig ſeinen Pflug zuruͤck vom aͤußern Ort;
Daß lieber ungebaut ein Streifchen zwiſchenliege,
Als daß ſich Pflug und Pflug begegnen dort zum Kriege.
So halt den Fuß zuruͤck von der Verſuchung Rand,
Und ſetz' im Zweifelsfall in Ruhſtand deine Hand.
9*
101.
Ob einmal ſiegen wird das Gute auf der Welt
Oder das Boͤſe ihm die Wag' auf ewig haͤlt;
Der alte Streit iſt nicht geſchlichtet, nicht zu ſchlichten,
Doch irren kann er dich in deinem Thun mitnichten.
Du haſt zu handeln ſo, daß Gutes moͤge ſiegen,
Und dich zu troͤſten, wo du's ſieheſt unterliegen.
102.
Des Menſchen ganzes Gluͤck beſteht in zweierlei,
Daß ihm gewis und ungewis die Zukunft ſei.
Das iſt ihm ungewis, wo er wird ſeyn und wie,
Gewis, daß er wird ſeyn, derſelbe dort und hie.
Die Ungewisheit macht ihn froh der Gegenwart,
Und die Gewisheit gibt ihm Kraft zur Weiterfahrt.
Wer moͤchte leben, waͤr' ihm nicht ſein Tod verborgen?
Und wer koͤnnt' heute ſeyn, wenn er nichts waͤre morgen?
103.
Ein Kind, faͤllt's auf den Kopf, ſteht wieder auf ſogleich,
Nicht weil ſein Hirn ſo hart, nur weil es iſt ſo weich,
So weich, um einem Druck ſich ſchadlos zu bequemen,
Und gleichſam eine Form beliebig anzunehmen.
Ein Alter, deſſen Hirn ſich nicht mehr ſo kann ſchmiegen,
Wo er den Kopf aufſchlaͤgt, bleibt er bewußtlos liegen.
Drum braucht der Mann auch nicht alswie ein Kind zu fallen;
Denn laufen lernt das Kind, der Mann bedaͤchtig wallen.
104.
Schließ aus der ewigen Vollkommenheit der Welt
Auf die Vollkommenheit des, der ſie ſo erhaͤlt.
Weil er vollkommen iſt, iſt all ſein Thun vollkommen;
Von dem Vollkommnen kann nichts kommen unvollkommen.
Zwar unvollkommen fuͤhlſt du dich, o Menſch, auf Erden;
Doch auch den Trieb in dir vollkommner ſtets zu werden.
Er ſelber kann dich auch nicht laſſen unvollkommen;
Vollkommen will er dich, und all dein Thun vollkommen.
Vollkommen wirſt du ſeyn, weil er vollkommen iſt;
Vollkommen iſt er nur, wenn du vollkommen biſt.
105.
Hat doch des Kindes Fuß das Gehn gelernt durch Fallen,
Und ſeine Zunge auch das Reden nur durch Lallen.
Ich ſelber falle noch, wenn ich will zu dir gehn,
O Herr, ich lalle noch, ſoll ich dir Rede ſtehn!
Ich bin vor dir ein Kind, und weiß, an Einſicht blind,
Nur dis aus mir, wie lieb mir meine Kinder ſind.
Die Kinder wiſſen nicht, wie ſie der Vater liebt;
Das weiß nur der, dem ſelbſt der Vater Kinder giebt.
Sie ſelber wiſſen nicht, wie lieb mir ſei ihr Lallen,
Und daß nicht um die Welt ich eines ließe fallen.
106.
Nachahmung iſt was ſich zuerſt im Kinde regt,
Was ihm die ſchwache Hand, den zarten Mund bewegt.
Es traͤgt die Puppe, wie es ſelbſt die Mutter trug,
Und ſchlaͤgt auf das Klavier, weil es der Bruder ſchlug.
Es nimmt das Buch, woraus der Vater betend las;
Was es handfaltend ſummt, auch ein Gebet iſt das.
Du kanſt nicht beſſer ſtreun in ihm des Guten Samen,
Als wenn du Gutes ſtets ihm vorthuſt, nachzuahmen.
107.
Wenn du willſt nach dem Rath von jedem Thoren fragen,
Wirſt du wie jener Mann zuletzt den Eſel tragen;
(Die Fabel iſt bekannt) der wandernd ſeinen Sohn
Erſt auf den Eſel lud, der war beladen ſchon.
Der erſte, der es ſah, ſprach: O verkehrte Sitten!
Der Vater geht zu Fuß, das Soͤhnchen iſt beritten.
Da ſetzt der Vater ſich, dem Eſel duͤnkt es ſchwer,
Anſtatt des Sohnes auf, der Sohn laͤuft nebenher.
Ein andrer, der es ſah, ſprach: Welcher Thorenritt!
Der Vater reitet fort und nimmt den Sohn nicht mit.
Der Vater nimmt geſchwind den Sohn zu ſich hinauf,
Und mit der Doppellaſt der Eſel ſtockt im Lauf.
Der dritte, der es ſah, ſprach: Welche Barbarei!
Das Thier erliegt, wenn ihr nicht abſteigt alle zwei.
Der Vater ſteigt zugleich mit ſeinem Sohn hernieder;
Der traͤge Eſel ruͤhrt nicht flinker drum die Glieder.
Der vierte, der es ſah, ſprach: Viel geſchwinder kaͤmet
Ihr fort, wenn ihr die Laſt dem armen Thier abnaͤhmet.
Der Vater mit dem Sohn nimmt auf ſich das Gepaͤck,
Und das entladne Thier will gar nicht mehr vom Fleck.
Da ſprach der fuͤnfte, der es ſah, der war ein Gauch:
Tragt ihr des Eſels Laſt, tragt doch den Eſel auch!
Den Eſel packten Sohn und Vater hier und da,
Und trugen ihn ins Dorf, es war zum Gluͤcke nah.
108.
Was iſt es, daß du ſagſt: es hat mich dieſes heut,
Und geſtern jenes mich, und neulich das gefreut!
Wie du dich, armes Herz, mit deinen Freuden quaͤlſt,
Wenn du die einzelnen zuſammenrechnend zaͤhlſt!
Die Freude kennſt du nicht, wenn du nur Freuden kenneſt;
Dir fehlt das ganze Licht, wenn du's in Stralen trenneſt.
Aus all den Freudchen flichſt du keinen Freudenkranz;
Denn eh das eine bluͤht, verwelkt des andern Glanz.
Dir frommt auf kurze Raſt nicht mancher Freudengaſt,
Wenn du nicht Freudendaur im Hauſe wohnen haſt.
109.
Zu Gottes Angeſicht wie ſteigt ſichs ſchwer empor!
Denn ſieben Himmel ſind, und jeder hat ein Thor.
Und iſt durchs eine Thor gegeben frei der Lauf,
So thun deswegen ſich noch nicht die andern auf.
Was guͤltig iſt als Paß, durch dieſes Thor zu kommen,
Wird nicht gleich ebenſo bei jenem angenommen.
Vielmehr wird Reineres von Thor zu Thor begehrt,
Daß Reinſtes droben ſei von Gottes Blick verklaͤrt.
Die Engel, die aufs Werk des Menſchen merken, tragen
Heut eins von ihm empor zum erſten Thor, und ſagen:
Thorhuͤter, laß uns ein! dis Werk iſt ſchoͤn und rein;
Zu Gottes Angeſicht ſoll es getragen ſeyn.
Der Huͤter aber ſpricht: Wie? iſt es fleckenfrei?
O nein, das iſt es nicht, es iſt voll Heuchelei.
Vor Gottes Angeſicht kommt ihr mit dieſem nicht;
Nehmt es und werft es dort dem Menſchen ins Geſicht.
Da nehmen's mit ſich fort die Engel voll Verzagen,
Um morgen anderes zum andern Thor zu tragen.
Doch dort der Huͤter ſpricht: Wie? iſt es ohne Schmutz?
O nein, das iſt es nicht, es iſt voll Eigennutz.
Vor Gottes Angeſicht kommt ihr mit dieſem nicht;
Nehmt es und werft es dort dem Menſchen ins Geſicht.
Da nehmen's mit ſich fort die Engel voll Verzagen,
Um morgen anderes zum dritten Thor zu tragen.
Der dritte Huͤter ſpricht: Hat es die rechte Zier?
O nein, die hat es nicht, es iſt aus Ruhmbegier.
Vor Gottes Angeſicht kommt ihr mit dieſem nicht;
Nehmt es und werft es dort dem Menſchen ins Geſicht.
Da nehmen's wieder fort die Engel mit Verzagen,
Um morgen anderes zum vierten Thor zu tragen.
Der vierte Huͤter ſpricht: Iſt dieſes wirklich gut?
O nein, es iſt nicht Pflicht, es iſt nur Trieb im Blut.
Vor Gottes Angeſicht kommt ihr mit dieſem nicht;
Nehmt es und werft es dort dem Menſchen ins Geſicht.
Da nehmen's wieder fort die Engel mit Verzagen,
Um morgen anderes zum fuͤnften Thor zu tragen.
Der fuͤnfte Huͤter ſpricht: Iſt dieſes fromm und treu?
Iſts aus Geſetzfurcht nicht, und nicht aus Menſchenſcheu?
Vor Gottes Angeſicht kommt ihr mit dieſem nicht;
Nehmt es und werft es dort dem Menſchen ins Geſicht.
Da nehmen's wieder fort die Engel mit Verzagen,
Um morgen anderes zum ſechſten Thor zu tragen.
Und dort der Huͤter ſpricht: Iſt dis vollkommen ſchon?
Um Menſchenlohn iſts nicht, doch iſts um Gotteslohn.
Vor Gottes Angeſicht kommt ihr mit dieſem nicht;
Nehmt es und werft es dort dem Menſchen ins Geſicht.
Da nehmen das auch fort die Engel voll Verzagen,
Um morgen eines noch zum letzten Thor zu tragen.
Und dort der Huͤter ſpricht: Vollkommen iſt es nicht
Doch iſts gethan aus Luſt an Gottes Angeſicht.
Zu Gottes Angeſicht moͤgt ihr empor denn ſteigen;
Doch wiſſen Engel nicht, ob Er es wolle zeigen.
110.
Ein Beter hat erzaͤhlt: Lang betet' ich, und nickte
Vor Andacht endlich ein, als ich den Traum erblickte:
Ein Engel ſtand vor mir, und hielt in ſeiner Hand
Ein Blatt, wo jegliches Gebet geſchrieben ſtand;
Ein jegliches, wie ich's der Reihe nach geſprochen;
Nur eine Zeile war in Mitten abgebrochen.
Da weint' ich, daß mir die verloren ſollte ſeyn;
Warum nicht trugeſt du dis mit dem andern ein?
Er ſprach: Im Beten warſt du bis hieher gekommen,
Als beim Voruͤbergehn der Nachbar dich vernommen.
Du wurdeſt auch gewahr, daß er voruͤber kaͤme,
Und ſpracheſt lauter gar, damit er es vernaͤhme.
Die Stelle des Gebets ſtahl deines Nachbars Ohr;
Nur was ein Menſch nicht hoͤrt, ſchreib' ich und trag's empor.
111.
Vier Koͤnigstoͤchter ſind auf einem rings von Wogen
Umſpuͤlten Lenzeiland von einer Fee erzogen.
Und morgen ſollen ſie zuruͤck zur Heimath ziehn,
Weil ihnen aller Schmuck der Bildung iſt verliehn.
Da ſprach die Fee: Ich bin mit jeder wohl zufrieden,
Doch einer muß zuletzt der Vorzug ſeyn beſchieden.
Nun geht zur Ruh, und wann euch weckt des Morgens Glanz,
Iſt einer unter euch beſchert ein Perlenkranz.
Dieſelbe findet ihn am Grund des Koͤrbchens liegen;
Den ſoll die Finderin bewahren hold verſchwiegen. —
Da blickten alle vier einander laͤchelnd an,
Und jede dachte: die wird wol den Preis empfahn.
Nicht eine dachte, daß ſie ſelber ſiegen ſollte,
Nur, wie ſie ſich des Siegs der andern freuen wollte.
So traͤumten ſie die Nacht bis zu des Morgens Glanz,
Und an des Koͤrbchens Grund fand jede einen Kranz.
Erroͤthend ließen ſie den Kranz im Koͤrbchen liegen,
Und jede haͤtte gern ſich ſelbſt den Fund verſchwiegen.
Doch als der Abſchied kam, verrieth die holde Scham
Von jeder jeder wohl, was jede mit ſich nahm.
Sie brauchten ſich es nicht zu fragen noch zu ſagen,
Und fuͤhlten ſich begluͤckt all' einen Kranz zu tragen.
112.
Mit Stolz genießen wir, was wir mit Kampf erwarben;
Die Wunden ſind geheilt, es ſchmuͤcken uns die Narben.
Doch einen Stachel laͤßt der Kampf zuruͤck im Herzen;
Bei boͤſem Wetter wird die Ehrennarbe ſchmerzen.
113.
Das iſt mein Wunſch, daß gut und gluͤcklich moͤgen werden,
Und all mit ihnen ich, die Menſchen all auf Erden.
Und wenn ich ſelbſt nicht viel zum allgemeinen Heil
Beitragen kann, ſo trag' ich bei mit Luſt mein Theil.
Die aber nichts dazu bei wollen, koͤnnen tragen,
Verklagen kann ich ſie darum nicht, doch beklagen.
Wer ſieht auf andrem Weg als ich das Heil gelegen,
Der geh' ihn nur! es geht dahin auf vielen Wegen.
Das Streben fuͤr die That nimmt Gott vom Menſchen an;
Wir haben viel gewollt, zuletzt hat er's gethan.
114.
Sei dankbar fuͤr das Gluͤck, das dir der Herr beſtimmt
Und gib es gern zuruͤck, wenn er es wieder nimmt.
Es iſt kein Gut ſo groß, er hat noch groͤßres eben,
Und nimmt dir eines bloß um andres dir zu geben.
115.
O Herz, in Luſt und Schmerz ſo trotzig als verzagt,
Du biſt ein Jaͤger, Herz, und biſt zugleich gejagt.
Du jageſt nach der Zeit, die fluͤchtig dir entweicht,
Und fliehſt die Ewigkeit, die ſicher dich erreicht.
116.
O Seele, ſuͤndigſt du, und denkſt, Gott ſieht dich nicht;
Wie iſt die Blindheit groß, wie klein der Einſicht Licht!
Und ſuͤndigſt du und weißt, daß es ſein Blick vernahm,
Wie iſt die Frechheit groß, wie klein iſt deine Scham?
117.
O Gaͤrtner, der du hier den Baum im Garten ziehſt,
Mit ſtolzer Schoͤpferluſt auf deine Schoͤpfung ſiehſt!
In Wahrheit haſt du doch den Samen nicht gemacht,
Und haſt auch nicht daraus den Baum hervorgebracht.
Doch dein iſt das Verdienſt, daß du den Samen ſtreuteſt,
Und groß den Baum zu ziehn, nicht Muͤh noch Sorgfalt ſcheuteſt.
118.
Obſtbaͤume ſind genug, o Kinder, hier im Garten;
Ihr muͤßt beim erſten Baum die Reife nur erwarten.
Die Baͤume loͤſen ſich von Wochen ab zu Wochen,
Daß neugereifte Frucht in jeder ſei gebrochen.
Und kaum an einem Baum habt ihr euch ſatt gepfluͤckt,
Als ſchon der folgende fuͤr euch die Tafel ſchmuͤckt.
Doch wenn beim erſten ihr zu fruͤh beginnt den Schmaus,
Seid ihr dann uͤberall der rechten Zeit voraus.
Euch wird von einem Baum Begier zum andern treiben,
Und keinem wird die Zeit, die Frucht zu reifen, bleiben.
Ihr habt das ganze Jahr zu eſſen herbe Frucht,
Weil von dem erſten Baum ihr habt zu fruͤh verſucht.
119.
Ein Buͤßer, der im Wald bei ſtrenger Buße buͤßte,
Mit ſuͤßen Fruͤchten nie den herben Gaumen ſuͤßte,
Der trocknen Lippe nie erlaubte kuͤhles Naß,
Nur laues Waſſer trank, nur welke Wurzeln aß;
Ward einſt gefragt, warum er ſich ſo gar kaſteie,
Und ob zum Seelenheil die Pein nothwendig ſeie?
Er ſprach: Es iſt allein fuͤr meine Seele nicht,
Ich halte ſo zugleich die Welt im Gleichgewicht.
Soviele ſind die nur nach ſuͤßen Fruͤchten rennen,
Soviele die allein nach kuͤhler Labe brennen,
Soviele die wie Gift das Herbe weichlich fliehn,
Daß auch das Gegentheil einmal nothwendig ſchien.
So uͤbernahm ich denn, was nicht durft' unterbleiben,
Und uͤbertreibe hier, weil ſie dort uͤbertreiben.
120.
Was kniſtert neben mir und ſtoͤrt mein einſam Denken,
Vom Sinnen ab den Sinn aufs Sinnliche zu lenken?
Iſt es die Schlange wol, die ſich im Graſe ruͤhrt,
Die Schlange die zuerſt den Menſchen hat verfuͤhrt?
Doch als ich um mich ſah, war es ein graſend Lamm,
Und ruhig dacht' ich fort, gelehnt an meinen Stamm.
121.
In Waldeseinſamkeit, von Wurzeln und von Waſſer
Sich naͤhrend, lebt ein Mann, und heißt ein Menſchenhaſſer.
Den fragt' ein Wandrer einſt: Was trieb dich an zu haſſen
Die Menſchen, und warum haſt du die Welt verlaſſen?
Da ſprach er: Nicht aus Haß verlaſſen hab' ich ſie,
Aus Liebe that ich es, und will dir ſagen, wie.
In meinem Herzen wohnt ein innres Freudenlicht,
Doch iſt kein Schein davon auf meinem Angeſicht.
Die Menſchen, die das Licht nicht ſahn in meinem Herzen,
Der Ernſt im Angeſicht war Stoͤrung ihren Scherzen.
Ungluͤckweiſſagend war der Ausdruck meiner Mienen,
Wie Trauerboten, die beim Freudenfeſt erſchienen.
Und um die Weltlichkeit nicht dort in ihrem Gluͤck
Zu hindern, zog ich mich mit meinem hier zuruͤck.
Ich fuͤhle mir genug das Licht in meiner Bruſt,
Und wuͤnſche daß der Welt genuͤg' auch ihre Luſt.
122.
Bei einem Lehrer iſt von Schuͤlern eine Gilde,
Die unterweiſet er in Gottesfurcht und Milde.
Er weiſt zu Gottesfurcht und Milde nur ſie an,
Doch einer eilt voraus den andern auf der Bahn.
Am allerjuͤngſten hat der Meiſter Wohlgefallen,
Weil er ihn ſieht im Geiſt voran den andern wallen.
Die andern aber, die voran im Alter gehn,
Sie fragen ſich, warum ihr Meiſter vorzieht den?
Warum uns aͤltern ihn, den juͤngſten, ziehſt du vor?
Er ſprach: Ich ſag' es euch, doch thut mir dis zuvor:
Von dieſen Voͤgelein (er nahm ſie aus dem Neſte)
Nehmt jeder eins zur Hand, und geht damit aufs beſte
Hinaus an einen Ort, da wo euch ſieht kein Blick;
Erwuͤrgt die Voͤgel dort, und bringt ſie her zuruͤck. —
Sie gehn, und bringen dann die todten ohne Beben,
Als ſollt', ein Wundermann, der Meiſter ſie beleben.
Der juͤngſte aber bringt ſein Voͤgelein lebendig;
Was wuͤrgteſt du es nicht? Er ſprach darauf verſtaͤndig:
Weil ich den Ort nicht fand, o Meiſter, welchen du
Mich ſuchen hießeſt, da kein Blick mir ſaͤhe zu.
Ein Blick ſieht uͤberall, er ſieht aufs Leben nieder,
Wie meins, des Voͤgeleins; drum bring' ichs lebend wieder. —
Der Meiſter ſah ſich um, die Schuͤler waren ſtumm;
Den juͤngſten zog er vor, nun wußten ſie, warum. —
Die todten Voͤgelein ſetzt' er zuruͤck ins Neſt,
Ums lebende herum, und druͤckte ſanft ſie feſt.
Vom Wunderhauch der Huld ſind ſie lebendig worden;
Beleben kann der Herr, doch ſoll der Menſch nicht morden.
123.
Der Wandrer im Gebirg verlor die rechten Steige,
Und blickt umſonſt umher, wer ihm dieſelben zeige.
Doch ein Einſiedler ſitzt vertieft dort in Gebeten,
Und fragend nach dem Weg, kommt er zu ihm getreten.
Da hebt der fromme Mann, und ſpricht dazu kein Wort,
Den Finger himmelan, und betet ſchweigend fort.
Es ſpricht der Wandersmann: Ich weiß, daß durch Gebet
Und Weltentſagung dort der Weg zum Himmel geht.
Doch jetzo moͤcht' ich den zum naͤchſten Dorfe wiſſen;
Wenn du die Kunde haſt, ſo laß mich ſie nicht miſſen.
Da wiegt der fromme Mann, und ſpricht dazu kein Wort,
Das Haupt verneinend ernſt. Der Wanderer geht fort,
Und denkt: Was koͤnnt' es wol dem frommen Manne ſchaden,
Wenn er bewandert waͤr' auch in der Erde Pfaden?
Am Himmel wuͤrd' es dort ihm keinen Eintrag thun,
Zeigt' er den Weg mir hier; den zeige Gott mir nun!
Rückert, Lehrgedicht III. 10
124.
In ſeiner Klauſe ſaß der Klauſner und vergaß
Das Irdiſche, dieweil er Himmliſches ermaß.
Da gieng ein ſchoͤnes Weib vorm offnen Eingang hin,
Aus ihrem Auge ſchlug ein Blitz in ſeinen Sinn.
Er fuͤhlte von dem Schlag des Funken ſich durchzuckt,
Und ſchon hat er den Fuß zur Schwell' hinaus geruckt.
Doch auf dem halben Weg zur Welt iſt er zum Gluͤck
Vom Geiſt zuruͤckgemahnt, und zieht den Fuß zuruͤck.
Er will ihn ziehn, und kann ihn nicht zuruͤckziehn wieder,
Und auf der Schwelle ſelbſt laͤßt ſich der Klauſner nieder.
Es ſitzt der Oberleib zur Klauſ' hinein gelehnt,
Doch auf der Schwelle bleibt der Fuß heraus gedehnt.
Seit Jahren muß der Fuß heraus zur Schwelle hangen,
Und alle ſahn ihn ſo, die dort vorbeigegangen. —
Halt deinen Fuß zuruͤck von Weltluſt, laß nicht ihn
Voreilen, weil's ſo ſchwer iſt ihn zuruͤckzuziehn.
125.
Sei wahr zu jeder Zeit, wahr in der Gegenwart,
Fuͤr die Vergangenheit, und auf die kuͤnft'ge Fahrt.
Wahr in der Gegenwart, ſo wie du biſt, dich zeigend;
Wahr fuͤr Vergangenheit, Gethanes nicht verſchweigend;
In Zukunft wahr, bereit, was du verſprichſt, zu halten;
So biſt du wahrhaft wahr in allen Zeitgeſtalten.
126.
Dis Wort hat der Profet geſagt den Muſelmanen;
Laß dir geſagt es ſeyn, o Schuͤler des Brahmanen:
Nicht jeder log, wer dir die Wahrheit vorenthielt;
Er hat villeicht dadurch dein wahres Wohl bezielt.
10*
Entzweiter Freunde Zwiſt hat er dadurch geſchlichtet,
Daß er nicht jedem gleich, was jeder ſprach, berichtet;
Wenn er, einander ſie zu machen wohlgeneigt,
Die gute Rede ſagt, das boͤſe Wort verſchweigt.
Er will das Herz mit Fleiß dir machen kuͤhl, nicht heiß;
Gott ſagt dir auch zum Gluͤck nicht alles, was er weiß.
127.
Von einem Wandersmann wird nur das Land beſchaut,
Vom Landbewohner wird's dagegen angebaut.
Wo du auf Erden wallſt als Pilger voll Beſchauung,
Dient's zur Erbauung dir, doch ihr nicht zur Bebauung.
281.
Daß mit Unthaͤtigkeit iſt Ueberdruß verbunden,
Und nur in Thaͤtigkeit die Ruhe wird empfunden;
Dis, was ein Graͤmlicher haͤlt fuͤr der Menſchheit Fluch,
Erklaͤrt ein Heiterer fuͤr weiſen Goͤtterſpruch.
Wenn jener ſagt: es iſt der alten Suͤnd' Ererbnis,
Daß unbefriedigt ſich der Menſch fuͤhlt in Verderbnis;
Sagt dieſer ihm darauf: es iſt des Himmels Fuͤgung,
Daß ihm zum Wohl der Welt nur Arbeit gibt Vergnuͤgung.
129.
Zur Arbeit iſt der Menſch ſo von Natur beſtimmt,
Daß er ſelbſt Arbeit zum Vergnuͤgen unternimmt.
Was kann am Spiele dich, was an der Jagd dich reizen?
Nach Groſchen wirſt du nicht und nicht nach Haſen geizen.
Du naͤhmeſt ſie nicht an, wer ſie dir ſchenken wollte:
Es iſt der Arbeit Schein, der dich betruͤgen ſollte.
Denn deine Kraft muß ſich ſtets auf ein Aeußres lenken,
Und nie beruhigts dich, in Ruh dich zu verſenken.
Ja ſelbſt die Ruh, die du entathmet ſchoͤpfſt im Nu,
Spornt dich der Thaͤtigkeit mit neuem Athem zu.
Und willſt du auf dir ſelbſt nur ausruhn augenblicklich,
Gleich wirſt du ſelbſt dich abarbeiten unerquicklich.
Wie eine Muͤhle ſich zermalmet und zerruͤttet,
Wenn man dem leeren Gang nicht neues Korn aufſchuͤttet.
130.
Des Lebens Sorge laͤßt dir wenig Zeit zu denken
An dich, und deinen Sinn aufs Ewige zu lenken.
Lang ſorgſt du, ſorgenlos zu haben eine Stunde;
Dann wird, der Sorgen los, zu lang dir die Sekunde.
Du gehſt auf Zeitvertreib, auf Unterhaltung aus,
Und ſtatt der Sammlung ſuchſt du der Zerſtreuung Braus.
Du findeſt wol nach Wunſch dein Innres nicht beſtellt,
Und wuͤnſcheſt lieber nicht zu ſehn was dir misfaͤllt.
Du ſiehſt ein weites Leer, und weißt es nicht zu fuͤllen,
Und willſt mit holem Schein der Luft es uͤberhuͤllen.
Vertreibe denn die Zeit, bis dich die Zeit vertreibt;
Zerſtreue dich, bis nichts an dir zu ſammeln bleibt;
Bis wieder ſammelt einſt des Lebens Herr und Meiſter
Deine in alle Welt zerſtreuten Lebensgeiſter.
Er wird nicht ſchwerer auch ſie bringen zum Vereine
Als unſere zu Staub zerſtreuten Todtenbeine.
131.
Selbliebe liebte gern ſich ſelber ungeſtoͤrt,
Und iſt von allem, was darin ſie ſtoͤrt, empoͤrt.
Sie moͤchte ſeyn, um nur recht lieben ſich zu koͤnnen,
Recht liebenswuͤrdig, und ſich jeden Vorzug goͤnnen.
Entdecken muß ſie da mit Schrecken manchen Flecken;
Was bleibt ihr denn, als ihn verdecken und verſtecken?
Verſtecken vor der Welt, daß ſchoͤn der Welt ſie ſcheine;
Verdecken vor ſich ſelbſt, daß ſie es ſelber meine.
Doch meinen kann ſie's nie recht ungeſtoͤrt und ſtill,
Und meint ſtets, daß die Welt nicht recht es meinen will.
Straft ihr die Heuchlerinn? ſie ſtraft die Heuchelei;
Sie ſelbſt nur weiß, wie ſchwer die hole Maſke ſei.
132.
Warum die Wahrheit wird ſo ſchwer an Mann gebracht?
Weil ſie den Menſchen vor ſich ſelbſt zu Schanden macht.
Die Selbſucht, die dir ſchließt vor unſerm Rath das Ohr,
Verſchließt auch ſelbſt den Mund des Rathes uns zuvor.
Wenn du zu ſpenden haſt und zu verweigern Gnaden,
Wie ſollten wir, um dir zu nuͤtzen, ſelbſt uns ſchaden?
Wir werden wenigſtens die Bitterkeit der Sachen
Durch moͤglichſt ſuͤßes Wort dir halb ertraͤglich machen.
Nur wenn von dir nichts iſt zu fuͤrchten noch zu hoffen,
Erwarte, daß du hoͤrſt die Wahrheit frei und offen.
Drum iſt am weiteſten von ihr ein Fuͤrſt entfernt,
Da leicht ein Bettler ſie auch wider Willen lernt.
133.
In jedem Zuſtand iſt ein Haben und ein Miſſen,
Und das Gemiſſte biſt zu haben du befliſſen.
Darum bei jedem Gluͤck iſt noch ein Wunſch zuruͤck,
Der eben iſt davon ein zubehoͤrig Stuͤck.
Und wie ein Zuſtand in den andern uͤbergeht,
Siehſt du, daß aus dem Wunſch ein neuer Wunſch entſteht.
Denn jeder Wunſch, erlangt, iſt nicht mehr wuͤnſchenswerth;
Doch Gluͤck iſt auch, daß man ſtets neu ein Gluͤck begehrt,
134.
Es wird geſagt, es ſei des boͤſen Herzens Zeichen,
Wenn du die Menſchen liebſt mit Thieren zu vergleichen.
Auch iſt es ſo, wenn du mit Fleiß herunterziehſt
Den Menſchen, und in ihm des Thieres Zuͤge ſiehſt.
Doch anders iſt es, ja es iſt kein andrer Rath,
Wo wirklich in Geſtalt des Thiers der Menſch auftrat,
Es ſei der Einzelne, es ſei ein ganz Geſchlecht,
An dem verloren ſcheint der Menſchheit ew'ges Recht;
Da iſt kein andrer Rath, als, liebes Herz, zu ſagen:
Hier will der Menſchengeiſt einmal Thiermaſke tragen.
Unwuͤrdig iſt das Spiel, daß er die Maſke nahm;
Und wenn er ſich beſinnt, legt er ſie ab mit Scham.
Der Maſke Anblick ſchon iſt zur Genuͤge haͤßlich;
Als wirkliches Geſicht betrachtet, waͤr' es graͤßlich.
135.
Wenn Thiere von dem Tod wuͤßten ſoviel wie ihr,
Zur Speiſe wuͤrd' euch auf der Welt kein fettes Thier.
So ſprach einſt der Profet. Weil ſie vom Tod nichts wiſſen,
Drum werden Thiere fett, und ihnen ſchmeckt der Biſſen.
Und fett nur werden auch gleich Thieren mit Behagen
Die Menſchen, die den Tod ſich aus dem Sinne ſchlagen.
136.
Du findeſt im Beſitz Genuͤge nimmermehr;
Denn es begehrt dein Herz entweder immer mehr,
Oder, haſt du genug, ſo fuͤrchteſt du Verluſt;
Und dort iſt ſo wie hier der Stachel in der Bruſt.
137.
Du ſiehſt, es wankt dein Kind, und, ſtatt ihm beizuſpringen,
Siehſt du mit Angſt ihm zu, wie es ihm wird gelingen.
Wird es im Gleichgewicht ſich halten, wird es fallen?
Daruͤber laͤſſeſt du die Zeit der Huͤlf' entwallen.
Die Roll' iſt ungeſchickt, die du dabei geſpielt;
Gefallen waͤr' es, wenn es nicht ſein Engel hielt.
Doch troͤſte dich, wer weiß du haͤtteſt, wohlbefliſſen
Eingreifend, es villeicht erſt hin zum Sturz geriſſen.
Es fiel nicht, danke Gott. Fiel es, ſo machteſt du
Vorwuͤrfe dir mit Recht; nun iſt kein Grund dazu.
138.
Das Kind weiß nicht, warum man etwas ihm verbeut.
Warum gehorcht es? weil der Vater Straf' andreut?
Es kennt die Straf' auch nicht, doch kennt es ſchon die Furcht,
Weiß nicht warum, doch weiß gar wohl, wenn es gehorcht.
139.
Ein Mann zu werden, iſt des Kindes Stolz; ein Mann
Bedauert wol, daß er kein Kind mehr werden kann.
Wollt' er ein Kind ſeyn, um ſich kindiſch zu geberden?
O nein, als Kind moͤcht' er zu anderm Manne werden.
Ein Vater iſt begluͤckt, daß er ein andrer Mann,
Als er geworden iſt, im Kinde werden kann.
Mit aller Einſicht, die Erfahrung ihm verliehn,
Streb' er ſich ſelbſt im Kind zum Manne zu erziehn.
140.
Nur die Beſchraͤnktheit wird an dem, den ſie will ehren,
Die Fehler leugnen und fuͤr Tugenden erklaͤren.
Des Mannes Groͤß' iſt mir, nicht daß er fehlerfrei,
Doch uͤber Fehler, die er hat, erhaben ſei.
141.
Oft bringt nur in Gefahr vor der Gefahr die Warnung,
Und was dich retten ſoll, gereicht dir zur Umgarnung.
Ich warne dich; wovor? ich muß den Feind dir nennen;
Und darin ſchon beſteht das Uebel, es zu kennen.
142.
Ein Bilderbuͤchelchen hat heut mich unterhalten
Voll doppelguͤltiger zweideutiger Geſtalten.
Ein Bild, grad' angeſehn, glich einem ſchoͤnen Schatze,
Dann auf den Kopf geſtellt, ward es zu einer Fratze.
Hier war ein Jud' im Bart, was dort ein Eber ward,
Ein alter Kahlkopf hier, dort eine Jungfrau zart.
Hier ſchien ein Eſelskopf, was dort ein Weiſer ſchien;
Und ſo war jedem Schein ſein Gegenſchein verliehn.
Ich dachte: Wem's gefaͤllt, der kann die ganze Welt
Betrachten wie dis Buch, auf Fuß und Kopf geſtellt.
Wie manches iſt darin zu ſchelten und zu loben,
Jenach man es beſchaut von unten oder oben.
143.
Ein eigner Zauber liegt im langgewohnten Alten,
Doch auch im Neuen iſt ein eigner Reiz enthalten.
Du laͤſſeſt bald von dem, dich bald von dem verfuͤhren,
Wie etwas dort dein Herz, hier deinen Sinn mag ruͤhren.
Die Welt in Zwieſpalt haͤngt halb ab von Vorurtheilen,
Halb Neuerungen nach, nicht hier noch dort zu heilen.
Wer zwiſchen Neu und Alt ſich in der Mitte haͤlt
An das was gilt wie galt, vermittelt erſt die Welt.
144.
Behalte, was ich hier dir nicht will vorenthalten,
Vier Lehren, die nicht ſind in jedem Ohr enthalten.
Dir geben einen Halt, im Leben einen Stab,
Der Worte vier: Halt ein! Halt aus! Halt an! Halt ab!
Halt ein den Zorn, die Gier, und jede Leidenſchaft;
Halt aus, was dich betrifft, mit ſtarker Seelenkraft.
Halt an zum Guten wen und wo du Macht gewannſt;
Halt ab vom Boͤſen wen, von Uebel was du kannſt.
Behalt und halte dis, und ordne dein Verhalten
Danach; ſo wirſt du dich und wirſt die Welt erhalten.
145.
Die wahre Tugend iſt nicht alle Tugend uͤben,
Sonſt wird der eine Glanz ſich durch den andern truͤben.
Die wahre Tugend iſt, daß jeder jede Friſt
Das tuͤchtig thut, wozu er taugt und tuͤchtig iſt.
146.
Nicht Schritte ſoll man thun, die nur zum Ziele fuͤhren,
Der alte Meiſter ſprach's, vielmehr will ſichs gebuͤhren,
Daß jeder Schritt fuͤr ſich ein Ziel, und nebenbei
Ein Fortſchritt auf dem Weg zu hoͤherm Ziele ſei.
Das gilt, wie von der Kunſt, vom Leben gleicherweiſe,
Vorzuͤglich und zunaͤchſt doch gilt es von der Reiſe.
Wenn du als Reiſeziel betrachteſt jeden Schritt,
Wird dir der Weg ein Spiel, und kommſt vom Fleck damit.
147.
Das Maͤrchen von dem Schatz, den dort der Mann verhieß
Drei Soͤhnen, welchen er den Weinberg hinterließ,
Vom Schatze, welchen ſie im Weinberg ſollten graben,
Worauf ſie umgewuͤhlt den ganzen Weinberg haben,
Der, ſo im Grund erneut, dreifaͤltig Fruͤchte trug,
Daß alle drei am Schatz auf einmal hatten gnug;
Das Maͤrchen ſetzt voraus verſaͤumten Weinbergsgrund,
Dem ſolche Heilung ſo gewaltſam war geſund.
Doch haͤtt' ihn nach Gebuͤhr der Mann gebaut im Leben,
Ein Fleiß'ger Fleißigen ihn ſterbend uͤbergeben;
Die Soͤhne braucht' er nicht zu taͤuſchen noch zu plagen,
Der Weinberg ohne Zwang haͤtt' einen Schatz getragen.
148.
Ein vielerfahrner Fuchs, der alle Weg' und Stege
Wohl ausgegangen hatt' in ſeinem Waldgehege,
Hat den von Jaͤgerkunſt geſtellten Trug getroffen,
Die Falle zugedeckt, und nur die Lockſpeiſ' offen.
Die Lockung kannt' er wohl, ihn konnte ſie nicht locken;
Warum denn gieng er nicht voruͤber ohne Stocken?
Er dachte: wuͤrde doch der unſichtbare Grund
Des Sichtbarn auch durch mich dem Unerfahrnen kund!
Vorſichtig zog er von der Falle weg die Reiſer,
Bis ſie am Tage lag; dann gieng er wie ein Weiſer,
Zufrieden nicht allein dem Schaden zu entweichen,
Davor behuͤtet auch zu haben ſeinesgleichen.
Nie ſoll ein weiſer Mann auf ſeinem Weg verſaͤumen,
Verſuchung, wo er kann, fuͤr Thoren wegzuraͤumen.
149.
Der alte Meiſter ſprach: (bedankt ſei der Erzaͤhler!)
Man muß ins Alter nicht mitnehmen Jugendfehler;
Denn eigne Maͤngel bringt mit ſich das Alter ſchon,
Die nur mit Anſtand traͤgt, wer jenen iſt entflohn.
150.
Dem Suͤß entgegen ſind geſtellt Herb, Bitter, Sauer,
Drei Nachwehn einer Luſt; o Schmerz, o Leid, o Trauer!
Dem Gut entgegen ſteht Boͤſ', Uebel, Schlimm und Schlecht,
Vier Schaͤden einem Heil; o Menſch, verſtehſt du's recht?
151.
Willſt du dem Irrenden klar ſeinen Irrthum machen,
So ſieh, von welcher Seit' er angeſehn die Sachen.
Raͤum' ein, die Sache ſei von dieſer Seite wahr,
Und mach' ihm nebenbei die andern Seiten klar.
152.
Der Menſch iſt nicht ſo ſchlimm als ſeine Thaten zeigen,
Denn ſeine Thaten ſind zum kleinſten Theil ihm eigen.
Nimmſt du die Zuthat weg von Zufall, Unverſtand,
Nachlaͤſſigkeit; was bleibt als That der freien Hand?
Nichts Boͤſes uͤberhaupt thut er villeicht aus Trieb
Zum Boͤſen, ſondern weil zu thun nichts andres blieb.
Laßt ihn das Gute thun, gebt ihm zum Guten Raum;
Und Boͤſes dann zu thun faͤllt ihm nicht ein im Traum.
153.
Geliebt zu ſeyn, mein Sohn, ohn' auch zugleich geachtet,
Nach dieſem hab' ich nie getrachtet noch geſchmachtet,
Wie's manche Leute dieſer Zeit, nicht Maͤnner, giebt,
Die nicht geachtet nicht geliebt ſind, doch beliebt.
154.
Weil' an den Graͤbern nur, und pflanze Roſenhecken!
So denkſt du an den Tod, und er wird dich nicht ſchrecken. —
Wenn dir ein lieber Freund hinweg geſtorben iſt,
Denk: eine Tagereiſ' iſt dieſes Lebens Friſt.
Nun, dein Gefaͤhrte gieng ein Streckchen nur voraus,
Und um ſo fruͤher iſt er angelangt zu Haus.
Was klageſt du, daß ihn die Herberg' aufgenommen?
Geh nur des Wegs getroſt! Bald biſt du nachgekommen.
155.
O Menſchengeiſt, du biſt zu Gottes Thron gerufen;
Doch welches Wegs du kommſt, das aͤndert dort die Stufen.
Kommſt du von deinem Grab, ſo biſt du aufgenommen;
Doch kommſt du aus der Welt, ſo biſt du erſt willkommen.
Drum warte nicht durchs Grab den Weg zum Herren ab,
Und aus dem Leben nimm zu ihm den Pilgerſtab.
156.
Wer uͤber Graͤber geht, und denket nicht an ſich,
Und ſpricht nicht ein Gebet, thut doppelt freventlich.
Er hat vergeſſen, daß im Herrn die Todten leben,
Und hat vergeſſen, daß er ſelbſt ſoll ſterben eben.
157.
Unſterblichkeit iſt nicht der Zukunft aufgeſpart,
Unſterblichkeit iſt im Gefuͤhl der Gegenwart.
Du waͤrſt nicht, der du biſt, in dieſem Nu der Zeit,
Wenn du derſelbige nicht waͤrſt in Ewigkeit.
Sobald du denken willſt, du waͤreſt nicht mehr einſt,
So fuͤhlſt du, daß du dich inſoweit ſelbſt verneinſt.
Verneine nur dis Nein! dazu haſt du empfahen
Des Geiſtes Kraft allein, dich ewig zu bejahen.
158.
Der Tod, der die Geburt iſt in ein hoͤhres Leben,
Iſt auch wie jegliche Geburt mit Weh umgeben.
Alswie ein Kindlein tritt in dieſe Welt mit Klagen,
Aus dieſer ſo die Seel' in jene mit Verzagen.
Wie ſchwer das Kindlein ſich entwand dem Mutterſchooß,
So ringt die Seele ſich aus dieſem Leibe los.
Doch wie das Kindlein nun, gewoͤhnt der neuen Luſt,
Nichtmehr zuruͤck zum Schooß ſich ſehnet von der Bruſt;
So wird die Seele bald, von hoͤherm Licht umfangen,
Zum dunkeln Aufenthalt nicht mehr zuruͤck verlangen.
159.
Du biſt gegangen und wir gehn dir alle nach;
Du giengſt zur Ruh und wir ſind noch ein Weilchen wach.
Vielmehr wir ſchlafen noch, du biſt vom Traum erwacht;
O Leben, Spreu und Wind, o ſchwerer Traum der Nacht!
Was iſts, das weiter wir hier zu beſorgen haben,
Als eins das andere anſtaͤndig zu begraben!
160.
Beklagen ſollt' ich dich? ich kann dich nur beneiden,
Denn nicht jedwedem wird gegeben ſo zu ſcheiden,
Wie du geſchieden biſt, mit Gott und Welt in Frieden,
So ohne Schmerz und Weh von Weh und Schmerz geſchieden.
Des Himmels Ruh verklaͤrt dein Todtenangeſicht;
Und waͤre ſie gewaͤhrt dem ſel'gen Geiſte nicht?
Es wird mir ſtill zu Muth, ins Antlitz dir zu ſehn,
Und herzlich wuͤnſch' ich, moͤg' auch mir einſt ſo geſchehn.
161.
Vom Todten ſaget man: er iſt zu Gott gegangen;
Alsob zum Ewigen koͤnnt' Endliches gelangen!
Alsob koͤnnt' Endliches vom Ew'gen ferne ſeyn!
Was iſt, das iſt, wo auch es iſt, in Gott allein.
Rückert, Lehrgedicht III. 11
Du haſt in Gott gelebt, und biſt in Gott geſchieden,
Und biſt geblieben, wo du warſt, in Gottes Frieden.
Das iſt die Seligkeit, zu der nicht wird gelangen
Die Seele dort, in der ſie hier nicht angefangen.
Das iſt die Seligkeit, die dort ſich wird entfalten
In jeder Seele, die ſie hier im Keim enthalten.
Wie unentwickelt auch, wie eingewickelt ſei
Der Himmelskeim, der Hauch des Himmels macht ihn frei.
Die Fuͤlle tritt hervor, die Huͤlle muß verweſen,
Und gleich im Wandel bleibt die Weſenheit der Weſen.
162.
Soll ich den nahen Tod dem Todesnahen zeigen?
Soll ich dem Sterbenden von ſeinem Sterben ſchweigen? —
Vor Augen hatt' er ſtets in dieſem jenes Leben,
Gewaltſam brauchſt du nicht den Vorhang ihm zu heben.
Doch wuͤrd' er auch dem Tod mit unbefangnem Blick
Ins Antlitz ſchaun, wie ſonſt manch anderem Geſchick.
Ob du den Tod ihm magſt verdecken, ob entdecken,
Gefaͤrden wirſt du dort ihn nicht, hier nicht erſchrecken.
Doch iſts ein wicht'ger Schritt, von hier hinuͤbertreten
Ins unbekannte dort, bei dem es ziemt zu beten.
Du bet', und frage nicht, ob er auch bete mit;
Bete fuͤr dich und ihn, wie er hinuͤber tritt.
163.
Neuſeß, Herbſt 1836.
Mein Lieblingsaufenthalt, noch einmal recht zum Schluß
Lachſt du mich freundlich an, eh ich dich laſſen muß.
Gern thateſt du es ehr, das Wetter litt es nicht,
Doch laͤcheln hilft dir nun Herbſtabendpurpurlicht.
Ja laͤcheln helfe dir der Himmel und die Erde!
Wer weiß, ob ich ſo ſchoͤn noch einmal ſehn dich werde.
Iſts doch als wuͤßteſt du's, daß nun ſich muß entſcheiden,
Ob ich dich kuͤnftig noch beſuchen ſoll, ob meiden.
So ſchmuͤckſt du dich gefallbegierig meinen Blicken,
Und von Gewohntem laͤßt ſich gern mein Herz beſtricken.
Wo bluͤhte mir ein Gluͤck, wie das dein Schooß mir trug?
Beſchraͤnkt, mir ausſichtreich, klein, eng, mir groß genug;
Anſprechend anſpruchlos, lieb, weil vorlieb ich nehme,
Behaglich und bequem, weil ich mich ſtill bequeme:
Freu dich! noch manchen Herbſt ſollſt du mich wieder ſehn,
Und Lieder, dieſen gleich, auf deiner Flur entſtehn.