Ein Lehrgedicht
von
Friedrich Rückert.
Die
Weisheit des Brahmanen,
ein Lehrgedicht in Bruchſtücken.
Von
Friedrich Rückert.
Fünftes Bändchen.
Leipzig,
Weidmann'ſche Buchhandlung.
1839.
XII.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 1
1.
Du faſſeſt ſelbſt nur halb, was du im Herzen ſagſt;
Und wenn du in ein Wort es nun zu faſſen wagſt,
Wird es nur wieder halb darin ſich faſſen laſſen;
Wie ſoll der Hoͤrer ganz dies halbe Halbe faſſen?
Er faßt ſoviel er mag, und macht es ganz in ſich,
Faßt dies auch halb, und glaubt nun ganz zu faſſen dich.
2.
Im Meer der Schoͤpfung ſchwamm zuerſt die Lotosblume,
Die woͤlbte ihren Kelch gleich einem Heiligthume.
Im Heiligthume lag der Geiſt wie unter Zelten,
Und laͤchelte im Traum, er traͤumte kuͤnft'ge Welten.
1*
Als ſich entfaltete darob die Blum' in Wonne,
Ging aus der Blum' ein Glanz, und ward das Licht der Sonne.
Aufſtieg ein Duft, ein Hauch, und ward zu Aetherrauch,
Ward feuchte Fruͤhlingsluft und Wolkenhimmel auch.
Ein Blaͤttchen riß ſich los als Schmetterling-Cicade,
Und flog der Lebenswelt noch unbekannte Pfade.
Im Kelche bruͤtend ſaß ein vogelgleich Gebild.
Die Fluͤgel hobs und ſchwang ſich in des Seyns Gefild,
Sie kaͤmpften in der Luft, und bunt ſtob manche Feder,
Ein eigenes Geſchlecht Luftgaͤnger ward aus jeder.
Doch außen an dem Kelch die Schuppe waſſerfriſch
Abtrennte ſich und ward halb Krokodil, halb Fiſch.
Der Fiſch entſchwomm zum Strand der Zukunft voll Begier,
Und ſtieg dort halb ans Land, ganz als vierfuͤß'ges Thier.
Die Lotoswiege ſchwankt, es gaͤhrt der Waſſerſchaum,
Der Geiſt erwacht und ſieht die Schoͤpfung, ſeinen Traum.
Er ſprach: Ich traͤumte das, doch nun will ich im Wachen
Der Traumwelt wachen Herrn, den Menſchen ſelber machen.
3.
Gott iſt, drum denkt er; denkt, drum ſpricht er, und ein Wort,
Wie er es denkt und ſpricht, ſo ſtehts geſchaffen dort.
Du biſt und denkeſt auch, du denkſt und ſprichſt, allein
Kein Weſen iſt das Wort, es iſt ein Bild und Schein.
Das macht: du ſprichſt nur nach, du denkſt nur nach, du biſt
Nur nach dem Erſten, der dir vorſpricht, denkt und iſt.
4.
Der neugeborne Gott ſchlief an der Erde Grund;
Neugierig oͤffnete die Mutter ſeinen Mund.
Die Mutter wußte nicht vor Luſt wie ihr geſchah,
Als ſie im Kindesmund den Glanz der Welten ſah.
Die ſieben Himmel und acht Paradieſe ſah
Sie im gewoͤlbten Mund, fern waren ſie und nah.
Wie kommt die Herrlichkeit in einen Kindesmund?
Da that es ihr der Geiſt, der uͤberm Kind war, kund:
Im Mund beſchloſſen ſind Himmel und Paradieſe;
Entfalten wird das Kind in ſeiner Lehre dieſe.
5.
Vom Gaͤrtner kauft' ich mir ein ſchoͤnes Blumenſtoͤckchen,
So reich an Hoffnungen in halberſchloſſnen Gloͤckchen.
Ich wandte meine Muͤh und meine Zeit darauf;
Die Gloͤckchen bluͤhten zu, doch bluͤhten ſie nicht auf.
Sie bluͤhten immer zu, bis ſie unaufgebluͤht
Abwelkten, und betruͤbt darob ward mein Gemuͤt.
Hat dich der Gaͤrtner, hat die Hoffnung dich betrogen?
Sie waͤren aufgebluͤht, vom Gaͤrtner ſelbſt gezogen.
Die Freude bluͤhet auf nur in des Gaͤrtners Hand,
Bei dir zu knoſpen iſt die Hoffnung nur im Stand.
6.
Mein Sohn! die Wahrheit iſt in Wahrheit ganz nur Eine,
Bei Gott iſt ſie an ſich, beim Menſchen nur im Scheine.
Und wenn der Menſch in ſich will Gottes Wahrheit ſpiegeln,
So muß er einen Schein mit ihrem Bild beſiegeln.
Sieh einen Wahrheitsglanz in jedem Schoͤnheitsſchein,
Nur bild' als Wahrheit ganz dir nie ein Einzles ein.
Mit dieſem Blick ſieh an die Welt und dieſes Buch;
In dieſem Sinne loͤſt ſich jeder Widerſpruch.
7.
Des Ganzen Theile ſind als Theile nicht vorhanden,
Deswegen, weil ſie ja zum Ganzen ſich verbanden.
Grenzpfaͤhle ſteckeſt du, um ein Gebiet zu meſſen;
Doch daß du ſie nur ſteckſt, das ſollſt du nicht vergeſſen.
Der grade Gegenſatz ſetzt grad die Wahrheit ſchief,
Weil ſtets in Wahrheit eins ins andre ſich verlief.
8.
Den ew'gen Faden zieht die Spinn' aus ihrem Leibe;
Die Sammlerbiene fuͤllt mit fremdem Seim die Scheibe.
Spinnweb' iſt Fliegengrab und keines Lebens Labe,
Die Suͤßigkeit der Welt iſt in der Honigwabe.
Fleug, ſuͤße Poeſie, auf Bienenraub von hinnen,
Und laß Philoſophie im grauen Netz der Spinnen.
Ob die Philoſophie die Spinn' im Netze ſei,
Ob ſelbſt die Fliege drin, das iſt nur einerlei.
In keinem Falle wird ſie fett bei dieſem Schmaus,
Ob ausgeſogne Flieg', ob Fliegen ſaugend aus.
9.
Hier ſchwanken ſieheſt du im Bach der Sonne Bild,
Doch unbeweglich dort ſteht feſt ihr goldner Schild.
Am Abend ſiehſt du dann ſie ſcheinbar untergehn,
Indes der Erdball nur ſich abdreht ihrem Stehn.
Doch, ſteht ſie wirklich feſt? ſie dreht ſich auch beſtimmt
Um einen Mittelpunkt, den man nur wahr nicht nimmt.
Und ſo, was die Vernunft ſich muͤhet zu vernehmen,
Hat richtig dein Gefuͤhl erkannt im Schein und Schemen.
10.
Wie du verſchieden haſt den Gott in dir empfunden,
Verſchieden findeſt du ihn auch in Schrifturkunden.
Iſt er in dir darum dir wen'ger offenbar,
Die Offenbarung dort deswegen minder wahr?
Er zeigt dir dieſes bald, bald jenes Angeſicht,
Doch immer iſt es klar und ſchoͤn und hold und licht.
Die Urkund' iſt von ihm in Herz und Buch geſenkt,
Wie goldner Lebenswein in buntes Glas geſchenkt.
Als fluͤſſigen Smaragd, als thauenden Rubin,
Als ſchmelzenden Sapphir, doch immer trinkſt du ihn.
11.
Du brauchſt dein eignes Volk deswegen nicht zu ſchelten,
Wenn du nach ihrem Werth auch andre laͤſſeſt gelten.
So, wer in Ehren haͤlt die Formen fremder Goͤtter,
Iſt noch deswegen nicht der eignen Laren Spoͤtter.
Dein eigen Gut und Haus und Volk und Land und Leben,
Das iſt dein eigner Gott, und drum nicht aufzugeben.
Doch wie jetzt Reiſende von einem Stamm zum andern,
Zeit iſts, daß endlich auch die Gottideen wandern.
Daß ſich verſtaͤndige die menſchliche Gemeine,
Alles ſei Allen gleich, und Jedem ſein das Seine.
12.
Du mußt nur Alles nicht verlangen gleich von allen,
So wird in ſeiner Art dir alles wohlgefallen.
Wenn eine duftig riecht, die andre farbig glaͤnzt,
Iſt von der einen ſchoͤn die andre Blum' ergaͤnzt.
Und iſt die eine gar geruch- und farbenreich,
Verlange nicht, ſie ſei auch ſuͤße Frucht zugleich.
Die ſchoͤnſte Blum' iſt, in den Mund genommen, bitter;
Denn heimlich iſt ein Gift in jedem Sinnenflitter.
13.
Der Pflanzenkund'ge, der die Pflanzen will erklaͤren,
Weiß doch nicht, wie ein Dorn kann Roſenglut gebaͤren.
Das weiß ein Dichter nur, der ſtille ſein Gemuͤt
Belauſchet, wenn aus ihm ein neues Lied erbluͤht.
14.
Die heil'ge Brahmaſtadt, gleich einer Lotosbluͤte,
In welcher Brahma wohnt, o Menſch, iſt dein Gemuͤte.
Fuͤnf Thore hat die Stadt an ihren Außenwerken,
Das ſind die Sinne, die die Welt von außen merken.
Die Faͤden des Geruchs, die Faſern der Empfindung
Erhalten mit der Welt den Lotos in Verbindung.
Im Richtweg des Geſchmacks, im Schneckengang des Ohres,
Die Brahmamitte bleibt bewußt des offnen Thores.
Am liebſten aber ſteigt auf ſeinem Lotosglanz
Der Gott ins Aug' empor und ſchaut die Schoͤpfung ganz.
Da wird die Schoͤpfung hell, vom Lotosglanz bethaut,
Und fuͤhlet freudig, daß ihr Schoͤpfer ſie beſchaut.
Solang' er innen wacht, wacht außen Welt in Wonne;
Was hier die Sinnen macht, das machet dort die Sonne.
Und hat durchs Aug' er ſich die Welt beſchaut mit Ruh,
Steigt er ins Herz hinab, und macht die Fenſter zu.
Die Lotosbluͤte ſchließt ſich dann als Schlummermohn,
Und draußen traͤumt der Mond, und iſt benannt davon.
Doch tief im Lotoskelch wird nun vom Schlummer frei,
Die muͤd' am Tage ſchlief, die Biene Schwaͤrmerei.
Die ſchwaͤrmt, den Nektarkelch des Lotos auszukoſten,
Und traͤnk' ihn leer, wenn nicht Beſinnung tagt' im Oſten.
Und wieder wacht empor der Sinne Staͤdterchor,
Und Lebensnahrung fuͤhrt er ein durchs offne Thor.
Du ſchauſt dem Treiben zu, und fuͤhlſt in ſtiller Luſt
Den, der dies Alles lenkt, den Gott in deiner Bruſt.
Im Bilde zeigt er dir ſein ew'ges Wohngefild,
Weil du ihn anders nicht kannſt faſſen als im Bild.
15.
Des Baumes Bluͤt' erfreut, des Baumes Schatten beut
Ein Dach dir, und ein Mahl die Frucht, die er verſtreut.
Was brauchſt du noch? ein Kleid? nimm es von ſeinem Baſt;
Mach' auch ein Buch daraus, wenn du es noͤthig haſt.
Und brauchſt du dann ein Grab, er wird dich auch begraben,
Mag Ruh im kuͤhlen Grund, mag Feuertod dich laben.
Den Scheiterhaufen baut er hier, und dort den Sarg,
Bis deinen Reſt im Schirm er ſeiner Wurzeln barg.
Was keucht durch fernen Raum der Hunger fremden Brodes,
Wenn dich begnuͤgt ein Baum des Lebens und des Todes?
Als Vogel ſchwinge ſich dein Geiſt, vom Leib geſchieden,
Dem hoͤchſten Wipfel zu, der nicht mehr iſt hienieden;
Und ſinge von dem Baum des Todes und des Lebens
Herab zum Erdenraum den Frieden nicht vergebens.
16.
Wie einem Thiere mag zu Muth ſeyn, kann ich doch
Begreifen, weil ich ſelbſt als Kind auf Vieren kroch.
Wie einem Vogel ſei zu Sinn, begreif' ich nicht,
Weil ſtets die Schwinge mir gebrach, und noch gebricht.
Was alles da ſo leicht fliegt unterm Himmelsbogen,
Aus einer andern Welt ſcheint es hereingeflogen;
Aus einer andern Zeit. Es ging die große Flut
Nur uͤber Thiertrotz weg, nicht uͤber Vogelmut.
Sie ſchwebten, wie zuerſt der Geiſt auf Waſſern ſchwebte,
Und ſahen zu, wie ſich die Schoͤpfung neu belebte.
Und wie ein Vogel jetzt, wenn ab in einem Kreiſe
Der Welt ein Fruͤhling ſtirbt, zum andern macht die Reiſe;
So fliegt, wann dieſen Stern, ob fremd' ob eigne, Glut
Verzehrt, ein Vogel fern zu andern wohlgemut.
Ihr Voͤgel, ſeid gegruͤßt, und gruͤßt mir alle Fernen,
Von denen ich gelernt, und die von mir einſt lernen.
Ihr habt mir manchen Gruß gebracht aus fremden Land,
Und manchen, den ich als vom Himmel her verſtand.
17.
Alswie der Fruͤhling, ſeit er erſt der Welt entflohn,
Nie wiederkehrt, nur oft ein ſchoͤnes Bild davon;
Doch ein ſo ſchoͤnes Bild, das ſtatt der Sache gnuͤgt,
Daß ſich, ſolang ſie's hat, die Erde gern betruͤgt:
So kam der Jugend Traum mit zartem Fruͤhlingstriebe
Im Traume mir, ein Traum kam mir vom Traum der Liebe.
Die hoͤchſte Liebe war's, die ich im Traum empfand,
Und die mich liebte, war ein Weib von hoͤchſtem Stand.
18.
Zwoͤlf Jahre war ich alt, da hatt' ich ohne Fleiß
Faſt alles und noch mehr gelernt, als ich nun weiß.
Ich hatte ſchon die Frucht, wovon den Ruhm nun haben
Manch andre, die zuerſt ans Licht der Welt ſie gaben.
Und ruͤhm' ich deſſen mich? Ich ruͤhme nur die Zeit,
Durch deren neuen Trieb das Neu' allein gedeiht.
Gedanken kommen wie des Fruͤhlings goldner Duft,
Sie ſind nicht mein noch dein, ſie ſchwimmen in der Luft.
Sei dankbar, daß die Welt ſo reich dir dargeboten
Des beſten Wiſſens Schatz von Lebenden und Todten.
Du haſt ihn nicht geſucht, du haſt ihn nur gefunden;
Nun ſpend' ihn liebend aus und ſei der Welt verbunden.
19.
Das Feuer war in Furcht, daß es das Waſſer haſche,
Und heimlich glimmend barg es ſich im Haufen Aſche.
Das Waſſer kam und goß den Aſchenhaufen aus,
Und ſuchen mußte ſich das Feur ein andres Haus.
Das Feuer barg im Wald ſich in das gruͤne Holz,
Das Waſſer merkt' es nicht, da ward das Feuer ſtolz.
Und als der Sommerwind die Ranken ſchlug zuſammen,
Das Feuer kam hervor, da ſtand der Wald in Flammen.
Da kam der Wolkenbruch und goß den Waldbrand aus,
Und wieder ſuchen muß das Feur ein andres Haus.
Das Feuer fluͤchtete ſich in den Kieſelſtein,
Und warf ſich in den Bach, ins Waſſer ſelbſt hinein.
Das Waſſer ſucht' es rings und merkte nicht die Liſt,
Wie ſicher oft der Feind im Haus des Feindes iſt.
Und ruht am Mittag einſt das Waſſer ſchlummertrunken,
Dann aus dem Kieſel ſpringt das Feuer als ein Funken.
20.
Der Knabe ſteht am Berg und lauſcht in ſtiller Wonne,
Weil gegenuͤber ihm aufgehen will die Sonne.
Die hoͤchſten Spitzen ſieht von Hoffnung er geroͤthet,
Und hoͤrt von Lerchenlied den Sieg des Lichts gefloͤtet.
Doch immer will ſie ſelbſt noch kommen nicht empor,
Und ſeiner Sehnſucht ſchiebt ſich eine Wolke vor.
Da faßt ihn Ungeduld: wie lange will ſie ſaͤumen?
Der Sonn' entgegen geht er vorwerts in den Raͤumen.
Er geht den Berg hinab, er ſtand am Bergabhange,
Entgegen berghinab geht er dem Sonnaufgange.
Und immer ſchwaͤcher wird um ihn der Morgenſchein,
Wie tiefer in die Nacht des Thals er geht hinein.
Und aus der Schlucht, wo ihm der letzte Schein verglimmt,
Sieht er zuruͤck, wie rings in Glanz die Schoͤpfung ſchwimmt;
Und ſieht denſelben Platz, von dem er ausgegangen,
Vom hellſten Sonnenſtral, den er erſehnt, umfangen.
21.
Ihr naͤrr'ſchen Dichter, die ihr ſcheltet die Natur,
Und ſie zu ſchelten nehmt aus ihr die Bilder nur!
Wenn Muſen ſonſt aus Laͤrm die Einſamkeit geſucht,
Nehmt ihr vom Land zur Stadt die umgekehrte Flucht;
Haͤngt um die Poeſie des Staates Flitterſtaat,
Statt jener Unſchuld, die im Paradies auftrat.
Seht dort nur hin, wo laͤngſt ſchon ſteht das Ideal,
Das ihr hier bauen wollt; ſprecht: wo iſt Luſt? wo Qual?
Iſt hier die Wieſe kahl? iſt hier der Bach nur ſchmal?
Sie glaͤnzen doch, ſei's nun von Fruͤh- von Abendſtral.
Wenns hier iſt kahl und ſchmal, ſo iſts dort ſchal und fahl,
Dort wo ihr jetzt noch ſeht nur hoͤchſtes Ideal.
Geht hin zur Stadt im Sumpf, zur Stadt im Kohlendampf,
Und kaͤmpft fuͤr Erdenheil, fuͤr Erdlicht euern Kampf!
Hier laßt die heitre Luſt fuͤr Weltheil, Gottlicht kaͤmpfen;
Die Heiterkeit ſollt ihr mit Koth und Dampf nicht daͤmpfen.
22.
Die ihr die Erd' entehrt, zu geben Gott die Ehre!
Ein ſchlechtes Zeugnis gebt ihr ſelber eurer Lehre.
Gott ſelbſt in Ehren will die Welt gehalten wiſſen,
Sonſt haͤtte ſie ſein Wort um Nichts dem Nichts entriſſen.
Er hat ſie hell gemacht, ihr wollt ſie finſter machen;
Er hat an Menſchen Luſt, an Wuͤrmern ihr und Drachen.
Halb Drachen feuerſpeind, halb angſtgewundne Wuͤrmer,
Des ird'ſchen Heiligthums der Dichtkunſt Bilderſtuͤrmer!
O Zeit! daß ſcheulos ſich ans Tagslicht wagen Eulen,
Und ſiegreich Nachtigall-Geſaͤnge niederheulen!
Die ſehn in Rafaels Verklaͤrung Teufelsfratzen,
Und, Bilder vom Scheol im Herzen, Liebe ſchwatzen!
Macht euch zur Luſt nur Qual, und ſchwelgt im Jammerthal,
Und nie licht' eure Nacht ein Gottes Freudenſtral!
Die Lehre, die nicht rein das Herz wie Sonnenſchein
Erfuͤllt, erfreut, erhebt, kann nicht vom Himmel ſeyn.
23.
Ein Drittel biſt du ſelbſt, ein Drittel iſt die Welt,
Das dritte Drittel iſt die Liebe, die euch haͤlt.
Du bleibſt der Welt, ſie bleibt dir ohne Lieb' ein Bruch,
Den ohne Lieb' ausgleicht kein rechnender Verſuch.
24.
Ich hang' an einem Haar noch mit der Welt zuſammen,
Und unzerreißbar war den Stuͤrmen es, den Flammen.
An einem Haare zieht die Welt mich, die ich ziehe;
Ihr folg' ich, die mich flieht, ſie folgt mir, die ich fliehe.
Mir folgt ihr Bildertanz, ihr folgt mein Liederchor,
Wir ziehn uns ab und an; und ziehn uns beid' empor.
Wo ſie empor nicht zog, waͤr' ich in mir verſunken;
Wo ich nicht ihr entflog, waͤr' ich nicht liebetrunken.
So hat der Liebe Hand das leiſe Band gewebt,
Die Lieb', an deren Band ewig das Ew'ge ſchwebt.
25.
Wer in den Spiegel ſieht, und ſieht ſich ſchoͤn darin,
Der ſpreche: Mache Gott mich gut, wie ſchoͤn ich bin.
Und wer den Spiegel ſieht und ſieht darin ſich haͤßlich,
Der denke, Guͤte ſei ihm doppelt unerlaͤßlich.
Die hoͤchſte Schoͤnheit iſt, die aus der Guͤt' entſtand,
In der der Gegenſatz von Gut' und Schoͤnem ſchwand.
Der Baum iſts, der zugleich die Frucht traͤgt und die Bluͤte,
Wo Schoͤnheit auch die Frucht, und ſchon die Bluͤt' iſt Guͤte.
Das Gute hoffe nicht des Schoͤnen zu entbehren;
Nur ſchoͤn geſchliffen kann der Spiegel Licht gewaͤhren.
Des Guten hoffe nicht das Schoͤne zu entbehren;
Aus reinem Grund nur kann ſich rein der Spiegel klaͤren.
Das Schoͤne gebe dir zum Guten Gott vereint,
Der gut im Guten iſt, und ſchoͤn im Schoͤnen ſcheint.
26.
Nimm, Brahma's Juͤnger, was ich vom Araber nahm;
Sieh auf den Kern, und uͤberſieh den Wortſpielkram!
Dein Bruder, o mein Sohn, iſt auch der Muſelman;
Von ihm auch lerne gern, was er dich lehren kan.
Araberſprichwort ſagt: dir hilft in der Gefahr
Ein Bruder oft, den nicht die Mutter dir gebar.
Verwandtſchaft kann, mein Sohn, der Liebe nicht mit Ehren,
Doch der Verwandtſchaft kann die Liebe wohl entbehren.
Wer fuͤr mein Beſtes ſich mit Rath und That verwandt,
Nur der Verwandte iſt mir in der That verwandt.
Wer fuͤr mein Beſtes ſelbſt hat Gut und Blut verwandt,
Wie fremd er ſei, der iſt mir wahrhaft blutverwandt.
Nicht der ſo lieber ſelbſt ſein letztes Blut verwendet,
Daß Blutverwandten er ihr letztes Gut entwendet.
Der iſt alswie ein Wolf, der nicht kann Blut entdecken
Am wunden Bruder, ohn' es gierig ſelbſt zu lecken.
Wer beſſer ſei zum Feind zu haben als zum Freunde?
Der, ſcheulos vor dem Freund, ſich nur vorm Feinde ſcheu'nde.
Der dem Gewognen in den Weg tritt als Verwegner,
Und aus dem Weg, wo ihm entgegen tritt ein Gegner.
Der kuͤhn den Loͤwen ſpielt in ſeinem Jagdreviere,
Und ſchmeichleriſch den Fuchs im Kreis vornehmer Thiere.
Der ſtaͤrkſt' in gutem Rath, zu guter That der ſchwaͤchſte,
Der, wenn ſein Nachbar ruft, ſagt: ich bin mir der naͤchſte.
Ruft er den Nachbar einſt, vergelt' ihm der die Liſt,
Und ſage: hilf dir ſelbſt, weil du dein Naͤchſter biſt.
27.
Du ſchaͤme dich vor Gott und dir in deinen Zellen,
Wie in Geſellſchaft du dich ſchaͤmeſt vor Geſellen.
Der unverſchaͤmte ſagt: da Gott es ſieht in mir;
Scheut' ich dich mehr als ihn, um es zu bergen dir?
Doch der beſchaͤmte ſagt: da Gott in mir es ſchaut,
Und es verzeiht, ſei dir's auch zum Verzeihn vertraut.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 2
28.
Du ſageſt: Falſch war dein Orakel, wie es pflegt.
Sag das nicht, ſondern ſag: Falſch hab' ichs ausgelegt.
Stets deutlich iſt, doch ſtets vieldeutig Profezeiung,
Und immer ſchuͤtzt ſich ſelbſt die Weihe vor Entweihung.
29.
Der iſt ein ſchlechter Herr, wie glaͤnzend auch er thront,
Der beſſer muͤſſigem als fleiß'gem Diener lohnt;
Der, wie die Sonne, ſticht den der im Feld arbeitet,
Und freundlich ſcheinet dem, der ſich im Schatten breitet.
30.
Wenn du mich fragſt: auf wen darf ich in Treuen baun?
Ich ſage dir: auf die, die ſelber andern traun.
Und fragſt du aber, wem zu traun dir nicht gebuͤhrt?
Nur dem nicht, der im Mund ſtets Treu und Glauben fuͤhrt.
31.
Der Farbenbogen der Empfindungen erſcheint,
Wenn hier die Sonne lacht, und dort die Wolke weint.
Wie Goͤtter wandeln auf beſonnter Wolkenbruͤcke,
So wandeln drunterhin wir zwiſchen Leid und Gluͤcke.
Du ſagſt: die Sonne lacht; du ſagſt: die Wolke weint;
Weil die zu lachen dir und die zu weinen ſcheint.
Du taucheſt die Natur in deines Innern Farben,
Die leben, wenn es lebt, und wenn es ſtarb, erſtarben.
Dir gebe Gott in dir das ewige Lebendige,
Im Unbeſtand der Welt das einzige Beſtaͤndige.
Dir gebe Gott in dir das heitere Verſtaͤndige,
Daß mit dem Geiſt der Welt ſich klar dein Geiſt verſtaͤndige.
Dein Weinen moͤge dir zum Laͤcheln, nie zum Lachen,
Nie dir dein Lachen Gott zum Quell der Thraͤnen machen.
Des Menſchen Aug' allein kann lachen und kann weinen,
Und nur die Schoͤnheit kann die beiden ſchoͤn vereinen.
2*
Mit einem Auge lacht die Lieb', ihr andres weint;
Was meineſt du, daß ſie mit Lachen-Weinen meint?
Sie laͤchelt, wenn die Welt ſie um die Welt ſieht weinen,
Und weint, wenn ſie ſich ſieht verlachen und verneinen.
32.
Der Koͤnig zaͤhlt ſein Heer, ihm geht ein Mann vorbei,
So haͤßlich, daß ihm ſcheint, daß er zu haͤßlich ſei.
Erſt blickt der Koͤnig ab, dann redet er ihn an,
Und ungefuͤges ſpricht der ungefuͤge Mann.
Der Koͤnig denkt: Mir dient im Heere mancherlei,
Doch keiner diene, dem nicht wohnt ein Gutes bei.
Waͤr' ihm es aͤußerlich, ſo waͤr's in ſeinen Mienen,
Wenn innerlich, ſo waͤr's in ſeiner Red' erſchienen,
Drum ſoll man dieſen Mann aus meinen Reihen ſtoßen;
Denn weder gut noch ſchoͤn dient weder klein noch großen.
33.
Wie einſt des Geiz'gen Aug' erſchloſſen Zauberſalben,
Daß ihm verborgne Schaͤtz' erſchienen allenthalben;
Die ganze Welt gewebt aus Gold und Edelſtein;
Und nur zu ſchaͤrfen dient es ihm der Habſucht Pein.
So ward erſchloſſen auch mein Blick von Wunderſalben,
Und ungeahnte Schaͤtz' erblick' ich allenthalben;
Die ganze Welt gewebt aus Sonn- und Blumenſchein;
Und zur Befriedigung gereicht es mir allein.
Zufrieden ſeh' ich, daß ich niemals kann ausbeuten
Der Schoͤpfung Schacht, und nie ihr Raͤthſelſpiel ausdeuten.
Der Schacht, in dem das Erz nachwaͤchſt aus innrer Kraft;
Das Raͤthſel, das, geloͤſ't, wird doppelt raͤthſelhaft.
Und loͤſen wir mit Gluͤck, was wir zur Zeit aufhaben,
Schon aufgegeben ſind der Folgezeit Aufgaben.
Und was zu loͤſen wir die Hoffnung jetzt aufgaben,
Das loͤſen leicht einſt, die zu loͤſen das aufhaben.
Ich aber freue mich, nach Luſt hervorzuholen,
Und fuͤrchte nicht, zuletzt zu finden taube Kohlen.
Und was ich ſelber Luſt nicht hab' hervorzuholen,
Sei einem luſtigern Geſchlecht von mir empfohlen.
Noch lange wird die Axt den Urwald nicht ausreuten,
Noch lange Bienenfleiß den Fruͤhling nicht ausbeuten:
Solang in Gott und Welt ſich Herzen ſtill ausfreuten,
Und Maienglocken ſacht des Lenzes Sieg ausbeuten:
Solang wird frohe Kunſt die Wunder nur ausdeuten,
Die eines Kuͤnſtlers Haͤnd' auf die Natur ausſtreuten.
Er gebe Leben mir, Geſundheit, innre Luſt!
Denn noch zur Haͤlft' iſt nicht der Schatz in meiner Bruſt.
Nicht laͤngſtes Leben reicht ihn vollends auszubeuten,
Ob Tochtertoͤchter ich ausſtattete zu Braͤuten.
Weh, Reim, du haſt im Klang ein Bild mir aufgedrungen,
Durch deſſen Weh ſind hier die Saiten abgeſprungen.
34.
Ich ſprach: „Der Liebe Rauſch verſtehn nur trunkne Sinne;“
Und daß ich recht es ſprach, werd' ich mit Freuden inne.
Ich freu' mich, daß mich nicht die Nuͤchternen verſtehn,
Und nur die Trunknen ſich mit mir im Reigen drehn.
35.
Du unterſcheideſt hier Vernunft und dort Verſtand,
Und zwiſchen beiden denkſt du eine Scheidewand.
Doch ohne Anſtoß an den nur gedachten Schranken,
Her und hinuͤber gehn die ſpielenden Gedanken.
So unterſcheideſt du den Geiſt auch vom Gemuͤte,
Wie am Baſilikum vom duft'gen Blatt die Bluͤte.
So unterſcheideſt du die Seele von dem Leib,
Als ſeyen beide ſo getrennt wie Mann und Weib.
Doch wie nicht Mann und Weib getrennt ſind im Erkennen,
So kann auch Seel' und Leib nicht die Erkenntnis trennen.
Und das nur macht dein Ich, daß ungetrennt ſie ſind,
Wie ungetrennt ſich Mann und Weib erkennt im Kind.
So unterſcheideſt du den Gott von der Natur,
Und von den beiden Dich, und Eins die drei ſind nur.
Den Vater magſt du ihn, und ſie die Mutter nennen,
O Kind, doch ungetrennt von beiden dich erkennen.
In deiner Liebe wirſt du ſie als Eins erkennen,
Mit Liebesnamen unterſcheiden und nicht trennen.
Nie laß dir dies Gefuͤhl, es ſei dein heil'ger Glauben,
Von Unterſchiedenem und Ungeſchiednem rauben.
36.
Du biſt ein Mutterſohn, und von der Mutterbruſt
Noch nicht entwoͤhnt, ſie iſt noch immer deine Luſt.
Du biſt ein Mutterſohn, doch an der Mutterbruſt
Haſt du den Vater ſelbſt geahnt in ſtiller Luſt.
Du biſt ein Mutterſohn, doch auch des Vaters Kind,
Der auch die Kinder liebt, die lieb der Mutter ſind.
37.
Wer etwas lernen will, der muß dazu drei Gaben,
Von obenher, aus ſich, und auch von außen haben.
Die Faͤhigkeit, die Luſt und die Gelegenheit;
Die drei wo fehlen, kommt ein Lernender nicht weit.
Zum Lernen Faͤhigkeit muß Gott dir ſelbſt verleihen,
Weil in fruchtbarem Grund Fruchtbaͤume nur gedeihen.
Die Faͤhigkeit iſt todt, wo ſie nicht wird zum Triebe;
Zum Lernen treiben muß dich eigne Luſt und Liebe.
Dann muß Gelegenheit von außen zum Beſuch
Dir kommen in Geſtalt von Lehrer oder Buch.
Fehlt in der Naͤhe dir Gelegenheit zu lernen,
Der Trieb zu lernen wird dich treiben in die Fernen.
Und jede Faͤhigkeit iſt ſelbſt ihr eigner Trieb;
Und alſo ſind ſie Eins, die ich als drei beſchrieb.
38.
Der iſt der ſchlechteſte des menſchlichen Geſchlechtes,
Wer ſelbſt nichts rechtes weiß, noch lernen will was rechtes.
Wer iſt der beſte? der hervor das Gute bringt
Aus eigner Kraft, und nicht von außen es erringt.
Doch iſt zu loben, wer, was er nicht ſelbſt vermag
Zu tragen, das erwirbt von fremdem Fruchtertrag.
Es ſteht ein Baum im Wald und traͤgt die eigne Frucht,
Die ſo ihm gnuͤgt, daß er nach keiner fremden ſucht.
Daneben ſteht ein Baum, der iſt nicht eigenfruͤchtig;
Der reiche Nachbar macht den armen eiferſuͤchtig.
Soll er die Frucht von ihm zu ſich heruͤber nehmen?
Wenn ers auch koͤnnte, muͤßt' er ſich des Diebſtals ſchaͤmen.
Die Glut der Eiferſucht brennt ihm ſein Innres hol,
Und deſto minder traͤgt er aus ſich Frucht nun wol.
Seht, wie zu nutzen er den Schaden ſelber weiß,
Er laͤdt in ſeine Kluft des Bienenſchwarmes Fleiß.
Sein Innres raͤumet er zur Wohnung willig ihnen,
Und freudig lohnen's ihm die arbeitſamen Bienen.
Sie tragen Honig her, und nicht vom Nachbar nur,
Sie tragen rings ihn bei aus Berg und Wald und Flur.
Des goldnen Seimes voll wird jeder leere Raum,
Und immer fruchtbar iſt der unfruchtbare Baum.
39.
Zu geben Groͤſtes gern mag Großmuth ſich bequemen,
Doch ungern laͤßt ſie ſich das Allerkleinſte nehmen.
Dem Geber gibt man nur, vorm Nehmer nimmt mans fort;
Willſt du ein Gut, ſo gib dafuͤr ein gutes Wort.
Man gibt ein gutes Wort, um etwas zu erlangen,
Und dann ein zweites noch als Dank, wenn mans empfangen.
Der Dank fuͤr eine Gab' iſt ſelber eine Gabe,
Willkommen dem, der reich ſchon iſt an andrer Habe.
40.
Der alte Hauswirth, in der Wirthſchaft wohl erfahren,
Hat dich gelehrt, wo du, wo nicht du ſolleſt ſparen.
Voll ſchoͤpf' aus vollem Faß, das leere leere ſchnell,
Doch zwiſchen voll und leer, da halte Haus, Geſell!
Voll ſchoͤpf aus vollem Faß, und in der Mitte ſpar;
Die Neige ſparen iſt unnuͤtz und undankbar.
Warum? kein Sparen frommt, daß neu Erſchoͤpftes ſteige,
Und ſchal am Ende wird dir nur die ſchmale Neige.
Des Faſſes Anbruch ſei ein Feſt, ein Feſt ſein Ende;
Haustrunk iſt Mittleres, das Aeußre Goͤtterſpende.
Der Anfang und das End' iſt unklar, oben Schaum,
Hef' unten, klarer Wein iſt in dem Mittelraum.
41.
Der Koͤnig Adler hat das weitſte Koͤnigreich,
Von allen Koͤnigen iſt ihm kein andrer gleich.
Den weiten Himmelsraum mißt er mit ſeinen Schwingen,
Und laͤßt aus ſeiner Hoͤh den Blick zur Erde dringen.
Er hat die Sonn' im Aug' und ſieht die Erde doch,
Das tiefſte ſieht er klar, er ſchwebe noch ſo hoch.
Und was am Erdengrund zur Beut' ihm mag gefallen,
Er kommt, er faßts und traͤgts empor in ſeinen Krallen.
Auf ſeinem Baume ſitzt der Weih und lauert ſtill,
Was ihm zum Raube da voruͤber kommen will.
Der Adler aber fliegt, es ſteht die Wahl ihm frei,
Nicht was vorbei ihm kommt, er holt es ſelbſt herbei.
Der Eule iſt die Nacht zur Jagdzeit angewieſen,
Der Mondſchein iſt ihr Freund, ſie jagt nicht ohne dieſen.
Die Bloͤde ſieht bei Nacht, doch gar nicht hell genung,
Und recht im Zwielicht nur zweideut'ger Daͤmmerung.
Drum wenn der Mond nicht ſcheint, kann ſie bei Nacht nicht jagen,
Und jagt zwei Stuͤndchen nur im Spaͤtlicht und vorm Tagen.
Der Adler aber ſchwingt ſich mit der Sonnen auf,
Und ſtellt auch ſeinen Flug nur ein mit ihrem Lauf.
Fruͤh ſchaut er droben ſie, noch eh die Welt ſie ſah,
Und ſchwand ſie dieſer laͤngſt, iſt noch ihr Glanz ihm nah.
Und ſieht er ihren Glanz dann hinterm fernſten Forſt
Sich ſenken, ſenkt er ſich und ſuchet ſeinen Horſt.
Er hat zum Horſt gewaͤhlt den allerfreiſten Raum,
Auf allerhoͤchſtem Berg den allerhoͤchſten Baum.
Dort ſitzt ſein Adlerweib und bruͤtet nur zwei Eier,
Und ſie verſtoͤren darf kein Flatterer und Schreier.
Denn keine Nachbarſchaft von Vogel, Menſch und Thier
Vertraͤgt der Adler, wo er hat ſein Nachtquartier.
Er weiß aus ſeiner Naͤh die Gaͤſt' hinwegzutreiben,
Und dieſe haben ſelbſt ſchon keine Luſt zu bleiben.
So wohnt er ungeſtoͤrt in ſeiner Einſamkeit,
Sieht von der Erde nichts und nur den Himmel weit.
Die Kraͤhe mit Gedoͤrn deckt oben ihr Gemach,
Doch nur der Himmel iſt des Adlerneſtes Dach.
Er laͤßt den Sturm der Nacht an ſich voruͤber brauſen,
Stark wird ſein ſtraͤubendes Gefieder von dem Grauſen.
Und wenn der Sturm davon ihm eine Feder weht,
Ein Jaͤger findet ſie, der fruͤh zur Jagd ausgeht.
Er darf die Feder nicht zu andern Federn legen,
Weil Adlerfedern ſelbſt den Trieb des Adlers hegen;
Und, wie der Aar hinweg die Voͤgel wehrt und treibt,
Auch ihre Federn ſein Gefieder zehrt und reibt.
Der Jaͤger macht daraus des Pfeiles Federſpiel;
Dem aarbeſchwingten Schaft waͤhlt er den Aar zum Ziel.
Der Adler in der Luft vom Pfeil getroffen ſpricht:
Nahmſt du nicht von mir ſelbſt die Kraft, du trafſt mich nicht.
Der Adler ſchuͤttelt aus der Bruſt den Pfeil, und ſchaut
Hinunter, wo fuͤr ihn gepflanzt iſt Adlerkraut.
Vom Adlerkraute heilt alsbald die Adlerwunde,
Und in die Luͤfte ſchwingt ſich wieder der Geſunde.
Und wenn er einen Kreis hat um die Welt geſchwungen,
So laͤßt er ſich aufs Neſt herab zu ſeinen Jungen.
Den beiden ſchaut er ſcharf ins Auge bis ins Mark,
Pruͤft ihre Krall' und Schwing', und findet beide ſtark.
Sie halten ſich am Neſt mit ſcharfen Krallen feſt,
Doch ohne Schonung ſtoͤßt der Alte ſie vom Neſt.
Denn fliegen lernt nur, wer zum Fliegen iſt gezwungen,
Wenn er zum Fliegen Kraft auch hat gleich Adlerjungen.
Ein Junges ſinkt hinab, alsob's kein Adler ſei,
Das wird ein Jagdgenoß fuͤr Eule dort und Weih.
Das andre ſchwebet nach dem Vater voll Vertraun,
Der reißts mit ſich empor und lehrts die Sonne ſchaun.
42.
Du macheſt manches mit, weil man dir's vorgemacht,
Und bringſt es weiter ſo, wie es iſt hergebracht.
Mit Meſſern ſchneideſt du des Brotes weiche Rinde,
Und beißeſt mit dem Zahn die Nuß, die ungelinde.
So iſts einmal dein Brauch, doch brauchteſt du viel beſſer,
Mich duͤnkt, den Zahn fuͤrs Brot und fuͤr die Nuß das Meſſer.
43.
Am Rand des Stromes ſitzt ein Angler um zu angeln,
Und laͤßts an keiner Kunſt, den Fiſch zu locken, mangeln.
Die Lockung laͤſſet er am feinſten Faden ſchweben,
Die Ruth' iſt ſtark genug den ſchwerſten Fang zu heben.
Doch munter ſpielt der Fiſch in ſeinem Element,
Und achtets ſeinen Tod, wenn man davon ihn trennt.
So uͤberm Sinnenmeer, in das verſenkt wir ſind,
Sitzt dort ein Angler auch und lockt das Menſchenkind.
Der Angel Nektar ſchwebt an goldnem Sonnenfaden,
Uns aus der bittern Flut zur ſuͤßen Koſt zu laden.
Doch wollen ſie nicht recht der Himmelsladung achten,
Sie fuͤrchten wie der Fiſch im Aether zu verſchmachten.
Doch jeder iſt zuletzt gefangen unwillkuͤhrlich;
Komm, ſtirb der Welt im Geiſt, eh du ihr ſtirbſt natuͤrlich!
Der Menſch, ſolang er lebt, iſt meiſt ein Doppelleber,
Nur wen'ge ſind ganz Fiſch, noch wen'ger Himmelſchweber.
44.
Man ſagt, geboren hat die Viper nicht die Jungen,
Die Mutter toͤdtend ſind ſie ihrem Leib entſprungen.
Man ſagt, ſie thuen dies auf ein Naturgebot,
An ihrer Mutter ſo raͤchend des Vaters Tod.
Denn wenn der Schlangenmann ſein Weib will zuͤngelnd kuͤſſen,
Nimmt in den Mund ſie ihn und ſchwelgt in den Genuͤſſen.
Und, obs die Saͤttigung, obs ihr die Luſt eingab,
Wie ſie empfangen hat, beißt ſie das Haupt ihm ab.
Die Kinder fuͤhlen wol aus welcherlei Verderben
Sie ſtammen, und gehn hin den gleichen Tod zu ſterben.
Die Schlangenmaͤnnchen gehn ſich mit den Weibchen gatten,
Um fuͤr der Mutter Tod die Suͤhnung zu erſtatten;
Zu ſaͤttigen die Luſt, die niemals kann erſatten;
Kann ſolche Unnatur in der Natur auch ſeyn?
Traͤgſt du, o Menſch, ſie nur in die Natur hinein?
Der lautern Fantaſie iſt ſie die Mutter mild,
Und der verſtoͤrten das verzerrte Schlangenbild.
45.
Es kam ein Wanderer durch einen oͤden Raum
An einen gruͤnen Fleck, da ſtand ein ſchoͤner Baum.
Und an des Baumes Fuß ergoß ſich eine Quelle,
Und eine Blume ſah ſich in der klaren Welle.
Auch auf dem Baume ſaß ein Vogel hoch und ſang:
Der Wandrer ruhte froh ſich aus von ſeinem Gang.
Und ſprach: wie Schad' um euch, daß ihr hier beide ſingt
Und bluͤht, wo keinem Aug' und Ohre Luſt es bringt.
Da ſprach die Gottheit, die im Baume wohnte, leiſe:
O Wandrer, den zu mir gefuͤhret hat die Reiſe!
Sie bluͤhen nicht umſonſt, ſie bluͤhn und ſingen mir,
Und weil du bei mir ruhſt, bluͤhn ſie und ſingen dir.
46.
Ein altes Sprichwort ſagt: Im Truͤben iſt gut fiſchen.
Ein andres: gut iſts auch im Truͤben zu entwiſchen.
Dort iſts der Fiſcher ſelbſt der ſeinen Tuͤmpfel truͤbt,
Und am bethoͤrten Fiſch mit Gluͤck ſein Handwerk uͤbt.
Und alſo truͤbt die Flut um ſich der Kraken auch,
Daß blinde Heringsbrut ſich draͤng' in ſeinen Bauch.
Doch hier ein Fiſchlein iſts, das keine andre Kraft
Zu ſeiner Nothwehr hat als ſeinen braunen Saft.
Der braune Saft, um den die Menſchen ſelbſt es fangen,
Derſelbe iſts, durch den es ihnen iſt entgangen.
Spritz, arme Sepie, wehrloſer Tintenfiſch,
Die Tinte nach dem Feind, und in der Truͤb' entwiſch!
47.
Vernimm die Fabeln, die ich nicht gefabelt habe;
Als Mann erzaͤhl' ich dir, was ich gehoͤrt als Knabe.
Die zahme Ente ſchwamm auf ihrem Pfuhl zufrieden,
Wo von dem Hausherrn ihr das Futter war beſchieden.
Die wilde Ente flog vorbei mit Luſtgeſchrei;
Die zahme blickt hinauf, verwundert, was es ſei?
„Mein wilder Vetter, ei, wohin?“ — Zur Quellenflut
Auf Bergen, weil das Land verſengt hat Sommerglut.
„Zu Quellen? ei! kennſt du die Quellen, warſt du dort?“
Ich nicht, die Mutter wars, und nach ihr zieht michs fort.
„Und weißt du denn den Weg?“ Ich weiß ihn nicht, ich fuͤhle
Den Trieb nur und den Zug entgegen jener Kuͤhle.
Die zahme ſpricht: Bin ich nicht auch von deinem Stamm,
Und fuͤhle keinen Trieb und Zug aus meinem Schlamm.
Die wilde ſpricht: du haſt, von der Natur entfernt,
Den angeſtammten Trieb der Freiheit nur verlernt.
Ich aber fuͤhle michs durchzittern und durchwittern;
Leb wol! dort reicht man dir dein Futter aus den Gittern.
48.
Die Blumen ſtanden friſch erquickt auf duͤrrer Au,
Denn jede hatt' im Mund ihr Troͤpflein Morgenthau.
Das hatten ſie bei Nacht zur Tageskoſt empfangen.
Sie ſprachen: Schweſtern, laßt uns nun mit Wen'gem langen!
Lang iſt der heiße Tag, der uns verſengt die Glieder,
Und erſt der Abend bringt uns eine Labung wieder.
Sie wachten hin den Tag ſo ſtill alsob ſie ſchliefen,
Durchſchliefen kuͤhl die Nacht, erwachten fruͤh und riefen:
Wir armen Schweſtern, ach, heut muͤſſen wir verſchmachten,
Da die gewohnte Lab' uns nicht die Stunden brachten.
Wir armen Schweſtern, ach! die goldne Morgenſtunde
Kam ſelber ohn' ihr Gold, ohn' ihren Thau im Munde.
Doch eine rief im Kreis: Still! junge Jahrespflanzen,
Ihr kennt die Stunde nur, und nicht die Zeit im Ganzen.
Ihr bluͤht am Boden hin, geweckt vom Fruͤhlingshauch,
Den Sommer durch zum Herbſt; ich aber bluͤh' am Strauch.
Jung wie ihr ſelbſt, hab' ich vor euch des Strauchs Bejahrung
Voraus, und ſo vernehmt die Stimme der Erfahrung:
Weil heut, auf den ihr hofft, der Thau nicht eingetroffen,
Deswegen grade duͤrft ihr nun auf Regen hoffen.
Die Mutter, deren Bruſt ihr bluͤhet eingeſenkt,
Die bald von unten euch und bald von oben traͤnkt;
Sie weiß am beſten wol, wodurch ihr Kind gedeiht,
Doch das verſchiedne gibt ſie nicht zu gleicher Zeit.
Wenn, eh zur Luft ſie ſteigt, Erdfeuchtigkeit zur Erden
Herabfaͤllt, wird ſie Thau, und kann nicht Wolke werden.
Wenn hoͤher ſteigt der Dunſt, euch nicht als Thau erquickt,
Dann wird fuͤr euch im Blau der Mantel grau geſtrickt.
Denn wenn die Mutter eins entzieht, gibt ſie dagegen
Das andre; da ihr Thau nicht kam, ſo kommt ihr Regen. —
Die Blumen lauſchten noch, da hoͤrten ſie es rauſchen,
Und hoffnungsvoller noch begannen ſie zu lauſchen.
Und als hernieder nun der Regenguß gerauſcht,
Da ſenkten ſie beſchaͤmt die Haͤupter ſuͤßberauſcht.
49.
Warum der Vogel ſteht im Schlaf auf Einem Bein?
Daß ihm die Schlange koͤnn' umſchlingen eins allein.
Sie ſchlingt ums Eine ſich; doch mit dem andern Fange,
Und mit dem Schnabel dann, entringt er ſich der Schlange.
Warum der Vogel ſchlaͤft, den Kopf in Fluͤgeln ſchmiegend?
Daß den die Eule nicht abreiße, naͤchtlich fliegend.
Hinfahrend uͤber ihn, erwiſcht ſie einen Schopf;
Den laͤßt er ihr und fliegt davon mit ſeinem Kopf.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 3
50.
Sie haben ihr Vertraun auf dich geſetzt, und baun
Auf dich; ſo ſetze du auf Gott auch dein Vertraun.
Wie ſie vertrauenvoll auf dich ſchaun als Berather,
So ſchau mit doppeltem Vertraun auf deinen Vater.
Und darum ſchon allein wird er dich nicht verlaſſen,
Daß nicht verlaſſen ſeyn, die ſich auf dich verlaſſen.
51.
In einem Hauſe wohnt' ein armes Hausgeſind,
Das Huͤndlein und der Knecht, der Vater und das Kind.
Der Herr des Lebens kam zu ſchaun der Menſchen Noth,
Als Bettler pruͤft' er ſie und forderte ein Brot.
Der Herr ſprach: Gib ihm eins! der Knecht ſprach: dir iſt kund,
Vier Brote ſind im Haus, je eins fuͤr einen Mund.
Der Herr ſprach: Gib ihm, das geſpart war meinem Mund,
Und aufbewahrt ſei das fuͤr dich, fuͤr Kind und Hund.
Der Knecht mit Zoͤgern gabs; er nahm's und kam zuruͤck,
Ein zweites fordert' er. „Gib ihm ein zweites Stuͤck.
Recht muß dem Diener ſeyn, was ſeinem Herrn iſt recht;
Laß das fuͤr Kind und Hund, und gib ihm deins, mein Knecht.“
Der Knecht mit Freuden gabs; er nahm's und kam zuruͤck,
Ein drittes fordert' er. „Gib ihm das dritte Stuͤck.
Daß es Enthaltſamkeit von ſeinem Vater lerne,
Gib hin des Kindes Stuͤck!“ Der Diener gabs nicht gerne.
Das Kindlein lacht' und gabs; er nahm's und kam zuruͤck,
Ein viertes fordert' er. „So gib das letzte Stuͤck!
Hab' ichs dem Knecht, dem Kind und meinem eignen Munde
Entzogen, darf ichs wol entziehn auch meinem Hunde.“
Geduldig gabs der Knecht; er nahm's und kam nicht wieder,
Doch draußen in der Luft rauſcht' es wie Lenzgefieder.
Ein goldner Regen floß herab vom Himmelsraum,
Wo er die Flur begoß, da wuchs empor ein Baum.
3*
Der Herr des Lebens ſaß im Wipfelzelt und ſprach
Mit ſanftem Rauſchen: Gern gabt ihr, was euch gebrach.
Drum ſoll des Lebens Brot hinfort euch nie gebrechen,
Und gern gebt allen es, die meinen Namen ſprechen.
Ihr ſollt den Acker drum nicht pfluͤgen oder hacken,
Saͤ'n, ſchneiden oder maͤhn, dann dreſchen, mahlen, backen.
Von ſelbſt ein mehl'ger Kern, gebacken und gewuͤrzt,
Waͤchſt euch das Brot am Baum, in Fruchtgeſtalt geſchuͤrzt.
Vier Brote traͤgt der Baum, und jedes fuͤllt im Raum
Des Jahres ſeinen Mund; das iſt der Brotfruchtbaum.
52.
Der Knabe ſitzt am See, und taucht die Ruthe drein;
Die außen grade war, ſcheint innen krumm zu ſeyn.
Er zieht die Ruth' hervor, da iſt ſie wieder grade,
Taucht neu ſie drein, und krumm iſt ſie im Wellenbade.
So oft er ein ſie taucht, iſt ſie auch wieder krumm,
Und grade, wenn er ſie hervorholt wiederum.
Der Knabe ſpricht: du ſcheinſt ſo lauter, es iſt Schade,
Daß du ſo falſch doch biſt, dein Sinn iſt nicht gerade.
Das Grade machſt du krumm; geh weg, du biſt ein Wicht.
Da hoͤrt der Knabe, wie der See mit Rauſchen ſpricht:
Daß ohne Falſch ich bin und lauter bis zum Grund,
Thut dir dein eignes Bild und das der Sonne kund.
Denk, eh du ſchlimmes denkſt, dein Aug' iſt nur nicht fein
Genug, das Grade recht zu ſehn im ſchiefen Schein.
53.
Von menſchlichem Geſchlecht verlaſſen ſtand ein Haus,
Vertrieben waren ſie daraus von Ratt' und Maus.
Da richteten ſich ein die Maͤuſe und die Ratten,
Und machten Alles fein, wie ſie's am liebſten hatten.
Sie ſaßen lange Zeit und fuͤhlten ſtark ihr Recht,
Da draͤngte ſich herein ein anderes Geſchlecht.
Im Sparrwerk niſtete ſich ein Volk von Eulen;
Mit Pfeifen klagts die Maus dem Schickſal, wie ſie heulen.
Das Heulen war ein Vorſpiel nur zum Trauerſpiel,
Bald fraß der Eulenchor die Maus mit Stumpf und Stiel.
Behaglich hauſten nun im alten Schloß die Eulen,
Da kamen Menſchen her und ſetzten neu die Saͤulen.
Die Eulen ſahen ſich aus dem Beſitz geſetzt,
Und klagen jaͤmmerlich, es ſei ihr Recht verletzt.
Der Menſch macht ſich nichts draus, und wohnt in ſeinem Haus,
Bis wieder ihn daraus wird treiben Ratt' und Maus.
54.
Das groͤſte Hinderniß iſt oft dem Muthe keines,
Den doch erliegen macht zuletzt ein winzig kleines.
Die Felſenberge haͤtt' ein Wandrer uͤberſtiegen,
Haͤtt' er ein Steinchen nicht in ſeinem Schuhe liegen.
Wer wandern will mit Gluͤck durchs Leben, ſehe zu,
Daß innen ihn nicht druͤck' ein Steinchen in dem Schuh.
55.
Wo naht der ſuͤße Strom dem bittern Flutenſchooße,
Begegnen ſich zwei Fiſch', ein kleiner und der große.
Entgegen ſchwimmen ſie ſich ſo auf ihrer Bahn,
Alswie von hier und dort ein Meerſchiff und ein Kahn.
Und waͤhrend um ihr Haupt die Waſſerorgeln ſummen,
Begruͤßen in der Flut ſich laut die beiden Stummen.
Mein Vetter, ei, wohin? Mein Bruder, ei, woher?
Ich aus dem Meer ins Land. Ich aus dem Land ins Meer.
Was fuͤhret dich ſo fern? Was treibet dich ſo weit?
Der Hoffnung beſſrer Stern. Die Unzufriedenheit.
Ich will ins ſtille Land aus Wogenaufruhr ſteuern,
Um zu entgehn des Meers gefraͤß'gen Ungeheuern.
Ich will mich aus der Eng' hinaus ins Weite friſten,
Entgehn des Menſchenvolks Nachſtellungen und Liſten.
Das trieb dich, Vetter? Das hat, Bruder, dich gezogen?
Die Hoffnung taͤuſchte dich. Du haſt dich ſelbſt betrogen.
Du ſteuerſt in dein Grab. Du ſegelſt in den Tod.
Hinaus, hinein, hinab, hinauf iſt gleich die Noth.
Und ſtehn wir in der Mitt' unſchluͤſſig ſtill deswegen,
Da die Natur uns gab die Floſſen, uns zu regen?
Und da gerade hier ſich im Zuſammenfluß
Des Landes und des Meers Gefahr begegnen muß?
So folge deinem Zug! Gehorche deinem Triebe!
Was weiter hat ein Fiſch als ſeine Luſt und Liebe?
Du gruͤße mir das Land! Du gruͤß mir ſchoͤn das Meer!
Leb wohl, auf Wiederſehn! Wir ſehn uns nimmermehr.
Ein Fiſcher horcht' erſtaunt, der beide wollte fangen;
Und uͤber'm Staunen ſind ſie diesmal ihm entgangen.
56.
Wer viele Buͤcher hat, und keines recht geleſen,
Iſt wie ein Geiziger mit ſeinem Schatz geweſen.
Er nutzet nicht ſein Gut und vorenthaͤlts der Welt;
Denn nur im Umlauf nuͤtzt die Weisheit und das Geld.
Wie mancher koͤnnte ſich vom Abfall deſſen maͤſten,
Was ſolch ein Magrer hat in Geld- und Buͤcherkaͤſten.
Doch Weisheit ſtatt vom Buch kann man vom Leben kaufen,
Und Lebensweisheit gar vermißt nicht Goldes Haufen.
57.
Die heil'ge Lampe brennt in deines Buſens Raͤumen,
Sie iſt dir angeſteckt zum Wachen, nicht zum Traͤumen.
Zum Wachen uͤber'm Buch, zum Wachen im Geſang,
Zum Wachen ſelbſt im Traum, in ſel'gen Gluͤcks Umfang.
58.
Das Rohr im Winde ſeufzt aus Sehnſucht nach dem Schoͤnen,
Daß es als Floͤte moͤg' am Mund des Menſchen toͤnen.
So ſeufzet die Natur in jeder Fruͤhlingsbluͤte,
Daß ſie vom Menſchen moͤg' empfangen ihr Gemuͤte.
Die ſchoͤnſte Landſchaft ſeufzt, alsob ihr etwas fehle,
Daß der beſeelte Blick der Liebe ſie beſeele.
59.
Der Kuͤnſtler, wenn ein Werk er hat gemacht fuͤr alle,
Befragt Verſchiedene, wie jedem es gefalle.
Es kann nicht jedem gleich gefallen, doch zufrieden
Iſt es, wenn es gefaͤllt Verſchiedenen verſchieden.
60.
Wer etwas Gutes ſchafft, der halt' es nur fuͤrs Beſte,
Daß er ſich ganz darin beſtaͤrke und befeſte.
Er mag, was Gutes ſonſt, was Beſſres ſei, vergeſſen,
Und das aufs beſte thun, was ihm iſt angemeſſen.
Doch gut iſts auch, daß ers erkenn' als mangelhaft,
Einſeitig, und beſchraͤnkt nach ſeiner Eigenſchaft.
Nicht ſchelten wird er dann den andern, der ihn ſchilt,
Weil das nicht gelten kann der Welt, was dir nur gilt.
61.
Du laͤſſeſt billig dir dein eignes Gut gefallen,
Doch nicht ruhmredig mußt du es anpreiſen allen.
So lob' im Stillen dir dein Weib auch, das iſt gut,
Nicht andern! es iſt auch ein Stuͤck von deinem Gut.
Ein Hauptſtuͤck deines Guts, dein hoͤchſtes Gut mit Recht;
Des freue dich als Mann, und bet's nicht an als Knecht!
62.
Wenn du das Ziel nur kennſt, und biſt auf rechten Wegen,
Gleichviel iſts wie du rennſt den Weg dem Ziel entgegen.
Du magſt zu Fuße gehn, du magſt auch reiten, fahren,
Dein Ziel nur mußt du ſehn, und deines Weges wahren.
Nur vorwerts, nie zuruͤck! kein muͤßiges Bedenken!
Das Einzle muß das Gluͤck, Gott muß das Ganze lenken.
Schmal iſt der rechte Weg, doch iſt er nicht ſo ſchmal,
Daß rechts und links zu gehn dir bliebe nicht die Wahl.
Auch eben iſt der Weg, doch iſt er nicht ſo eben,
Daß fortzukommen du den Fuß nicht muͤßeſt heben.
Drum geh rechts oder links, wie's in den Sinn dir kommt,
Und hebe ſo den Fuß im Takte wie es frommt.
Im Wege magſt du dich nach einer Blume buͤcken,
Nicht biegen aus dem Weg, um Blumen nur zu pfluͤcken.
Stets eilen mußt du dich, doch nie dich uͤbereilen,
Nie weilen ohne Noth, doch gern wo's Noth thut, weilen.
Nie ruͤckwerts, wie geſagt, nur vorwerts mußt du gehn,
Und denken; doch erlaubt iſt dir ein Ruͤckwertsſehn.
Zum Vorwertskommen ſelbſt mag das die Kraft dir ſtaͤrken,
Wie weit du vorwerts ſchon gekommen biſt, zu merken.
So ſchreiteſt du von Schritt zu Schritt mit feſter Ferſe,
Alswie ein Dichter ruͤckt vom Verſe fort zum Verſe.
Der auch nicht ſaͤumen darf im ſteten Vorwertsdrang;
Und im Bewußtſeyn geht, ein Gott lenk' ihm den Gang.
63.
Wer mit Beſonnenheit vereint Begeiſterung,
Kommt ſicher ſchnell und weit, und haͤlt das Maß im Schwung,
Wenn ſo der Geiſt dich treibt, daß er dir niemals raube
Beſinnung, aber nie Beſinnen dir erlaube.
64.
Was uranfaͤnglich iſt, das iſt auch unanfaͤnglich,
Und unanfaͤngliches nothwendig unvergaͤnglich.
Was irgend wo und wann hat ſelber angefangen,
Kann nicht der Anfang ſeyn, und muß ein End' erlangen.
Der Anfang nur allein kann nie zu Ende gehn,
Weil er aus Nichts entſtand, Nichts ohn' ihn kann entſtehn.
Worin die Welt entſteht, beſteht, und untergeht,
Und neu entſteht, iſt das, was in ſich ſelber ſteht;
Was in ſich ſelber kreiſt, und Alles kreiſen macht,
Sich ſelbſt bewegend, Allbewegung hat gebracht.
Und ein Bewegtes, das als Hebel der Bewegung
In ſich den Anfang fuͤhlt, iſt ſelbſt Uranfangsregung.
Drum wenn du fuͤhlſt in dir ein Uranfaͤngliches,
In dem Gefuͤhl haſt du dein Unvergaͤngliches.
65.
Ein hohes Raͤthſel iſts, wie alle ſind berufen
Zum Hoͤchſten, keiner doch erſteiget alle Stufen;
Wie mancher auch vorlieb mit einer untern nimmt,
Und unbeſcheiden den wol nennt, der hoͤher klimmt.
Doch weislich hats gefuͤgt, der hoͤher ſitzt als alle,
Daß jeder, wo er ſteht und ſtehn kann, ſich gefalle;
Daß jeder gleich entfernt von ſich das Hoͤchſte ſieht,
Und es in ſeiner Weiſ' heran, herunter, zieht.
Und wen hinan es zieht, der zieht ihm nach, und ſieht,
Je hoͤher hin er folgt, je hoͤher hin es flieht.
Hoch hebe deinen Geiſt zum Ew'gen ein Verlangen,
Doch fuͤhle dich mit Luſt von Endlichkeit umfangen.
Alles iſt gar zu viel, und gar zu wenig Nichts;
Die Malerei bedarf der Schatten und des Lichts.
66.
Das irdiſche an dir, Geſchoͤpf, ſind deine Glieder,
Vom Himmel haſt du, ſollſt du haben dein Gefieder.
Dein Vorbild ſei, o Menſch, ſo lang du Raupe biſt,
Der Schmetterling, der ganz Fluͤgel geworden iſt.
Die edle Pflanze hat ein Baum ſich ausgegliedert,
Und oben ſchwebt das Blatt im Sonnenſchein gefiedert.
Sei von des Himmels Thau, der Pflanze gleich, begoſſen,
Daß wie an ihr das Blatt, an dir die Fluͤgel ſproſſen!
Ums Haupt der Schoͤnheit wallt dem Laube gleich die Locke,
Das Himmelsluͤfte ſie zum Spiel herniederlocke.
Und wenn dich ſelbſt es lockt zu ſpielen mit dem Duft
Der Locken, ſpiele fein mit ihm wie Himmelsluft.
Der Lock' ermangelt ein behaarter Thieretroß;
Bemaͤhnt iſt edel nur der Leu und ſtolz das Roß.
Den Voͤgeln aber ſind die Fluͤgel angeboren,
Die Voͤgel haben ſie behalten, wir verloren.
Daß du ſie hatteſt, mahnt gefluͤgelt dich der Traum,
Beſchwingten Goͤttern gleich dich fluͤgelnd uͤbern Raum.
Nicht ehr behalten dort dich Goͤtter zum Genoſſen,
Aus innrer Goͤttlichkeit bis dir die Fluͤgel ſproſſen;
Bis — alſo kreiſt in ſich mein Lied — ins Morgenroth
Entſchwebt der Schmetterling, dem Eins iſt Lieb' und Tod.
67.
An jedem Morgen haͤlt der ſel'gen Goͤtter Chor
Die Umfahrt um die Welt aus offnem Himmelsthor.
Und die verhuͤllte nur, die Gottheit bleibt zuruͤck,
Am Herde ruhend, wie der Hausfrau ſtilles Gluͤck.
Die Geiſter aber, die vom Stamm der Goͤtter wohnen
Auf Erden, fahren auch empor aus allen Zonen.
Den Goͤttern folgen ſie nacheifernd Roß und Mann,
Doch haben Goͤtter nicht und Menſchen gleich Geſpann.
Ganz goͤttlich ſind die Roſſ' auch die die Goͤtter tragen,
Gemiſchter Art ſind die am Menſchenſeelenwagen.
Das eine zieht hinauf, das andre zieht hinab,
Daß ſchwer der Lenker ſie erhaͤlt in gleichem Trab.
Mit Muͤhe geht es ſchon die ebnern Himmelsbahnen,
Doch an der Steile ſtockt das Roß von ſchlechten Ahnen.
Und wen der Zuruf nicht reißt eines Gotts empor,
Bleibt auf der Haͤlft' und folgt nicht ganz dem ſel'gen Chor.
Die Goͤtter fahren hin am Rand von Raum und Zeit,
Und blicken froh hinaus in die Unendlichkeit.
Dort wo das Ew'ge ſteht, das Wahre, Gute, Schoͤne,
An deſſen Anblick ſich erquicken Goͤtterſoͤhne.
Und wem's der Geiſter gluͤckt zu folgen Goͤtterſpur,
Der ſieht daſſelb' entzuͤckt, doch ſieht er halb es nur.
Dem einen, wenn ers ſieht, ſo ſchwindeln ihm die Sinnen,
Den andern traͤgt zu ſchnell der Roſſe Braus von hinnen.
Dem dritten baͤumen ſich die Roſſe ſo und ſtraͤuben,
Daß er das Wahre nicht gewahret vor Betaͤuben.
Was aber jeder dort der Geiſter hat geſehn,
Das tragen ſie mit fort, wann ſie zur Erde gehn.
Dem wahren Seyn, das ſie geſchaut in jenen Raͤumen,
Sinnen ſie unten nach, und ſcheinen euch zu traͤumen;
Euch andern, die zum Licht empor nicht mochtet dringen,
Weil euern Roſſen nicht gewachſen ſo die Schwingen.
Ihr habt indeſſen euch, vom Steigen angeregt
Der Goͤtter auch, doch nur im niedern Kreis bewegt;
Wo ein Getuͤmmel ward, ein laͤrmendes Gedraͤnge,
Ein ſinnverwirrendes verwirrtes Schaugepraͤnge;
Wo jeder andres ſucht, und alle gleiches Ziel
Im unaufhoͤrlichen Weltwettlaufrenneſpiel.
Wo jeder jedem vor ſich draͤngt auf engen Pfaden,
Nimmt mancher bald am Roß und bald am Wagen Schaden.
Und ſtellen ſie dann ein, und haben nicht das Seyn
Gefunden, ſcheinen ſie zufrieden mit dem Schein.
68.
Ich ſprach am Abend, als ich meinen Stock begoß:
Sag' an, warum ſich heut nicht dieſe Bluͤt' erſchloß?
Geroͤthet hat ihr Mund der Sonne Kuß empfangen,
Ihr Buſen ſchwoll; warum iſt ſie nicht aufgegangen?
Da wiegte ſanft der Stock ſein Haupt im Abendwinde,
Und ſprach: Ich hab' es ſelbſt gerathen meinem Kinde.
Sie waͤre heut nur unvollkommen aufgebluͤht,
Denn viele ſchloß ich auf, und meine Kraft iſt muͤd.
Wir wollen ſammeln ihr im Schlummer friſchen Duft,
Und morgen wuͤrzen ſoll ihr Hauch die Morgenluft.
So ſprach der Strauch; ich gieng und hielt in mir zum Gluͤck
Ein halberſchloſſnes Lied auf morgen auch zuruͤck.
69.
Das Ewige, das ganz genoßen Goͤtterſoͤhne,
Ward Menſchen dreigetheilt das Wahre, Gute, Schoͤne.
Denn kaͤm' es ungetheilt, des Menſchen ſchwache Sinnen
Riſſ' uͤberwaͤltigend das Ew'ge ganz von hinnen.
Drum hat es ſich getheilt, nur in verſchiedner Weiſe
Den Sinn zum Ewigen vorzubereiten leiſe.
Das Wahre wird gewahrt vom geiſt'gen Sinn, dem Sinnen;
Das Gute wohnt verhuͤllt dem Sinn des Guten innen.
Nur zu erſcheinen hat das Schoͤne ſich getraut
Dem aͤußern Sinne ſelbſt, das Schoͤne wird geſchaut.
Die beiden wollten auch durchs dritte ſichtbar werden,
Zum Schoͤnen ſprachen ſie mit flehenden Geberden:
Verſprich uns, nie zu gehn ins Menſchenaug' allein,
Ohn' uns in Geiſt und Herz zu fuͤhren mit hinein.
Sonſt wird der bloͤde Geiſt das Wahre kaum gewahr,
Und nicht dem Herzen wird das Gute goͤttlich klar.
Du ſollſt das Wahre ihm bewaͤhren, ja gewaͤhren,
Das Gute ſollſt du ihm verklaͤren, ja verklaͤren.
Und dir, o Schoͤnes, iſt der Vorzug mit geſchenkt,
Daß er als Gutes ſelbſt dich fuͤhlt, als Wahres denkt.
Nur wenn wir ſo in ihm ergaͤnzend uns vereinen,
Wird ganz das Ewige im Endlichen erſcheinen.
70.
Dem Weisheitdurſtenden hat nie ſo recht von Grund
Den Durſt geſtillt ein Buch, wie eines Lehrers Mund.
Lebendig iſt der Trieb nur des geſprochnen Wortes,
Und das beſchriebne Blatt vom Baum iſt ein verdorrtes.
Selbſt jenes Wort, das Erd' erſchuf und Himmel dort,
War ein geſprochenes, nicht ein geſchriebnes Wort.
Und dem geſprochnen Wort verblieb der Lehrberuf,
Zu ſchaffen immerfort, wie es zuerſt erſchuf.
Und ſelber Gottes Schrift in Schrift und in Natur,
Wird immer neu belebt durch Schriftauslegung nur.
Geſchriebnes Wort, dem Buch vertraut, iſt halb verlaſſen
Vom Geiſt, und halb nur kann der Menſchengeiſt es faſſen.
Es geht von Hand zu Hand, es kommt von Land zu Land,
Und findet, wie ſichs trifft, Verſtand und Misverſtand.
Geſprochnes gehet durch erwaͤhlter Hoͤrer Runde,
Und immer neu belebt geht es von Mund zu Munde.
Doch bildet es ſich um, je weiter um es geht,
Verwandelt ſich und ſchwankt, nur das geſchriebne ſteht.
Ja, haͤtte nicht die Schrift den Zauberkreis gezogen,
Viel Gold der Vorzeit waͤr' im Wind wie Spreu verflogen.
Nicht minder drum dem Mund lerndurſt'ger Menſchenkinder
Als Spracherfinder ſei geehrt der Schrifterfinder.
Wer iſts? Gott, deſſen Stift an Erd- und Himmelstrift
Geſchrieben ſeinen Ruhm in Blum- und Sternenſchrift.
Auf Tafeln von Lazur und auf ſmaragdner Flur,
Wie im Rubin der Bruſt, lies ſeine Namen nur.
71.
Der Vorzeit Sprache ſei dir heil'ge Hieroglyphe,
Die du bewahren mußt ſtumm in des Buſens Tiefe.
Sie lebet nicht im Ohr, ſie ſchwebet nicht vom Munde;
Sie dringt vom Grab hervor, und klingt im Herzensgrunde.
Die Juͤnger muͤhen ſich mit nicht'ger Eitelkeit
Zu haſchen einen Klang, den laͤngſt verweht die Zeit.
Sie ſuchen ihren Mund recht naͤrriſch zu verrenken,
Um mit erzwungnem Laut Buchſtaben zu beſchenken.
Sie denken, ſo den Geiſt des Lebens einzuſenken
Dem Buchſtab, den ſie ſich als einen todten denken.
Was werden ſie mit der Beſchwoͤrungskunſt erreichen,
Wenn zu Scheinleben ſie erwecken Woͤrterleichen?
Das geiſt'ge Bild entſetzt ſich vor der Koͤrperfratze,
Und ſelbſt erkennt ſich nicht die Sprach' in dem Geſchwatze.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 4
Du danks dem Geiſte, der, weil eben mußt' entweichen
Der Stimme Klang, ſich ſelbſt befeſtigt hat im Zeichen.
Den Vaͤtern dank' es, die vernehmlich ihren Soͤhnen
Sich uͤber Zeit und Raum kund thun, doch nicht in Toͤnen.
Wie einſt die Toͤne ſelbſt in ihrem Sinn erklungen,
Das bild' in deinem Sinn, nicht mit dem Spiel der Zungen.
Den Kindern laß das Spiel, du hoͤre mit dem Geiſt,
Und wiſſe, daß du nur durch Geiſt den Geiſt befreiſt.
Der Urwelt Sprache thut dir kund mit Geiſterhauch
Nicht nur den innern Sinn, den innern Wohllaut auch.
72.
Gleichguͤltig findet mich der Lenz zum erſtenmal,
Alsob ich aͤlter ſei als Wald und Berg und Thal.
Da Wald und Berg und Thal, die alten, ſich erneun,
Wie ſollte ſich nicht neu das alte Herz auch freun?
Ein halb Jahrhundert lang freut' ich mich Jahr um Jahr,
Und wardſt du nun ſo alt in dieſem einz'gen gar?
Nein! ſondern weil ein Bild des Fruͤhlings in mir ſteht,
Vor welchem das zu Nichts, das draußen ſteht, vergeht.
73.
Wenn eingetroffen iſt ein unverhofftes Hoffen;
Eh er begluͤckt ſich fuͤhlt, fuͤhlt ſich der Geiſt betroffen;
Wie, wer vom Schlaf erwacht, ſich fuͤhlet erſt betaͤubt,
Dann der Aurikel gleich von friſchem Duft beſtaͤubt;
Und wie die Blume ſelbſt, wann Regen kommt, erſchrickt
Vor der Erquickung, eh ſie ſtill ſich fuͤhlt erquickt.
4*
74.
Gewohnheit iſt ſo ſtark, daß ſelber die Natur
Zu thun ſcheint, was ſie thut, oft aus Gewohnheit nur;
Daß die gewohnte Zeit dich hungrig ſcheint zu machen,
Und durſtig, ſchlaͤfrig auch, und ſelbſt vom Schlaf erwachen.
Wenn zu gewohnter Zeit ſich Hunger eingefunden
Und Durſt, und Schlaͤfrigkeit, zaͤhlſt du villeicht die Stunden.
Wer aber zaͤhlte ſie, wann ich im Schlummer lag,
Erwach' und hoͤre den gewohnten Glockenſchlag?
Drum iſt Gewohnheit nicht ein Aeußerliches nur,
Wie unſer Sprichwort ſpricht: die andere Natur.
Mach von der einen Joch dich durch die andre frei,
Nicht mache, daß ſie ſelbſt ein zweites Joch dir ſei.
75.
Im Weg begegnen ſich die Bien' und die Ameiſe,
Die ſingend in der Luft, und die am Boden leiſe.
Sie haben keine Zeit einander zu begruͤßen,
Sie treibt der rege Fleiß auf Fluͤgeln fort und Fuͤßen.
Fort treibt ſie reger Fleiß auf Fluͤgeln und auf Fuͤßen,
Zu buͤßen ihre Luſt am bittern Werk und ſuͤßen.
Die Bien' am ſuͤßen Werk, die Ameiſ' an dem bittern,
Zu riechen Honigduft und Weihrauchkorn zu wittern.
Die Aemſ' am bittern Werk, die Bien' an ihrem ſuͤßen,
Arbeiten ſtets mit Luſt, die Arbeitsluſt zu buͤßen.
Und fuͤrchteten die Zeit zur Arbeit einzubuͤßen,
Naͤhmen ſie ſich die Zeit einander zu begruͤßen.
Sie tummeln ſich vorbei, und werden nicht gewahr,
Wie gleich und ungleich ſie zuſammen ſind ein Paar.
Die Imm' iſt im Geſchaͤft beſtaͤndig immer kraͤftig,
Die Aemſ' in Aemſigkeit nach Kraͤften ſtets geſchaͤftig.
Den Vorrath ſchaffen ſie nicht aus ſelbeignem Rath,
Sie wirken fuͤr ein Volk, und leben einem Staat.
Das Volk der Bienen waͤhlt ſich eine Koͤniginn,
Ameiſen haͤlt zuſamm nur der gemeine Sinn.
Darum im Bienenſchloß auch wohnen faule Dronen,
Da im Ameiſenhaus allein Arbeiter wohnen.
Darum die Bien' ihr Neſt im Wipfel ſucht gefluͤgelt,
Und ſich Ameiſenbau vom Boden aufwerts huͤgelt.
Im weiten Weg der Luft geht Bienenſchwarm nicht irr,
Noch, Ameiſ', in der Kluft dein wimmelndes Gewirr.
Doch Bienen ſind gewohnt zu ruhn auf hoͤchſten Spitzen
Der Pflanzen, weil am Stamm hinauf Ameiſen ſitzen.
Die Biene weidet ſich an lichter Bluͤte Blitzen,
Die Ameiſ' an dem Harz, das zaͤhe Rinden ſchwitzen.
Zart weiß den Nektarkelch ein Bienenmund zu ſchlitzen,
Scharf ein Ameiſenzahn die ſproͤde Haut zu ritzen.
Die Biene wehret ſich mit ſcharfen Stachels Witzen,
Und die Ameiſe mit des gift'gen Saftes Spritzen.
Und aus der Biene Fleiß wird ſolch ein ſuͤßer Moſt,
Aus der Ameiſe Schweiß ſolch eine bittre Koſt.
Verſchiedentlich geſchoͤpft iſt aus demſelben Born
Honig kriſtalliſirt, geronnen Weihrauchkorn.
Und endlich kommen die verſchiednen auch zuſammen,
Wie Alles Lebende, in Goͤtteropferflammen;
Wo Bienennektar traͤuft aus goldnem Spendgeſchirre,
Und um die Glut gehaͤuft verdampft Ameiſen-Mirre.
Die Mirre ſchwimmt empor, der Nektar rinnt herab,
Alswie die Biene ſelbſt am Ende geht ins Grab,
Und wie die Ameiſ' auch vom Erdwall, den ſie huͤgelt,
Wann ſie zum Tod iſt reif, ſteigt in die Luft gefluͤgelt.
76.
Der kluge Jaͤger ſprach zu ſeinem treuen Hunde:
Du fange mir, was du erlaufen kannſt am Grunde.
Nur eines fang mir nicht, wenn du's auch koͤnnteſt fangen,
Den Falken, der an mir will auch mit Treue hangen.
Denn aus der Luft, in die du dich nicht auf kannſt ſchwingen,
Da dient der Falke mir den Fang herabzubringen.
Der kluge Jaͤger ſprach zum treuen Falken dann:
Hol aus den Luͤften mir, was du vermagſt, mein Mann.
Nur eines ſollſt du dort nicht holen, kuͤhner Steiger,
Den Reiger, deinen Feind; mein Freund iſt auch der Reiger.
Denn aus der Flut, in die du nicht hinab kannſt dringen,
Da dient der Reiger mir den Fang heraufzubringen.
Der kluge Jaͤger ſprach ſodann zum treuen Reiher:
Du hole was du kannſt mir aus dem vollen Weiher.
Nur eines huͤte dich zu holen, einen Fiſch,
Den goldnen, der nicht iſt beſtimmt fuͤr unſern Tiſch.
Er iſt beſtimmt, zum Grund des Meers hinab zu dringen,
Und eine Perle draus mir jeden Tag zu bringen.
Die Perlen reih' ich all' an eine feine Schnur,
Bis voll ein Halsband wird, und wenig fehlet nur.
Das Halsband dann bekommt, wer mein getreuſter Schalk
Wird von euch dreien ſeyn, Hund, Reiher oder Falk.
77.
Der Erde dankt man nicht den Schatz, den man gegraben,
Dem Reichen nicht, was wir ihm abgewonnen haben.
Man dankt auch nicht dem Meer die Perlenſaat am Strand,
Noch der Freigebigkeit die Gab' aus ihrer Hand.
Dort wird ſich mit der Muͤh und Schwierigkeit entſchuldigen
Der Undank, leichter hier ſelbſt mit der Huld des Huldigen.
Dort rechnet zum Verdienſt er ſichs, daß dirs nicht roſte;
Hier gilt ihm wenig, was er ſieht daß nichts dir koſte.
Drum rechne nie auf Dank, du magſt nun deine Gaben
Dem Meere gleich verſtreun, der Erde gleich vergraben.
Doch freue dich, zu ſehn, daß ſich der Finder freut,
Du habeſt aufgeſpart nun oder ausgeſtreut.
78.
Vernimm, der ewigen Natur vier Elemente,
Wie in dir ſelbſt ſie ſind als vier Temperamente.
Das erſte Element, die Luft, lind-ungelind,
Bald ſanfter Hauch in dir, bald ungeſtuͤmer Wind.
Das zweite Element, das Waſſer, iſt geboren
Bald fluͤſſiger Kriſtall in dir, bald Eis gefroren.
Das dritte Element, das Licht und Feuer heißt,
Iſt ebenſo in dir Licht- oder Feuergeiſt.
Das vierte Element, der andern Grund, die Erde,
Will daß ſie Schwerkraft bald in dir, bald Traͤgheit werde.
Wie die vier Element' in ſich zwiefaltig ſind,
So ſind ſie auch in dir zwieſpaltig, Menſchenkind.
Und wie der viere keins in der Natur vorhanden
Allein iſt, ohne daß die drei ſich ihm verbanden;
So deine innren Luͤft' und Fluten, Erd' und Flammen,
Sind Lebensmiſchung nur, wo alle ſind beiſammen.
Die Weſen aber, die Ein Element in freiſter
Bewegung haben, ſind elementariſche Geiſter.
Luftgeiſter wie die Luft ein Wallen nur und Weben,
Flutgeiſter wie die Flut ein Schwanken und ein Schweben.
Glutgeiſter wie die Glut ein Leuchten oder Spruͤhn,
Erdgeiſter wie die Erd' ein Starren oder Bluͤhn.
Doch du, o Menſch, biſt kein elementariſch Weſen,
Biſt, oder kannſt doch ſeyn, vom Sturm zur Ruh geneſen.
Du biſts, ſind erſt in dir die vier in rechter Miſchung,
Dann wechſelwirkend ſtets einander zur Erfriſchung.
Daß keines ohn' und durch das andre nehme Schaden,
Liegt halb, o Menſch, an dir, und halb an Gottes Gnaden.
Die große Haͤlfte iſt des Himmels, dein die kleine;
Er thut das Ganze, doch du thuſt dazu das deine.
Sei heiter wie die Luft, wie Feuer ohne Scheu,
Wie Waſſer ſtill und tief, wie Erde feſt und treu.
Wo Elemente ſo geeint ſind und geviert,
Solch ein Temperament iſt wirklich temperiert.
79.
Das weiße Licht iſt leicht, das dunkle Schwarz iſt ſchwer;
In Schwer' und Leichte wiegt ſich alles Weſenheer;
Wie zwiſchen Weiß und Schwarz ſchwankt alle Schaar der Farben,
Die ſo Geburt als Tod von beiden ſtets erwarben.
Das Licht iſt Leben nicht allein, auch Todeshauch,
Die Nacht nicht Tod allein, iſt Lebensmutter auch.
Der Vater iſt das Licht, der ſtets erzeugt die Farben,
Der Todesengel dann, von deſſen Kuß ſie ſtarben.
Die Mutter iſt die Nacht, die ſtets gebirt die Farben,
Und dann iſt ſie das Grab, in der ſie Ruh erwarben.
Was von der Mutter kam, kehrt in der Mutter Schoß,
Weil, was den Urſprung nahm vom Vater, zu ihm floß.
80.
Zweideutig iſt, o Menſch, vernimm auch dieſe Lehre,
Dein Weſen, wie der Sinn von Leichtigkeit und Schwere.
Denn wo das Schwere ſich macht gelten als das Wichtige,
Erſcheint das Leichte nur dagegen als das Nichtige.
Doch iſt das Leichte dann das Himmelſtrebende,
So iſt das Schwere das am Boden klebende.
Wo Schwerkraft fehlt, da iſts ein Leichtes aufwertsfliegen,
Doch ſchwer iſts ohne ſie im Gleichgewicht ſich wiegen.
Doch wo die Schnellkraft fehlt, der Schwung der Leidenſchaft,
Da iſt zum Guten nicht, noch auch zum Boͤſen Kraft.
Das Gute ſelber iſt ſchwer anfangs, leicht zuletzt,
Seit Goͤtter Schwierigkeit der Tugend vorgeſetzt.
Wer ſich das Leichte waͤhlt, erreicht es leicht villeicht,
Doch ſchwerlich neidet ihn, wer Schweres ſchwer erreicht.
Wol leichter fertig iſt nichts als Leichtfertigkeit,
Doch ſchwer iſt leichter Muth in Widerwaͤrtigkeit.
Dir gebe Gott, daß nie dein Leichtes werde fluͤchtig,
Und daß ein Schweres ſtets gehaltig ſei und tuͤchtig.
Wer weder ſcheinen will ſchwerfaͤllig noch leichtſinnig,
Der zeige ſich zugleich gefaͤllig und herzinnig.
81.
Wer alles Gute liebt, wo er's nur aufgetrieben,
Darf auch das Gute, das er an ſich ſelbſt fand, lieben;
Wie einem Kinderfreund, dem lieb die fremden ſind,
Erlaubt iſt, daß ihm lieb auch ſei ſein eignes Kind.
Doch wie ein Vater ſtreng das Kind zieht, das er liebt,
Und wie ſein gutes Korn ein Hauswirth fleißig ſiebt;
Nicht minder lieb iſt ihm das Kindlein, das er zuͤchtigt,
Nicht minder werth das Korn, wenn er die Spreu verfluͤchtigt:
So liebe Gutes nur an dir, um es zu beſſern,
Und laß den ſchlechten Wein den ſchlechten Schenkwirth waͤſſern.
82.
Stets loͤblich iſt es, ſich mit andern zu vergleichen,
Mag es zum Vortheil, mags zum Nachtheil dir gereichen.
Wo du den Vorzug haſt, nie tracht' ihn zu verlieren;
Und ſieh was dir noch fehlt, um dich damit zu zieren.
Doch wie du deinen haſt, hat ſeinen Vorzug jeder;
Mit eigner ſchmuͤcke dich, und nicht mit fremder Feder.
83.
Der Liebe Blick iſt gut, boͤs iſt der Blick des Neides,
Der Liebe Blick thut wohl, der Blick des Neids thut Leides.
Der Blick des Neides reißt das Haus des Nachbarn ein,
Der Blick der Liebe faͤllt hinein wie Sonnenſchein.
Der Blick des Neides zehrt wie Sommerglut die Bronnen,
Der Blick der Liebe ſchwellt das Herz wie Fruͤhlingswonnen.
Dem Blick der Liebe blickt entgegen Lieb' aus allen,
Des Neides Wohlthun iſt aufs eigne Herz gefallen.
Der Blick des Neides ſieht zu ſeiner eignen Pein
Nur alles fremde groß und alles eigne klein.
Der Blick der Liebe ſieht gern alle gut und reich;
Denn nur die Liebe macht dem Eignen Fremdes gleich.
84.
Verſammelt ſah ich juͤngſt in ſommerlicher Stille
Graspferdchen und Cicad', ein Heimchen und die Grille.
Mir ſchienen alle vier ſehr aͤhnlich, doch nicht gleich,
Und jedes ruͤhmte ſich der Luſt in ſeinem Reich.
Graspferdchen, daß es frei koͤnn' uͤber Graͤſer ſpringen,
Cicade, daß ſie hoch vom Baume koͤnne ſingen.
Das Heimchen, daß daheim es ſei am trauten Herde,
Und Grille, daß geheim ſie wohn' im Spalt der Erde.
Ich ſprach: O daß, wie die in Gras und Laubeskronen,
Im Haus und Feld, vergnuͤgt ſo Menſchen koͤnnten wohnen!
Dann dacht' ich, daß ſie ſind ſo friedlicher Geberde,
Macht, daß ſie einzeln ſind, nicht eine ganze Herde.
Graspferd, Cicade, Grill' und Heimchen, ohne Harm
Jedwedes, dichtgedraͤngt ſind ſie ein Heuſchreckſchwarm.
85.
Gott, der den Frieden gibt Friedfert'gen zum Geleit,
In jedem Sinne geb' er dir Harmloſigkeit.
Harmloſigkeit im Ohr hoͤrt uͤberall Muſik,
Und Schoͤnes uͤberall ſieht ein harmloſer Blick.
Harmloſigkeit im Mund macht niemals Herzen wund,
Und ein harmloſes Herz iſt ſelbſt im Weh geſund.
Der Mann iſt harmlos, der macht andern keinen Harm,
Und ſelber ſich nicht haͤrmt, er ſei reich oder arm.
86.
Dem Storch ward lang das Bein, um durch den Sumpf zu waten;
Die es zum Schwimmen braucht, der Gans iſts kurz gerathen.
Sie braucht das Ruder, um die Flaͤche zu durchgleiten,
Die Stelze nicht, um wo ſie ſchwimmen kann, zu ſchreiten.
Verſchiednes Werkzeug wohnt Verſchiednen dazu bei,
Daß manichfaches Spiel im einen Spielraum ſei.
87.
Weißt, wie der alte Pfau lehrt fliegen ſeine Jungen?
Wie er dem Vater auch ſich ſelbſt einſt nachgeſchwungen.
Am Tage ſchreitet er mit Luſt im gruͤnen Raum,
Am Abend waͤhlt er ſich zur Raſt den hoͤchſten Baum.
Und weil den Jungen kann ſo hoher Flug nicht gluͤcken,
So traͤgt er einzeln ſie hinauf auf ſeinem Ruͤcken.
Da ruhn ſie nun die Nacht, bis ſie der Morgen weckt,
Da fliegt der Alte weg, die Jungen ſehns erſchreckt.
Er wandelt unten froh im Gruͤnen hin und wieder;
Er trug ſie nur hinauf, und holt ſie nicht hernieder.
Er blicket nur hinauf, um ſie herab zu locken,
Da wagen ſie den Flug, und ſind vor Luſt erſchrocken,
Zu fuͤhlen, daß im Wind von ſelbſt die Federn wallen,
Und daß ſie halb ſchon ſind geflogen, halb gefallen.
88.
Die dumme Fabel ſagt, des Pfauen ſtolz Gefieder,
Sieht er auf ſeinen Fuß, ſink' ihm vor Scham danieder.
Wer aber hat das Rad des Pfauen je geſehn,
Und auf den Fuß gemerkt, worauf es mochte ſtehn?
Wenn die Bewundrung nun er ſieht ſein Rad betrachten
Und uͤberſehn den Fuß, ſollt' er ihn ſelbſt beachten?
Die Sonne, die mit Luſt vom Farbenbild betrogen,
Sich ſieht im Pfauenrad alswie im Regenbogen,
Merkt nicht, daß hier im Koth der ſchoͤne Vogel geht,
Wie dort auf Erdengrund der Himmelsbogen ſteht.
89.
Viel ſind der Tugenden, doch jede iſt die ganze,
Wenn aͤcht, ſo wie ein Bild vom Fruͤhling jede Pflanze.
Wo eine Blume bluͤht, da muß der Fruͤhling ſeyn,
Und wo der Fruͤhling iſt, da bluͤht bald groß und klein.
So gleich einander all und jede ſo verſchieden,
So wohnen Blumen-gleich die Tugenden in Frieden.
Sie wohnen in der Bruſt, wie Blumen auf der Flur,
Und eine Himmelsluſt iſt ſolch ein Anblick nur.
90.
Nicht unter Gleichen iſt die Freundſchaft, noch Ungleichen,
Nur zwiſchen Aehnlichen, die ſich Verſchiednes reichen.
Wer etwas geben ſoll, muß eine Fuͤll' an Gaben,
Und wer empfangen will, muß einen Mangel haben.
Und eines Mangel muß des andern Fuͤlle ſeyn,
Sonſt iſt es nicht ein Tauſch, nur einer Taͤuſchung Schein,
Wenn du nicht geben kannſt, was ich empfangen kann;
Das Waſſer nimmt kein Oel, und auch kein Feuer an.
Doch haſt du geiſt'ges Oel, und du haſt geiſt'ge Flammen,
So traget ins Gefaͤß der Freundſchaft ſie zuſammen.
Der Glutdocht wird im Oel, das Oel am Glutdocht brennen,
Und hell im Lampenſchein zwei Geiſter ſich erkennen.
91.
Ein Geiſt, der ſchoͤpferiſch den meinen angehaucht,
In deſſen Glanz ich mich mit Sehnſucht eingetaucht;
Ich habe doch von ihm nichts als die Form genommen,
Und aller Stoff iſt mir von andern hergekommen.
Die Welt iſt lauter Stoff; du nimmſt von denen eben
Den Stoff, nimmſt ſie als Stoff, die ſonſt nichts koͤnnen geben.
Und nur dem Geiſte ſelbſt, der dir das Hoͤchſte gab,
Das geiſtige Gepraͤg, nimmſt du nichts Ird'ſches ab.
So hat die Sonnenblum' ihr Himmelsbild in Augen,
Und laͤßt die Wurzel rings im Boden Nahrung ſaugen.
92.
Was ragen himmelan die kalten dort und ſtolzen
Bergrieſen, denen nie iſt Schnee und Eis geſchmolzen?
Die Sonn' im Aufgang ſcheint ſich uͤber ſie zu waͤlzen,
Doch kann ihr Lebenſtral den Todesfroſt nicht ſchmelzen.
Und nur wo tiefer dringt herab ins niedre Thal,
Weckt Erdenlebensluſt der Himmelslebenſtral.
Was iſts? waͤr' etwa kalt die Sonn' in ihrer Naͤhe,
Und ſchiene waͤrmer dem, der ſie vom weiten ſaͤhe?
Nein, ſondern ob der Welt ſo hoch iſt Sonnenmacht,
Daß keinen Unterſchied die Spanne hoͤher macht.
Die ſtolzen haben ſich der Erden uͤberhoben,
Und kamen naͤher nicht darum dem Himmel droben.
Die Himmelsſonne nun, zu der Beſcheidnen Troſt,
Gibt dieſen Lebenswaͤrm' und jenen Todesfroſt.
93.
Es geht ein ſchmaler Weg hin zwiſchen Strom und Klippe,
Ein Wandrer mittendurch geht mit verlechzter Lippe.
Den Durſt zu loͤſchen, koͤnnt' er hier am Strome nippen,
Und an den Beeren dort, die wachſen auf den Klippen.
Doch doppelte Gefahr droht her von Strom und Klippe,
Und lieber weiter geht er mit verlechzter Lippe.
Denn unten lauſcht im Schilf des Stroms ein Krokodill,
Und oben im Gebuͤſch der Klipp' ein Tieger ſtill.
Und wenn der Wandrer ſtill und ſchnell nicht geht die Bahn,
So faͤllt hier Krokodill und dort ihn Tieger an.
Er denkt: waͤr' ich der Hund, der gleiche Sorge fuͤhlt
Mit gleichem Durſt, und ihn am Strom im Laufen kuͤhlt.
Waͤr' ich das Voͤgelein, das auf der Klippe naſcht,
Ohn' Aengſte, daß nach ihm der große Wuͤrger haſcht.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 5
Waͤr ich der Gott des Orts! den Wanderern zum Segen
Fuͤhrt' ich das Krokodill dem Tieger ſelbſt entgegen;
Daß aneinander ſelbſt ſie ſtumpften ihren Zahn,
Und ſicher kuͤnftig gieng' ein Wandrer dieſe Bahn.
94.
Dem ſtaͤrkern Feind entgeht der ſchwache mit der Hilfe
Des ſchwachen, wie der Froſch dem Krokodill im Schilfe.
Wenn der Verſchlinger droht im Strom dem armen Froſche,
Nimmt der ein breites Schilf geſchwind in ſeine Goſche.
Das quere Schilfrohr geht nicht in den weiten Rachen,
Und ungefaͤrdet laͤßt das Ungethuͤm den ſchwachen.
Nun ſitzt der Quaker dort und klagt ſein Leid im Schilfe,
Daß man in ſolchem Strom hat noͤthig ſolche Hilfe.
Gelungen iſts, ich bin dem Schlinger nun entſprungen,
Doch ſo dem Schlingen nah iſt ſchlimmer als verſchlungen.
95.
So nebneinander gehn durchs Leben Menſchen hin
Daß keiner weiß noch fragt, wie ich geſinnt ihm bin.
Wol mancher iſt dein Feind, und will es nur nicht zeigen,
Wol mancher auch dein Freund, und will es nur verſchweigen.
Verſchweigen moͤchten ſie die Feindſchaft, die ſie hegen;
Doch auch die Freundlichkeit verſchweigt ihr mir weswegen?
96.
Ihr habt euch nun einmal verliebt ins Haͤßliche,
Und zur Bewunderung braucht ihr das Graͤßliche.
Ich aber will mit Gott das Schoͤne lieb behalten,
Und ſiegreich ſeinen Glanz auch noch der Welt entfalten.
5*
97.
Wie gegen Morgen, wann die Nacht die Macht verlor,
Allmaͤhlich duͤnner um die Sinne wird der Flor
Des Schlummers, der dir hat die Außenwelt verhaͤngt,
Daß ſie nun ein zu dir ſich durch die Ritzen draͤngt;
Und heller hinterm Flor ſchon das Bewußtſeyn daͤmmert
Von dem was gegen Ohr und Auge dumpf dir haͤmmert;
Des Wachens Bildertanz dem Traumgeſtaltenchor
Sich miſcht, bis dieſer ganz in jenem ſich verlor:
So gegen's Ende, wann die Macht verliert das Leben,
Und ſich der Schleier will von einem Jenſeits heben,
Tritt in dies Traumgewirr, das ſchon verworrner kreiſt,
Von hoͤhrem Wachen auch ein halbverhuͤllter Geiſt;
Daß mit dem Seelenaug' und mit dem Herzensohr
Du ſieheſt, hoͤrſt, was du nicht hoͤrteſt, ſahſt zuvor.
Dann uͤberhoͤre nicht die leiſen Ahnungen,
Von reinerm Ton und Licht die fernen Mahnungen;
Von einem Licht, das ſich mit dieſem nicht vertraͤgt,
Von einem Hauch, wodurch ſich dieſer Rauch zerſchlaͤgt;
Von Morgenluft, die macht den Duft der Nacht zerrinnen,
Vom Gruß, daß nun Verdruß muß und Genuß vonhinnen.
Dann traͤum noch aus geſchwind den Traum, der dich ergetzt,
Froh, daß er ſo gelind ſich um ins Wachen ſetzt.
98.
Blick her, o Welt, was ſoll von dir die Nachwelt denken,
Wenn deine Maler ihr von dir dies Zerrbild ſchenken?
In jedem Zuge Streit und Unzufriedenheit,
Krampf, Spannung, Unnatur und Uebertriebenheit!
Und willſt du Beifall wol dafuͤr den Pfuſchern ſchenken,
Die die Geberden dir verzerren und verrenken?
Dir ſelbſt gefallen gar in den entſtellten Mienen,
Und werden gleich dem Bild, in dem du dir erſchienen?
Blick her, o Welt, ich will ein ſchoͤnres Bild dir zeigen,
Und biſt du ſelbſt es nicht, ſo mach' es dir zu eigen.
Sieh, daß du heiter ſeyn, daß du auch laͤcheln kannſt!
Und habe lieb das Bild, bis du dich lieb gewannſt.
Wir wollen dieſes Bild von dir der Nachwelt ſchenken,
Und in Vergeſſenheit die Schreckzerrbilder ſenken.
Wir wollen dieſes Bild von dir der Nachwelt ſchenken,
Daß ohne Schaudern ſie moͤg' ihrer Ahnfrau denken.
99.
Was wirklich ſatt dich macht, das wirſt du niemals ſatt,
Wie Brot, das immer Reiz fuͤr neuen Hunger hat.
Dagegen die Gewuͤrz' und alle leckern Sachen,
Die wirſt du ſatt ſo bald, weil ſie nie ſatt dich machen.
100.
Jemehr du aus ihm nimmſt, je groͤßer wird der Graben;
Freigebigkeit, das iſt ein Bild von deinen Gaben.
Dem edlen Sinn iſt kein geringes Bild zu klein,
Er macht es ſich zurecht, und legt ſich ſelbſt hinein.
Sei du der Schoͤpfbrunn, der gern allen Nachbarn borgt,
Und vor Erſchoͤpfung iſt am wenigſten beſorgt.
Er hat ſtets friſche Fuͤll', erhaͤlt man ihn im Zug;
Wo nicht, ſo uͤberzieht ihn Schimmel bald genug.
Sei du das Licht im Haus, vom Scheffel unverdeckt,
Das glaͤnzt, wenn an ihm wird ein andres angeſteckt.
Es geht davon nicht aus, und ſeinen Widerſchein
Sieht es im Nachbarhaus, kein Stern glaͤnzt gern allein.
Wir alle ſind nur Stern' in einer Erdennacht,
Gehn aus wie Lampen gern, wann unſer Tag erwacht.
101.
Der Angler ſitzt am Strom und angelt ohne Zahl
Was er erangeln kann von Fiſchen breit und ſchmal.
Er angelt ſie heraus und zittert nicht einmal,
Wenn er ſie zappeln ſieht am Land im Sonnenſtral.
Da zittert in der Hand die Ruth' ihm doch einmal,
Weil angebiſſen hat am Fang ein Zitteraal.
Er ruft: du willſt umſonſt das Handwerk mir verbittern,
O Zitterer, du mußt heraus trotz allem Zittern.
Das Sprichwort ſagt: Es hilft kein Zittern vor dem Froſt,
Und dir, o Zittrer, hilft kein Zittern vor dem Roſt.
102.
In Luͤften ſchwebt die Lerch' und uͤber ihr der Aar,
Nicht ahnt die Saͤngerinn die ſchweigende Gefahr.
Nicht ihr droht die Gefahr, der fruͤhwach aufgeſchwungnen,
Sie droht den unten tief vom Schlummer noch umſchlungnen,
Den jetzt vom Lerchenſchall erſt aufgeſungenen,
Dann von der Adlerkrall' im Nu bezwungenen.
103.
Entraffe dich dem Schlaf, er wirket nichts als Traͤume,
Du biſt berufen wach zu wirken durch die Raͤume.
Der große Koͤnig, der den Orient bezwungen,
Hielt ſchlummernd mit der Hand die Kugel ſtets umſchlungen.
Die Erde ſelbſt, um die das Kriegſpiel er geſpielt,
Stellt jene Kugel vor, die in der Hand er hielt.
Und drunten unter Hand und Kugel ſtand ein Becken,
Das, wenn die Kugel fiel, mit Klang ihn mußte wecken.
Sie faͤllt, der Erzklang weckt, der Koͤnig wacht und ſieht
Erſchrocken, wie im Traum die Welt der Hand entflieht.
104.
Zween Bruͤder waren einſt, der groß und jener klein,
Der eine war zu grob, der andre war zu fein.
Und zwiſchen beiden ſtand ein dritter in der Mitte,
Der wie ein Fremdling war zu ſehn an Wuchs und Sitte.
Ein Wagenmacher hieß all dieſer dreie Vater,
Sie alle ſeine Kunſt zu lehren alles that er.
Und mit des Himmels Gunſt, da keine Muͤh er ſpart,
Lernen ſie all die Kunſt, jeder nach ſeiner Art.
Der große grobe macht den Wagen groß und grob;
Wenn er nur tuͤchtig iſt, verdient er auch ſein Lob.
Der Wagen iſt nicht ſchoͤn, doch derb und feſt, ihn ſoll
Zugochſenvorſpann ziehn der ſchwerſten Garben voll.
Der kleine feine macht den Wagen klein und fein,
Zur Arbeit taugt er nicht, zum Spielwerk nur allein.
Die Arbeit iſt ſo fein, daß ſie nicht ganz erſchien
Dem bloßen Aug', ihn ſoll ein Joch von Muͤcken ziehn.
Schon fertig ſind die zwei, noch iſt zuruͤck der dritte,
Er ſteht in ihrer Mitt' und hielte gern die Mitte.
Das Beſte von den zwein nimmt er zuſammen bloß,
Er macht den Wagen fein und macht den Wagen groß.
Vollendet iſt die Kunſt, und auf dem Wagen ſann
Er ſtehend, was davor ſich zieme zum Geſpann.
Da kamen aus der Luft herunter Fluͤgelpferde,
Und ziehn den Wagen an zum Himmel von der Erde.
105.
Der Bauer hat ein Hun und eine Kuh dazu;
Die Schuldigkeit will thun doch weder Hun noch Kuh.
Er hofft, ihm ſoll ein Ei vom Hun ein Mahl bereiten,
Und von der Kuh dabei die Milch den Trunk beſtreiten.
Er hofft, es ſoll ein Ei ein Kuͤchlein auch gebaͤren,
Und daß die Kuh ihm ſei bereit ein Kalb zu naͤhren.
Es freſſen ihm die zwei umſonſt nur Korn und Kraͤuter;
Das Hun frißt ſelbſt ſein Ei, die Kuh trinkt ſelbſt ihr Euter.
O ſchlimme Eigenſchaft, ſich ſelbſt nur zu beachten,
Weder Nachkommenſchaft noch Haushalt zu betrachten!
Was kann im Haus der Bund von Hun und Kuh dir taugen,
Die ihre Eier und ihr Euter ſelbſt ausſaugen?
Drum ſollſt du in das Haus ſo Kuh als Henne ſchlachten,
Und neue kaufen aus dem Geld, das ſie dir brachten.
106.
Oft geh' ich durch die Flur, mein Auge ſtill zu weiden,
Alswie ein Hirt ſein Lamm auf uͤberbluͤmten Heiden.
Dann frag' ich mich, was ich die Blumen ſonſt gefragt,
Und ſage mir, was ſonſt die Blumen mir geſagt.
Von der ich einen Gruß empfangen hab' im Winde,
Ihr Blumen ſaget mir, wo ich die Liebe finde.
Geh ſuche nur! ſie iſt wie Kindes Feſtbeſcherung
Von Mutter auf der Flur verſteckt in Blumumwehrung.
Neugierig ſchaut' ich da in alle Blumenwiegen,
Und glaubte ſie wie Thau in jedem Kelche liegen.
Und da wo ich ſie fand, da ſtellten ſich im Kreiſe
Die Blumenchoͤre auf, mit mir zu beten leiſe.
Die Blumen frag' ich nun: wo iſt ſie hingekommen?
Und leiſe ſagen ſie: den Strom hinabgeſchwommen.
So ſchwimme nur den Strom auch du, o Thraͤn', hinab,
Und wo du treibſt ans Land, dort iſt der Liebe Grab.
Dort melde mich der Lieb' und ſage: Bald wird kommen
Die muͤde Sehnſucht auch, und ſei hier aufgenommen.
Und wo die Sehnſucht ruht, da ſtellet euch im Kreiſe,
Ihr Blumenchoͤre, auf, und betet ob ihr leiſe.
107.
Du ſagſt, dir ſei zu weit die dreißigſtuͤnd'ge Reiſe,
Und dreheſt jeden Tag dich ſtundenlang im Kreiſe.
Die Stunde dehneſt du, alswie ein muͤß'ger Reiter,
Vom Haus zuruͤck zum Haus, und ruͤckſt dabei nicht weiter.
Setz' einen Monat lang zuſammen nur die Stunden
In grader Linie zum Ziel, ſo iſts gefunden.
Mit ſolchem Kunſtſtuͤck kommt die Schnecke ſelbſt zum Zwecke,
Und ohne ſolches auch das Rennthier nicht vom Flecke.
108.
Die Leier immer haͤngt geſtimmt in meiner Klauſe,
Und wartet, welch ein Sturm durch ihre Saiten brauſe.
Bald iſts des Himmels Sturm, der die Akkorde greift,
Und bald des Dichters Geiſt, der ſie im Fluge ſtreift.
Wenn du, o Sturm der Nacht, aufſpieleſt, hoͤr' ich zu;
Und biſt du muͤd', und ich will ſpielen, hoͤre du!
Geheimniſſe der Nacht haſt du mir vorgeſungen,
Nun hoͤr' ein Lied aus Menſchenbuſensdaͤmmerungen.
109.
Wer mit geſchickter Hand die heilge Schrift abſchreibt,
Kein Zweifel iſt daß er ein fromm Geſchaͤft betreibt.
Denn an der Abſchrift kann ein Frommer ſich erbaun,
Sich freuen Gottes Wort ſo klar vor ſich zu ſchaun.
Doch wenn der Schreiber ſelbſt nichts weiter thut wan ſchreiben,
So wird, was andern frommt, ihm ſelbſt unfruchtbar bleiben.
Und alſo, wenn du machſt dein eignes Seyn und Leben
Zu einem ſchoͤnen Buch, um es der Welt zu geben;
Wenn es auch alle Welt mit Luſt und Andacht ſchaut,
Was nuͤtzt es dir, wenn es dich ſelber nicht erbaut?
XIII.
1.
Der heilige Kebir ſah eine Muͤhle drehn,
Und weinte, daß kein Korn da ganz hindurch kann gehn.
Er weint' ums Koͤrnlein nicht, er weint' ums Weltgeſchick,
Das tauſend Leben ſo malmt jeden Augenblick.
2.
Die Leiter unterm Baum liegt umgeſtuͤrzt im Graben,
An der heut auf und ab geklettert unſre Knaben,
Der Jakobsleiter gleich, auf welcher Engel ſtiegen,
Von der, ich weiß nicht wo, bewahrt die Sproſſen liegen.
Die Engel ſtiegen dort herab vom Himmelsraum,
Die Bengel ſtiegen hier hinauf zum Apfelbaum;
Hier ſchoͤne Wirklichkeit, und dort ein ſchoͤner Traum.
3.
O Muͤcke, die du lebſt und ſtirbſt im Sonnenſtral,
Heb hoͤher deinen Tanz! die Sonne ſchwand vom Thal.
Sie ſcheint noch in der Hoͤh; hinauf! ihr Licht zu trinken,
Dann in dein naͤcht'ges Grab, bethautes Gras, zu ſinken.
4.
Zufrieden mit mir ſelbſt, mit Gott und mit der Welt,
Hab' ich das Gute nur zu thun, das mir gefaͤllt.
Nicht als ſei Gutes mir durchaus zu thun beſchieden;
Doch wollt' ichs gern nicht thun, wie waͤr' ich denn zufrieden?
5.
Der Ehre kannſt du wol von andern leicht entbehren,
Wenn du dich ſelber nur zu halten weißt in Ehren.
Doch will dir Unverſtand verſagen die Gebuͤhren,
Laß ihn nicht deinethalb, laß es ihn ſeinthalb ſpuͤren.
Denn jedem Manne ziemt vorm andern, und dem Knaben
Ziemt zwiefach Achtung wol vor einem Mann zu haben.
Die Lehre ſollſt du ihm, weil ſie iſt heilſam, geben;
Gib ſie ihm ſo alsob es dich nicht angieng' eben.
6.
Das Waſſer traͤgt den Mann, wenn er zu ſchwimmen weiß;
So naͤhrt das Land ihn, wenn er brauchet ſeinen Fleiß.
Wer Bein' und Arme nicht lernt in die rechte Lage
Zu bringen, hoffe nicht daß ihn das Waſſer trage.
Und alſo wer geſchickt nicht reget Fuß und Hand,
Schreib' es ſich ſelber zu, wenn ihn nicht traͤgt das Land.
Gleichſchwer von Leib ſind zwei, der eine regt die Glieder
Und ſchwimmt, der andre ſinkt wie ein Bleiklumpen nieder.
So ſind auch zwei gleichſtark, der eine braucht die Kraft
Und lebt, der andere lebt auch, doch kummerhaft.
7.
Wenn etwas ſcheinet mehr als einen Grund zu haben,
So denke nur, du haſt noch recht nicht nachgegraben.
Wenn du recht auf den Grund nachgrubeſt, wird dir kund:
Nicht viele Gruͤnde ſinds, es iſt ein einz'ger Grund.
8.
Dich lehrt ein Sprichwort: Nie trink aus zerſprungnem Glaſe!
Dein junges Leben welkt ſonſt hin gleich muͤrbem Graſe.
Ich aber lehre dich: Nicht deinen Leib zerruͤtten
Wird das zerruͤttete, doch deine Luſt verſchuͤtten.
Denn wenn beim frohen Feſt du willſt mit ihm anklingen,
So wird es klappen und dir in der Hand zerſpringen.
So gieß auch dein Vertraun, dein Lieben rein und jung,
Nie in ein ſchadhaft Herz, das Riß hat oder Sprung.
Du hoffſt es werde rein mit dir zuſammenklingen,
Da wirds den Herzenswein verſchuͤtten und zerſpringen.
9.
Die Menſchen muͤſſen dir von Zeit zu Zeit es ſagen,
Daß was fuͤr ſie du thuſt, moͤg' ihren Beifall tragen.
Und ſagen ſie es nicht, ſo muß in deiner Bruſt
Die Stimm' es ſagen, daß du nicht Unnuͤtzes thuſt.
Ohn' einen Zuruf ſo von außen oder innen,
Bleibt ohne Luſt, und ohn' Erfolg auch, dein Beginnen.
10.
Wenn dich am fruͤhen Tag ein frommer Vorſatz hebet,
Dein froher Herzenſchlag dem dankt durch den er lebet;
Als kuͤhler Sommerhut wird dies Gefuͤhl dir ſchatten,
Und an des Mittags Glut nicht deine Seel' ermatten.
Dann wenn du dir zur Nacht das Zeugnis geben kannſt,
Daß etwas du vollbracht, dir etwas angewannſt;
So wird bei Nacht ein Traum der Seele Kraft dir ſtaͤrken,
Daß morgens ſie im Raum erwacht zu neuen Werken.
11.
Wenn du die Pflanze wirſt mit kuͤhler Flut beſprengen;
Die Tropfen dunſten weg, die an den Blaͤttern haͤngen.
Nur was zu Fuße fließt und bis zur Wurzel nieder,
Durchdringt als Lebensſaft von dort der Pflanze Glieder.
So was von außen ſich mit Luſt an dich mag draͤngen,
Die Reize ſchwinden weg, die an den Sinnen haͤngen.
Nur was zur Wurzel dringt und bis zum Herzen nieder,
Erfriſcht als Nahrungsſaft von dort des Lebens Glieder.
12.
Der Kieß der Reue wird ein Edelſtein genannt,
Der ſchoͤnres Namens dir iſt als Smaragd bekannt.
Ich ſage dir, warum er heiße Kieß der Reue;
Daß ſich an ird'ſchem Glanz kein Herz vollkommen freue!
Als Alexander zog der Held ohn' Hindernis
Von Weſt zu Oſt, und kam ins Land der Finſternis,
Wo er des Lebens Brunn geſucht, den er nicht fand,
Drang er mit ſeinem Heer tief in die Felſenwand.
Da hoͤrten ſie von fern den Brunn des Lebens rauſchen;
Doch wo er fließ' und wie, das war nicht zu erlauſchen.
Vor ihren Augen ſchwebt' ein falſcher Waſſerſchein,
Der fuͤhrt' itzt durſtig ſie heraus, wie erſt hinein.
Da ſahen ſie den Grund mit gruͤnem Kieß beſtreut;
Die davon nahmen, und die nicht, hats gleich gereut.
Smaragde waren es, da ſie ans Licht gekommen,
Und alle reut' es, die davon nichts mitgenommen.
Mehr aber reut' es die was mitgenommen hatten,
Weil ſie das beſte doch gelaſſen in den Schatten.
Denn wer die Gnuͤge nicht geſchoͤpft im Lebensbronnen,
Der findet, o mein Sohn, nur Reue ſelbſt in Wonnen.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 6
13.
Des Silbers reiner Glanz laͤßt Flecken am Gewand,
Das es beſtreift, und Schmutz an der beruͤhrten Hand.
Nicht das gemeine nur, das Geld, das im Gedraͤnge
Der Maͤrkte kreiſt, es thut's auch edles Kunſtgeſpaͤnge.
Ein Zeichen ſei es dir, daß du nie kannſt benutzen
Weltguͤter, ohne dich mit ihnen zu beſchmutzen.
14.
Wie fern der Wirklichkeit, wie fern der Ahnung liegt
Der Unſchuld Friedenswelt, wonach die Sehnſucht fliegt!
Wo mit dem Aeußern nicht im Streit das Innre war,
Dem Geiſte klar die Welt, und er ſich ſelber klar.
Wo rein im Wunſchgenuß war Wunſchbefriedigung,
Von Erdenſchwere nicht behindert Himmelſchwung.
Wir wuͤnſchen, Kindern gleich, nun Feſt um Feſt heran;
Und wie es iſt erreicht, ſo iſt es abgethan.
In naͤchſter Zukunft ſcheint das goldne Gluͤck zu liegen,
Und wird ſie Gegenwart, ſo ſehn wirs weiter fliegen.
Dein ganzes Leben iſt verfallen dem Geſchick,
Gewinnen mußt du's neu in jedem Augenblick.
Aus jedem Plaͤtzchen laͤßt ein Paradies ſich machen,
Und neugeſchaffen fuͤhlt ſich taͤglich dein Erwachen.
Und neugeboren ſchlaͤft die Welt in jedem Kinde,
Ihr Alter fuͤhlt ſich jung in jedem Fruͤhlingswinde.
Das Alles iſt ein Hauch, ein Schatten und ein Traum,
Doch kann das Ewige nicht anders ſtehn im Raum.
15.
Nicht Pyramiden, die Jahrtauſenden getrotzt,
Daran die Gegenwart wie Moos am Stamm ſchmarotzt;
Von Elefante nicht die Wunder noch Ellore,
Und nicht am Kaukaſus Alanen-Hunnenthore;
Noch eine Mauer, die ein Weltreich weit umzirkte,
Spricht ſo vom Rieſengeiſt, womit die Urzeit wirkte,
6*
Alswie die Sprache, die auf einmal ſie erſann,
Der nicht ein neues Wort der Geiſt zuſetzen kann:
Der Thurm von Babel, den zum Himmel ſie gebaut,
Von deſſen Zinnen ſie vernahmen Goͤtterlaut.
Der Thurm iſt umgeſtuͤrzt, der Himmel unerſtiegen,
Davon die Sprachen nun als Truͤmmerhaufen liegen,
Wovon mit einem je ſich je ein Volk begnuͤgt,
Und ſeinen Geiſtesbau daraus nothduͤrftig fuͤgt.
Der umgebaute Schutt, verwitternd Jahr um Jahr,
Zeugt im Verfall noch klar, wie ſtark der Urbau war.
Nun ſucht die Wiſſenſchaft mit kuͤnſtlicher Verkuͤttung
Der Reſte muͤhſam herzuſtellen die Zerruͤttung.
Doch nur die Kunſt beſiegt die Stoffverkuͤmmerung,
Die Uranfaͤnglichs ſchafft auch aus Zertruͤmmerung.
16.
Wenn du die Menſchen ſiehſt, mein Sohn, an einem Platze
Verſammelt, und ſich freun wie an gefundnem Schatze;
So frage nicht: worin mag dieſer Schatz beſtehn?
Sie freuen ſich, daß ſie einander freun ſich ſehn.
So magſt du immer auch dich freun, daß ſie ſich freuen;
Und laß dich das geſehn zu haben nicht gereuen.
17.
Du kannſt aufs Feld nicht gehn, ohn' irgend eine Blume
Zu finden, welche ſagt von ihres Schoͤpfers Ruhme.
Nicht in Geſellſchaft kannſt du gehn, ohn' ein Geſicht
Zu ſehn, das deinem Bild vom Menſchen widerſpricht.
Drum unter Blumen bleib, und lerne Menſchen meiden!
Die Menſchen koͤnnten dir die Blumen ſelbſt verleiden.
Doch lieben lerneſt du, wo du bei Blumen biſt,
Den Menſchen ſelber, der unliebenswurdig iſt.
18.
Der Sturm der Menſchenwelt bewegt dich wenig nur,
Vielmehr verſtoͤrt dich noch das Schwanken der Natur.
Als kuͤmmerte dich gar vom Menſchen nicht das Beſte,
Wenn nur der Schoͤpfung Gang dir bliebe ſtaͤt und feſte.
Doch wie du ſtill dich kannſt bei Schickſalswechſel faſſen,
So mußt du endlich auch die Wetterlaunen laſſen;
Und merken, daß am Band der Ordnung eine Hand
Haͤlt Menſchenwankelmut und Wetterunbeſtand.
Und wie zur Weltgeſchicht' Unheil und Voͤlkerplage,
So zum Kalender auch gehoͤren ſchlechte Tage.
Drum wirke, dichte nur am angefangnen weiter,
Wenn truͤb der Himmel iſt, bis er wird wieder heiter.
Der Froſch allein verſtummt bei kuͤhler Nacht im Sumpf;
Die Nachtigall ſingt fort, wenn auch ein wenig dumpf.
19.
Soviel iſt auf der Welt, was Herzen trennt und einet,
Daß kein Verband und kein Zerſpalt unmoͤglich ſcheinet.
Das unzertrennlich ſchien und unveruneinbar,
Nun unvereinbar ſcheint ſich das getrennte Paar.
Und wieder wenn es ſich verbunden wird erkennen,
Iſts unbegreiflich ihm, wie es ſich konnte trennen.
Was Wunder, wenn ſich hier ſo viel bald ſtoͤßt bald zieht,
Wo Tod und Leben ſelbſt ſich ewig ſucht und flieht!
20.
Viel lieber iſt das Dach der Huͤtte, das bemoſte,
Und dran das Gaͤrtchen mir, das kleine doch beroſte,
Als ein Palaſt, von Gold und Siber eingelegt,
Und Machtbeſitz, von Furcht und Sorgen eingehegt.
21.
In jedem Augenblick, wo ich von meiner Seite
Ließ gehn ein liebes Kind in ſeines Gluͤcks Geleite,
Bis zu dem Augenblick, wo ich es wieder finde;
Wie mancher Unfall gieng voruͤber meinem Kinde!
Wie vielmal mir zuruͤck geſchenkt hab' ichs erhalten
Von thaͤtig ihm zum Schutz geweſenen Gewalten!
Nur vielfach ließen ſie das Schutzgeld auch in Qualen
Mich mit vergeblichen Beſorgniſſen bezahlen.
22.
Den Schmelz der Wieſen traͤnkt das Waſſerrad nicht nur,
Es iſt auch, fern geſehn, ein reger Schmuck der Flur.
Doch wenn du naͤher koͤmmſt, hoͤrſt du es traurig ſtoͤhnen:
So ſchwer iſt Nuͤtzliches vereinigen dem Schoͤnen.
23.
Weil das Vergnuͤgen, das man bannen will, entweicht,
Und oft die Luſtpartie dir keinen Luſtpart reicht;
So geh nur dran, wie an ein andres Tagsgeſchaͤfte,
An das du eben heut willſt ſetzen Zeit und Kraͤfte.
Und war's nun ein Geſchaͤft, ſo haſt du's abgethan;
Und war die Luſt dabei, ſo ſchreib zu Dank ſie an.
24.
Von Lebern aller Art moͤcht' ich Jahraus Jahrein
Am allerwenigſten ein Wirthshausleber ſeyn;
Und noch viel weniger nur eins: ein Wirthshauswirth,
Der ſchlechter ſelbſt mir ſcheint als fremder Herden Hirt.
Er hat das ganze Jahr der Gaͤſte Bauch zu weiden,
Die herzlos fuͤr ihr Geld fordern, und danklos ſcheiden.
25.
Ich wollte, waͤr' ich reich, viel lieber als den Streit
Um nichts wan nicht'ges Gut zu hoͤren weit und breit,
Mein eignes geben hin und ſagen: Nehmt und theilt!
Doch wuͤrde ſo der Streit gemehrt nur, nicht geheilt.
26.
Wie dir auf naͤcht'ger Fahrt die naͤchſte Reih der Baͤume
Am Weg voruͤber eilt, als waͤren's deine Traͤume,
Dahinter langſamer dahin die Bergflur ſchreitet,
Und hinter ihr der Mond nur deinen Lauf begleitet;
So fliehn am ſchnellſten auch auf deines Lebens Fahrt
Dir die Erſcheinungen vorbei der Gegenwart,
Langſam die groͤßeren Geſtalten ferner Zeiten,
Und nur die Ewigkeit bleibt ewig dir zur Seiten.
27.
Nicht hemme du im Gang die ſinnlichen Genuͤſſe,
Die Leibeshaushalt braucht als Zufluͤſſ' und Abfluͤſſe.
Der Schaffner ſchaffe nur im Kreis, der ihm gehoͤrt,
Damit die Herrin herrſch' im Innern ungeſtoͤrt.
28.
Alswie ein Thor, der wohnt im Haus mit einem Weiſen,
Der Weisheit Einfluß fuͤhlt in ſeiner Thorheit Kreiſen,
Und ſich vorm Nachbar ſchaͤmt, was dem misfaͤllt, zu thun;
So wohnt auch ja dein Leib ſo nah dem Geiſte nun.
Der Thor wird zwar ein Thor vorm Weiſen immer bleiben,
Doch ihm zum Aergernis ſein Thorenſpiel nicht treiben.
29.
Wer noch im Schlafe liegt, ſei daraus aufgeweckt,
Und liegt er feſt darin, ſo ſei er aufgeſchreckt.
Wer aber ſchon erwacht, doch noch nicht aufgebrochen
Zur Reiſe, ſei dazu geſpornt und angeſtochen.
Wer vom Verlangen ſchon geſpornt iſt, doch den Weg
Dahin nicht kennt, dem ſei gezeiget Weg und Steg.
Wer aber kennt den Weg, und ihn nicht gehen mag,
Der hat auf immer nun verſaͤumt den Reiſetag;
Und wieder leg' er ſich zum Schlaf hin, wie er lag!
30.
Gewoͤhnen will dich, was du ſieheſt hier vom Schoͤnen,
Gewoͤhnen, was du hoͤrſt vom Schoͤnen hier in Toͤnen,
Gewoͤhnen deinen Sinn, ſtets hoͤher ſich zu lenken,
Das hoͤchſte Schoͤne ſelbſt zu fuͤhlen und zu denken,
Das, ungeſehn dem Aug', und ungehoͤrt den Ohren,
Iſt fuͤr den Weiſen da, und nicht da fuͤr den Thoren.
31.
Welch eine Kunſt du lernſt, ſolang du lernend biſt,
Wird halbgelungnes ſelbſt dich freuen lange Friſt.
Jemehr dann Meiſterſchaft ſich wird dem Werk verbinden,
Je kuͤrzer wird die Luſt daran zuſammenſchwinden.
Was erſt auf Wochen hielt, haͤlt bald nur noch auf Tage,
Bald, was auf Tage, kaum noch Stunden in der Wage.
Am Ende fuͤhleſt du ein Gluͤck das ſo entſpringt,
Nur noch im Augenblick, wo dir das Werk gelingt.
Dann bleibt kein andrer Rath, als Arbeit fruͤh und ſpat,
Weil nur das Thun dich freut, nicht die gethane That.
Darum nicht klage du, und ſchaff nur immer zu!
Die Schoͤpfung ſelber ſchafft deswegen ſpat und fruh.
32.
Die Seele traͤgt ein Maß des Schoͤnen ſelbſt in ſich,
Daher dem Menſchen ſtets auch ſeine Liebe glich.
Dein ſchwarzer Bruder denkt ſich ſchwaͤrzlich ſeine Schoͤne,
Der Zwerg als Zwergin, und als Rieſin Rieſenſoͤhne.
Und der vollkommne Menſch ſetzt in den Aufenthalt
Des hoͤchſten Himmels ſelbſt die menſchliche Geſtalt.
Es will der Menſchengeiſt in andern Gotteswelten
Kein anderes Vernunftgeſchoͤpfe laſſen gelten.
Er will der Mittelpunkt der Schoͤpfungskreiſe ſeyn,
Des Schoͤpfers Ebenbild und Schoͤpfungszweck allein.
Doch andre Weſen ſind noch denkbar außer dir,
In ihren Kreiſen das, was du in deinem hier.
Du haſt fuͤr ſie kein Maß, ſie keins villeicht fuͤr dich,
Und halten, ſo wie du dich haͤltſt, fuͤr einzig ſich.
Doch wenn ſie hoͤher ſtehn als du und heller ſehn,
Begreifen ſie wol dich, die du nicht kannſt verſtehn.
Jemehr du aber dich enthebſt den engen Schranken,
Erweiterſt du die Welt mit liebenden Gedanken.
Du freueſt dich, daß auch in andern Sfaͤren walten
Vernunftweltordnungen und Glaubensheilanſtalten.
In jedem Himmelskreis, in allen Erdenkreiſen,
Laß nur auf ihre Weiſ' ihr Hoͤchſtes alle preiſen.
Den eignen Glauben ſollſt du dir nicht laſſen rauben,
Allein auch rauben ſollſt du keinem ſeinen Glauben.
Und eiferig bekaͤmpf' an dir und andern kuͤnftig
Nur was unmenſchlich iſt, unſchoͤn und unvernuͤnftig.
33.
Die Seele, die herab iſt in den Leib geſtiegen,
Hat halb, dem Vogel gleich im Baur, verlernt das Fliegen;
Nahm Schwere an und gab dem Leib des Schwunges Kraft,
Daß ſie halb leibhaft ward, der Leib halb ſeelenhaft.
Sie hat ein dunkles Haus mit ihrem Licht erhellt,
Deswegen aber ſelbſt ins Dunkle ſich geſtellt.
Sie hat dem todten Leib ſein Leben eingegeben,
Aufgebend ſelbſt um Tod ein Theil von ihrem Leben.
Die Liebe wars, die ſie zu ihm herniederzog,
Mit ihm in Staub zu gehn, die ohn' ihn droben flog.
Sowie dem Glauben auch herab ſich hat gelaſſen
Die Gottheit menſchlich, daß ſie Menſchenherzen faſſen.
Und wie ein Weiſer aus der Weisheit hellen Sfaͤren
Herabſteigt, um die Nacht der Bloͤdheit aufzuklaͤren.
Er will ſich eines Theils der Weisheit gern begeben,
Um die Unwiſſenheit zum Wiſſen zu erheben.
In jeder Lebensſfaͤr', in jedem Wirkungskreiſe,
Laͤßt ſich der hoͤhre Geiſt herab auf ſolche Weiſe.
Mit Demut, Dienſtbarkeit, Lieb' und Aufopferung,
Sucht er das Niedre ſtets, und gibt ihm hoͤhern Schwung.
Mit Tugend, Kraft und That, mit Anmut, Scherz und Witz,
Wie Sonnenſchein und Thau, wie Regenſturm und Blitz;
So manichfaltig ſteigt der Himmel ſtets zur Erde,
Damit das Irdiſche des Himmels theilhaft werde;
Damit das Leben ſo ſich mit dem Tod verſoͤhne,
Und aus dem Staub erbluͤh die Luft der Welt, das Schoͤne.
34.
Die Seelen waren in der Weltſeel' einſt beiſammen,
Wie Tropfen in dem Meer, alswie im Feuer Flammen.
Den Weltleib halfen ſie beſeelen und beleben,
Von ihnen keiner war ein eigner Leib gegeben.
Sie aber wuͤnſchten nun ein eigenes Gebiet,
Darin zu herrſchen, wie der eigne Trieb es rieth.
Und abgegrenzet ward ein Weichbild ſo fuͤr jede,
Daß zwiſchen ihnen nicht Verwirrung werd' und Fehde.
Nun wirkt geſondert jed' in ihrem eignen Leibe,
Wie mit der Weltſeel' einſt in Sonn- und Mondenſcheibe.
Die Sonn- und Mondenſcheib' iſt nicht dadurch verglommen,
Doch ſchoͤne Glieder ſind zum Vorſchein hier gekommen.
Darum geſegnet ſei der Seele Trieb, zu walten
In einem Leib, und ſchoͤn des Ird'ſche zu geſtalten.
Sie moͤge ſiegreich nun ihr kleines All verklaͤren,
In Einklang haltend es mit Sonn- und Mondenſfaͤren.
35.
Der Himmel, wenn er lang nicht hat geregnet mehr,
Bis wieder ordentlich er dazu kommt, haͤlts ſchwer.
Es ſcheint ihm rechte Muͤh'n zu koſten, bis den Wolken
Er gleich verſiegten Kuͤh'n ein Troͤpflein erſt entmolken.
Dem Troͤpfeln folgt die Trauf', und iſt es erſt im Zug,
Gehts immer leichter ab, und mehr oft als genug.
So wie ein ſtaͤt'ſcher Gaul bockſteif iſt eine Friſt,
Und erſt gelenk wird, wann er warm geworden iſt.
Und wie ein Dichter, der zulang an ſich gehalten,
Anſtrengung braucht, um neu die Fluͤgel zu entfalten.
Darum in jedem Werk, biſt du einmal im Zug,
Treib zu und ſchaffe fort, doch mehr nicht als genug
36.
Ein jeder iſt ſich ſelbſt der naͤchſte. Zeugen ſind
Von dieſer Lehr' am Baum die Blaͤtter, liebes Kind.
Die ſaugen oben ein begierig allen Regen,
Daß nichts zum Boden kommt, der trocken bleibt deswegen.
Wann aber ſie ſich ſatt getrunken, ſchuͤtteln ſie
Den Ueberfluß zur Erd', und nun kommts auch an die.
Was oft ſie vom Palaſt hinaus zum Fenſter ſchuͤtten,
O kaͤm' es ebenſo auch an die armen Huͤtten!
37.
Das Seelchen kam ſo fruͤh vom Himmel ſchon hinaus,
Daß es vergeſſen hat ſein elterliches Haus,
Sein elterliches Haus vergeſſen, davon kaum
Ihm die Erinnerung noch manchmal kommt im Traum.
Das Kind kam in der Fremd' an eine fremde Amme,
Ein Pflegevater auch ward ihm von fremdem Stamme.
Sie nannt' es Mutter, weil es ihre Bruͤſte ſog,
Ihn nannt' es Vater, weil er mit der Ruth' es zog.
Doch ein Gefuͤhl erwacht ihm in der Bruſt und ſpricht:
Der rechte Vater iſts, die rechte Mutter, nicht.
Ein beſſrer Vater muß es ſeyn, den ich verloren,
Und eine ſchoͤnere Mutter, die mich geboren.
Und ſeine Sehnſucht waͤchſt, und Ruhe hat es nicht,
Bis es des Vaters ſieht, der Mutter Angeſicht.
38.
Du ſiehſt mit Augen nur und hoͤreſt nur mit Ohren;
Geht Sehn und Hoͤren drum mit Aug' und Ohr verloren?
Nein, nur die Art zu ſehn, zu hoͤren, nicht die Kraft
Zu ſehn, zu hoͤren, die der Seel' iſt weſenhaft;
Die Kraft, in der ſie ſchwebt, in der ſie ruht und fließt,
Sich ausgießt, in ſich ſelbſt ſich ſchließt und ſich genießt;
Die Kraft, die denkt im Haupt und dir im Herzen fuͤhlt,
Die auch mit Hirn und Blut nicht iſt hinweggeſpuͤlt;
Die, iſt ihr jeder Weg der Aeußrung abgeſchnitten,
Ganz in ſich ſelber ruht in ihrer eignen Mitten;
Und eben, wann ſie ſich nicht außen thaͤtig zeigt,
In ſich hinein, hinab, hinauf zur Gottheit ſteigt.
Wie wann die Blume Nachts ſich ſchließt, ſie nun in ſich
Geſammelt hat den Duft, der Tags im Wind entwich.
Wie der entlaubte Baum im Winter ſeinen Saft
Zuruͤck aus Stamm und Zweig zog in den Wurzelſchaft.
So ſeiner Sinne Zweig' entfaltet in den Raum,
Und ſeine Wurzel birgt in Gott des Lebens Baum.
O laß die Sinne nicht ſich in die Welt verirren,
Um ihre Mutter, die Beſinnung, zu verwirren!
Vor lauter Sehen ſiehſt du ſonſt nur Nebelflor,
Vor lauter Hoͤren hoͤrſt du nur den Lerm vom Chor.
Doch wie der Aſtronom im Nebel nur den Stern,
So in den Huͤllen der Erſcheinung ſieh den Kern.
Wie ein Tonkundiger den Grundton aus dem Braus
Der Stimmen, hoͤre du ihn aus der Welt heraus.
Alswie ein Liebender erklaͤrt fuͤr eine Luͤge
Ein Bild, an dem er nicht erblickt geliebte Zuͤge;
Denn ſehenswerth iſt nur am ganzen Weltgetriebe
Allein der Liebe Spur, geſehn vom Blick der Liebe.
Und wie der Freund dem Ruf des fernen Freundes lauſcht,
Ob auch des lauten Markts Getoͤs dazwiſchen rauſcht;
Vom Meer, worin es ſchwimmt, wird er das Troͤpfchen trennen,
Wird ſeines Freundes Stimm' als Perl' im Ohr erkennen.
Im Ton iſt nah der Freund, von dem du biſt geſchieden;
Und wenn du treu ihm biſt, ſo hoͤrſt du ihn zufrieden.
Im Herzen habe ſtets den Freund vor Angeſicht,
Daß nie dich ſchrecke, was er in der Seele ſpricht.
39.
Die Blumen in dem Korn, ſie koͤnnen dich nicht naͤhren;
Am Orte wo ſie bluͤhn, da koͤnnten wachſen Aehren.
Die andern Aehren auch, die wachſenden daneben,
Zertreten Knaben dir, die nach den Blumen ſtreben.
Dem Nachbar ſind verſchont die blumenloſen Saaten;
So uͤbel hat dich Gott mit dieſem Schmuck berathen.
40.
Der Menſchheit Geiſter ſind zum Hoͤchſten gleich berufen,
Doch Juͤngling, Greis und Kind ſteht nicht auf gleichen Stufen.
Alswie ein Vogel fliegt, indes ein andrer flattert;
Alswie ein Vogel ſingt, indes ein andrer ſchnattert.
Auf, wenn du Schwingen haſt, zu Gott dich aufzuſchwingen!
Auf, wenn du ſingen kannſt, in Gott dich auszuſingen!
41.
Was wird nun dieſer Tag, der heutige, dir bringen?
Was wird er laſſen dir gelingen und mislingen?
Was wirſt du Schoͤnes ſehn, was wirſt du Wahres denken?
Wohin wird Geiſt und Sinn ſich heben und ſich ſenken?
Was er auch bringen mag, du ſammle den Ertrag!
Ein jeder Tag iſt fuͤr den Geiſt ein Erntetag.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 7
42.
Die meiſten Voͤgel bau'n fuͤr ſich allein kein Neſt,
Fuͤr ihre Jungen nur bau'n ſie's bequem und feſt.
So viele Menſchen auch, ſie wuͤrden ihre Kraft
Nicht nutzen, thaͤten ſie's nicht fuͤr Nachkommenſchaft.
43.
Des Kindes erſter Trieb iſt ſinnliches Beduͤrfen,
Und ſpaͤter waͤchſt die Kraft zu geiſtigen Entwuͤrfen.
Wie alle Menſchen nun von Anfang Kinder ſind;
Die Menſchheit ſelber, war ſie Anfangs auch ein Kind?
Sie war's in einem Sinn, im andern Sinne nicht;
Die Menſchheit war ein Kind wie neugebornes Licht.
Wie neugebornes Licht, im Oſten angeglommen,
Nicht gleich dem Mittag iſt, doch ebenſo vollkommen;
Am Licht des Tages wird zur Bluͤte ſich entfalten
Nur was im Morgenthau der Knoſpe war enthalten:
So nur entfaltet ſich am großen Menſchheitstag
Was eingewickelt in der Kindheit Wiege lag.
Die Menſchheit, Gottes Kind, iſt niemals mehr noch minder,
Nur mehr und minder ſind die Menſchen Gottes Kinder:
Wie mehr und minder ganz iſt einer Blume Glanz,
Doch iſt ein ganzer Glanz der volle Blumenkranz.
Wie aber eine Blum' ins große Kranzgeflecht,
So tritt der Einzelmenſch ins menſchliche Geſchlecht.
Die Blume weiß nicht, wie ſie an die Stelle kam,
Und nicht der Menſch, wozu er ſeinen Ort einnahm.
An ſeinem Orte macht er ſeine Kraͤfte gelten,
Beherrſcht die Welt, und dient nur dem Geſetz der Welten.
Das echte Herrſcherbild iſt aber da gepraͤgt,
Wo menſchliches Gemuͤt die volle Menſchheit traͤgt.
7*
44.
So ſprach des Loͤwen Muth zu ſeinem eignen Rachen,
Als er in ihrem Neſt fand eine Brut von Drachen:
Friß du zum Fruͤhſtuͤck ſie oder zum Mittagseſſen,
Eh ſie zur Veſper dich oder zur Nachtkoſt freſſen.
45.
So ſprach ein Wandersmann zu ſeinem Weggeſellen,
Dem eingebildeten die Augen aufzuhellen:
Weil jeder Wandrer traͤgt die Buͤrd' auf ſeinem Ruͤcken,
Siehſt du die Uebel leicht, die deinen Vormann druͤcken,
Bedenkeſt aber nicht, daß nach dir andre gehn,
Die ebenſo die Laſt auf deinem Ruͤcken ſehn.
46.
Wenn du mit deinem Schatz willſt einen Bretterkaſten,
Und mit Geheimniſſen ein Frauenherz belaſten;
Beſorge, daß ein Dieb den Kaſten dir erbreche,
Befuͤrchte, daß dein Lieb das Schweigen brech' und ſpreche.
Drum trage deinen Schatz bei dir in deinem Seckel,
Und deine Heimlichkeit bewahrt vom Buſendeckel.
Ein Schatz iſt ſicher auch im Seckel nicht zu tragen,
Doch immer ſicher ein Geheimnis nicht zu ſagen.
47.
Die Seelen alle ſind umher geſtellt im Kreiſe,
In deſſen Mitte ruht die Gottheit wirkend leiſe.
Die Punkte, die da ſind die Seelen, all in Regung,
Sind um den Mittelpunkt in ewiger Bewegung.
Sie koͤnnen, wie ſie nah ſich aneinander ſchließen,
Sich doch beruͤhren nicht, noch ineinander fließen.
Von jedem Punkte iſt zur Mitt' hineingefuͤhrt
Die Linie, womit an Gott die Seele ruͤhrt.
Der umgekehrte Stral, der, wie er ausgegangen
Vom Mittelpunkt, dahin zuruͤck traͤgt ein Verlangen.
Die Stralen ſtralen all im Mittelpunkt zuſammen,
Und werden eins in dem, aus dem ſie alle ſtammen.
Die Seelen all in Streit und unter ſich entzweit,
In Gott nur haben ſie Einheit und Einigkeit.
Nur die Beruͤhrung, die ſie in der Gottheit finden,
Kann die getrennten im Gefuͤhl der Liebe binden.
Und welche Seele nicht zur andern Liebe ſpuͤrt,
Der fehlt die Linie, die an die Gottheit ruͤhrt.
48.
Sieh wie das Aehrenfeld vom goldnen Abendduft
Befriedigt ſchweigt, und tief heraus die Wachtel ruft.
Sie ruft: So lange hab' ich euer Feld gehuͤtet,
Nun huͤt' ich's euch nicht mehr, denn ich hab' ausgebruͤtet.
Habt Dank, daß ihr geſchont, ſolang ich hier gewohnt;
Kommt, erntet nun, und ſeid von Segen reich belohnt!
Die Aehren nicken drein im letzten Abendſchein,
Geerntet wollen ſie am naͤchſten Morgen ſeyn.
Vor einem andern Klang verſtummt der Wachtel Sang,
Die Sicheln haͤmmert man das ſtille Dorf entlang.
O koͤnnten wir es froh erwarten wie die reifen,
Wenn uͤber Nacht man ſo wird uns die Sichel ſchleifen.
49.
Sieh, mit den Fuͤßen ſteht der Reis im Waſſerbade,
Daß auf dem Haupte nicht der Sonnenbrand ihm ſchade.
Wenn du Beſinnung kuͤhl mit Glutgefuͤhl vereinſt,
Auch reife Segensfrucht traͤgſt du villeicht dereinſt.
50.
Schenk' in dein Glas nicht mehr, als auf einmal zu trinken!
Geſtandnes ſtehet ab und wird im Preiſe ſinken.
Kein andrer wird von dir die Neige trinken wollen;
Laß jeden trinken und trink immer ſelbſt vom vollen!
51.
Ich habe doch genug des Schoͤnen aller Art
Auf dieſer eiligen Voruͤberfahrt gewahrt,
Auf dieſer eiligen Voruͤberfahrt durchs Leben,
Genug, den Menſchengeiſt uͤber die Welt zu heben;
Genug des Goͤttlichen im Menſchenangeſicht,
Im Spiegel der Natur und Dichtung Zauberlicht.
Und wenn es mehr nicht war, ſo war es meine Schuld;
Und daß es ſoviel war, iſt Gottes große Huld;
Die Stralen jener Huld, die ſelbſt das Aug' erſchließen,
Das eigenſinnig ſich dem Lichte will verſchließen;
Den Augendeckel ruͤhrt der Himmelskuß gelind:
Sieh, das iſt Gottes Welt, und du biſt Gottes Kind.
52.
Gewoͤhne Schoͤnes dich zu ſinnen und zu denken,
Und lerne jeden Sinn aufs Schoͤne hinzulenken,
Und ſtrebe jeden Sinn ins Schoͤne einzuſenken,
Und Schoͤnes moͤge hold dir jede Stunde ſchenken,
In Schoͤnes huͤllen dich, dein Herz mit Schoͤnem traͤnken,
Und mit dem Anblick nie dich des Unſchoͤnen kraͤnken.
Wer mit entſchloſſnem Blick das Schoͤne liebt und ſucht,
Vor deſſen Auge nimmt das Haͤßliche die Flucht.
Der Goͤtter hoͤchſte Gunſt iſt aber dem bewahrt,
Der im Unſchoͤnen ſelbſt das Schoͤne nur gewahrt;
Sei's auch, Unſchoͤnes nur, das ſeyn will, zu vernichten,
Und Schoͤnes an der Statt, das ſeyn ſollt', aufzurichten.
Ein zartes Auge wird beleidigt vom Unſchoͤnen,
Alswie ein feines Ohr verletzt von falſchen Toͤnen.
Feinzarter Sinn iſt gut, nicht gut der zaͤrtlich ſchwache;
Du haͤrte deinen ſo daß es nicht ſtumpf ihn mache.
53.
Solange du nur denkſt, ohn' es in dir zu fuͤhlen,
Wird ein Gedanke nur den andern weiter ſpuͤlen.
Nicht wahr iſt was du denkſt, nur was du fuͤhlſt iſt wahr;
Durchs Denken machſt du dir nur das Gefuͤhlte klar.
Was du Gefuͤhltes denkſt, das wirſt du auch behalten,
Und im Gedaͤchtnis wird dirs ewig nicht veralten.
Das ſeinen Namen zwar vom Denken hat empfangen,
Doch nur Gefuͤhltes bleibt im Angedenken hangen.
54.
Weil du der ganzen Welt nicht kannſt als Herrſcher walten,
Gib ganz ſie auf! ſchlimm iſt von ihr ein Theil behalten.
Im Tode mußt du es, thu's, weil du kannſt, im Leben;
Gib auf die falſche Welt, eh ſie dich auf wird geben.
Statt der Demuͤthigung gezwungener Entſagung
Sei dein das Hochgefuͤhl freiwilliger Entſchlagung.
55.
O ſeht die Taube, wenn ihr ihre Jungen ſchlachtet,
Den Schlag verlaͤßt ſie nicht, wo ihr das Neſt ihr machtet.
Sie wehrt ſich nicht, noch klagt, wenn man ihr Liebſtes raubt,
Zufrieden, wenn man nur das Daſeyn ihr erlaubt.
Ich weiß nicht, ob ein Bild der vollen Sklaverei,
Ob der Ergebung ſie vollkommnes Muſter ſei.
56.
Will deine Heiterkeit truͤben ein Tag ein truͤber,
So denk: Am Abend iſt der ganze Tag voruͤber.
Und wenn ſo truͤb' iſt auch dein Leben, denk, es ſei
Ein Tag, ein laͤngerer, und doch ſobald vorbei.
57.
Vorgeſtern Hoffnungen, in Knoſpen eingeſchloſſen;
Und geſtern Bluͤtenfuͤll', in Duft und Glanz ergoſſen;
Am Boden liegen welk die Roſenblaͤtter heut:
Das iſt dein Gluͤck, o Welt, und was ein Herz erfreut!
58.
Im trocknen Sommer bringt der Weſtwind keinen Regen,
Im naſſen regnet ſelbſt der trockne Oſt; weswegen?
Des Jahres Schickſal ſteht auf trocken oder feucht,
Dagegen hilft nun nichts was einer kaͤmpft und keucht.
59.
Der Eſel, den mit Salz ſie uͤberladen hatten,
Im Fluſſe legt' er ſich, und das kam ihm zu Statten.
Er widerholt es dann, da kam es ihm zu Schaden,
Weil er nun, ſtatt mit Salz, mit Wolle war beladen.
Das Salz im Waſſer ſchmolz, die Woll' im Waſſer ſchwoll;
Dort gieng er leicht davon und ſchwerer hier mit Groll.
Er grollte dem, der ihm gegeben dieſen Rath,
Da doch der Eſel ſich es zuzuſchreiben hat.
Nur einmal gilt ein Rath, nur einmal eine Liſt;
Gelernt vom Eſel hat dies, wer da weiſer iſt.
60.
Der Baum merkt nicht die Laſt, haͤlt drauf ein Vogel Raſt;
Doch fliegt der Vogel weg, ſo ſchwankt davon der Aſt.
So fuͤhlſt du nicht die Luſt, die wohnt in deiner Bruſt;
Doch wenn ſie dir entfliegt, ſo fuͤhlſt du den Verluſt.
So merkt, was einer ſtrebt, die Welt nicht, weil er lebt;
Sie merkt es dann villeicht, wenn man den Mann begraͤbt.
Der Zweig erſchuͤttert bebt dem Vogel, der entſchwebt;
Feſt ſteht der Stamm, indes ein Zweig ſich ſenkt und hebt.
61.
Aus dem Talmud.
1.
Wer ſagt: ich ſuchte doch ich fand nicht; glaub, er luͤgt.
Wer ſagt: ich ſuchte nicht und fand; glaub, er betruͤgt.
Wer ſagt: ich ſucht' und fand; dem glaub, er redet wahr;
Anſtrengung und Erfolg ſind ungetrennt ein Paar.
2.
Verſchwende nicht dein Wort, wo man es nicht wird ſparen;
Und ſpar' es nicht, wo man es ſparend wird bewahren.
3.
Wirf in den Brunnen, wo du trankeſt, keinen Stein;
Sag Uebles dem nicht nach, bei dem du kehrteſt ein.
4.
Ein Spinnenfaͤdchen iſt dein Boͤſes im Anfange,
Am Ende wird es dir zu einem Wagenſtrange.
5.
Der Schatten laͤuft dem Leib, der Tiefe laͤuft der Bach,
Dem Wild der Jaͤger und die Noth dem Armen nach.
6.
Wohlthaten ſind wol gut, und wohl dem der ſie thut!
Wohlwollen aber iſt viel beſſer noch als gut.
Wohlthat wird Armen nur und Lebenden entboten,
Wohlwollen arm und reich den Lebenden und Todten.
7.
Wenn du nicht kaufen willſt, ſo ſteh nicht an dem Laden;
Du draͤngſt die Kaͤufer weg und bringſt dem Kraͤmer Schaden.
8.
Sprich Keinem Troſt zu, wenn ſein Todter vor ihm liegt,
Und keinem Zornigen, eh ihm der Zorn verfliegt.
9.
Da wo das rechte Werk kam an den rechten Mann,
Kommt einer weit, ſo weit ein Menſch nur kommen kann.
10.
Des Knaben Pfennig klingt im blechnen Buͤchslein hohl,
Im Lederbeutel ſchweigt das Gold des Mannes wohl.
11.
Wo man dich kennt, da brauchſt du nicht zu gehn in Seide;
Doch wo man nicht dich kennt, trit auf im Ehrenkleide.
12.
Die Liebe ſtoͤrt alswie der Haß das Gleichgewicht
Der Seele, das der Welt ſtoͤren ſie beide nicht.
13.
Weh mir, folg' ich der Pflicht! weh mir, folg' ich dem Triebe!
Der Trieb hat keine Ruh, die Pflicht hat keine Liebe.
14.
Weh dir wenn du es ſagſt, weh dir wenn du's verſchweigeſt,
Wohl dir wenn, was du weißt, du halb im Schleier zeigeſt.
15.
Mit einem Theil des Lob's ſollſt du den Freund nur ſchmuͤcken
Ins Antlitz, einen Theil ſag hinter ſeinem Ruͤcken.
16.
Verderber ſind der Welt nothwendig wie Erwerber;
Sei ein Erwerber du, es gibt genug Verderber.
17.
Die Welt gieng ohne Weib und ohne Mann bald aus;
Wohl dem der iſt ein Mann und hat ein Weib im Haus.
62.
Gleich gut in guter Zeit gehts Dummen wie Geſcheiten,
Weit beſſer dieſen doch, wann kommen boͤſe Zeiten.
Solang' im Tuͤmpfel friſch das Waſſer war, da ſchluͤpfte
So froh darin der Fiſch, alswie der Froſch drin huͤpfte.
Doch als verraͤtheriſch in Sommerglut erloſch
Die Flut, kam um der Fiſch, und weiter ſprang der Froſch.
Drum klage nicht ein Mann, wenn Nahrungsquellen ſchwinden,
Der leicht wo anders kann ein Unterkommen finden.
63.
Von einer Seele traͤumt' ich, einer fernen lieben,
An die ich lange nicht gedacht und nicht geſchrieben.
In der Erinnerung war mir das Angeſicht
Erblichen, und nun zeigt' ein Traum es mir ganz licht.
Ich ſprach im Traum: Wer ſagt mir, was der Traum bedeute,
Daß ich dich ſchleierlos erblick' im Glanz der Braͤute?
Des andern Tages kam die Botſchaft mir, es ſei
Die liebe Seele hingegangen koͤrperfrei.
Das hat der Traum gemeint, daß ſie nicht iſt geſtorben,
Daß ſie den rechten Glanz des Daſeyns nun erworben.
64.
Mag meine Seele, die im Wachen aufwerts ſteigt
Zum Himmel, und ſich nie im Traum zur Erde neigt,
Mag meine Seele rein ein Licht aus jenem Licht,
Mit ihm vereinigt ſeyn in froher Zuverſicht!
Mag meine Seele, die des Leibes Opferſchale
Fuͤllt, bis ergoſſen ſie wird ſeyn zum Opfermale,
Mag meine Seele rein aus jenem Thau ein Thauen,
Mit ihm vereinigt ſeyn in Sehnſucht und Vertrauen!
Mag meine Seele, die das Spiel der Kraͤfte treibt
Planeten gleich, und wie die Sonn' in Ruhe bleibt,
Mag meine Seele rein ein Trieb von jenem Triebe,
Mit ihm vereinigt ſeyn in Seligkeit und Liebe!
Mag meine Seele, die bewußtvoll haͤlt umfangen,
Was gegenwaͤrtig hie, was kuͤnftig und vergangen,
Mag meine Seele rein, dem Ew'gen nicht zu rauben,
Mit ihm vereinigt ſeyn in Ewigkeit, im Glauben!
Mag meine Seele, die ſich wie mit Flammendochten
Mit lichter Harmonie des Weltalls hat durchflochten,
Mag meine Seele, rein durchtoͤnt vom Schoͤpfungswort,
Mit ihm vereinigt ſeyn in Andacht fort und fort!
65.
Wer Alles mag in Gott, in Allem Gott betrachten,
Hat keinen Grund ein Ding groß oder klein zu achten.
Wie ſollte ſcheinen ihm ein Allergroͤſtes groß,
Da es ein Kleinſtes iſt vorm Einziggroßen bloß?
Wie duͤrfte gelten ihm das Allerkleinſte klein,
Da mit dem Groͤſten es hat Gottes Geiſt gemein?
Nach deiner Einſicht nur erhebeſt du zumeiſt
Das, was am klarſten dir abſpiegelt Gottes Geiſt.
Je hoͤher aber ſelbſt wird deine Einſicht ſteigen,
Je klarer wird der Geiſt in Allem dir ſich zeigen.
Des Boͤſen Schein iſts, was des Guten Glanz verhaͤlt;
Zerſtoͤr das Boͤſ' in dir, ſo ſiehſt du gut die Welt.
66.
Solang des Schoͤnen Hauch nicht ſo dich auch durchwittert,
Daß jede Saite rein in ſeiner Ahnung zittert;
Daß allen Erdentand ſein Himmelsglanz entflittert,
Und jedes Goͤtzenbild ſein Gottesblitz zerſplittert;
Unheil'ges all ausſchließt, Allheiligſtes entgittert,
Den Rauſch der Luſt entſuͤßt, des Todes Kelch entbittert:
Solang haſt du die Hoͤhn des Schoͤnen nicht gekannt,
So lange haſt du ſchoͤn ein Schattenbild genannt.
Das Schoͤne muß dich ganz durchleuchten und durchtoͤnen,
Durchhauchen und durchbluͤhn, durchſcheinen und durchſchoͤnen;
Durchſtroͤmen und durchwehn, durchrauſchen und durchdroͤhnen,
Und machen lieblich ſchoͤn dein Jauchzen und dein Stoͤhnen:
Dann haſt du hoch und hehr des Schoͤnen Spur erkannt,
Dann haſt du ſchoͤn nicht mehr ſein Scheinbild nur genannt.
Komm, laß erſt unſern Rauch in ſeinem Hauch verklaͤren;
Dann ſeine lichte Macht der blinden Nacht erklaͤren;
Laß als ein Wahres erſt das Schoͤn' an uns bewaͤhren,
Dann das Gewahrte auch der Welt zum Schaun gewaͤhren!
Du ſollſt in ſeinem Dienſt, ein Prieſter jungalt, Aehren
Und Bluͤten ſtreuend, weihn viel Herzen zu Altaͤren;
Damit die Welt erkennt, du habeſt es erkannt,
Und nicht, was ſie ſo nennt, ein Wahnbild ſchoͤn genannt.
67.
Die Lehrer ſind im Streit, womit hier auf der Erde
Am wuͤrdigſten geſucht das Antlitz Gottes werde.
Die einen: Ehren ſoll man Gott mit Opfergaben,
Im Dienſte, welchen wir von unſern Vaͤtern haben.
Die andern: Loben ſoll man ihn mit guter That,
Wozu er Kraft verliehn und Trieb zum Guten hat.
Die dritten: ſuchet ihn in heiliger Geſinnung,
Geſammelten Gemuͤts Weltſinnenluſtentrinnung.
Die vierten ſagen: Gott hat nur, wer ihn erkennt;
Die Wiſſenſchaft allein iſt Gotteselement.
Ich aber ſage dir: Mit jedem von den vieren
Magſt du ihn ſuchen hier, und wirſt ihn nicht verlieren.
Wer ihm die Gaben weiht, genießet ſeiner Gaben;
Wer durch ihn Gutes thut, wird im Gemuͤt ihn haben.
Mit ihm iſt ungeſtoͤrt, wer von der Welt ſich trennt,
Und Eines iſt mit ihm, wer ihn als Eins erkennt.
68.
Zu lernen halte nur dich nie zu alt, und lerne
Von denen, die von dir gelernt, nun wieder gerne.
Sie haben manches wol, was dir aus ſchlaffern Falten
Indes entfallen, feſt in ſtrafferen gehalten;
Gebildet manches aus, was du nur angelegt,
Zu Bluͤt' und Frucht gebracht, was du nur angeregt.
Nimmſt du von ihnen nun, was ſie von dir genommen,
So haſt du ſchoͤner dich verjuͤngt zuruͤck bekommen.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 8
69.
Wenn du den Augen haͤltſt das Buch ſo nahe vor,
Schwimmt die verwirrte Schrift in einem Daͤmmerflor.
Und wieder wenn du haͤltſt den Augen es ſo fern,
Wird jeder Buchſtab ein unklarer Nebelſtern.
Und unzufrieden wirſt du leicht mit deinem Auge,
Daß weder fern noch nah es recht zu ſehen tauge.
Doch halte nicht zu nah und nicht zu fern das Buch,
Und leſerlich nach Wunſch erſcheint dir jeder Spruch.
Nur zwiſchen deinem Ziel und dir mußt du dem Licht
Raum laſſen grad ſoviel, als taugt fuͤr dein Geſicht.
Und alſo ſiehſt du auch die Welt und die Natur
In rechter Deutlichkeit bei rechtem Abſtand nur;
Wenn zwiſchen ihr und dir du laͤſſeſt eine Weite,
Daß klar im Zwiſchenraum ſich Gottes Licht verbreite.
Die Weite doch iſt gleich fuͤr jedes Auge nicht,
Wie ihm beſchieden iſt Fern- oder Nahgeſicht.
Die Weite wechſelt ſelbſt mit jeder Lebenszeit,
Wie eben wechſeln mag Fern- und Nahſichtigkeit.
Das wechſle nun wie's mag, wenn du nur nicht erblindeſt,
Noch in Verblendung dir die Augen ſelbſt verbindeſt.
Gebrauch dein Auge nur, wie es iſt Gottes Wille
Und der Natur, und nie beduͤrfe mir der Brille!
70.
Viel ſchlimmer, als wenn dich die andern hintergehn,
Iſt dieſes, von dir ſelbſt dich hintergangen ſehn.
Gefaͤhrlich iſt vom Feind des Hinterhaltes Lauer
Im Feld, gefaͤhrlicher in deines Hauſes Mauer.
Die aͤußre Hinterliſt kannſt du noch hintertreiben;
Die hinter'm Herzen iſt, die wird dahinter bleiben.
8*
71.
Der Affe hat gehoͤrt, daß ſuͤß der Nußkern ſchmecke,
Und Nuͤſſe nahm er vor mitſamt der gruͤnen Decke.
Die wegzuraͤumen ſollt' er brauchen ſeine Pfote,
Doch nimmt er ſie ins Maul gleich einem ſuͤßen Brote.
Und ruft, wenn ihm den Mund verbitterte die Schale:
Betrogen hat mich, wer dich mir empfahl zum Male.
Noch eine Weile faͤhrt er fort hineinzukaun,
Und immer will es nicht dem Gaumen ſuͤßer thaun.
Eh er den Kern geſchmeckt, hat er den Ueberdruß
Gefreſſen an der Schal', und wirft hinweg die Nuß.
So ſah ich manchen, den man keinen Affen hieß,
Der, von der Schale ſatt, den Nußkern fallen ließ.
72.
Nur wer daheim iſt, mag wol einen Gaſt empfangen,
Nicht wer auf Reiſen ſelbſt iſt in die Welt gegangen.
Nur wer allein iſt, mag empfangen wohl den Gaſt,
Nicht wenn das ganze Haus du ſchon voll Gaͤſte haſt.
Sei immer nur daheim, allein und unbeklommen;
Dir wird der Himmelsgaſt, den du erwarteſt, kommen.
73.
Vor allem lerne nur, dich ſelber zu belehren;
So werden andre dich als ihren Lehrer ehren.
Vor allem bilde nur, dich ſelber zu erfreun;
So wird ſich Luſt der Welt an deinem Bild erneun.
Vor allem bleibe dir der Friede nur beſchieden
So wirſt du rings um dich verbreiten Gottes Frieden.
74.
Das hoͤchſte Liebeswerk, das Menſchen iſt verliehn
Zu thun, iſt andere zur hoͤchſten Liebe ziehn.
75.
Zwar geben kann nur, wer empfangen hat die Gaben,
Und um zu lehren, muß man erſt gelernet haben.
Doch wer ein Licht mittheilt, wie es ihm aufgegangen,
Wird wuͤrdig ſelbſt dadurch zu Lichterm zu gelangen.
76.
So wie dein Auge ſchaut mit Luſt das gruͤne Laub,
Doch weh thut wenn darein gefallen iſt der Staub;
So moͤgeſt du die Welt mit klarem Sinn genießen,
Doch vor Befleckungen des Staubs dein Herz verſchließen.
77.
Einſt ſprach ein frommer Mann, der ſtets im Geiſte lebte,
Der in der Nacht bald rang und bald im Lichte ſchwebte:
Herr, wenn dir immer ſo, wie mir zuweilen, iſt,
Wenn in dir ſelber du ſo ſuͤß als in mir biſt;
So fuͤhreſt du ein alzuwonnigliches Leben.
Darauf hat Gott in ihm die Antwort ihm gegeben:
Waͤrſt du im Kampfe nicht, du ſchmeckteſt nicht den Frieden,
Noch Suͤßes, waͤre nicht auch Bittres dir beſchieden.
Ich bin die Seligkeit, und fuͤhlte ſelbſt in mir
Die Seligwerdung nicht, fuͤhlt' ich ſie nicht in dir.
78.
Das heilige Sanskrit, das vorlaͤngſt ſich verloren
Vom Menſchenmunde, nennt drei Dinge zweigeboren.
Zuerſt den Vogel, der als Ei zum erſtenmale
Geboren iſt, ſodann zum andern aus der Schale.
Dann nennt es ſo den Zahn, der in des Menſchen Munde
Erſt ſchwaͤcher einmal waͤchſt, und dann auf feſterm Grunde.
Zum dritten nennt es ſo den Weiſen, den zumeiſt
Die Mutter erſt gebar, und wieder dann der Geiſt.
Der Vogel, zweimal nicht geboren, bleibt im Neſt,
Und zweimal nicht der Zahn geboren ſteht nicht feſt.
Der Weiſe wird nicht feſt in Weisheit ſtehn noch fliegen,
Wenn er der anderen Geburt nicht iſt entſtiegen.
79.
Zur Huͤlle diene dir das Kleid, wol auch zum Schmucke,
Nie zur Behinderung der Glieder, noch zum Drucke.
So nuͤtze dir zum Schutz das Wiſſen, auch zum Putz;
Nur Wiſſen, das den Geiſt beſchweret, iſt nichts nutz.
80.
Dem unbeſchriebnen Blatt des Geiſtes in dem Kinde
Schreib unbedaͤchtig nicht zu viel ein zu geſchwinde.
Zwar wird nie voll das Blatt, ſtets neu zu uͤberſchreiben,
Doch keine Schrift ſo feſt wird als die erſte bleiben.
Ja keine Kunſt vermag ſie voͤllig wegzuwiſchen;
Was man auch druͤber ſchreibt, ſie ſchimmert durch dazwiſchen.
Und manchen Forſcher freuts, den Neues wenig freut,
Wenn rathend er die halb ſichtbare Schrift erneut.
Du ſelber moͤgeſt einſt, wann ſpaͤtre Schriften ſchwinden,
Erloſchne Kinderzuͤg' im Herzen wieder finden.
81.
Der Wurzelſchoͤßling waͤchſt nach ſeinem Vaterſtamm;
Und wie die Mutter thut, geberdet ſich das Lamm.
Feſt von der Schoͤpfung Band iſt das Geſchoͤpf umwoben,
Doch in die Schranken kommt des Menſchen Geiſt von oben.
Zum Himmel wendet ihn das Vorbild edler Vaͤter;
Doch kriechen ſie am Staub, ihn ſpornt es doch zum Aether.
Denn jede Seele ſteigt neu von den hoͤchſten Stufen
Hernieder, und iſt neu zum Hoͤchſten ſtets berufen.
Zum Hoͤchſten kommt ſie nicht, ſolang im Leib ſie bleibt,
Doch bleibt der Trieb in ihr, der ſie zum Hoͤchſten treibt.
Wer dieſem Triebe folgt, fuͤhlt ſich in Einigkeit,
Und wer ihn unterdruͤckt, iſt mit ſich ſelbſt entzweit.
82.
Was gut iſt und was ſchlecht, iſt ſchwer nicht zu entſcheiden;
Doch unentſchieden ſchwankt viel andres zwiſchen beiden.
Das Gute zieht mich an, das Schlechte widerwaͤrtig
Stoͤßt ſchnell mich ab, und leicht bin ich mit beiden fertig.
Das Zweifelhafte nur macht langes Kopfzerbrechen,
Bis man zu Stande kommt ein Urtheil ihm zu ſprechen,
Das ich nach meinem Recht am Ende ſo entſcheide:
Was weder gut noch ſchlecht, iſt ſchlechter mir als beide.
83.
Der du im Lichte biſt, und biſt in mir das Licht,
Ich nehme was du gibſt, und andres will ich nicht.
Du gabeſt mir den Drang, ſo klar dein Lob zu ſagen,
Als Mund und Ohr von mir und Welt es konnt' ertragen.
Du gabeſt mir die Kunſt, nicht ſchoͤner uns zu luͤgen,
Als, Welt und ich, wir ſind, doch ſchoͤner uns zu fuͤgen.
Das bleibe mir bewußt: Nur Gottes Macht beſiegeln
Wollt' ich in der Natur, nicht drin mich goͤttlich ſpiegeln.
Und darum dank' ich dir fuͤr jeden hellen Blick,
Den du mich ließeſt thun in Leben-Tod-Geſchick.
Ich danke dir, daß du die Augen mir erſchloſſen,
Durch die von außen auch dein Glanz in mich gefloſſen.
Ich will, ſolange mir zum Sehn die Augen taugen,
Nur deinen Glanz aus Stern- und Blumenaugen ſaugen.
Und ſoll dem Auge nun das aͤußre Licht erblinden,
So laß als innres dich in meiner Seele finden.
Ich habe gnug geſehn, um lebenslang zu malen
Ein Bild, wie dein Geſchoͤpf nicht ſtralt, doch ſollte ſtralen.
84.
Dort in der Sonne ſteht, dir ungeſehn, ein Geiſt,
Von deſſen Blick gelenkt, um ihn die Schoͤpfung kreiſt.
Du fuͤhleſt ſeinen Blick, der dir das Auge fuͤllt!
Ihn ſiehſt du nicht, den dir ſein eigner Glanz verhuͤllt.
Du ſehneſt dich empor in ſeinem Glanz zu gehn,
Mit ihm vereinigt dort im Mittelpunkt zu ſtehn.
Vom Mittelpunkte dort zu ſchauen frohbewußt
Mit gradem Blick, was hier du ſchaun mit ſchiefem mußt.
Des wohlgeordneten Planetentanzes Spiel,
In dem der Sonnengeiſt wirkt und erkennt ſein Ziel.
Er ſtralt von Wonn' und iſt von Schoͤpferluſt bewegt,
Wie er mit ſeinem Blick ſein Weltgetrieb erregt.
Doch ſieh, nun blicket er aus ſeinem Dienerchor
Vom Umkreis hoͤher auf, wie du zu ihm empor.
Und ſelber ſieht er ſich an hoͤherm Sonnenband,
Fuͤhlt ſich, dem Mittelpunkt entruͤckt, wie du, am Rand.
Das aber laͤhmt ihn nicht, und truͤbt nicht ſeinen Glanz;
Erſt als des Ganzen Glied fuͤhlt er ſich ſelber ganz.
In ſeinem Kreis mit Luſt wirkt er durch hoͤh're Kraft;
Und alſo wirke du in deinem ſonnenhaft.
Wo du in Gott dich fuͤhlſt, ſtehſt du im Mittelpunkt;
Und wo du ihn verlierſt, biſt du ins All zerfunkt.
85.
Wenn jener Funke Licht in dir vom hoͤchſten Licht
Vergiſſet ſeiner Pflicht und ſeines Urſprungs nicht;
Wenn er das dunkle Haus, das er bewohnen ſoll,
In ſtiller Freudigkeit macht Himmelsglanzes voll;
Wenn ſeine Spitze treu er ſtets zur Hoͤhe lenkt,
Und eigenwillig nicht ſich in die Tiefe ſenkt;
Nicht gleich der Pflanze will im Boden Wurzel ſchlagen,
Noch gleich dem Thier am Staub nach niederm Raube jagen;
Nein, wie die Blume ſich dem Licht eroͤffnet gern,
Und immer aufzugehn bereit iſt wie ein Stern;
Ja Zeugnis, daß im Licht er lebt in dunklen Schranken,
Stets gibt mit lichter That, Lichtwort und Lichtgedanken:
Dann wird von oben gern das Licht mit ihm verkehren,
Und im geſunknen Stern den hohen Urſprung ehren;
Ihm helfen, wenn er ſicht, bis er die Schranke bricht,
Und aus der Scheitel tritt ein Licht hervor ins Licht:
Dann wird ein Sonnenſtral, und waͤr' es in der Nacht,
So wird ein Mondenſtral, beliehn mit Sonnenmacht,
Sich unterbreiten ihm, und heben ihn und tragen
Ins Lichtreich ſicher, daß kein Sturm ihn kann verſchlagen,
Vorbei dem Wirbel, der die ſchwerern Geiſter zieht,
Der Tiefe, die er floh, und der er jetzt entflieht.
86.
Mein Licht! du biſt nicht warm, die Sonne ſteht zu ſchief;
Du ſtreifeſt nur mein Aug' und dringſt ins Herz nicht tief.
Die Blume will nicht bluͤhn, der Anger wird nicht gruͤn;
Weltſehnſucht iſt umſonſt, umſonſt dein Liebesmuͤhn.
O hebe dich, mein Licht, aus winterlicher Schiefe
Zur Sommerhoͤh', und geuß Erregung in die Tiefe!
87.
Laß einen Heilverſuch dir meines Auges ſagen,
Des aͤußern, den du magſt aufs Innre uͤbertragen.
Mein Auge ſah ſich ſelbſt von einem Flor umhangen,
Von einem Wirrgeweb aus Punkten, Flecken, Schlangen.
Ein Netz der Taͤuſchung, das die Sehkraft ſelbſt ſich wob,
Das mit dem Blick ſich ſenkt' und mit dem Blick ſich hob.
Ein Schatten, welcher nie vom Lichte ſich verlor,
Der, aus dem Aug' erzeugt, ſchwebt' uͤberall ihm vor;
Nur um ſo naͤchtlicher, als heller war der Tag,
Wie vor der Unſchuld wol die Schuld ſich fuͤhlen mag.
Mir war davon die Luſt an Gottes Welt benommen,
Daß rein ihr Schoͤnes nicht mir ſollt' ins Auge kommen;
Getruͤbt der Glanz der Flur, des Menſchen Angeſicht,
Und jede Schrift, durch die der Geiſt zum Auge ſpricht.
Den himmliſchen Genuß des Lichtes wollt' ich miſſen
Ehr als ihn haben ſo verſetzt mit Finſterniſſen.
Heilwaſſer heilen nicht, einfache noch zuſammen
Geſetzte, weil ſie rein dem Lichte nicht entſtammen.
Sollt' ich die ird'ſche Kunſt des Augenarztes brauchen?
Ich will mich in den Quell des Lichtes ſelber tauchen.
Die Luͤfte waren blau, die Fluren waren gruͤn,
Und meinen Blick erhob zur Sonn' ich adlerkuͤhn.
Entweder ſoll die Welt in dir mir untergehn
Auf immer, oder ich will rein wie du ſie ſehn.
Die Feuerwirbel ließ ich mir im Auge wallen,
Wie ſie mich blendeten fuͤhlt' ich mit Wohlgefallen.
Solange duldet' ich den Einſtrom, bis zuſammen
Die krauſen Schlanggewind' in eine Maſſe ſchwammen.
Vom Himmel blickt' ich dann zuruͤck zur Erdenflur,
Und ſtatt der Schlangen ſah ich Sonnenblendung nur.
Die lichte Finſternis zerfloß dann, und o Gluͤck,
Die Schlangen kehrten nicht, die ſie verſchlang, zuruͤck.
Und ſollten doch einmal ſie mir im Auge kehren,
So ſoll ein neuer Stral der Sonne ſie verzehren.
88.
Ein Tempel Gottes hat ſich die Natur gebaut,
Worin er tauſendfach geahnt wird und geſchaut.
Als Tempeldiener gehn hindurch die Jahreszeiten,
Die bunten Teppiche am Boden hinzubreiten.
Stralend im hoͤchſten Chor lobſingen Sonn' und Sterne,
Der Abgrund und das Meer antworten aus der Ferne.
Das Mittelfeuer gluͤht am ew'gen Opferherde,
Und alles Leben naht, daß es das Opfer werde.
Als Opferprieſter kniet der Geiſt an viel Altaͤren,
Die er mit Bildern ſchmuͤckt, und ſucht ſie zu erklaͤren.
In viele Huͤllen hat die Fuͤlle ſich verhuͤllt,
Doch von der Fuͤlle nur iſt jede Huͤll' erfuͤllt.
Und wo der Geiſt vermag hinweg der Selbſucht Schleier
Zu heben, ſieht er hell darunter Gottes Feier.
Und Gottes Athem geht ein Morgenhauch durchs Schiff,
Einſammelnd jeglicher Verehrung Inbegriff.
Sein Laͤcheln ſtreuet Duft in truͤber Inbrunſt Glimmen,
Sein Saͤuſeln Einigung in widerſtreit'ge Stimmen,
Aus jedem Opferrauch nimmt er das feinſte Korn,
Den reinſten Tropfen auch aus jedem Andachtsborn;
Aus jedem Wortgebet den ihm bewußten Sinn;
Er ſelbſt legt ihn hinein, und findet ihn darinn.
Dann will er auch den Sinn der Sinnenden entfalten,
Daß immer wuͤrdiger ſie ihm die Feier halten;
Daß die gebundnen frei zu hoͤhrer Wonn' aufgehn;
Denn das iſt ſeine Luſt, der Schoͤpfung Luſt zu ſehn.
89.
Wenn nichts vom Erdenſtaub mehr abzuſchuͤtteln bleibt,
Kann ſich der freie Geiſt entſchwingen lichtgeleibt.
Solang er ſich beſtrickt fuͤhlt vom Unreinen Boͤſen,
Muß er des Lebens Kampf fortkaͤmpfen, ſich zu loͤſen.
Weh aber ihm, wenn er muß aus dem Kampfe weichen,
Eh er des Lichtes Sieg konnt' an der Nacht erreichen.
Er huͤllt ſich ins Gefuͤhl der Niederlage ein,
Und dies wird ſeine Pein, wo er auch ſeyn mag, ſeyn.
Darum begluͤckt ſeid ihr, die ihr hinuͤberſchwebtet
Fruͤh, eh ihr tiefer euch hinein ins Leben lebtet.
Den Fruͤhlingsblumen gleich, im Morgenthau gepfluͤckt,
Womit am Feſttag man den Tempel Gottes ſchmuͤckt.
Doch was am Stengel bleibt und ſoll zu Fruͤchten reifen,
Mit Schmerzen laſſ' es ſich von Sonn' und Wind ergreifen.
Auch die unreife Frucht wird abgeſchuͤttelt werden,
Zum Feſtmahl kommt ſie nicht, ſie faͤllt mit Schmach zur Erden.
90.
Horch, das Gewitter brauſt, des Donners Scheltwort rollt
Dem rothen Blitz nach, der ein Blick des Zornes grollt.
So fruͤh im Jahr, eh neu zum Leben ſich verbuͤndet
Der Elemente Kraft, iſt ſchon ihr Kampf entzuͤndet.
Was in der Gaͤhrung ſonſt der Sommerglut erwacht,
Iſt nun im ſchwellenden Lenzaͤther angefacht.
Voruͤber fahren ſie vor deinem Aug' und Ohr,
Das ſie erſchreckt vernahm, dann ſpurlos ſie verlor.
Und alſo meinſt du wol, daß ſie auch ohne Spur
Voruͤberfahren der erwachenden Natur.
Doch eine Spur davon, und ich will ſie dir deuten,
Wird bleiben, die bemerkt nicht wird von vielen Leuten.
Der Kukuk, der den Sang jetzt ruͤſtet, um zu locken
Die Blaͤtter aus dem Wald, hoͤrt und verſtummt erſchrocken.
Und der Verſtoͤrung wird er dieſen Lenz nicht frei,
Und ſeines vollen Klangs entbehrt der bluͤh'nde Mai.
Doch die Kaſtanie, die eben ſich erkeckte,
Und eine Bluͤtenkerz' auf ihren Leuchter ſteckte,
In der verſchmolzen bluͤhn ſoll Weiß und Gelb und Roth,
Erblaßt vor Furcht, wie ſie der rothe Blitz umloht.
Wenn nun die Kerz' erbluͤht, ſo ſcheint ſie dir dieſelbe,
Ich aber ſeh', es fehlt das Roth im Weiß und Gelbe.
91.
Wie legſt du ſo vergnuͤgt zur Ruh dich Abends nieder,
In Hoffnung aufzuſtehn verjuͤngt am Morgen wieder.
So kannſt du auch vergnuͤgt im Grab zur Ruhe gehn,
In Hoffnung auch verjuͤngt am Morgen aufzuſtehn.
92.
Gebrauche deine Kraft nur Guͤter zu erwerben,
Die du gebrauchen kannſt zum Leben und zum Sterben.
Nuͤtzt irdiſcher Erwerb zum einen nur allein,
So iſt der geiſtige gleich nuͤtz zu allen zwein.
Denn wie der Leib beſtehn nicht ohne Speiſe kann,
So ohne Wiſſen nicht, wer einen Geiſt gewann.
Den irdiſchen Beſitz vererbeſt du beim Sterben;
O ſuch den geiſt'gen auch beim Scheiden zu vererben.
Du laͤſſeſt irgendwie der Welt ihn eingepraͤgt,
Als Korn, das Wurzel ſchlaͤgt, als Zweig, der Fruͤchte traͤgt.
Dir ſelbſt iſt dort villeicht, wie was du hier beſeſſen,
Auch was du hier gewußt, verloren und vergeſſen.
Allein die Kraft, die es erwarb, iſt nicht verloren;
Zu hoͤherem Erwerb iſt ſie dir neu geboren.
Drum auf Erwerben uͤb' im Ernſt der Kraͤfte Spiel;
Nicht der Erwerb iſt hier, die Uebung iſt das Ziel.
Wie eines Knaben Fleiß bald bunte Steinchen ſammelt,
Bald Woͤrter ohne Sinn' in fremder Sprache ſtammelt;
Was hat der Mann dereinſt vom Steinchen und vom Wort?
Er hat nun Luſt und Kraft zu ſammeln andern Hort.
93.
Die beſten Fechter ſind im Kampf gefallen immer,
So wie ertrunken meiſt im Strom die beſten Schwimmer.
Warum? weil in den Strom ſich nur ein Schwimmer wagt,
Und nur ein Fechter nicht vorm Spiel der Waffen zagt.
So reizend iſt Gefahr, daß, wer nur halb ſie kennt,
Sich gleich in ſie verliebt, und zu mit Luſt ihr rennt;
Wer aber nicht ſie kennt, und nie ſie hat verſucht,
Sie ſcheuet und ſich ihr entzieht mit feiger Flucht;
Und nur die Weiſeſten die rechte Mitt' erzielen,
Weder Gefahr zu ſcheun, noch mit Gefahr zu ſpielen.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 9
94.
Gar viele Geiſter gehn beim Menſchen aus und ein,
Und ſelber weiß er nicht, ob boͤſ' ob gut ſie ſeyn.
Er merkt es nicht, bis ſie zuletzt ſich ſelbſt verrathen,
Ausbruͤtend im Gemuͤt gut' oder boͤſe Thaten.
Es war ein Neſt gebaut an meines Hauſes Wand
Im tiefen Mauerritz hart unterm Fenſterrand.
Vom Boden auf zu hoch, zu tief vom Fenſter oben;
Was in dem Neſte ſei, ich konnt' es nicht erproben.
Im erſten Morgengraun, im letzten Abendſchimmer,
Flog etwas aus und ein mir unter'n Augen immer.
Doch eh ich mich beſann, ſo war es ſchon vorbei,
Ob es der Zwietracht Spatz, des Friedens Schwalbe ſei.
So bis zum Fruͤhlingsend' erhielt ſichs ſtill im Neſte,
Doch um die Sommerwend' erwachten laute Gaͤſte.
Sie flogen, flatterten und ſchwirrten allenthalben,
Und froh erkannt' ich erſt, es waren junge Schwalben.
95.
Ich ſage dir, mein Sohn, von welchen Lehrern lernen
Du ſollſt ſoviel du kannſt, von welchem dich entfernen.
Einer beſcheiden iſt des Stoffes treu befliſſen,
Des andern hoͤhrer Sinn erhebt den Stoff ins Wiſſen.
Der dritte duͤnkelhaft will nicht die ew'gen Sachen
So nehmen wie ſie ſind, will wie er denkt ſie machen.
Der eine wird mit Fleiß das Einzle weiter bringen,
Der andre ſucht mit Geiſt das Ganze zu durchdringen.
Der dritte duͤnkelhaft will ein Syſtem nur baun,
Um wohlgefaͤllig ſich als Schoͤpfer zu beſchaun.
Vom einen kannſt du viel, vom andern alles lernen,
Vom dritten nichts; von dem ſollſt du dich, Sohn, entfernen.
Beim erſten magſt du Fuß auf feſtem Grunde faſſen,
Vom andern dir zum Flug die Richte geben laſſen.
Vorm dritten huͤte dich! es iſt um dich gethan,
Fuͤllt er mit Duͤnkel dich und leerem Fachwerk an.
9*
96.
Aus Hitopadesa.
Der groͤſte Kummer iſt im kummervollen Leben,
Daß man das Gluͤck erreicht nur das man aufgegeben.
Wo die Begierd' erliſcht, iſt auch der Arme reich,
Und wo ſie herrſcht, da iſt der Fuͤrſt dem Sklaven gleich.
Wieviel du wuͤnſchen magſt, der Wunſch wird weiter gehn,
Und Gluͤck iſt da nur wo die Wuͤnſche ſtille ſtehn.
97.
Du waͤreſt gerne reich, umhaͤuft von Ueberfluß,
Und gern auch arm zugleich, zufrieden im Genuß.
Du waͤreſt gern beruͤhmt, von aller Welt genannt,
Und gern auch ungeſtoͤrt, von Niemand gar gekannt.
Du haͤtteſt gern zugleich den Himmel und die Erde;
Ich fuͤrchte, daß dir ſo von beiden keines werde.
98.
Sieh dieſen Mann! wie ſteht ihm felſenfeſt ſein Glauben!
Der Zweifel kann daran ihm nicht ein Iota rauben.
Und was er glaubt, erhebt er auch zur Wiſſenſchaft;
Wie braucht er ſo geſchickt dazu des Geiſtes Kraft!
Nicht daß ſein Glauben ſelbſt beduͤrfte der Vernunft;
Doch ſchlagen will er ſo auch der Unglaͤub'gen Zunft.
Was aber glaubt er denn, und was beweiſt er ſich?
Was ganz iſt abgeſchmackt und voͤllig laͤcherlich.
So weit iſt Glauben und Menſchenverſtand geſchieden,
So ſchwer iſt Aberwitz von Weisheit ſelbſt vermieden.
Wo aber beide blind den Liebesbund beſchworen,
Da iſt ein Spottgebild der Wahrheit ausgeboren.
Wer keck nur vorwerts ſchließt und eins ans andre haͤngt,
Hat eine Kette bald, die alle Welt umfaͤngt.
Nur daß er eins vergaß, und eines nicht beſaß,
Wodurch im Gleichgewicht die Welt ſich haͤlt, das Maß.
Das Maß hielt Gottes Geiſt, als er erſchuf die Welt,
Dadurch erhaͤlt er ſie, daß er ihr Maß erhaͤlt.
Wo dieſes Aeußre nicht das Innre haͤlt in Schranken,
Verſteigen ſich ins Blau die ſchwindelnden Gedanken.
Das Maß fuͤrs Aeußere gilt auch fuͤr das Abſtrakte:
Das Krumme iſt nicht grad, nicht wahr das Abgeſchmackte.
Dies Richtmaß halte feſt! der Glaube wird zum Thoren,
Zum Narr'n die Wiſſenſchaft, wo ſie das Maß verloren.
99.
Man pflanzet einen Baum, damit er Fruͤchte trage,
Und rennet einen Weg, daß man ein Ziel erjage.
Und alle Segel wehn entgegen ihrem Port,
Und alle Stroͤme gehn zum Ozeane fort.
Wir aber wiſſen nicht, wozu wir thun die Thaten,
Was wir bezwecken, kaum, nie, wie es wird gerathen.
Das will mit Zweifeln uns beſtricken und verwirren,
Die Thatkraft laͤhmen, und im Werkberuf uns irren.
Wir aber wollen froh uns fuͤhlen im Beruf,
Zu wirken das wozu Gott Luſt und Kraft uns ſchuf.
Wer handelt oder denkt, wer herrſchet oder ſchreibt,
Der thue nur mit Gott, wozu der Geiſt ihn treibt.
Wen aber keiner treibt, mag wie er will es treiben,
Die Welt mit Gottes Geiſt wird doch im Gange bleiben.
100.
Drei Stufen ſind es die der Menſch empor muß ſtreben,
Um ſich vom dunklen Ich zum lichten zu erheben.
Zuerſt trit aus dir ſelbſt ins Leben rings um dich,
Und freue dich daran, wie alles freuet ſich.
Dann gib den Kummer auf, daß Alles rings verfaͤllt,
Und freu dich, daß ſich jung die Welt im Ganzen haͤlt.
Dann laß dies Ganze ſelbſt zuruͤck ins Ew'ge ſchwinden,
Dort erſt wirſt du dich ganz im großen Ich empfinden.
101.
Von ferne kannſt du nicht die Trommel hoͤren ſchlagen,
Ohn' unvermerkt im Takt darnach den Schritt zu tragen.
O hoͤrteſt du auch ſo die Sternentrommel nur,
Wonach das lichte Heer dort aufzieht im Azur.
Gib Acht! du kannſt den Ton vernehmen allerwegen
In dir, um jeden Tritt harmoniſch mit zu regen.
102.
Solang du jung biſt, mag es dir villeicht behagen,
Um eines Hauptes Laͤng' ob andern aufzuragen.
Doch wenn du aͤlter wirſt, dein Auge bloͤd' und ſchwach,
Erſcheint der Vorzug dir villeicht als Ungemach.
Denn nicht den Sternen wirſt du darum naͤher gehn,
Doch minder deutlich wol am Weg die Graͤſer ſehn.
Dann um ſo tiefer wird dein Haupt ſich auf die Bruſt
Abſenken, um zu ſehn der Erde gruͤne Luſt;
Wie jeder Greis es ſenkt, um noch einmal zu gruͤßen
Die Blumen, die nun bald das Grab ihm huͤten muͤßen.
103.
Laß uns beſonnen ſeyn! Wir waren unbeſonnen,
Daruͤber iſt die Friſt des Lebens faſt verronnen.
Bedenken wir es recht! wir ſannen Eitlem nach,
Das gab dem kranken Sinn kein Heil, das ihm gebrach.
Laß uns beſcheiden ſeyn! Wir waren unbeſcheiden,
Und wollten neben uns nicht gleichen Anſpruch leiden.
Bedenken wir es recht, beſcheiden uns damit,
Daß ſelber neben ſich manch beſſerer uns litt.
Laß uns zufrieden ſeyn! Wir waren unzufrieden,
Daß uns nicht mehr, als wir verdienten, war beſchieden.
Bedenken wir es recht! Man raͤumt noch mehr uns ein,
Als uns gebuͤhrt, und gnug, zufrieden auch zu ſeyn.
104.
Aus Kalila wa Dimna.
Iſt dir ein Freund verſtimmt, ſo ſieh aus welchem Grunde;
Und findeſt du den Grund, ſo iſts zur guten Stunde.
Du braucheſt nur den Grund hinwegzuraͤumen eben,
Und die Verſtimmung wird von ſelbſt ſich wieder heben.
Doch wenn du keinen Grund im Stand zu finden biſt,
Das eben iſt ein Grund, der nicht zu heben iſt.
105.
In langem Umgang kann vermeiden ganz kein Mann,
Zu kraͤnken und gekraͤnkt zu werden dann und wann.
Wer aber weiſ' iſt, ſucht des Freunds Entſchuldigung
In ſich, und wer da ſucht, der findet bald genung,
Sieht, ob er kann verzeihn mit Ehren und Gewiſſen,
Und will um Eitelkeit ein Menſchenherz nicht miſſen.
106.
Eh du ein Werk beginnſt, ſieh zu, ob auch die Krone,
Die es verheißt, der Muͤh, die es erfordert, lohne.
Biſt du erſt mitten drinn, und nimmſt es dann zu Sinn,
Zu ſpaͤt, was du auch thuſt, iſt dann nur Ungewinn.
Denn wenn du abſtehſt, haſt du dich umſonſt geplagt;
Und ſetzeſt du es fort, ſo iſt noch mehr gewagt.
107.
Wohl wuͤrde ſich ein Mann in ſeine Lage finden,
Wenn den Begriff von ſich er nie ſich ließ' entſchwinden.
Darum zufrieden iſt er nie mit ſeiner Lage,
Weil er ſich anders fuͤhlt an jedem andern Tage.
108.
Wol lebt des Mannes Geiſt im großen Allgemeinen,
Doch leben will auch ſein Gemuͤt im eignen Kleinen.
Wol will er fuͤr die Welt des Schoͤn' und Guten warten,
Doch es auch bluͤhen ſehn in ſeinem Haus und Garten.
109.
Von allem was ein Mann an Gut der Welt gewann,
Hat er nur ſoviel ſelbſt, als er genießen kann.
Das andre hat er nicht, das er nur wird verſchließen;
Doch wem ers gibt, mit dem wird er auch das genießen.
110.
Was dir mislang, wirf weg, wenn du ein Meiſter biſt;
Und wenn dich's reut, ſo laß es gut ſeyn wie es iſt.
Nur muͤh dich nicht umſonſt es beſſernd umzuſchaffen;
Denn waͤhrend hier du fugſt, wird es dort wieder klaffen.
111.
Solang haſt du geſaͤumt an manchem guten Tage
Das Werk zu thun, und nun fuͤhrſt du am ſchlechten Klage.
Solange gab dir Friſt der Himmel es zu thun,
Da haſt du ruhn gewollt, nun heut heißt er dich ruhn.
112.
Wenn dein Gemuͤt iſt friſch vom Thau der Nacht befeuchtet,
Und deine Seele klar vom Morgenglanz durchleuchtet;
So ſchwinge mit Vertraun in Andacht dich empor,
Und trage dein Gebet dem Herrn der Schoͤpfung vor!
Ein Vaterauge ſchaut, es hoͤrt ein Vaterohr;
Ihm trage dein Gebet mit aller Schoͤpfung vor!
Zum Himmel aufwerts blickt und ruft der Weſen Chor;
Nun trage dein Gebet mit Blick und Worten vor!
Den Wuͤnſchen aufgethan iſt der Erhoͤrung Thor;
O trage dein Gebet in frommen Wuͤnſchen vor!
113.
Wer mit Erholung recht weiß Arbeit auszugleichen,
Mag ohn' Ermuͤdung wol ein ſchoͤnes Ziel erreichen.
Ein Thor iſt, wer, anſtatt Erholung ſeiner Kraͤfte
Zu ſuchen, ſelber macht Erholung zum Geſchaͤfte.
Ein Weiſer iſt, wer Scherz und Ernſt zu ſondern weiß,
Und ſich an heiterm Spiel neu ſtaͤrkt zu ſtrengem Fleiß.
Noch weiſer doch iſt, wer ſich ſolch ein Spielwerk macht,
Wodurch ſein Tagewerk ſelbſt weiter wird gebracht.
Der erſte kann zu nichts, der andre weit es bringen,
Doch nur dem dritten wird Vorzuͤgliches gelingen.
114.
Bedenke, wenn du gehſt, daß nichts von dir hier bleibt,
Als was ein Wort, ein Werk von dir in Herzen ſchreibt.
Bedenke, wenn du gehſt, daß du nichts nimmſt von hier,
Als was von dort war und nach dort geſtrebt in dir.
O Heil dir, wenn du gehſt und beides dies empfindeſt,
Daß du hier bleibeſt und dich druͤben wieder findeſt.
XIV.
1.
Als das Kamel von Gott ſich Hoͤrner wollt' erbitten,
Wurden ihm noch dazu die Ohren abgeſchnitten;
Wie ſeines eignen Schmucks Beraubung mancher litt,
Weil ungenuͤgſam er um fremden Vorzug ſtritt.
Sieh deines Thieres Kopf, o Treiber des Kamehles!
Beim Ohre das ihm fehlt, gedenke deines Fehles!
2.
Du ruhſt, mit deiner Luſt am Stande der Natur,
Doch nicht auf dieſem Stand, doch auf dem Staate nur.
Du wuͤrdeſt, einſam wie du biſt, mit allen Liſten,
Mit allen Kraͤften, nicht dein nacktes Daſeyn friſten.
Dich in Gedanken gar des Himmels zu ergehn,
Das wuͤrd' im ew'gen Furcht- und Nothſtand dir vergehn.
Drum danke Gott, daß ſo die Welt iſt eingerichtet,
Daß ſie zu Gute kommt auch dem der drauf verzichtet;
Daß der Beduͤrfniſſe Verband nur laͤßt entſprießen
Beduͤrfnisloſigkeit und goͤttliches Genießen.
3.
Die Eigenheit, die dir am fremden oft gereicht
Zum Aergerniſſe, freut am Freunde dich villeicht.
Drum ſuche Freunde nur aus Fremden zu gewinnen,
Damit die Aergerniſſ' in Freuden dir zerrinnen.
4.
Wer unbedingt dich lobt, der lobt dich wirklich nicht,
Weil, wo Begraͤnzung fehlt, auch der Gehalt gebricht.
Der lobt dich, wer bedingt dich lobt im Gegenſatz,
Anweiſend unter viel Gelobten deinen Platz.
5.
Entweder uͤberſtreng an andern magſt du ſchelten
Den Flecken, um dadurch nur ſelber rein zu gelten;
Oder entſchuldigen zu nachſichtvoll die Schwaͤchen
Der andern, daß ſie nur dir ſelbſt den Stab nicht brechen:
Du haſt in jedem Fall zum Fehler dich bekannt,
Dort weil du ihn zu groß, hier weil zu klein genannt.
Magſt du ihn ſchweigend dort ableugnen, hier einraͤumen,
In jedem Fall wirſt du zu beſſern ihn verſaͤumen.
6.
Aufs Ungluͤck ſei gefaßt, denn morgen kann es kommen,
Gefaßt wie auf den Gaſt, der ſeyn will aufgenommen.
Doch wie es kommen kann, ſo kanns auch außenbleiben,
Und niemal ſollſt du ſelbſt dein Ungemach betreiben.
Sei nur darauf gefaßt, nie ſei darum beklommen,
Mag nun der leid'ge Gaſt ausbleiben oder kommen.
7.
Aus dem Talmud.
1.
Des Menſchen Sprecher ſind ſein Beutel und ſein Becher;
Der ſpricht: mild oder karg, der: nuͤchtern oder Zecher.
Der kleine Becher zeugt von großer Maͤßigkeit,
Der enge Beutel ſagt: das Sparen geht zu weit.
2.
Sieh, welchen Weg du gehſt! Zwei Wege ſtehn dir offen;
Im guten kannſt du auf des Himmels Beiſtand hoffen.
Im Boͤſen ſtellt er dir kein Hindernis entgegen,
Doch fragt von Zeit zu Zeit: Gehſt du auf guten Wegen?
3.
Von Gott kommt alles dir, Menſch, nur die Liebe nicht,
Die aus dir ſelber kommt und ſucht ſein Angeſicht.
4.
Wer ſeinen Freund beſchaͤmt, hat Menſchenblut vergoſſen,
Das Blut, das ſein Geſicht ſchamroͤthend uͤberfloſſen.
5.
Wer das fuͤr andere von Gott erfleht, was er
Selbſt noͤthig hat, dem gibt Gott ſelber es vorher.
6.
Was du verſprichſt, das halt! Gebrochenes Verſprechen
Iſt kein gethan's, doch ein geſprochenes Verbrechen.
7.
Der Reiſevorrath iſt gering und weit die Reiſe;
Sprach, als er ſich zum Tod bereitete, der Weiſe,
Und fand, daß Alles was er hier geſtrebt im Leben,
Ihm wenig Foͤrderung fuͤr Jenſeits konnte geben.
8.
Der erſt auf vieren gieng, bis er gelernt auf zweien
Zu gehn, und gieng darauf, bis gehn er mußt' auf dreien.
Dem alten Raͤthſel fuͤg' ich dieſes bei: die zwei
Gehn beſſer als die vier, viel beſſer als die drei.
9.
Wo leer zur Eſſenszeit im Hauſe ſind die Toͤpfe,
Die werfen Mann und Frau einander an die Koͤpfe.
Zum Vorwurf macht ſie Mann der Frau, und Frau dem Mann;
Mit Hader ſind gefuͤllt die leeren Toͤpfe dann.
10.
Drei Menſchen auf einmal verdirbt Verlaͤumdungs-Gift!
Den der ſie ſpricht, den der ſie hoͤrt, den ſo ſie trifft.
11.
Auf gleicher Stufe wer nicht freien kann, frei' immer
Um eine tiefer nur, um eine hoͤher nimmer.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 10
12.
Was du hier Gutes thuſt, das iſt dort angelegt
Als Kapital, das hier dir nur die Zinſen traͤgt.
Und ſollt' es Zinſen dir in einer Zeit nicht tragen,
So werden ſie dir nur zum Kapital geſchlagen.
13.
Wenn du dem Boͤſen Raſt einmal gegeben haſt,
Am Ende wirft den Wirth zum Haus hinaus der Gaſt.
14.
Das Feuer brennt nicht hell an einem Scheit allein;
Lerneifer zuͤndet erſt ſich an durch Lernverein.
Jemehr das Kaͤlbchen ſaugt, jemehr das Euter quillt;
Je groͤßre Lernbegier, je lieber man ſie ſtillt.
Vom Lehrer fieng ich an, vom Mitgelehrten fuhr
Ich fort zu lernen, aus lernt' ich vom Lehrling nur.
15.
Einſt ſprach ein harter Mann, von Widerwaͤrtigkeiten
Gehaͤrtet, dieſen Spruch von zehen Haͤrtigkeiten:
Hart iſt der Berg, doch wird das Eiſen ihn durchſchneiden;
Hart iſt das Eiſen, doch das Feuer wird's geſchmeiden.
Hart iſt das Feur, doch wird es Waſſer niederſchlagen;
Hart iſt das Waſſer, doch die Wolke wird es tragen.
Hart iſt die Wolke, doch der Wind wird ſie zerſtreuen;
Hart iſt der Wind, doch wird der Koͤrper ihn nicht ſcheuen.
Hart iſt der Koͤrper, doch wird Kummer ihn zertruͤmmern;
Hart iſt der Kummer, doch der Wein wird ihn entkuͤmmern.
Hart iſt der Wein, es wird ihn doch der Schlaf begraben;
O harter Schlaf, den wir hier auszuſchlafen haben!
10*
16.
Zu großes Lob gereicht wol oft zu groͤßtem Tadel,
Wie jenem Knecht, an dem man ruͤhmte Wuͤrd' und Adel.
Ich haͤtt' ihn, ſprach der Herr, in meinen Dienſt genommen,
Allein zu einem Knecht iſt er mir zu vollkommen.
17.
Ein Reiſender iſt ſtets vor Raͤubern in Gefahr,
Leicht unter ſich in Streit von Reiſenden ein Paar.
Ein Kleeblatt Reiſender hat Gluͤck auf jedem Schritte;
Wo uneins zweie ſind, den Ausſchlag gibt der dritte.
18.
Auf alle Muͤnzen, die in ſeinem Lande ſchlaͤgt
Ein Fuͤrſt, iſt immer nur das gleiche Bild gepraͤgt.
Dagegen Gottes Kunſt iſt viel erfindungsreicher,
Verſchieden alle praͤgt ſein Stempel aus ſein gleicher.
Du nimmſt die Muͤnze, wie der Fuͤrſt ſie hat gepraͤgt;
Nimm auch den Menſchen an, der Gottes Bildnis traͤgt!
Du nimmſt die Muͤnze noch, wenn ihr Gepraͤg erliſcht;
Nimm auch den Menſchen, wenn das Bild iſt halb verwiſcht!
19.
Zu einem Manne, dem ſein Kind geſtorben war,
An dem mit Troſt umſonſt ſich muͤhte Freundeſchaar,
Sprach einer ſo zuletzt: Ein Koͤnig hatte, laut
Glaubwuͤrd'ger Kunde, zur Verwahrung anvertraut
Ein Kleinod einem Mann, und ihm fuͤr alle Stunden
Aufmerkſamkeit darauf die ſtrengſte eingebunden;
Daß es verdorben ihm nicht werde noch beſchaͤdigt,
Bis der Verantwortung die Ruͤckgab' ihn erledigt.
Da hatte vor Verluſt, vor Schaden und Gefahren
Er Sorgen Tag und Nacht das Kleinod zu bewahren.
Und als der Eigner kam, und fordert' es zuruͤck,
Gab er mit Freuden es und hielt es fuͤr ein Gluͤck.
So biſt geweſen du auch eines Kindes Huͤter,
Des theuerſten von Gott uns anvertrauter Guͤter.
Und daß du unverſehrt das Gut nun gabſt zuruͤck,
Halt es fuͤr Ungluͤck nicht, haͤltſt du's auch nicht fuͤr Gluͤck.
20.
Nachrede boͤſe mag leicht Freundesbund vergiften,
Zurede gute ſchwer Feindesverſoͤhnung ſtiften.
Dort brauchſt du einem nur vom andern zuzutragen,
Was er, wenn nicht geſagt, doch haͤtte koͤnnen ſagen.
Hier wechſelweiſe mußt du jeden jedem zeigen
Geneigt zum Frieden, um zum Frieden ihn zu neigen.
So haͤufig jen's und leicht, ſo ſchwer iſt dies und ſelten,
Doch auch verdienſtlicher iſt nichts in beiden Welten.
21.
Enterbe keinen Sohn, weil er gerathen minder;
Gerathen ſiehſt du doch von ihm villeicht die Kinder.
22.
Warum hat Gott gemacht ſo ungleich arm und reich?
Daß Gab' und Dank erſt recht ſie mach' einander gleich.
23.
Wie nur im eignen Hof ein Hund zu bellen wagt,
So in der Fremde ſchweigt ein trotz'ger Mann verzagt.
Macht es zu Haus dich ſtolz, daß man dich ehrend nennt;
Geh in die Fremde nur, und ſieh wer dort dich kennt!
24.
Die Jugend lernet leicht, und ſchwer das Alter, beten;
Mit Waſſer heiß, nicht kalt, iſt gut der Teig zu kneten.
25.
Wer nur fuͤr andre weiß, dem nuͤtzet nicht ſein Fleiß,
Und nicht den andern nuͤtzt, wer fuͤr ſich ſelbſt nur weiß.
Drum ſei du beides fein zu gleicher Zeit befliſſen,
Fuͤr dich zu wiſſen und zu theilen mit dein Wiſſen.
26.
Leicht iſt ſpaͤt ſchlafen gehn, und ſchwer iſt fruͤh aufſtehn;
Das kann nach Luſt, dies nach Gewoͤhnung nur geſchehn.
27.
Den Silberbecher nahm der Dieb aus einer Zelle,
Doch einen goldenen ſtellt' er an deſſen Stelle.
So kehrt das Schickſal ein und raubet dir ein Gluͤck,
Und laͤßt ein groͤßeres, Ergebung, dir zuruͤck.
Der Silberbecher hat ins Auge Luſt gefunkelt,
Vom goldnen aber wird der Sonne Glanz verdunkelt.
28.
Es war ein reicher Mann, der in der Wuͤſte Mitten
Ein Labehaus gebaut fuͤr die des Weges ſchritten.
Und ein Verwalter war von ihm darein geſetzt,
Der jeden Durſtigen mit friſchem Trunke letzt.
Und von den Wanderern die meiſten dankbar prieſen
Den Schenker, nicht den Herrn, ders eingeſchenkt durch dieſen.
Kaum einer dachte, was er jenem ſchuldig ſei,
Und dacht' ers, ſo vergaß er dieſen dann dabei.
Die ſchlimmſten waren doch, die ihren Trunk empfiengen,
Und ohne Dank fuͤr den und jenen weiter giengen.
Doch nicht der Reiche noch ſein Gutsverwalter ließen
Dankloſe Durſtige zu laben ſich verdrießen.
Wer iſt der reiche Mann? dort Gott der ewige,
Und ſein Verwalter hier jeder Freigebige.
8.
„Nicht aͤndern kannſt du es, ergib dich in Geduld!“
So ehrſt du Gottes Macht, nicht ehrſt du ſeine Huld.
Sprich ob du dich, wenn du es koͤnnteſt aͤndern eben,
Ergeben wuͤrdeſt auch? das waͤr' ein recht Ergeben.
Doch nun iſt halb das Wort um ſeinen Sinn gekommen;
Denn halb nur gabeſt du, halb ward es dir genommen.
9.
Oft durch ein Ungluͤck wird ein großes Gluͤck zu Theil,
Allein das Ungluͤck ſelbſt wird durch das Gluͤck nicht heil.
Wie jenes Bauern Kuh das Bein beim Ackern brach
In einem Loch, darin er fand den Schatz hernach.
Da ſprach die Kuh im Loch: An iſt fuͤr dich gebrochen
Der Tag des Gluͤckes, doch mein Bein hab' ich gebrochen.
10.
Wer hier ein Uebel thut, der thut es ſich allein,
Denn fuͤr das Ganze kann es nur ein Gutes ſeyn.
Und nicht fuͤrs Ganze nur iſt es nothwendig gut,
Fuͤr den auch dem's geſchieht, nur nicht fuͤr den der's thut.
11.
Wenn dich ein Uebel trifft, ſo denk: es iſt ein kleines,
Das Opfer das du bringſt fuͤr Großes Allgemeines.
Denn ſo gewoben iſt der Welt Zuſammenhang,
Geordnet ſo des Tongewirrs Zuſammenklang.
Die Webe waͤchſt nur, wo der Faden wird geſchlagen;
Der volle Wollaut ſchwillt, wo einzle Floͤten klagen.
Heil, wenn ein Faden nur, ein Floͤtenton du biſt
Im großen Harmoniegeweb das ewig iſt.
12.
Die Seele haͤtte nicht des Leibs bedurft, ſie haͤtte
Zufrieden koͤnnen ſeyn mit freier Aetherſtaͤtte.
Allein der Seele hat bedurft der Leib zu leben;
Wie ohne Seele konnt' er ſich vom Staub erheben?
Weil nun der Leib, beſeelt von einer Seel', iſt ſchoͤn,
Dank ſei der Seele, die herabkam von den Hoͤhn!
Und moͤg' ein Weilchen hier zu wohnen ihr gefallen,
Bis lieber koͤrperlos ſie will im Aether wallen.
13.
Das Menſchlichſte an uns, das Sprechen und das Denken,
Laß es entſchloſſen uns ins Goͤttliche verſenken.
Die Seel' hat nicht zuvor geſprochen und gedacht,
Eh dies Beduͤrfnis ihr die Leiblichkeit gebracht.
Und mit der Leiblichkeit wird ſie entgehn den Schranken
Verworrner Worte und verworrnerer Gedanken.
Sie wird die Weſenheit der Ding' in Gott erkennen,
Nicht mit zweideutigen Bezeichnungen benennen.
Das Denken bleibt ihr, das das Ganze ganz erkennt,
Nicht das Geſtuͤckte, das zuſammenſetzt und trennt.
Schon jeden Augenblick, wo du dich hier verſenkeſt
Ins Hoͤchſte, fuͤhlſt du daß du hoͤh'res thuſt als denkeſt.
14.
Ein Regen fiel die Nacht, doch war er nicht einweichend,
Fuͤr der verlechzten Flur Beduͤrfnis unzureichend.
Des Waſſers waͤre gnug geweſen, wenn gefloſſen
Es waͤre dahin nur, wo etwas ſollte ſproſſen.
Allein es floß ſogut auf Stein und Straßenſtaub,
Auf Zaun und Mauer, als auf Garten, Gras und Laub.
Und, wenn ohn' Unterſchied der Himmel alſo ſegnen
Eins wie das andre will, muß er noch einmal regnen.
15.
Wer Seele mehr nicht hat, als braucht zum eignen Leben
Sein Leib, der wird davon nach außen keine geben.
Wer aber Ueberfluß und mehr hat als er braucht,
Der iſts, der Seele wie die Roſe Duft verhaucht.
Drum ſeeleſpendender als ſtarke ſind die ſchwachen
An Leib, die Seligen, die frei vom Leib ſich machen.
16.
Die Sonne ſelber ſiehſt du nur durch Sonnenlicht,
So ſchauſt du Gott durch Gott, durch andres Mittel nicht.
Die Sonne, die das Licht die Welt zu ſehn, dir ſpendet,
Siehſt du ihr Angeſicht, biſt du davon geblendet.
Und ſo im Menſchengeiſt erliſcht was in ihm denkt,
Wenn er ſein Denken dreiſt im hoͤchſten Geiſt verſenkt.
Mußt du die Sonne ſehn? ſieh Fluren ſonnerhellt;
Und willſt du Gott ſehn, ſieh die gotterfuͤllte Welt.
Der Sonne echte Kraft ſiehſt du im Schmelz der Flur,
Und Gott, den du nicht ſiehſt, in ſeinen Werken nur.
17.
Du fuͤhleſt, daß du haſt auf Erden keine Raſt,
Wo nichts in Ruhe bleibt, ſich alles treibt in Haſt;
Wo nichts in Ruhe bleibt, in Haſt ſich alles treibt;
Wer iſt, der hier ein Heil dem kranken Trieb verſchreibt?
Ein Heil, dem Heilung dankt das Herz, wenn es erkrankt
Vom Schwanken dieſer Welt, und mit ihr ſchwankt und wankt?
Ein Heil, das Unruh heilt, und das die Ruh ertheilt,
Die in ſich ſelber ruht, wo alles, alles eilt!
Die Ruhe ſucheſt du! wo findeſt du die Ruh?
Wenn du dem Sturm dich ab, dich jenem kehreſt zu,
Von deſſen Hauch bewegt, der Sturm iſt angeregt
Des Lebensmeeres, das ſich nur im Hafen legt;
Der Steuer auch und Maſt, und Hafen iſt und Raſt;
Die Ruhe haſt du, wo du ihn gefunden haſt.
Wie dich der Wirbel traͤgt, wohin er dich verſchlaͤgt,
Du fuͤhleſt ruhig dich im Gleichgewicht gewaͤgt.
Du ſiehſt in jedem Ding, ob wichtig ob gering,
Nur das wodurch auch es iſt von der Kett' ein Ring.
Dann ſiehſt du kleines groß, und ſtolzes nackt und bloß,
Und alle Kinder gleich im Einen Mutterſchoß.
Willſt du im Einen ſeyn, kehr in dir Einem ein;
Das Ein und All iſt wo allein du biſt allein.
Das wirrt nur und zerſtreut, was Zeit und Raum dir beut;
Nur das erfreut, was ſich als ew'ges Heut erneut.
18.
O ew'ger Mittelpunkt des Seyns und der Gedanken,
Um den ſie kreiſen, und ihm koͤnnen nicht entwanken!
Anweiſen wollen ſie dir einen Raum und Ort,
Doch du biſt dort und hie, und biſt nicht hie noch dort.
Du biſt der Punkt, aus dem ſich Kreis auf Kreis ergießt,
Du biſt der Punkt, der in ſich alle Kreiſe ſchließt.
Was iſt der Kreis? ein Punkt der aus ſich ſelber trat.
Was iſt der Punkt? ein Kreis der keinen Umfang hat.
Darum biſt du der Punkt, denn du biſt umfanglos,
Und biſt der Kreis, denn du umfaͤngeſt Klein und Groß.
Du biſt der Punkt im All, und biſt der Punkt in allen,
Der Lebenspunkt, der Licht- und Schwerpunkt unſerm Wallen.
Du biſt in allen und die alle ſind in dir,
In allen fuͤhl' ich dich, dich fuͤhl' ich auch in mir.
Laß meinen Lebenspunkt nicht ſtocken, nicht erkranken
Der Seele Lichtpunkt, noch des Herzens Schwerpunkt wanken!
19.
Je Hoͤheres du aus vom Hoͤchſten ſagen magſt,
Je tiefer fuͤhlſt du daß du nichts im Grunde ſagſt.
Magſt du's mit reichſtem Schmuck der Fantaſie umkleiden,
Mit feinſter Sondrung auch vom Irdiſchen ausſcheiden;
Dort machſt du Geiſtiges zu leiblicher Erſcheinung,
Und hier das vollſte Ja zur leereſten Verneinung.
Was anders alſo kannſt du thun als dich bequemen,
Jetzt dies zu ſetzen und es dann zuruͤckzunehmen?
Was alles du von ihm magſt ſagen, daß es ſei,
Es iſt nicht was du ſagſt, doch was du fuͤhlſt dabei.
20.
Solang du lebend biſt, komm halte dich ans Leben,
Und laß die Todten ſich ab mit den Todten geben.
Wieviele ſtarben, doch des Lebens bleibt genug;
Wie einer abtritt, folgt ein andrer Maſkenzug.
Und tritſt du ſelber ab, ſo thu's mit Luſt, zufrieden,
Daß du gelebt und nicht mehr leben mußt hienieden.
21.
Die Tage nach dem Tag, wo du gepflanzt den Baum,
An dem du bluͤhen ſiehſt der Zukunft goldnen Traum,
Die Tage wuͤnſcheſt du, daß ſie gefluͤgelt ſeien,
Um nur mit einemmal zu ſehn des Baums Gedeihen.
Doch geben kann dein Wunſch den Tagen keine Fluͤgel;
Die ſtarke Hand der Zeit fuͤhrt ſie am feſten Zuͤgel.
Und deſto langſamer ſiehſt du dahin ſie ſchreiten,
Je ungeduldiger du wuͤnſcheſt ihr Entgleiten.
O wuͤnſche nichts vorbei, und wuͤnſche nichts zuruͤck!
Nur ruhiges Gefuͤhl der Gegenwart iſt Gluͤck.
Die Zukunft kommt von ſelbſt, beeile nicht die Fahrt!
Sogleich Vergangenheit iſt jede Gegenwart.
Du aber pflanz' ein Kraut an jedem Tag im Garten,
So kannſt du jeden Tag auch eine Bluͤt' erwarten.
22.
Den Leib, haͤtt' ich den Leib geliebt, mich macht' es grauen,
Den von der Seele nun verlaſſnen Leib zu ſchauen.
Die Seele liebten wir, doch weil im Leib wir blieben,
So konnten wir auch nur geleibte Seelen lieben.
Geliebte Seelen, die ihr eurem Leib entſchwebtet,
Ihr lebt mir, doch ihr lebt mir anders als ihr lebtet.
Daß ich euch lieben koͤnn', o kommt mich zu umwalten,
Ihr koͤnnt's, in lieblichen und leiblichen Geſtalten.
Laßt mich vergeſſen, daß ich je ſah Todtenzuͤge!
Des Lebens Schein iſt wahr, der Tod iſt eine Luͤge.
Was anders kann der Tod als gleich der Luͤg' erblaſſen,
Weil von der Wahrheit er, vom Leben, iſt verlaſſen!
23.
Woher du kameſt nicht, und nicht wohin du gehſt,
Die Stelle kennſt du nur zur Noth, wo nun du ſtehſt.
So kennſt du von der Welt, vom allgemeinen Leben,
Auch End' und Anfang nicht, nur kaum der Mitte Schweben.
Sie geht nach einem Ziel, doch ſcheint es zu entweichen,
Du gehſt nach einem auch, doch wirſt du's nie erreichen.
Je hoͤher auf du klimmſt, je hoͤher ſteigt die Leiter;
Je weiter ſpielt die Zeit, dehnt ſich der Spielraum weiter.
So bleibt dir und der Welt ſtatt alles Zielerringens
In jedem Nu nur dies Gefuͤhl des Vorwertsdringens.
Schad' auch um euch, wenn ihr das Ende je gewoͤnnet,
Ihr endlichen, die ihr kein Ende denken koͤnnet!
24.
O ſage wo du biſt, wo du nicht biſt o ſage!
Du uͤberall in Nacht, und uͤberall zu Tage.
Die Wahrheit du allein, und alles andre Schein,
Und aller Schein was koͤnnt' er außer Wahrheit ſeyn?
Die liebend ſuchen dich, ſind nicht zu dir gekommen;
Und die dich fliehen, ſind nicht deiner Lieb' entnommen.
Die fern ſich fuͤhlen dir, ſind drum dir nicht entriſſen;
Doch ſelig ſind allein, die ſich dir nahe wiſſen.
25.
Du ſiehſt, Unſichtbarer, du hoͤreſt, Unvernommner!
Sehn, hoͤren wird durch dich vollkommen, Allvollkommner.
Du Unvergaͤnglichkeit, Vergaͤnglichem inwohnend,
Und Uranfaͤnglichkeit, hoch uͤberm Wechſel thronend.
Der Seelen Seele du, Gedanke der Gedanken,
Umfaßt von keines Raums und keines Denkens Schranken.
Dir geht die Wiſſenſchaft vorbei auf dunklen Bahnen,
Und um dein Urlicht ſchwebt der Andacht ſel'ges Ahnen.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 11
26.
Gott gebe dir an dir ein ſtilles Wohlgefallen,
Ein innig freudiges in ſeiner Gnade Wallen.
Ein heiliges Gefuͤhl, daß du ihm angehoͤreſt,
Und ſeine Ordnungen die ewigen nicht ſtoͤreſt.
Ein hebendes Gefuͤhl, daß du auf rechten Wegen
Mit rechten Kraͤften ſtrebſt dem rechten Ziel entgegen.
Nicht Selbgefaͤlligkeit, ſich andern uͤberhebend,
Nicht Ungeſelligkeit, in enger Dumpfheit ſtrebend.
Doch Selbgenuͤgſamkeit in deiner eignen Weiſe,
Und Seelenfuͤgſamkeit in deinem Schickſalskreiſe.
Und Selbzufriedenheit, mit aller Welt in Frieden,
Weltabgeſchiedenheit, von Gott nur ungeſchieden.
27.
O ew'ger Lebenshauch, durch den der Baum der Zeiten
Treibt Bluͤten, Fruͤchte traͤgt und falbes Laub laͤßt gleiten.
Was ſtockt und was ſich regt, regt ſich und ſtockt in dir;
Und jedes Herz das ſchlaͤgt, ſchlaͤgt und frolockt in dir.
Du hebſt den Menſchengeiſt in deiner Lieb' empor,
Er fuͤhlet ſich in dir, und kommt ſo groß ſich vor.
Dann fuͤhlt er ſich ſo klein vor deiner Groͤße wieder,
Und tiefe Demut beugt den kuͤhnen Stolz danieder.
Du aber oͤffneſt dem gebeugten deinen Schoß,
Erhebſt ihn wieder, und der kleine gilt dir groß.
Du kehreſt in ihm ein mit dem Gefuͤhl der Huld,
Sein Sehnen ſtilleſt du und ſuͤhneſt ſeine Schuld.
Mit Zittern ſieht er dich als Herren, der ihn ſchuf,
Und mit Vertrauen hoͤrt er deinen Vaterruf.
11*
28.
Du ſagſt, es iſt die Welt geartet zum Entarten,
Und weiter ſtets von Gott abfuͤhren ihre Fahrten.
Ich aber ſage dir: Sie iſt alswie ſie war,
Dieſelbige, wie Gott derſelb' iſt immerdar.
Von wannen kommt ſie denn? Von Gott. Wo geht ſie hin?
Zu Gott zuruͤck. So ſchwebt in Gott ſie mittenin.
Und ferner, naͤher, iſt ſie ihm auf keinem Schritte,
Der wie am Anfang und am End' iſt in der Mitte.
Du ſagſt: des Goͤttlichen, das ſie zuerſt empfangen,
Iſt im Verlauf der Zeit ihr mehr und mehr entgangen.
Verlodert iſt der Geiſt, gleich Duͤften die zerſtieben,
Und immer todter iſt der Stoff zuruͤckgeblieben.
Ich aber ſage dir: Kein Seelenduͤftchen gieng
Ihr aus, dafuͤr ſie nicht ein anderes empfieng.
Der Othem Gottes wirkt nicht nur der Blum' Entfaltung,
Ihre Erhaltung auch und ew'ge Umgeſtaltung.
Schoͤn wie des Morgens glaͤnzt des Abends Roſenbucht,
Schoͤn iſt wie Fruͤhlingskranz des Herbſtes reife Wucht.
Mag Morgenfriſche dort im Mittagsbrand ermatten,
Herbſtdaͤmmerung ſich hier in Winternacht verſchatten;
Von neuem immer friſch, von neuem immer klar,
Iſt Gottes großer Tag, das ew'ge Weltenjahr.
Obs wintern, ſommern mag, ob tagen oder nachten,
Laß uns im Fluß der Zeit die Ewigkeit betrachten!
29.
Was iſt der Raum? die dir vom Sinn geſetzten Schranken.
Was iſt die Zeit? der Fluß der Ding' und der Gedanken.
Allgegenwart des Orts, Allgegenwart der Zeit!
Wo ruht von hier und dort, von jetzt und einſt der Streit?
In Gott, wo alles ruht, wo einſt die Zeit geruht,
Eh in des Raumes Bett hervorbrach ihre Flut.
Und wo in Gott dich ſenkt Entzuͤckung oder Traum,
Da ſteht dir ſtill die Zeit, und gibt dich frei der Raum.
30.
Sowahr als aus dem Eins die Zahlenreihe fließt,
Sowahr aus einem Keim des Baumes Krone ſprießt;
Sowahr erkenneſt du, daß der iſt einzig Einer,
Aus welchem alles iſt, und gleich ihm ewig keiner.
Doch fuͤhlt der Menſch ſoweit vom Urſprung ſich getrennt,
Daß Mittelſtufen er nothwendig anerkennt.
Ob er ſie Goͤtter mag, Kraͤft' oder Geiſter nennen,
Ihn binden ſollen ſie an Gott, von Gott nicht trennen.
Sie ſollen das Geweb vom Mittelpunkt ausbreiten,
Bis in ſein kleines Ich die Lebensfaͤden leiten.
Was alſo ſtreitet ihr um wechſelnde Betitlung
Von Heilsanſtalt und Amt der Suͤhnung und Vermittlung?
Ob hier der Schoͤpfer ſich verborgen im Erhalter,
Der Hausherr dort zuruͤck trat hinterm Hausverwalter?
Ihr moͤgt mit Froͤmmigkeit und glaͤubigem Vertraun
Sichtbares als ein Bild des Unſichtbaren ſchaun.
Doch ſtehts dem Geiſte frei, wenn er dazu hat Schwingen,
Ins Allerheiligſte unmittelbar zu dringen.
31.
Gott iſt das hoͤchſte Gut. Das ſagt der Sprache Wort,
Das ſagt auch die Vernunft ſich ſelber fort und fort.
Gott iſt das hoͤchſte Gut. Wenn Urſprung nun genommen
Von Gott die Welt, wo iſt ihr Boͤſes hergekommen?
Iſt Boͤſes nur ein Schein, und alles gut allein?
Das innerſte Gefuͤhl im Buſen ſagt dir Nein.
Was iſt das Boͤſe denn? Es iſt der innre Streit,
Die Doppelheit der Welt, die ſie mit Gott entzweit.
Wol iſt, was iſt, in Gott, ſonſt waͤr' es nicht vorhanden;
Doch iſts auch außer ihm, ſonſt waͤr' es nicht entſtanden.
Sofern in Gott es ruht, iſt alles Leben gut,
Und boͤſ' iſt alles, was es fuͤr ſich ſelber thut.
O komm, uns und die Welt zu machen frei vom Boͤſen,
Laß uns in Gottgefuͤhl den Sinn der Welt aufloͤſen!
32.
Nicht aͤrgern ſollſt du dich an Fratzen, die der Glaube
Geſchaffen hat, daß er die Macht der Schoͤnheit raube.
So ſchaffet Fratzen auch die ewige Natur;
Sieh du von ihnen weg, und auf ihr Schoͤnes nur!
Und Leben, Welt und Staat iſt reich an Fratzenbildern,
Daher die Pfuſcher auch am liebſten Fratzen ſchildern.
Nur vom Gebiet der Kunſt hinweg, ihr Fratzen, geht!
Der Kunſt, die uͤber Welt, Natur und Glauben ſteht.
So wenn ſie jetzt nicht ſteht, hat ſie doch einſt geſtanden;
Und bis ſie's wieder thut, ehr iſt ſie nicht vorhanden.
33.
Der ſtiehlt dir, was er leicht von dir geſchenkt bekaͤme;
Es macht' ihm minder Luſt, wenn er's nicht heimlich naͤhme.
Was willſt du ihm die Luſt, die dir nicht ſchadet, ſtoͤren?
Er iſt ſein eigner Thor und meinet dich zu thoͤren.
Dir ſtehlend, hat er nichts dir als den Dank geſtohlen;
Und auch beſchenkt, haͤtt' er ſich ohne Dank empfohlen.
34.
Du haſt, vom Gluͤck belehnt, ein ſchoͤnes Fleckchen Erde;
Genieß es recht, daß dirs ein Stuͤckchen Himmel werde.
Ich wuͤnſche dir nicht ganz ein ſorgenfreies Loß,
Nur gegen den Genuß die Sorge nicht zu groß.
Ein wenig Salz iſt gut, auch Pfeffer, am Gericht,
Nur uͤberſalzen ſei's und uͤberpfeffert nicht.
35.
Kein Irrthum hinter dem nicht eine Wahrheit ſteht,
Kein Schatten der nicht aus von einem Lichte geht.
Und wie der Schatten ſelbſt dich wird zum Lichte leiten,
So auf des Irrthums Spur magſt du zur Wahrheit ſchreiten.
36.
Was iſt es denn, das du begreifſt von Gott und Welt?
Nicht mehr als was und wie es in den Sinn dir faͤllt.
Was ihm gefaͤllt, das nimmt dein Sinn an ungeſtraͤubt;
Und gegen das, was ihm misfaͤllt, iſt er betaͤubt.
Die Weiſen moͤgen uns beweiſen was ſie wollen,
Erweiſen muß ſichs uns, wenn wir es glauben ſollen.
37.
Wer nicht, was im Verſtand ſich ewig widerſpricht,
Zugleich kann denken, denkt den Ew'gen ewig nicht.
Drum magſt du, ſtatt dir ſelbſt zum Schrecken oder Spott
Aus All und Eins und Nichts zu ſchaffen einen Gott,
Ihn lieber denken dir mit Mund und Angeſicht,
Wie er blaͤſt Odem ein und Schoͤpfungsworte ſpricht.
Dann aber mußt du ihm auch geben einen Ort,
Und die Unendlichkeit des Raumes raͤumen fort.
Die Erde mußt du feſt in ihre Mitte bannen,
Umher das Firmament, das goldbeſchlagne, ſpannen;
Daß dir die Sonn' am Tag beſcheine deinen Raum,
Und Mond und Stern bei Nacht beſcheine deinen Traum.
Wenn ſo dein Sinn zuruͤck ſich wiegt in ſel'ge Kindheit,
Wol moͤgen Schauende beneiden deine Blindheit.
38.
Sowahr in dir er iſt, der dieſe Welt erhaͤlt,
Sowahr auch iſt er in, nicht außerhalb der Welt.
Doch in ihm iſt die Welt, ſowahr in ihm du biſt,
Der nicht in dir noch Welt, nur in ſich ſelber iſt.
Solang du denken nicht die Widerſpruͤche kannſt,
O denke nicht, daß du durch Denken Gott gewannſt.
39.
Das ſagt dir dein Gefuͤhl, daß du kannſt ſuͤndigen;
Warum du's kannſt, wer kann dir das verkuͤndigen?
Die Weiſen ſagen dir: du kannſts, um frei zu ſeyn.
Doch warum raͤumte Gott dir dieſe Freiheit ein?
Weil dich, ſein Bild, er nicht zum Werkzeug wollt' erniedern.
Doch darauf kann ſogleich der ſchlichte Sinn erwiedern:
Ein Koͤnig goͤttlich gut, haͤtt' er dazu die Macht,
Die Seinen haͤtt' er frei und gut zugleich gemacht.
Da er nun nicht zugleich uns gab die beiden Gaben,
Wird der Allmaͤchtige dazu die Macht nicht haben.
Was iſts nun, das die Hand der Allmacht alſo band?
Da iſt der Menſchenwitz gekommen an den Rand.
Und uͤberall wird er zu ſolchem Rande kommen,
Wie er das Raͤthſel ſonſt zu loͤſen unternommen.
Darum zuruͤck in dich! du biſt durch Gottes Kraft
Ein Raͤthſel zwar, doch das iſt dir nicht raͤthſelhaft:
Daß du nicht ſuͤnd'gen mußt, wiewol du ſuͤnd'gen kannſt;
Daß du's nicht ſollſt, und dazu Gottes Kraft gewannſt.
40.
Wol aͤrgern dumpfen Sinn des Geiſtes Widerſpruͤche,
Dem feinern aber ſind ſie duft'ge Wohlgeruͤche.
Denn in der Endlichkeit thut nur durch Widerſpruch
Unendlichkeit ſich kund, wie Segen in dem Fluch.
Die hoͤchſten Dinge, die dein Denken nie kann denken,
Gerad' auf dieſe muß ſich ſtets dein Denken lenken.
Was du erkenneſt als unweſenhaften Schein,
Bekenneſt du zugleich als weſenhaft allein.
Und was als Wirklichkeit dir ſteht vor allen Sinnen,
Macht in Unwirkliches der hoͤchſte Sinn zerrinnen.
Nur wenn du ſo zugleich bejaheſt und verneineſt,
Fuͤhlſt du, daß im Gemuͤt du Gott und Welt vereineſt.
41.
Der ew'ge Dreiklang, der das irdiſche Getoͤſe
Mit leiſer Macht durchgreift, daß ers in Einklang loͤſe;
Der heil'ge Dreiklang, den du ewig mußt erkennen,
Wie immer du ihn magſt mit Wechſelnamen nennen;
Den: Gott, Gemuͤt und Welt, am einfachſten genannt,
Wer rein das Goͤttliche am menſchlichſten erkannt:
Die drei, die Eines ſind, und alſo ſich ergaͤnzen,
Daß ſie ſich gegenſeits erfuͤllen und begraͤnzen,
Durchdringen und beziehn, begruͤnden und erklaͤren,
Und ſelbſt nicht waͤren, wenn ſie nicht verbunden waͤren:
Komm laß uns, um in uns den Zwieſpalt zu verſoͤhnen,
Mit dem Dreieinklang ganz durchklingen und durchtoͤnen:
Die Welt und dein Gemuͤt, ſie wuͤrden ſich zerreiben,
Wenn nicht vermittelnd Gott ſie hieß' in Eintracht bleiben.
Gott aber und die Welt, ſie waͤren ganz geſchieden,
Wenn ſie nicht dein Gemuͤt geglichen aus in Frieden.
Doch Gott und dein Gemuͤt, ſie wuͤrden ſich vermiſchen
Im Innern, ſtaͤnde nicht die aͤußre Welt dazwiſchen;
Die Welt, die dem Gemuͤt Gott ſo verbirgt wie zeigt,
Durch die es ewig auf, er ewig nieder ſteigt.
42.
Vorm Menſchen, welchen kein Geſetz der Lieb' und Treue
Beherrſchet, habe mehr als vor dem Thiere Scheue!
Wenn auch dem Thiere fehlt Gemuͤt, Vernunft und Liebe,
Gehalten iſt es doch vom Bande ſeiner Triebe.
An dieſem halt es feſt, du darfſt dich drauf verlaſſen;
Den Menſchen aber kannſt du nirgend ſicher faſſen.
Der Liebe Widerſchein kannſt du ins Thier meintwegen,
Noch lieber in die fromm unſchuld'ge Pflanze legen.
Doch in den Menſchen, wo ſie ſelber ſollte ſeyn,
Kannſt du, wo ſie nicht iſt, ſie auch nicht legen ein.
43.
Laß uns im Augenblick ein Gottesbild aufrichten,
Um es im Augenblick im naͤchſten zu vernichten.
Denn jedes Bild iſt falſch, das bleiben will und dauern,
Und jedes wahr, das hin vorm Urbild ſinkt mit Schauern.
Dort ſeh' ich aufgethan den ew'gen Vaterſchoß,
Dem alles groͤſte klein und kleinſtes auch iſt groß.
Sieh, wie im Menſchengeiſt geordnete Gedanken,
So kreiſen Welten dort in ſelbſtgeſetzten Schranken.
Ein All Unzaͤhliger, von denen jed's ein All,
Ein Punkt im Ganzen iſt, in ſich ein Lebensball.
Die Alle, wie ſie rings in Rangordnungen ſchweben,
Entwickeln auch in ſich ein ranggeordnet Leben.
Da ringen uͤberall Rangordnungen des Lebens
In ungehemmtem Trieb des Immeraufwertsſtrebens.
Und wo Natur den Geiſt nun auf als Krone ſetzt,
Da kehrt das Einzelſte zuruͤck zum Ganzen jetzt.
Du ſuchſt, o Menſchengeiſt, wo auch dein Standpunkt iſt,
Den Mittelpunkt, von dem du nirgends ferne biſt.
Du fuͤhleſt ſelbſt dich klein, du fuͤhleſt ſelbſt dich groß,
Dich mit der ganzen Welt im ew'gen Vaterſchoß.
44.
Ob wirklich ſelber du ergreifſt die Gegenſtaͤnde,
Es ſei durch den Begriff, es ſei durch deine Haͤnde;
Ob ihren Eindruck nur, von ihnen einen Schein
In Haͤnden habeſt, ſcheint unwichtig mir zu ſeyn.
Du biſt, die Dinge ſind. Dir gnuͤge dies zu wiſſen,
Daß und was dir ſie ſind; das andre magſt du miſſen.
Du macheſt deine Welt und deine Welt macht dich;
Wie ihr einander macht, ſo ſeid ihr ſicherlich.
45.
Welch wunderbare Art den Laͤugner zu bekehren,
Ihn zu behandeln als unfaͤhig deiner Lehren!
Kannſt du verlangen daß dich faſſen ſoll der Mann,
Wenn du behaupteſt daß er dich nicht faſſen kann?
Beweiſeſt ihm zuerſt, daß er verſtehn nicht kann;
Daß er verſtehn nicht will, verargeſt du ihm dann.
Zuerſt mach' es ihm klar, wie er dich faſſen ſolle,
Dann uͤberlaſſ es ihm, ob er dich faſſen wolle.
46.
Laß dich nur blenden nicht von denen die erſannen
Denkformeln um darein Undenkbares zu bannen.
Weil ſich kein Hoͤchſtes laͤßt aus Hoͤherem erklaͤren,
So laſſen ſie das Ding ſich ſelbſt aus ſich gebaͤren.
Wenn in der That nun wird nur was ſchon war im Grunde,
So iſt das Seyn erklaͤrt, doch iſts nicht klar im Grunde.
47.
Das Rechte haſt du wol, das fuͤhleſt du, gethan,
Warum doch haſt du nicht die rechte Luſt daran?
Entweder weil du's nicht aus rechter Grundabſicht
Gethan haſt, oder doch auf rechte Weiſe nicht.
48.
Was Gott in der Natur und dir im Herzen ſpricht,
Mit Andacht merke drauf, und uͤberhoͤr' es nicht.
Und wenn du's andern nicht kannſt machen offenbar,
Doch dir zur eigenen Erbauung mach es klar.
Und iſt es dir nur klar, ſo wird's auch andern werden,
Wenn nicht in Worten, doch in Mienen und Geberden.
Und wenn in Handlungen, wenn in der Handlungsweiſe,
Das iſt den Menſchen erſt zum Heil und Gott zum Preiſe.
49.
Wer faͤhrt durch ein Gefild, ſieht hinter ſich verſinken
Ein reizend Landſchaftbild, ein andres vorwerts winken.
Nicht halten kann er das, und dieſes feſt nicht faſſen,
Voruͤbergleiten muß er eins ums andre laſſen.
Im groͤßern Maßſtab nur und auf viel ernſtre Weiſe
Erfaͤhrt dasſelbe, wer durchs Leben macht die Reiſe.
Du haſt es oft gehoͤrt; doch haſt du's je gefuͤhlt,
Wie ſchmerzenreiche Luſt hinweg das Leben ſpuͤlt?
50.
Des Regens Tropfen ſpruͤhn, doch wird davon nicht gruͤn
Der Raſen, den verſengt der Sommerſonne Gluͤhn.
Die Graͤſer bleiben duͤrr, doch neue ſprießen drunter,
Und uͤbergruͤnen bald die alten friſch und munter.
Getroſt, o Herz! dir bringt Verlornes nicht zuruͤck
Die Stunde, doch dafuͤr bringt ſie ein neues Gluͤck.
51.
Vollkommen lieb' ich nicht die Menſchen, ſtreng und heilig;
Sie waͤren unbequem und waͤren auch langweilig.
Einſeitig lieb' ich ſie, natuͤrlich und beſchrenkt,
Nicht uͤbertrieben, krank, gebrechlich und verrenkt.
So lieb' ich ſie ſich dar mir ſtellend in der Welt,
Und alſo fordr' ich ſie vom Dichter dargeſtellt.
Wenn anders ſie mir zeigt die Welt, muß ichs in Ruh
Ertragen, aber wenn das Buch, ſo mach' ichs zu.
52.
Wer ſeiner eigenen Vernunft gehorcht allein,
Mit der gemeinen gar nichts haben will gemein,
Iſt eben ſo verkehrt wie wer, um andern nur
Es rechtzumachen, laͤßt die eigene Natur.
So wenig kann die Welt gebrauchen jenen Mann,
Als dieſer in der Welt ſich ſelber brauchen kann.
Nur da iſt etwas Recht's, ob Großes oder Kleines,
Wo ein Beſondres iſt und auch ein Allgemeines.
53.
Wer leer im Innern iſt, ſei außen doch gefaͤllig;
Wer einſam muͤßig geht, thu lieber es geſellig.
Doch dem erlaſſen wir die Weltgefaͤlligkeit,
Wer fuͤr ein Gotteswerk braucht alle Kraft und Zeit.
Der iſt in menſchlicher Geſtalt ein Gott erſchienen;
Wer kann in gleichem Maß Gott und den Menſchen dienen?
54.
Bequeme dich der Welt, ſo wirſt du angenehm
Der Welt ſeyn, und dir ſelbſt wirds in der Welt bequem.
Nur nicht bequeme dich bis zum dir Unbequemen,
Am allerwenigſten zum Gottunangenehmen.
55.
Du haſt ein Maß in dir von Kraͤften, die du ſpenden
Der Welt kannſt, ohne ſie ins Innre zu verwenden.
Drum ſei ein Kreis um dich, ein groͤßrer oder kleiner;
Nicht viele muͤßen's ſeyn, nur einige, nur einer.
Je wenigern du gibſt, je mehr nun gibſt du ihnen,
Die dann es mehreren zu geben weiter dienen.
56.
Wo Gutes das zu thun, als Gutes dar ſich ſtellt,
Da thut es jeder leicht, dem ſo ins Aug' es faͤllt.
Wo aber Gutes ſich zeigt unter falſchem Schein,
Erkennt als Gutes es und thuts der Weiſ' allein.
57.
Was iſt die Tugend? Schrank' und Maß der Menſchenkraft;
Drum Menſchentugend iſt gleich Menſchen mangelhaft.
Und manches was fuͤr uns hier Tugend iſt auf Erden,
Wird keine ſeyn, wenn wir einſt mehr als Menſchen werden.
So iſts auch nicht fuͤr die, die mehr als Menſchen ſind,
Doch rechnen ſie dir's an als Tugend, Menſchenkind!
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 12
58.
Nicht minder haben dich die Ding' als du ſie haſt;
Du ſucheſt deine Luſt, und findeſt deine Laſt.
Nicht nur dein Hab' und Gut, nicht nur dein Weib und Kind,
Dein Garten, Haus und Hof, dein Eſel, Schaf und Rind;
Auch deine Wiſſenſchaft und deine Kunſt vor allen,
Sind minder dir da als du ihnen zu Gefallen.
Rath' ich deswegen dir vondannen ſie zu treiben,
Da ohn' einander ihr einmal nicht koͤnnet bleiben?
Ich rathe nur, dich recht mit ihnen abzufinden,
So den Begriff von Luſt und Sorge zu verbinden,
Daß du in ihnen mehr die Luſt ſiehſt, weil vorhanden
Sie einmal ſind, und mehr die Sorge, wenn ſie ſchwanden.
59.
Das Aergſte drohet nicht der Welt von Geld und Gut,
Wo nur der Einzelne dafuͤr Unwuͤrd'ges thut.
Das Aergſte drohet da, wo es ſoweit gekommen,
Daß es zum Maßſtab wird fuͤr jeden Werth genommen.
O danke Gott, daß du in einem Winkel ſtehſt,
Wo dieſer ſchrecklichſten Verſuchung du entgehſt,
Wo jeder zwar fuͤr ſich nach eitlen Guͤtern trachtet,
Doch der verachtet noch nicht iſt, der ſie verachtet.
60.
Ein Buch, aus dem du viel Gedanken nehmen kannſt,
Sei immer dankbar ihm fuͤr das was du gewannſt.
Doch was ein Ganzes iſt, wird nicht ſo leicht zerriſſen;
Es gibt ein andres Buch, dem ſollſt du mehr Dank wiſſen,
Von feſtverſchlungenen Gedankenganggeweben,
Das du als Ganzes nur aufnehmen kannſt ins Leben.
12*
61.
Wer gegen ſeine Zeit ankaͤmpfet, hat verloren
Die Muͤh, gewonnen nur den Namen eines Thoren.
Doch zur Entſchaͤdigung die Folgezeit mag preiſen
Den zeitlich-Thoͤrichten villeicht als ewig-Weiſen.
62.
Du zitterſt vor der Nacht und bebeſt vor dem Tage,
Solang dein Gluͤck du haſt in einer aͤußern Lage.
Denn jede Nacht kann es mit einem Stoß zerruͤtten,
Es jeder neue Tag mit einem Sturz verſchuͤtten.
Nur wenn du's innen haſt, kanns nicht von außen ſchwinden;
Dein Gluͤck wird ſich als Gluͤck in jeder Lage finden.
63.
Leb' in der Gegenwart! Zu leer iſt und zu weit
Der Zukunft Haus, zu groß das der Vergangenheit.
In beiden weißt du nicht den Hausrath einzurichten
Der ungeſchehnen und geſchehenen Geſchichten.
Doch daß die Gegenwart nicht eng dir ſei und klein,
Zieh die Vergangenheit und Zukunft mit herein.
Die beiden moͤgen dir erfuͤllen und erweitern
Die Wohnung, und mit Glanz die dunkle ſchoͤn erheitern.
64.
Zu welchem willſt du dich von beiden Choͤren wenden?
Du haſt die freie Wahl dich ſo und ſo zu blenden.
Wenn du den einen glaubſt, ſo geht die Zeit bergunter;
Wenn du den andern trauſt, ſo klimmt ſie aufwerts munter.
Iſt ſie villeicht das Rad, von dem ſich niederneigt
Das Vordere, derweil das Hintre wieder ſteigt?
Die Vordern klagen, daß zum Untergang ſichs lenke,
Die Hintern jubeln, daß es ſich zum Aufgang ſchwenke.
Es ſteigt und faͤllt zugleich; ob es im Ganzen falle,
Ob ſteige, weiß die Kraft, durch deren Stoß es walle!
65.
Die Weisheitslehren, die dir Weisheitslehrer ſpenden,
O koͤnnteſt du ſie ſtets zur Weisheit nur verwenden!
Doch du gewahreſt bald, ein Lehrer widerſpricht
Dem anderen, und wer im Recht ſei, weißt du nicht.
Du kannſt nicht beiden, wem von beiden willſt du glauben?
Soll gar Glaubwuͤrdigkeit jedweder jedem rauben?
Und ſchließeſt du, daß Recht von beiden keiner hat,
So haſt du ſelber dir entzogen jeden Rath.
Denk lieber: Jeder hat nur Recht auf ſeine Weiſe;
Das ſtell' auf deine dir zurecht in deinem Kreiſe.
Verſchiedne Faͤlle gibts auf einer Lebensfahrt,
Wo man wol brauchen kann Rath von verſchiedner Art.
Gluͤckſelig biſt du, wenn fuͤr Auf- und Niederſteig
Du immer recht verſtehſt den rechten Fingerzeig.
66.
Gluͤckſelig biſt du, wenn auf Folgrungen und Schluͤſſen
Das Beſte ſo du weißt, du nicht haſt gruͤnden muͤſſen.
So brauchſt du gegen die dich auch nicht zu ereifern,
Die mit unreifem Witz bekaͤmpfen deinen reifern.
Schwank iſt Gedankenbau, und nur die Ueberzeugung,
Die auf ſich ſelber ruht, befuͤrchtet keine Beugung.
67.
Wenn du den Formeln ſiehſt ins Herz, nicht aufs Gewand,
Den Formeln, die der Geiſt zu ſeinem Spiel erfand;
So kannſt du dir getroſt aus allerlei Syſtemen
Den Kern der Nahrung, wie aus Huͤlſen Koͤrner, nehmen.
Wie ſie's begruͤnden dir, entwickeln und ableiten,
Sie ſind im Sinn dir eins, die ſich in Worten ſtreiten.
Sie foͤrdern nur zu Tag den Vorrath ihrer Bruſt,
Den aufzunehmen du in dir ſchon haben muſt.
68.
Die Guͤter unter'm Werth veraͤchtlich anzuſchlagen,
Herabzuſetzen ſie, um leichter zu entſagen,
Iſt nur ein Kunſtgriff, der wo's gilt dich laͤßt in Stich.
Viel anders als du dich gedacht haſt, fuͤhlſt du dich.
Man fuͤhlt, was man gehabt, wann man es laſſen muß;
Was hilft es, ſich zuvor verkuͤmmern den Genuß?
Drum laß in ihrem Werth die Guͤter fein beſtehn,
Beſonnen im Beſitz, beſonnen im Entgehn.
69.
Wer ſtrebte nach dem Ziel, wenn er ſo fern es ſaͤhe,
Wie's wirklich iſt? der Wunſch ſieht alles in der Naͤhe.
Und wenn du naͤher ruͤckſt, und merkſt den Augentrug,
Treibt weiter dich der Trieb, der einmal iſt im Zug.
70.
Nicht durch Beweiſe kannſt du ſtuͤtzen deinen Glauben,
Durch Widerlegungen ihm auch die Macht nicht rauben.
Mit Worten kannſt du ihn verhuͤllen und bedecken,
Nicht ihn begraben, noch von Todten auferwecken.
Oft, was ihn ſichern ſoll, wird ihn nur irre machen,
Und was betaͤuben ihn, davon wird er erwachen.
Er ſteht mit ewiger allgegenwaͤrt'ger Macht
Als Sonn' an deinem Tag, als Stern in deiner Nacht.
Was auch bei Nacht und Tag dein Auge mache blind,
Du weißt daß uͤber dir doch Sonn' und Sterne ſind.
71.
Blick' auf und ſage dir: wo iſt der Regenbogen?
Er ſcheinet dort dem Saum der Wolken angeflogen.
Doch in der Wolke, waͤr' er dort wol ohn' ein Auge,
Das deinige, das ihn dir in die Seele ſauge?
Du wirſt es dir bewuſt: es ſind der Sonne Stralen,
Die du getrunken haſt aus Regenbogenſchalen.
Nichts iſt das Farbenſpiel, nur wirklich iſt die Sonne;
Die lichte Taͤuſchung doch iſt deiner Augen Wonne.
Was unterm Himmel glaͤnzt, iſt nur der Sonne Licht,
Das mannichfaltig ſich in truͤben Stoffen bricht.
Was unterm Himmel glaͤnzt, iſt nur ein Widerſchein,
Ein bunter Schattenwurf der Himmelsſonn' allein.
Ein ſolcher Widerſchein iſt ſelbſt die Sonne nur
Der hoͤchſten Geiſterſonn' im Spiegel der Natur.
72.
Was in der Schule du gelernt, iſts wol vergebens,
Weil du gebrauchen es nicht kannſt im Lauf des Lebens?
O nein, den Acker hat zum Anbau es entwildet,
Zum Weſentlichen hats dich foͤrmlich vorgebildet.
So was im Leben ſelbſt, der großen Schule, du
Gelernt haſt, bringſt du nicht umſonſt dem Himmel zu.
Du mußt die irdiſchen Aufgaben recht nur treiben,
Und ewig wird davon die Segenswirkung bleiben.
73.
Die Demuth iſt wol gut daß ſie ein Herz erringe;
Doch huͤte dich daß dich dazu nicht Hochmuth bringe.
Nicht falſcher Demuth Schein iſt es wovor ich warne,
Den kuͤnſtlich Hochmuth webt, daß er die Welt umgarne;
Wirkliche Demuth auch, die dir im Herzen ſprießt,
Gib Acht ob ſie in ſich nicht wahren Hochmuth ſchließt;
Der, wenn er ſich gelaͤhmt ſieht außen, und ſich ſchaͤmt
Mislungenen Erfolgs, zur Demuth ſich bequemt.
Wie die Begierde, die, verzweifelnd an Erjagung
Begehrter Guͤter, ſich zuruͤckzieht in Entſagung.
Doch iſt es nicht genug, das Ziel erreicht zu haben,
Wenn, ſtatt auf ebnem Weg, auch uͤber Stock und Graben?
Du danke Gott daß doch die Feinde ſind geſchlagen,
Und herrſche ſo daß ſie ihr Joch geduldig tragen.
74.
Sich ſtaͤrker fuͤhlt der Menſch in Ungemachabwehrung
Als in unthaͤtigen Genuſſes Selbverzehrung.
Darum hat Gott dir nicht verliehen reines Gut,
Damit du fuͤhlſt im Kampf mit Uebeln deinen Muth.
75.
Du ſagſt am Himmel daß nichts zu bewundern bliebe
Dem Aſtronomen, der erkannt ſein Radgetriebe.
Ich ſage dir, was doch noch zu bewundern bleibt:
Die ew'ge Grundkraft ſelbſt, die dieſes Radwerk treibt.
Du haſt das Leben nicht in Zahl und in Figur,
Figur und Zahl haſt du erkannt am Leben nur.
76.
Je groͤßer einen Kreis du haſt zu uͤberſehn,
Je minder kann dein Blick in alles Einzle gehn.
Ein Menſchenkoͤnig und die Koͤn'gin der Gedanken,
Sich waͤhnend unumſchraͤnkt, erkennen dieſe Schranken.
Sie nicht, die unteren Organe ſehn das Kleinſte,
Die mittlern Mittleres, ſie erſt das Allgemeinſte.
Und was von untenauf man mittelbar vernimmt,
Wird auch von obenher nur mittelbar beſtimmt.
Nur Gott iſt die Vernunft, die keine Schrank' umzieht,
Die ſelbſt unmittelbar ins Einzle Alles ſieht.
77.
Reichthums Vermehrung kann die Armuth nicht vermindern,
Solang das Recht nicht wird ungleiche Theilung hindern.
In einem Land, wo reich die Reichen ſind allein,
Werden die Armen nur um deſto aͤrmer ſeyn.
78.
Geſittung ſtrebt, das Thier dem Menſchen auszuziehn,
Zuruͤck zur Menſchheit die er auszog fuͤhrt ſie ihn.
Zuruͤck zum Paradies fuͤhrt ſie den Nackten wieder,
Wie ehr des Thieres Fell er zog um ſeine Glieder.
Solang (wielang noch?) iſt nicht ihr Beruf erfuͤllt,
Als ſie ſtatt auszuziehn die Thierheit nur verhuͤllt.
79.
Die Eiſenbahnenzeit, die Proſazeit von Eiſen
Vergolden hier und dort die Thoren und die Weiſen.
Was iſt ge mit dem aͤußerlichen Glaſt?
Verwandle Gold, wenn die Tinktur du haſt!
80.
„Ich weiß nicht“ hab' ich unbedenklich oft geſagt
Dem Kinde, das mich Unbeantwortlichs gefragt.
Zuletzt hat es geſagt: du weißt auch gar nichts, Vater!
Und zu Beſinnung hat mich das gebracht, zu ſpater.
„Ich weiß nicht“ ſollſt du nie dem Kind auf ſeine Fragen,
Ausweichend ihm vielmehr dies oder jenes ſagen.
„Ich denk'? ich glaub'? ich mein'?“ ei, Gott behuͤte, nein!
Das wuͤrd' Unwiſſenheit in andrer Wendung ſeyn.
„Nicht ſagen will ichs dir, du wirſt es ſchon erfahren,
Erwarte nur die Zeit, du kannſt dein Fragen ſparen.“
81.
Schwer iſt im Wechſelnden zu ſehn ein Bleibendes,
Im Umgetriebenen ein ruhig Treibendes.
Von außen iſt es ſchwer, und ſchwerer noch von innen,
Wo Bild in Bild wie Wog' in Woge ſcheint zu rinnen.
Liegts an den Dingen, liegt an dir nur das Gebrechen,
Daß immer anders dich die aͤußern Ding' anſprechen?
Sie geben Antwort, wie du fragſt, und anders nicht;
Drum liegt es wol am Geiſt, wie er die Ding' anſpricht.
Darum iſts Noth, in dir dich ſelber zu vereinen,
Um nicht in jedem Nu ein andrer dir zu ſcheinen;
Kein Spiegel und kein Wachs, darein ſich wechſelnd druͤckt
Dies Bild und jenes, das verunziert oder ſchmuͤckt;
In der Vorſtellungen, in der Eindruͤcke Schwanken
Zu fuͤhlen einen Kern feſtſtehender Gedanken;
Daß du derſelbe heut, in andrer Form verborgen,
Biſt, der du geſtern warſt, und der du ſeyn wirſt morgen.
82.
Fuͤhl' einen Augenblick nur wahrhaft, daß du biſt;
So fuͤhlſt du auch, daß, was dies fuͤhlet, ewig iſt.
Und fehlt der Mittelpunkt in deiner Seele Kreiſen,
So kann kein Denker dir Unſterblichkeit beweiſen.
83.
Empfindung iſt vom Ding ein Zeichen, von Empfindung
Ein Zeichen war das Wort in erſter Spracherfindung.
Nun iſt ein Zeichen vom Begriff das Wort allein,
Und die Empfindung fuͤgt ſich nur nothduͤrftig drein.
Des Dinges Leben hat ſich aus dem Wort verloren,
Wie die Empfindung zum Begriff ſich umgeboren.
Wenn er zu hoͤherer Empfindung ſich erhebt,
Dann iſt mit dem Begriff wieder das Wort belebt.
Kein todtes Zeichen iſt, kein Bild vom Ding das Wort,
Es iſt im Geiſt das Ding, des Geiſtes Zauberhort.
Des Dinges Weſen ſelbſt iſt in das Wort gebannt;
Geſchaffen iſt das Ding, ſowie das Wort genannt.
Laßt uns, eh wir durchs Wort das Weſen ſchaffen koͤnnen,
Der Zaubrin Fantaſie Scheinbilderſchoͤpfung goͤnnen!
84.
Wenn du dem Gegner ab Vernunft ſprichſt und Verſtand,
Iſts ja kein Großes daß dein Geiſt ihn uͤberwand.
Hingegen, wirſt du ihn mit ſtarken Waffen ruͤſten,
Ihn ſchlagend, willſt du nur damit dich ſelber bruͤſten.
Geh deinen Weg und laß den Gegner ſeinen gehn;
Und wer zum Ziel gelangt, das werden wir ja ſehn.
85.
Nicht Alles kann der Menſch mit offnen Augen ſehn,
Doch manches will und muß durchs Auge nur geſchehn.
Dem was ſich ſehen laͤßt, ſchließ nicht die Augen zu;
Und was ſich nicht laͤßt ſehn, im Herzen hege du.
Gleich uͤbel iſt es, ſtatt zu ſehn Sichtbares traͤumen,
Und Unſichtbarem kein Gebiet und Recht einraͤumen.
86.
Krieg Aller gegen All' iſt Sinn der Wiſſenſchaft.
Was Alles ſeyn will, bleibt nothwendig mangelhaft.
Wo jeder will die Welt mit ſeiner Spann' ausſpannen,
In ſeiner Formeln Zwang die Kraͤft' und Geiſter bannen.
Wo jeder Denkherr flugs den andern ſtoͤßt vom Thron;
Was er dem Vater that, erwartet er vom Sohn.
Sie glauben alle, daß ſie bis zum Ende drangen,
Und jeder folgende muß an von vorne fangen.
Der alte Brei wird umgeruͤhrt im neuen Topf;
Was auf den Fuͤßen ſtand, das ſteht nun auf dem Kopf.
Laß dieſem Chaos uns der Meinungen entfliehn,
Zuruͤck ins heitere Gebiet der Kunſt uns ziehn.
Ihr Fruͤhlingſchoͤpferhauch entfaltet bunte Welten,
Die rund und ruh'nd in ſich, einander laſſen gelten.
Gleich Blumen bluͤhen ſie, und welken Blumen-gleich,
Auslebend Glanz und Duft, und ſterbend ſamenreich.
Was hat ein Denker denn ergruͤndet und begruͤndet,
Das nicht ein Sehermund in Ahnung vorverkuͤndet?
Und welches Wiſſen iſt nicht blaſengleich zerronnen,
Das nicht in Kunſtkriſtall Gediegenheit gewonnen?
O Schoͤnheit, bring es doch der Schweſter Weisheit bei,
Daß ohne dich ein Bild ſie ohn' Erſcheinung ſei.
87.
Ein Wunder wird der Menſch empfangen und gezeugt,
Ein Wunder lebt er, wird geboren und geſaͤugt.
Ein Wunder waͤchſt er, hoͤrt und ſieht, und fuͤhlt ſein Wunder,
Ein Wunder, daß er denkt, und was er denkt ein Wunder.
Ein Wunder ſteht er da in aller Wunder Mitte,
Und Wunder gehn ihm vor und nach auf Tritt und Schritte.
An Wunder wird er ſo allmaͤhlich unwillkuͤhrlich
Gewoͤhnet, daß ſie ihm erſcheinen ganz natuͤrlich.
Und wunderbar erſcheint ihm Ungewohntes nur,
Der unverwundert ſieht das Wunder der Natur.
88.
Laß dich von glaͤnzenden Beweiſen nur nicht blenden,
Die ſie mit viel Geſchmack auf Abgeſchmacktes wenden.
Denn was ein jeder glaubt, das kann er auch beweiſen;
Und wer daſſelbe glaubt, wird die Beweiſe preiſen.
Du weißt: was wirklich iſt, muß moͤglich ſeyn, und muß,
Weil nichts zufaͤllig iſt, nothwendig ſeyn zum Schluß.
Darum beweiſen ſie, was irgend ward erſonnen,
Sobald es Wirklichkeit in ihrem Sinn gewonnen.
89.
Wenn du nach Ehre ſtrebſt, die dir die Welt ſoll geben,
So mußt du, ſtatt dir ſelbſt, ihr zu Gefallen leben.
Nicht leben in der That, nur leben auf den Schein;
Nicht was du ſelber willſt, was ſie will, mußt du ſeyn.
Wenn du nach Reichthum ſtrebſt, nach welchem alle ſtreben,
Mußt du darum in Kampf mit allen dich begeben;
Was andre haben, mußt du dir verloren achten,
Und was du haben willſt, zu rauben ihnen trachten.
Und wenn du gar zugleich geehrt willſt ſeyn und reich,
So mußt du ſeyn der Welt ein Freund und Feind zugleich;
Mußt ſtehlen ihren Schatz, und ſtehlen ihre Gunſt;
Das iſt die miſſlichſte und undankbarſte Kunſt.
Drum rath' ich: Laß die Welt, wen ſie will ehren, ehren,
Und ihren Sold, wer ihn begehren will, begehren.
Sich ſelbſt in Ehren und ſich ſelber reich zu halten,
Iſt Mannes Wuͤrd' und Kraft, derſelben ſollſt du walten.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 13
90.
Luſt an Vergaͤnglichem kann nur vergaͤnglich ſeyn,
Und ewig iſt die Luſt am Ewigen allein.
Du ſagſt dir das, und kannſt dennoch der Luſt nicht wehren,
Was unbegehrenswerth du ſieheſt, zu begehren.
Warum? weil in dir ſelbſt iſt ein Vergaͤngliches,
Der Unvergaͤnglichkeit ganz unempfaͤngliches.
Doch fuͤhleſt du in dir ein Andres unvergaͤnglich,
Dem, was vergaͤnglich iſt, erſcheinet unzulaͤnglich.
In ſolchem Kampfe bleibt der Sieg nicht zweifelhaft,
Sobald das Edlere gebrauchet ſeine Kraft.
Dir wird fuͤr ew'ge Luſt jemehr Empfaͤnglichkeit,
Jemehr in deiner Bruſt reift Unvergaͤnglichkeit.
91.
Ein Herz das Unruh fuͤhlt, iſt noch in ſich nicht heil;
Dem beſſern beigemiſcht iſt noch ein ſchlechtres Theil.
Doch nicht unheilbar iſt ein Herz das Unruh fuͤhlt,
Vom ſchlechtern iſt noch nicht das Beſſre weggeſpuͤlt.
Nur wo die Unruh ſchweigt, da iſt der Kampf entſchieden,
Sei es zu ew'gem Tod, ſei es zu ew'gem Frieden.
Kann ew'ger Tod auch ſeyn vor Gott, dem ew'gen Leben?
Welche Verſtockung kann der Gnade widerſtreben?
Das kranke Herz, das ganz erſtorben waͤhnt zu ſeyn,
Geneſen muß auch es, durch ſcharfe Liebespein.
13*
92.
Des einen freu' ich mich, wenn ruͤckwerts geht der Blick
Auf meines Lebens buntverworrenes Geſchick,
Wo der Zuſammenhang der Pfade zu entgehn
Dem Aug' und alles ſcheint in irrem Kreis zu drehn;
Des einen freu' ich mich, daß doch, ſtatt zu ermatten,
Die Reiſe leichter ſtets, je weiter, gieng vonſtatten;
Als ſie die Federkraft, die ſchwindende, der Glieder
Erſetzt durch tragendes unſichtbares Gefieder;
Sodaß auf ſeiner Bahn der Geiſt muͤhloſer ſtrebt,
Der, wo er unten ſonſt gerungen, oben ſchwebt.
Wenn nun ſich ein Gedank' aus jener Zeit erfriſcht
In neuer Form, iſt ihm was eignes beigemiſcht:
Das jugendliche Roth der Wangen hat er nicht,
Doch dafuͤr einen Stral auf ſeinem Angeſicht.
Ich koͤnnte, wollt' ich abgethanes neuverrichten,
All mein Gedichtetes in hoͤhern Stil umdichten.
93.
Nichts ſagen kann ein Mund, worin nicht Wahrheit waͤre,
Ob wiſſentlich das Herz auch Luͤge nur gebaͤre.
Denn was er ſpricht, iſt doch ein Bild des was er denkt,
Wie er willkuͤrlich auch die Zuͤge dran verrenkt;
Und was er denkt, iſt doch die Wahrheit die er ſieht,
Wie er in ſich ihr Bild zum Zerrbild auch verzieht.
So, was er erſt gedacht, und dann was er geſprochen,
Iſt nur der Wahrheit Stral, der zwiefach iſt gebrochen.
Und haͤtteſt du in dir den Stral, der ruͤckwerts bricht
Die Doppelbrechungen, du ſtellteſt her das Licht.
Nur Gott hat dieſen Stral in ſeiner vollen Klarheit;
Er ſieht, du aber ahnſt durch ihn, im Lug die Wahrheit.
94.
Du ſiehſt die andern rings in einer Form von Glauben,
Die kannſt du ihnen nicht und ſollſt ſie auch nicht rauben.
Sie glauben, daß die Form die allerhoͤchſte ſei,
Die allereinzige, von allen Huͤllen frei.
Daß eine andre Form geweſen ſei zuvor,
In der das reine Licht noch war verhuͤllt vom Flor;
Das glauben ſie; doch daß auch das enthuͤllte Licht
Zuwachſes faͤhig ſei, das glauben ſie dir nicht.
Du aber glaubeſt, daß, gleichwie aus Daͤmmerungen
Der Bildlichkeit ein Licht unbildlicher entſprungen;
Auch dies unbildliche wird wieder bildlich heißen
Vor einem, das nach ihm die Daͤmmrung wird zerreißen;
Und ewig Gottes Licht aus Klarheit waͤchſt in Klarheit
Viel Offenbarungen hindurch zur Offenbarheit.
95.
Wenn dir aus einem Buch, das heilig du benennſt,
Und wenn aus einem Spruch, den du fuͤr weiſ' erkennſt,
Aus einem Lehrermund mehr Wahrheit dir wird kund,
Als offenbaret ſelbſt dir iſt im Herzensgrund;
So magſt du mit Vertraun auf die Belehrung baun,
Und, eigner Einſicht blind, in die Erleuchtung ſchaun.
Du biſt entſchuldigt, doch mußt du entſchuldigen
Auch die dem Geiſt mehr als Buchſtaben huldigen.
96.
Du haͤngſt an Wurzeln, die du von Natur gewannſt,
Von denen du dich los nicht reißen ſollſt noch kannſt.
Die Wurzeln, deine Volks- und deine Glaubensart,
Sind jede ſtark fuͤr ſich, und doppelt ſtark gepaart.
Aus ihnen Nahrung haſt du unbewußt geſogen;
Sie halten dich, wo du dich ihnen glaubſt entzogen.
Dich halten ſollen ſie, doch nicht daß du nicht ſtrebeſt,
Und uͤber ſie hinaus ins Menſchliche dich hebeſt.
Des Menſchen Kron' iſt, daß ſich Menſchheit offenbart
In ihm, trotz ſeiner Volks-, trotz ſeiner Glaubensart.
Daß an der Menſchheit dich, nicht ſie an dir du meſſeſt,
Nicht ihre Formenfuͤll' in deine Model preſſeſt;
Nicht Fremdes deuteſt um, verfaͤlſchend ſeinen Sinn,
Weil eigenſuͤchtig du den eignen ſuchſt darinn;
Nicht dich in deiner Art verſtockeſt und verſteifeſt,
Lebendig nur als Glied im Ganzen dich begreifeſt;
Nicht waͤhnend, daß um dich als Mittelpunkt ſich drehn
Der Welt Entwicklungen, die immer weiter gehn.
97.
Den Spruch: Erkenne dich! ſollſt du nicht uͤbertreiben;
Laß immer unbekannt dir in dir etwas bleiben.
Den Grund, aus welchem quillt dein Daſeyn, mußt du fuͤhlen;
Zerſtoͤren wirſt du ihn, wenn du ihn auf willſt wuͤhlen.
Die reine Quelle wird, frech aufgewuͤhlt, ein Sumpf;
Nicht wer ſie nicht erkennt, wer ſich nicht fuͤhlt iſt dumpf.
98.
In deines Herzen Haus- und Feſtkalender mag
Nur auch gezeichnet ſeyn ein Allerſeelentag.
Gezeichnet ſoll er ſeyn nicht mit zu duͤſtern Farben,
Doch auch zu helle ſind fuͤr die nicht die da ſtarben.
Mit ſanftern Lichtern ſei und leiſem Schattenſchlag
Gezeichnet in dein Herz dein Allerſeelentag.
Ein Allerſeelentag, wo du vereint in Frieden
Mit allen Seelen biſt, die von dir ſind geſchieden;
Wo alle Seelen, die dich aus der Fern' umwallen,
Zum Feſt verſammelt ſind in deines Tempels Hallen.
Da bete fuͤr ihr Heil, und laß ſie beten auch
Fuͤr deines, denn Gebet iſt Seelenlebenshauch.
Manch Angedenken zieh hervor, an das ſich knuͤpft
Ein Name, zieh es feſt, daß er dir nicht entſchluͤpft.
Manch theures Bild auch, eh der Kennzug dir erliſcht,
Sei von der Malerinn Erinnrung angefriſcht.
Bedaure du ſie nicht, daß ſie der Welt entgangen,
Und nicht beneide ſie, denn du wirſt nachgelangen.
Verſichere du nur dich ihrer, daß ſie bleiben
Von oben dein Geleit, nach oben dich zu treiben.
Von oben neigen ſie, nach oben zeigen ſie
Und deinem Blick voran nach oben ſteigen ſie.
Nach oben ſteigen ſie, wo ſie dir wollen zeigen,
Was ſie verſprechen mit geheimnisvollem Schweigen.
XV.
1.
Dis hat nicht von ſich ſelbſt der Mann am Gangaſtrand,
Er hats von ſeinem Freund im nordiſch rauhen Land,
Dem dort ein Leben iſt ein aͤrmliches beſchieden,
In dem er lebt jedoch ſo reich und ſo zufrieden,
Daß, als er wandern einſt auf ein'ge Tage gieng,
Er ſich am erſten gleich heim an zu ſehnen fieng.
2.
Der Traum, darein man leicht bei traͤger Ruh verſinkt,
Darin man dichtet, denkt, ſieht, hoͤrt, ſpricht, ißt und trinkt,
Darin ſpazieren geht im abgemeßnen Raum;
Darin man wacht und ſchlaͤft, und traͤumt im wachen Traum:
Wenn gruͤndlich du daraus erwachen willſt, laß ruͤtteln
Vom Reiſewagen dich, von Reiſeſorgen ſchuͤtteln.
Du mußt im fremden Land die Augen offen haben,
Sonſt ſtolperſt du und faͤllſt in jeden Straßengraben.
3.
So ſang ein Wandersmann, als er die Welt durchlief:
Die Berge ſind zu hoch, die Thaͤler ſind zu tief.
Die Se'en ſind zu todt, die Fluͤſſe zu lebendig,
Die Thiere ſind zu dumm, die Menſchen zu verſtaͤndig.
Zu dunkel iſt die Nacht, der Tag iſt alzu hell,
Der Mondſchein iſt zu blaß, der Sonnenſchein zu grell.
Der Himmel iſt zu weit, die Erde mir zu enge;
Ich wollte, daß ich waͤr' am letzten meiner Gaͤnge.
4.
Die Regenwolke zieht den duͤrren Gau entlang,
Deſſelben Wegs wohin ein Wandrer nimmt den Gang.
Und wo ſie heute gießt und wo ſie morgen traͤuft,
Trifft ſie den Wanderer, der nirgends ihr entlaͤuft.
„Der Boden unter mir iſt duͤrr, der Himmel oben
Iſt truͤb, und Staub und Naß hat mich zugleich beſtoben.
Dann hinter mir wird gruͤn die Flur, der Himmel helle;
Mir kommt es nicht zu gut, ich bin an andrer Stelle.
Doch einem gluͤcklichern, der hinter mir herſchreitet,
Iſt neubegruͤnte Flur, neuklare Luft bereitet.“
5.
Der letzte Stral von Gold um Berges Haupt zerrann,
Und von der Arbeit kehrt nachhaus der muͤde Mann.
Die Frau ſteht in der Thuͤr, reicht ihm das Kind entgegen;
Das Huͤndlein laͤuft herfuͤr und wedelt angelegen.
Verdrießen laͤßt ſichs nicht, daß ſeine Liebkoſungen
Der Mann nicht weiter merkt, der liebkoſt ſeinem Jungen.
Mit vollem Euter kommt die Geis; ſein Kind zu nehmen,
Weil melken will die Frau, muß ſich der Mann bequemen.
Die Milch am Feuer kocht, das Kindlein wird gewiegt,
Das ſtille Paar genießt, ihr Gluͤck im Schlummer liegt.
O ſtilles Gluͤck! daheim koͤnnt' ich ein gleiches haben,
Und muß mich in der Fremd' am fremden Anblick laben.
6.
Warum laͤßt Volksmundart von Frauenlippen ſich
So lieblich hoͤren, als von Maͤnnern widerlich?
Wie rein der Reinheit, iſt der Schoͤnheit alles ſchoͤn;
Du hoͤreſt, auch wenn ſie's nicht ſpraͤch', ein Wohlgetoͤn,
Die Anmuth iſt es, die, alswie die Landestracht,
Auch Landesart und Sprach' am Weib anmuthig macht.
Das Weib natuͤrlich mag in der Natur verharren;
Der Mann wird, wenn ers will, zum Toͤlpel oder Narren.
Ein leichter Anflug nur von Mundart ſteht ihm gut,
Alswie ein Erdgeſchmack der Reben edlem Blut.
7.
Ich ſaß am Baum und ſchrieb, und weil ich ſtille war,
Wagte ſich ſcheu heran ein Thierlein hie und dar.
Vorſichtig ſpaͤhend ſchlich ein Eichhorn uͤber'n Zaun;
Als ich die Hand erhob, wich es zuruͤck mit Graun.
Ein Voͤglein wiegte ſich hoch im Gezweig und ſang;
Als ich das Haupt erhob, entflatterte es bang.
Ein Schlaͤngchen ſchlaͤngelte durch Gras und Gries herbei;
Ich hob den Fuß, es floh alsob ich giftig ſei.
O Menſch, Herr der Natur und Schreck, Tyrann unhuldig
Unſchuld'ger Kreatur, du ſelber nicht unſchuldig!
8.
Am Huͤgel ſaß ich Nachts, und war dem Thal entronnen,
Von dem mir aufwerts klang gedaͤmpfter Schall der Wonnen,
Der lauten Weltlichkeit, die mich von ſich geſcheucht,
Und ſelig fuͤhlt' ich mich im Dunkel warm und feucht.
Doch uͤber eine Schlucht zur Seit' heruͤber drang
Dein Schlummerroͤcheln, o Natur, und macht mir bang.
Ein fluͤſterndes Getoͤn im Laub der alten Ruͤſtern,
Ein duͤſterndes Geſtoͤhn, Geſchnaub aus welchen Nuͤſtern?
Und die unheimlichen Nachtgeiſter trieben wieder
Mich zu der Welt Getoͤs, dem ich entflohn war, nieder.
O Herz, das zwiſchen Welt und der Natur du ſchwebſt,
Der einen ſcheu entſtrebſt, und vor der andern bebſt!
9.
Ein heiteres Gemuͤt iſt gleich in jeder Lage,
Doch lieblich wechſelnd, wie der See am ſchoͤnen Tage;
Der amethyſten ſcheint, ſmaragden und ſaffieren,
In Farben ſpielend, die in Farben ſich verlieren.
Wie ihn die Sonn' anregt, wie ihn ein Hauch bewegt,
Iſt er mit anderen Juwelen uͤberlegt.
Nach der Verſchiedenheit vom Ufer und vom Grund,
Thut dir ſein fluͤſſiges Geſtein ſich anders kund.
Und jedes Wellchen, das der Flut von Edelſteinen
Entſteigt, laͤßt auf der Stirn ein Demantflaͤmmchen ſcheinen.
Doch wo des Ruders Schlag den Spiegel bricht, erfreut
Dich eine Demantſaat, verſchwendriſch ausgeſtreut.
10.
Ich ſtand auf einem Berg und ſah die Sonn' aufgehn,
Der Berg ſchien inſelgleich in einem Meer zu ſtehn.
Denn Morgennebel war durch jedes Thal ergoſſen,
Und alle Seen umher in Einen See zerfloſſen.
Was wahres Waſſer ſei, was bloßer Waſſerdunſt,
Zu unterſcheiden klar vermochte keine Kunſt.
Doch als die Sonne ſtieg, ward es von ſelber klar,
Was nur ein Waſſerſchein, was wirklich Waſſer war.
Die Nebelhuͤlle ſchwand, entſchleiernd das Gefild,
Die Se'en ſpiegelten voll Glanz der Sonne Bild.
11.
Es ragt ein Inſelberg, der bis zu ſeiner Spitze
Von ſeinen Wurzeln auf, traͤgt vielverſtreute Sitze,
Landbauerwohnungen, jede von ihren Schatten
Umgruͤnt, umringt von rind- und rehbegraſten Matten.
Den Gipfel aber kroͤnt ein Thurm und Gotteshaus,
Rings ſichtbar um den Berg von jeder Wohnung aus.
Dort oben wohnt erhoͤht, und Niemand fuͤhlt ſich hehrer,
In Mitten ſeiner Welt, ein Prieſter und ein Lehrer.
Von ihm aus ruft die Glock' an jedem Abhang nieder,
Am Morgen zum Geſchaͤft, zur Ruh am Abend wieder.
Fruͤh hoͤren ſie die Glock', und beten beim Erwachen,
Wie ſie ſie hoͤren ſpaͤt und Feierabend machen.
Am Feſttag droben ſchallt der Lebenden Gebet,
Und ihre Todten ruhn dort himmelsluftumweht.
Dorthin zur Schule gehn die lernbegier'gen Kinder;
Geſchwinde gehts hinauf, herunter noch geſchwinder.
Doch vor der Lehr' und nach ſteht er auf ſeinem Thurm,
Mißt Wind- und Wolkenlauf, waͤgt Sonnenſchein und Sturm.
So den Kalender ſtellt er ſeinem Voͤlklein immer,
Es baut danach ſein Feld, und Segen fehlt ihm nimmer.
Er aber, der am Tag war ſeines Volkes Hirte,
Wird, wann der Abend naht, den Wanderern zum Wirte.
Vom hohen Soͤller ſpaͤht er, ob ein Gaſt ſich nahe,
Der von ihm Speiſ' und Trank und naͤcht'ge Raſt empfahe.
Und ſieht er keinen nahn, ſo winkt er ſeinen Segen
Nach allen Huͤtten hin, und geht der Ruh zu pflegen.
12.
Zwei Baͤume ſah ich heut, Sinnbilder von Verjuͤngung,
Des Abgeſtorbenen lebend'ge Wiederbringung.
Ein hoher Fichtenſtamm, ſein Haupt vom Sturm gepfluͤckt,
Statt einer Krone nun mit mehreren geſchmuͤckt.
Denn aus der Rinde Kraft entſproßten wunderhaft
Fuͤnf neue Fichten, ſchlank wie Tempelſaͤulenſchaft.
Was, wenn der Hauptſtamm blieb, nur waͤr' ein Aſt daran,
Das war ein Stamm nun ſelbſt mit Aeſten angethan.
Und alle wuchſen ſo umher in einem Kranz,
Bildend ein Ganzes nur, doch jeder ſelber ganz;
Wie, was ein Staat einſt war, nun auseinander trat
Zu einem Staatenbund, zu einem Bundesſtaat.
Sodann ein Ulmenbaum, vom Alter morſch gebrochen,
Vermodert iſt ſein Mark, und muͤrbe ſeine Knochen.
Der Moder aber ward Stockerd' auf ſeinem Haupt;
Da hat ſein letzter Zweig, eh ihn der Tod entlaubt,
Selbſt in den Mutterſchooß den Saamen ſo geſtreut,
Daß auf ſich ſelbſt ein Baum wuchs aus ſich ſelbſt erneut.
Der abgeſtorben ſich im Boden unten fand,
War oben Boden nun, auf dem er ſelbſt entſtand.
Und angeſiedelt hat ſich droben ein Gemiſch
Von Kraͤutern und Geſtraͤuch, Verwirrung maleriſch.
13.
Die alte Fabel fiel mir heute wieder bei,
Wie ſtaͤrker milder Sinn als ungeſtuͤmer ſei;
Wie eine Wette ſchloß die Sonne mit dem Winde,
Wer einem Wanderer den Mantel ehr entwinde.
Da blies der Wind, da zog ſein Kleid der Wandrer ſtraffer;
Die Sonne ſchien hierauf, da ließ ers hangen ſchlaffer.
Und als ſie lange ſchien, da zog er's endlich aus,
Und ohne Mantel kam der Wanderer nach Haus.
So hat mich unterwegs kein Raͤuber ausgezogen,
Doch mancher Wirth ums Geld mit Artigkeit betrogen.
14.
Die Schenk' iſt ſolch ein Ort, wo dir nichts wird geſchenkt,
Und was man einſchenkt, wird dir theuer eingetraͤnkt.
In eine ſolche trat ich neulich auf dem Lande,
Und fand ihr Inneres in recht idylliſchem Stande.
Ein Fenſter offen hier, ein Fenſter offen dort,
Und Mahlzeit aufgetiſcht an dem und jenem Ort.
Zum einen Fenſter ſtieg herein mit mancher Henne
Der Hahn, und pickte ſtolz die Koͤrner von der Tenne.
Zum andern flog herein paarweiſe Taub' und Tauber,
Die laſen das Geſims von allen Kruͤmchen ſauber.
Doch unter Fittigen der eingeladnen Großen
Lief mit manch Kleineres, vom Menſchen ſonſt verſtoßen:
Der Sperling und der Fink, die Ammer und die Meiſe,
Ein jedes haſchte flink auch einen Mundvoll Speiſe.
Mag Hahn und Taube nun mit Kron' und Haube pralen,
Sie muͤſſen theur das Mahl mit ihrem Leben zahlen.
Sie werden von dem Wirth wie jeder Gaſt gerupft,
Und nur die Bettler ſind mit heiler Haut entſchlupft.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 14
15.
Die Schwalb' iſt eingethan in Doͤrfern nicht allein,
Sie wagt ſich, ſcheuer zwar, auch in die Staͤdt' hinein.
In groͤßern Staͤdten wol fliegt wilder nur und ſcheuer,
Kreiſchend ob dem Gekreiſch, die Thurmſchwalb' oder Steuer.
In kleinern Staͤdten, die zur Haͤlfte laͤndlich ſind,
Schwebt an der aͤußern Wand der Mauerſchwalbe Kind.
Die Hausſchwalb' aber wohnt, Rauchſchwalbe heißt ſie auch,
Am liebſten auf dem Dorf in ſtiller Huͤtten Rauch;
Wo ſie ſich abendlich verſammeln auf dem Plan,
Und ſich erzaͤhlen, was ſie in den Haͤuſern ſahn.
Doch welche ſah ich, die hoch im Gebirge ſchwirrten
Ums einſame Gehoͤft, bewohnt von armen Hirten;
Die vor der Einſamkeit nicht ſchienen dort zu ſchaudern,
Wo ſie am Abend nicht mit Nachbarn koͤnnen plaudern.
Sie plaudern unter ſich, das Paar mit ſeiner Brut,
Und mit dem Hirten, wann er heimkehrt von der Hut.
Wie traulichen Verkehr hier Menſch und Vogel pflegen,
Sah ich, als beim Gehoͤft ich Obdach ſucht' im Regen.
Die Leute waren aus, die Thuͤr nicht zugemacht,
Kein Hund, der bellte, nur die Schwalben hielten Wacht.
Ich fand ſie in der Stub', als ich hineingekommen,
Sie hatten am Gebaͤlk der Mitte Sitz genommen.
Von hier die Thuͤre ſtand, von dort das Fenſter auf,
Daß ungehemmt herein, hinaus ergieng' ihr Lauf.
Doch unbedachtſam ſtoͤrt' ich ihren freien Flug,
Da ich das Fenſter ſchloß, weil naß mich fror im Zug.
Die Leute kamen dann, und fanden ausgeſchloſſen
Vom eingedrungnen Gaſt die alten Hausgenoſſen.
Mit Pfeifen oͤffnete das Fenſter gleich ein Bube,
Und eine Schwalbe kam geflogen in die Stube.
Die andre folgt' ihr bald, und vom Gebaͤlke nieder
Spruͤhten ſie uͤber'n Tiſch ihr triefendes Gefieder.
14*
Ich moͤchte wiſſen, ob ſie hier im Winter bleiben;
Vom warmen Ofen kann ſie doch kein Froſt vertreiben.
Auch Nahrungsloſigkeit wird hier ſie nicht bekriegen;
Zum mindſten damals war die Stube voll von Fliegen.
16.
Am beſten wuͤrdeſt du in einen Koffer packen
Dich laſſen, oder auch im Mantelſack einſacken,
Und ſo auf Reiſen gehn, wenn du nicht Geld gewannſt,
Zu fahren ordentlich, und nicht zu Fuß gehn kannſt.
Fußgaͤnger geht und ſteht, wo, wie und wann er mag;
Die Luft, die ihn durchweht, weckt ſeines Herzen Schlag.
Er hoͤrt und ſieht und denkt, bis er iſt muͤd geworden,
Wo er den Kopf dann haͤngt auch an den ſchoͤnſten Borden.
Doch wer durchfliegen kann die Welt im eignen Wagen,
Der fuͤhlt, ein ganzer Mann, vollkommenes Behagen;
Schaut vorwerts und zuruͤck, und frei nach allen Seiten,
Und laͤßt wie vom Geſchick ſich von dem Kutſcher leiten.
Weh aber dem, der, wenn Geld oder Kraft verſiecht,
Um fortzukommen nur, in Poſtlandkutſchen kriecht;
Wo mit viel andern er liegt ſchichtweis aufgeſtoppelt,
Und mit der Fracht ein Paar von duͤrren Maͤhren hoppelt.
Ausſteigt er wann er ſoll, ein wieder wann er muß,
Und von der Fahrt iſt nichts als Muͤhſal ſein Genuß.
Vom Wege wird ihm nichts bekannt, als daß er ſtaͤubt,
Und vom Geraſſel iſt ſelbſt das Geſpraͤch betaͤubt.
Wie duckt er ſich und ruckt, wie druckt er ſich und zuckt,
Bis er durchs Fenſter ſpuckt, oder durchs Fenſter guckt.
Von Landſchaft haſcht er ſchief bald hier bald dort ein Stuͤck,
Und bringt kein ganzes Bild davon nach Haus zuruͤck.
17.
Was du im taͤglichen Hinleben leicht vergiſſeſt,
Wo nicht vergiſſeſt, doch nach Wuͤrden nicht ermiſſeſt,
Das Gluͤck der Haͤuslichkeit, der Deinen Lieb' und Treue;
Geh auf die Reiſe nur, ſo fuͤhleſt du's aufs neue:
Wenn dir vom Hauſe kommt ein Brief und Kunde giebt,
Daß alles iſt geſund, und dich ins Ferne liebt;
Ein ſolcher Gruß, wieviel des Großen du und Schoͤnen
Magſt draußen ſehn, wird erſt mit innrer Luſt es kroͤnen.
18.
Den Weg am Berg empor beſchließt ein Gitterthor,
Nur ſchwankend angelehnt; ein Bettler ſitzt davor.
Er bettelt nicht, gelehnt auf ſeinen Bettlerſtab,
Der Betſchnur Kuͤgelchen betet er ſchweigend ab.
Er ſchaut nicht, ſondern horcht, denn ſein Geſicht iſt blind,
Ob ſich ein Fußtritt naht, dann hebt er ſich geſchwind.
Dem Wandrer oͤffnet er die beigelehnte Pforte;
Der Wandrer geht hindurch, und jener bleibt am Orte.
Doch gibſt du ihm ein klein Almoſen, ſagt er drauf:
So thue Gott dir einſt das Paradiesthor auf!
Doch wenn du nichts ihm gibſt, ſo ſagt er nicht ein Wort,
Und ohne Segen gehſt du von dem Bettler fort.
19.
Im Garten ſah ich Baͤum' auf eigne Art benutzt,
Die Seitenaͤſte ſamt dem Wipfel weggeſtutzt.
Verwundert fragt' ich, was die Stuͤmmlung ſoll bedeuten?
Und angegeben ward der Grund mir von den Leuten:
Nach dieſer Seite fiel das Obſt dem Waldbach zu,
Und oben kam allein des Vogels Flug dazu.
Was wir von Aeſten hier und droben weggenommen,
Auf andern Seiten wird es uns zu Statten kommen.
Wir ziehn nicht unſern Baum zur Schoͤnheit wild und frei;
Wir ziehn fuͤr uns das Obſt, wie ſchief der Aſtwuchs ſei.
20.
Ich ſah ein ſchoͤnes Haus, reich von der Kunſt geſchmuͤckt,
Der Bilder Farbenglut den Waͤnden aufgedruͤckt.
Doch war die groͤſte Kunſt, daß ſich die Kunſt ſo breit
Nicht machte drin, um auszuſchließen Wohnlichkeit.
Das iſt die rechte Kunſt, die, ohne Raum dem Leben
Zu nehmen, ſich begnuͤgt, ihm heitern Schmuck zu geben.
Was hilft es dem, der ganz ſein Haus ließ malen an,
Wenn er vor lauter Glanz es nicht bewohnen kan?
21.
Zwei Pfaͤhle ſah ich ſtehn, der eine weiß und blau,
Der andre gelb und ſchwarz, unlieblich war die Schau.
Die beiden ſagen an, daß hier Landgrenze ſei;
Und ſagten ſie es nicht, ſo fiel' es mir nicht bei.
Denn unveraͤndert ganz von Anſehn und Geberde
Huͤben und druͤben iſt der Himmel wie die Erde.
Die Berge laufen im ununterbrochnen Zug,
Und ſeine Wellen ſchlaͤgt der Fluß, wie er ſie ſchlug.
Hin uͤber'n Schlagbaum ziehn die Wolken nach Gefallen,
Die Voͤgel duͤrfen auch nach Luſt daruͤber wallen;
Die huͤben Neſter baun, und druͤben, wenn ſie wollen,
Ihr Futter holen, ohn' es irgend zu verzollen.
Nur Menſchen trifft der Plack, daß ſie nicht nach Geſchmack
Einfuͤhren duͤrfen Wein von hier, von dort Taback.
22.
Was ſucht ihr, Reiſende, in des Gebirges Schanzen?
Was, erſter, ſucheſt du? „Ich ſuche Stein' und Pflanzen.“
Und reichlich findeſt du. Was ſucheſt du, o zweiter?
„Anſichten, Landſchaften.“ Hier ſind ſie ernſt und heiter.
Was, dritter, reiſeſt du? „Die Reiſe zu beſchreiben.“
Auch gut, doch koͤnnteſt du wol etwas beßres treiben.
Und endlich, vierter, du ? „Ich reiſe zum Vergnuͤgen.“
Warum doch ſagſt du das mit misvergnuͤgten Zuͤgen?
Mit Allem wird von ſelbſt Vergnuͤgen ſich verbinden;
Vergnuͤgen aber, das man ſucht, iſt nicht zu finden.
23.
Aus Felſen ſpringt der Quell, und Freiheit will ihm ahnen,
Das Schickſal reißt ihn ſchnell auf ungewaͤhlte Bahnen.
Er moͤchte dort hinab, doch er muß da hinunter;
Er ſchlingt und ſchlaͤngelt ſich, und ſpielt mit Kieſeln munter.
Er ſammelt ſich zum See, doch ſeine Luſt iſt kurz;
Er muß aus weichem Bett zum jaͤhen Waſſerſturz.
Da meint er zu verſpruͤhn, doch kurz iſt auch die Qual;
Er ſchnaufet aus, und fließt ein ſtiller Fluß im Thal.
O Wandersmann am Quell, ſo wechſelt Leid und Gluͤck;
Das Leben rinnet ſchnell, und kehret nie zuruͤck.
24.
Die Zeit iſt kurz, wenn voll; die Zeit, wenn leer, iſt lang.
Was macht ſie leer und voll? deiner Gedanken Gang.
Wenn viel du ſiehſt und hoͤrſt, was viel dich denken macht,
So iſt die Stund' entflohn raſcher als du gedacht.
Wenn du nur ſiehſt und hoͤrſt, was dir gibt kein Gefuͤhl,
So ſtockt die leere Zeit im leeren Weltgewuͤhl.
Wenn du auch gar nichts ſiehſt und hoͤrſt, nur traͤumſt und ſinneſt,
Wird kurz die Zeit indem du lange Faͤden ſpinneſt.
Doch wenn im Denken ſtets dich Ein Gedanke ſtoͤrt,
So hat des Denkens Zeitverkuͤrzung aufgehoͤrt.
Dann geht es dir wie mir, da, was ich auch beginne
Zu denken, mir nur Ein Gedanke liegt im Sinne.
Was iſt zu thun? wenn du nichts anders recht kannſt denken?
Ganz in den einzigen Gedanken dich verſenken.
Ich denke, daß dein Brief nun kommen muß und ſoll,
Und der Gedanke macht die leere Zeit mir voll.
Ich denke, daß der Brief nun kommen ſoll und muß,
Und vor der Thuͤre ſchon hoͤr' ich des Boten Fuß.
25.
Hoch im Gebirge lag ein ſtiller See, und gab
Nur einen ſchmalen Bach dem Fluß im Thal hinab.
Er hielt die Spalten eng, daraus ſein Abfluß quoll,
Und weiſe Maͤßigkeit erhielt ihn immer voll.
Da rief zum See hinauf der Strom mit lautem Grollen:
Warum nicht reicheren Tribut willſt du mir zollen?
Anſtatt in traͤger Ruh auf deinem Grund zu ſtocken,
Stuͤrz dich in mich herab, und laß dein Bette trocken!
Der See dagegen ſprach: O Strom, du biſt ſo reich;
Soll alles Waſſer denn im Thale ſeyn zugleich?
Mit deinen Schaͤtzen magſt du raſch und breit hinfließen;
Laß eines Spiegels auch die Einſamkeit genießen.
Du traͤnkeſt Roß und Rind, ich traͤnke Hirſch und Hind;
Und meine Wogen lind regt Fruͤh- und Abendwind.
Ich wuͤrde, folgt' ich dir, truͤb werden wie du biſt,
Da hier mein tiefes Blau der Neid des Himmels iſt.
26.
Sanskrit, das einen Satz gern in Ein Wort verbindet,
Nennt, wer zu Haus iſt da, wo ihn der Abend findet,
Es nennt ihn „Abendheim“ den Mann vom Bettlerorden,
Der keine Heimat hat, wie ich nun bin geworden,
Doch nicht auf Lebenszeit, dem ſtrengen Jogi gleich,
Der arm an jedem Gut, und nur an Stolz iſt reich.
Ich habe nicht wie er die Heimat aufgegeben,
Ich fuͤhle ihren Hauch mich uͤberall umſchweben.
Ich weiß an jedem Tag, wo meine Heimat iſt,
Und bin am Abend dort, o Liebe, wo du biſt.
27.
Ich hab' in tiefer Nacht im tiefen Thal gewacht,
Und aus dem Fenſter ſtaunt' ich an der Berge Macht.
Kein Liſpel war im Thal, und in der Sterne Stral
Sahn geiſterhaft herab die Haͤupter ſtarr und kahl.
Da kam der Nachtluft Zug, und laut ans Ohr mir ſchlug
Ein Menſchenruf, den ſie auf lauem Fittig trug.
Wer wird es ſeyn? ein Hirt, der taglang unverirrt
Die Herde droben hielt, und mit ihr ruhn jetzt wird.
Er thut aus voller Bruſt noch dieſen Schrei der Luſt,
Und in der Einſamkeit bleibt er ſich ſein bewuſt.
Empor zum Himmel ſteigt, wenn rings die Oede ſchweigt,
Der Ruf des Menſchen, der als Herr der Welt ſich zeigt.
28.
Die Kirch' hat an den Weg ihr Gottesbild geſtellt,
Davor anbetend, wer vorbeigeht, niederfaͤllt.
Dahinter hat der Fuͤrſt geſtellt ſein eignes Bild,
Das nimmt nun ſeinen Theil von dem, was jenem gilt.
Denn jeder wer nun faͤllt vorm Gottesbilde nieder,
Zu beugen ſcheint er auch vorm Fuͤrſten ſeine Glieder.
Ihr Fuͤrſten, wenn ihr wollt geehret euern Thron,
Verbuͤnden muͤßt ihr euch mit der Religion.
29.
Ein Gottesbild am Weg; andaͤchtig hin wird treten
Der Wanderer, und eh er weiter wandert, beten.
Ein zweites Bild, er wird auch Andacht ihm bezeugen!
Ein drittes, und er wird villeicht ein Knie noch beugen.
Ein viertes, und er wird das Haupt noch fluͤchtig buͤcken;
Ein fuͤnftes, und er wird den Hut nachlaͤſſig ruͤcken.
Und wenn ihr immer mehr und immer wieder kehrt,
Geht er zuletzt vorbei, und laͤßt euch ungeehrt.
30.
Dir wuͤnſch' ich, Wanderer des Weges und des Lebens,
Befriedigung der Luſt, und Luſt des Weiterſtrebens,
Den Himmel blau und rein, die Luͤfte gleichgewaͤgt,
Und ſoviel Sonnenſchein als nur dein Aug' ertraͤgt,
Und ſoviel Regen nur, daß uͤber Nacht erliſcht
Der Staub, und Wald und Flur dir laͤchelt neu erfriſcht.
31.
Ein ſchoͤner Garten lag am Weg, ich ſtand davor;
Die Mauer war zu hoch, und eng das Gitterthor.
Nur ſoviel kann ich ſehn als meine Neugier reizt,
Anſtatt befriedigt. Weh dem Reichen, der ſo geizt!
Wenn Eintritt mit dem Blick nicht einmal den Beſchauern
Du goͤnneſt, ſollteſt du den Garten ganz vermauern.
32.
Ich ſah auf einer Trift zuſammen Roß und Rind,
Gemiſcht, wie Ritterſchaft und baͤuriſches Geſind.
Die Rinder hatten nicht Roßadel angenommen,
Zu Rindes Anſehn war das edle Roß gekommen.
Wo irgend hohes ſich und niedres will anneigen,
Wird Hohes ehr herab als Niedres aufwerts ſteigen.
33.
Soviel in eurer Art iſt einfach, uranfaͤnglich;
Warum? nur weil ihr ſeid der Bildung unempfaͤnglich.
Wenn unempfaͤnglich nicht, der Bildung doch nicht werth;
Ihr ſeid ſo wahr wenn roh, ſo falſch wenn aufgeklaͤrt.
Euch ſcheinet ganz und gar verſagt die rechte Mitte,
Die Roheit abzuthun ohn' abzuthun die Sitte.
34.
Ich fuhr den See hinab und wollt' ihn recht beſchaun,
Ich fieng vom Naͤchſten an, dem Schiffermaͤdchen braun,
Das gegenuͤber ſaß, den Blick mir zugewendet;
Ins Auge ſah ich ihr, und war davon verblendet.
Und als ich anderer Ausſichten noch genoſſen
Als der auf ihr Geſicht, war meine Fahrt geſchloſſen.
35.
Weil du irrgiengeſt, weil du dich irrfuͤhren ließeſt,
Kamſt du an beßres Ziel als du dir ſelbſt verhießeſt.
Das iſt recht ſchoͤn vom Gluͤck, das iſt von Gott recht gut,
Dem Herrn, auf des Geheiß die Magd ſolch Wunder thut.
Sei dafuͤr dankbar nur! doch waͤr' es hinterruͤcks,
Wenn du mit Fleiß irrgiengſt in Hoffnung gleichen Gluͤcks.
36.
Der Regen geht herab in Stroͤmen, landerquickend;
Wie oft erflehteſt du daheim ihn, aufwertsblickend!
Im fremden Lande nun verwuͤnſcheſt du den Segen,
Weil er dem Wanderer zum Koth wird auf den Wegen.
Du haſt fuͤr die Natur und alle Kreatur
Ein menſchlich Mitgefuͤhl in deinem Kreiſe nur.
37.
Es ſteht ein Fels am Weg, gehſt du an ihm vorbei,
So faͤllt dir gar nicht ein, daß er was andres ſei;
Doch biſt du nun vorbei, und wendeſt dich zuruͤck,
So zeigt ein menſchliches Geſicht das Felſenſtuͤck.
Iſt es mit manchen Herrn wie mit dem Felſen nicht?
Sie haben nur von fern ein Menſchenangeſicht.
38.
Ich gieng, die Gegenden zu ſehn, die auch mich freuten;
Doch mehr als ich gedacht, labt' ich mich an den Leuten.
Die maͤchtige Natur tritt in den Hintergrund
Vor den Bewohnern ſchoͤn, treu, tuͤchtig, kerngeſund.
Das Landſchaftbild iſt nicht die hoͤchſte Malerei;
Ich weiß nun, daß der Menſch das Kunſtwerk Gottes ſei.
39.
„Du ſahſt die Leute nur, geſtehs, von einer Seite,
Der guten; ſieh genau, ſo zeigt ſich bald die zweite.“
Mag ſeyn! doch war ich froh, daß ſie die gute hatten;
Von ſelber freilich iſt bei jedem Lichte Schatten.
Doch ſelber das beweiſt des Lichtes Staͤrke ja,
Daß ich vor ſeinem Glanz die Schatten uͤberſah.
40.
O Held, du biſt im Kampf fuͤrs Vaterland gefallen,
Drum ſteht dein Bild mit Recht hier in des Tempels Hallen.
Verrathen hat man dich, geopfert dich im Leben;
Zur Suͤhnung mußte man dich ſo im Tod erheben.
Heil dir! wie hochgeehrt du koͤnnteſt ſtehn auf Erden,
Zum Heil'gen konnteſt du doch nur als Maͤrtrer werden.
41.
Lebt oder ſtarb der Mann, der den Verrath begieng,
Wodurch des Feindes Macht den theuern Helden fieng?
„Er lebt.“ Gelobt ſei Gott, daß er noch buͤßen kann,
Was er am Vaterland verbrach und an dem Mann.
Iſt er reich oder arm? „reich!“ ihm o deſto ſchlimmer,
Zur Reue wird er ſpaͤt gelangen oder nimmer.
Doch hat er Kinder? „Nein!“ Nun gut, ſo mag er ſterben,
Ohn' auf Unſchuldige den Schuldfluch zu vererben.
42.
Die Minneſingerharf', an der von allen Saiten
Nur eine ganz blieb als ein Nachhall ſchoͤnrer Zeiten,
Hab' ich auf Schloß Ambras geſehn, indem ich dachte,
Wie ſoviel Herrlichkeit die Zeit zu Schanden machte.
Das Schloß, wo Ferdinand wohnte mit Philippinen,
Muß zur Kaſerne jetzt welſchen Soldaten dienen.
43.
Hier ſteht das Schloͤßlein noch, von deſſen Hochaltan
Aufs Innthal niederſah Held Maximilian.
Hier ſteht der Steintiſch noch, wo er hielt in der Hand
Den Humpen, eh er ſich verſtieg zur Martinswand.
Hier iſt noch farbenhell zu ſehn der Baldachin,
Wo zu Gericht er ſaß; wo iſt er ſelber hin?
44.
Ein eigner Anblick iſts, im ſommerlichen Thal
Die nackten Schnitter ſehn, gebraͤunt vom heißen Stral,
Und druͤber hoch herein der Alpe Schneefeld hangen,
So nah, daß man es meint mit Haͤnden zu erlangen.
Es ſchmilzt nicht von der Glut, und bleibt dort ewig kuͤhl,
Doch kuͤhlt ſein Anblick nicht, und macht hier doppelt ſchwuͤl.
45.
Ich will nicht wohnen an der Waſſerfaͤlle Brauſen,
Noch wohnen an der ſchneebedeckten Berge Grauſen.
Das Alles will ich im Voruͤbergehn beſehn,
Doch meine Wohnung ſoll in ſtillen Schatten ſtehn.
Denn wol die Seele ſchwellt Erhabenheit mit Schauer,
Doch Anmuth nur gefaͤllt und freut auf laͤngre Dauer.
46.
Du kannſt nicht aͤußerlich die ganze Welt umfaſſen,
An innrer Ganzheit mußt du dir genuͤgen laſſen.
Die Welt iſt uͤberal ein ganzer Gottesglanz,
Wo ſie der Liebe Stral verſchlingt um dich zum Glanz.
Da iſt das Kleine groß, und nicht das Große bloß,
Da ſiehſt du Groß und Klein die Welt in Gottes Schooß.
47.
Wer immer Schoͤnes ſieht, muß ſelber ſchoͤn auch werden,
An Seelenmienen ſchoͤn und geiſtigen Geberden.
Und wo die Schoͤnheit erſt geworden innerlich,
Da tritt ſie auch hervor und zeigt im Aeußern ſich.
Ein Engelmaler kann des eignen Leibes Maͤngel
Nicht uͤberwinden, doch zeugt Kinder ſchoͤn wie Engel.
48.
Sieh, alles was dich ſonſt geaͤrgert hat zu Haus,
Wie ſoͤhneſt du damit dich nun auf Reiſen aus!
Wie aͤrgerte dich ſonſt ein grauer Regentag,
Wo mit den Blumen matt der Geiſt danieder lag.
Nun freut ein ſolcher dich, an dem du ſtill einmal
Darfſt liegen, und nicht mußt durchſchweifen Berg und Thal.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 15
49.
„Was haſt du nun im Brief fuͤr Neuigkeit erhalten?“
Gar kein' als daß daheim noch alles iſt beim Alten.
Und weiter wuͤnſch' ich nichts, als daß dort alles bleibe
Beim Alten, außer dem was Neues heim ich ſchreibe.
50.
So ſang ein Wandersmann im baumloſen Gefild,
Gelagert unterm Stamm von einem Gottesbild:
Wo nichts mir Obdach gibt, gibſt Obdach du und Schatten;
Erquickteſt du mich nicht, muͤßt' ich im Brand ermatten.
51.
Vergißmeinnicht, du bluͤhſt an fremden Baches Bord,
Und fluͤſterſt mir auch hier: Vergißmeinnicht! dein Wort.
Sag' an, Vergißmeinnicht, durch deinen Mund wer ſpricht?
Die Liebe, die nie dein vergißt, vergiß ihr nicht!
52.
Des Berges Haupt iſt kahl, doch fruchtbar iſt ſein Fuß;
Der Bach war oben ſchmal, breit unten iſt der Fluß.
Des troͤſte dich, wenn du dich ſenken mußt ſtatt heben;
Jemehr es abwerts geht, je reicher wird das Leben.
53.
Ich ſah am Abende des Mondes wachſend Horn,
Der, ſeit ich wanderte, ſich hatte neu geborn;
Und ſprach: die Sonne hat mir manchen Tag gelacht,
Nun troͤſtet auch der Mond den Wandrer in der Nacht.
54.
Wenn immer Ausſicht waͤr' auf maleriſche Hoͤhn,
Saͤhſt du, o Wandrer, nie die Blum' am Wege ſchoͤn.
Wo Großes vor dir ſteht, da mußt du es betrachten;
Und wo das Große fehlt, lernſt du auf Kleines achten.
15*
55.
Hold iſt nur die Natur, wo ſie die Huld bezwang,
Wo ſie der Menſchengeiſt mit Liebeshauch durchdrang.
Hier aber ſeh' ich ſie noch unbezwungen frei,
Und fuͤhle, daß ſie ſo nicht meine Freundin ſei.
56.
Wo nicht als Ackersmann, als Fiſcher oder Jaͤger
Der Menſch ſich naͤhren kann, wird er der Kuͤnſte Pfleger.
Er drechſelt, boßelt, ſchnitzt, macht Floͤt' und Floͤtenuhr,
Und reiche Kunſt entſpringt aus duͤrftiger Natur.
57.
Die Kunſt — das koͤnnen wir in Kunſtgeſchichten leſen —
Beſcheidnes Handwerk iſt ſie im Beginn geweſen.
Nun kehrt die Kunſt, die ſich ſo vornehm macht und breit,
Zum Handwerk wieder, doch nicht zur Beſcheidenheit.
58.
Ehr' hat ihr Ungemach; oft ziehn muß ſeinen Hut
Ein Mann, dem jedermann des Gruͤßens Ehr' anthut.
Ein ſolcher, wenn er fein will danken allen Gruͤßen,
Wird einen neuen Hut des Jahrs mehr haben muͤßen.
59.
Die Reiſ' in fremdes Land iſt dazu gut vor allen,
Daß du kannſt deinen Stand ausziehen nach Gefallen.
Dir, wo du unbekannt, im Volksgetuͤmmel ſchwimmſt,
Nimmt Niemand uͤbel, was du dir nicht uͤbel nimmſt.
60.
Kein Held, wer durch die Flucht Verſuchungen entgeht;
Ein Held iſt, wer, verſucht, der Lockung widerſteht.
Doch iſt das ein garſehr gefaͤrlich Heldenthum;
Such du die Sicherheit, und nicht den Heldenruhm.
61.
Stets unterhaltend iſt die Reiſe fuͤr den Mann;
Bald ziehn die Gegenden, bald dich die Menſchen an.
Und wo anziehend nicht der Menſch iſt noch die Gegend,
Gehſt du Geſpraͤch mit dir und fernen Lieben pflegend.
62.
Erſt freuſt du dich hinaus, dann freuſt du dich zuruͤck;
Nun freue dich zuhaus! die Reiſe, welch ein Gluͤck.
Lang freuteſt du dich vor, und freuſt dich lange nach;
Was thuts, wenn unterwegs einmal die Luſt gebrach?
63.
Nicht in der Einſamkeit biſt du allein; es ſpricht
Dir Vogel, Wald und Strom, zwar was? verſtehſt du nicht,
Doch kannſt du wie du willſt nach deinem Sinn es deuten,
Nicht aber das Geſpraͤch von widerwaͤrtigen Leuten.
64.
Die freie Herde ſpringt vorm Hirten laͤutend her;
Ein einzig Zicklein fuͤhrt am rothen Baͤndchen er.
Iſt es ſein Liebſtes, das nie ſeinem Band entweicht?
Iſt es das ſtoͤrriſche? Beides zugleich villeicht.
65.
O Wandrer im Gebirg, hier beides findeſt du,
Des Steins Anſtoß am Fuß, des Steinchens Druck im Schuh.
Doch laß dich nur den Druck, den Anſtoß dich nicht kuͤmmern,
Und ſchreite wohlgemut hin ob der Welt in Truͤmmern.
66.
Das Wetter wechſelt, und es wechſeln Menſchenkaunen,
Die Landſchaft wechſelt auch; was iſt da groß zu ſtaunen,
O Wanderer, wenn du biſt dreifach launenhaft,
Nach der Natur, der Reiſ' und deiner Eigenſchaft!
67.
Suͤß muß es Schwachen ſeyn, des ſtarken Feinds zu ſpotten,
Wie um die Eule ſchreyn am Tage Kraͤhenrotten.
Die fromme Schwalbe ſticht im Flug auf eine Katze,
Luſtkreiſchend, daß umſonſt ſie ſtreckt nach ihr die Tatze.
68.
An heil'ger Berge Fuß zu wohnen mag erheben,
Auf Andachtfluͤgeln wird der Geiſt ſie uͤberſchweben.
Doch ungeheiligte vom Glauben druͤcken nur,
Und lieber wohn' ich fern davon auf offner Flur.
69.
Die Pflanzen lieb' ich, die im Bluͤhn und Welken gleichen
Den Menſchen, aber ſchoͤn und lieblich ſind als Leichen.
Dem Leben widerig iſt jede Todesſpur,
Und maleriſch ein Baum ein abgeſtorbner nur.
70.
Des Kunſtwerks Kunſt iſt nur fuͤrs Kuͤnſtlerauge da,
Unſichtbar aber iſt ſie auch dem Laien nah,
Die ſo fuͤr ihn den Reiz des Gegenſtands verſtaͤrkt,
Daß er den Zauber auch, ohn' ihn zu kennen, merkt.
71.
Des Menſchen Glaube praͤgt in ſeinem Thun ſich aus,
Formt ſeine Zuͤg' und blickt ihm zu dem Aug' heraus.
Sein Glaub' iſt es der ihn aufrichtet oder buͤckt,
Zum Himmel ihn erhebt, zum Boden niederdruͤckt.
72.
Biſt du im fremden Land, ſo mußt du dich bequemen
Der Landesart, doch brauchſt du ſie nicht anzunehmen.
Und in der Heimat ſei einſt dieſes dein Gewinn:
Trag Andrer Sinnesart, und bleib bei deinem Sinn.
73.
Im Sonnenſchein mußt du mit dir den Mantel tragen,
Wenn du ihn haben willſt im Regen umzuſchlagen.
Villeicht traͤgſt du ihn mit als unnuͤtz Hindernis;
Doch laß ihn nur zu Haus, ſo fehlt er dir gewis.
74.
Du Ueberſchrift am Weg ſagſt: „Hemme deinen Gang,
O Wanderer, und lis!“ Allein du biſt zu lang.
Sei kurz, o Ueberſchrift! ſo bleib' ich gerne ſtehn;
Doch du biſt laͤnger als der Weg, den ich muß gehn.
75.
Hinaus aus dieſer Schluft, aus dieſer Kluft hinaus!
Daraus hinaus verlangt ſelbſt wer drin iſt zu Haus.
Daraus hinaus verlangt des Wildbachs lauter Braus:
Hinaus aus dieſer Schluft, aus dieſer Kluft hinaus!
76.
Ein weites Zimmer macht weit die Gedankenwelt,
Ein ſchoͤnes helles hat den Sinn verſchoͤnt, erhellt.
Da kann kein Filoſof ein dumpf Syſtem erbau'n,
Und kein Poet darin truͤbſel'ge Verſe brau'n.
77.
Du Bollwerk der Natur, Gebirg von Gott gegruͤndet,
Von jedem Wandrer ſei dein Ruhm der Welt verkuͤndet!
Auch ich hab' angeſtaunt die Schanzen und Baſteien,
Und freue mich, daß ich nun wieder bin im Freien.
78.
Was hilft es, daß du dir die fremden Weg' einpraͤgteſt?
Du gehſt ſie doch nie mehr, wann du zuruͤck ſie legteſt.
79.
Auch dis muß ſeyn erlebt, auch dis muß ſeyn ergangen,
Um dann im Leben nie danach mehr zu verlangen.
80.
Wenn dir's an jedem Ort, o Wandersmann, gefiele,
So bliebſt du liegen dort und kaͤmeſt nie zum Ziele.
81.
Der Meilenzeiger kann dir zeigen wol die Meilen;
Die Kraͤfte ſie zu gehn kann er dir nicht ertheilen.
82.
Die Qual iſt bei der Wahl; viel Wege breit und ſchmal,
Gehn darfſt du jeden, doch nur einen auf einmal.
83.
Selbſt deine Uhr geraͤth in Unordnung auf Reiſen;
Sie fuͤhlt ſich, wie du ſelbſt, geruͤckt aus ihren Kreiſen.
84.
Zwei Schlechte geben oft ein Gutes im Verein,
Ein leidliches Getraͤnk ſchlecht Waſſer, ſchlechter Wein.
85.
Wer faͤllt, ſteht wieder auf; deswegen nimmt im Wallen
Sich doch kein Kluger vor, um aufzuſtehn, zu fallen.
86.
Weltweisheit iſt die Kunſt, die ſchlecht ſich auf Weltweiſe
Verſteht; Weltklugheit iſt weit nuͤtzlicher zur Reiſe.
87.
Was thut's wenn dich die Welt um weltlich Gut betrog,
Wenn ſie dir nur das Kleid des Gleichmuths nicht auszog.
88.
Wer dich betrog, der wird dich obendrein auslachen;
Doch nur getroſt! du mußt dir auch aus dem nichts machen.
89.
Daheim, o Wandrer, magſt du allen Liebe tragen,
Doch in der Fremde gilts dich ruͤſtig durchzuſchlagen.
90.
Begnuͤgſamkeit iſt doch des Menſchen groͤſtes Gluͤck;
Wie freut den Armen ein geſchenktes Groſchenſtuͤck!
91.
Ganz in Vollkommenheit ſiehſt du kein Ding erglaͤnzen;
Warum? damit dein Geiſt hab' etwas zu ergaͤnzen.
92.
Die Welt iſt ungetreu, die Menſchen, die Natur,
Treu bin ich ſelbſt mir nicht, getreu biſt du mir nur.
93.
Blick' in die Welt hinaus, und ſieh, viel andre Raͤder
Erhalten ſie im Gang, als deine Schreibefeder.
94.
Nicht nur erkennen, wie gering du ſeiſt, mußt du;
Du mußt zufrieden auch und freudig ſeyn dazu.
95.
Was man zum Guten wie zum Boͤſen deuten kan,
Nimm, ſei's zum Boͤſen auch gemeint, zum Guten an.
96.
Erfahren muß man ſtets, Erfahrung wird nie enden,
Und endlich fehlt die Zeit, Erfahrnes anzuwenden.
97.
Thu nur als wiſſeſt du, um dir die Scham zu ſparen,
Was du nicht weißt; und ſo wirſt du es nie erfahren.
98.
Ein Heimchen ſchwirrt, und macht den Wanderer gedenken
Der Heimat; ſo vermag den Sinn ein Klang zu lenken.
99.
Was iſt an Fluren ſchoͤn? was ſchoͤn iſt auch am Leben:
Beſchraͤnkung reizende und Ausſicht zum Erheben.
100.
In Hellas wuchs die Kunſt, vom Sinn des Volks gefordert,
Die wachſen ſoll bei uns, vom Herrſcherwort beordert.
101.
Der Fluß bleibt truͤb, der nicht durch einen See gegangen,
Das Herz unlauter, das nicht durch ein Weh gegangen.
102.
Den Fluß nach Regenguß truͤb gehn ſehn, iſt natuͤrlich;
Doch geht er immer truͤb, ſo find' ichs ungebuͤrlich.
103.
Ein nochſo ſchoͤner Fluß, darauf nicht Schiffe gehn,
Iſt wie ein Ackerfeld, wo keine Saaten ſtehn.
104.
Fruchtbaͤume wird man nicht im wilden Wald erwarten,
Dagegen aͤrgern mich Waldbaͤum' im Kuͤchengarten.
105.
Ich kann nicht eſſen, wenn ich andre hungern ſehe;
An Hunden aͤrgerts mich, an Menſchen thut mirs wehe.
106.
Der gelbe Wein iſt Gold, der rothe Wein iſt Blut;
Dem Golde bin ich hold, dem Blute bin ich gut.
107.
Wie mit dem Eignen ſich der Eigner muß begnuͤgen,
So muß ein Fremder auch ſich in das Fremde fuͤgen.
108.
O Wanderer am Bach, geh nur dem Waſſer nach,
Es fuͤhret ſicher dich zu Menſchendach und Fach.
109.
Der Baum, der Fruͤchte traͤgt, traͤgt eine ſchoͤne Laſt;
Nie fehlt ihm Gab' und Lab', und ein dankbarer Gaſt.
110.
Sei ſelbſt ein Mann, wo nicht, ſuch' eines Mannes Schutz!
Den Stamm des Baumes macht die Ranke ſich zu Nutz.
111.
Noth iſt die Wage, die des Freundes Werth erklaͤrt,
Noth iſt der Pruͤfſtein auch von deinem eignen Werth.
112.
Und wenn ſie wie das Korn dich in den Boden traten,
So gehſt du auf wie es, und wirſt zu gruͤnen Saaten.
113.
Die Vogelſcheuche, die den ſcheuen ſcheucht, wird reizen
Den kuͤhnen Vogel, dem ſie ſagt, reif ſei der Weizen.
114.
Zur Weggenoſſenſchaft gehoͤren beide Gaben,
Nicht blos ein gleiches Ziel, auch gleichen Schritt zu haben.
115.
Die ſchwarze Wolke truͤbt des Himmels reines Blau,
Weil ſie erfriſchen will das welke Gruͤn der Au.
116.
Der Hunger ſchlaͤft im Zahn, bis ihn die Speiſe weckt;
Verſuch es und beiß an, ſo ſchmeckſt du, daß es ſchmeckt.
117.
Der Anker haͤlt den Kahn, und laͤßt ihn nicht verſinken,
Und haͤlt an ihm ſich an, um ſelbſt nicht zu ertrinken.
118.
Die Birnen fallen hart vom hohen Zweig zur Erde;
Wenn du zu Fuße gehſt, ſo faͤllſt du nicht vom Pferde.
119.
Ein Bettler geht nie irr, er geht an jedem Ort
Seinem Geſchaͤfte nach, und bettelt hier und dort.
120.
Wen du arbeiten ſiehſt, dem beut du ſelbſt den Gruß;
Nicht bieten kann er ihn, weil er arbeiten muß.
121.
Die Bluͤte traͤgt ſich leicht, viel leichter als die Frucht;
O ſchlanker Fruͤhlingsaft, wie beugt dich Herbſteswucht!
122.
Wer hin die Haͤlfte gab, verliert das Ganze nicht;
Der Baum wirft Aepfel ab, damit der Aſt nicht bricht.
123.
Die Waſſer rauſchen hin wie Weltbegebenheiten,
Und ihres Rauſchens Grund ſind Erdunebenheiten.
124.
Der hohe Thurm erſcheint am Fuß der Berge klein;
Und ſtuͤnd' er oben drauf, wuͤrd' er noch kleiner ſeyn.
125.
Leicht ſchenkſt du hin, was ſchwer dir nicht ward zu gewinnen;
Die Wolke ſchoͤpft vom Meer, und laͤßts zur Erde rinnen.
126.
Zu Hauſe bin ich nicht, wo meine Heimat iſt;
Da iſt die Heimat mein, wo du zu Hauſe biſt.
127.
Du kannſt mit einem Schlag ins Waſſer zwar es theilen,
Doch wirds im Augenblick wieder zuſammen eilen.
128.
Was nur vom Himmel kommt in gut und ſchlechten Tagen,
Schnee, Regen, Sonnenſchein, das muß die Erd' ertragen.
129.
Im Reisfeld ſteht der Reis bis an den Hals im Waſſer,
Alswie der Baur im Schweiß, im Ueberfluß der Praſſer.
130.
Der Ochs vorm Pflug einher, und hinterm Pflug der Bauer,
Dem einen wird es ſchwer, dem andern ſchwer und ſauer.
131.
Der Bauer hat die Noth, der Ochſe hat die Plage;
Der Bauer ſchreit ums Brot, der Ochſ' hat keine Klage.
132.
Herr Hunger legt das Fett auf einen magern Biſſen,
Und auf ein hartes Bett Frau Muͤdigkeit das Kiſſen.
133.
Im Waſſer liegt der Stein, und wird davon nicht weich;
Ein Thor nimmt Weisheit an, und bleibt ſich ſelber gleich.
134.
Siehſt du das Taucherlein, wie flink es untertaucht?
Gewis am Grund des Sees iſt etwas, das es braucht.
135.
Wo ein Volkshaufen iſt, da iſt von Staub die Wolke;
Willſt du im Staub nicht gehn, ſo geh nicht mit dem Volke.
136.
Wer immer Anſpruch macht auf das was nicht beſchieden
Ihm ward, iſt mit der Welt beſtaͤndig unzufrieden.
137.
Des Menſchen Boͤs und Guts liegt nicht an Stand und Lage,
Kommt nicht dadurch zu Stand, doch kommts dadurch zu Tage.
138.
Mein Reiſethier iſt muͤd' und weiter kann ich nicht.
Aufblickt' ich und mir lag die Herberg' im Geſicht.
139.
Am Ende ſiehts ein Thor, ein kluͤgrer in der Mitte,
Und nur der Weiſe ſieht das Ziel beim erſten Schritte.
140.
Wie anfangs man geirrt, das findet man am Ende;
O daß ichs wenigſtens auf halbem Wege faͤnde!
141.
Der Berg, der ſich im Licht ewig zu ſonnen glaubt,
Die Schatten wachſen doch ihm Abends uͤbers Haupt.
142.
Du mußt nicht auf den Leib zu nah den Bergen gehn,
Sie ſind im Duft der Fern' am ſchoͤnſten anzuſehn,
143.
Der Berg, von vorne ſteil, wird hinten leicht erklommen;
Nichts iſt ſo ſchwer, es gibt Mittel ihm beizukommen.
144.
Nicht Großes nur iſt groß, nicht Kleines nur iſt klein;
Nicht die Geſtalt iſt es, nur der Gedank' allein.
145.
Du fragſt, was von der Reiſ' ich dir mit heim gebracht?
Gedanken, die ich mir hab' unterwegs gemacht.
146.
Vergeſſen wird, wie was man ſieht, auch was man denkt;
Doch zum Andenken ſei dies Buͤchlein dir geſchenkt.
Leipzig, Druck von Hirſchfeld.