Meine liebe, verehrte, treffliche Freundin,
Aufs herzlichste erwiedern wir Alle Ihren und durch den Draht übermittelten Glückwunsch
zum neuen Jahr. Möge das eben begonnene nach allen Beziehungen und Richtungen hin sich
als ein gutes und segenreiches für Sie erweisen!
Ich weiß zu gut aus eigenster Erfahrung, wie leicht vielbeschäftigte Personen
gerade da, wo sie nur Selbstverständliches oder als selbstverständlich Vorausgesetztes mitzutheilen
haben, das Briefsschreiben unterlassen. Sie haben vollkom̃en Recht vorauszusetzen, daß weñ
Sie auch nicht schreiben, wir von Ihren treuen und liebevollen Gedenken eben so sehr und
fest überzeugt sind, wie Sie es von dem unseren überzeugt sein werden und köñen, weñ
wir statt wirkliche Briefe auch nur (nach meinem Ausdruck) Gedankenbriefe, d.h.daß heißt unge-
schriebene an Sie richten. Sie haben nur darin Unrecht, nicht zu bedenken, wie sehr
uns jede unmittelbare Nachricht von Ihrem Wohlergehen erfreut. Je mehr man in unserer
Zeit der Drahtverbindung das Briefschreiben verlernt, desto mehr sollte man
es sich zur Regel machen, bei irgend bestim̃ten Gelegenheiten und Gedenk-
tagen einander ein unmittelbares Lebenszeichen zukom̃en zu lassen, und hätte
man sich auch kaum etwas mehr zu sagen als das eigentlich (weil selbst-
verständlich) überflüssige: Wir gedenken mit Freude und getreulich der
gemeinsam
gemeinsam verlebten schönen Zeiten, die, auf nim̃er wiederkehren und
in den spätern Jahren, wo man sich nicht so leicht an neue Bekañte anschließt,
in ähnlicher Weise kaum je wiederkehren köñen.
Mehr habe ich ja Ihnen auch heute kaum zu sagen und ich bin doch
stolz oder eitel genug, zu denken, es wird Ihnen angenehm sein, hier zu
lesen, was Sie freilich auch ohnedies wissen werden.
Ich füge nur noch hinzu, daß wir uns – wenn wir, des Goethe‘sche
Spruches , das Glück unserer Tage nicht mit der Gold-, sondern
mit der Krämerwagen wägenht – mit unserem Ergehen im Großen und
Ganzen zufrieden geben köñen.
Ihnen das Schönste und Beste wünschend und hoffend,
daß Sie mit oder ohne Anlass nächstens einmal uns über Ihr
Ergehen Erfreuliches mittheilen, bin ich, liebe „undankbare“(?!)
Adele,
in altbekañter Verehrung, Liebe und Treue und
mit herzlichsten Grüßen und Wünschen von Allen
Ihr dankbar ergebener Freund
Dan. Sanders
Altstrelitz, 4, 1. 1885.