Erſter Abſchnitt.
Reiſe von Riga nach Warſchau.
Mitau. Kalm, erſter Ort in Lithauen. Abſtich zwiſchen Kur-
land und Lithauen. Janiszek. Juden. Mieskut. Gna-
denbilder. Schauel. Juͤdiſcher Poſtknecht. Schnel-
ligkeit der Lithauiſchen Extrapoſten. Radziwiliszek.
Szadow. Beyſagoly. Montwidow. Keydan. Ruſ-
ſiſche Huſaren. Bopt. Jſraelitiſche Nachtwaͤchter und
Matroſen. Judenkrug. Kauen. Meth oder Lippitz.
Dienſteifer eines ruſſiſchen Korporals. Gog, ein
merkwuͤrdiges Dorf. Ausgetretene Memel. Der
betrunkene Sieger. Pren. Balwierziszek. Angeneh-
me Ausſicht. Olita. Krykſtan, Leypun, Przewald,
Kryniezney. Grodno. Kuzniez. Tyſenhauſen, Hof-
ſchatzmeiſter von Lithauen. Sokolk. Buckſtal. Saͤch-
ſiſche Poſtmeiſterfamilie. Bialyſtock und deſſen Schloß
und Thiergarten. Woysk. Bielsk. Polniſche Nati-
onalreiterey. Bransk. Wengrow. Polniſche Frey-
heit. Nachrichten von den Poſten in Lithauen. Be-
merkungen uͤber Lithauen. Fruchtbarkeit. Zuſtand
der Forſten. Charakter, Doͤrfer, Lebensart, Tracht
der Lithauer. Podlachien. Polen.
A 2
Jch reiste den letzten des Aprils 1793 von
Riga ab. Der Weg nach Mitau (6½ Meile) iſt
ſehr langweilig. Man faͤhrt theils auf Sand,
theils uͤber Moorgrund, der auf beyden Seiten
entweder mit Heidekraut oder mit kruͤpelhaftem
Nadelholz beſetzt iſt. Zum Gluͤck fahren die Lief-
laͤndiſchen Poſtknechte ſo ſchnell, daß man dieſe
oͤden Gegenden bald im Ruͤcken hat. Je naͤher
man an Mitau koͤmmt, deſto fruchtbarer wird
Boden und Gegend. Mitau nimmt ſich von
dieſer Seite recht gut aus. Das Schloß
und mehrere, jenſeit der Aa gelegene, große
und gute Haͤuſer, geben einen faſt glaͤnzenden
Anblick. Deſto unſcheinbarer iſt das Jnnere
der Stadt. Sie hat zwar lange, breite, meiſt
ziemlich gerade Straßen, aber ſie haben theils
gar kein, theils ein ſchlechtes Pflaſter und ſind
meiſt mit hoͤlzernen, einſtoͤckigen Haͤuſern beſetzt.
Man giebt die Zahl ihrer Einwohner zu 10 bis
12000 an, eine, fuͤr ihren Umfang, geringe Be-
voͤlkerung.
Den 1ſten May. Der Weg von Mitau
bis Kalm (Kalmiow) betraͤgt 4 Meilen.
Der Boden bis dahin iſt groͤßtentheils ein gelb-
roͤthlicher Letten, und aͤußerſt fruchtbar. Auch
iſt das Kirchſpiel Seſſau, durch welches der
Weg fuͤhrt, einer der fruchtbarſten Landſtriche
in Kurland. Ein ebener Weg, der Theilweiſe
mit duͤnnem Gehoͤlz auf beiden Seiten beſetzt
iſt, machte dieſe Poſt nicht ſehr abwechſelnd.
Die fruͤheſten Baͤume knospeten nur erſt und
ein kalter Wind, der meinen Pelz durchfuhr,
erinnerte mich, daß ich noch in Kurland ſey.
Das Korn war im Hervorſchoſſen und uͤber-
zog mit einem ſpaͤrlichen Gruͤn die Felder.
Der junge Raſen kaͤmpfte noch mit dem ver-
blaßten vom vorigen Jahre. Uebrigens machte
ich jene vier Meilen in 3½ Stunde, was fuͤr
die Kurlaͤndiſchen Poſten nicht zu geſchwind war.
Kalm, der erſte Lithauiſche Ort, iſt ein
bloßes Dorf, an deſſen Eingange der Schlag-
baum gegen Kurland ſich befindet, und wo
man durchſucht wird. Als ich vor anderthalb
Jahren denſelben Weg machte, wurde ich, un-
geachtet eines anſehnlichen Trinkgeldes, ſcharf
durchſucht, vermuthlich, weil es die Zollbe-
dienten nicht ungeſtraft unterlaſſen konnten;
dießmal ſahe man, fuͤr die Haͤlfte jenes Trink-
geldes, nur meinen Reiſekaſten an und ließ
den Jnhalt auf ſich beruhen. Jn der That,
es iſt auch jetzt niemand da, der ſtrafen koͤnnte,
da alle Gewalten im Polniſchen Staate theils
ausgeſetzt, theils gar vernichtet ſind. Was
noch geſchieht, geſchieht nach gewohnter Vor-
ſchrift, die man befolgt, weil man noch keine
andere Ordnung hat. Zu Kalm iſt auch der
Poſtwechſel. Alles iſt anders, als eine halbe
Meile vorher. Chriſtusbilder kuͤndigen das
roͤmiſche Bekenntniß an; foͤrmliche Doͤrfer eine
andere buͤrgerliche Verfaſſung; die Sprache
ein andres Volk; ſein Aeuſſeres einen ganz
andern Charakter; die Poſtverfaſſung und deren
Bediente hatten eine ganz andere Weiſe in
Treibung ihrer Geſchaͤfte. Der Kurlaͤndiſche
Poſtknecht war wohlgekleidet, ſeine Pferde
waren groß und ſtark; der Lithauiſche hatte
eine alte kapuzinerbraune Kutte an, war baar-
fuß, und ſein Ellenbogen hatte ſich durch das
muͤrbe Tuch, oder vielmehr durch den wolle-
nen Zwillich, einen Weg gebahnt, ſo wie
durch das grobe Hemde; der Kurlaͤndiſche
Poſtknecht hatte ein gewoͤhnliches, großes Horn,
der Lithauiſche ein kleines, worauf er hoͤchſt
widrig quaͤkte; der Kurlaͤndiſche ſchonte ſeine
Pferde, der Lithauiſche trieb ſeine kleinen
eckigten Roͤßchen ohne Barmherzigkeit vor-
waͤrts; Sprung war der gewoͤhnliche Gang
und Trab ihre Erholung. Und endlich, der
Kurlaͤndiſche Poſtknecht war nur hoͤflich, wo
und wann es noͤthig war; der Lithauiſche aber
ſtand ſchon, als er mich kommen ſah, auf hun-
dert Schritte mit bloßem Kopfe da, und naͤ-
herte ſich ſodann mit krummen Ruͤcken. Mit
zehn Polniſchen Groſchen war er zufriedener,
als der Kurlaͤndiſche mit ſechzig. Seilzeug und
Pferde waren der Armuth, die dieſer Zug zeigte,
in allem entſprechend.
Mit Kalm hob ein ſchoͤner ſchwarzer Ge-
treideboden an; der Weg lief uͤber eine voll-
kommene Flaͤche, die naͤher und entfernter mit
Waͤldchen und Gebuͤſchen eingefaßt war. Dieſe
Flaͤche hielt bis Janiszek, der naͤchſten Poſt,
an. Drittehalb Meilen waren in anderthalb
Stunden zuruͤck gelegt. Janiszek iſt ein
unanſehnlicher Flecken, der eine Stadt genannt
wird. Die Haͤuſer ſind von Holz und zeigen
nicht die geringſte Spur von Stein und Kalk.
Die Giebel ſtehen groͤßtentheils nach der Straße.
Juden machen den groͤßeren Theil ihrer Ein-
wohner aus, und ſie ſind hier, was ſie nir-
gend auf der Welt ſind, die — Vornehmen.
Kein Haus iſt uͤber einen Stock hoch und faſt
alle haben zerloͤcherte Strohdaͤcher. Auf eini-
gen Scheuren ſah ich nur noch die Truͤmmer
eines ehemaligen Daches. Am beruͤhmteſten
iſt dieſe aͤrmliche Stadt durch einen großen
Pferdemarkt, der ein paarmal jaͤhrlich hier ge-
halten wird. Uebrigens wohnt hier Gott eben
ſo ſchlecht, als der Menſch. Ein paar Bet-
haͤuſer, denen ich voruͤber fuhr, waren nicht
groͤßer, als die Wohnhaͤuſer, eben ſo wie ſie
von Holz, eben ſo wie ſie durchloͤchert, ſchief
und alt. Jch fand einige Haͤuſer der Stadt
beziffert, den groͤßten Theil davon aber nicht.
Das Polizeyamt, das waͤhrend des Laufes der
Staatsveraͤnderung vom 3ten May, ſeine Ent-
ſtehung erhielt, lebte nicht lange genug, um
dieſe Ordnung ganz auszufuͤhren; die uͤbrigen
Haͤuſer werden nun wohl ohne Ziffer bleiben.
— Jch ſchaͤtze die Stadt zu hoͤchſtens 350
Haͤuſer und ihre Einwohner auf drittehalb tau-
ſend Koͤpfe.
Von Janiszek bis Mieskut (Mieszkuc)
(2½ Meile) fand ich den Weg immer noch
eben, den Boden immer noch feſt und frucht-
bar. Jch kam durch mehrere Doͤrfer, deren
Anſicht man nach der Beſchreibung beurtheilen
kann, die ich vorhin von einer Stadt gegeben
habe. Zwey bis drey Gnadenbilder, um wel-
che Kinder in bloßem Hemde ſpielten, beſaß
jedes Dorf; aber auch dieſe ſtanden theils
ſchief, theils faulten ſie, theils waren die
Bilder von den Pfaͤhlen herabgefallen. Auch
bemerkte ich, daß ſich die Leute, beym Voruͤ-
bergehen, nicht viel darum bekuͤmmerten. Viel-
leicht fehlt es in der Gegend an thaͤtigen
Moͤnchen, deren Anſehen ſich auf den Umſtand
gruͤndet: keinen gekreutzigten Chriſtus ſinken
zu laſſen; vielleicht waren die Menſchen zu
arm, um ſich einen neuen anzuſchaffen. Jn
Boͤhmen z. B. bemerkt man beydes nicht.
Die Kreutzbilder ſind dort in gutem Stande
und der gemeine Mann begruͤßt ſie noch durch
Abnehmung des Hutes, oder der Muͤtze. Mies-
kut iſt uͤbrigens das Seitenſtuͤck zu Janiszeck.
Von Mieskut nach Schauel, (Szawel)
der naͤchſten Poſt, (2½ Meile) erhebt ſich der
Boden etwas und der Weg laͤuft abwechſelnd
uͤber kleine Anhoͤhen und durch kleine Thaͤler
hin, wovon die erſtern mit Buſchwerk und
Gehoͤlz beſetzt, die letztern mit friſchen Saa-
ten bedeckt waren. Das Buſchwerk war theils
im Knospen, theils im Ausbruche der Blaͤtter;
alles aber ſchon weiter hervor, als ich es in
Liefland und Kurland hinterlaſſen hatte. Sza-
wel iſt unter den Lithauiſchen Staͤdten ein
ausgezeichneter Ort, der aus der Ferne ſogar
eine Art von Anſicht gewaͤhrt, weil er eine
ſteinerne Kirche mit einem Thurm, und ein
paar große ſteinerne Amts- und herrſchaftliche
Gebaͤude hat. Man faͤhrt durch eine regelmaͤ-
ßige Straße, die ſogar gepflaſtert iſt, hinein,
und hat auf beyden Seiten artige Koloni-
ſtenhaͤuſer, die theils von Handwerkern,
theils von Juden bewohnt werden. Da
aber in Polen nie etwas ganz ordentlich iſt,
ſo zeigen dieſe Haͤuſer, nach der Straße zu
einen Giebel von Backſteinen, aber die hin-
teren Theile ſind ganz von Holz. Die uͤbri-
gen Haͤuſer in der Stadt ſind ebenfalls ganz
von Holz und ſtehen unregelmaͤßig umher.
Der Marktplatz iſt nach Verhaͤltniß ſehr groß,
und faßt auf der einen Seite die vorhin er-
waͤhnten ſteinernen Haͤuſer, die Kirche und
die Hauptwache. Linker Hand ſteht eine dop-
pelte Reihe von juͤdiſchen Buden, in welchen
baumwollene Zeuge, Tuͤcher, Glas, Brod
und andere Dinge feil geboten werden. So
wie die Juden in Polen eine Art von Vater-
land gefunden haben, ſo iſt hier auch ihr Aeu-
ßeres und ihre ganze Bildung reinlicher und
feiner, als anderwaͤrts, und man trifft, beſon-
ders unter den Weibern, mehr als eine aͤcht
morgenlaͤndiſche Bildung an. Schwarzes Haar,
Habichtsnaſe, ſchoͤne ſchwarze Augen, ſind faſt
allgemein, und die Farbe hat eine gewiſſe, faſt
kraͤnkliche, Zartheit, die man bei den chriſtli-
chen Bewohnern von Lithauen nicht findet.
Daß eine Menge von dieſen Leuten um mei-
nen Wagen wimmelte und mir ihren guten
Willen zu kleinen Dienſten und Gewinn zeigte,
verſteht ſich von ſelbſt. Jch fand auch einige
mit Handarbeiten beſchaͤftigt, die ſie ſonſt ſelten
an ſich kommen laſſen. Mein Poſtknecht ſelbſt
war ein Jude. Jch ſchaͤtze dieſe Stadt auf
300 Haͤuſer und Huͤtten, und ihre Einwohner
auf 3500 ungefaͤhr.
Von Szawel bis Radziwiliszek
(3 Meilen) fand ich den Weg, obgleich unge-
macht, dennoch, bis auf einige Stellen, vor-
trefflich. Jch machte den Weg dahin in Zeit
von drey und einer halben Stunde, ſo jaͤm-
merlich auch meine Pferde und ihr Fuͤhrer
ausſahen. Dieſer letztere hatte es ſich bequem
gemacht. Er hatte eine einfache baumwollene
Schlafmuͤtze auf, aus welcher ein ſchmutzig-
ſchwarzes Haar Buͤſchelweiſe hervor ſah, das
er, ſo ſehr er auch mit Antreibung der Pferde
beſchaͤftigt war, dennoch zuweilen mit ſpitzen
Fingern kaͤmmte. Sein Leib ſteckte in einem
kurzen, mit Theer und andern Handwerkszei-
chen getiegerten, Schaafspelze, der ein paar
zerriſſene Hoſen kuͤmmerlich bedeckte, aber die
gelbe Bruſt bloß ließ und dabey einige duͤrftige
Ueberbleibſel von einem ſchwarzen Hemde be-
merkbar machte. Mit Schuhen oder Stiefeln
hatte er ſich gar nicht in Unkoſten geſetzt. An
der Peitſche war kein fingerlanges Leder. Jn
dem einen Ende des herumflatternden Halstuchs
ſchneuzte er ſich. Bey dem allen fuhr er ſehr
geſchickt, ſchnell und vorſichtig.
Der Poſtwechſel iſt in einem einzelnen ge-
mauerten Hauſe, eine kleine Strecke von dem
Staͤdtchen Radziwiliszek. Hier blieb ich die
Nacht, nachdem ich in dreyzehn Stunden
ſechszehn ſtarke Meilen zuruͤckgelegt hatte.
Man vergleiche dieß ein wenig mit der Art
Extrapoſt zu fahren in Sachſen oder Preußen,
wo die Reiſenden fuͤr den Poſtknecht und ſeine
Pferde da zu ſeyn ſcheinen, nicht dieſe fuͤr den
Reiſenden. Mein Nachtlager beſchreibe ich
nicht; ſie werden einander wahrſcheinlich in
Lithauen alle aͤhnlich ſeyn, und dann iſt weiter
unten noch Zeit dazu. Uebrigens iſt Radziwi-
liszek ein unbedeutendes Staͤdtchen, nicht ſo
gut und groß wie Janiszek, aber wohl wie
Mieskut.
Den andern Morgen, den 2ten May,
reiſte ich weiter nach Szadow (2 Meilen)
wohin der Weg ziemlich angenehm wurde.
Wald und Huͤgel und Flaͤche wechſelten ab.
Jm erſtern ſah ich zuerſt die unbeſchreibliche
Nachlaͤßigkeit im Forſtweſen, oder vielmehr ich
ſah, daß gar keine Waldaufſicht da war. Wei-
ter unten werde ich einige Bemerkungen daruͤ-
ber machen, die vielleicht den Einwohnern in
Frankfurt am Mayn, Dresden und Leipzig
Thraͤnen auspreſſen duͤrften. Der Weg iſt
zwar nicht eigentlich gemacht, aber doch findet
man an beyden Seiten Graben gezogen. Ue-
brigens iſt Szadow eine Stadt, wie ungefaͤhr
alle, durch die ich bisher gekommen war. Der
Hauptſtock der Einwohner ſind abermahls Ju-
den, und durch ihre Haͤnde gehen auch hier
die Kaufmannsgeſchaͤfte aller Art. Auf den
meiſten Haͤuſern ſind keine Schornſteine; die
Steuereinnehmer muͤſſen alſo wohl dieſe Haͤu-
ſer ſelbſt fuͤr Rauchfaͤnge nehmen.
Von Szadow nach Beyſagoly
(2 Meilen) wird der Weg Sand, der aber
nicht die Tiefe und Feinheit hat, wie der
Potsdammer und Berliner. Abwechſelnd fuhr
ich uͤber Huͤgel und durch Wald. Die Baͤume,
beſonders die Weiden und Birken, hatten hier
ſchon anſehnliche Blaͤtter geſtoßen, und alles
zeigte den Anfang eines mildern Himmelsſtri-
ches. Beyſagoly iſt ein Flecken von 200
Haͤuſern, deſſen Schilderung ich nicht zu wie-
derholen brauche.
Der Weg von hier bis Montwidow,
(3 Meilen) bleibt angenehm genug, obgleich
hier und da ſandig. Zur Rechten behaͤlt man
ein Thal, das fuͤr Reiſende, die aus Liefland
und Kurland kommen, ſehr anſehnlich iſt, und
an deſſen Rande man ziemlich nahe hinfaͤhrt.
Der Weg iſt gemacht, und zwar mit ziemli-
cher Sorgfalt, ſogar ſtellenweiſe mit Baͤumen
bepflanzt. Ein großer Gutsbeſitzer hat es
vermuthlich zu ſeiner eigenen Bequemlichkeit
gethan. Montwidow iſt ein Dorf.
Keidan (Kieydan) (3 Meilen) erreichte
ich auf einem angenehmen Wege, der uͤber
zwey oder drey anſehnliche Anhoͤhen hinab-
laͤuft. Die Stadt ſtellt ſich aus der Ferne
nicht unangenehm dar, weil ſie mehrere Kir-
chen und Thuͤrme hat. Es war die erſte be-
traͤchtliche Stadt, die ich in Lithauen ſah,
aber nur in Abſicht des Umfangs, nicht in der
Bauart. Jch habe nicht uͤber drey oder vier
ſteinerne Haͤuſer gezaͤhlt, die uͤbrigen alle wa-
ren, nach Lithauiſcher Sitte, von Holz. Hier
fand ich die erſten Ruſſen, und zwar Huſaren,
deren verbrannte Geſichter und verbrauchte
Kleidung von neuerlich vollendeter Kriegsarbeit
zeigte; von Perſon im Durchſchnitte unge-
woͤhnlich klein, aber von ſtarkem, gedrungenen
Bau, dem wahren Bilde der Dauerhaftigkeit.
Jhr Blick und Anſtand waren im hoͤchſten
Grade kriegeriſch. Hier war auch Ordnung,
denn beym Ein - und Ausgange der Stadt
mußte ich meinen Namen abgeben. Lebens-
mittel und Futter, klagte man mir, ſeyen un-
gewoͤhnlich ſelten und theuer. Nach einer un-
gefaͤhren Schaͤtzung kann Keidan gegen 450
Haͤuſer und 5000 Einwohner haben.
Von Keidan aus laͤuft der Weg uͤber
eine ziemlich ſteile Anhoͤhe hinan, die ſich in
B
ein fruchtbares Thal verliert, durch welches die
Wilia hinlaͤuft. Dieſer Fluß iſt ziemlich un-
betraͤchtlich, bildet aber ein angenehmes, frucht-
bares, behoͤlztes Ufer. Gras und Baͤume an
demſelben waren ſchon in der jugendlichen Far-
be des Fruͤhlings und die Sonne ſtach ſehr
lebhaft.
Von Keidan kam ich auf Bopt, (3 M.)
einen Flecken oder auch nur ein Dorf. Der
Weg dahin iſt ganz eben, ſtellenweiſe waldigt,
und laͤuft ſo, daß man ein ziemlich tiefes Thal
zur Rechten behaͤlt, in deſſen Mitte das vor-
hin erwaͤhnte Fluͤßchen fortſtroͤmt, und das
bald enger, bald weiter, ſich neben dem Wege
hinabzieht. Romantiſcher (man verzeihe dies
Wort einem Manne, der aus Liefland kam)
wird dies Thal von Bopt aus, wo man in
daſſelbe ganz hineinfaͤhrt und wo es ſich, von
hoͤhern Raͤndern eingefaßt, immer mehr erwei-
tert und einen dichten Kranz von Holzung
zeigt. Der Weg, den man, an der linken Seite
deſſelben hin, nimmt, geht bergauf, bergab
und hat hier und da ſogar gefaͤhrliche Stellen,
wo mein Wagen gehalten werden mußte, da-
mit er nicht umfiele. Endlich kommt man links
den Berg wieder hinauf, und findet eine Sand-
flaͤche vor ſich, die eine ziemliche, mit Nadel-
holz beſetzte, Strecke einnimmt, von der herab
man eine nicht unangenehme Ausſicht uͤber das
unten liegende Thal und deſſen Raͤnder ge-
nießt. Die Gegend hier herum iſt theils mit
Doͤrfern, theils mit einzelnen Hoͤfen beſetzt.
Man koͤmmt endlich, kurz vor Kauen
(Kowno) (3 M.) uͤber einen betraͤchtlichen
ſandigen Berg in das gedachte Thal wieder
hinab. Die eine Haͤlfte des Weges war mit
Balken ausgelegt, uͤber die man von unten
herauſfaͤhrt, die andere Haͤlfte, die man hin-
abfaͤhrt, war in ihrem natuͤrlichen Zuſtande ge-
laſſen. Der Vortheil dieſer Anſtalt, die mir
noch nicht vorgekommen war, leuchtet ein, und
ich bemerke ſie hier, um die Nachahmung der-
ſelben in ſandigen Gegenden, die zugleich ber-
gigt ſind, zu empfehlen.
B 2
Jſt man dieſen Berg hinunter, ſo befindet
man ſich von neuem in dem erwaͤhnten Thal
und bald nachher an der Wilia, uͤber die man
ſich ſetzen laſſen muß, um nach Kowno zu
kommen. Kurz nach 9 Uhr ſtand ich an dem
Ufer jenes Fluſſes, nachdem ich, ſeit 6 Uhr
Morgens, eine Strecke von 17 Meilen zuruͤck
gelegt hatte. Jch fand Ruſſen vor mir, die
in der Judenſtadt im Quartier lagen. Jch
nenne die hier herumſtehenden Haͤuſer, die
eine foͤrmliche Stadt mit einem Markte bilden,
eine Judenſtadt, weil ſie in der That ganz
von Juden bewohnt wird, die eine eigene an-
ſehnliche Synagoge hier beſitzen, und ſich wohl
auf 2000 Koͤpfe belaufen koͤnnen. Es faͤllt
mir immer noch auf, dieſes Volk auch mit
andern Dingen, als mit Schachern, beſchaͤf-
tigt zu ſehen; hier nemlich treiben ſie alle
Handwerke, die ſie zu ihrer Verſorgung und
Unterhalte brauchen. Auch die Nachtwaͤchter
waren Juden, aber (man lache nur nicht!)
ihrer zwey waren immer bey einander, ſangen
auch beyde daſſelbe Nachtwaͤchterlied, aus dem
ſehr guten Grunde, wie es ſcheint, daß zwey
Furchtſame einander eine Art von Muth ein-
floͤßen.
Hier fuͤhlte ich zum erſtenmale wieder ei-
nige kleine Unbequemlichkeiten der ſoldatiſchen
Ordnung, deren ich in Kurland und Lithauen
ganz ungewohnt worden war. Die diesſeits
ſtehenden Ruſſen hatten nemlich Befehl, nach
9 Uhr niemand uͤber den Fluß nach Kauen zu
laſſen. Man kuͤndigte mir dies an und fuͤhrte
mich in die ſchwarze, von Hitze und Ausduͤn-
ſtungen ſtickende Hauptſtube eines Judenkru-
ges, wo ich mich, da ich nur wenig Ruſſiſch
verſtehe, und da die umſtehenden Juden mein
Deutſch nicht verſtanden, mit großer Anſtren-
gung verſtaͤndlich machen, und meinen Namen
und woher ich kaͤme, und wohin ich wollte,
dem Korporal in die Feder ſagen mußte, der
anfing, mich beſſer zu verſtehen, als ich mir
die Freyheit nahm, ihm durch ein paar Duz-
zend polniſche Groſchen nachzuhelfen. Nach
dieſem Geſchaͤfte trug ich, ſo gut ich mit Ge-
baͤhrden und einem juͤdiſchen Dragoman konn-
te, mein Anliegen vor, daß man mich noch
nach Kauen hinuͤber laſſen moͤchte; aber ich
wußte freylich, da mir die Strenge des ruſſi-
ſchen Kriegsdienſtes bekannt genug iſt, daß es
unmoͤglich ſeyn wuͤrde. Jch war eben im
Begriff, meinen Wagen in einen andern juͤ-
diſchen Krug ſchaffen zu laſſen, als der Offi-
cier, der an der Spitze der Mannſchaft war,
gerade von Kauen her landete. Da er Deutſch
und Franzoͤſiſch ſprach, ſo hatte ich Mittel in
Haͤnden, mich ihm verſtaͤndlich zu machen; er
weigerte ſich anfangs, aber endlich erklaͤrte er
mit wahrer Artigkeit, er wolle, da ich doch
auch ein Ruſſiſcher Unterthan ſey, den Ver-
druß auf ſich nehmen, der ihm daraus erwach-
ſen koͤnnte, wenn er mich noch hinuͤber ließe.
Jch glaubte nun gewonnen zu haben, und
haͤtte auch uͤberall gewonnen gehabt, nur nicht
hier, wo Juden die Matroſen und Steuer-
leute der Faͤhre waren. Da ſich ein unbe-
traͤchtlicher Wind erhoben hatte, ſo erklaͤrten
ſie, mich nicht uͤberſetzen zu koͤnnen, und blie-
ben dabey, ungeachtet ich ihnen ein vierfaches
Faͤhrgeld bot. Wie groß ihre Aengſtlichkeit
war, kann man aus dieſem Umſtande deutlich
ſehen; und ich erinnerte mich ſehr lebhaft an
die gemeine Sage, daß die Juden, um ihre
Furcht vor dem Waſſer zu beſchoͤnigen, zu ſa-
gen pflegen: es habe keine Balken.
So war ich dennoch gezwungen, nach ei-
nem juͤdiſchen Kruge umlenken zu laſſen und
mich dort, in einer Geſellſchaft, die ich nicht
beſchreibe, die aber aus Ruſſiſchen Soldaten,
nackten Lithauern, halb betrunkenen Pohlen
und der zahlreichen Familie des Hauſes be-
ſtand, bis um 3 Uhr zu verweilen. Die Grup-
pen, die dieſe bunte Geſellſchaft bildete, ge-
hoͤren fuͤr die Gaſthofsgemaͤlde Fieldings und
Hogarths. Auch habe ich ſie, durch alle meine
Sinne, ein wenig zu ſehr ſatt bekommen, als
daß ich mich gern von neuem unter ſie ver-
ſetzen moͤchte.
Der Fluß, uͤber welchen ich mich nun ſetzen
ließ, um vollends nach Kauen hinein zu kom-
men, war die Willa, die in die Niemen oder
Memel faͤllt, und dieſen Strom um ein
Drittel ſtaͤrker macht. Er nimmt dann ſeinen
Lauf ſo, daß man ſich, wenn man Kauen hin-
ter ſich hat, noch einmal daruͤber ſetzen laſſen
muß. Dieſe Stadt iſt alſo rund herum von
dieſen beyden Fluͤſſen eingeſchloſſen.
Kauen ſelbſt iſt eine der aͤlteſten Staͤdte
in Lithauen. Die Spuren davon ſieht man
an einigen altgothiſchen Haͤuſern, die ſich bey
den Verheerungen, welche die Stadt in den
Schwediſchen Kriegen und durch Feuersbruͤnſte
ausgeſtanden hat, erhalten haben. Es iſt
diejenige Art von Haͤuſern, die mit den Gie-
beln nach der Straße gebauet ſind. Die Gie-
bel ſind entweder doppelt und abgerundet, oder
nur einfach und oben ſpitz zulaufend und be-
ſchnoͤrkelt. Ein paar Kirchen ſind in demſel-
ben Geſchmacke erbauet; was aber unter den
Haͤuſern ſpaͤter aufgefuͤhrt iſt, zeigt einen rei-
nern, neuern Geſchmack, und einige darunter
habe ich ganz artig gefunden. So iſt das
ehemalige Jeſuiten-Kollegium am Markte,
nebſt ſeiner Kirche, obgleich nicht uͤbermaͤßig
groß, dennoch nach ſehr guten Verhaͤltniſſen
erbauet, und, was man ganz natuͤrlich finden
wird, das beſte oͤffentliche Gebaͤude in der
Stadt. Das Rathhaus hat einen ſchoͤnen
Thurm nach alter Weiſe, welcher der hoͤchſte
in der Stadt iſt, und den Markt ziemlich
vortheilhaft aufputzen hilft, was, in einer an-
dern Art, einige zwanzig Stuͤck Ruſſiſches Ge-
ſchuͤtz, nebſt dazu gehoͤrigen Pulverwagen,
ebenfalls thaten. Die aͤußern Theile der Stadt
ſind durchweg mit Holzhaͤuſern beſetzt, zwiſchen
denen noch manche Ueberbleibſel von Mauer-
werk ſich befinden, die deutlich beweiſen, daß
dieſe Stadt ehemals groͤßer, volkreicher und
bluͤhender war, als jetzt. Der Buͤrgermeiſter
und Poſthalter des Orts, der, wie er mir
ſelbſt verſicherte, Herr von Eſſen hieß, gab
mir die Zahl der Haͤuſer zu 400 und die Ein-
wohner zu vier bis fuͤnfthalb tauſend an.
Uebrigens iſt die Lage von Kauen nicht un-
angenehm. Jch habe eben geſagt, daß ſie in
einem Thale liegt, und durch die Willa und
Memel umſchloſſen wird. Letztre fließt an ei-
nem betraͤchtlichen, behoͤlzten Bergruͤcken hin,
der uͤber die hoͤchſten Haͤuſer in der Stadt
hervorragt, ſo daß jede Straße eine Ausſicht
nach demſelben zeigt. Das Thal ſelbſt iſt
rund umher friſch und fruchtbar.
Endlich iſt dieſe Stadt noch ihres Meths
wegen beruͤhmt, der ganz vorzuͤglich iſt und
hier Lippitz heißt. Es iſt ein abgezogenes Ge-
traͤnk von Honig, das ſich wohl funfzig Jahr
haͤlt, und dem man dadurch, daß man es auf
Faͤſſer oder auf Flaſchen zieht, worin Ungari-
ſcher Wein war, ſolch einen Grad von dem
Geſchmack und dem Geruche dieſes Weines zu
geben weiß, daß man, wenn man nicht Kenner
iſt, wohl irre gefuͤhrt werden kann. Derjenige
iſt der beſte, welcher der weißeſte iſt, und dieſe
Art wird von Liebhabern mit einem, zwey und
dritthalb Dukaten die Flaſche bezahlt. Man
ſchreibt die Vorzuͤge, die dies Getraͤnk in
Kauen vor den andern Arten anderwaͤrts hat,
dem Umſtande zu, daß die Bienen hier herum
ihr Honig auf den Linden ſammlen. Vermuth-
lich traͤgt die Behandlungsart nicht weniger
dazu bey.
Ungefaͤhr eine halbe Stunde von Kauen,
muß man, wie ich ſchon bemerkt habe, ſich
uͤber die Niemen ſetzen laſſen. Auf der Faͤhre
befand ſich ein Ruſſiſcher Korporal, der dort-
hin geſtellt war, um Ordnung und Thaͤtigkeit
beym Ueberſetzen zu erhalten. Ein anſehnli-
cher Haſelſtock befoͤrderte dies; und er war
auf die gewiſſenhafte Erfuͤllung ſeiner Pflicht
ſo erpicht, daß er, wenn die Faͤhrleute auch
gut arbeiteten, ſie dennoch mit derben Strei-
chen zwang, noch beſſer zu arbeiten. Dies
ging ſo weit, daß er auch ein paar Reiſende
(einen Lithauer und einen Juden) mit zur
Arbeit trieb, und ſie eben ſo gut durch die
Ausbruͤche ſeines Dienſteifers beunruhigte, als
die eigentlichen iſraelitiſchen Matroſen. Erſt
etwas ſpaͤt bemerkte ich, daß er mich, bey je-
der Erinnerung, die er austheilte, von der
Seite laͤchelnd anſah, um mir anzudeuten, es
geſchehe, um mir deſto geſchwinder hinuͤber zu
helfen; und daß er alſo auf dem Buckel jener
ein Trinkgeld von mir zu aͤrnten vermuthete.
Da mir dieſe Entdeckung keine ſonderliche
Freude machte, ſo nahm ich mir vor, ihn nicht
fuͤr ſeinen guten Willen zu belohnen; aber am
gegenſeitigen Ufer machte mich die Zufrieden-
heit, auf dem elenden Floſſe gluͤcklich hinuͤber
gekommen zu ſeyn, wieder weich, und ich gab
ihm einige Polniſche Groſchen, die er eben ſo
demuͤthig annahm, als er vorher uͤbermuͤthig
gepruͤgelt hatte.
Von der Niemen faͤhrt man bergauf in
einen Wald, der wenig Abwechſelung gewaͤhrt,
dennoch aber volle zwey Meilen fortdauert,
bis er endlich immer lichter und lichter wird
und ſodann eine ſehr angenehme Ausſicht in
das Thal der Niemen darbietet, in welches
man uͤber eine betraͤchtliche Anhoͤhe hinabfaͤhrt.
Es zeigte hier die fruchtbarſten Wieſen, zwi-
ſchen denen jener Strom hinfloß, an deſſen
Ufern anſehnliche Heerden weideten. Hier iſt
der naͤchſte Poſtwechſel, Gog, (3 M.) ein
freyes Dorf, das ſich vor allen uͤbrigen, die
mir in Lithauen vorgekommen ſind, ſo unter-
ſcheidet, wie es deſſen Vorwort natuͤrlich mit
ſich bringt. Es iſt mit ſogenannten Deutſchen
Bauern beſetzt, die ſich in aͤltern Zeiten in Li-
thauen und Polen, auf das Verſprechen ge-
wiſſer Freyheiten, niederließen, die man ihnen
auch ziemlich gehalten hat, zum eignen Nutzen
der Guͤterbeſitzer. Deutſch koͤnnen aber dieſe
Leute laͤngſt nicht mehr. — Die Haͤuſer die-
ſes Dorfes waren groͤßer, laͤnger, ſorgfaͤltiger
gebauet; die Gaͤrten an denſelben mit Fleiß
bearbeitet und verzaͤunt; die Scheuren ohne
Loͤcher in den Daͤchern, der Weg durch daſſel-
be nicht ſumpfig, ſondern feſt. Die Einwoh-
ner hatten einen freyen, offnen, gefaͤlligen Blick
und Anſtand; nicht jenes ſklaviſch hoͤfliche We-
ſen, das man an den uͤbrigen Lithauiſchen
Bauern bedauert. Sie naͤherten ſich mir ohne
Scheu und entfernten ſich ohne auf mich zu
achten. Jch trat in ein paar ihrer Haͤuſer
und fand Ordnung und Reinlichkeit. Jn dem
einen bot mir ein junger Mann Brot, But-
ter und Milch mit dem gefaͤlligſten Weſen an.
Jhre Wohnungen ſind in zwey Haͤlften ge-
theilt; die eine iſt eine Art von Eß- und
Trinkzimmer, mit einem langen Tiſch fuͤr die
ganze Hausgenoſſenſchaft; die andre die Ar-
beitsſtube, wo man die Spinnraͤder, Weber-
ſtuͤhle u. ſ. w. in Bewegung findet. Nur dies
Lithauiſche haben die Stuben an ſich, daß ſie
bloß durch ein Loch, welches ungefaͤhr 1 Fuß
hoch und 1½ Fuß lang und mit unregelmaͤßigen
Fenſterſcheiben ausgeſetzt iſt, die in Holz ge-
faßt ſind, das Tageslicht bekommen. Der
Wohnung gegenuͤber ſtehen die Staͤlle und
Scheuren. — Die gebrauchten Poſtpferde
waren kaum abgeſchirrt, als die friſchen ſchon
vor dem Wagen ſtanden. Kein Menſch machte
auch nur die Miene, als ob er ein Trinkgeld
von mir haben wollte. Dies Voͤlkchen mag
ungefaͤhr 300 Koͤpfe ſtark ſeyn. Der Schulze
oder Vater, der zugleich den Poſtwechſel be-
ſorgt, ſchien bey ihnen in großen Anſehn zu
ſtehen. Es war ein alter Mann, in den
Sechzigen, der viel Artigkeit und Munterkeit
zeigte.
Von Gog aus, laͤuft der Weg noch eine
Weile durch das Thal hin, endlich erhebt er
ſich wieder rechts und man verliert es aus dem
Geſichte zugleich mit der Memel. Dieſe, die,
wie alles in Lithauen, ſich ſelbſt uͤberlaſſen iſt,
war in eine Niederung hinein getreten und
hatte ſie dergeſtalt ausgefuͤllt, daß, auf einen
angeſtellten Verſuch, das Waſſer wenigſtens
einen Fuß hoch in meinen Wagen haͤtte drin-
gen muͤſſen. Jch war gezwungen, alles aus-
und abpacken, es auf die andere Seite hinuͤber-
tragen und ſo mein Fuhrwerk ſchwimmend
nachkommen zu laſſen. Zwey gutmuͤthige Li-
thauer halfen mir dabey und ein Dritter ging
ab und zu. Dieſer hatte jedesmal einen toͤdt-
lichen Schreck, wenn er aus der Ferne etwas
kommen ſah, das ihn ein Ruſſiſcher Huſar
duͤnkte. Er ſtieg ſodann die behoͤlzte Anhoͤhe
zu meiner Rechten hinan, verbarg ſich im Ge-
buͤſche und kam erſt wieder zum Vorſchein,
wenn die Urſach ſeiner Angſt voruͤber war.
So viel ich aus den Worten und Gebaͤhrden
meiner Lithauer begriff, ruͤhrte ſein verſchuͤch-
tertes Weſen daher, daß man ihm aufgegeben
hatte einen Saͤbel, den ein Huſar in der aus-
getretenen Niemen verloren, zu ſuchen, und
nicht eher wieder zu kommen, als bis er ihn
gefunden habe. Da letztres nicht war, konnte
erſteres nicht ſeyn, und darum verſteckte er
ſich.
Jn Zeit von einer Stunde war ich ſo weit,
daß ich meinen Weg fortſetzen konnte. Er
fuͤhrte eine Anhoͤhe hinan, auf eine fruchtbare
Flaͤche, die mit mehreren Doͤrfern beſetzt war.
Am Ausgange eines derſelben holte ich einen
betrunkenen Ruſſiſchen Musketier, in ſeiner
ganzen Ruͤſtung, ein. Er nahm ſich die Frey-
heit, mich mit ſchwerer Zunge zu fragen, wer
ich waͤre. Da ich ihm, um kurz abzukommen,
zu erklaͤren ſuchte, daß ich ſeine Sprache nicht
verſtaͤnde, aber ein Deutſcher Landsmann von
ihm ſey: ſo verſicherte er mir, ich ſey doch ein
Pole; und machte Miene, nicht bloß ſich am
Wagen zu halten, ſondern wohl gar hinein zu
ſteigen und den Vorderſitz einzunehmen. Weil
es hier ſtark geregnet hatte, ſo war der Boden
ſehr ſchluͤpfrig geworden, und da der Mann
ſeines Gleichgewichts nicht Meiſter war: ſo
fiel er, indem er raſch neben dem Wagen hin
zu ſchreiten verſuchte, mit ſich ſelbſt und ſeinem
ganzen Gepaͤcke recht ernſthaft auf die Naſe.
Da ich mit einem betrunkenen Sieger, den
ich noch dazu umgeſtoßen haben ſollte, ungern
etwas theilen mochte, ſo ließ ich meinen Poſt-
knecht raſch zufahren, und kam ſo mit der klei-
nen Strafe davon, daß mich mein Landsmann,
als er wieder auf den Fuͤßen war, mit einigen
C
recht derben Polniſchen Hundsf** begleitete.
Er lief noch eine Weile, ſchnell genug fuͤr ſei-
nen Zuſtand, hinter dem Wagen her, bis ich
endlich ſo viel Vorſprung behielt, daß ich ihn
aus den Augen verlor. Zu beſorgen hatte ich
wahrſcheinlich nichts weiter, als den Verluſt
von ein paar Glaͤſern Franzoͤſiſchen
Branntwein, und ein paar Polniſchen
Groſchen.
Jene fruchtbare Flaͤche, auf der ich war,
verlor ſich in einen Wald, der ſich allmaͤhlig
von neuem in ein ſchoͤnes Thal herabſenkte,
deſſen friſches Gruͤn mich abermals ſehr leb-
haft daran erinnerte, daß ich dem Fruͤhling
entgegen fuͤhre. Eine der ſtaͤrkſten Heerden,
die ich noch in Lithauen geſehen habe, ſtand
in demſelben zerſtreuet, bis nahe vor Pren,
der naͤchſten Poſt, (3 M.) wo ſich der ſchwarze,
moorigte Boden des Thals ploͤtzlich in tiefen
Sand umſetzte. Pren iſt ein gewoͤhnliches
Lithauiſches Staͤdtchen von hoͤchſtens 300 Haͤu-
ſern. Jch fand darin eine Abtheilung Polni-
ſcher Jnfanterie, die faſt aus lauter jungen,
feſten, gut und neugekleideten Leuten beſtand.
Von Pren bis Balwierziszek fuhr
ich, in ſechs Viertelſtunden, zwey ſtarke Mei-
len, was ich anmerke, um zu zeigen, daß ſich
die Lithauiſchen Poſtknechte uͤberall gleich blei-
ben. Jn der That, dieſen mußte ich ein paar
Mal ſogar bitten, einen minder ſtarken Sprung
zu fahren. An Trab war bey ihm nicht zu
denken, außer wenn er Anhoͤhen hinauf mußte,
deren ſich mehrere vorfanden, die, ſobald ich
aus einem betraͤchtlichen Walde heraus war,
ſich immer hoͤher und hoͤher uͤber das Bette
der Memel erhoben. Der hoͤchſte Punkt der-
ſelben bot eine Ausſicht dar, die man vielleicht
in Lithauen nicht geſucht haͤtte. Sie oͤffnete
ſich in ein kaum zu umſpannendes Thal, durch
welches die Memel, die immer anſehnlicher
wird, ſich in mehreren Kruͤmmungen, an be-
hoͤlzten Anhoͤhen und durch fruchtbare Wieſen,
hinunter windet. Jch bekenne, daß das Ganze
dieſer Anſicht ſo anmuthig auf mich wirkte,
C 2
wie ſeit langer Zeit keine; aber ich beſchreibe
ſie nicht, weil noch alle gedruckte Schilderun-
gen dieſer Art mir bewieſen haben, daß ſolche
Dinge nicht geſchildert werden koͤnnen. Man
faͤhrt endlich, von dieſer hoͤchſten Stelle der
umliegenden Gegend, nach Balwierziszek hin-
unter, ſieht ſich in einem ganz gewoͤhnlichen
Lithauiſchen Staͤdtchen, faͤhrt hinter demſelben
abermals eine Anhoͤhe hinauf und findet den
Poſtſtand vor ſich.
Von hier eilte ich weiter nach Olita (2
M.) wo ich um 10 Uhr des Abends ankam,
nachdem ich dieſen Tag, wegen dreyſtuͤndiger
Verweilung in Kauen, nur 10½ Meile zuruͤck-
gelegt hatte. Nach Olita ſelbſt kommt man
nicht hinein, denn das Poſthaus iſt vor der
Stadt. Demſelben gegenuͤber hatte der ſel.
Tyßenhauſen ein artiges Landhaus zu
bauen angefangen, aber ſein Tod hat auch dieſe
Unternehmung, wie hundert andre, gaͤnzlich
unterbrochen. Der Geſchmack an dieſem Ge-
baͤude, das jetzt in ſich ſelbſt zuſammenfaͤllt,
iſt nicht uͤbel, und die Ausſicht von demſelben
angenehm. Vorwaͤrts breitet ſich ein weites
Thal aus, das von einem hohen, behoͤlzten
Bergruͤcken begraͤnzt iſt, auf deſſen hoͤchſten
Punkte ſich das Kloſter Olita darſtellt; und
zur Seite und hinterwaͤrts bedecken die frucht-
barſten Saaten das Land.
Den andern Morgen, den 3ten May,
reiſete ich, gegen 6 Uhr, von Olita ab, auf
Krykszſtan. (3½ M.) Jch fand den Weg
und ſeine Umgebungen wenig anders, als auf
dem vorigen Poſtlaufe; ſandige Anhoͤhen,
fruchtbare Niederungen, Wald. Ungefaͤhr eine
Meile vor der naͤchſten Poſt wird die Memel
mit ihrem ſchoͤnen Thale wieder ſichtbar und
zwar in ſehr vergroͤßerter Geſtalt. Mehrere
Struſen (platte und breite Fahrzeuge) fuhren,
mit Balken beladen, den Fluß hinab, und das
hier und da am Ufer aufgethuͤrmte Zimmer-
holz zeigte von einem lebhaften Verkehr in
Abſicht dieſer Waare. Die unverzeihliche wuͤſte
Wirthſchaft, die man auch hier mit dem ſchoͤn-
ſten Holze treibt, drang mir abermals einige
Bemerkungen auf, die ich weiter unten zuſam-
menſtellen werde.
Von Krykszſtan bis nach Leypun,
der darauf folgenden Poſt, (2 M.) bleibt ſich
der Weg ganz gleich und laͤuft, bis auf we-
nige Stellen, immer durch einen ſandigen
Wald fort. Eben ſo von Leypun bis Prze-
walk, (3 M.) wo, in den lichtern Gegenden,
der Sand ſtark mit einem roͤthlichen Letten
vermengt erſchien, in welchem die Saaten lu-
ſtig gruͤnten. Die Niemen, die ich auf dem
Wege von Kowno her, bald fand, bald wieder
verlor, ward, ungefaͤhr eine Stunde vor dem
letztgenannten Orte, mit ihrem ſchoͤnen Thale
von neuem ſichtbar, und ich mußte mich, bey
ihrem hoͤchſt eigenſinnigen Laufe, jetzt zum
zweyten Male daruͤber ſetzen laſſen. Hier fand
ich die erſte Faͤhre, der man ſich mit Sicher-
heit anvertrauen konnte, weil ſie geraͤumig
und feſt, in der Form, wie man ſie in Deutſch-
land findet, gebauet war und an einem Taue
lief. Die uͤbrigen, die ich bisher in Lithauen
getroffen habe, beſtanden aus zwey Kaͤhnen,
uͤber welche Balken oder auch nur Bretter
gelegt waren, durch die man in den Strom
hinab ſehen konnte.
Den 4ten May. Von Przewalk bis
Kryniczney, (3 M.) wo ich uͤbernachtete,
und von da bis Grodno, (2½ M.) iſt die
Landſchaft abwechſelnd waldigt und flach, aber
immer ſandig, und bietet wenig Veraͤnderung
dar, bis nahe vor Grodno, wo dieſe alte
Stadt allmaͤhlig in dem Niementhale ſichtbar
wird. Der Anblick derſelben, von oben herab,
iſt nicht unangenehm. Mehrere Kirchen mit
ihren Thuͤrmen, und eine gute Anzahl, in
neuerm Geſchmack gebauter, aber ſehr zer-
ſtreuter, Pallaͤſte und Haͤuſer ragen uͤber die
ſchwarzen, hoͤlzernen Huͤtten hervor, welche
die Maſſe der Stadt eigentlich bilden. Jn
einiger Entfernung vor der Stadt fand ich
eine betraͤchtliche Anzahl Stuͤcke aufgefahren,
die ſaͤmmtlich nach derſelben gerichtet waren,
deren Loͤſung aber der naͤchſtens zu verſam-
melnde Reichstag ſchwerlich noͤthig machen
wird. Uebrigens iſt der erſte Eintritt in die
Stadt anſehnlich genug, und er wird es durch
das koͤnigliche Schloß und mehrere Haͤuſer von
Großen, die hier auf einen Fleck zuſammenge-
draͤngt erſcheinen. Jſt man dieſen voruͤber,
ſo gelangt man, uͤber eine neue feſte Bruͤcke,
in die Stadt ſelbſt und hier wird einem je-
ner Abſtich in der Bauart, der allen Polni-
ſchen betraͤchtlichen Staͤdten gemein iſt, ſehr
auffallend. Bey Einem guten Hauſe ſtehen
drey, den Einſturz drohende, hoͤlzerne Huͤtten,
dann ein Pallaſt, dann eine Kirche, auf
einem Pflaſter, das man kaum ſo nennen
kann, weil es, bey dem geringſten Regen, mit
einem Strome von Koth uͤberzogen iſt.
Uebrigens zeigte ſich Grodno jetzt ſehr
volkreich und lebhaft. Außer der ſtarken Ruſſi-
ſchen Beſatzung befanden ſich mehrere Ge-
ſandte nebſt ihrem Gefolge, der Hauptſtab
aller umherliegenden Ruſſiſchen Truppen und
ſchon mehrere von denjenigen Polniſchen Gro-
ßen hier, die an dem naͤchſten Reichstage noch
Theil nehmen duͤrfen. Daß ein Koͤnig in
Grodno war, davon zeigte ſich keine Spur;
auch lebte er, mit einem ſehr kleinen Gefolge,
in ſeinem Pallaſte wie verſchloſſen. Vor dem-
ſelben bemerkte ich keinen einzigen Wagen, aber
deſto mehr vor der Wohnung unſeres Bot-
ſchafters. Die Umgebungen unſerer Staabs-
Officiere, die mit Vieren und Sechſen einher
fuhren, waren ſehr praͤchtig und fuͤllten faſt
alle Straßen; aber die Polniſchen Großen
hielten ſich jetzt, in einem beſcheidenen Wagen
wie verſteckt, an den Seiten der Straßen. —
Uebrigens waren mehrere Modenhaͤndler aus
Warſchau mit ihren Laͤden hier; und eine
ziemliche Anzahl der huͤbſcheſten und beruͤhm-
teſten Maͤdchen von eben daher, hatten ſich
hier, nach ihrer Weiſe, anſaͤßig gemacht, um
durch ihr Beyſpiel (ſo vermuthe ich wenigſtens)
die verſchiedenen Parteyen und Nationen zur
Nachgiebigkeit und Vertraͤglichkeit zu ermun-
tern.
Da Grodno fuͤr ſeine gegenwaͤrtige
Volksmenge nicht geraͤumig, und die Land-
ſchaft umher nicht ergiebig genug iſt, ſo herrſch-
te eine außerordentliche Theurung in Wohnun-
gen und Zehrung. Ein Stuͤbchen mit einem
Bette koſtete taͤglich einen, zwey auch drey
Dukaten, und ein ertraͤgliches Mittagseſſen,
acht bis zwoͤlf Polniſche Gulden. Ein Fuder
Heu, von einem Pferde gezogen, mußte mit
drey und vier Dukaten bezahlt werden. Nach
dieſem Maßſtab alles uͤbrige.
Jch hatte nicht Zeit, die Truͤmmer der
Wollenmanufaktur, die der Koͤnig vor Jah-
ren hier anlegte, und die Chirurgiſche Akade-
mie nebſt ihrem Pflanzengarten, zu ſehen.
Bey meiner Zuruͤckkunft werde ich beydes nach-
holen.
Hinter Grodno mußte ich noch einmal
uͤber die Niemen, und ſodann eine betraͤchtli-
che Anhoͤhe hinauf, die ſich in eine weite
Flaͤche ausdehnte. Jch fand eine breite, ge-
machte, mit ziemlicher Sorgfalt unterhaltene,
Straße, die an beyden Seiten mit Graben
verſehen und mit Baͤumen bepflanzt war. Die-
ſer Straßendamm iſt ebenfalls ein Werk des
unermuͤdlich-thaͤtigen Tyßenhauſen; Schade,
daß die Landſchaft, durch die er fuͤhrt, ziemlich
traurig iſt. Man ſieht faſt nichts, als einen
kahlen, gelblichen, ſandigten Boden, deſſen
Flaͤche nur hier und da durch kleine Anhoͤhen
und einzelne Baumgruppen und Buſchwerk
unterbrochen wird. Hier zeigte ſich eine ſehr
angemeſſene Bahn fuͤr die Eilfertigkeit der
Poſtknechte. Jch legte in 4½ Stunde zwey
Poſten, nach Kuznicz und Sokolk, oder
ſechs Deutſche Meilen, zuruͤck. Streckenweiſe
ging es in geſtrecktem Laufe, die uͤbrige Zeit
im Sprunge. Aber es iſt gewiß, daß man
nur Polniſchen Pferden ſo etwas zumuthen
kann.
Kuznicz iſt uͤbrigens ein unbetraͤchtliches,
ich weiß nicht, Fleckchen oder Staͤdtchen; denn
ich kann mich in den hieher gehoͤrigen Lithaui-
ſchen Maßſtab noch nicht finden; aber So-
kolk iſt anſehnlicher und gehoͤrt unter die
Klaſſe von Janiszek und Schadow. Beſon-
ders zeichnet ſich der Marktplatz aus, der mit
Fabrikgebaͤuden und Fabrikantenhaͤuſern beſetzt
iſt, lauter Anſtalten des erwaͤhnten Tyßenhau-
ſen, die durch ſeinen Tod in Verfall gerathen
ſind. Die oben erwaͤhnte Tuchmanufaktur in
Grodno, die eine Weile gedeihen zu wollen
ſchien, und deren Anlage ebenfalls ſein Werk
war, geraͤth taͤglich mehr in Verfall und es
wird nicht lange dauern, ſo duͤrfte das Anden-
ken an dieſen unternehmenden Mann in Schutt
zerfallen. Jn Grodno verſicherte mir ein
Mann, den er als Aufſeher der Manufaktur
aus der Schweiz verſchrieben hatte: Tyßen-
hauſens groͤßeſter Fehler ſey geweſen, daß er
nie Geduld gehabt, den Erfolg der einen Un-
ternehmung abzuwarten, ehe er eine zweyte
anfing. Dies verurſachte Unordnung in ſeinen
Geſchaͤften und endlich den gaͤnzlichen Still-
ſtand derſelben. Er war Hofſchatzmeiſter von
Lithauen, ſehr in der Gnade des Koͤnigs, und
wuͤrde Verbeſſerer der Polniſchen Staatsein-
kuͤnfte und Schoͤpfer der Polniſchen Fabriken
und Manufakturen geworden ſeyn, wenn ihn
nicht der Neid niedergehalten haͤtte. Die
Glaͤubiger griffen zu und alles ging zu
Grunde.
Von Sokolk bis Buksſtal (3 M.)
dauerte der vorhin erwaͤhnte Straßendamm
noch fort und der Reiſende bemerkt dies zu
ſeiner groͤßten Zufriedenheit. Von Buksſtal
bis Bialyſtock iſt es derſelbe Fall. Jch
machte dieſe 6 Meilen in 4 Stunden. An
den beyden vorhin genannten Orten fand ich
in den Poſthaͤuſern Zweige von zwey Saͤchſi-
ſchen Familien, die, ſeit Auguſts des Zwey-
ten Zeiten, hier die Poſtmeiſterſtellen ausfuͤl-
len, und die jetzt ſchon 44 Koͤpfe ſtark ſind.
Sie bilden eine kleine buͤrgerliche Geſellſchaft,
die durch Blutsfreundſchaft genau zuſammen-
haͤngt, ihre Kinder wechſelsweiſe unter einan-
der verheyrathet, kein Polniſches Blut ein-
laͤßt, (ſo weit dies zu vermeiden iſt) und uͤbri-
gens aͤcht Saͤchſiſche Sitte und Mundart bey-
behalten hat, wenn auch die Maͤnner ſich zum
Theil Polniſch kleiden. Nettigkeit und Sau-
berkeit zeichnen die Poſthaͤuſer, worin ſich dies
Voͤlkchen befindet, vor allen uͤbrigen in Lithauen
ſehr vortheilhaft aus.
Bialyſtok, wo ich Abends um 7 Uhr,
nach zuruͤckgelegten 16 Meilen, ſchon ankam,
iſt das neueſte und artigſte Staͤdtchen, das ich
bisher angetroffen habe. Es liegt ſchon in
Podlachien. Die Straßen ſind gerade und
in der Mitte ſehr gut gepflaſtert; die Haͤuſer faſt
alle regelmaͤßig, von Backſteinen aufgefuͤhrt;
in gewiſſen Entfernungen von einander ab-
ſtehend, und faſt alle nach einerley Geſchmack
erbauet, naͤmlich den Giebel nach der Straße
und Einen Stock hoch. Der Marktplatz iſt
geraͤumig und wird durch eine Halle, die ein
Thurm ziert, recht artig aufgeputzt. Es war
ſehr lebhaft. Faſt in allen Haͤuſern war Mu-
ſik und aus allen Fenſtern ſahen, und vor je-
der Thuͤr ſtanden, Menſchen mit froͤhlichen,
freylich ziemlich hochroth gefaͤrbten Sonntags-
geſichtern und aufgetriebenen Zuͤgen, welche
auf die Art ihres Genuſſes deuteten. Da
eine betraͤchtliche Abtheilung Polniſcher Jn-
fanterie hier ſtand, ſo lieferte dieſe die Stutzer
fuͤr die Stutzerinnen aus der Kuͤche und den
Schenkſtuben, und das Verkehr dieſer luſtigen
Bande war wirklich praktiſcher und weniger
verſteckt oder decent (wie man es heißt)
als ihres Gleichen aus der großen Welt es
zu unterhalten pflegen.
Dies Staͤdtchen gehoͤrt der Schweſter des
Koͤnigs, “Madame de Cracovie”, Witwe des
Hetman Branicki Lies Branicki. Es iſt hier ein Schloß,
mit einem geraͤumigen, gut unterhaltenen Gar-
ten. Jn dem Gebaͤude ſelbſt herrſcht ein re-
gelmaͤßiger Jtaliaͤniſcher Geſchmack, und die
Menge von Saͤulen, die ſeit 10 oder 15 Jah-
ren faſt alle neuere Pallaͤſte ſtuͤtzen zu ſollen
ſcheinen, findet man daran nicht. Das Ganze
gewaͤhrt einen ſehr heitern, freyen Anblick,
den die neuere Baukunſt immerhin einen kah-
len nennen mag, und Hoͤhe und Umfang ſind
der Lage und Beſtimmung ſo angemeſſen, daß
dem Gefuͤhle der Paßlichkeit nicht die mindeſte
Gewalt angethan wird. Der Garten iſt klein,
Franzoͤſiſch und kalt, aber ſeine Umgebungen
ſind deſto lebendiger. Man tritt naͤmlich aus
demſelben in ein großes Raſenfeld, das mit
ſtattlichen Baͤumen bepflanzt, mit kuͤnſtlichen
Erhoͤhungen und Vertiefungen durchſchnitten
und von einem dichten, romantiſchen Thier-
garten begraͤnzt iſt, in welchem eine Menge
von Rehen und Tannhirſchen ſpielen, die
hier, in einem Umfange von drittehalb Mei-
len, kaum fuͤhlen koͤnnen, daß ſie ihre Freyheit
verloren haben. Die Kunſt hat hier der Na-
tur faſt unmerklich nachgeholfen und beyde be-
finden ſich ſehr wohl dabey. Unter andern
ſtoͤßt man auf eine Allee, die ich, ſo ſchoͤn
geſehen zu haben, mich nicht erinnere; und
ich ſage dieß, ohne durch die ſchauerliche Daͤm-
merung, waͤhrend welcher ich ſie ſah, ohne
durch den eigenſinnig - abwechſelnden Nachti-
gallengeſang, der mich dort entzuͤckte, gewon-
nen zu ſeyn. Jch fuͤhlte mein Herz, nach ei-
ner Reihe von erkaͤltenden und verengenden
Geſchaͤften, zum erſtenmal wieder erwaͤrmt
und erweitert, und alle die Saiten auf einmal
wieder angezogen, mit deren Erſchlaffung ein
großer Theil meiner Geſundheit und ein klei-
nerer Theil meiner Heiterkeit verloren gegan-
gen war.
Das Jnnere des Schloſſes iſt ziemlich leer
und etwas vernachlaͤßigt, ſeitdem die Beſitze-
rin in Warſchau lebt; indeſſen fehlt es nicht
an ſchoͤnen Zimmern und Saͤlen, die man auf
dieſem Flecke zwiſchen Petersburg und War-
ſchau nicht zu finden vermuthet.
Jch fuhr denſelben Abend noch weiter nach
Woyszk (3 M.) und Bielsk, (2 M.) und
fand den Weg immer noch ſehr einfoͤrmig,
faſt durchgehends ſandigt, waldigt, uͤbrigens
D
aber nicht beſchwerlich. Zu Bielsk, der
Hauptſtadt von Podlachien, wo ich den 5ten
May des Morgens ankam, ſtand eine Ab-
theilung von der Polniſchen National Reite-
rey, die gerade aufzog, um ihren General zu
einem Namenstage ſoldatiſch Gluͤck zu wuͤn-
ſchen. Vielleicht iſt es hier nicht am unrech-
ten Orte, einige Bemerkungen uͤber dieſe
Truppen mitzutheilen.
Die Polen ſind geborne Reiter. Daß ſie
zugleich gute Reiter ſeyn muͤſſen, macht die
Natur ihrer Pferde. Jhr Feuer, ihre Schnel-
ligkeit, ihre Hartnaͤckigkeit erfordern Reitkunſt,
Muth und Kraft; ihre Dauerhaftigkeit und
Genuͤgſamkeit machen ſie zu den Beſchwerlich-
keiten des Krieges ausgezeichnet geſchickt, ſo
wie die letztre Eigenſchaft erlaubt, ſie in Men-
ge zu ziehen und ſolchergeſtalt faſt das ganze
Volk beritten zu machen. Da dieſes uͤberdies
aus dem Ackerbau ſeine Hauptbeſchaͤftigung
macht, da zwey Drittel deſſelben auf dem plat-
ten Lande zerſtreut und getrennt wohnen, ſo
braucht es Pferde zu ſeinen Geſchaͤften eben
ſo wohl, als zu ſeiner Erholung und zum
freundſchaftlichen Verkehr.
Vielleicht iſt es aus dieſen Gruͤnden, daß
die Polniſchen Heere immer ſtaͤrker an Reite-
rey als an Fußvolk waren, und daß erſtere
dem letztern beſtaͤndig an Zucht, Ordnung und
Nachdruck uͤberlegen blieb. So war es in
Polen vor Jahrhunderten, ſo war es voriges
Jahr in dem Kriege gegen unſere Kaiſerin.
Als der letztre Reichstag (von 1788 bis
den 18 May 1792) zu wirken anfing, waren,
außer den beyden Leibwachen, die Jnfanterie-
Regimenter ziemlich unbedeutend an Zahl, wie
an ſoldatiſcher Kunſt; aber die National-Rei-
terey war gut beritten und gekleidet, ſorgfaͤl-
tig rekrutirt und jede Fahne derſelben fuͤnf und
vierzig Koͤpfe ſtark. Der Reichstag fand es
ſeinen Entwuͤrfen gemaͤß, ſie zu vermehren,
und verſtaͤrkte wirklich jede Fahne bis zu hun-
dert und funfzig Mann. Zu dieſer Vermeh-
rung fanden ſich haͤufiger Leute, als zur Ver-
D 2
mehrung der Jnfanterie. Da man ſo politiſch
geweſen war, dieſer Reiterey eine ſchoͤne Uni-
form zu geben, ſo draͤngten ſich junge Leute
vom hoͤhern Adel nach Officierſtellen, und ich
ſelbſt habe damals im Reichstagsſaale von den
Reichsboten faſt immer ein Drittel in dieſer
Uniform geſehen. Sie war ein Zeichen der
Vaterlandsliebe geworden. Alte und reiche
Edelleute gaben ihre Soͤhne zu Towarzyszen
her, und ſogar Reichsboten hielten es nicht
unter ihrer Wuͤrde, ſolche zu werden. Sie
zeichneten ſich von den Gemeinen dadurch aus,
daß ſie Achſelbaͤnder und Faͤhnchen trugen,
wie die Ulanen, auch Officiers-Rang hatten.
Ber jeder Fahne waren deren eine beſtimmte
Anzahl.
Dieſer Kern des Polniſchen Heeres, be-
ſtand aus den juͤngſten, ſchoͤnſten Leuten, von
denen uͤber zwey Drittel erſt vor Jahresfriſt
geworben waren, und welche die Bewegungen
und Griffe der Reiterey unglaublich ſchnell
faßten und ausfuͤhrten. Jch habe damals vor
Warſchau einen Theil derſelben ſich uͤben ſe-
hen, und wenn ihre Bewegungen noch nicht
die Einheit und Genauigkeit der Oeſterreichi-
ſchen und Preußiſchen Reiterey hatten, ſo wa-
ren ſie ihr an Schnelligkeit, Sattelfeſtigkeit
und Geſchmeidigkeit des einzelnen Reiters un-
endlich uͤberlegen. Auch haben ſie ihre Pflicht
waͤhrend des letzten Krieges faſt durchgehends
gethan. Selbſt unſere Officiere ſtellten gegen
mich hieruͤber ein unverwerfliches Zeugniß
aus.
Die Uniform dieſer Reiterey iſt, fuͤr die
Gemeinen, eine dunkelblaue Kurtka (kurze
Jacke) mit rothen Aufſchlaͤgen; eine lange,
Ungariſche Hoſe von Tuch, von der Farbe,
wie die Aufſchlaͤge; kurze Stiefeln; ein run-
des und hohes, ſchwarzes Kaskett. Jhre
Waffen ſind: der Saͤbel, zwey Piſtolen, ein
Karabiner, und, bey den Towarzyszen, noch
eine Pike mit einem Faͤhnchen. Fuͤr die Offi-
ciere dieſelbe Tracht, nur unendlich feiner und
mit Achſelſchleifen, Feldbinden, Degengehenken,
Feldtaſchen, alles reich von Silber, verſchoͤnert.
Die langen Beinkleider aber ſind bey ihnen
blau, und von den Huͤften herab an der Auſ-
ſenſeite des Schenkels und Beines mit kra-
moiſi-rothen Raͤndern eingefaßt. Auf dem
Kopfe die gewoͤhnliche, viereckigte, Polniſche
Muͤtze, kramoiſi-roth, und mit einer weißen
Feder und ſilbernen Schnuͤren und Quaſten
verziert; die Scheide des Degens, der, nach
Huſarenart, lang herabhaͤngt, mit Silber aus-
gelegt; der Griff von dem feinſten Stahl.
Das Ganze kleidet wohlgewachſenen Maͤn-
nern, deren man unter dieſem, im Ganzen,
ſchoͤnen Volke, ſo haͤufig findet, nach meinem
Geſchmack, vortrefflich. Dies herrliche Korps
wird, wie man ſagt, naͤchſtens, wo nicht ganz,
doch dem groͤßeſten Theile nach, theils aufge-
hoben, theils von den theilenden Maͤchten in
ihre Armeen hinuͤber genommen werden.
Die erwaͤhnte Abtheilung zu Bielsk brach-
te, wie ich geſagt habe, ihrem General einen
kriegeriſchen Gluͤckwunſch, aber — zu Fuße,
Zwey Fuͤße ſind nicht genug fuͤr dieſe Centau-
ren. Sie ſtanden, gingen und richteten ſich
ſo ſchlecht, wie man es ſich nur einbilden mag;
und ihr Laden und Feuern wuͤrde ihnen das
Achſelzucken eines achttaͤgigen Preußiſchen Re-
kruten zugezogen haben. Nach dem Manoͤver
trat ihr Oberſter, Graf St**, den ich vor-
dem in Warſchau hatte kennen lernen, zu mir
und ſagte: Monsieur, mon monde n'est
pas fur fes terres. Jch bejahte dies, denn
er war befugter Richter; aber ich verſicherte
ihm, ſeine Leute auf ihrem natuͤrlichen Grund
und Boden geſehen zu haben.
Da ich jetzt in dem eigentlichen Polen war,
ſo boten ſich mir manche Unterſcheidungszei-
chen von Lithauen dar, die ich weiter unten
anzugeben Gelegenheit finden werde.
Von Bielsk eilte ich weiter auf Bransk
(3 M.) Polbikrow (3 M.) Krzemien
(3 M.) Sokolow (3 M.) und Wengrow,
(2½ M.) lauter Staͤdtchen oder Flecken, wie
die meiſten oben beſchriebenen. Zu Wengrow
ſtanden 2000 Ruſſen, und ich mußte mir, von
dem Thore an, die Begleitung eines Ruſſi-
ſchen Korporals bis zur Regimentskanzley ge-
fallen laſſen, wo man in der That nur mei-
nen Namen wiſſen wollte. Da ich in einem
Lande geboren bin, wo man die ſoldatiſche
Ordnung nicht fuͤr Sklaverey haͤlt, ſo iſt mir
dieſe, wie andre aͤhnliche Maßregeln, nicht im
mindeſten aufgefallen; aber in Polen macht
man ſie zu einem Gegenſtande aͤngſtlicher Be-
ſchwerden und rechnet ſie zu den Dingen,
welche nur ein offenbarer Krieg entſchuldigen
koͤnnte. Man ſchließe aus dieſem Zuge, von
welcher Natur der Begriff iſt, den man ſich
hier gemeiniglich von Freyheit macht. Wie
kann er aber auch vielſeitiger ſeyn, da er nur
auf einen Ausſchuß von kleinen unumſchraͤnk-
ten Herren zu paſſen braucht, die den Grund-
ſatz: wir ſind frey fuͤr Euch alle, bey
dem Kern ihrer eigenen Nation mit der Peit-
ſche geltend zu machen pflegen?
Der Weg von Wengrow, von wo ich
noch den Abend wieder abfuhr, uͤber Makowz
(3 M.) Stanislawow (3 M.) und Oku-
niew (3 M.) nach Warſchau (3 M.) bietet,
wie vorher der nach Wengrow, wenig Ab-
wechslung dar. Sand und Wald begleiteten
mich bis nach Warſchau, wo ich den 7ten
Morgens um 9 Uhr ankam. Alſo hatte ich
in 6 Tagen und 2 Naͤchten 96½ Meile zu-
ruͤckgelegt. Jch fuͤrchte, daß ich in Laͤndern,
die in beſſerem Rufe ſtehen, als dies vermeyn-
te wilde, zu einer aͤhnlichen Strecke noch ein-
mal ſo viel Tage und Naͤchte werde brauchen
muͤſſen.
Dies fuͤhrt mich zu einigen Bemerkungen
uͤber den Zuſtand der Poſten in Lithauen, die
ich um ſo lieber bekannt mache, da man ge-
woͤhnlich glaubt, durch eine Wildniß oder durch
Lithauen reiſen, ſey einerley.
Der Preis der Extra-Poſtpferde iſt, wie
uͤberall, das Stuͤck die Meile 2 Polniſche Gul-
den oder 8 Groſchen; der Knecht aber be-
koͤmmt, die Poſt mag zwey, drey oder vier
Meilen ſtark ſeyn, nur 2 Polniſche Gulden,
die dem Poſtmeiſter ſogleich mit bezahlt wer-
den. Dieſer giebt ſie dem Knecht erſt bey
ſeiner Zuruͤckkunft, damit er, wenn er dieſen
Reichthum unterwegs in die Haͤnde bekaͤme,
ſich nicht betrinken koͤnne, was der einzige Ge-
nuß fuͤr Leute dieſer Art hier zu Lande iſt.
Will man ihm, nach zuruͤckgelegtem Poſtlaufe
noch außerdem belohnen, ſo kuͤßt er einem fuͤr
drey bis fuͤnf Polniſche Groſchen Hand und
Rock.
Die Pferde ſind durch ganz Lithauen klein,
aber das vermindert ihre Brauchbarkeit nicht.
Man hat geſehen, was ich taͤglich fuͤr Strek-
ken mit ihnen zuruͤcklegte. Jhre groͤßeſte Tu-
gend iſt laufen, und mehr als Ein Poſtknecht
hat mich zwey Drittel der Poſt im Sprunge,
zum Theil in geſtrecktem Laufe, gefahren. Zie-
hen iſt ihre ſchwache Seite, deshalb geben die
Poſtmeiſter, ungefordert, zuweilen ein auch
zwey Pferde mehr, die man nicht bezahlt.
Jch hatte einige Poſten hindurch 5 Pferde,
da ich doch nur drey bezahlte, und die ſtehende
Anzahl war durchweg vier. An ihrer Geſtalt
und ihren Zug- und Lenkſeilen muß man ſei-
nen Anſtoß nehmen. Erſtre iſt ſo unanſehn-
lich, und letztere ſind ſo liederlich, daß man,
auf den erſten Blick, an ſeinem Fortkommen
verzweifelt. Auch iſt der Poſtknecht auf jedem
Laufe ein paar Mal gezwungen, eine Minute
abzuſteigen und daran zu knippern.
Die Poſtknechte, obwohl ſie zum Theil, be-
ſonders in dem Kerne von Lithauen, weder
Roͤcke, noch Hoſen, noch Stiefeln haben, ſind
vortreffliche Fuhrleute, und fahren, trotz ihrer
Eilfertigkeit, mit einer Vorſicht und Sorgfalt,
die ich zuweilen bewundert habe. Sie ſind
hoͤflich, willig und genuͤgſam. Nur zweymal
iſt es mir auf der ganzen Reiſe nach Warſchau
vorgekommen, daß der Poſtknecht vor einem
Kruge anhielt; aber er verweilte nie uͤber fuͤnf
Minuten. Noch dazu drang ihn die Hitze,
einen kuͤhlen Trunk zu thun. Es faͤllt dieſen
armen Menſchen nicht ein, die Bezahlung da-
fuͤr von dem Reiſenden zu fordern, nach der
zudringlichen Weiſe der Preußiſchen und Saͤch-
ſiſchen Poſtknechte. Unter den Lithauiſchen
habe ich keinen einzigen Verſoffenen gefunden.
Die Poſtmeiſter ſind die gefaͤlligſten Leute
von der Welt; der Pferdewechſel dauert nicht
zehn Minuten. Da die Pferde des Som-
mers zu zwanzig und dreyßig Stuͤck um die
Poſt her weiden, ſo iſt ein Stoß in
das Horn von Seiten des ankommenden
Knechtes genug, um die Huͤter zu benachrich-
tigen. Sie werden von der Weide ſogleich
vor den Wagen getrieben, und da man nichts
von Kumten weiß, ſondern ihnen bloß eine Art
von Schlinge, woran die Straͤnge befindlich
ſind, umhaͤngt, ſo iſt alles in wenig Augen-
blicken gethan, und man faͤhrt weiter.
Daß man die Landesſprache nicht verſteht,
ſtoͤrt nicht. Man merke ſich nur aus derſelben
das Wort Pferd und ein Paar Zahlen,
weiter bedarf es nichts. Das Geld lernt man
ohnehin und ohne Woͤrterbuch immer am leich-
teſten nennen und kennen.
Jn den Poſthaͤuſern findet man durchge-
hends Betten oder eine gute Streu; in meh-
reren zu eſſen und zu trinken, und, nach Lan-
desart, auch wohlfeil. Uebel wird man indeſ-
ſen nicht thun, ſo wie man in keinem Lande
uͤbel daran thut, einen kleinen Vorrath von
eß- und trinkbaren Lebensmitteln bey ſich zu
fuͤhren. Zu Keidan, Kauen, Krykſtan, Grod-
no, Bialgoſtok, Wengrow, und auf einigen
andern Raſten der Lithauiſchen Reiſe, hat man
aber, was man unterwegs nur zu wuͤnſchen
befugt iſt.
Eigentliche gemachte Straßen giebt es in
Lithauen bloß ſtreckenweiſe, und ich habe dieſe
Strecken oben gelegentlich bemerkt; indeſſen
bin ich doch nur, waͤhrend der ganzen Reiſe,
auf vier oder fuͤnf Stellen geſtoßen, die im
Winter, oder bey regneriſcher Zeit im Sommer,
die Gefahr des Steckenbleibens droheten. Da
aber der uͤbrige Theil des Weges bald durch
Sand, bald durch Fichten- und Tannenwaͤlder
laͤuft, ſo hat man hier zu keiner Zeit davon
etwas zu beſorgen. Daß die Landſchaft uͤbri-
gens nicht unangenehm, daß ſie in einigen Ge-
genden wirklich reitzend und im Ganzen ſehr
fruchtbar iſt, hat ſich ſchon gelegentlich aus
meinen, mit Abſicht umſtaͤndlichen, chorogra-
phiſchen Bemerkungen ergeben.
Jch habe zur Rettung der Lithauiſchen
Poſten, die, wenn ich nicht irre, Core eben
ſo ſehr, als die allgemeinen Begriffe, die man
ſich von Polen macht, herabgeſetzt haben, die
vorſtehenden Bemerkungen niedergeſchrieben;
aber auch Reiſende, die nach Kurland, Liefland
und Rußland gehen, werden mir fuͤr dieſe
Umſtaͤndlichkeit danken, wenn ſie ſich der Un-
bequemlichkeit erinnern, oder davon gehoͤrt ha-
ben, die man auf der hoͤchſtlangweiligen, ein-
foͤrmigen Reiſe uͤber Berlin, Koͤnigsberg und
Memel zu dulden hat. Aus dem Mittel-
punkte von Deutſchland her iſt dieſer Lauf um
wenig Meilen weiter als jener, und ſie machen
ihn mit weniger Unkoſten, mehr Schnelligkeit,
unter gefaͤlligen Leuten, in einem groͤßtentheils
fruchtbaren und angenehmen Lande.
Auch laſſe man ſich nicht verleiten, was
von der Unſicherheit der Wege geſagt wird,
zu glauben. Jch ſelbſt habe dieſen Weg drey-
mal gemacht, viele meiner Freunde ebenfalls,
und nie hat ſich etwas Verdaͤchtiges gezeigt,
weder bey Tage noch bey Nacht.
Jch faſſe nun noch einige Bemerkungen
uͤber Lithauen und einen Theil des eigentlichen
Polens zuſammen, durch den ich jetzt gekom-
men bin.
Lithauen iſt mehr eben, als huͤgelicht, und
Ackerland und Wald wechſeln ziemlich zu glei-
chen Theilen mit einander ab. Der Ackerbau
wird, fuͤr dieſe Laͤnder, mit großer Sorgfalt
betrieben, und hier und da fand ich Spuren
von wahrer Saͤchſiſcher und Boͤhmiſcher Zu-
bereitung des Landes. Dieſes iſt an ſich ſelbſt,
im Ganzen genommen, vortrefflich, und ein
milderer Himmelsſtrich greift ihm unter die
Arme. Jn Liefland und Kurland verließ ich
die Saaten, noch kaum aus der Erde hervor-
kriechend; zehn oder funfzehn Meilen nach
Lithauen hinein, war das Getreide im Begriff
zu ſchoſſen. Eben ſo mit dem Triebe der
Baͤume. Die Weiden und der Schlehdorn
bluͤheten, die Birken waren gruͤn. Die Wie-
ſen und Anger zeigten die friſcheſte Farbe.
Große und zahlreiche Heerden von ſtarkem
Hornvieh ſtanden auf denſelben zerſtreuet.
Dies gewaͤhrt einen erheiternden Anblick,
aber einen deſto graͤulichern die waldigten Ge-
genden des Landes. Man ſieht hier, was Ue-
berfluß und Traͤgheit fuͤr Unheil anrichten.
Jch bin durch meilenlange Waͤlder gekommen,
in welchen, auf beiden Seiten des Weges, die
ſchoͤnſten Baͤume lagen, theils friſch umge-
brannt (denn, ſie umzuhauen, giebt man ſich
nicht die Muͤhe) theils ſchon mit der Schwaͤrze
der Verwitterung uͤberzogen, theils in foͤrmli-
chen Moder und Staube. Ganze Strecken
Wald lagen oͤde und verwuͤſtet, und die uͤbrig-
gebliebenen Stumpen, die bald bis in die Wur-
zel ausgebrannt waren, bald wie angezuͤndetes
Pfahlwerk verkohlt da ſtanden, gaben einen
unmuthig machenden Anblick. An einigen
Stellen fand ich Baͤume und Heidekraut noch
gluͤhend und rauchend, und kein Menſch be-
kuͤmmerte ſich darum; auch iſt es in Lithauen
nichts ungewoͤhnliches, daß Waͤlder Wochen
lang brennen und in Aſche zerſtaͤuben. Die
Viehhuͤter, wenn ſie friert, legen, in einer
ſchadenfrohen Faulheit, Feuer an den erſten,
den beſten Baum, und waͤrmen ſich daran;
und es faͤllt ihnen nicht ein, lieber Reißig zu-
ſammen zu ſuchen, und daran ein ſchnelleres
und wirkſameres Feuer zu haben. Wer Koh-
len braucht, zuͤndet geradezu einen oder meh-
rere Baͤume an, laͤßt ſie ausbrennen und hat
Kohlen.
Der kaufmaͤnniſche Geiſt verwuͤſtet dieſe
ſchoͤnen Waͤlder nicht minder unbarmherzig.
Man ſaͤgt von den ſchoͤnſten Baͤumen nur das
dickere Ende ab, etwa zwoͤlf bis funfzehn Fuß,
E
das uͤbrige, oder die Topenden, bleiben im
Walde liegen und verfaulen. Ein paarmal
habe ich bemerkt, daß man Felder und Gaͤrten
mit ſolchen Enden und andern verbrannten
Baͤumen verzaͤunt hatte, und der Wirth, der
dies that, duͤnkte mich, bey der gewoͤhnlichen
Holzwirthſchaft, noch ein merkwuͤrdiger und
thaͤtiger Mann. Was meynt man zu dem
Zuge, daß ich mehrere Baͤume, die uͤber die
Heerſtraße gefallen waren, in der Mitte, nach
der Weite einer Wagenſpur, durchſaͤgt fand,
waͤhrend das ausgeſaͤgte Stuͤck mit der Krone
und den Wurzeln unangeruͤhrt an der Seite
liegen geblieben war?
Die Zuͤge von Faulheit und Sorgloſigkeit,
die hieraus hervorgehen, bezeichnen auch in der
That den traͤgen Charakter der Lithauer; frey-
lich in keinem hoͤhern Maße, als bey allen
uͤbrigen leibeigenen Voͤlkern. So in Liefland,
Kurland und Rußland, ſo in Polen und in
Ungarn. Was der Bauer zu ſeinem elenden
Unterhalte braucht, findet er immer, wo nicht
in ſeiner eigenen Wirthſchaft, doch bey ſeinem
Herrn, mit dem er in eben dem Vertrage
ſteht, worin wir alle mit unſern Pferden und
uͤbrigen arbeitenden Thieren ſtehen: er giebt
Arbeit fuͤr Futter. Daß es ihm einfallen
ſollte zu ſparen, Vorrath zu ſammeln! Hat
er das ſeinige aufgezehrt, oder durchgebracht;
ſo fordert er von ſeinem Herrn, was er be-
darf, damit er ihm nicht ſtirbt, und bietet da-
fuͤr ſeinen Ruͤcken dem Kantſchu dar. Er will
ſich lieber pruͤgeln laſſen, als arbeiten, weil er
weiß, daß dies die Loſung zu noch ſtaͤrkern Ar-
beiten ſeyn wuͤrde. So faͤllt auf ſeinen Herrn
nicht bloß ſeine Faulheit zuruͤck, ſondern auch
ſeine verderbte Gemuͤthsart, die ſich, wie alle
Sklavencharaktere, in Heimtuͤcke, Schaden-
freude, Liſt und Betrug zeigt. Jch kann un-
moͤglich fuͤr ein ploͤtzliches Aufheben der Leib-
eigenſchaft ſeyn, weil ich in einem Lande le-
be, wo man ſich uͤber deſſen Gefaͤhrlichkeit
wohl unterrichten kann; aber den Schritt, der
aͤußerſt wohlthaͤtig waͤre, koͤnnte man gewiß
E 2
thun, daß man dem Bauer das Fleckchen Lan-
des, das er einmal beſitzt, fuͤr ihn und ſeine
Erben auf immer zuſicherte. Dann beſaͤße er
in der That eine Art von Eigenthum, das er,
nach dem Maße ſeiner Thaͤtigkeit, ausbilden
koͤnnte, ohne zu beſorgen, daß ſodann dieſe
Thaͤtigkeit ihn um ſeinen bisherigen Wohnſitz
bringen, und ihn auf einen undankbaren Fleck
verpflanzen wuͤrde, den er nun, wie ſein Herr
von ihm erwartet, durch ſeine Arbeit befruch-
ten ſoll, um ſodann von neuem von demſelben
weggeſetzt zu werden.
Die Doͤrfer der Lithauer ſind im hoͤchſten
Grade armſelig. Holz und Stroh iſt der
Bauſtoff; an Schornſteine iſt nicht zu denken.
Da ſie einzeln ihre Wohnungen liederlich bauen
und an Beſſerung nicht denken, ſo iſt jedes
Dorf ein Bild der Unordnung und Zerſtoͤh-
rung. Verfaulte Waͤnde und zerloͤcherte Daͤ-
cher ſind allen gemein. Jn einigen habe ich
Scheuern gefunden, die nur aus einer gefloch-
tenen Horte beſtanden, uͤber die ein verfaultes
Dach geſtuͤlpt war. Man ſchenke mir die Be-
ſchreibung des Jnnern.
Trotz dem allen ſind die Lithauer ein, im
Ganzen, wohl gebildetes Volk: groß, vierſchroͤ-
tig und ſtark. Da ſie durchgaͤngig einen Zwik-
kelbart tragen, ſo giebt dies ihnen ein kriege-
riſches Anſehen; und da ihr Anzug meiſt lang
iſt und die Beinkleider weit und herunterhan-
gend ſind, ſo giebt ihnen dies, nebſt ihren
Baſteln, welches bloß ein Paar mit Baͤndern
unter dem Fuß befeſtigte Sohlen ſind, eine
Art von morgenlaͤndiſchem Anſehen. Auf dem
Kopfe tragen ſie eine mit Pelz beſetzte Muͤtze,
welche faſt die Form der altmodiſchen Stutz-
peruͤcken hat. Jhre Weiber tragen aͤhnliche
lange Roͤcke, aber zugleich auch einen langen
Unterrock, und ihre ganze Kopfbedeckung iſt
ein grobes, um den Kopf gewundenes Tuch,
deſſen Spitze zwiſchen den Schultern flattert.
Das Tuch zu ihren Kleidern, oder vielmehr
der wollene Zwillich, iſt ihrer eigenen Haͤnde
Arbeit, und ſie laſſen ihn ungefaͤrbt, meiſt
braun oder weiß, wie die Wolle ihn giebt.
Die Kinder ſind Sommer und Winter im
bloßen Hemde.
Natuͤrliche Heiterkeit und Luſtigkeit findet
man bey ihnen ſelten; aber deſtomehr die durch
Branntwein erkuͤnſtelte. Jhre Herren ſorgen
dafuͤr, daß ſie dergleichen in allen Kruͤgen im
Ueberfluſſe finden, und ſo werden ſie doch die
Geber ihrer Froͤhlichkeit, freylich fuͤr ihren
letzten Pfennig und ihr letztes Koͤrnchen Ge-
treide. Dieſe Kruͤge ſind an Juden theils ver-
pachtet, theils ſtehen dieſe mit dem Beſitzer
derſelben auf den zehnten Groſchen.
Man lege zu dieſem allen noch den dop-
pelten Umſtand, daß ſie ihre kleinen Beduͤrf-
niſſe des Luxus von den Juden, und ihre
Seligkeit von den Bettelmoͤnchen kaufen muͤſ-
ſen, ſo wird man ſelbſt bemerken, was ich
ſonſt uͤber den buͤrgerlichen, ſittlichen, wirth-
ſchaftlichen und Glaubens-Zuſtand dieſes Vol-
kes noch ſagen muͤßte.
Sobald man uͤber die Lithauiſche Graͤnze
iſt, und in das eigentliche Polen eintritt, zei-
gen ſich ſchon keine Unterſchiede, die es ankuͤn-
digen, daß man ſich unter einer andern Na-
tion befindet. Nicht minder, als die Spra-
che, kuͤndigen es auch andere aͤußere Umſtaͤnde
an. Schon die Tracht zeigt manche Verſchie-
denheiten. Sie iſt minder armſelig, als die
Lithauiſche, und man findet ſie ſchon haͤufig
von farbigem Tuch, feiner Leinewand, mit an-
derem Schnitte. Die Baſteln verſchwinden
und Stiefeln treten an ihre Stelle; ſo wie
uͤberhaupt der Pole lieber baarfuß geht, als
daß er Baſteln tragen ſollte. Die Kleider
der Weiber und Maͤnner haben eine Form
und einen Schnitt, der den Schneider ver-
raͤth, und der eigenthuͤmliche Polniſche Ge-
ſchmack an tauſend Knoͤpfen und Schleifen
wird hier ſchon ſichtbar. Da der Bauer in
dem eigentlichen Polen nicht ganz ſo gedruͤckt
iſt, als in Lithauen, ſo zeigt ſich dies in einer
groͤßern Wohlhabenheit, vermoͤge deren er
beſſere Haͤuſer bauen, beſſere Pferde halten
und beſſeres Brod und Salz eſſen kann.
Zweiter Abſchnitt.
Warſchau.
Allgemeine topographiſche Bemerkungen. Lage der Stadt.
Anſicht von außen und innen. Weichſel. Pallaͤſte,
Haͤuſer. Jhre Bauart. Betrachtung, durch die
große Ungleichheit der Gebaͤude veranlaßt. Die vor-
zuͤglichern Straßen. Altſtadt. Vorſtaͤdte. Prag.
Die vornehmſten oͤffentlichen Gebaͤude. Das Koͤnig-
liche Schloß. Pallaſt des Fuͤrſten Primas, der Re-
publik, der Ruſſiſchen Geſandtſchaft. Der Saͤchſiſche
Pallaſt. Seltſame Hundejagd. Auguſts des Zweiten.
Die vorzuͤglichſten Privatpallaͤſte. Jhre Anzahl. Kir-
chen: zum heil. Kreutz; der Piariſten; zu St. Jo-
hannes und zu U. L. Frauen. Die barmherzigen
Bruͤder und Schweſtern. Merkwuͤrdiger Zufall ei-
nes Fremden. Lutheriſche und reformirte Kirchen.
Privathaͤuſer. Oeffentliche Plaͤtze, kaum ſo zu nen-
nen. Keine Marktplaͤtze, außer dem Ring in der
Altſtadt; die vornehmſten Straßen dazu gebraucht.
Garkuͤchen unter freyem Himmel. Ueber ferneren
Anbau und Verſchoͤnerung der Stadt. Menſchenge-
wimmel. Deſſen Auszeichnung. Geraͤuſch der Stadt.
Bevoͤlkerung. Nahrungserwerb. Verkehr. Große
Engliſche Gewoͤlbe. Dangels Wagenfabrik. Theu-
rung der noͤthigſten Beduͤrfniſſe; der Waaren fuͤr
Wohlleben und Luxus; der Hand- Dienſt- und Ge-
faͤlligkeitsarbeiten. Gaſthoͤfe. Der weiße Adler auf
Tlomazk. Hotel de Pologne. Mariavill. Beſchrei-
bung dieſer Anlage. Hoſpitaͤler. Das Kind Jeſus.
St. Rochus. Polizey, durch die letzte Konſtitution
verbeſſert, jetzt wieder verſchwunden.
WarſchauAnmerk. Jn der Berliniſchen
Monats-
ſchrift hat ein guter Beobachter manche Gegen-
ſtaͤnde beruͤhrt, die ich in den nachſtehenden Blaͤt-
tern auch beruͤhre. Es wird mich ſehr freuen, wenn
der Leſer ein wenig Geiſtesverwandtſchaft zwiſchen
Jhm und mir entdecken, und wechſelsweiſe ſeine
Nachrichten aus meinen, und meine aus ſeine, er-
gaͤnzen wollte. liegt in einer ausgebreiteten
Ebene, auf dem linken Ufer der Weichſel, wel-
ches ſo hoch hinanlaͤuft, daß man, wenn man
von Lithauen herkoͤmmt, verſucht wird, zu
glauben, die ganze Stadt ſey auf einem wirk-
lichen Berge erbauet. Dies iſt aber, genau
genommen, nicht der Fall, da dieſer ſcheinbare
Berg ſich rechts, links und hinterwaͤrts in eine
Flaͤche ausdehnt, ohne daß man den mindeſten
Abhang gewahr wird. Auch ſieht man die
Stadt, ſobald man darin iſt, auf einem durch-
aus ebenen Boden gelagert und keine Straße
ſenkt ſich oder erhebt ſich merklich unter oder
uͤber die Grundflaͤche der andern. Die einzige
Vorſtadt Schulitz (poln. Scolec) liegt nie-
driger, als die uͤbrigen Theile von Warſchau;
ſie liegt aber auch nicht auf derſelben Grund-
flaͤche, ſondern hart an der Weichſel unter dem
hohen Ufer, worauf die Stadt ſelbſt ſtehet.
Von unten herauf geſehen, giebt keine
Stadt ſolch einen großen oder glaͤnzenden An-
blick, als von oben herunter, wenn der Stand-
punkt nicht zu hoch iſt. Warſchau erſcheint
deßhalb, von der Weichſelſeite her, als ein un-
foͤrmlicher Klumpen von Haͤuſern, der an den
Abhang eines Berges geklebt iſt, und aus wel-
chem hier und da Thuͤrme heraustreten, die
weder durch Umfang, noch durch Hoͤhe, dem
Auge auffallen. Von dieſer Seite her zeigt
ſich auch die Laͤnge der Stadt nicht in ihrer
ganzen Ausdehnung. Am beſten laͤßt ſie ſich
von der Laterne der lutheriſchen Kirche uͤber-
ſehen, die ziemlich in der Mitte der Stadt
liegt. Von da herunter beurtheilt man am
bequemſten die Eigenthuͤmlichkeit ihres Aeußern.
Sie laͤuft naͤmlich, in der Geſtalt eines faſt
regelmaͤßigen Halbzirkels, an dem hohen Ufer
der Weichſel hin, und zeigt, in den naͤchſten
Gegenden an derſelben, eine eng zuſammen ge-
draͤngte, hohe Haͤuſermaſſe, die von ziemlich
ſchmalen Straßen durchſchnitten wird; in den
entferntern aber, Reihen von niedrigen, hoͤlzer-
nen, mit Schindeln gedeckten, ſchwarzen Haͤu-
ſerchen, die an breiten Straßen ſtehen und ſich
endlich immer kleiner und kleiner, wie Maul-
wurfshaufen, in die große Ebene hinab ver-
lieren.
Die Haͤuſermaſſe von Berlin zeigt, von
oben herab umſpannt, in der Mitte einen
Kern von faſt gleich hohen Haͤuſern, an wel-
che die kleinern und allerkleinſten in den Vor-
ſtaͤdten ſich anſchließen; Warſchau hingegen
hat ſolch einen Kern nicht, ſondern erſcheint
als eine allgemeine Miſchung von hoͤchſten und
niedrigſten Haͤuſern, die, weiß, grau und
ſchwarz, unter einander durch ſtehen, und wo
nur wenig Straßen, oder vielmehr Theile von
Straßen, in gleicher Hoͤhe hervorragen und
einen lichtern und anſtaͤndigern Anblick geben.
Bloß die Altſtadt zeigt ſich als ein Haufen
gleich hoher, aber ſo zuſammen gedraͤngter,
Haͤuſer, daß man keine Straße darzwiſchen
wahrnehmen kann.
Um die Stadt her zieht ſich an beyden
Seiten bis an die Weichſel eine unuͤberſehli-
che, durch keinen Huͤgel und kein Gehoͤlz un-
terbrochene, ſandige, Flaͤche, die nur, in den
naͤchſten Gegenden an der Stadt, durch ange-
pflanzte Alleen etwas bunt gemacht wird.
Dieſe Alleen ſind groͤßeſtentheils noch jung
und faſſen die Wege nach der Stadt ein. Der
Sand iſt ſo tief, als um Berlin, und eben ſo
beſchwerlich, als dort, aber minder gefaͤhrlich
fuͤr Auge und Bruſt, als der ſeine kalkhaltige
Staub um Wien und Paris. Jenſeits der
Weichſel uͤber Prag hinaus, erſcheint dieſe
Sandflaͤche von Fichtenwaͤldern umkraͤnzt und
naͤher und entfernter ſtehen einzelne Haͤuſer
und Gehoͤfte.
Die Weichſel ſelbſt hat hier ungefaͤhr die
Breite der Elbe bey Wittenberg. Eine Schiff-
bruͤcke fuͤhrt von Prag nach Warſchau hin-
uͤber, die aus locker neben einander liegenden
Balken beſteht, welche, wenn man daruͤber
faͤhrt, wie die Balgen einer Orgel, niederſin-
ken und herauf ſchnellen. Das Gelaͤnder der
Bruͤcke iſt eben ſo ſchlotterig darauf geworfelt.
Ober- und unterhalb der Stadt ſetzen ſich
mehrere Sandbaͤnke an, die den Strom thei-
len, die Schiffahrt ſehr unbequem machen
und ſeiner, uͤbrigens anſehnlichen, Waſſermaſſe
Fall, Schnelligkeit und Einheit rauben. Noch
unterbrechen ſeinen Lauf ſchwimmende Waſ-
ſermuͤhlen, von eben dem Bau, wie die, welche
bey Magdeburg unterhalb der Strombruͤcke
die Elbe bedecken und einen mannigfaltigern
Anblick gewaͤhren.
Was an Pallaͤſten und Haͤuſern in War-
ſchau neu iſt, zeigt großentheils von Geſchmack,
Dauer und Wohlhabenheit; was alt iſt, hat
alle Vorzuͤge und Fehler der aͤltern Bauart.
Wenn jene einen geraͤumigen Vorhof mit ei-
nem geſchmackvollen Korps-de-Logis, zwey
leicht daran gelehnten Seitenfluͤgeln und einem
zierlich gearbeiteten Gitter zur Einfahrt, ein-
ſchließen: ſo zeigen die Werke dieſer den Cha-
rakter ihrer Zeit: Einfalt, Feſtigkeit und Hoͤ-
he, aber auch Duͤſterkeit, Engigkeit und Mi-
ſchung von Burg und Kloſter. Die Bauart
der Haͤuſer iſt, wo ſie ſteinern ſind, wie die
Berliniſche, wo ſie hoͤlzern ſind, wie die Bau-
art in den boͤhmiſchen Doͤrfern, oder den al-
tenburgiſchen Waͤldern. Backſteine und Kalk
bilden die erſtern; uͤber einander gelegte, mit
Moos und Lehm verklebte, Balken, die letz-
tern. Die warſchauer Pallaͤſte, ſamt ihrem
Saͤulenwerke, ſind ebenfalls von Backſtein, und
mehrere Kirchen in den Vorſtaͤdten, ganz von
Holz, ohne eine Spur von Kalk und Stein,
erbauetVergl. Berl. Mon. Schr. 1792. Jun. S. 552
fg..
Warſchau dankt den glaͤnzendern Theil ſei-
nes Ausbaues jener Zeit, wo es noch mehr
als jetzt ſchien, als ob es, außer dem Edel-
manne, keine Menſchen in Polen gaͤbe. Ein
Großer, der Koͤnig werden konnte, fiel leicht
darauf, ſich einen Pallaſt zu bauen, der Koͤnig-
lich war. Er konnte dies leicht ausfuͤhren,
weil er ſeine Einkuͤnfte koͤniglich behandelte
und ſeine Unterthanen willkuͤhrlich her kom-
men und hin gehen zu laſſen befugt war.
Die Hauptſtadt eines Landes, mit der Ver-
faſſung wie Polen ſie hat, muͤßte eigentlich
aus lauter Pallaͤſten beſtehen, wenn nicht die
Beſitzer derſelben, der allgemeinen Menſchheit,
wenn auch ſonſt niemand, tributbar, Haͤnde
gebraucht haͤtten, um ihre ſtolzen Mauern auf-
zufuͤhren. So brauchte jeder Pallaſt mehrere
Huͤtten, worin die Arbeiter wohnten. Sie
durften nicht ſehr weit von dem praͤchtigen
Bau entfernt ſeyn, wenn er gefoͤrdert werden
ſollte. Eben ſo verhielt es ſich mit andern
Beduͤrfniſſen und ihren Verfertigern. Alle
mußte man um ſich wohnen und leben laſſen,
weil ſie — arbeiteten. Es waren Laſtthiere,
die man miethete, oder die man auf ſein Fut-
ter und ſeinen Stall ſich hielt. So bildeten
Pallaͤſte und Huͤtten, Fuͤrſten und Bettler, die
phyſiſche und moraliſche Grundlage von War-
ſchau.
Der politiſche Stolz, der dieſen Grund
legte, hatte einen Nebenbuhler an dem geiſtli-
chen. Wenn jener ſeine Groͤße in ſich ſelbſt
ſuchte; ſo ſuchte ſie dieſer, mit anſcheinender
Beſcheidenheit, in Gott, und bauete dieſem
Tempel und Kloͤſter, worin er wohnte. So
entſtanden neben den Pallaͤſten die Kirchen
und neben dieſen die Kloͤſter. Das Kapital
zu dieſen kam eben daher, woher das Kapital
F
zu jenen kam: aus dem Fleiße und der Gut-
willigkeit der Aermern, die man mit Segens-
ſpruͤchen troͤſtete, mit Suppen und Almoſen
ernaͤhrte, mit Gemaͤhlden und Wachslichtern
ergoͤtzte, und denen man ein herrliches Leben
verſprach, wenn ſie nur erſt todt waͤren.
Wo erſt Pallaͤſte und Kirchen ſind, da ent-
ſtehen bald andre Wohnungen, deren Beſitzer
mit Kopf und Feder fuͤr weltlichen und geiſt-
lichen Prunk arbeiten: vor der Hand aber
mehr mit Zahlen, als mit Buchſtaben. Um
die Pallaͤſte prachtliebender Großen her ſetzten
ſich bald Geſchaͤfts- und Kaufleute, und da,
auf einem uͤppigen Boden, bey hellen Augen
und unter geſchickten Fingern, ihre goldnen
Saaten oft mehr als hundertfaͤltige Fruͤchte
trugen: ſo war es kein Wunder, wenn ihre
Scheuren an Umfang und Groͤße von Jahr
zu Jahr zunahmen, und ſo koͤmmt es, daß
hinter den Pallaͤſten der Großen und den Tem-
peln der Prieſter gleich die Haͤuſer der
Wechsler anfangen und ſich ſtufenweiſe in
die Haͤuſer der groͤßern und kleinern Kaufleute
verlieren.
Jn der That gehoͤren die großen Pallaͤſte
und Haͤuſer in Warſchau den Großen, den
Prieſtern und den Wechslern. Man zaͤhlt,
mit dem koͤniglichen Schloſſe und andern oͤf-
fentlichen Gebaͤuden, gegen achtzig, praͤchtige
und minder praͤchtige, aͤltere und neuere Pal-
laͤſte; uͤber dreyßig groͤßere und kleinere Tem-
pel, Kirchen und Kloͤſter und gegen zwanzig
große Haͤuſer, die wahre Pallaͤſte waͤren, wenn
ſie Großen gehoͤrten, und denen mithin zu ſol-
chen nichts fehlt, als der Name. Wenn oft
in dieſen Haͤuſern, in einem Schreibtiſche von
Mahagony und in einem eichenen beſchlagenen
Kaſten, mehrere jener Pallaͤſte liegen: ſo iſt
daran nichts weiter zu bewundern, als die
Schnelligkeit, Geſchicklichkeit und arithmetiſche
Kunſt, durch welche man ſie herein gebracht
hat.
Außer den Wohnungen jener drey Klaſſen,
giebt es in Warſchau noch viele andre, die
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von außen nicht minder groß und glaͤnzend
ſind, aber von innen mehr oder weniger Arm-
ſeligkeit zeigen. Dahin gehoͤren die Hospitaͤ-
ler und Kaſernen. Letztre thun es den erſtern
an aͤußern Glanz weit zuvor, ſind neu, nach
einem guten Geſchmack erbaut, und eine da-
von, Ujasdow, iſt vielleicht die ſchoͤnſte Ka-
ſerne in der Welt. Das Kadettenhaus und
Arſenal ſind auch ſehr anſehnliche oͤffentliche Ge-
baͤude, minder ſind es die Muͤnze und die Za-
ruskiſche Bibliothek. Jhre Wirkung fuͤr das
Ganze der Stadt wird aber groͤßtentheils da-
durch geſtoͤhrt, daß ſie, theils in abgelegenen
Gegenden, theils zwiſchen kleinen ſchwarzen
Haͤuſern einzeln umher ſtehen.
Die uͤbrigen Klaſſen der Einwohner, vom
Faciendair So heißen in Warſchau die Geldmaͤkler, die neben-
her ein wenig wuchern. Man nennt ſie auch, mit
einem Pleonasmus Facienden-Macher. So
liegt ſchon in dem Praͤdikat das alterum tantum
des Subjekts. bis zum Juden, vom General
bis zum Hetzmeiſter, vom Advokaten bis zum
Beutelſchneider, vom Modenhaͤndler bis zum
kauflichen Weibe, vom Gelehrten und Kuͤnſt-
ler bis zum ſchamhaften Bettler ꝛc. alle dieſe
Klaſſen, nach ihren mannigfachen Abſtufungen,
wohnen in den Haͤuſern, die in den beſſer ge-
bauten Theilen der Stadt, mit Kellergeſchoſ-
ſen, Gewoͤlben und Dachſtuben, ſo wie mit
einem hohen und hellen zweyten Stocke verſe-
hen, umher ſtehen, und nur umher ſtehen,
weil ſie auch hier faſt immer von dazwi-
ſchen geſtreuten kleinern, unanſehnlichern Woh-
nungen unterbrochen werden. Letztre haben
die ganz armen Einwohner inne, und ſie wer-
den deſto haͤufiger und armſeliger, je weiter
man ſich von dem aͤlteſten Kerne der Stadt
entfernt. So wie ein zerriſſenes, durchloͤcher-
tes, gekruͤmmtes Schindeldach, das Jnnere des
Hauſes gegen Regen, Schnee und Sturm
nicht deckt: ſo giebt ein hundertmal, mit Lap-
pen von allen Farben, geflickter Rock die Be-
ſitzer deſſelben jenen Unannehmlichkeiten bloß.
Hier wird der Charakter dieſer Stadt am
ſichtbarſten: bey dem allerhoͤchſten Reichthume,
die allertiefſte Armuth; bey der allerſtudierte-
ſten Ueppigkeit, der dringendſte Mangel.
Jn den aͤltern Gegenden der Stadt ſind
die Straßen krumm, enge und finſter; in den
naͤchſten daran, ſchon breiter, aber immer noch
krumm; in den entfernteſten gerade, breit und
lang. Letztre haben aber noch kein Pflaſter
und ihr Boden bildet, bey regneriſchem Wet-
ter, einen langen Spiegel von Koth, der nur
durch die bloßen Fuͤße bezwingbar iſt, auf de-
nen man hier herum gehet, oder durch die ho-
hen Raͤder der Reiſewagen und Remiſen, die
ſich hieher verirren. An warmen und ſonni-
gen Tagen faͤllt dieſer Koth in einen tiefen
Staub zuſammen, der, auf den erſten Wind-
ſtoß oder Hufſchlag, in Wolken aufwirbelt,
die kein Auge durchdringen kann. Daher
koͤmmt es, daß man gegen das Elend hier
herum die Augen zudruͤckt.
Warſchau hat, nach einem Plane Plan Ichnographique de la Ville
de Varfovie,
Refidence des Rois de Pologne, gezeichnet von
dem Major Hennequin und zu haben bey Michael
Groll 1779. Er iſt nur 16 Zoll lang und breit
und zeigt deßhalb die Gegenſtaͤnde unangenehm zu-
ſammen gedraͤngt., den
man fuͤr den beſten haͤlt, weil er der neueſte
iſt, in allem Einhundert und zwey und neun-
zig Straßen, wovon vielleicht nur zehn einen
glaͤnzenden, funfzig einen ertraͤglichen und die
uͤbrigen einen unangenehmen Anblick geben.
Die meiſten dieſer Straßen ſind, wo nicht
ganz, doch in der Mitte, gepflaſtert, aber das
Pflaſter iſt ſchlecht unterhalten. Wenn es reg-
net, ſo erſcheinen ſie von Unrath uͤberſchwemmt
und die Anſtalten, die man macht, um ſie zu
reinigen, ſind nicht der Rede werth. Doch hat
man den Troſt, daß man hier umſonſt in Pfuͤz-
zen herum waden kann, ſtatt daß man anders-
wo der Polizey dafuͤr bezahlt, daß ſie dieſel-
ben — ſtehen laͤßt. So ſieht man, z.B. in
Berlin, bey naſſem Wetter, auf allen Straßen,
ſelbſt auf dem ſchoͤnen Schloß- und Opern-
platze, ſolche Spiegel fuͤr die Polizey.
Der glaͤnzendſte Theil von Warſchau iſt
die Hauptſtraße der Krakauer Vorſtadt.
Sie enthaͤlt in einer maͤßigen Laͤnge eilf Pal-
laͤſte, worunter einige ſind, deren ſich der maͤch-
tigſte regierende Fuͤrſt nicht ſchaͤmen duͤrfte;
ſechs Kirchen, faſt alle groß und gut gebauet,
und ſteinerne Haͤuſer von zwey bis fuͤnf Stock-
werken.
Die Senatorenſtraße faͤllt ebenfalls
gut in die Augen und enthaͤlt neben dreyzehn
Pallaͤſten, drey Kirchen und meiſt hohe und
neue Privathaͤuſer.
Die Methſtraße (UlicaMan leſe
Uliza. Miodowa)
gehoͤrt auch zu den beſten und enthaͤlt, außer
ſechs Pallaͤſten, mehrere Kirchen und Kloͤſter;
ſo wie die Langgaſſe (Ulica dluga) außer
fuͤnf Pallaͤſten, drey Kirchen und Kloͤſter und
das anſehnliche Zeughaus der Republik in ſich
faßt.
DieAltſtadt iſt der finſterſte und engſte
Theil von Warſchau, und in ihren ſchmalen
und kothigen Gaſſen, die durch hohe und
ſchwarze Haͤuſer hinlaufen, findet man die duͤ-
ſterſten Theile von Wien und Paris wieder.
Einige der Vorſtaͤdte ſind, im Ganzen genom-
men, geraͤumiger, neuer und reinlicher. Dies
gilt hauptſaͤchlich von der Neuſtadt, (nowy
Micscia) der Krakauer Vorſtadt, der
Vorſtadt Alexandria und der Leſche;
(Lefzno) die uͤbrigen, Neue Welt (Nowy
swiat) Wielopole, Bielino, Szolec ꝛc.
ſind zum Theil nur einzelne, neu angelegte
Straßen, die mit kleinen, beſſern oder ſchlech-
tern Haͤuſern, und dazwiſchen liegenden Som-
merpalais und Gaͤrten beſetzt, und von der ei-
gentlichen Stadt weder durch Mauern noch
durch Thore geſchieden ſind. Um das Ganze
der Stadt ſelbſt laͤuft ein Graben, der weder
tief, noch breit, noch unterhalten iſt. Bloße
Schlagbaͤume geben die Thore an.
Jenſeits der Weichſel liegt, in einem be-
traͤchtlichen Umfange, Prag, eine Stadt mit
ihrem eigenen Rathe, die, wenn zu Winters-
zeiten die Bruͤcke abgenommen wird, durch
nichts mit Warſchau zuſammenhaͤngt, die man
alſo irrig mit zu den Vorſtaͤdten derſelben rech-
net. Sie beſteht groͤßtentheils aus hoͤlzernen,
niedrigen Haͤuſern und wird meiſt von Juden
bewohnt, in deren Mitte ein paar Moͤnchsor-
den niſten, die, ſo wie jene, mit verlegenen
Waaren handeln und nicht in dem beſten Ge-
ruche ſtehen.
Jch bringe nun einige naͤhere Nachrichten
von den vorzuͤglichſten, oͤffentlichen und Pri-
vatpallaͤſten und Gebaͤuden bey:
Das koͤnigliche SchloßVergl. Berl. Mon. Schr. J. c. S. 559.
fg. oder die
Burg (poln. Zamek) liegt zwiſchen der Alt-
ſtadt und der Krakauer Vorſtadt faſt wie ver-
ſteckt und gewaͤhrt keine allgemeine Anſicht.
Von woher man ſich demſelben auch naͤhert,
immer ſieht man nur einen Theil davon. Aber
man verliert auch dabey nicht ſehr viel. Die
aͤltern Theile ſind ſchwarz, unanſehnlich, wink-
lich, und die neuern verſteckt. Faſt jeder Koͤ-
nig hat eine Erweiterung damit vorgenommen,
und jeder neue Zuſatz hat einen andern Ge-
ſchmack und weniger oder mehr Hoͤhe und
Breite, als der andere erhalten. Das Ganze
hat indeſſen einen ſehr betraͤchtlichen Umfang
und die Zahl der Zimmer und Saͤle geht in
die Hunderte. Der große Hof, der von den
neueſten Anlagen umſchloſſen wird, iſt der ſe-
henswertheſte Fleck darin. Wenn man von
der Seite der Krakauer Vorſtadt herein koͤmmt,
ſo hat man rechts die Hauptwache und den
Haupteingang zu den Zimmern, die der Koͤnig
bewohnt und die nach der Weichſel ſehen;
links, den Eingang zum Reichstagsſaal und
in einen andern Hof, der nach der Altſtadt zu
geht; und vor ſich den Durchgang unter ei-
nem der Seitenfluͤgel in einen dritten Hof, der
zur Kollegiat- und Pfarrkirche St. Johannis
fuͤhret. Zur Reichstagszeit, oder wenn Kour
beym Koͤnige iſt, erſcheint dieſer Hof mit den
praͤchtigſten Wagen wie verrammelt, und iſt
mit einem Gedraͤnge reich gekleideter Bedien-
ten bedeckt.
Die Beſchreibung der Zimmer, die der Koͤ-
nig bewohnt, verſchiebe ich bis dahin, wo ich
von ſeiner Perſon ſpreche, weil das Aeußere
derſelben und ihre Einrichtung in genauer Ver-
bindung mit derſelben ſteht. Die uͤbrigen
Zimmer und Saͤle ſind theils leer und ver-
ſchloſſen, oder dienen zu Verſammlungsorten
des Senats, oder zu Arbeitszimmern fuͤr die
Staatsaͤmter, zur Aufbewahrung des Archivs,
oder auch bloß zu Durchgaͤngen und Wachſaͤ-
len. Viele darunter haben keine andere Moͤ-
bel, als Spiegel und ein paar alte Stuͤhle;
andre ſind mit Gemaͤhlden behaͤngt, die in
Bruſtbildern der polniſchen Koͤnige, beruͤhmter
polniſcher Gelehrten und Feldherrn alter und
neuerer Zeit, beſtehen; und dieſe ſind denn
freylich die anziehendſten unter allen im Schloſ-
ſe. Man hat den groͤßeſten Theil derſelben
dem jetzigen Koͤnige zu danken, der ſie theils
ankaufte, theils kopieren ließ, theils auch, was
die Gelehrten und Feldherrn betrifft, von den
Kloͤſtern, Kollegien und Familien geſchenkt er-
hielt.
Diejenige Seite des Schloſſes, die nach
dem Fluſſe ſieht, iſt unſtreitig die heiterſte.
Man beherrſcht von da herunter eine weitaus-
gebreitete Ausſicht uͤber die Weichſel, uͤber
Prag und uͤber die daran ſtoßende, mit Wald
umgebene, Flaͤche. Die andre Seite, die nach
der Stadt zu liegt, hat keine Ausſicht, ſondern
iſt durch die erwaͤhnte Pfarrkirche und durch
die hohen, ſchwarzen Haͤuſer der Altſtadt ver-
ſperrt. Da keine Koͤnigin hier iſt, ſo giebt es
auch keinen eigentlichen Hof, mithin iſt das
Schloß, feyerliche Gelegenheiten abgerechnet,
ziemlich oͤde und todt. Am Fuße deſſelben, nach
der Weichſel zu, ſtehen meiſt elende hoͤlzerne
Huͤtten, die alles um ſich her liegen haben,
was ihre Bewohner an Bettſtroh, Duͤnger,
altem Lumpen- und Lederwerk nicht mehr
brauchen, und in ſo hohen Haufen, daß es die
Anhoͤhe bis zum Fuße des Schloſſes bedeckt,
und ſich noch mehr erheben wuͤrde, wenn nicht
gewiſſe, ſchmutzige und gefraͤßige Thiere es
wieder herabwuͤhlten, oder nieder traͤten. Ue-
ber dieſe naͤhern Umgebungen muß man aller-
dings hinwegſehen, wenn man der entferntern
angenehmen Ausſicht uͤber die Weichſel hinaus
genießen will.
Der Pallaſt des Fuͤrſten-Primas
liegt in der Senatorenſtraße und hat,
nach dem Schloſſe, wohl den groͤßten Umfang
unter allen in Warſchau befindlichen Pallaͤſten.
Er gewaͤhrt eine gute Anſicht, obgleich er fuͤr
ſeine Laͤnge zu niedrig ſcheint; er beſteht aus
einem Korps-de-Logis und zwey Seitenfluͤ-
geln, und hat einen ſchoͤnen geraͤumigen Vor-
hof, der vielleicht dreyhundert Wagen faſſen
kann. Nach der Straße zu iſt er mit einer
Baluͤſtrade eingefaßt, in deren Mitte der Ein-
gang ſich befindet. Jn dem einen Seitenfluͤ-
gel iſt die Wache, die dem Beſitzer als Pri-
mas des Reichs gegeben werden muß.
Das Jnnere iſt, bis auf wenige Zimmer,
in altem franzoͤſiſchen Geſchmack verziert. Ta-
peten von Moire, Damaſt, Sammet ꝛc. und
eben ſo uͤberzogene Stuͤhle und Lehnſtuͤhle;
große Spiegel mit vergoldetem Schnitzwerk,
eingelegte Tiſche ꝛc. Kreutzbilder von allem
moͤglichen Material, Betbaͤnke ꝛc. dies ſind die
Hausgeraͤthe, die man hier antrifft. Die
Wohnzimmer des Fuͤrſten haben mehr neuern
Geſchmack und bieten dem Auge einige ſehr
ſchoͤne engliſche Moͤbel und andre Bequemlich-
keiten, auch manche Bilder von neueren Mei-
ſtern, die ſehenswerth ſind, dar.
Der Pallaſt der Republik, ehemals
KraſinskiAuf der Maſauerſtraße iſt noch ein Kraſinskiſcher
Pallaſt, den man mit dieſem nicht verwechſeln
muß. Vergl. Berl. Mon. Schr. 1. c. S. 558., faͤllt auch, unter allen uͤbri-
gen, mit am beſten in die Augen. Er beſteht
aus einem einzigen Korps und nimmt einen
Theil eines ganz geraͤumigen Platzes ein, auf
welchem auch, ihm gegenuͤber, das Theater
ſteht. Linker Hand hat er ein langes, anſehn-
liches Gebaͤude zur Seite, das den Platz
ſchließt und meiſt zu Wohnungen fuͤr die Schau-
ſpieler und Schauſpielerinnen eingerichtet iſt.
Auf der andern Seite, am Eingange dieſes
Platzes, dem anſehnlichen Gebaͤude des Pack-
hofes und der Mauth gegenuͤber, ſteht eine
hoͤchſt ungeſchlachte Spitzſaͤule von — Holz.
Jener Pallaſt iſt der Schatzkommiſſion
(dem Finanzkollegium) von der Republik zum
Sitze eingeraͤumt worden. Einen Theil des
obern Stockes hatte der nicht unirte Griechi-
ſche Biſchof, den man wegen Anzettlung eines
Aufſtandes unter den polniſchen Unterthanen
jenes Bekenntniſſes, aufgehoben hatte, als —
Gefaͤngniß inne. Es iſt bekannt, daß unſre Re-
gierung die Verhaftnehmung dieſes Mannes
dem Konſtitutions-Reichstage, als eine Be-
ſchwerde, in der Kriegserklaͤrung vom 18 May
1792, mit zur Laſt legte.
An dieſem Pallaſte iſt ein angenehmer
Garten, von dem ich weiter unten noch einige
Worte ſagen werde, wenn ich auf die oͤffent-
lichen Vergnuͤgungen der Einwohner von War-
ſchau komme.
Einer der neueſten und geſchmackvollſten
Pallaͤſte iſt der, den die Republik unſrer Ge-
ſandtſchaft eingeraͤumt hat. Er ſteht auf der
Methſtraße, hat ein großes Korps-de-Logis
und zwey, faſt eben ſo betraͤchtliche, Seiten-
fluͤgel, die einen geraͤumigen Vorhof einſchlie-
ßen, der, nach der Straße zu, mit einem ſchoͤ-
nen eiſernen Gitter eingefaßt iſt. Unſre Ge-
ſandtſchaft hat hier ihren beſtaͤndigen Sitz,
mit Vorrechten und Freyheiten, die ſie mitten
in Petersburg nicht ausgedehnter und unge-
ſtoͤhrter beſitzen koͤnnte. Auch ſind unſre Ge-
ſandten maͤchtigere Koͤnige von Polen, als
der Koͤnig von Polen ſelbſt, und ſie waren
es nur waͤhrend des Konſtitutions-Reichsta-
ges, von 1788 an, bis in die Mitte des Jah-
G
res 1792, nicht; jetzt Jm Monat May, 1793. ſind ſie es wieder mehr,
als jemals. Sie gebieten nicht nur uͤber die
politiſchen Angelegenheiten des Staats, ſon-
dern haben auch eine unumſchraͤnkte buͤrgerliche
Gerichtsbarkeit uͤber alles, was von ruſſiſcher
Zunge hier in Warſchau und in den uͤbrigen
Theilen von Polen anſaͤßig iſt, und ſich an
ſie wendet. Der Vorhof ihres Pallaſtes wim-
melt von Wagen polniſcher Großen, die oft
nicht zu ſtolz ſind, ſtundenlang im Vorzimmer
zu ſtehen, um den Geſandten entweder in Ge-
ſchaͤften zu ſprechen, oder auch nur, um ihm
aufzuwarten. Da unſer gegenwaͤrtige Geſandte
in Grodno iſt, ſo genießt, ſtatt ſeiner, der
General von Jgelſtroͤm ſeines Einfluſſes
und ſeiner Ehren.
Unter den oͤffentlichen, der Republik gehoͤ-
rigen Gebaͤuden, ſind noch anſehnlich: das
Zeughaus, die Muͤnze, die Zaluskiſcht
Bibliothek, die Kaſerne von Ujasdow,
und das Kadettenhaus. Von der Kaſerne
habe ich ſchon oben geſagt, daß ſie leicht die ſchoͤn-
ſte in der Welt ſeyn mag; und ihre Lage auf
dem hohen Ufer der Weichſel, die ſich jetzt aber
mehr entfernt hat; ihr reinliches Aeußere; die
geſchmackvolle Bauart in ihren neuern daran
geſetzten Fluͤgeln; die ausgebreitete Ausſicht
uͤber das Luftſchloß und Garten von Lazienka,
uͤber die Weichſel nach hinten zu, und vorne
heraus uͤber ſchoͤne Alleen und fruchtbare Fel-
der, machen ſie in der That dazu.
Der Kurfuͤrſt von Sachſen beſitzt hier auch
noch einen Pallaſt, nebſt einem kleinen Gebie-
te um denſelben her. Unter allen Pallaͤſten in
Warſchau hat er unſtreitig die ſchoͤnſte Lage.
Er befindet ſich mitten in der Stadt, und
hat einen ſehr geraͤumigen Hof vor, und ei-
nen weitlaͤuftigen Garten, der als Spatziergang
ſtark beſucht wird, hinter ſich. Den Hof
ſchließen mehrere anſehnliche Gebaͤude ein, die
theils vermiethet, theils von der Dienerſchaft,
und von einer kleinen Abtheilung Dragoner
und ihren Befehlshabern, die Sachſen hier
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noch unterhaͤlt, bewohnt werden. Das Jnnere
des Pallaſtes iſt meiſt leer, und was etwa an
bewohnbaren Zimmern noch da iſt, hat entwe-
der keine Moͤbel mehr, oder wurmfraͤßige.
Die Tapeten ſind verrottet. Man zeigte mir
noch das Zimmer, aus deſſen Fenſter Auguſt
der Zweyte, zum Zeitvertreib, Hunde ſchoß,
die er, durch hingelegtes Fleiſch, ausdruͤcklich
auf den Hof lockte. Er ſchoß ſie aber nur an,
nicht todt, um das Vergnuͤgen zu haben, die
Verwundeten, trotz ihren zerſchmetterten Bei-
nen, bey der naͤchſten Fleiſchlieferung doch wie-
der daher hinken zu ſehen. Da er (wer zwei-
felt daran?) durch dieſe ſinnreiche Erfindung
ſeine Thierkenntniß, vielleicht gar ſeine Kennt-
niß der Menſchen (denn dieſe machen es nicht
anders) vermehren wollte: ſo ſcheint er mir
wegen dieſer philoſophiſchen Barbarey eben ſo
gut zu entſchuldigen zu ſeyn, als Zergliederer
und Naturforſcher, die Hunde, Katzen, Maͤuſe,
Froͤſche lebendig auf-und zerſchneiden, um,
zur Erweiterung der Wiſſenſchaft, Entdeckun-
gen uͤber das Spiel der Nerven und Mus-
keln zu machen.
Unter den Privatpaͤlleſten, deren jede große,
oder reiche polniſche Familie, wenigſtens Einen
hier beſitzt, zeichnen ſich beſonders aus:
Jn der Krakauer Vorſtadt die Pal-
laͤſte Czartoryski, Oginski, Radziwil, Lu-
bomirski, Czapski, Poniatowski;
Jn der Alexanderſtraße: Karafa,
Dluski, Godski;
Jn der Neuſtadt: Branicki, Sulkows-
ki;
Auf der Maſauerſtraße: Krasinski;
Auf der Koͤnigsſtraße: Ostrowski,
Malachowski;
Auf der Senatorenſtraße: Zamoiski,
Dembinſki, Jablonowſki, Poccieciowſki,
Czartoryski, Oginski, Potocki, Poninski;
Auf der Methſtraße: Radziwil,
Mlodzieiowski, Branicki, Mniszowski;
Auf der Langgaſſe: Oginski, Mie-
cielski;
Auf der Leſche: Ossolinski; und end-
lich
Auf der Straße Zakrotſchim: Sapie-
ha.
Der verſtorbene Wechsler Tepper (von
dem weiter unten ein mehreres) beſaß, auf der
Methſtraße, einen reich eingerichteten Pallaſt,
wenn auch der Geſchmack in der Baukunſt
nicht der beſte war; auf der Langgaſſe beſaß
er einen zweyten, und einen dritten auf der
Ludno-Straße. Der Wechsler Blanc iſt
Jnhaber und Bewohner eines Pallaſtes, mit
einem Vorhofe, deſſen Eingang auf der Se-
natorenſtraße iſt.
Ueberhaupt ſind in Warſchau, die vorhin
beſchriebenen oͤffentlichen Pallaͤſte nicht dazu
gerechnet, ihrer 61 von groͤßerm oder kleinerm
Umfange, mehr oder weniger reich eingerichtet,
beſſer oder ſchlechter unterhalten, viel oder we-
nig verſchuldet, mit Geſchmack oder ohne Ge-
ſchmack, von dem Beſitzer erbauet, erkauft,
geerbt oder — gewonnen. Letzttres iſt der
Fall mit dem Pallaſte Gurowski auf der
Straße Zakroſchim, der, wie man mir geſagt
hat, von ſeinem Beſitzer auf eine Karte geſetzt
und verloren wurde.
Der Kirchen giebt es, wie man leicht den-
ken kann, eine große Anzahl, und eine nicht
kleinere an Kloͤſtern. Mehrere der erſtern zeich-
nen ſich durch Umfang und einen guten Ge-
ſchmack in der Bauart, und nur zwey oder
drey der letztern, durch Nutzbarkeit, aus.
Die Pfarrkirche zum heil. Kreutz
iſt ein großes Gebaͤude, deſſen Charakter aber
mehr Feſtigkeit und Dauer, als Leichtigkeit
und Geſchmack zeigt. Beydes zu vereinigen
verſtehen die neuern Baumeiſter ſehr ſelten,
und dieſe Kunſt ſcheint uͤberhaupt mit den alten
Griechen und Roͤmern, oder ſpaͤter, mit den
gothiſchen Wagehaͤlſen in der Baukunſt, ver-
loren gegangen zu ſeyn. Das Jnnere dieſer
Kirche iſt mehr finſter als hell, und die plum-
pen Pfeiler, auf denen das Gewoͤlbe ruhet,
draͤngen den Raum ungebuͤhrlich zuſammen
und beſchatten und verwinkeln die beyden Sei-
tenſchiffe. Der loſe Geſchmack, an Einer Kir-
che ihrer zwey zu haben, hat auch hier eine
unterirrdiſche Kirche hervorgebracht, die ſo klein-
lich ausgefallen iſt, als Meiſterſtuͤcke dieſer
Art, ihrer Natur nach, ausfallen muͤſſen. Ein
langes, aber enges Gewoͤlbe, deſſen Decke man
faſt mit der Hand erreichen kann, ſchließt ei-
nen Altar und, an den Seiten herum, einige
Baͤnke fuͤr Zuhoͤrer oder Zuſchauer ein; es
wird zwey oder dreymal des Jahres an feyer-
lichen Feſten geoͤffnet und man lieſet Meſſe
darin; aber hauptſaͤchlich ſcheint es fuͤr das
Oſterfeſt beſtimmt zu ſeyn, wo man ein heili-
ges Grab darin aufſtellt. Dann ziehen Tau-
ſende von Menſchen nach und nach durch dieſe
Gruft, die durch den Dampf und die Hitze
der Wachslichter und durch die Ausduͤnſtungen
der Grabbeſuchenden mit einer erſtickenden Luft
angefuͤllt wird, und bey dem allen doch oft
genug nur zum Sehen und Geſehenwerden
oder gar zu geheimen verliebten Beſtellungen
genutzt wird. Dieſer Wink ſoll die Leſer vor-
bereiten, es minder befremdend zu finden,
wenn ich weiter unten das Beſuchen der heili-
gen Graͤber zur Oſterzeit unter den Vergnuͤ-
gungen der Warſchauer mit auffuͤhre.
Die Kirche der Piariſten auf der
Langgaſſe iſt in demſelben Geſchmack er-
bauet, nur von etwas geringerm Umfange. Die
daran ſtoßenden Gebaͤude, ſind einer groͤßern
Aufmerkſamkeit werth, ſie ſind wahre Pallaͤſte
und nehmen einen großen Theil der Meth-
und Langgaſſe ein. Seit der Verjagung
der Jeſuiten hat dieſer Orden auch hier ſaͤmt-
liche Schulen ausſchließend zu beſorgen, wozu
er denn ſolch eines weitlaͤuftigen Lokals bedarf.
Vom A B Cſchuͤtzen an bis zum Univerſitaͤts-
faͤhigen Schuͤler erhaͤlt hier alles Unterricht,
und was vom Adel ſeinen Kindern eine gewiſ-
ſe litterariſche Bildung geben will, findet in
eben dieſer Anſtalt Gelegenheit dazu. Jn dem
einen Fluͤgel deſſelben iſt ein adeliches Konvikt,
wo Fuͤrſtenſoͤhne mit ihren Hofmeiſtern an-
ſtaͤndig wohnen, eſſen und trinken, auch in
den ſogenannten galanten Studien ſogar Un-
terricht erhalten koͤnnen.
Die Pfarrkirche zum heil. Johan-
nes iſt bloß ihres Alterthums wegen merk-
wuͤrdig: ein gothiſches Werk, mit allen Vor-
zuͤgen und Fehlern dieſer Bauart ausgeſtattet.
Sie iſt, außer zu dem gewoͤhnlichen Gottes-
dienſte, zugleich ausſchließend fuͤr politiſche,
wichtige Feyerlichkeiten beſtimmt, wozu ihre
Lage am Schloſſe, ihr Zuſammenhang mit
demſelben, und ihr Raum ſie vorzuͤglich ge-
ſchickt machen wuͤrden, wenn ſie nicht ſchon
wegen ihres Alterthums, wegen ihres Ranges
uͤber die andern Kirchen und wegen der An-
ſpruͤche ihres altadelichen Kapitels zu ſolchen
Schauſpielen gewaͤhlt werden muͤßte. Eine
Ausnahme machte man den 3ten May 1792,
bey der Feyer des Jahrstages der neuen Kon-
ſtitution, wo man die Kreutzkirche waͤhlte, um
die noͤthigen Amphitheater fuͤr die Muſik, fuͤr
die Reichsboten, fuͤr die Deputirten der Pro-
vinzen, fuͤr die Fremden, fuͤr die Damen und
fuͤr die Zuſchauer aller Gattungen bequemer
und glaͤnzender anzubringen. Der Papſt ver-
ſetzte damals einen Heiligen vom 7ten May
auf den 3ten, warum haͤtte man das Lokal
der Feyerlichkeit nicht von St. Johann nach
Heiligen-Kreutz verſetzen ſollen?
Die beyden uͤbrigen Pfarrkirchen zu
St. Andreas (ehemals den Jeſuiten gehoͤ-
rig) und zu Unſerer lieben Frauen, ſte-
hen ebenfalls billig in der Reihe der neuern
und beſſern Kirchen in Warſchau.
Dieſe, mit den Kirchen der Kloͤſter und
Konvente, unter denen noch einige ganz arti-
ge ſind, z. B. die Kirche der Auguſtiner und
Karmeliterinnen in der Krakauer Vorſtadt, er-
ſteigen die Anzahl von drei und dreißig. Noch
ſind mehrere Privatkapellen vorhanden.
Moͤnche und Nonnen von faſt jedem Orden
haben in Warſchau feſten Fuß gefaßt. Gutes
Auskommen haben ſie alle, aber nuͤtzlich ſind
ihrer nur zwey oder drey unter der Anzahl
von achtzehn. Zu dieſen gehoͤren die Piari-
ſten, deren ich vorhin erwaͤhnt habe; ferner
die barmherzigen Bruͤder (bonifratrow)
und die barmherzigen Schweſtern (Vi-
zitek). Erſtre halten ein Krankenhaus von
50 bis 60 Betten und ein Jrrenhaus fuͤr un-
gefaͤhr eine gleiche Zahl von Perſonen. Jn
letzterem war ein Ungluͤcklicher, deſſen Zufall
merkwuͤrdig iſt. Er kam vor einigen Jahren
nach Warſchau, in einem ſchoͤnen Reiſewagen
mit 4 Poſtpferden, und nahm eine Wohnung
in Mariavill. Gleich nach ſeiner Ankunft
ſchickt er einen Lohnbedienten nach der Poſt,
um nachzuſehen, ob Briefe an ihn dort waͤ-
ren? Dieſer findet einen einzigen, mit einem
ſchwarzen Siegel, und bringt ihn dem Frem-
den. Er entfaͤrbt ſich, als er das Siegel ſieht,
erbricht den Brief mit bebenden Haͤnden, lieſt
ihn, wirft ihn in den Kamin, vor welchem er
ſitzt, ſinkt zuruͤck und wird mit den ſchrecklich-
ſten Zuckungen befallen, die uͤber eine Stunde
in gleicher Wuth fortdauern. Als ſie nachlaſ-
ſen, findet man den Kranken taub und ſtumm
und ohne den mindeſten Anſchein, daß ihm
auch der kleinſte Reſt von Verſtand uͤbrig ge-
blieben ſey. Einen Bedienten hatte er nicht
bey ſich, und in ſeiner Brieftaſche fand ſich
nicht die mindeſte Aufklaͤrung. Jn ſeinem Beu-
tel waren 120 Dukaten. Man brachte ihn zu
den barmherzigen Bruͤdern und gab ihnen das
Geld zu ſeiner Verpflegung, ſo wie die Sum-
me, die man aus dem Verkauf ſeines Reiſe-
wagens geloͤſt hatte. Allem Anſchein nach iſt
er ein Franzoſe, denn er hatte mit dem Lohn-
Bedienten franzoͤſiſch geſprochen und die Ad-
dreſſe des Briefes war an einen „Moniſieur
Boisblanc“ gerichtet geweſen. Seine Krank-
heit iſt eine Starrſucht, die von Zeit zu Zeit
durch ſtarke Zuckungen unterbrochen wird.
Dieſe Bruͤder geben auch jaͤhrlich eine
Spende von Bier und Brot, die eine Art von
Feyerlichkeit fuͤr einen großen Theil der Ein-
wohner von Warſchau iſt, und auf den zwey-
ten Pfingſttag faͤllt. Man ſchlaͤgt dann Bu-
den vor ihrer Kirche auf, die alle Arten von
Lebensmitteln und geringen Waaren enthalten.
Die Bier- und Brantweinsbuden ſind freylich
die haͤufigſten. Hier hilft das Volk der Eß-
und Trinkluſt nach, welche die guten Bruͤder
vielleicht nicht ganz geſtillt haben. Die beſſern
Staͤnde gehen theils zwiſchen den Buden auf
und ab, theils ſehen ſie aus den Fenſtern der
benachbarten Haͤuſer in das bunte, oft wilde,
Getuͤmmel hinaus.
Die barmherzigen Schweſtern un-
terhalten an ihrem Kloſter ein Krankenhaus
von 20 bis 25 Betten und beſorgen ihre Kran-
ken gut.
Dem Wohlſtande gemaͤß und um der Ma-
jeſtaͤt der herrſchenden Kirche nicht zu nahe
zu treten, habe ich die Gotteshaͤuſer der
beyden proteſtantiſchen Bekenntniſſe, hier Diſ-
ſidenten genannt, die ſie, mit Ausſchluß der
Glocken, auf ihrem Boden duldet, unter der
Reihe der rechtglaͤubigen Kirchen oben nicht
genannt; ich thue es alſo hier beſonders, nicht
bloß der Vollſtaͤndigkeit wegen, ſondern weil
die lutheriſche Kirche in Abſicht ihrer Bauart
und die reformirte in Abſicht ihrer auffallen-
den Kleinheit es wohl verdienen.
Die lutheriſche KircheVergl. Berl. Monatsſchr. Juny 1792. S.
568. iſt erſt ſeit weni-
gen Jahren vollendet. Sie verdankt ihren
Aufbau den Beytraͤgen der hieſigen lutheri-
ſchen Gemeinde, und anderer in Pohlen und
Europa, und den Geſchenken einzelner prote-
ſtantiſchen Kapitaliſten in Warſchau. Auch
der Koͤnig und einige Große haben zum Theil
anſehnliche Beyſteuern dazu gegeben.
Jhre Anlage fiel einem Baukuͤnſtler, Na-
mens Zug, in die Haͤnde, der ſchon als ein
guter Meiſter bekannt war, und durch ihre
Erbauung ſich den Ruf eines vortreflichen er-
warb. Jhre Form iſt rund, und dieſe iſt mit
einer ſo großen Leichtigkeit ausgefuͤhrt, daß die
Rotonde in Berlin und die Frauenkirche in
Dresden als ziemlich ſchwerfaͤllig dagegen er-
ſcheinen. Das Jnnere iſt ungemein heiter und
ohne alle unnuͤtze Verzierung. Die Empor-
kirchen ruhen auf Saͤulen von guten Verhaͤlt-
niſſen. Unten ſind die Stuͤhle amphitheatra-
liſch angebracht, ſo daß ſie drey Theile des
Cirkels einnehmen und an beyden Seiten da
aufhoͤren, wo der Altar den vierten Theil aus-
fuͤllt. Ueber dieſem befindet ſich die Kanzel
und uͤber dieſer die Orgel. Dieſe drey Stuͤcke
ſind die einzigen in der Kirche, die eine maͤßi-
ge Verzierung an Gold und Farben haben.
Die Waͤnde ſind weiß, die Stuͤhle grau. Jn
den Niſchen, oberhalb dem Amphitheater der
Sitze, ſind drey oder vier beſondere Betſtuͤb-
chen fuͤr — Vornehmere (in der Kirche!)
angebracht; ſonſt ſitzt der Reſt der Gemeine
jedes Standes und Alters unter einander ge-
miſcht, in den untern Stuͤhlen. Zum Lobe des
Baumeiſters darf ich nicht vergeſſen, den Um-
ſtand anzufuͤhren, daß einige alte, ſtrenge Chri-
ſten, als die Kirche fertig war, ſie tadelten,
muͤrriſch den Kopf ſchuͤttelten und meynten:
das ſey ein Theater, aber keine Kirche.
Das reformirte Bethaus findet man in ei-
nem engen Nebengaͤßchen der Leſche. Es hat
weder Thurm noch Glocke und man ſieht es
nicht eher, als bis man darin iſt. Sein Lo-
kale iſt ungewoͤhnlich klein und wenn Predigt
gehalten wird, koͤmmt es einem vor, als ob
man ſich in einer Geſellſchaft guter Freunde
befaͤnde, wovon ein Mitglied ein paar Stufen
hoͤher ſteht, und den uͤbrigen etwas erzaͤhlt.
Da die hieſigen Refomirten meiſt wohlhaben-
de und zum Theil reiche Leute ſind ſo kuͤndigt
auch das Aeußere der Zuhoͤrer an, daß man
ſich zugleich in guter Geſellſchaft befinde.
Unter den Gebaͤuden, die weder Pallaͤſte
noch Kirchen ſind, ſondern von den Klaſſen,
die nicht zum Adel und zur Geiſtlichkeit, aber
auch nicht zum Poͤbel gehoͤren, bewohnt, wenn
auch nicht beſeſſen, werden, ſind viele ſehr aus-
gezeichnet, ſowohl durch Umfang, als durch
Sauberkeit, Bequemlichkeit und Geſchmack in
der Bauart. Die meiſten dieſer Art findet
man in der Krakauer Vorſtadt beyſammen;
H
auf der Leſche, in der Senatoren- und Koͤnigs-
Straße findet man ſie einzeln. Kaufleute,
Facienden-Macher und Advokaten koͤnnen ſich,
wie ſchon oben erwaͤhnt, unter allen uͤbrigen
Bewohnern von Warſchau, noch Haͤuſer bauen
oder kaufen, und einige der anſehnlichern ge-
hoͤren ihnen auch; aber faſt alle uͤbrige werden
von Konventen, Kirchen, Kloͤſtern, Adelichen
und Wechſlern beſeſſen, die ſie bauen laſſen,
um ihre Gelder unterzubringen und auf gute
Zinſen anzulegen. Sie verſorgen ſonach den
ganzen Reſt der Einwohner mit Miethen, aber
in der That um keinen wohlfeilen Preis. Die-
ſer Artikel iſt hier theurer, als in Wien, wo
er doch in Deutſchland am theuerſten iſt, und,
in Reichstagszeiten, mag in dieſem Punkt
Warſchau leicht unmittelbar nach London die
Stelle einnehmen. Weiter unten werde ich ei-
nige Angaben hieruͤber mittheilen.
Oeffentliche Plaͤtze ſind in Warſchau
entweder gar nicht, oder man nennt die vor-
handenen nur aus Misbrauch ſo; denn kei-
ner iſt eigentlich dazu beſtimmt und als ſolcher
verziert. Des Platzes vor der Schatzkom-
miſſion habe ich ſchon oben erwaͤhnt, hier
ſetze ich noch hinzu, daß er weder erhoͤhet noch
gepflaſtert iſt, und wechſelsweiſe in tiefen
Staub aufgeloͤſ't und in Koth ſchwimmend
erſcheint.
Zwiſchen der Altſtadt und der Krakauer
Vorſtadt iſt noch ein Platz, den man ſo nen-
nen koͤnnte, der aber doch nur der obere Theil
einer Straße iſt. Jn ſeiner Mitte ſteht die
vergoldete Statue Koͤnig Siegmunds des drit-
ten, auf einer 23 Schuh hohen Saͤule von
Marmor; eine Hoͤhe, die mit der Groͤße der
Statue gar kein Verhaͤltniß hat, welche auch
auf dieſem Standpunkte faſt verſchwindet.
Fuͤr einen dritten Platz koͤnnte man den
rechnen, der beym Ausgange des Saͤchſiſchen
Gartens anhebt und ſich bis faſt an die Ka-
ſernen der reitenden Leibwache hinzieht, wenn
er nicht ſo abſcheulich ſchmutzig und armſelig
waͤre. Er iſt zugleich eine Art von Markt,
H 2
wo man Getreide, Heu, und die gemeinſten
Lebensmittel und andere Beduͤrfniſſe feil hat,
theils in fliegenden, theils in ſtehenden, ver-
fallenden Buden, deren einige zugleich liederliche
Loͤcher, und fuͤr die Brutalitaͤt der niedrigſten
Klaſſen beſtimmt ſind. Wenn es eine Weile
geregnet hat, ſo bleibt man auf dieſem Platze
mit Pferden und Wagen ſtecken.
Ein vierter Platz iſt vor dem Kloſter der
erwaͤhnten barmherzigen Schweſtern. Er
iſt eigentlich nur ein Theil der Krakauer Stra-
ße, und man hat darauf Heu und Hafer, auch
Mehl feil.
Ein fuͤnfter Platz koͤnnte der Raum zwi-
ſchen den Pallaͤſten des Feldherrn Oginski und
des Fuͤrſten Adam Czartorysky ſeyn; aber
auch dieſer hat keines der Erforderniſſe, die zu
einem oͤffentlichen Platze gehoͤren.
Die Hoͤfe des Kadettenhauſes und des
Saͤchſiſchen Pallaſtes gehoͤren nicht hieher.
Die Altſtadt beſitzt einen ſogenannten
Ring, oder Marktplatz, der an ſich ſchon
klein iſt, aber durch das Rathaus, das in
ſeiner Mitte ſteht, vollends ganz verengt wird.
Er iſt zu jeder Tageszeit der lebhafteſte Fleck
in Warſchau.
Sonſt iſt in der ganzen Strecke von War-
ſchau, die ſich, unter dem Namen von Vor-
ſtaͤdten, um die Altſtadt herumzieht, kein ei-
gentlicher Marktplatz, wo man die Waaren
und Beduͤrfniſſe bey einander faͤnde, die man
taͤglich braucht; alles ſteht an den Seiten der
einzelnen, lebhaftern Straßen in Buden, auf
Tiſchen, in Koͤrben ꝛc. zerſtreut zu Kaufe. Vor
der Kreuzkirche hat man friſche und geſalzene
Fiſche aller Art, Obſt, Brot, Huͤlſenfruͤchte,
auch Fleiſch,Suppe, Gemuͤſe, Wuͤrſte u.ſ.w.
in ewig dampfenden Pfannen feil; am Ein-
gange in die Altſtadt, von der Krakauer Vor-
ſtadt her, bietet man Citronen, Pomeranzen,
Apfelſinen und andre beſſere Obſtarten feil; in
der Gegend zwiſchen der Altſtadt und Neu-
ſtadt kocht und bratet man ebenfalls auf der
Straße, und bewirthet ſeine Gaͤſte ohne Tel-
ler, ohne Meſſer und Gabel, indem man ſie
ihren Fingern und Zaͤhnen uͤberlaͤßt; hier ſte-
hen auch diejenigen Kaufleute, die man in
Wien Greisler nennt, und die trockne Huͤl-
ſenfruͤchte, Salz, Kaͤſe, Butter, Eyer u. dergl.
unter freyem Himmel feil haben; an beyden
Seiten der daran ſtoßenden Langgaſſe bieten
Obſthoͤcker und Troͤdler (die hier auch alte
Buͤcher und Kupferſtiche in ihr Gebiet gezo-
gen haben) ihre Waaren feil; weiterhin, vor
Tlomacki vorbey, geht der Bezirk der Ju-
denſchaft an, und man weiß, daß dieſe mit
allem handeln, was alt iſt; hier aber hat ſie,
waͤhrend des Reichstages, die Erlaubniß, auch
mit neuen Waaren in offenen Gewoͤlben zu
handeln, und man findet einen Theil der Se-
natorenſtraße ganz mit dergleichen beſetzt. Jn
dieſen haben ſie beſonders Pelzwerk, Leinwand,
Baumwollen-Seiden-Wollen-Waaren u.v.a.
feil, und ihre Laden ſind gewoͤhnlich mit Kaͤu-
fern angefuͤllt.
Warſchau hat uͤbrigens wenig oder gar
keine Manufakturen und Fabriken, welche Volks-
menge und Wohlſtand, mithin den Anbau der
Stadt, befoͤrdern koͤnnten. Dafuͤr hat ſie aber
etwas anderes, das zu ihrem beſſern Ausbau
kraͤftig wirkt: dies ſind die Reichstage, die
Reichskollegien und die Vergnuͤgungen einer
wohlhabenden und uͤppigen Hauptſtadt.
Wer von den Mitgliedern des erſtern kein
Eigenthum in Warſchau beſitzt, verlangt we-
nigſtens eine bequeme, gemiethete Wohnung;
und wenn die Reichsboten noch vor funfzig
Jahren oft mit einer Dachſtube vorlieb nah-
men, ſo verlangen ihre Enkel mehrentheils
ſchon einen ganzen Stock, nebſt Stallung und
Schuppen. Die Verheyratheten unter ihnen
brauchen noch mehr Platz, weil ihre Gemah-
linnen ihnen nach Warſchau folgen und Raum
fuͤr ihren Putztiſch und ihre — Liebhaber ſehr
noͤthig haben. Die Reichskollegien beſchaͤftigen
eine Menge Koͤpfe und Haͤnde, und da die
obern Stellen in denſelben meiſt immer mit
Maͤnnern von glaͤnzender Abkunft beſetzt wer-
den, die zugleich gut beſoldet ſind und die mit-
hin reichlich zum geſellſchaftlichen Genuß und
Luxus beytragen koͤnnen: ſo brauchen auch dieſe
ein angemeſſenes Lokale fuͤr ihre haͤusliche Exi-
ſtenz, die ſich mit jeder neu erſtiegenen Stufe
weiter auszudehnen pflegt.
Daß Warſchau eine wohlhabende uͤppige
Hauptſtadt ſey, wird weiter unten aus weit-
laͤuftigern Bemerkungen hervorgehen; jetzt nur
ſo viel: daß Reichthum, Ehrgeitz, Prunk-Ge-
winn-und Liebe-Sucht hier ſehr mannigfalti-
gen Genuß finden, ſich deßhalb aus den ent-
fernteſten Gegenden von Polen hieher ziehen
und ſich Buͤhnen bauen, wenn ſie keine
finden.
Dieſe und andre Umſtaͤnde, die ſich, im
Laufe dieſer Beobachtungen, von ſelbſt darbie-
ten werden, bewirken es, daß Warſchau mit
jedem Jahre an Haͤuſern gewinnt und mithin
auch an Einwohnern, und daß deßhalb die
Bauſtellen immer theurer werden. Dieſer
Fortſchritt im Anbau, wird in einigen Vor-
ſtaͤdten, z. B. der Leſche und der neuen
Welt ſehr ſichtbar, wo ein neues Haus neben
dem andern, nach modernen Geſchmack er-
bauet, uͤber die kleinern hervorgeht und dieſe
verdraͤngt. So koͤnnte es wohl ſeyn, daß War-
ſchau, in einem Zeitraume von funfzig Jah-
ren, theilweiſe, eine der ſchoͤnſten Staͤdte in
Europa wuͤrde. Ein Koͤnig, der ſo viel Hang
zum Bauen und ſoviel Geſchmack und Frey-
gebigkeit dabey beweiſ't, wie der jetzige, duͤrfte
dieſem nur folgen, ſo wuͤrde ſich ſeine Haupt-
ſtadt bald uͤber die morſchen, bemoosten Huͤt-
ten, die ſie noch verunſtalten, hinausſchwin-
gen. Jn dieſem Falle wuͤrde Warſchau, wo
nicht eine regelmaͤßige, doch eine glaͤnzende und
geſchmackvolle Stadt werdenAnmerk. Man vergeſſe nicht, daß ſeit dem Jahre
1793 viel Umſtaͤnde eingetreten ſind, die dieſe Be-
merkungen, wo nicht ganz aufheben, doch ſehr ein-
ſchraͤnken.
Das Menſchen-Gewimmel in War-
ſchau hat ſeine Eigenheiten, durch die es ſich
von dem in andern großen europaͤiſchen Staͤd-
ten unterſcheidet. Schon die zwiefache Art
der Tracht macht es bunt, und eine dritte,
aus beyden gemiſchte, noch bunter. Von dem
gemeinen bis zum Mittelmann polniſcher Ab-
kunft, geht noch alles in der bekannten Natio-
nalkleidung; was nicht von polniſcher Abkunft
iſt, zeigt ſich in der gewoͤhnlichen franzoͤſiſchen,
hier die deutſche genannt. Jene Klaſſe geht
in langen Unterroͤcken und hat eine Jacke
daruͤber, ſo daß ihre Tracht Aehnliches mit der
weiblichen hat. Die beliebte polniſche, eckigte,
mit Pelz verbraͤmte Muͤtze, iſt ihre Kopfbe-
deckung, im Sommer wie im Winter, der
Zwickelbart ihr Abzeichen vor den Deutſchen.
Was ſich von dem Mittelmann in deutſcher
Tracht ſehen laͤßt, hat dieſe noch nach ihrem
altmodiſchen Schnitte: lange Taillen, kurze
Schoͤße, große flache Metallknoͤpfe. Die vor-
hin erwaͤhnte Mitteltracht iſt aus polniſcher
und deutſcher zuſammen geſetzt und faͤllt dem
Auge als ſehr wunderlich auf. Stiefeln von
rothem oder gelbem Saffian werden zu einem
Frack; dieſer zu einer polniſchen Muͤtze und
dieſe zu einem Haarzopfe und geſteckten Locken
getragen; ſo wie man oft ein bis zum Wirbel
abgeſchornes Haar und einen Zwickelbart zu
einem runden oder eckigten Hute, und einen
langen, weiten polniſchen Oberrock, zu Schuh
und Struͤmpfen tragen ſieht. Die weibliche
Tracht der niedern Klaſſen iſt ungefaͤhr ſo,
wie man ſie uͤberall in den großen Europaͤi-
ſchen Staͤdten findet, nur daß hier unter der-
ſelben, zu Winterszeiten, der kurze polniſche
Pelz, mit langen herabhangenden Aermeln, der
ſich nur noch bey den altmodiſchen Einwohne-
rinnen einiger niederdeutſchen Staͤdte findet,
durchaus gaͤng und gaͤbe iſt. Die Bettler und
Armen zeigen ſich hier in eine weit groͤßere
Umgebung von Lumpen gekleidet, als anders-
wo, weil die lange polniſche Tracht ihrer mehr
erfordert, als die kurze deutſche. Nimmt man
zu ſolch einem ſchwebenden, tauſendfach an- in-
und durch- einander geflickten Lumpentalar,
nun noch einen langen ſchwarzen Bart, eine
uͤberall gelb heraus dringende Haut, ein ſchwar-
zes Bein ohne Hoſen und Struͤmpfe: ſo kann
man ſich ungefaͤhr die Abentheuerlichkeit des
Anblicks vorbilden, den mehrere Menſchen die-
ſer Art, auf Einem Haufen geſehen, darbieten
muͤſſen, und der wohl nur durch den Aufzug
der Bettler in Bologna, Rom und Neapel
uͤbertroffen werden duͤrfte.
Unmittelbar uͤber dieſer Klaſſe ſtehen, ih-
rem Aeußern nach, die Juden. Da ſie an
Polen eine Art von Vaterland wieder gefun-
den haben, ſo ſieht man ihrer auch in War-
ſchau eine große Menge, und ſie wohnen hier
theils einzeln in den entlegenern Gegenden der
Stadt, theils in eigenen Gehoͤften. Die Tracht
der Maͤnner iſt des Sommers der bekannte
lange, ſchwarze Talar, der, je nachdem ſein
Beſitzer reich oder arm iſt, weniger ſchmutzig
und zerriſſen um ihn herum haͤngt. Jm Win-
ter tragen ſie die bekannten weiten polniſchen
ſchwarzen Pelze, mit Fuchs aufgeſchlagen.
Die Weiber erſcheinen mit breiten Treſſen auf
Miedern und Waͤmſern und tragen vor der
Bruſt einen breiten, eben ſo verzierten Latz,
der locker auf derſelben bauſcht und ſich unter
eine Schuͤrze und einen Rock verliert, die hoch
uͤber den Nabel herauftreten und ihnen das
Anſehen geben, als ob ihre ganze Figur bloß
aus Kopf und dem entgegengeſetzten Theile
beſtaͤnde. Doch verbeſſern ſie im Winter die-
ſen unangenehmen Anblick durch einen langen
Leibpelz und im Sommer durch ein Oberkleid
von aͤhnlichem Schnitte.
Die bisher bezeichneten Menſchenarten fin-
den ſich am haͤufigſten auf den Straßen von
Warſchau, und unter ſie gemiſcht erſcheinen
Moͤnche, Soldaten und Bediente, die theils
durch die Abentheuerlichkeit, theils durch das
Bunte ihrer Trachten, die Abwechslung ver-
mehren. An dieſe ſchließen ſich ſchon die wohl-
habendern Klaſſen, die es noch nicht unter
ihrer Wuͤrde halten, zu Fuße zu gehen, und
ſich ſchon ſorgfaͤltiger und beſſer gekleidet
zeigen.
Sodann koͤmmt das Publikum zu Pferde
und zu Wagen; und dieſes iſt, beſonders zur
Reichstagszeit, ſo glaͤnzend, als man es in irgend
einer andern großen europaͤiſchen Stadt fin-
den kann. Vom wohlhabenden Kaufmann an
geht ſchon niemand mehr zu Fuße, am wenig-
ſten die Frauenzimmer, das Wetter muͤßte
denn ſehr ſchoͤn, der Weg ſehr kurz und das
Pflaſter ſehr reinlich ſeyn. Daher koͤmmt es,
daß man faſt in keiner europaͤiſchen Stadt ſo-
viel Wagen in Bewegung ſieht, als in War-
ſchau, und daß man, ohne Uebertreibung, an-
nehmen kann: man ſehe an einem einigen Ta-
ge, wo eine Reichstagsſitzung oder ein großer
Ball iſt, mehr Wagen in Warſchau, als man
binnen vier Wochen z. B. in Berlin, zu ſehen
bekommen kann.
Eben ſo iſt es mit den Reitern. Man
kann annehmen, daß jedes Haus oder jeder
Privatmann, der einen Wagen haͤlt, zugleich
ein Reitpferd halte. So koͤmmt es, daß man
auf den Straßen beynahe ſo viel Reitende als
Fahrende findet. Nimmt man dazu, daß je-
der Reiter von einigem Vermoͤgen oder Kre-
dit, nicht ohne einen, oder zwey Reitknechte
im Gefolge, erſcheint, ſo kann man ermeſſen,
wie dadurch das Geraͤuſch auf den Straßen
vermehrt wird.
Unſtreitig ſind Paris, London, Neapel und
Wien die laͤrmendſten Staͤdte in Europa. Jch
bin ſehr verſucht, Warſchau gleich nach ihnen
zu nennen. Einige Theile dieſer Stadt wett-
eifern ſchon mit den vorhingenannten. Die
Altſtadt, die Neuſtadt, die Krakauer Vorſtadt
und alle naͤher daran gelegene Straßen, hal-
ten faſt die Vergleichung aus, wenn auch die
entlegenern Theile der Stadt, aus oben ange-
zeigten Gruͤnden, nicht den Schatten davon
darbieten.
Die Bevoͤlkerung von Warſchau iſt
aber doch dem Umfange der Stadt bey weitem
nicht angemeſſen. So ſehr ſie auch, waͤhrend
der Dauer des Konſtitutionsreichstages, an
Menſchen gewonnen hat: (denn der fuͤnfjaͤh-
rige Aufenthalt der wohlhabendſten Edelleute
aus ganz Polen, als Reichsboten, innerhalb
ihrer Mauern, großentheils mit ihrer ganzen
Familie, eroͤffnete und verſtaͤrkte eine Menge
von Nahrungszweigen) ſo wird die Anzahl
derſelben doch kaum 100,000 uͤberſtiegen ha-
ben; und jetzt, da ich dies ſchreibe (im May
1793) muß die Entfernung der groͤßeſten und
zahlreichſten Familien vom Adel; die Auswan-
derung mancher Gewerbe, die mit ihnen kom-
men und gehen, bluͤhen und verdorren, weil
ſie bloß fuͤr Luxus und Wohlleben arbeiten;
die Zerſtreuung der ehedem ſtaͤrkern Beſatzung
in die Provinzen; der Zuruͤckzug der Fremden,
die waͤhrend des Reichstages haͤufig hier an-
kamen, theils, um der verſuchten Wiedergeburt
der polniſchen Nation zuzuſehen, theils, um
des damals hoͤchſt angenehmen geſellſchaftlichen
Lebens zu genießen; der Sturz der hieſigen
großen Wechſelhaͤuſer, der mehrere Familien
ſo herunterbrachte, daß ſie ſich von Warſchau
weg, auf das Land zuruͤckziehen mußten, wo
ſie wirthſchaftliche Einſchraͤnkungen machen
konnten: alle dieſe verſchiedenen Auswanderun-
gen muͤſſen die jetzige Volksmenge der Stadt
um mehrere Tauſende verringert haben, ſo
wie dadurch das Getuͤmmel auf den Straßen,
und Handel und Verkehr augenſcheinlich ge-
ſchwaͤcht worden ſind Es iſt natuͤrlich, daß die nachher folgenden Auf-
tritte, vom May 1793 bis in den September 1794,
die Volkszahl in Warſchau und den Wohlſtand noch
merklicher vermindert haben muͤſſen. Man vergleiche
uͤbrigens Verl. Mon. Schr. l. c. S. 557.
Der Nahrungserwerb der arbeitenden
Klaſſen in Warſchau, vom Kaufmann bis zum
Handwerker der geringſten Gattung, war faſt
ausſchließend auf das Beduͤrfniß und die Ver-
ſchwendung der Großen, und uͤberhaupt auf
den Vertrieb innerhalb der Mauern der Stadt,
gebauet. Fuͤr das Ausland arbeitete und ver-
J
kehrte hier faſt niemand, und fuͤr die polniſchen
Provinzen ſelbſt, nur wenige. Was der Adel
auf ſeinen Guͤtern an Waaren fuͤr Pracht und
Bequemlichkeit brauchte, ließ er, wenn er nicht
zu entfernt wohnte, (und man weiß, daß, bey
der Weitlaͤuftigkeit des Landes, viele Familien
100, 150, 200 Meilen weit von Warſchau leb-
ten) allerdings aus der Hauptſtadt kommen;
aber ſie waren nicht in dieſer Stadt verfer-
tigt, ſondern kamen aus Deutſchland, Frank-
reich, England; mithin zogen nur die Kauf-
leute den Kraͤmergewinn, und der groͤßern Zahl
der Handwerker kam nichts davon zu Gute.
Daher blieb dieſe Gattung der Einwohner
immer ziemlich arm, und es waren ungefaͤhr
die Wagenbauer, die Schmiedte, Sattler,
Tiſchler, Maurer, Zimmerleute, Schneider,
Schuſter, Peruͤckenmacher, und wenige andre,
die fuͤr ganz unentbehrliche, taͤgliche Beduͤrf-
niſſe arbeiteten, welche einiger Wohlhabenheit
genoſſen. Aber ſelbſt in das Arbeitsgebiet ei-
niger von dieſen, griffen die Kaufleute ein, be-
ſonders vier der Vornehmern, Prot Po-
tocki, Roͤßler, Jarſchewitz und Ham-
pla, die ſehr weitlaͤuftige und hoͤchſt glaͤnzende
Gewoͤlbe von engliſchen und franzoͤſiſchen Waa-
ren hielten, worin ſie Wagen und Zahnſtocher,
ganze Hauseinrichtungen und Brieftaſchen,
Kronleuchter und Augenglaͤſer, Kuͤchenbatterien
und Naͤhnadeln, ganze Pferdegeſchirre und
Uhrketten, Tuͤcher, Muſſeline, Stiefelſchaͤfte,
Schuhſohlen, Siegellack, Briefpapier und eng-
liſche Biere verkauften. Was von gutem Ton
ſeyn wollte, nahm ſeinen Bedarf aus dieſen
Gewoͤlben, deren Beſitzer zu einem unglaub-
lich uͤberſetzten Preiſe verkauften; waͤhrend der
einheimiſche Kuͤnſtler und Handwerksmann,
ſelbſt der geſchickteſte, keine Nahrung und Er-
munterung fanden.
Eine Ausnahme davon machte der Unter-
nehmer einer WagenfabrikVergl. Verl. M. S. J. c. S. 595., Namens Dan-
gel, der eine große Menge einheimiſcher
J 2
Haͤnde beſchaͤftigte. Er vereinigte in ſeinem
großen Hauſe und Gehoͤfte, auf der Senato-
renſtraße, alle Kuͤnſtler und Handwerker, die
er zur Hervorbringung ſeiner Waaren brauch-
te: Stellmacher, Schmiedte, Sattler, Lakierer,
Bandmacher, Anſtreicher, Guͤrtler, Schloſſer ꝛc.
die alle einander in die Hand arbeiteten und,
bey ihrer betraͤchtlichen Anzahl, in unglaublich
kurzer Zeit, beſtellte Wagen zu Stande brach-
ten, im Fall ein Liebhaber unter den ſchon
fertigen, deren immer dreyßig bis vierzig da
ſtanden, keinen nach ſeinem Geſchmacke oder
Beduͤrfniſſe fand. Der neueſte Geſchmack in
Form und Verzierungen, der moͤglichſte Wech-
ſel in der Beſtimmung der Wagen, ließen den
Kaͤufer ſelten unbefriedigt. Der Unternehmer
erhielt aus London, in Zeichnungen, alles was
an neuen Verfeinerungen und Bequemlichkei-
ten erfunden wurde und fuͤhrte es in ſeiner
Fabrik aus; freylich erhielt er eine Menge
noͤthiger Materialien eben daher, die er mit
ſeinen Leuten entweder gar nicht, oder nicht
in der Guͤte, hervorbringen konnte; aber den
groͤßeſten Theil verfertigte er doch ſelbſt. Seine
Preiſe waren zwar wenig geringer, als die
engliſchen, da man aber ſeine Waaren bey der
Hand hatte, da mancher Große bey ihm Kre-
dit haben konnte: ſo zog man es allerdings
vor, ſich von ihm verſorgen zu laſſen, und er
hat ein anſehnliches Vermoͤgen dabey erwor-
ben. Jn Deutſchland iſt keine Anlage von
dieſem Umfange vorhanden, und ſelbſt die
Kaufmanniſche Wagenfabrik in Wien, iſt,
mit ihr verglichen, ſehr unbedeutend, obgleich
ihre Arbeiten geſchmackvoll und dauerhauft, und
ihre Preiſe faſt um ein Drittheil geringer
ſind.
Warſchau hat alſo, dieſe Fabrik und andre
ganz unbedeutende ausgenommen, kein thaͤti-
ges Verkehr Vergl. Berl. Mon. Schr. J. c. S. 593 fg., ſondern nur ein leidendes, das
ſich auf die unbedeutendſten Kleinigkeiten er-
ſtreckt, und deſſen Ausfall nur durch die Ver-
ſchwendungen großer und reicher Familien, die
dort leben, durch den Hof, durch die Staats-
beamten, den Soldatenſtand und den Ueber-
ſchuß, den die handelnde oder vielmehr die
kraͤmernde Klaſſe hat, gedeckt werden kann.
Man ſieht, woraus denn endlich dieſe Deckung
hervorgeht, und was der eigentliche Erhal-
tungsſchatz von Warſchau, ſo wie von ganz
Polen, iſt. Allerdings iſt es der Landbau, die
Viehzucht und der Holzverkauf, deren Ertrag
die Hauptſtadt großentheils bedarf, um nicht
zur Bettlerin zu werden. Auch wird er ihr
durch Beduͤrfniß und Verſchwendung, durch
Rechtshaͤndel und Staatspflichten zugefuͤhrt,
und ſie giebt dafuͤr ihre engliſche Wagen, ih-
ren Wein, ihre Pomade, ihre franzoͤſiſchen
Geiſter, ihre Maͤdchen (denn auch Bettgenoſ-
ſinnen verſchreibt ſich oft der Landadel von
hier) ihre Ordensbaͤnder, ihre Titel, aber auch
ihre Hauslehrer, ihre wiſſenſchaftliche Ausbil-
dung und endlich ihre Rechtsſpruͤche und, ſo
gut es ſich thun laͤßt, auch Staatsſchutz und
Sicherheit des Eigenthums und der Perſonen.
Jn einer Stadt, deren Nahrungszweige
die angezeigten ſind, deren Erhaltung nicht aus
inlaͤndiſchem Fleiße hervorgeht, und deren Zeh-
rer nicht mit vaterlaͤndiſchen Erzeugniſſen zu-
frieden ſind, kann es nicht anders, als theuer
ſeyn. Jn der That ſind es hier ſelbſt die er-
ſten Beduͤrfniſſe, die der Aermſte nicht entbeh-
ren kann, und die er ſo hoch bezahlen muß,
als der Reichſte. Brot, Fleiſch, Salz, Holz,
Bier, Licht und Wohnung gehoͤren dahin.
Ein Land, das andre Provinzen mit Brot
ſo reichlich verſieht, ſollte es ſeinen Kindern faſt
umſonſt geben koͤnnen; aber grade das Gegen-
theil: es giebt es ihnen ſo theuer, oft theurer,
als jenen. Jn den unfruchtbarſten Laͤndern
der Preußiſchen Monarchie iſt das Brot groͤ-
ßer und beſſer, als hier in dem Mittelpunkte
ſehr fruchtbarer Gegenden. Die Urſachen fal-
len in die Augen. Es iſt Mangel an Aufſicht
uͤber die geſammte Ausfuhr, uͤber einzelne
Kornwucherer und uͤber die Baͤcker.
Die Guͤterbeſitzer fuͤhren ſo lange aus, als
ſie ein Korn, uͤber ihr eigenes Beduͤrfniß, be-
ſitzen; die eine Provinz fragt nicht, ob die an-
dere Mangel daran hat, oder nicht. So lange
der Fremde nur einen Gulden auf dem Mal-
ter mehr giebt, als der Einheimiſche, ſo lange
bekoͤmmt er alles, was vorraͤthig iſt. Riga,
Libau, Memel, Danzig koͤnnen einer Theu-
rung in Suͤden abhelfen, und der polniſche
Adel wird ſich dadurch freywillig in ſeinem
eignen Lande eine verurſachen; Schleſien,
Gallizien, Weſt- und Oſtpreußen ſind eben
deßhalb vor jeder betraͤchtlichen Theurung
ſicher.
Hat ſich Polen, oder vielmehr derjenige
Theil des Landes, der einem ſchiffbaren Fluſſe,
oder den gedachten Staͤdten und Laͤndern am
naͤchſten liegt, erſchoͤpft: ſo tritt das Geſchaͤfte
des Kornwucherers ein. Er kauft in denjeni-
gen Gegenden, denen die Gelegenheit zu Ver-
trieb mangelt, das Getreide um einen ſehr ge-
ringen Preis auf und, die Koſten einer noch
ſo weiten Anfuhr angeſchlagen, koͤmmt es ihm
kaum ſo hoch, als es in den verſchließfaͤhigen
Provinzen gewoͤhnlich zu ſtehen koͤmmt, ehe
ſie ſich durch ungemeſſene Ausfuhr entbloͤßt
haben. Er beſtimmt alſo nach Gutduͤnken den
Preis, und man muß es ihm noch danken,
daß er uͤberhaupt Getreide angeſchaft hat.
Oft genug muͤſſen ſelbſt leichtſinnige oder be-
duͤrftige Guͤterbeſitzer ihr Saatkorn von dieſen
Leuten kaufen.
Die Aernte der Baͤcker Vergl. Berl. Mon. Schr. J. c. S. 596. und anderer Ge-
werbe, die Getreide verarbeiten, z. B. die
Bierbrauer und Brandweinbrenner, iſt die
Theurung. Unter dem Vorwande derſelben
entgehen ſie der ſtrengern Aufſicht der Poli-
zey und dem Mißvergnuͤgen der Einwohner;
und ungeſtraft machen ſie das Brot noch
ſchlechter, als es noͤthig waͤre, um das ihrige
daran zu gewinnen; oft ſogar geben ſie das
Brot noch klein, wenn ſchon kein Mangel an
Getreide mehr iſt. Allerdings haben die Baͤcker
in Warſchau gewiſſe Vorſchriften uͤber Groͤße
und Gewicht des Brotes; aber wann ſind ſie
gegeben? Wann werden ſie erneuert? Wann
werden ſie nach dem niedrigern oder hoͤhern
Preiſe des Getreides beſtimmt? Und wenn
das alles waͤre, wer wacht uͤber ihre Beobach-
tung, der nicht beſtechbar waͤre? Der Baͤcker
backt alſo nach Gutduͤnken und nach dem Maß-
ſtabe, den ſeine eigenen Beduͤrfniſſe zum Leben
und zum Wohlleben ihm zu erfordern ſcheinen.
Uebrigens ſind die meiſten Baͤcker in War-
ſchau und den uͤbrigen polniſchen Staͤdten,
Deutſche, und daher kommt es, daß Materie
und Geſtalt des Brotes in Polen, nicht wie
in andern Laͤndern, etwas eigenthuͤmliches ha-
ben, ſo wie z. B. Paris ſein lockeres, durch-
loͤchertes Brot in Geſtalt großer Ringe; Pie-
mont das ſeinige, faſt ohne Krume, in Knit-
teln; die Lombardie ihr geſottenes in Knollen
und Sternen, und Genua ſein graues, ſan-
diges, in Schmetterlingsgeſtalt zu backen
pflegt.
Die obigen Angaben erlaͤutern auch, warum
Fleiſch, Butter, Licht und Leder, bey einer
ſtarken Zucht ſchoͤnes Viehes; Holz, bey den
unermeßlichen Waldungen; und Salz, bey der
ſtarken Zufuhr aus Preußen und Gallizien,
in Warſchau unverhaͤltnißmaͤßig theuer ſind.
Aber bald muͤſſen dieſe Artikel noch theurer
werden. Vor der neuerlichen Theilung, zog
Warſchau eine große Menge Schlachtvieh
aus Großpolen, dem jetzigen Suͤdpreußen,
oder aus der Ukraine, die noch reicher an vor-
zuͤglichem Vieh iſt; jetzt iſt ſehr zu vermuthen,
daß die beyden Maͤchte dieſe Waare entweder
zum Beduͤrfniſſe ihrer aͤltern Provinzen ſelbſt
verbrauchen, oder wenigſtens ſtarken Zoll auf
deren Ausfuhr legen werden.
An Holz hat Polen, in den Theilen, die
ihm uͤbrig geblieben ſind, im Ganzen genom-
men, noch keinen Mangel; aber die weitlaͤuf-
tigſten Waͤlder kann Warſchau, wegen der
Entfernung, gar nicht benutzen, wie z. B. die
Lithauiſchen. Die Fortſchaffung auf der Achſe
iſt in Polen ſo armſelig beſtellt, daß man das
Holz, ſelbſt aus den naͤhern Waldungen, nicht
ohne ungewoͤhnliche Koſten herzufahren kann.
Die Stadt erhaͤlt alſo ihr Beduͤrfniß auf der
Weichſel von oben herab, aus Sendomir,
Lublin, Chelm, Brsesz u. v. a. Orten, die ent-
weder der Weichſel nahe liegen oder durch ei-
nen Fluß mit ihr zuſammenhangen. Uebrigens
bringt man das Holz nicht in Scheiten und
Klaftern nach Warſchau, ſondern in ganzen
Staͤmmen, die einzeln, nach ihrer Groͤße und
Laͤnge, und nach der beſſern oder ſchlechtern
Beſchaffenheit der Holzarten, verkauft wer-
den. Um die Zeit, wo die Floͤße ankommen,
liegen große Haufen von ſolchen Balken auf
den Straßen von Warſchau herum, und der
Fremde wird dadurch verleitet, zu glauben,
daß in allen Theilen von Warſchau das Bau-
holz zu neuen Pallaͤſten und Haͤuſern angefah-
ren ſey. Aber es verſchwindet gegen den Win-
ter, wo es kurz geſaͤgt, geſpalten und einge-
fahren wird. Auf den Preis der Feurung in
Warſchau koͤnnen uͤbrigens die Leſer aus der
Angabe ſchließen, daß ich im Winter 1792,
fuͤr eine Tracht Ellernholz, die ungefaͤhr zwey
Kaminheitzungen gab, drey polniſche Gulden
bezahlte. Dies war allerdings waͤhrend des
Reichstags, und in keinem wohlfeilen Gaſthofe;
aber man nehme an, daß dieſer Preis um die
Haͤlfte ſtaͤrker geweſen ſey, als gewoͤhnlich, ſo
iſt er doch verhaͤltnißmaͤßig ſehr hoch, und man
kann die Noth der Armen im Winter, be-
ſonders in einem ſtrengen, berechnen. Auch
erfrieren ihrer genug.
Salz bekoͤmmt Warſchau großentheils
aus Gallizien und aus Preußen, weil die pol-
niſch gebliebenen Salzwerke nicht zulangen.
Preußen haͤlt hier beſonders anſehnliche Nie-
derlagen von feinem und weißem Salz und
giebt es um einen feſtgeſetzten billigen Preis;
da aber im Kleinen nichts daraus verkauft
wird, ſo faͤllt der Arme den Salzhoͤkern in die
Haͤnde, die kleines Gemaͤß geben und doch ei-
nen unverhaͤltnißmaͤßigen Vortheil nehmen.
Da Warſchau ungefaͤhr unter demſelben
Himmelsſtriche liegt, wie Dresden, ſo ſind die
Gegenden umher nicht arm an Obſt, doch
kommen die beſſern Arten aus den entferntern,
ſuͤdoͤſtlichen Provinzen, und dieſe ſind, der wei-
tern Anfuhr wegen, ſehr theuer, aber auch
vorzuͤglich gut. Melonen werden um War-
ſchau gezogen, und in den Luftgaͤrten an der
Stadt und in den entferntern Gegenden eine
ziemliche Menge Citronen, Pomeranzen, Apfel-
ſinen, die aber zum Verbrauch nicht hinrei-
chen, ſondern, uͤber Danzig, aus Portugal
und Spanien, noch ſehr haͤufig zugefuͤhrt wer-
den. Die Gemuͤſe und uͤberhaupt alle gaͤrt-
neriſche Erzeugniſſe ſind in Warſchau nicht
ſchlecht, aber verhaͤltnißmaͤßig ſelten und mit-
hin theuer.
Manufaktur- und Fabrik- Waaren, als
Tuch, Seidenzeuge, Muſſeline ꝛc. bezieht War-
ſchau aus England und Frankreich; Leinwand
und geringere Zwirn- Baumwollen- und Wol-
len- Waaren aus Schleſien und Sachſen;
Stahl- Holz- Leder- Glas- und das ganze Heer
der feinen Tand- und Luxus- Waaren, wie ich
ſchon oben erwaͤhnt habe, mehr aus England,
weniger aus Frankreich. Weine aller Art laͤßt
es vorzuͤglich aus Frankreich und aus Ungarn
kommen; obgleich es, wie man denken kann,
an Rhein- und Spaniſchen Weinen der fein-
ſten Gattungen, in den groͤßern Haͤuſern nicht
fehlt. Faſt alle dieſe Dinge bekam die Stadt
uͤber Danzig und kann ſie auch kuͤnftig an-
derswoher nicht bekommen; aber die Koſten
der Anfuhr werden, der vermuthlich noch an-
zulegenden Zoͤlle und der Durchfuhr-Abgaben
wegen, noch hoͤher ſteigen, als vorher; und die
Warſchauer Kaufleute, die ohnehin gewohnt
ſind, jeden neuen Zoll zwiefach auf die Waare
zu ſchlagen, werden ſie kuͤnftig um einen faſt
unerſchwinglichen Preis verkaufen. Uebrigens
ſind auch die Gefaͤlle nicht geringe, die der
Staat ſelbſt ſich fuͤr auslaͤndiſche Waaren be-
zahlen laͤßt.
Der Taback iſt ein Monopol, mithin
ſchlecht und ſehr theuer.
Jch darf nicht vergeſſen, den Preis man-
cher Dinge in Warſchau anzugeben, damit die
Leſer vergleichen koͤnnen. Zuerſt die unentbehr-
lichen. Ein Mittagseſſen an einer Wirths-
tafel der geringern Klaſſe, das aus Suppe,
Gemuͤſe, Braten und Zugabe beſteht, koſtete,
im Winter 1792, drey polniſche Gulden; der
beſſern Klaſſe, mit zwey Schuͤſſeln mehr, vier
bis fuͤnf ſolcher Gulden; der beſten, mit ſechs
bis acht Schuͤſſeln und Nachtiſch, ſechs bis
zehn Gulden. Jetzt, da der Reichstag zer-
ſtreuet iſt, ſind dieſe Tiſche nur um einen hal-
ben oder ganzen Gulden wohlfeiler geworden.
Der gemeinſte Mann, der in Speiſehaͤuſern
ißt, kann es nicht unter einem bis anderthalb
Gulden.
Ein gewoͤhnlicher rother Tiſchwein, Medoc
oder Taveller, koſtete drey bis vier; der Bur-
gunder, geringerer Gattung, ſieben; der Rhein-
wein, von mittler Guͤte, acht; der ungariſche
Tiſchwein, zwey bis vier; die beſſern Arten,
von zehn, zwoͤlf, ſechzehn bis vier und zwanzig
und dreyßig, und der Champagner zehn bis
zwoͤlf polniſche Gulden.
Das engliſche Bier ſtand, weißes wie
braunes, in dem Preiſe von drey bis vier,
und das ſaͤchſiſche (ein ſehr angenehmes
weißes Bier) die Flaſche von einem halben
Gulden. Letzteres wird in einem Brauhauſe
verfertigt, das Sachſen zugehoͤrt; die uͤbrigen
Biere in Warſchau ſind kaum trinkbar, aber
doch verhaͤltnißmaͤßig theuer. Der gemeine
Mann behilft ſich abwechſelnd mit Waſſer und
mit Branntwein.
Tuch und andere feinere und groͤbere Zeuge
zur Bekleidung, ſtehen um 25 bis 50 vom Hun-
dert hoͤher, als in den benachbarten Laͤndern;
Lederwaaren eben ſo. Ein Paar Schuhe koſtet
10, 12 bis 16 Gulden, und ein Paar Stie-
feln zwey, drey bis vier Dukaten.
Es iſt natuͤrlich, daß ſich nach dem Preiſe
der obigen Dinge, der Preis der Hand- Dienſt-
K
und Gefaͤlligkeits- Arbeiten richtet. Der ge-
ringſte Tageloͤhner bekoͤmmt taͤglich zwey Gul-
den; der Maurer, Zimmermann, vier; der
Lohnbediente fuͤnf bis ſechs; der ſtehende Be-
diente, ohne Koſt, ſechs Dukaten. Ein Gul-
den iſt das wenigſte, was man fuͤr einen Gang,
fuͤr eine Handreichung, geben kann, und da-
nach muß man auch die Trinkgelder fuͤr Leute
einrichten, von denen man in den Wirthshaͤu-
ſern, oder an Wirthstafeln, bedient worden iſt.
Die Neujahrsgeſchenke, die man den Bedien-
ten ſolcher Haͤuſer giebt, in welchen man ge-
geſſen, geſpielt oder ſollicitirt hat, koͤnnen nicht
wohl unter einem Dukaten betragen. Selbſt
die Bedienten des Koͤnigs kommen, wenn man
Gehoͤr bey ihm gehabt hat, und kommen zum
Neujahr wieder, beydemal vier Mann hoch.
Zwey Dukaten ſind das wenigſte, was man
ihnen anbieten kann.
Der Schneider nimmt fuͤr den Schnitt
eines Fracks 12, einer Hoſe 6, einer Weſte 4
Gulden; der Peruͤckenmacher fuͤr die taͤgliche
Beſorgung des Haares, drey bis vier Duka-
ten monatlich; der Wagenhalter fuͤr einen
Lohnwagen taͤglich einen Dukaten, wobey der
Kutſcher noch zwey Gulden Trinkgeld bekom-
men muß.
Dieſe Angaben werden hinreichen, um von
dem Preiſe der Dinge in Warſchau einen Be-
griff zu geben. Jm allgemeinen kann man
annehmen, daß man in Preußen, Sachſen und
Oeſterreich mit einem halben Dukaten ſo weit
komme, als hier mit einem ganzen. Selbſt in
unſerm theuern Riga leben wir um weniger
Geld beſſer.
Bey dieſen ſchon an ſich betraͤchtlichen Prei-
ſen, iſt keine Polizey vorhanden, die es ver-
hinderte, ſie, nach Willkuͤhr, noch hoͤher zu
treiben. Beſonders leiden Fremde hierunter,
wenn ſie einem habſuͤchtigen Gaſtwirth, oder
einem betruͤgeriſchen Lohnbedienten in die Haͤn-
de fallen. Weil keine Polizeyvorſchriften da
ſind, und weil ſie oft die Landesſprache nur
wenig oder gar nicht verſtehen; ſo koͤnnen ſie
K 2
auch keine Erkundigungen uͤber den billigern
Anſchlag ihrer Wohnung und uͤbrigen Beduͤrf-
niſſe einziehen; erfahren ſie ihn endlich, wenn
ſie bekannter geworden ſind, ſo haben ſie ſchon
einen groͤßern Betrag uͤber den gewoͤhnlichen
Fuß ausgegeben, als ſie erſparen koͤnnen, wenn
ſie fuͤr den Reſt ihres Aufenthalts ein ande-
res Haus ſuchen. Auch ſetzt der erſte Haus-
wirth, wenn er dieß merkt, ſeinen Preis ohne
Schaam tiefer herunter, als ein anderer es
kann, der den Gewinnſt des Ueberſetzens nicht
gezogen hat. Kurz, man denke in Warſchau,
daß man in Jtalien ſey, und man behandle
alles genau vorher; man wird zwar auch be-
trogen, aber weniger, als wenn man ſich (was
man vielleicht nur noch in einigen Gegenden
von Deutſchland wagen kann) der Billigkeit
des Wirthes uͤberlaͤßt.
Es ſind in Warſchau nur wenig, und dar-
unter nur drey oder vier gute, Gaſthoͤfe.
Dieß koͤmmt daher, daß zu Reichstagszeiten
faſt ganz Warſchau Ein Gaſthof iſt. Jn den
Straßen, die von dem Schloſſe nicht zu weit
entfernt ſind, kann man Wohnungen jeder Art
haben, fuͤr einzelne Perſonen und fuͤr ganze
Familien, ſelbſt fuͤr Fuͤrſtliche, die ein großes
Haus machen wollen. Fuͤr dieſe giebt es ganze
Pallaͤſte mit allem Zubehoͤr, deren Beſitzer
entweder nicht nach Warſchau kommen, oder
noch einen andern Pallaſt haben, oder noch
unmuͤndig ſind. Die Miethen ſolcher kleinern
oder groͤßern, beſcheidnern oder praͤchtigern,
Wohnungen fuͤr Einzelne oder Mehrere koſten
monatlich von fuͤnf bis hundert Dukaten und
daruͤber. Jn den eigentlichen Gaſthoͤfen kom-
men ſie verhaͤltnißmaͤßig noch hoͤher.
Der vorzuͤglichſte Gaſthof in Warſchau iſt
der weiße Adler auf Tlomacki (Tlo-
mazk). Dieß Tlomazk iſt ein geraͤumiger,
ſehr ſauber unterhaltener, mit zwey anſehnli-
chen Brunnen gezierter Hof, den fuͤnf bis
ſechs ganz neue, weitlaͤuftige Gebaͤude und
mehrere kleinere einſchließen. Er iſt erſt vor
wenig Jahren, von dem Schwiegerſohne des
Wechslers Tepper, Schultze, (der an ſich
einen unerſaͤttlichen Baugeiſt hatte, uͤber ſech-
zig ſchoͤne Haͤuſer in und außerhalb Warſchau,
theils, vom Grunde aus auf-, theils ausbaue-
te, und ſie dann vermiethete) in dieſer Geſtalt
angelegt worden. Jn dem pallaſtmaͤßigen Ge-
baͤude, das einem entgegen ſteht, wenn man,
von der Zaluski'ſchen Bibliothek her, in dieſen
Hof tritt, und welches einen weißen Adler
fuͤhrt: hat ein Deutſcher, Namens Polz, eine
Gaſt- und Speiſewirthſchaft angelegt, die ſich
durch Geraͤumigkeit der Zimmer, durch ihre
offene und heitere Lage, auch durch Reinlich-
keit, aber eben nicht durch Wohlfeilheit, vor
allen andern auszeichnet. Die Zimmer ſteigen
von fuͤnf Dukaten monatlich, bis auf ſechzig;
der Mittagstiſch koſtet von vier bis zu ſechzehn
Gulden und daruͤber, je nachdem man an der
Wirthstafel, oder auf dem Zimmer, buͤrgerli-
cher oder vornehmer, eſſen will. Jn dieſem
Gaſthofe koſteten mir, im Jahre 1792, drey
Zimmer des Monats 15 Dukaten, und jetzt
koſten mir zwey, woͤchentlich zwey Dukaten.
Der Mittagstiſch, aus Suppe, Rindfleiſch,
Gemuͤſe, Braten und Nachtiſch beſtehend, ko-
ſtete 4, der Abendtiſch, mit einer Schuͤſſel
weniger, 3 Gulden. Man hat hier auch Lohn-
wagen fuͤr die Stadt, und Halbwagen fuͤr die
umliegenden Gegenden, zu dem oben angege-
benen Preiſe, bey der Hand. Die Aufwar-
tung in dieſem Hauſe iſt gut; Moͤbel und
Betten ꝛc. ſind ſauber. Der Wein iſt gut,
obwohl, wie oben bemerkt, theuer; das Waſ-
ſer ſo klar und wohlſchmeckend, wie wenige
Brunnen in Warſchau es geben. Vor Ueber-
lauf gegen Bettler und liederliches Geſindel
iſt man hier ſicherer, als anderwaͤrts, weil an
jedem der beyden Thore des Hofes, bey Tage
und bey Nacht, Waͤchter ſtehen, die ein Auge
auf verdaͤchtige Herumſtreicher haben. Auch
des Nachts ſchlaͤft man hier ruhiger, weil,
nach 10 Uhr, kein Fuhrwerk mehr uͤber den
Hof darf; eine Wohlthat, deren man in den
lebhaftern Theilen von Warſchau nicht genießt,
wo bis drey Uhr des Morgens die Wagen
rollen. Endlich iſt man noch bey ausbrechen-
der Feuersgefahr ſicher, weil des Nachts ſechs
Waͤchter wechſelsweiſe in dem Bezirke des Ho-
fes herumgehen und die Stunden, durch eine
Schnurre, angeben.
Das Hotel de Pologne auf der Senato-
renſtraße, nicht weit vom weißen Adler, ſcheint
ſich dieſen zum Muſter genommen zu haben.
Der Wirth iſt ebenfalls ein Deutſcher, das
Haus neu, der Preis des Tiſches ungefaͤhr
derſelbe, nur daß man auf dem Zimmer eſſen
muß. Die Wohnungen ſelbſt ſind kleiner, als
im weißen Adler, und man kann auch einzelne
Zimmer fuͤr einzelne Tage, auch nur fuͤr eine
Nacht bekommen, worauf man ſich in jenem
ungern einlaͤßt. Sonſt iſt die Lage dieſes Gaſt-
hofes (faſt im Mittelpunkte der Stadt, nicht
weit von dem Saͤchſiſchen und Kraſinski'ſchen
Garten, von der Krakauer Vorſtadt, dem
Schloſſe und der Poſt) nicht unangenehm;
nur muß man ſich an das Geraͤuſch der Straße
gewoͤhnen, die eine der lebhafteſten iſt, und
das unreinliche Gewuͤhl der Juden nicht ach-
ten, die hier herum ſehr zahlreich wohnen und
verkehren.
Jn Mariavill (Mariendorf) einem
ſehr weitlaͤuftigen Gebaͤude, das den Kanoniſ-
ſinnen gehoͤrt, die ihren Namen davon haben,
iſt beſtaͤndig eine Anzahl Zimmer fuͤr Fremde
gaſthofsmaͤßig offen. Dieß Haus nimmt einen
großen Theil der Senatorenſtraße und keinen
geringern der Wiersbovska-Straße ein; iſt
drey und vier Stock hoch, und umſchließt, in
der Geſtalt eines verſchobenen Vierecks, einen
groͤßern und einen kleinern Hof. Es iſt in der
That eine der merkwuͤrdigſten Anlagen in
Warſchau, theils ihres Umfangs, theils ihrer
zahlreichen Bevoͤlkerung wegen. Nach der
Straße Wiersbovska zu, ſieht der Fluͤgel,
worin die Kanoniſſinnen ihre Wohnung haben.
Er iſt mit hohen Fenſtern, und einem mit
Saͤulen umfaßten Eingange verſehen, und un-
terſcheidet ſich dadurch von den andern Fluͤ-
geln, die buͤrgerlicher gebauet ſind. Sein Jn-
neres iſt ſehr ſauber erhalten, und die Zimmer
der Kanoniſſinnen ſind hell, geraͤumig, und
zum Theil praͤchtig eingerichtet. Es ſind ihrer
zehn an der Zahl und, ſo bequem und reich-
lich ſie auch leben, brauchen ſie doch nur einen
kleinen Theil der Einkuͤnfte, die ſie aus ihrem
Hauſe und andern Grundſtuͤcken ziehen.
Dieß Haus iſt ganz in der Abſicht gebauet,
die, wie ich oben angegeben habe, Kloͤſter,
Konvente ꝛc. bewegt, ſolche Unternehmungen
zu machen. Alles, was die Miethe bezahlen
kann, wird eingenommen, ſogar zu vermie-
thende Maͤdchen, wenn ſie den aͤußern Schein
zu ſchonen wiſſen. Gaſt- und Speiſewirthe,
Buchhaͤndler, Kuͤnſtler aller Art, Handwerker,
Juden ꝛc. wohnen durch einander und die Frey-
maurer haben eine Werkſtatt hier, die aller-
dings fuͤr den Bau eines gewiſſen Tempels zu
enge iſt, aber Platz genug fuͤr eine große Ta-
fel von 150 Gedecken darbietet. Selten iſt in
dem ganzen Umfange dieſer kleinen Stadt ein
Zimmer unbeſetzt, weil hier die Miethen mit
am wohlfeilſten in ganz Warſchau ſind; auch
die Gewoͤlbe im Erdgeſchoſſe ſind verheuret
und zwar meiſt an Juden. Jnnerhalb laufen
Lauben um das ganze Gebaͤude her, und in
der Mitte des Hofes ſteht eine artige Ka-
pelle.
Ehedem waren die Gaſthoͤfe in Mariavill
die einzigen in Warſchau, und deßhalb die
beſten; und ſo mußte man ſich ihre Unbequem-
lichkeiten wohl gefallen laſſen. Seitdem aber
die obenerwaͤhnten eingerichtet worden, haben
ſie ſehr verloren und ſind zu den gemeinſten
herunter geſunken. Ein paar Mordthaten, die
darin an Fremden geſchahen, ohne daß man
die Thaͤter, die ſich unter dem beſtaͤndigen Ge-
tuͤmmel des Hauſes leicht verloren, heraus-
bringen konnte; Einbruͤche und Diebſtaͤhle,
deren Ertrag ſogleich unten im Hauſe von den
Juden an ſich genommen wurde, die ihn auf
immer wegzuſchaffen wußten; Ueberlauf von
liederlichem Geſindel; Schmutz auf den Gaͤn-
gen und Treppen; ewiges Reiben an unflaͤthi-
gen Judenkindern; der Umſtand, daß keine
Schuppen fuͤr die Reiſewagen vorhanden ſind
— dieſe und viele andre Gefahren und Unbe-
quemlichkeiten bewirken, daß man nur, wenn
nirgends mehr Miethen zu haben ſind, Woh-
nung in Mariavill ſucht; ſie aber, ſobald als
moͤglich, mit einer andern vertauſcht und lie-
ber einige Dukaten mehr ausgiebt, um Aengſt-
lichkeit, Verluſt, Ekel und Geraͤuſch damit ab-
zukaufen.
Jm Hotel d'Allemagne kann man auch
Unterkunft finden; aber ſo gut auch das Aeu-
ßere dieſes Hauſes in die Augen faͤllt, iſt es
doch mehr fuͤr Fuhrleute, Handwerksburſche
und andre unvermoͤgende Fremde.
Man erlaube mir immer, hier ein paar
Worte uͤber die beyden Hauptſpitaͤler in War-
ſchau zu ſagen, weil ſie doch auch eine Art oͤf-
fentlicher Haͤuſer ſind, wo Fremde aufgenom-
men und mit Wohnung und Lebensmitteln
verſehen werden, aber freylich — umſonſt;
ein Woͤrtchen, das wohl den Unterſchied zwi-
ſchen Wirthshaus und Hoſpital auf ewig be-
gruͤnden duͤrfte.
Das anſehnlichſte Hoſpital in Warſchau
iſt das Kind Jeſus, von dem jetzigen Koͤ-
nige geſtiftet, der demſelben nicht nur ſelbſt
eine, fuͤr ſeine Umſtaͤnde, betraͤchtliche Summe
geſchenkt, ſondern auch Mitleid, Mode und
Eitelkeit ſeiner Unterthanen in Bewegung ge-
ſetzt hat, ein gleiches zu thun. Unter andern
fließt eine Abgabe, die jeder Stanislausritter
jaͤhrlich zu erlegen hat und die, wenn ich nicht
irre, 8 Dukaten betraͤgt, dieſem Hauſe zu;
aber — eine Menge Ritter ſind dieſe Bey-
traͤge ſeit Jahren ſchuldig und die Wahrſchein-
lichkeit, daß ſie dieſelben abtragen werden, ver-
ringert ſich mit jedem Jahre, weil die Sum-
me mit jedem Jahre groͤßer wird. Zwangs-
mittel dazu anzuwenden, ſcheint unanſtaͤndig,
es iſt wahr, und die Wohlthaͤtigkeit waͤre ſehr
wunderlich, die erzwungen werden muͤßte; aber
ſo wie der Menſch einmal iſt, bin ich doch
fuͤr die Maßregeln der monarchiſchen Staa-
ten, die ſich auf das Gefuͤhl der Ehre wenig,
auf die Moral noch weniger und auf die Theo-
logie am allerwenigſten in ſolchen Faͤllen ver-
laſſen. Man zwinge alſo immer die Ritter,
die ruͤckſtaͤndig ſind, und man ſey ſicher, daß
ſie ſich uͤber dieſen Zwang mehr aͤrgern, als
ſchaͤmen werden.
Dies Hoſpital iſt nicht bloß fuͤr Findlinge
(die uͤbrigens auf die gewoͤhnliche Weiſe dem
Hauſe, mittelſt einer Drehe, zugebracht wer-
den) allein beſtimmt, ſondern es ſind auch
Betten und Stuben fuͤr andre Kranke und
Nothleidende darin. Eine Anzahl der Kinder
iſt einzeln auf dem Lande gegen Koſtgeld aus-
gethan; eine andre wird in dem Hauſe ſelbſt
ernaͤhrt und erzogen. Jch bin einige Saͤle
durchgangen; aber ich bekenne, daß ich das
Schnupftuch habe vor den Mund nehmen
muͤſſen, ſo wenig ich mich ſonſt vor etwas zu
ekeln pflege, was menſchlich iſt. Noch dazu
war dies an einem Tage, wo man ſich große
Muͤhe gegeben hatte, alles ſo aufzuputzen und
zu luͤften, daß man Zuſchauer hereinlaſſen
konnte: am Charfreytage, wo man, in der da-
zu gehoͤrigen Kapelle, ein ſogenanntes heiliges
Grab aufgeſtellt hatte.
Jch zeige unten ein Buch an, worin man
naͤhere Nachrichten von dieſem Hauſe finden
wirdChirurgiſch-Mediciniſche Abhandlungen ꝛc. von la
Fontaine ꝛc. 1ſter Theil. Breslau, 1792..
Das Hoſpital St. Rochus bietet eben-
falls Kranken und Nothleidenden Wohnung,
Arzney und Unterhalt dar; aber auch dort fehlt
es noch ſehr an Ordnung und Reinlichkeit,
und beſonders an friſcher Luft. Der Kranken-
haͤuſer bey den barmherzigen Bruͤdern und
Schweſtern habe ich ſchon oben erwaͤhnt; nur
dies ſetze ich noch hinzu, daß fuͤr ſolch eine
große Stadt, die eine ſo zahlreiche Armuth
hat, welche ſo elend lebt und wohnt, mithin
haͤufigen Krankheiten unterworfen iſt, dieſer
Einrichtungen zu wenige ſind.
Der Konſtitutions-Reichstag richtete zwar
auch auf dieſen Gegenſtand ſein Auge und
beſchloß, noch einige andre Kranken-Verſor-
gungs- und Arbeits-Haͤuſer anzulegen; aber
dringendere Geſchaͤfte, die eben ſo ſehr ſeine
Aufmerkſamkeit, als den oͤffentlichen Seckel
verlangten, ſetzten dieſen Entwurf zuruͤck. Jn-
deſſen kam doch ein Polizeygeſetz zu Stande,
das ſehr weitlaͤuftig war, und das beſte und
anwendbarſte aus den Pariſer, Wiener und
Berliner Polizey-Einrichtungen enthielt. Meh-
rere Punkte deſſelben wurden auch ſchon in
Ausuͤbung gebracht. Die Bettler auf den
Straßen von Warſchau wurden eingefangen;
die Kranken, die Kruͤpel und Lahmen unter
denſelben, wurden den verſchiedenen Kloͤſtern
zur Verſorgung uͤbergeben; die Geſunden wur-
den ebenfalls untergebracht und mit allerley
Arbeiten beſchaͤftiget. Zur perſoͤnlichen
Sicherheit der Einwohner wurden des
Nachts, beſonders in den entferntern Straßen,
Waͤchter aufgeſtellt, waͤhrend Streifwachen von
der Reiterey alle Theile der Stadt durchrit-
ten; eine Maßregel, die um ſo noͤthiger war,
da die Stadt keine Straßenleuchten hatte und
noch nicht hat. Die Haͤuſer wurden be-
ziffert, und die Hauswirthe mußten von
ihren Hausgenoſſen der Polizey Meldung thun.
Dieſe und einige andere Einrichtungen waren
wirklich ſchon im Jahre 1792 im Umſchwun-
ge, aber jetzt ſind ſie, wie jene Konſtitution
ſelbſt, verſchwunden und Warſchau iſt, wie
vorher, ſich ſelbſt uͤberlaſſen. Die Bettler zei-
gen ſich ſchon wieder haufenweiſe auf den
Straßen und vor den Kirchen; die Waͤchter
und Streifwachen ſind nicht mehr vorhanden,
und die Regierung erfaͤhrt nichts mehr von
den Fremden, die, auf laͤngere oder kuͤrzere
Zeit, in Warſchau ſich verweilen. Der Man-
gel an perſoͤnlicher Sicherheit ſtellte ſich mir,
kurz vor Warſchau, durch ein graͤßliches Zei-
chen dar. An einem Pfahle, der am Wege
ſtand, hing das Viertheil von einem Menſchen,
der, mit einem andern, einen Dritten auf der
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Bruͤcke ermordet hatte, um einige Dukaten,
die dieſer bey ſich trug, zu erobern. Nach mei-
ner Abreiſe ſind noch einige andre Mordtha-
ten begangen worden.