Wilhelmine
oder
der vermaͤhlte Pedant .
ein
proſaiſch comiſches Gedicht .
1764 .
Erſter Geſang .
J ch ſinge das Abentheuer , das ein
Dorfpfarr der Liebe wegen erdul-
den muſte , ehe ſie ihn mit dem er-
ſeufzten Beſitze ſeiner Geliebten belohnte .
Feindlich empoͤrten ſich die langſam ath-
mende Schwermuth , die froͤhliche Thorheit ,
die Jntrique des Hofs und der baͤuriſche
Bloͤdſinn , wider die ruhigen Tage des Pa-
ſtors ; doch ſeine Standhaftigkeit ſiegt ’ end-
lich durch die Huͤlfe des Amors , und ſein
ausgeſtandnes Leiden verſchoͤnert ſeinen
Triumph .
A 2 Der
Der groſſe Gedanke , der ſonſt die deutſchen
Dichter erhitzt , daß ſie die Freuden des Tags
und die Erquickung der Nacht ; daß ſie
die Peiniger der menſchlichen Natur , Hun-
ger und Durſt , und die groͤßern Quaalen der
Dichter , den Spott der Satyre und die Fauſt
des Kunſtrichters verachten — Dieſer groſ-
ſe Gedanke : Einſt wird die Nachwelt
mich leſen — hat keinen Antheil an mei-
nen Geſaͤngen . Dein belohnendes Laͤcheln
allein , comiſche Muſe ! reizet mich an , dieſen
neuen Sieg der Liebe zu ſingen ; und will ja
die Goͤttinn des Ruhms der ſuͤſſen Bemuͤ-
hung des Dichters noch eine Belohnung hin-
zu thun , ſo ſey es der theure Beyfall meiner
Caroline ! Sie leſe dieß Lied , das ich , ent-
fernt von Jhr , aus Einſamkeit ſang , mei-
nen Geiſt zu ermuntern ! Jhr harmoniſches
Herz ſchwell auf ; Unwillig uͤber den Einfluß
des gluͤcklichen Dichters , in ihr jugendlich
wallendes Blut , verſchlucke Sie dann eine
dop-
doppelte Doſin Bezoarpulver , und ſeufze nach
meiner Zuruͤckkunft !
Nah an der glaͤnzenden Reſidenz eines
gluͤcklichen Fuͤrſten , nicht fern von der ſchiff-
baren Elbe , verbreiteten ſich in dem anmu-
thigſten Thale , hundert kleine Wohnungen
froͤhlicher Landleute . Junge Haſelſtauden
und wohlriechende Birken verbauten diß Land-
gut in Schatten , und verſuͤßten dem fleißigen
Tagloͤhner die entkraͤftende Arbeit , wenn der
Hundsſtern wuͤthete , und entblaͤttert vom
Boreas flammte dieß nutzbare Gebuͤſch in
wohlthaͤtigen Oefen , wenn der Winter das
Thal mit Schnee fuͤllte , und nun ein Nach-
bar zum andern ſchlich , um die vielen muͤßi-
gen Stunden etwan durch die Thaten eines
preußiſchen Helden oder eines freygebigen Ko-
bolts zu verkuͤrzen , oder auch uͤber die Po-
lizeybefehle der Regierung zu ſpotten . So
lebten dieſe Huͤttenbewohner ruhig und mit
A 3 jeder
jeder Jahrszeit zufrieden . Ein exemplariſcher
Pfarrer und ein friedfertiger Schulze waren
ihre einzigen Beherrſcher ; denn der Junker
des Dorfs verbrauſte ſeine Renten in dem
comiſchen Frankreich ; haͤtt’ ihm das holde
Geſicht der Tochter ſeines Verwalters nur
ein einziges mal geglaͤnzt , er wuͤrde gewiß
nicht mit ſeiner Unterthanen Tribut eine ab-
gedankte Opernprinzeßinn ernaͤhren ; ach ! er
haͤtte gewis zu ſeiner Landsmaͤnnin Ehre , als
ein edles Geſpann , ihren Siegeswagen ge-
zogen !
Aber niemand bewunderte noch Wilhel-
minen . Schon der ſechzehnte Fruͤhling hatte
ihre Wangen mit einer hoͤhern Roͤthe be-
mahlt , ihre Augen funkelnder gemacht und
ihr Haar ſchwaͤrzer gefaͤrbt . Jhr Halstuch
erhob und ſenkte ſich ſchon , und keiner —
Jſts moͤglich ? keiner von den hartherzigen
Bauern gab Achtung darauf . Sie ſelbſt
wußte
wußte noch nicht uͤber ſuͤße Gedanken der Lie-
be zu erroͤthen , ihr Herz klopfte in immer ru-
higen Pulſen , wenn ſie einſam das verdeckte
Veilchen aus dem hohen Rietgraſe hervor-
pfluͤckte , ein wahres Bildniß Jhres eignen
jungfraͤulichen Schickſals , oder wenn Sie an
dem Ufer des klaren Bachs ſitzend die bunte
Forelle mit geſchwinden Augen verfolgte ,
und indeß den ſchoͤnen Gegenſtand der Na-
tur , Jhr wiederſcheinendes Geſicht , aus der
Acht ließ . Jhr freundlichen Nymphen , die
ihr ſo oft das maͤchtige Vergnuͤgen eures ei-
genen Anſchauens genoſſen habt ! bedauert
dieſe Ungluͤckliche — aber noch eifriger wer-
det ihr Sie bedauren , ihr maͤnnlichen Ken-
ner der Schoͤnheit ! denn niemand — ich
wiederhol es mit Jammer , niemand als ein
frommer ſchuͤchterner Mann , der Magiſter ,
hatte bis itzt den feinen Verſtand gehabt , Jh-
re Reize zu bemerken , und nur von ihm ward
Sie heimlich geliebet . Mit welchem zittern-
A 4 den
den Vergnuͤgen empfieng er nicht den Decem
von ihren ſchmeichelnden Haͤnden , und mit
welcher ſuͤßen Betaͤubung unterſchied er nicht
ihre liebliche Stimme , wenn das andaͤchtige
Geſchrey der Gemeinde durch die Sacriſtey
in ſein lauſchendes Ohr drang . Wie gluͤck-
lich konnte nicht die Liebe ihn machen ! Aber
zwo andere Leidenſchaften , faſt eben ſo maͤch-
tig als jene , ſtritten heftig in ſeiner theologi-
ſchen Seele , jagten die Liebe heraus und leg-
ten den Grund zu dem grauſamen Schickſale
des Paſtors . Der Stolz war es und die Be-
gierde nach einem bequemlichen Leben ! Denn
wenn ihn auf der einen Seite ſeines hinfaͤlli-
gen Herzeus die Tochter des vornehmen Kir-
chenraths mit ihrer Neigung verfolgte , ſo be-
ſtritt es auf der andern die Ausgeberinn des
Praͤſidenten . Jhre Wahl war der gewiſſe
Beruf zum Vorſteher der Kirche . Als Su-
perintendent konnt’ er alsdann eines langen
ruhigen Lebens genießen , von den Truthhaͤh-
nen
nen ſeiner freygebigen Dioͤces und den Com-
plimenten gemeiner Pfarrherren gemaͤſtet .
So wird oft ein Knabe geaͤngſtet , wenn ihm
ſein lachender Vater ein Stuͤck kraͤftiges
Brod und eine einzelne wohlriechende Erd-
beere vorlegt . Was ſoll er waͤhlen ? Sein
Gaum verwirft , was ſein hungriger Magen
verlangt ; doch ſeine minutenlange Naͤſche-
rey verachtet das Elend des ganzen Tages —
Kurz entſchloſſen verſchluckt er die Erdbeere-
und uͤbertaͤubt das Murren ſeines Magens
durch erzwungene Geſaͤnge . Eben ſo gewis
wuͤrde auch endlich der verliebte Magiſter
ſeine kleine Wilhelmine gewaͤhlt haben , wenn
nicht das feindliche Ohngefehr und der haͤ-
miſche Neid den Unentſchloſſenen uͤberraſcht
und vier lange Jahre ſeine Liebe getaͤuſcht
haͤtten .
Ein Spuͤrhund der Schoͤnheit , ein leicht-
fertiger Page , der einſt in ſeinem Muͤßig-
gange dieſe laͤndliche Venus erblickte , prahl-
A 5 te
te ſo laut mit ſeiner Entdeckung , daß ſein
verliebtes Geſchwaͤtz durch funfzig Thuͤren in
die Ohren des aufmerkſamen Hofmarſchalls
erſcholl , der ſogleich den ſultaniſchen Ent-
ſchluß faßte , mit den Reizungen der holden
Wilhelmine den Hofſtaat zu verſchoͤnern , und
ſie dem unſaubern Dorfe und der Liſt eines
Pagen zu entziehen . Wenn die weibliche
Aelſter in der Mitte des Weinbergs eine volle
Traube entdeckt , die von hundert Blaͤttern
beſchuͤtzt die letzte Zeit ihrer Reife erlangt
hat : ſo erweckt oft diß prophetiſche Geſchrey
bey dem reiſenden Handwerksmann ein dur-
ſtiges Nachdenken — Er erſteigt den Wein-
berg und entzieht dem Stocke und der ver-
jagten Schwaͤtzerinn die vortrefflichſten Bee-
ren .
Der entſchloßne Hofmarſchall fuhr , von
der Cabale , ſeiner beſtaͤndigen Schutzgoͤt-
tinn , begleitet , in hoher Perſon zu Niklas ,
dem Verwalter , uͤberſah mit geſchwind for-
ſchen-
ſchenden Blicken die Schoͤnheit des ver-
ſchaͤmten Landmaͤgdchens , und es waͤhrte nicht
lange , ſo hatte er ſeine grosmuͤthige Abſicht
eroͤffnet . ” Jch will , ſagte er freundlich zu
”dem Alten , eure ſchoͤne Tochter in den
”glaͤnzenden Poſten einer fuͤrſtlichen Kam-
”merjungfer erheben : Diß iſt die Urſache
”meines Beſuchs ‒ ‒ ‒
Betaͤubt von der hoͤflichen Rede des vor-
nehmen Herrn ſtund der alte Verwalter
vor ihm , ſtrich ungeſchickt mit dem Fuße aus
und fuͤhlte aͤngſtlich ſeine Verwirtung . Der
feine Hofmarſchall ließ ihm Zeit , Athem zu
holen , und verſuchte indeß mit Wilhelminen
zu ſprechen : aber die Schoͤne verſtummte ,
blinzte mit den Augen , und ihr Bloͤdſinn
zeigte ihm eine ſo weiße Reihe von Zaͤhnen ,
die ihm noch nie die vornehme Sucht zu ge-
fallen , in dem langen Laufe ſeines Lebens
verrieth . Die Verlegenheit der Tochter
weckte zuletzt den Alten aus ſeiner Betaͤu-
bung
bung . Er nahm ſtotternd das Wort , und
als Vater geboth er der Schoͤne , Sie moͤch-
te , weil einmal ihr gutes Gluͤck es verlang-
te , zur Reiſe nach Hofe ſich geſchickt ma-
chen ; und uͤber den guͤtigen Herrn ſchuͤttete
ſeine ſchwere Zunge tauſend unvollendete
Wuͤnſche und abgebrochene Dankſagungen
aus , und beredtere Thraͤnen ſtroͤmten von ſei-
nen bleichen Wangen herunter . Damals
waren noch zwanzig Minuten genug , die
Schoͤne in ihren beſten Putz zu kleiden ; als-
denn hob ſie der vergoldete Herr in ſeine
verhenkte Caroſſe , und ſechs wiehernde Heng-
ſte jagten durch die Reihen unzaͤhlicher
Bauern , denen das ſtarre Erſtaunen die wei-
ten Maͤuler geoͤffnet . Aber welche Muſe be-
ſchreibt das Entſetzen des ſtudierenden Ma-
giſters , als in ſein duͤſtres Muſaͤum der freu-
dige Niklas hereintrat und ihm das wun-
derbare Schickſal entdeckte , das ſeine arme
Wilhelmine zu einer hochfuͤrſtlichen Kam-
mer-
merjungfer erhoben ! Ohne Gedanken hoͤrt’
er die dreymal wiederholte Geſchichte des
Verwalters , der ihn endlich unachtſam ver-
ließ , ſein haͤusliches Gluͤck den Gevattern ,
und der Verſammlung der Schenke zu ver-
kuͤndigen . Wie ſchien ſich doch alles zur
Feyer dieſes ſeines gluͤcklichen Tages zu ver-
binden ! Er hoͤrte ſchon von weitem den
Schall einer muthigen Fiedel . Jn der Freu-
de ſeines Herzens vergaß er ſein Alter und
tanzte mit Jauchzen der harmoniſchen Schen-
ke entgegen . Ein ungewoͤhnlicher Schimmer
umleuchtete heute ihre roſtigen Waͤnde —
denn das Schickſal vergoͤnnte dieſen Abend
den froͤhlichen Bauern ein ſeltnes Vergnuͤ-
gen . Die Schauſpielkunſt war vor kurzem
mit allem dem Pomp ihrer erſten Erfindung
eingezogen . Welch ein frohes Getuͤmmel !
Welch eine Luſt ! Ein vielſtimmiger Mann
ſchwebte wie Jupiter unſichtbar uͤber eine laͤr-
mende thoͤrichte Welt , lenkte mit ſeiner Rech-
ten
ten ganze tragiſche Jahrhunderte , und regir-
te mit gegenwaͤrtigem Geiſte die ſchrecklich-
ſten Begebenheiten und Veraͤnderungen der
Dinge , uͤber welche die weiſeſten Menſchen
erſtaunen . Jtzt ſah man hochmuͤthige Staͤd-
te , wie ſie ſich uͤber die Doͤrfer erheben —
und augenblicklich darauf eingeaͤſchert oder
in einem Erdbeben verſunken ; Rom und
Carthago , Troja und Liſſabon , wurden zer-
ſtoͤhrt , und der Helleſpont ſchlug uͤber ihre
ſtolzen Thuͤrme ſeine Wellen zuſammen !
Was hilft es euch , ihr Tyrannen , daß ihr
uͤber Laͤnder geherrſcht , arme Bauern ge-
druͤckt , und Nationen elend gemacht habt ?
denkt ihr wohl der Strafe des Zers zu ent-
fliehen ? Ja , da ſieht mans — Hier liegt
nun der grauſame Nero in ſeinem Blute
und wird von ſeinen eigenen Grenadiren zer-
treten ! Bald wird es auch an dich kommen ,
du uͤbermuͤthiger Mann ! Heliogabalus !
Pompejus ! oder wie du ſonſt heißen magſt —
Seht
Seht nur , wie ſtolz er einhergeht und alle Leu-
te verachtet ; aber Jupiter winkt — und
nun wird er unter Donner und Blitzen von
den Saracenen ermordet . Doch wer kann ſie
alle zaͤhlen — die Wuͤthriche , die hier fallen ;
und wo wollte ich Worte hernehmen , die blu-
tigen Scenen zu beſchreiben , die die geruͤhr-
ten Zuſchauer mit lautem Lachen beehren ?
Jtzt ſah man auch das bedraͤngte Friedrichs-
hall von Carln dem Zwoͤlften belagert !
Schon war die Piſtole geſpannt , die dieſem
ſchrecklichen Helden das Leben endigen wird —
und ſchon wurden die Laufgraͤben geoͤffnet und
alles war voller Erwartung , als — der alte
Verwalter herein trat . Bey ſeiner laͤngſt
gewuͤnſchten Ankunft verſtummte die Fiedel
— Die große Verſammlung der Zuſchauer
hob ſich von ihrem Sitze — ſchmiß eine all-
gemeine Bank um und gruͤßte freundlich den
Alten — Eine Ehre , die vor ihm noch kein
Sterblicher genoß — als allein der ehrwuͤr-
dige
dige Cato — und die vielleicht nach ihm kei-
ner wieder genießen wird ! Dieſer Zufall
ſchob die Belagerung auf — eine gluͤckliche
Pauſe fuͤr Carln ! und ſelbſt der Regierer der
Welt ſtieg itzt in ſeinen Cothurnen von dem
hohen Sitz des Olymps herunter , und ein
ernſthaftes Stillſchweigen der ganzen Natur
forderte den Alten auf , ſeine gluͤckliche Ge-
ſchichte zu erzaͤhlen . Er that es mit vertrau-
licher Beredſamkeit , und man hoͤrete ihm zu
mit ſichtbarem Erſtaunen , und ſtaͤmmte die
Haͤnde in die Seite , und ſchuͤttelte mit bedenk-
lichen Minen die Koͤpfe . Aber was leideſt
du nicht indeß bey dieſem algemeinen Ju-
bel , o du armer Verlaſſener ! Welche Men-
ge von vielſagenden Seufzern , und welch eine
Fluth von bittern Thraͤnen wurden nicht taͤg-
lich von dir der erzuͤrnten Liebe geopfert ; aber
ſie blieb unerbittlich , und der klaͤgliche Lieb-
haber bezeichnete dieſen ſchrecklichen Zeitpunkt
ſeines Verluſts mit den groͤßten Trophaͤen
der
der Schwermuth — mit rothgeweinten Au-
gen und zerrungenen Haͤnden . Und wenn
er die ganze Woche hindurch in der Einſam-
keit ſeiner verrußten Clauſe getrauert hatte ,
dann winſelte er am Sonntage der ſchlafen-
den Gemeinde unleidliche Reden vor , und
ſelbſt bey dem theuer bezahlten Leichenſermon
verließ ihn ſeine ſonſt maͤnnliche Stimme .
Vier Jahrgaͤnge hatte er alſo beſchloſſen .
Mit zitternden Haͤnden geſchrieben und auf
einen Haufen geſammelt lagen ſie in einem
verriegelten Schranke , oft von andaͤchtigen
Wuͤrmern beſucht , die hoͤflicher fuͤr die dank-
bare Nachwelt ſorgten und alle Buchſtaben
zerfraßen , als der betrogene Buchhaͤndler ,
der ſo oft mit drolligten Poſtillen den einfaͤlti-
gen Freygeiſt beluſtigt . Aber die comiſche
Muſe huͤpft aͤngſtlich uͤber den heiligen Staub
und uͤber die traurigen Scheduln des Paſtors .
Sie ſoll den gluͤcklichen Traum erzaͤhlen , der
ihn , bewillkommend an der letzten Stufe des
B Jahrs,
Jahrs , mit dem Beſitze ſeiner Geliebten und
dem Ende ſeines ſchwindſuͤchtigen Kummers
ſchmeichelte .
Jn der zwoͤlften Stunde der Nacht , da-
mals , als ſich das zwey und ſechzigſte blutige
Jahr des achtzehnten Seculs von wenig
Minuten loszuarbeiten ſuchte , um ſich an die
Reihe ſo vieler vergangenen Jahrtauſende zu
haͤngen : So wie der furchtbare Nachtvogel S. Roͤſels Jnſecten-Beluſtigung .
auf deſſen Ruͤcken die Natur einen Todten-
kopf gebildet , ſich muͤhſam aus dem Gefaͤng-
niſſe ſeiner Puppe herauswindet , ſeine ſchwe-
ren Fluͤgel verſucht — und verſchwinden
wuͤrde , wenn nicht ein naturforſchender Roͤ-
ſel ſein Leben verfolgte — Der pfaͤhlt ihn
mit einem gluͤhenden Pfriemen gleich nach
ſeiner Geburt , und ſetzt dieſen graͤulichen Vo-
gel in die bunte Geſellſchaft der Schmetter-
linge , Heuſchrecken und Kaͤfer .
Da
Da erſchien dem eingeſchlummerten Dorf-
pfarr jener große Verfolger des Pabſts , der
herzhafte Doctor Martinus — lebhaft er-
ſchien er ihm , wie ihn fuͤr alle kuͤnftige Zei-
ten Lucas von Kranach gemahlt hat . Sein
alter getreuer Mantel , wie ihn die Schloß-
kirche zu Wittenberg ſehen laͤßt , hieng ihm
uͤber die Schultern — er aber floß ihm nicht
mehr wie ehmals ehrwuͤrdig am Ruͤcken her-
ab ; denn der Aberglaube hatte davon mehr
Stuͤcken geriſſen , als die alles verderbende
Zeit und die Zaͤhne der Motten . Und noch
vor kurzem raubte ein unternehmender Schul-
meiſter den halben Kragen des Mantels ;
Jn enthuſiaſtiſchem Hochmuthe glaubt er ſchon
die Kraͤfte ſeiner Eroberung , den Zuwachs
neuer Verdienſte und den Antheil an Luthers
unerſchrocknem Geiſte zu fuͤhlen — Freudig
und dumm geht er zuruͤck in das Dorf ,
ſchimpft ungerochen den Pabſt , und nun ver-
ſucht er es auch zuverſichtlich an ſeinem Ge-
B 2 richts-
richtsherrn . Doch ſiehe da ! der arme Be-
trogene wird bald von ſeinem eigenen Gevat-
ter , dem Schoͤppen , ins Trillhaus gefuͤhret ,
von allen den jauchzenden Jungen verfolgt ,
die nun Feyertage auf eine ganze Woche be-
kommen .
Und der Schatten ſprach alſo zu dem traͤu-
menden Magiſter : „ Lieber Herr Amtsbru-
”der ! Oft habe ich mit deinen Thraͤnen mei-
”ne beſten Schriften befleckt geſehen und dei-
”ne verliebten Seufzer gehoͤret , wenn dein
”Fleiß bald eine Stelle der Erbauung aus
”meinen Briefen , bald aus meinen Tiſchre-
”den eine luſtige Geſchichte ausſchrieb , wo-
”mit du die gaͤhnenden Bauern zu rechter
”Zeit wieder erweckteſt . Warum erroͤtheſt
”du ? O ſchaͤme dich nicht , mir deine keu-
”ſche Liebe zu geſtehn ! War ich nicht ſelbſt
”der erſte unter den Prieſtern , der es auf
”Paulus Verantwortung wagte , ein zaͤrtli-
”ches Weib zu nehmen ? Sollte einem Ken-
”ner
”ner der Kirchengeſchichte , ſollte dir unbe-
”kannt ſeyn , wie ich einſt dem neidiſchen
”Kloſter das ſchoͤnſte Fraͤulein entriß ? Ach
”Catharina , Catharina von Bora ! wie ſehr
”begluͤckte deine Liebe mein einſames Leben !
”Und du — du verzagſt , dem Hofe ein
”Maͤgdchen zu eutziehn , das von keiner ei-
”ſernen Thuͤre verſchloſſen , von keiner Aebtiſ-
”ſinn bewacht , und von der Kloſtergeluͤbde
”weit entfernt iſt , eine ewige Jungfer zu
”bleiben ? Hoͤre meinen liebreichen Rath :
”Morgen wird die reizende Wilhelmine ih-
”ren Vater beſuchen . Von keinem Hoͤflinge
”begleitet , wird ſie des Mittags zu ihm fah-
”ren — Welch ein bedeutender Wink , den
”die Liebe dir giebt — Folg ihm — erhebe
”dich in Wilhelminens Geſellſchaft , und er-
”oͤffne ihr deine brennende Neigung ! Sie —
”die gleich einem leichten Federballe von Hand
”in Hand geworfen — in der Hoͤhe des Hofs
”flatterte — oft mit Schwindel herabfiel
B 3 ”und
”und wieder in die Hoͤhe gejagt ward —
”Sie — die von den Zofen des ganzen Landes
”verfolgt der Ruh entgegen ſeufzt — Sie ,
”ich ſchmeichle dir nicht , wird froh ſeyn , an
”deiner ehrwuͤrdigen Hand den Widerwaͤr-
”tigkeiten der großen Welt zu entwiſchen —
”und ehe dieſe Neujahrswoche verlaͤuft , kannſt
”du fuͤr deine treue Liebe belohnt ſeyn — aber
”verſaͤume — verſaͤume dieſe unwiederbring-
”liche Zeit nicht ! “
Dieß ſagte er ; und wie der ſcherzende
Ovid oft aus den Haͤnden des geiſtlichen
Studenten den heiligen Cyprian verdraͤngt ,
ſo verſchwand itzt der Wittenbergiſche Dok-
tor , und Amor erſchien an eben der Stelle ,
und fieng laͤchelnd die letztern Worte des
geiſtlichen Schattens auf : ” Aber verſaͤume
”dieſe unwiederbringliche Zeit nicht , ehe der
”feindliche Hofmarſchall ſeine Brunnencur
”ſchließt , und die Schoͤnheiten wieder auf-
”ſucht , die itzt ſein durchwaͤſſertes Herz medi-
”ciniſch
”einiſch verachtet . Waſche dich — pudere
”deine beſte Peruͤcke ; dein ſchwarzer Rock
”ſoll dir in deiner Eroberung nicht ſchaden :
”nur ſey ſo dreuſt und munter wie ein Kam-
”merjunker ; dieſer ſiegt oft auch in der Trauer
”des Hofs , nicht immer im froͤhlichen Jagd-
”kleide . ”
Nach dieſen Worten verſchwand der wahr-
heitliebende Amor , und die an Wiederholen
gewoͤhnte Seele des theuren Magiſters wie-
derkaͤuete noch dreymal dieſen gluͤcklichen
Traum , und er hatte ihn im friſchen Gedaͤcht-
niß , als er aufwachte .
Zweyter Geſang .
D ie neue Sonne rollte den jungen Tag
des Jahres herauf . Jhr ungewohnter
Blick uͤberſah ſchuͤchtern die Planeten , die ſie
beſcheinen ſollte , und nun wandte Sie auch
B 4 ihr
ihr unſchuldiges Geſicht zu unſerer Erdku-
gel . Ein Heer vorausbezahlter Gratulanten
jauchzt ihr entgegen ; andere — ungluͤckli-
cher , zerriſſen das Neujahrsgedicht , ſeit dem
froſtigen September geſchmiedet ; denn ihr
alter Maͤcen iſt den heiligen Abend vorher
geſtorben , und hinterlaͤßt geitzige Erben , die
den Apoll ſamt den Muſen verachten und un-
geheißene Arbeiten niemals großmuͤthig be-
lohnen . Verjaͤhrte Rechte , drohende Wech-
ſelbriefe , erfuͤllte Hoffnungen und erſeufzte
Majorennitaͤten draͤngten ſich auf den Strah-
len des neuen Lichts in das beunruhigte Herz
der erwachten Sterblichen . Aber friedliebend
und ſanft wirkt ſie , die maͤchtige Sonne ,
auf die Felſenherzen der Großen und in die
morſchen Gebeine der Helden , die itzt voller
Neigung zur Ruhe ſich beſchwerlich von ih-
ren Lagern erheben , um ihre Wunden ver-
binden und die Merkmaale ihrer Tapferkeit
vernaͤhen zu laſſen . Stolz auf ihr Elend be-
haͤn-
haͤngen ſie den kruͤpplichen Koͤrper mit den
bunten Zeichen des gnaͤdigen Spottes der
Fuͤrſten , mit dem theuren Spielwerke von
Kreuzen und Baͤndern ; und die Empfindung
ihres Heldenlebens wuͤthet in jeglicher Nerve .
Betaͤubt von den murrenden Wuͤnſchen der
Thorheit und von den lauten Seufzern des
Ungluͤcks ſtund die Sonne in wehmuͤthiger
Schoͤnheit am Himmel , fuͤrchtete ſich , laͤnger
herab zu ſchanen , und verſteckte ſich oft hin-
ter ein truͤbes Gewoͤlke . So ſteht ein bluͤ-
hendes unſchuldiges Maͤgdchen , zu arm ihr
junges Leben zu erhalten , vor der verſammel-
ten Schule der Mahler , und verraͤth die ge-
heimſten Schoͤnheiten der Natur , fuͤr einen
geringen unbilligen Preis , der Betrachtung
der Kunſt . Jn ſchamhafter Einfalt verſteckt
ſie ihre maͤchtigen Augen hinter einer ihrer
jungfraͤulichen Haͤnde , indem ſie mit der an-
dern das letztere neidiſche Gewand von ſich
legt , das ihre Reize verbarg , und nun —
B 5 aͤngſt-
aͤngſtlich erwartet ſie nun den Verlauf der
verkauften Stunde . Die geſchickteſten Juͤng-
linge zittern bey dem Anblicke der unverhuͤll-
ten ſchoͤnen Natur , und ihre ſonſt gewiſſe
Hand zeichnet Fehler auf das geſpannte Pa-
pier . Der minderjaͤhrige Knabe allein uͤber-
trifft hier ſeinen Meiſter ; denn in ſeinem klei-
nen noch fuͤhlloſen Herzen liegen jene ſympa-
thetiſchen Trieb ’ unentwickelt , und ſeine Hand
lernt ’ eher der Kunſt , als jenes der Liebe ge-
horchen . Und der hoffende Pfarrherr gieng
in der Fruͤhe zu Niklas , dem Verwalter ,
wuͤnſchte ihm ein froͤhliches Neuesjahr und
ließ ſich wieder eins wuͤnſchen ; dann erzaͤhl-
te er ihm ſeinen naͤchtlichen Traum buͤndig
und kuͤrzlich — denn die gebiethenden Glocken
hatten ſchon zum drittenmale gelaͤutet , und die
geputzte Gemeinde ſah ſehnlich ihrem Herrn
Paſtor mit ſeinem Neujahrswunſche entgegen .
Ach wie froͤhlich klopfte nicht Niklas dem
Herrn Magiſter die Achſel , und zweifelte gar
nicht
nicht an der Erfuͤllung des Traums . Hurtig
beſtellt’ er die Kuͤche , damit ſie , wuͤrdig des
lieben Beſuchs , viele ſchmackhafte Gerichte
den Mittag zu liefern vermoͤchte . Er bath auch
den wertheſten Traͤumer zur Tafel , und gieng
an ſeiner rechten Seite mit ihm vertraulich
zur Kirche . Der kuͤnftige Herr Schwiegerſohn
hielt eine erbauliche Predigt , bis unter Sin-
gen und Bethen die Mittagsſonne hervortrat .
Schon eilte die buntſchaͤckige Gemeinde mit
geſaͤttigter Seele und hungrigem Magen nach
Hauſe , als die gehoffte Caroſſe zur Hoͤhe des
Dorfs hereinſchimmerte . Wie eilte nicht der
rappenfaͤrbichte Herr , den ſechs Schimmeln
vorzukommen , um auf Befehl des Traums
die Schoͤne aus dem Wagen zu heben . Kei-
chend ſchmaͤhlt er auf ſich , daß er ſo lange ge-
predigt , aber dennoch uͤberholt’ er die rollende
Kutſche , und er empfieng die holde Willhelmi-
ne an der Thuͤr ihrer vormaligen Wohnung .
Von dem Zuruf ihrer herzugelaufenen Be-
kann-
kannten begruͤßt reichte ſie , nicht mehr als
eine Nymphe des Dorfs , ihrem unerkann-
ten Liebhaber die Hand mit koſtbaren Ringen
gezieret , und ſagte hoͤflich zu ihm : Wie
geht es , werther Herr Paſtor ? Darauf
umarmte ſie ihren alten weinenden Vater ,
der vor der Hofſtimme ſeiner Tochter er-
ſchrack und nicht wuſte , ob er mit ſeiner baͤu-
riſchen Sprache ihre Ohren beleidigen duͤrf-
te . Noch ſcheuer und in einem unaufhoͤrli-
chen Buͤcklinge ſtund ihr Liebhaber vor ihr ,
und huſtete immer und ſprach nichts . Lange
getraute er ſich auch nicht , ſie anzublicken ;
denn ihr huͤpfender Buſen , von keinem laͤnd-
lichen Halstuche bedeckt , war ein zu unge-
woͤhnlicher Anblick fuͤr ihn , und ſetzte ſeine
Nerven in ein fleberhaftes Erzittern . Mit
zufriednem Mirleiden beobachtete Wilhelmi-
ne den Einfluß ihrer Perſon , und riß end-
lich Vater und Liebhaber aus ihrer Betaͤu-
bung . Jhre harmoniſche Stimme bildete
man-
manche vertraute Erzaͤhlung , bald von den
Freuden des Hofs , von engliſchen Taͤnzen
und uͤberirdiſchen Opern und von den unnuͤ-
tzen Verfolgungen ihrer Amanten ; bald aber
auch bejammerte ſie mit nachdenkender Stirne
den ſteten Wechſel des Hofs und den Ekel ,
der , ein unermuͤdeter Verfolger aller rau-
ſchenden Ergetzungen , hinterliſtig dem tau-
melnden Hoͤflinge nachſchleicht — und da
wuͤnſchte ſie ſich — Welch ein Vergnuͤgen
fuͤr den horchenden Prieſter ! einſt wieder
mit Ehren zur gluͤcklichen Stille des Landes
zuruͤck . Unter dieſen anmuthigen Geſpraͤ-
chen , wovon meine Muſe nicht die Haͤlfte
verraͤth , ſetzte ſich dieſe liebe Geſellſchaft ver-
traulich und ohne Gebethe zu Tiſche . Er-
ſchrocken dachte zwar der Magiſter daran ,
doch durft’ er es itzo nicht wagen , ſich wider
die Gewohnheiten des Hofs zu empoͤren .
Um das Mittagsmahl zu verherrlichen , hatte
die ſchoͤne Tochter des Hauſes vier Flaſchen
koͤſt-
koͤſtlichen Weins mitgebracht . Sie oͤffnete
eine davon , und ſchenkte mit wohlthaͤtigen
Haͤnden ihrem Liebhaber und Vater ſchaͤu-
mende Glaͤſer ein . Lange beſah der Magiſter
das unbekannte Getraͤnke , koſtete es mit der
Mine des Kenners , und ließ doch ſein Feuer
verrauchen ! Endlich fragte er pedantiſch :
liebe Mamſel , fuͤr was kann ich das eigent-
lich trinken ? Laͤchelnd antwortete ſie : Es
iſt von unſerm Burgunder . Nach ihm
ſetzte man auch eine langhaͤlſichte Flaſche des
ſtillſcheinenden bleichen Champagners auf
die Tafel . Schon ganz freundlich durch den
Burgunder reichte ſie der Magiſter den be-
fehlenden Haͤnden der Schoͤne ; aber er waͤ-
re bald vor Schrecken verſunken , als der be-
truͤgeriſche Wein den Stoͤpſel an die Wand
ſchmiß , und wie der vogelfreye Spion , der
ſich einſant und ſicher in dem Walde geglaubt
hat , durch den Moͤrſer eines feindlichen
Hinterhalts aus ſeiner Ruhe geſchreckt wird ,
ſo
— ſo betaͤubte der ſchreckliche Knall die Oh-
ren des zitternden Paſtors . Erſt auf lan-
ges Zureden und hundert Betheurungen der
Schoͤne trank er den tuͤckiſchen Wein , und
er empfand bald deſſen feurige Wirkung ;
denn nun oͤffnete der laute Scherz und der
wiederkehrende Witz ſeine geiſtigen Lippen .
Antitheſen und Wortſpiele jagten einander ,
und da gewann er auf einmal den ganzen
Beyfall der artigen Wilhelmine , wie ihm
ſein wahrhafter Traum vorher verkuͤndigt
hatte . Jtzt erſchrack er nicht mehr vor dem
aufrichtigen Buſen , den er ſelbſt belebender
fand , als den brauſenden Champagner .
Dreymal hatte er mit luͤſternen Augen hin-
geſchielt , da ward er ſo dreuſt und wagte es ,
von dem alten Verwalter unterſtuͤtzt , das
Herz der engliſchen Kammerjungſer zu be-
ſtuͤrmen . So viel Waffen der Liebe als
nur ſeine unerfahrne Hand regieren konn-
te ; ſo viel als ihm nur zaͤrtliche Blicke
und
und gefaͤlliges Laͤcheln zu Gebothe ſtehen
wollte , verwendete er auf die Hoffnung ei-
ner geſchwinden Eroberung . Welch eine
Verſchwendung von ſuͤßen zaͤrtlichen Wor-
ten ! Erſtaunt ſah Wilhelmine ihren drin-
genden Feind an , und dreymal wankte ſie ;
aber ein geheimer Stolz und die Ruͤckſicht
auf den praͤchtigen Hof erhielt ſie noch ,
bis ihr endlich Vater und Liebhaber , im-
mer einander unterbrechend , das Wunder
des Traums entdeckten . Denn da erkann-
te ſie ſelbſt in allem die ſichtbaren Wege des
Himmels und ihren Beruf , und durch die
Beredſamkeit des Paſtors bekehrt , entfern-
te ſie allen Zwang des Hofs von ihren offen-
herzigen Lippen : Wohlan ! ſagte ſie , nach-
dem ſie in einer kleinen freundlichen Pauſe
die Beſchwerden und die Vortheile des Hy-
men gegen einander gehalten , und noch die
reife Ueberlegung auf ihrer hohen Stirne
ſaß : ” Wohlan ! ich unterwerfe mich den
”Be-
”Befehlen meines Schickſals ; ja , ich will
”ſelbſt mit Vergnuͤgen das unruhige Leben
”des Hofes mit den Freuden meines Ge-
”burtsorts vertauſchen , und da Sie mich ein-
”mal lieben , Herr Paſtor , ſo wuͤrd’ es un-
”zeitig ſeyn , ſproͤde zu thun — ich ſehe die
”Ungedult Jhrer Neigung auf Jhrem Ge-
”ſichte ! Kommen Sie her , mein Gelieb-
”ter , und ” — Welch ein Triumph fuͤr ei-
nen Unerfahrenen , der nie den Ovid und
das Syſtem einer verſuchten klugen Len-
clos geleſen — ” kuͤſſen Sie mich , und neh-
”men Sie zum Zeichen unſerer Verſpre-
”chung dieſen Ring an ! ” Und mit unaus-
ſprechlichem Vergnuͤgen kam der ſchwerfaͤlli-
ge Liebhaber geſtolpert — kuͤßte ſie drey-
mal , und macht’ es zur Probe recht ar-
tig . Sie ſteckt’ ihm einen Demant , in
Form eines flammenden Herzens , an das
kleinſte Glied ſeines Fingers , und Er —
welcher Tauſch , haͤtt’ ihn nicht die dulden-
C de
de Liebe gerechtfertigt — uͤberreichte Jhr
einen ziegelfarbenen Carniol , worein ein An-
ker gegraben . Nun brachte jede Minute
neuen Zuwachs an Liebe und Vertrauen
in ihre verbundene Geſellſchaft , und frohe
Geſpraͤche von ihrer baldigen Hochzeit be-
ſchaͤfftigten ihre unermuͤdete Lippen . Da
ſagte Wilhelmine dieſe merkwuͤrdigen Wor-
te : „ Morgen , wenn die Goͤttinn der Ca-
”bale auf den feuchten balſamiſchen Wol-
”ken des dampfenden Theen nachdenkend
”an den koſtbaren Plafonds herumzieht und
”ihre Anbether ermuntert , und wenn die
”eigenſinnige Goͤttinn der Mode ihren Lieb-
”ling , den Schneider , zu wichtigen Confe-
”renzen der Staatsraͤthe geleitet , oder da-
”mit Sie mich deutlich verſtehen : Mor-
”gen , wenn es fruͤh Zehne geſchlagen , ſo ruͤ-
”ſten Sie ſich , mein Geliebter , und ma-
”chen Sie Jhre ſchuldige Aufwartung bey un-
”ſerm Hofmarſchall ; Bitten Sie ihn in de-
”muͤ-
”muͤthiger Stellung um die Erlaubniß zu
”meiner baldigen Heyrath ! Jch ſelbſt will
”ihn noch heute zu dieſem Jhrem Beſuche
”bereiten , und ſo werden Sie dann mor-
”gen gar keine Schwierigkeit finden . Er iſt
”der beſte Herr von der Welt ; und wenn
”meine Bitten , wie ich aus guten Gruͤnden
”mir ſchmeichle , etwas bey ihm vermoͤgen ,
”ſo geben Sie Achtung , er ſoll ſelbſt bey
”unſerer Hochzeit erſcheinen , und durch ſei-
”ne ehrende Gegenwart unſer Feſt anſehnli-
”cher machen . Jtzt aber theilen Sie ohne
”Complimente den Platz in meinem zwey-
”ſitzigen Wagen , damit Jhnen der Weg
”nach einem fuͤrſtlichen Hofe nicht eben ſo
”ſauer ankommen moͤge , als der benebelte
”Steinweg zu Jhrem Filiale ! „ Zaͤrtlich
und ſuͤß verſprach der gehorſame Liebhaber
ihr in allem zu folgen , und an der Hand
ſeiner Geliebten verließ er itzt ſein trauriges
Kirchſpiel . Wer weiß , wie viele nicht in-
C 2 deſſen
deſſen dieß Dorf und die Welt ohne ſeinen
Abſchied verlaſſen , und wie viele darinnen
ankommen , die bey ihrer Geburt weder von
dem Laͤcheln einer Melpomene , noch von
dem ſtaͤrkenden Anblick des Paſtors , begruͤßt
werden !
Nach drey kurzen hinweg geplauderten
Stunden waren die beyden Verliebten in
den Mauern der Reſidenz . Der ehrwuͤr-
dige Fremde begab ſich unter den Schutz
des wirthbaren Hirſches , und Braut und
Braͤutgam trennten ſich hier bis auf ein
gluͤckliches Wiederſehn mit hoͤchſt zaͤrtlichen
Kuͤſſen . Welche triumphirende Freude durch-
ſtroͤmte nicht itzt das Herz des verliebten
Magiſters , als er ſich , ſeinen Betrachtun-
gen uͤberlaſſen , in dem weiten Zimmer des
Gaſthofs allein ſah ! — Eine ganz andere
Empfindung ſeines Gluͤcks , als er ſelbſt an
dem vergnuͤgten Tage ſeines uͤberſtandenen
Examens nicht gefuͤhlt hatte ! Denn damals
mach-
machte der Praͤſident ſeinem ſtotternden Ge-
ſchwaͤtze durch ein ungehofftes Bene ein
freudiges Ende , und die gelehrten Herren
Beyſitzer widerſprachen es nicht . Sollten ſie
etwan durch lange Unterſuchungen ſich um
die kurzen Luſtbarkeiten der Meſſe und den
ſchwitzenden Candidaten ums Amt bringen ?
O nein ! Aus Menſchenliebe hofften ſie , er
wuͤrd’ es ſchon loͤblich verwalten , und ſie
uͤberließen die Seelen der Bauern ſeiner Treue
und Gottes Barmherzigkeit . Mit meh-
rerm Rechte freut’ er ſich itzt , und ſchmei-
chelhaft fragt’ er ſich : Jſt es nicht dein ei-
genes Verdienſt , das ſproͤdeſte Maͤgdchen in
einem Nachmittage beſiegt zu haben ? Wie
wohl that ich , daß ich meinem prophetiſchen
Traume zufolge mich ſo dreuſt und mun-
ter bezeigte , wie die vornehme Welt es ver-
langt . Ach welch eine Liebe fuͤr mich muß
nicht in der Bruſt meiner Wilhelmine er-
wacht ſeyn , da ſie ſich ſo eilig entſchließt ,
C 3 den
den praͤchtigen Hof zu verlaſſen , um einem
armen Dorfprediger zu folgen , deſſen alt-
fraͤnkiſche Wohnung — wer weiß wie man-
che Reformation uͤberlebt hat .
Schon toͤnte der Waͤchter ſeinen letzten
Nachtgeſang , in einem tiefen verungluͤckten
Baß — huͤllte ſich in ſeinen Schafpelz und
beurlaubte ſich von der Stadt . Jn gehoͤri-
ger Entfernung ſchlichen die Spoͤtter ſeiner
Aufſicht , die gluͤcklichen Diebe , ihm nach ,
weckten den Thorſchreiber auf , und erreichten
bald das ſichere Gehoͤlze : Und am Horizont
fieng ſchon der Tag an zu grauen , eh ’ unſer
Verliebter einſchlafen konnte . Wie war es
auch moͤglich ? Auf allen Seiten verfolgten ihn
Unruh und Schrecken . Gleich hoͤlliſchen Ge-
ſpenſtern raſſelt’ unter ihm mit Ketten der boͤh-
miſche Fuhrmann : doch Gedanken der Liebe
machten noch einen groͤßern Tumult in ſeinem
zerruͤtteten Herzen . Aus Mattigkeit fiel er
endlich in die Arme des Schlafs . Doch auch
der
der Schlaf eines Verliebten iſt Unruh ; denn
ſobald er das Bellen der Hunde und das Ra-
ſen des Windes nicht mehr deutlich vernahm ,
ſo bemaͤchtigten aͤngſtliche Ahndungen ſich ſei-
nes Gefuͤhls . Bald traͤumt’ er , ſeine be-
rauſchte Seele erhuͤbe ſich uͤber das Zenith
und begruͤßte unbekannte Gefilde . Dann
glaubte er wieder in einen bodenloſen Abgrund
zu ſtuͤrzen , ſchrie , ſtraͤubte ſich , ſtieß ſich an
den ſchlafenden Scheitel , und erwachte in ei-
nem ploͤtzlichen Schrecken . So ſteigt ein lu-
ſtiger Schwaͤrmer durch die dunkle Nacht in
einem Wirbel empor , wirft freundliche Stern-
chen von ſich , und brauſet unter den Wolken ;
bald darauf ſinkt er — nun ſinkt er , endet
ſein kurzes Geraͤuſch , und zerplatzt mit einem
laͤcherlichen Knall .
C 4 Drit-
Dritter Geſang .
S chon blitzten die Strahlen der Sonne ,
ein Schauſpiel unſerer itzt lebenden
Neutons , auf dem leeren Kopfe des Thur-
mes und der geputzten Coquette , die wie ein
wachſamer Feldherr ſchon fruͤh mit den ſor-
genden Gedanken ausgieng , welchen Poſten
ſie heute beſetzen , und welches Bollwerk ſie
heut erſtuͤrmen ſolte . Alle beruͤhmten Schlaͤ-
fer der Reſidenz , alle Hofjunker und Staats-
raͤthe waren erwacht . Einige verſchluckten
levantiſchen Coffee und blaͤtterten im Herrn
und Diener Eine bekannte Schrift des Hrn von Moſer . , oder bezeichneten , um nach
vollbrachtem Tage weiter zu leſen , dankbar
die ruͤhrende Stelle , bey der ihnen den Abend
vorher — die Gedanken in Schlaf uͤbergien-
gen . Mit edeln Eifer uͤbten ſich andere im
Stil-
Stillen die Zahlen der Wuͤrfel zu lenken ,
oder durch geſchwinde Folten ( ein myſtiſches
Wort ) ſich uͤber allen Wechſel des Gluͤcks zu
erheben . Die von fluͤchtigerm Gebluͤte flat-
terten ſchon uͤber das Pflaſter , um die blaſ-
ſen Fraͤuleins an der Toilette zu beſuchen ,
und ihnen durch maͤchtige Scherze rothe
Wangen zu ſchaffen . Aber noch immer
ſchnarchte der muͤde Magiſter ; ja , er wuͤrde
gewis den Endzweck ſeiner Reiſe , den ſo
wichtigen Beſuch bey dem Hofmarſchall ,
verſchlafen haben , haͤtte ihn nicht die kaͤufi-
ſche Stimme eines baͤrtigen Juden erweckt ,
der dreymal ſchon vergebens an die Stuben-
thuͤre klopfte .
Haben Sie etwas zu ſchachern ? ſchrie der
Ebraͤer gewaltig hinein , daß die Fenſter
erklangen , und der betaͤubte Magiſter in
die Hoͤhe fuhr . Der Unglaͤubige floh ; er-
ſchrocken ſah der ſchlaͤfrige Chriſt nach ſeiner
tombackenen Uhr , erſtaunte , daß es ſo ſpaͤt
C 5 war,
war , und warf ſich ſchleunig in ſeinen bepu-
derten Schwarzrock . Halb traͤumend lief er
uͤber die Gaſſen und ohne Vorbereitung , den
Complimenten des Hofmarſchalls entgegen .
Aber welche Muſe beſchreibt mir den Einzug
des frommen Pedanten in das vergoldete
Zimmer des glaͤnzenden Weltmanns ? Jn
einem Schlafrocke von Stoffe , der , o Wun-
der ! von eben dem Stuͤcke war , das auch
Wilhelminen ein Brautkleid geliefert , em-
pfieng er den Paſtor mit offner Stirne und
ſatyriſcher Mine , die ſein ſchlauer Diener
verſtund , der hinter dem Ruͤcken des armen
Magiſters die galante Falſchheit wiederlaͤ-
chelnd bewunderte . Mit Huſten und Scharr-
fuͤßen ſuchte der Supplicant den Eingang zur
Rede ; aber als Ceremonienmeiſter trat der
bellende Melampus ihm entgegen , noͤ-
thigte ihn ſtille zu ſtehen , und zerſtreuete
die hervorquellenden Worte , daß ſie un-
gehoͤrt vom Hofmarſchall ſich an den Spie-
geln
geln zerſtießen , und ihr Wiederhall den
bethenden Pfarrherrn in Angſt und Schre-
cken verſetzte . Endlich legte des Hofmanns
maͤchtige Stimme dem ergrimmten Cerbe-
rus Stillſchweigen auf . Gehorſam kroch
er zu den Fuͤßen ſeines Herrn , und leckte
ſchmeichelnd den ſaffianen Pantoffel . Dar-
auf wandte ſich die Rede zu dem immer
ſich buͤckenden Verliebten : „ Jch weiß ſchon
”Jhr Anbringen , lieber Herr Paſtor , iſt
”es nicht wahr ? Sie wollen uns unſere
”Willhelmine entziehen ? das ſchoͤnſte und
”ehrlichſte Maͤgdchen in dieſem ganzen Ge-
”biethe ! Habe ich es nicht errathen , Herr
”Paſtor ? Schon geſtern hat ſie mir ſelbſt
”Jhre Lieb ’ eroͤffnet , und mit verſchaͤmtem
”Geſichte um den gluͤcklichen Abſchied ge-
”bethen . Wohlan ! Jch werde kein Hinder-
”niß ihrer Neigung und beſcheidenen Bit-
”te in den Weg legen , wenn Sie mir
”anders eine kleine Bedingung verſprechen .
”Wer-
”— Werden Sie nicht unruhig , Herr
”Paſtor ! Es hat mich unſere Wilhelmi-
”ne gebethen , morgen ſelbſt bey Jhrer
”Hochzeit zu erſcheinen — Mit Vergnuͤ-
”gen will ich auch kommen , und will ſelbſt
”eine Geſellſchaft verſammeln , die Jhren
”Ehrentag glaͤnzender machen wird , als ei-
”ne Kirchmeß — eine Geſellſchaft , die mei-
”nem Stande gemaͤß iſt — wenn Sie
”— Denn dieß ſey die Bedingung —
”Wenn Sie die Tochter des alten Grafen
”von Nimmer vermoͤgen , dieſes Feſt zu be-
”leben . Er — der Jhr Nachbar iſt , und
”oft vor Jhrer Kanzel erſcheinet , wird ſich
”nicht weigern , ſeine holde Clariſſe auf
”die Hochzeit eines erbaulichen Predigers
”fahren zu laſſen — Der Comteſſe aber
”ſagen Sie heimlich : Jch wuͤrde darbey
”ſeyn . Auf meinen Befehl , der uͤber die
”fuͤrſtliche Kuͤche gebiethet , ſollen alsdann
”hundert fette Gerichte Jhre hochzeitliche
”Ta-
”Tafel ſchmuͤcken , und Maderg — Rhein-
”wein — Champagner und aͤchte Heremi-
”tage ſollen in Ueberfluß fließen , wie in
”der heiligen Verſammlung der Cardinaͤle ,
”wenn ſie eine ganze lange Woche hindurch
”in dem einſamen Conclave ſich weiſe gehun-
”gert , und nun das Oberhaupt der Kirche
”durch ein entſcheidendes Habet — habet —
”gewaͤhlt iſt . ”
Wie vergnuͤgt hoͤrte nicht der Verliebte
dieſe freundlichen Reden ! Gern und oh-
ne Anſtand verſprach er , dieſen leichten Be-
fehlen zu folgen , und ſich der hohen Eh-
re und Gnade wuͤrdig zu machen . Dar-
auf nahm er Abſchied , und ſchnappte nach
dem Zipfel des Schlafrocks ; aber mit hoͤfli-
chen geuͤbten Haͤnden ſchlug der Hofmar-
ſchall beyde Theile zuruͤck , ſtrich mit dem
Fuße aus , und empfohl ſich dem Schwarz-
rocke . Bald nach ihm trat Wilhelmine her-
ein , und brachte ihrem gnaͤdigen Goͤnner
Cho-
Chocolade mit perlendem Schaume ; da gab
ihr der Marſchall das Document ihrer Tu-
gend , den ehrlichſten Abſchied , ſauber auf
Pergament geſchrieben , und ſiehe da ! wel-
che großmuͤthige Gnade ! Er umarmte ſie
mit gefaͤlligen Haͤnden , und kuͤßte ſie zaͤrt-
lich . Eine ganze ſapphiſche Empfindung
ſtroͤmte durch ihr dankbares Herz , und trieb
ihren wallenden Buſen empor , daß der
blaßrothe Atlas zu kniſtern anfieng , der ihn
weit unter die Haͤlfte umſpannte . Ach welch
ein reizender Buſen ! o ſcherzhafte Muſe ,
beſchreib ihn ! Auf ſeiner linken Erhoͤhung
lag ein mondfoͤrmiges Schoͤnfleckchen an-
geheftet durch Gummi , von dem ein klei-
ner Liebesgott , immer mit drollichten Re-
verenzen die Blicke der Grafen und Laͤu-
fer — Laquayen und Freyherren , auf ſich
zog . Aber itzt erhob ſich dreymal die war-
me bebende Bruſt , und trennte die ge-
doͤrrte Muſche vom Gummi . Der kleine
Lie-
Liebesgott , mit ſammt ſeinem Geruͤſte ,
fiel — zwiſchen der Schnuͤrbruſt — un-
aufhaltſam hinunter , daß die Schoͤne ſchrie ,
und der ernſthafte Hofmarſchall wirklich zu
lachen anfieng . So faͤllt ein prahlender
Zahnarzt unter die morſchen Truͤmmer ſei-
nes Theaters , indem er mit ſtampfender Be-
redtſamkeit dem Poͤbel winkt , ſein Rattenpul-
ver zu kaufen . Sein erbaͤrmlich Geſchrey
und das laute Lachen des Volks betaͤuben den
Jahrmarkt , wenn ihn nun aus dem theuren
Schutte ſein buntſchaͤckichter Diener hervor-
zieht .
Mit einer bedeutenden Roͤthe rauſchte
bald die ſchoͤne Verlobte in die Verſamm-
lung der uͤbrigen Zofen des Hofs , die
ſchon ihre gluͤhenden Wangen beneiden ,
aber Wilhelmine vollendet ihrer aller Ver-
zweiflung , als ſie ihnen den papierenen
Triumph zeigt , den ſie itzt vom Hofmar-
ſchall erhalten . Aeußerlich klagen ſie zwar
ihre
ihre verkaufte Geſpielin : „ Ach du armes ver-
”blendetes Maͤgdchen ! So willſt du denn
”fern von den Freuden des Hofs , und fern
”von deinem verbraͤmten Amanten , in der
”Einoͤde des Landes dein junges Leben ver-
”ſeufzen — und nur von Bauern bewundert ,
”den ſtolzen Buſen erheben ? So willſt du
”denn in einer dunkeln geiſtlichen Huͤtte als
”Frau Magiſterin wirthſchaften ? Ach du ar-
”mes verblendetes Maͤgdchen ! ”
So klagten alle die Zofen den Abſchied der
erweichten Willhelmine , aber heimlichwuͤnſch-
te ſich jede , bald auch ſo beweinet zu werden ,
und in den ſichern Armen des weiblichen
Schutzgottes , des Hymen , den Wechſel des
falſchen Hofes zu lachen .
Vier-
Vierter Geſang .
A uf den Uhren war ſchon der Mittag vor-
uͤber , aber in den Haͤuſern der Groſ-
ſen brach er erſt mit feſtlichem Pomp’ aus
der Kuͤchen hervor — Hekatomben rauchten
ihm — Denn die mittaͤgliche Sonne hat
noch nicht ihre Anbether verloren — Mit
mehrerm Eifer , als wohl jemals ein aͤgy-
ptiſcher Prieſter gehabt , feyern ſie taͤglich
ihr Feſt , mit ſonnenrothen Geſichtern , bis
das wohlthaͤtige Licht den Kreis verlaͤßt , und
nun die ſtille Venus vom naͤchtlichen Him-
mel herabbiikt . Da erhub der geſaͤttigte
Pfarrherr ſeine geſtiefelten Beine , und trat
mit zerſtreuten Gedanken ſeinen beſtimmten
zwo Meilen langen Weg an ; Die alles
vermoͤgende Liebe hatt ’ itzt den gelehrten Ma-
giſter zu einem gemeinen Bothenlaͤufer ernie-
drigt , und er mußte , welche ſonderbare Be-
D din-
dingung — als ſein eigner Hochzeitbitter ,
noch ein zweytes Jawort erbetteln , ehe ſie
ihn gluͤcklich zu machen verſprach . Der hoch-
beſchneyte Weg ermuͤdete ſeine Knie , und
die duftende Kaͤlte candirte ſeinen ſchwarzen
Bart , und bracht’ ihm Zahnweh . Aber
noch ein groͤßeres Uebel , als Zahnweh und
Muͤdigkeit , lauerte in dem nahen Walde
auf ihn . Welcher boshafte Genius war es ,
der in Geſtalt eines Holzhackers dem Prie-
ſter entgegen kam ? Ein unſchuldiges unbe-
kuͤmmertes Geſicht , die Larve der Heuche-
ley , betrogen den heiligen Wanderer . ” Gu-
”ter Freund ! redete er ihn vertraulich an ,
”ſagt mir doch , iſt dieſes die rechte Straſ-
”ſe nach Rennsdorf , dem Ritterſitze des al-
”ten Grafen von Nimmer ? ” Ehrerbiethig
nahm itzt der Boshafte vor dem Schwarz-
rocke den Huth ab und ſagte : ” Wer Sie
”auch ſind — ehrwuͤrdiger lieber Herr ,
”ſo beklage ich Sie doch herzlich ; denn die-
”ſer
”ſer falſche Holzweg , auf welchem Sie
”wandeln , wird Sie weit von Rennsdorf
”ablocken ; und wenn endlich ſich die Schreck-
”niſſe der Nacht uͤber dieſe Heyde verbrei-
”ten , ſo muͤſſen Sie Jhren ermuͤdeten Koͤr-
”per einer abgelegenen Schenke — einer
”Spitzbubenherberge vertrauen . ” Da ſchlug
der erſchrockene Magiſter ſeine haarichten
Faͤuſte zuſammen . Lieber wuͤrd’ er auf ei-
nem Ameishaufen geſchlafen , oder wie ein
Zigeuner , den Anbruch ſeines Hochzeitfeſtes
in einer hohlen Weide erwartet haben , als
daß er einer Schenke das Vorrecht ge-
goͤnnt haͤtte , ſeine geweiheten Glieder zu
bedecken . ” O mein Freund , rief er , den
”mir noch zu rechter Zeit ein guter En-
”gel entgegen ſchickt , ach entfernt mich doch
”eilig von dieſem Fußſteige , der meine Ge-
”beine umſonſt ermuͤdet , und zeigt mir
”den richtigen Weg , und nehmt im vor-
”aus fuͤr eure Bemuͤhung ein dankbares
D 2 ”Trink-
”Trinkgeld an ! ” Hier zog er — gleich
einer alchymiſtiſchen Phiole , einen langen
Beutel heraus , der in der Farbe der Hoff-
nung kuͤnſtlich geſtrickt war . Ein billiger
Zwiſchenraum ſcheidete dreyßig Ephraimi-
ten von einer guͤldenen Madona . Jhres
innern Werthes gewiß , erwartete ſie ruhig
ihr verzoͤgerndes Schickſal , da ſich indeß
der juͤdiſche Haufe mit Geraͤuſche bis an
die Muͤndung des Beutels draͤngte , um
bald erloͤſet zu werden , und in einem un-
gewiſſen Courſe betruͤgeriſch zu wuchern .
Doch — indem n oc h der Paſtor die groß-
muͤthige Belohnung und das Verdienſt ei-
nes Wegweiſers berechnet , ſo verſchwindet
Baarſchaft — Tageloͤhner und Beutel ,
und der Gott der Kaufleute und Diebe ,
verbirgt den Raub und den hurtigen Raͤu-
ber in den Finſterniſſen des Waldes . Nun
erfuͤllt’ eine lange unharmoniſche Klage des
armen Magiſters die Luft : ” O du treu-
”loſer
”loſer Verraͤther , ſo ſchrie er , wenn du
”auch — der du einen Prieſter berau-
”beſt , den Dreyangel des Galgens , der
”Kuͤhhaut und den gluͤhenden Zangen ent-
”fliehſt — ſo wird dich doch dein boͤſes
”Gewiſſen und mein Fluch verfolgen , daß ,
”wenn das eiskalte Fieber deine Glieder
”zerruͤttet , dir keine bittere Eſſenz , und kein
”Kirchengebeth helfen ſoll , wenn du es
”auch mit einem Gulden bezahlteſt . Un-
”andaͤchtig geſprochen , wird es in der
”Atmoſphaͤre der Kanzel zerflattern , wie
”unſer Gebeth fuͤr den Roͤmiſchen Kaiſer
”und aller weltlichen Obrigkeit . ” So ſchrie
er und erholte ſich langſam unter einer
uͤberhangenden Eiche . Ungewiß durch die
Luͤgen des Raͤubers , ob dieſes der rechte
Weg ſey , uͤberließ er ſich furchtſam ſei-
nem Verhaͤngniſſe : doch die troͤſtende Lie-
be leitete ſeine zweifelhaften Fuͤße durch die
finſtere Nacht gluͤcklich in das labyrin-
D 3 thiſche
thiſche Schloß des Grafen . Der zeitige
Schlaf , und ein ſuͤßer Traum von einem
Capaune mit Auſtern , beherrſchte ſchon den
alten Gerichtsherrn , und es ſchliefen auch
ſchon ſeine alten Bediente , ob es gleich
erſt Neune geſchlagen . Des ankommenden
Fremdlings ehrwuͤrdige Krauſe floͤßte dem
Waͤchter des Hofs die ſchuldige Achtung
ein , daß er ihn , nachdem er ſein Ver-
langen erforſcht , bis an die Stube der
jungen Graͤfinn begleitete . Mit ihrer ver-
trauten Zofe , Sibylle genannt , ſaß die
muntere Comteſſe , den einen ihrer niedli-
chen Aerme auf ihrer verſchobenen Toilet-
te gelehnt , und in der andern hielt ſie ei-
nen vergoldeten zaͤrtlichen Brief , den ſie
erſt itzt an den Hofmarſchall , ihren Ge-
liebten , geſchrieben . Sie las ihn mit ge-
daͤmpfter Stimme ihrer critiſchen Freun-
dinn vor , die aufmerkſam zuzuhoͤren ſchien ,
und unmerklich nur gaͤhnte . Aber wer
kann
kan das Schrecken beſchreiben , das die-
ſe zwo weiblichen Seelen ergriff , als der
gekruͤmmte Zeigefinger des verſpaͤteten Pa-
ſtors an die Stubenthuͤre donnerte . Sie
glaubten gewiß , ein prophetiſcher Verdacht
habe die zaͤnkiſche Gouvernanntinn erweckt ,
die wie ein Policeyverwalter alles Unrecht
entdeckte , und dem alten Grafen verrieth .
Mit angenommener Freymuͤthigkeit , geboth
die betroffene Comteſſe ihrer Zofe , die ver-
ſchloſſene Kammerthuͤre hurtig zu oͤffnen :
doch ihr furchtſamer Wink widerſprach ih-
rem geſchwinden Befehle — Die kluge Si-
bylle verſtund ihn , gieng langſam zu Wer-
ke , klapperte ſcheinbar an der Thuͤre , und
ſchmaͤhlte entſetzlich auf das ſtrenge ver-
roſtete Schloß , da indeß ihre Gebietherinn
die noͤthige Zeit gewann , mit Eau de
Levante ihre Haͤnde zu waſchen , die hier
und da von der verraͤtheriſchen Dinte noch
glaͤnzten , und auch den anklagenden Brief
D 4 aus
aus dem Wege zu ſchaffen . Mit gegen-
waͤrtigem Geiſte , o wie liebenswuͤrdig ! er-
griff ſie ihn , zerquetſchte ſeinen durchſichti-
gen Cavalier und das Poſthorn , und klein
gedruͤckt , wie eine uͤbelſchmeckende Pille ,
warf ſie ihn hurtig unter das Bette ; Aber
wie dauerte ihr nicht der wohlgeſchriebene
Brief , als nur der nachbarliche Herr Pa-
ſtor zur Kammerthuͤre hereintrat . Einen
ſolchen Wechſel von heftigem Schrecken
und ſtiller Betruͤbniß empfand einſt der
freygeiſtiſche Desbarraux , als er ſich zur
Faſtenzeit einen Eyerkuchen erlaubte : Schon
hatte ſein erzkatholiſcher Diener , blaß wie
der Tod , das verbothene Gericht auf die
einſame Tafel geſetzt , als ein geſchwindes
Gewitter am Himmel heraufzog , und ein
erſchrecklicher Schlag die naͤſchichte Seele
betaͤubte , und ihm den erſten Biſſen im
Munde zu Galle verwandelte . Was das
fuͤr ein Laͤrmen um einen Eyerkuchen iſt !
ſchrie
ſchrie er halb unwillig , halb furchtſam ; er-
griff das rauchende Eſſen , und warf es
im Eifer auf die beregnete Gaſſe ; Aber
wie dauerte ihm nicht das verlohrne gute
Gericht , als das Gewitter voruͤber gieng !
Beſchaͤmt warf er ſich ſeine zaghafte Eil-
fertigkeit vor , und quaͤlte aufs neue den
aberglaͤubiſchen Koch , ihm ein anderes zu
backen .
Kaum hatte der keichende Pfarrherr ſei-
ne ermuͤdeten Fuͤße von dem niedrigen Arm-
ſtuhle geſtreckt , und mit gnaͤdiger Erlaub-
niß die beklemmende Weſte geoͤffnet , ſo
verrichtete er ſeinen Auftrag mit der un-
noͤthigen Vorſicht eines Pedanten ; Er li-
ſpelte heimlich der Graͤfinn und ihrer Ver-
trauten dieß anbefohlne Geheimniß ins Ohr :
Der gnaͤdige Herr Hofmarſchall werde da-
bey ſeyn — und keine , nein keine , als die
gegenwaͤrtigen Seelen , konnten dieſe myſti-
ſchen Worte vernehmen .
D 5 Welch
Welch ein Tiefſinn bedeckt ’ itzt mit den
Fittichen der Mitternacht das Cabinet der
ſchoͤnen Clariſſe ! Jhre erfindungsreiche Lie-
be ſtritt immer mit der ſchwerfaͤlligen Ein-
ſicht des Magiſters : doch beyde mußten
ſich der Erfahrung eines grauen Kam-
mermaͤgdchens unterwerfen . Anſchlaͤge wur-
den gefaßt , unterſucht , und durch neue ver-
draͤngt ! Lange gieng das wichtige Project ,
wie ein Wuͤrfel im Kreislaufe herum ,
ehe die aͤltliche Zofe mit der verſchmitzten
hohen Mine eines verſuchten Miniſters ,
ihre Gedanken in folgenden klugen Wor-
ten entdeckte ! „ Jtzt , ehrwuͤrdiger Herr , da
”ſich Jhre Augen nach Ruhe ſehnen , ſo
”hoͤren Sie kuͤrzlich meinen unmaßgeblichen
”Vorſchlag : Meine willige Stimme ſoll itzt
”dem Waͤchter des Hofes befehlen , daß ſein
”ſicheres Geleite Sie , den Windhunden vor-
”bey , in die Stube fuͤhre , die unſer Haus-
”hofmeiſter bewohnet . Dieſer wird gern ei-
”ne
”ne Nacht ſein Bette mit Jhnen theilen ,
”und morgen meldet er Sie bey dem gnaͤ-
”digen Grafen . Dann gehen Sie nur un-
”erſchrocken zu dem alten Papa ; er wird
”Sie gewiß Jhrer Bitte gewaͤhren ; denn
”er liebet Sie von Herzen , und Jhre kla-
”genden Jahrgaͤnge haben ſeine hypochon-
”driſche Bruſt mit Ehrfurcht fuͤr Sie , Herr
”Paſtor , erfuͤllet . Alſo ſchlafen Sie ſanft !
”bis die Morgenroͤthe Jhre geſtaͤrkten Glie-
”der zum froͤhlichen Hochzeitfeſte erweckt ! „
Ein guͤtiger Lobſpruch aus dem roſenfar-
benen Munde der Graͤfinn belohnte die
Einſicht der Zofe — Auch der Magiſter
wollte ihr gern ſeinen Beyfall daruͤber be-
zeigen , aber ſeine Worte verwandelten ſich
in gaͤhnenden Mislaut , daß er zur Huͤl-
fe ein beredtes Kopfnicken rief . Jn we-
nig Minuten war jeder wichtige Umſtand
nach Sibyllens Sinne geendet . Der Haus-
hofmeiſter beherbergte den ſchnarchenden
Magi-
Magiſter , und die dunkelbraune Nacht ver-
barg ſeine heimliche Ankunft unter ihrem
Schleyer vor der mistrauiſchen Gouvernan-
tinn und vor dem murrenden Hofhunde .
Der volle Morgen hatte den hochgebohr-
nen Gerichtsherrn erweckt . Jtzt uͤberdenkt er
noch im Bette den Zuſtand ſeines Magens
und fordert mit ſchwelgeriſcher Neugier den
fruͤhen Kuͤchenzettel — Da tritt der Haushof-
meiſter herein , und meldet ihm die Beherber-
gung des verſpaͤteten Pfarrherrn , und wie er
itzt , voller Verlangen , Jhro Graͤfliche Gnaden
zu ſprechen , vor der Kammerthuͤre lauſchte .
„ Je , willkommen , werther Herr Paſtor , will-
”kommen ! „ ſchrie der Graf dem Verliebten
entgegen ! Buͤckend trat dieſer vor das Vor-
hangbette des Grafen , und ſein ſchwerer Athem
blies ſogleich die hochzeitliche Bitte hervor , die
er mit einer Menge von Wuͤnſchen beſchloß ,
worzu ihm der Wechſel der Zeit die beſte Ge-
legenheit darboth . Bey ſtarkem ungeduldi-
gem
gem Herzklopfen wartete er nun , bis der Mor-
genhuſten des ſtotternden Grafen ſich legte —
als er auf einmal dieſe deutliche Antwort ver-
nahm : „ O ſehr gern will ich meiner Tochter
”das Vergnuͤgen erlauben , an Jhrem Ehren-
”tage , lieber Herr Paſtor , im ſchoͤnſten Putze
”zu glaͤnzen . Der prieſterlichen Aufſicht uͤber-
”laſſen , iſt ihre Tugend ſicherer , als unter
”meinem eigenen Dache . Ja , mein Freund ,
”verlaſſen Sie ſich darauf , ſie ſoll Nachmit-
”tags mit ſechs ruͤſtigen Pferden vor Jhrer
”Hausthuͤre erſcheinen , und das Hochzeitge-
”ſchenk will ich ſelber beſorgen . Damit aber
”auch Sie , mein Lieber , ſich nicht vor Jhrer
”nahen Hochzeit ermuͤden , oder wieder be-
”ſtohlen werden , und ſich im Walde verirren ,
”ſo ſoll meine geſchwinde Jagdchaiſe Sie itzt
”Jhren erwartenden Geſchaͤften zuruͤck fuͤh-
”ren , und meine aufrichtigen Wuͤnſche ſollen
”Jhnen folgen . „ Da ergriff der entzuͤckte
Magiſter die ſchwere Hand des Grafen von
Nim-
mer , kuͤßte ſie hundertmal , und benetzte ſie mit
Thraͤnen der Freude , die uͤber ſeinen ſtachlich-
ten Bart herunter rollten , wie ein ploͤtzlicher
Sonnenregen uͤber die glaͤnzenden Stoppeln
der Felder . Wie rechtmaͤßig war dieſe Freu-
de ; denn nach dieſem Orakelſpruche endigte
ſich alle ſein Leiden . Halb war nun ſchon
die Bedingung des Hofmarſchalls erfuͤllt , und
fuͤr die andere Haͤlfte wird die ſchoͤne Clariſſe
ſchon ſorgen . Mit einem ſegnenden Compli-
mente verließ er die Stube des Grafen . An
der Treppe lauerte die verſchmitzte Sibylle
auf ihn , und erforſchte den Ausgang der
Sache . Mit zwey kurzen Worten entdeckt’
er ihr die gnaͤdige Erlaubniß ſeines Patrons ;
und indem er ſich in die Chaiſe warf , flog
die erfreute Zofe zu ihrer Gebieterinn . Nun
beſchaͤftigte die Wahl eines reizenden Putzes
den ganzen Vormittag beyde weibliche Her-
zen , und alles lag ſchon in der ſchoͤnſten Ord-
nung , ehe der langſame Alte ſeiner Tochter
die
die Bitte des Braͤutigams , und ſeine eigene
vaͤterliche Erlaubniß anzukuͤndigen glaubte .
Sie hoͤrte ihn an , als ob ſie von nichts wuͤßte ,
und bedankte ſich gleichguͤltig fuͤr die vergoͤnn-
te Spatzierfahrt — und leichtfertig erkundig-
te ſie ſich nach den uͤbrigen Gaͤſten der prie-
ſterlichen Hochzeit : doch der gute Alte wußte
ihr keine Nachricht zu geben . „ Wer wird
”dabey ſeyn , ſprach er , als ſeine Confratres
”vom Lande ! „ Jndeſſen klopfte das Herz der
jungen Graͤfinn ungeduldig nach ihrem lie-
ben Hofmarſchalle , bis der geſchaͤfftige Putz
die langen Minuten vertrieb , und ein ſanf-
ter Wagen die freundliche Goͤttinn , nebſt ihrer
vielfarbichten Jris aufnahm , und zu dem Ho-
fe des traurigen Schloſſes hinaus flog .
Fuͤnfter
Fuͤnfter Geſang .
D er gluͤcklich angelangte Magiſter fand
ſeine beroſtete Pfarre zu einem Pala-
ſte verwandelt , als er hinein trat . Ein Du-
tzend Bediente ſeines gnaͤdigen Goͤnners hat-
ten in ſeiner Abweſenheit die herkuliſche Ar-
beit unternommen , Stuben und Kammer zu
ſaͤubern , und in der Kuͤche herrſchte ein an-
ſehnlicher Koch , deſſen eigenſinnige Befehle
tauſend Geraͤthe verlangten , deren Namen
noch nie in dieſem Dorfe waren gehoͤrt wor-
den . Seine donnernden Fluͤche flogen in der
heiligen Kuͤche herum , daß der erſchrockene
Pfarrherr mit einem Schauer vorbey gieng ,
ſich in ſein ruhiges Muſeum ſetzte , und das
Geſangbuch zur Hand nahm . Als ein Fremd-
ling in ſeiner eigenen Behauſung , getraute er
ſich nicht , itzt von dem vornehmen Koche et-
was zu eſſen zu fordern ; lieber verſaͤumte er
das
das Mittagsmahl , und troͤſtete ſich politiſch mit
dem froͤhlichen Soupe .
Die dritte critiſche Stunde des Nachmit-
tags brach an , und lud durch ihren Glanz den
Neid des ungebethenen Superintendenten und
aller Amtsbruͤder auf den Hals des armen
Verlobten . Strenge dich an , Muſe ! und
hilf mir das Gewuͤhl der Vornehmen beſchrei-
ben , die ſich itzt in das Haus des Pfarrherrn
ſammelten . Zuerſt erſchien der lackirte Schlit-
ten des Hofmarſchalls , an der Spitze vieler
andern . Vier deutſche Hengſte , chineſiſch ge-
ſchmuͤckt , zogen ihn , und ein vergoldeter Ju-
piter regierte den Kutſcher — Ein muſikali-
ſches Silbergelaͤute huͤpfte auf dem Ruͤcken
der Pferde , indem unter ihren ſtampfenden
Fuͤßen die froͤhliche Erde davon flog . Schon
von ferne erkannte der zitternde Pfarrherr ſei-
nen Goͤnner , und an ſeiner Rechten die geputzte
Braut . Mit unbedachtſamer Hoͤflichkeit gieng
er dem fliegenden Schlitten entgegen — aber
E ſein
ſein ſchnurbaͤrtiger Fuͤhrer wendete mit ſeinen
vier Schimmeln in vollem Trabe um , daß der
Magiſter , mit verzerrtem Geſichte , eilig wie-
der zuruͤck ſprang . Mit majeſtaͤtiſchem An-
ſtande ſtieg nun die einnehmende Willhelmine
von dem ſammtenen Sitze . Zum erſten-
male — aber auch zum letzten , verrieth ſich
der kleine vorgeſtreckte Fuß bis an die Hoͤhe
des geſtickten Strumpfbandes ; denn ſo bald
ſie ausgeſliegen war , umrauſchte ein buntfar-
biger Stoff die verdeckten Schoͤnheiten . Ei-
ne ſchneeweiße tuͤrkiſche Feder blaͤhte ſich auf
ihre gekraͤuſelten Haare , und bog ſich neugie-
rig uͤber ihren wallenden Buſen , der unter
den feinen Spitzen aus Brabant hervorblickte ,
wie der volle Mond hinter den Sproͤßlingen
eines jungen Orangenwaͤldchens . Nach ihr
ſprang der anſehnliche Hofmarſchall unter die
Menge der erſtaunten Bauern , die heute Ar-
beit und Tagelohn vergaßen , um das Feſt ihres
Hirten zu begaffen . Ein gewaͤſſertes Band
hieng ſchief uͤber den Lazurblauen Sammt ſei-
nes
nes Kleides ; und der milde Einfluß ſeines Ge-
ſtirns zeigte ſich auf allen Geſichtern , und
noͤthigte dem unhoͤflichſten Treſcher den Huth
ab . Alle Blicke wandten ſich itzt einzig auf
den geſtirnten Herrn — nicht einer fiel mehr
auf Willhelminen . Dieſe werden wir noch
oft , dachten die Bauern , als Frau Magiſte-
rinn bewundern , aber einen Hofmarſchall ſieht
man nicht alle Tage . So vergißt man das
alles beſcheinende Licht des Olymps , wenn eine
ſeltene Nebenſonne erſcheint , die ploͤtzlich ent-
ſteht und verſchwindet .
Ein anderer Schlitten , unter dem Zeichen
des Mars , der ( eine ſeltſame Erfindung des
witzigen Bildhauers ) auf einem Ladeſtock ritt ,
lieferte zween aufgeduͤnſtete Muͤßiggaͤnger am
Hofe , Kammerherren genannt . Einſt hatten
ſie in ihrer Jugend als hitzige Krieger einen
einzeln furchtſamen Raͤuber verjagt , und ſich
und dem geaͤngſteten Prinzen das Leben er-
rettet . Zur Belohnung hatten ſie ſich dieſes
E 2 unthaͤ-
unthaͤtige Leben erwaͤhlt , genoſſen einer feiſt-
machenden Penſion , erzaͤhlten immer die große
That ihres Soldatenſtandes — und goͤnnten
gern ihre laͤrmende Gegenwart einem jeglichen
Schmauſe . So lebten einſt die Erhalter des
Capitols , die dummen Gaͤnſe , von den Wohl-
thaten der dankbaren Roͤmer ; ohne Furcht ,
geſchlachtet zu werden , fraßen ſie den ausge-
ſuchteſten Waizen von Latiums Feldern , fuͤr
einen wichtigen Dienſt , den eine jede andere
ſchnatternde Gans mit eben der Treue verrich-
tet haͤtte . Der fluͤchtige Mercur und vier
ſchnaubende Rappen brachten die pygmaͤiſche
Figur eines affectirten Kammerjunkers gefah-
ren . Stolz auf einen eingebildeten guten Ge-
ſchmack , erſetzten ſeine reichen Kleider den Man-
gel ſeines Verſtandes . Zuverſichtlich beſah
er heut eine glaͤnzende Weſte , die , wie die weiſ-
ſe Wamme eines drollichten Eichhoͤrnchens ,
unter ſeinem rothpluͤſchnen Rocke hervorleuch-
tete ; und troͤſtlich dacht’ er an die Verdienſte
der
der weit koſtbarern zuruͤck , die ſich noch in ſei-
ner Garderobe befanden . Ein paar blitzen-
de Steinſchnallen , und eine Doſe von Saint-
Martin erſchaffen , waren ihm das , was einem
rechtſchaffenen Manne ein gutes Gewiſſen
iſt — ſie machten ihn zufrieden mit ſich ſelbſt ,
und dreuſt in jeder Geſellſchaft . Jtzt lief er
gebuͤckt in die Pfarre hinein ; gebuͤckt , als ob
ſein kleiner Koͤrper befuͤrchtete , an die altvaͤte-
riſche Hausthuͤre zu ſtoßen , die gothiſches
Schnitzwerk verbraͤmte . Nun aber kam un-
ter der Anfuͤhrung einer gefaͤlligen Minerva
ein einzelner vernuͤnftiger Mann gefahren , der
wenig geachtet von den Weiſen des Hofs den
Befehlen ſeines Herzens mit ſtrengem Eigen-
ſinne folgte . Nie erniedrigte er ſich zu der
Schmeicheley , und nie folgte er der Mode des
Hofes , die das Hauptlaſter des Fuͤrſten zu ei-
ner Tugend erhebt , und durch Nachahmung
billigt ; Vergebens — ( Konnt ’ es wohl anders
ſeyn ? ) hofft’ er in dieſem Getuͤmmel ein nahes
E 3 Gluͤck,
Gluͤck , hier wo man nur durch feine Raͤnke
gewinnt , und wo die Blicke der Großen mehr
gelten , als ein richtiger Verſtand und Tugend
und Wahrheit . Ziſchet ihn aus — ihr Lieb-
linge des Hofes ! Was helfen ihm alle ſeine
Verdienſte ? Daß ſie einſt vielleicht , in Stein
gehauen , auf ſeinem Grabmaale ſitzen und
weinen ? O wie thoͤricht ! den Gebothen des
Himmels zu gehorchen , wo ein Fuͤrſt befiehlt ,
und auf dem einſamen Wege der Tugend zu
wandeln , wo noch kein Hofmann eine fette
Pfruͤnde erreicht hat . Wenn eine falſche
ſchwankende Uhr des Stadthauſes den Vor-
urtheilen der Buͤrger gebiethet , ſo betriegt uns
oft unſere wahre Kenntniß der Zeit um ihren
Gebrauch ; denn hier , wo ein jedes dem all-
gemeinen Jrrthume folget , den eine ſummen-
de Glocke ausbreitet , und die entfernte Sonne
fuͤr nichts achtet , was hilft es hier dem gewiſ-
ſen Sternſeher , daß er ſich allein nach ihren
Befehlen richtet — und den Wahn der Stadt
verlachet
verlachet — und ſeine Stunden nach der Na-
tur mißt ? Mit allen ſeinen Calendern wird
er bald ſein Mittagsmahl — bald den Beſuch
bey ſeiner Geliebten und bald den Thor-
ſchluß verſaͤumen .
Zween wuͤrdige Geſellſchafter beſchloſſen den
Einzug in einem alten Schlitten , den ein
unſcheinbares Bildniß beſchwerte — Ob es
einen nervigten Vulcan oder einen aufgeblaͤh-
ten Midas vorſtellte , war fuͤr die Kunſtrichter
ein Raͤtzel . Ein halbgelehrter Patritius , eh-
maliger Hofmeiſter des Marſchalls , am Stan-
de , ſo wie an Wiſſenſchaft , weder Pferd noch
Eſel — nahm die eine Haͤlfte des bretternen
Sitzes ein , und auf der andern ſaß ein grauge-
wordener Hofnarr , der muͤhſam den ganzen
Weg hindurch auf Einfaͤlle dachte , in Verſen
und Proſa , die hohe Geſellſchaft zu erluſtigen :
aber ſein leerer Kopf blieb ohne Erfindung .
Oft weinte der Arme , daß ſein Alter ihm das
Ruder aus den Haͤnden wand , das er ſo lange
E 4 gluͤck-
gluͤcklich regieret , und um welches ſich itzt der
fuͤrſtliche Laͤufer , der Oberſchenk und eine dicke
Tyrolerinn riſſen .
Niemand ward mehr erwartet , als die jun-
ge Comteſſe . Der Hofmarſchall ſtund unbe-
weglich an dem offenen Fenſter , und ſeine feu-
rigen Blicke fuhren , durch ein ungeduldiges
Fernglas , auf den Weg hin , wo die ſchoͤne
Clariſſe herkommen ſollte . Wimmernd rang
der angſtvolle Magiſter die Haͤnde , und ver-
ſicherte ohn’ Aufhoͤren den argwoͤhniſchen Hof-
mann : „ Die junge Dame werde gewiß kom-
”men . Ach ! ſagte er , ſie hat mir ja mit der
”aufrichtigſten Mine verſprochen , meine ſchwe-
”re Bedingung erfuͤllen zu helfen , und ſie wird
”mich gewiß nicht in meinen Noͤthen verlaſſen . „
Unterdeſſen war auch ſchon der theure Mann
angelanget , der dieß Brautpaar feſter verbin-
den ſollte . Auf dem benachbarten Dorfe , wo
niemand die Reizungen einer Willhelmine
kannte , hatt’ er von den drey Seiten ſeiner
hoͤlzer-
hoͤlzernen Kanzel trotzig gefragt : Ob jemand
wider das Aufgeboth ſeines Freundes etwas
einzuwenden haͤtte ? Und dreymal hatt’ er die
Verleumdung mit dieſen maͤchtigen Worten ge-
bannt : Der ſchweige nachmals ſtille ! Sein
frommfarbichter Mantel bedeckt’ ein wildes
Herz ; ohne Neigung war er ein Geiſtlicher ,
und ward ſelbſt in einem Amte mager , das ſeit
dreyhundert Jahren die Schwindſuͤchtigen fett
gemacht hatte . Mosheim und Cramern kannt’
er nicht : er ſprach aber gern von dem Gene-
ral Ziethen und von dem Treffen bey Roßbach .
Seine Bauern , wild wie er ſelbſt , konnt’ er
lange nicht durch die Bibel bezaͤhmen — denn
er verſtund ſie nicht — aber es gluͤckte ihm
nach einer neuern Methode . Denn eh’ er ſei-
nen Rednerſtuhl beſtieg , beſah er ſein floren-
tiniſches Wetterglas , und rief prophetiſch alle
die Veraͤnderungen von ſeiner Kanzel , die es
ihm ankuͤndigte . Bald wahrſagt’ er der un-
gezogenen Gemeinde Regen und Wind in der
E 5 Heu-
erndte : bald aber begluͤckt’ er ſie , zum Troſte ,
mit einem warmen Sonnenſchein in der Wein-
leſe . Die geruͤhrten Bauern bewunderten den
neuen Propheten , beſſerten ihr Leben , und be-
ſetzten ſeit dem alle Stuͤhle der Kirche . Nach
einer langen gefeyerten Pauſe — erſchien end-
lich die erſeufzte Goͤttinn , koͤſtlich in ihrem
Schmucke , und wunderſchoͤn von Natur ; und
welch ein Gluͤck fuͤr den Hofmarſchall ! ohne
Gouvernantinn erſchien ſie . Die Furcht vor
einem Hochzeitgeſchenke hatte dieſe geizige See-
le zuruͤck gehalten ; und die ſonſt nie von der
Seite ihrer jungen Dame wich , uͤberließ heute
zum erſtenmale den langbewahrten Schatz ei-
nem liſtigen Geliebten , der als ein alter Poli-
ticus , die Zeit zu gebrauchen weis . Mit
funkelnden Augen empfieng er die Schoͤne , auf
deren Wangen ſich eine warme Roͤthe verbrei-
tete , da ſie ihm die glaßirte Hand reichte , die
auch ſchon in dem Augenblicke zaͤrtlich gedruͤckt
war . Und nun war die ganze Bedingung
erfuͤllt,
erfuͤllt , die das Schickſal des armen Dorf-
pfarrn beſtimmte . Die vornehme Verſamm-
lung begleitete ihn zur vollen Kirche , wo er
durch ein vielbedeutendes Ja ! vor der ganzen
Gemeinde geſprochen , von ſeiner reizenden
Braut alle die myſtiſchen Rechte der Ehe , und
das beſchloſſene Gluͤck und Ungluͤck ſeines ge-
feſſelten Lebens , mit Freuden empfieng .
Mit zuruͤckhaltender Beſcheidenheit , erhielt
auch Sie von ſeinen Lippen das Blanket der
Liebe , worauf die eigenſinnige Zeit ihre
Befehle ſchreiben wird , die kein Thraͤnen-
guß ausloͤſcht . Ein geheimer Neid ſaß in
den glatten Stirnen und in den Runzeln
der weiblichen Gemeinde : aber die Maͤn-
ner blickten ihren beweibten Hirten mit laͤ-
chelndem Mitleid an ; denn die Erinne-
rung ihres ehmaligen gluͤcklichen Traums ,
der heut’ auch uͤber ihrem Pfarrherrn ſchweb-
te — und das wache Bewußtſeyn ihres
itzigen Schickſals bracht’ ein ernſthaftes
Nach-
Nachdenken in ihre Gemuͤther . Und nun
beſaß der Begluͤckte ſeine Beute , die ihm
kein Sterblicher wieder entreiſſen konnte .
Nun hab’ ich ſie endlich erhaſcht , die froͤh-
lichen Minuten , dacht’ er , die mir vier
Jahre lang entwiſcht waren ; und voll Em-
pfindung ſeines Gluͤcks , druͤckt’ er oft ſei-
ner angetrauten Willhelmine die kleine
Hand , und fuͤhrte ſie mit triumphirender
Naſe nach Hauſe . Aber ein wunderlicher
unverſehner Gedanke , der ſich wider alles
Vergnuͤgen auflehnte , ſtieg itzt aus dem
klopfenden Herzen der armen Verlobten
empor — Jſt dieß nicht , ſeufzte ſie bey
ſich ſelbſt , das Leichengepraͤnge deiner Schoͤn-
heit ? Klaͤgliches Geſchenk der Natur , das
keinem weniger hilft , als der es beſitzt !
Was fuͤr unruhige Tage haſt du mir nicht
verurſacht ! und itzt begraͤbſt du mich ſo-
gar in einer ſchmutzigen Pfarre ? Wie ver-
ſchieden waren hier nicht die Begriffe der
Schoͤ-
Schoͤne und ihres Vermaͤhlten ! Wo ſoll ich
ein Gleichniß hernehmen , ihren Eigenſinn und
ſeine gierige Liebe deutlicher zu machen ? Meine
Muſe hilft mir — Hier iſt es : So uͤberholt
ein unermuͤdeter Windhund die abgemattete
Haͤſinn , wenn er ſie von der Seite ihres ver-
liebten Ramlers geſtoͤrt , und durch Buͤſche und
Suͤmpfe verfolgt hat — und ſo faͤllt ſie — die
arme Haͤſinn , und ſieht noch , mit ſterbenden
Augen , manchen ſtattlichen Jaͤger ſich um ihr
Wildpret verſammlen — Einer betrachtet es
noch mit ſpottenden Minen ; ein anderer be-
fuͤhlt es , und da daͤchte ſie , wenn Haͤſinnen
denken koͤnnten , gewiß : Welch ein trauriges
Verdienſt iſt es — ſchmackhaft zu ſeyn ! Wuͤr-
de wohl mein kurzes Leben , durch hundert Re-
viere gejagt , noch endlich unter dem Biſſ ’ eines
duͤrren Windhundes verfliegen , wenn ich kei-
ne Haͤſinn waͤr’ , und kein beſſer Fleiſch beſaͤß ,
als ein Maulwurf .
Ein mathematiſcher Furier hatt ’ indeß die
hochzeit-
hochzeitliche Tafel geordnet . Ehe man ſich
ſetzte , bewunderte man ſeinen Geſchmack in ei-
ner minutenlangen . Stille , und faltete dabey
die Haͤnde . Schimmernder Wein , der , wie
die Begeiſterung der Liebe , nicht beſchrieben ,
nur empfunden werden muß , blickte durch den
geruchvollen Dampf der theuern Gerichte , wie
das Abendroth unter dem aufſteigenden Ne-
bel hervor .
Jtzt ergriff der geſtirnte Hofmarſchall die
warme weiche Hand der blauaͤugichten Will-
helmine , fuͤhrte ſie an die oberſte Stelle der
Tafel , und bath den dankbaren Schwarzrock ,
ſich neben ſeiner Goͤttinn zu ſetzen , und nicht
durch den Zwang eines Neuvermaͤhlten die
Freuden der Tafel zu ſtoͤren . Ach ! wie giebt
hier die veraͤnderliche Zeit ihr Recht zu erken-
nen ! Er — der ehemals dem weinenden Pfarr-
herrn ſeine Geliebte entzog , giebt ſie ihm itzt
bey einem freygebigen Gaſtmahle geputzt und
artig wieder zuruͤck , und macht ihm alle ſein
ausge-
ausgeſtandenes Leiden vergeſſen . So uͤber-
ſchickt’ einſt der große Agamemnon ſeine Chri-
ſeis dem belorberten Prieſter des Apoll , die
der koͤnigliche Liebhaber der vaͤterlichen Sehn-
ſucht lange Zeit vorenthielt . Praͤchtige Ge-
ſchenke , und eine Hekatombe mußten den Alten
troͤſten , und ſeinen Gott verſoͤhnen , und in ho-
hen Toͤnen beſang der Dichter der Jlias dieſe
Geſchichte , wie ich itzt die Hochzeit eines Ma-
giſters beſinge :
Der Schmaus gieng an ! Ein koͤſtliches Ge-
richt verdraͤngte das andere , und Bachus und
Ceres tanzten um den Tiſch her . Der frey-
muͤthige Scherz , die feine Spoͤtterey , und das
froͤhliche Laͤcheln , vertrieben unbemerkt die tau-
melnden Stunden des Nachmittags , und der
Geiſt der Comteſſe und des Champagners
durchbrauſte die fuͤhlbaren Herzen der Gaͤſte .
Alles war munter und froͤhlichen Muths . Nur
der Magiſter und der Hofnarr — immer ihres
Amtes eingedenk , ſaßen unruhig an der frohen
Tafel
Tafel . Den einen uͤberfiel bald ein theologi-
ſcher Serupel , bald ein Gedanke ſeiner kuͤnfti-
gen Liebe ; und der andere aͤngſtete ſich heim-
lich , daß es in ſeinem Gehirne ſo finſter , wie
eine durchnebelte Winternacht , ausſah . Wie
oft buhlt’ er vergebens um das belohnende
Laͤcheln des Marſchalls , und wie oft verfolgte
ſein ſchwerer Witz die fluͤchtigen Reden des luſti-
gen Kammerjunkers ! aber eh’ er ſie erreichte ,
waren ſie von der Geſellſchaft und von dem Red-
ner ſelber vergeſſen , und mit Verdruſſe nahm
er wahr , daß niemand ſeine Einfaͤlle begriff ,
und alle ſeine witzige Muͤhe verloren gieng .
Ein alter hungriger Wolf ſchleicht ſo dem Fuch-
ſe nach , der unbekuͤmmert durchs Gras ſcherzt ,
den verdruͤßlichen Raͤuber bald nach dieſer bald
nach jener Seite hinlockt , und endlich doch ſei-
ner groben Tatze entwiſchet . Zur Erholung
der geſaͤttigten Gaͤſte , deren immer ſich anſtren-
gender Witz manchmal ſchlaff zu werden be-
gonnte , rief der kluge Hofmarſchall den Ver-
ſtand
ſtand des ſinnreichen Conditors zur Huͤlfe , der
ſo oft ſeine Wirkung zeigt , wenn die langwei-
ligen Reden des Fuͤrſten ſeinen Hof einzuwie-
gen bedrohen — Und — Auf einmal reizt ’ eine
uͤberzuckerte Welt die weiten Augen der Gaͤ-
ſte . Faunen und Liebesgoͤtter und nackende
Maͤgdchens , in einem poetiſchen Brennofen
gebildet , ſcherzten ohn’ Aufhoͤren im funkeln-
den Graſe . Jn der Mitten entdeckte ſich ei-
ne lachende Scene , unter einer hohen arkadi-
ſchen Laube , von ewigem Wintergruͤn : Die
porzelane Zeit war es , die mit einer furchtba-
ren Hippe den zerbrechlichen Amor in der Lau-
be herumjagte — O wie wird es ihm gehen ,
wenn er ſich einholen laͤßt ! denn der kleine loſe
Dieb hat der Zeit ihr Stundenglas liſtig ent-
wendet , und ſchuͤttelt den Sand darinnen un-
ter einander , woruͤber die hohe Geſellſchaft ſich
inniglich freute . Ein voller Teller luſtiger Ein-
faͤlle , in buntem Kraftmehle gebacken , ſtreute
neues Vergnuͤgen uͤber die Tafel . Welche
F Ver-
Vermiſchung von Dingen ! Stiefeln und Un-
terroͤcke , Fernglaͤſer und Schnuͤrbruͤſte , Kuͤ-
raß’ und Palatins , Spiegel und Larven , klap-
perten unter einander . Jedes oͤfnet’ eine Fi-
gur , die ihm das Ohngefaͤr oder ſeine Neigung
in die Hand gab ; und die ausgewickelten O-
rakelſpruͤche wurden laut geleſen . Ein Putz-
kopf lieferte dem Hofmarſchal eine feurige Lie-
beserklaͤrung — Laͤchelnd ſah er ſeine graͤfliche
Nachbarin an , und uͤberreichte ihr die bunten
Looſe . Sie ergrif einen Federhuth , und las
ſtotternd eine prophetiſche Beſchreibung des
verliebten Meineids ab . Furchtſam gab ſie
den Teller von ſich — Ein ungeſalznes Epi-
gramm auf den Hymen , lag in einem Stroh-
huthe gehuͤllt , und ward von dem Kammer-
junker aus ſeinem Staube gezogen , und mit
lautem Lachen ausgepoſaunt — Die loſe Will-
helmine zerrieb eine Knotenperuͤcke , die in
Knittelverſen den Kammerjunker wuͤrdig wi-
derlegte — Nach ihr ergrif , aus verliebter
Ahn-
Ahndung , der Magiſter ein ſchneeweiſſes Herz ,
worein eine witzige 3 geaͤtzt war . Bedaͤcht-
lich oͤfnet’ er es , und fand dieſe wenigen Wor-
te : Jch liebe einen um den andern — Wer
haͤtt’ es dieſem falſchen Herzen anſehen ſollen ,
rief er voller Verwunderung , und klebte muͤh-
ſam die beiden Haͤlften wieder zuſammen .
Alle noch uͤbrige Deviſen wurden von den
beiden Kammerherren und dem Hofnarren
zerknickt , die ganz ſtill die noch verborgenen
Schaͤtze des Witzes fuͤr ſich einſammelten , wie
der Geizhals das wohlfeile Korn auf die
theuren Zeiten der Zukunft .
Die verdriesliche Langeweile fieng wieder
an , den angenehmen Laͤrm der Geſellſchaft zu
unterdruͤcken , als der ſchlaue Hofmarſchal es
zeitig bemerkte , und ein frohmachendes Hoch-
zeitgeſchenk aus ſeiner Taſche hervorzog . Er
wickelt’ es aus dem umhuͤllten Papier , und
ermunterte die uͤbrigen Gaͤſte , ſeinem Beiſpie-
F 2 le
le zu folgen . Ungezwungen ſtellt’ er ſich hin-
ter den Stuhl der angenehmen Braut , und
hieng ihr ein demantenes Kreuz um , das an
einem ſchwarzmoornen Bande zwiſchen dem
ſchoͤnen Buſen hinunter rollte — O was fuͤr
ein Bewußtſeyn durchſtroͤmt ’ itzt die blutvol-
len Wangen der Schoͤne ! Mit ungewiſſer
Stimme dankte ſie dem galanten Herrn .
Lange konte ſie nicht ihre widerſtrebende Au-
gen in die Hoͤhe ſchlagen , und die unzeitige
Schaam brachte ſie in eine kleine Verwirrung .
Ein ſolches Gefuͤhl durchdringt oft die treu-
loſe Bruſt eines Hofmannes , wenn ſie nun
zum erſtenmale unter dem gnaͤdigſt ertheilten
Ordensſterne klopfet . Furchtſam glaubt’ er ,
die Gemahlin des Fuͤrſten moͤchte das Ver-
dienſt errathen , das ihm dies Ehrenzeichen er-
warb . Selbſt denen ihm unbekanten laconi-
ſchen Worten des Sterns trauet er nicht , und
er wird es nicht eher wagen , ſich unter ſeine
Neider zu bruͤſten , bis ihm ſein troſtreicher
Schrei-
Schreiber die goldenen friedlichen Buchſta-
ben verſtaͤndlich gemacht hat .
Was fuͤr koͤſtliche Geſchenke haͤuften ſich
nicht in dem Schooſe der gluͤcklichen Wilhel-
mine — Spitzen und Ringe und Doſen und
kuͤnſtliche Blumen — Ach dachte der Paſtor
— Ach ! ſo viel Reichthum habe ich ja in
meinem zehnjaͤhrigen beſchwerlichen Amte
nicht geſammelt — und wie wunderbar ! als
Herr ſeines Weibes dankt’ Er — auch Er !
ſeinen grosmuͤthigen Goͤnnern fuͤr dieſe Ge-
ſchenke . Man ſah’ es an dem ſatyriſchen Laͤ-
cheln der Gaͤſte , wie gut ſeine froͤlichen Dank-
ſagungen angebracht waren .
F 3 Sech-
Sechſter Geſang .
S o endigte ſich das froͤhliche Hochzeitmahl .
Die trunkenen Gaͤſte taumelten in dem
kleinen Raume des Zimmers immer wider ein-
ander . Ein Evan Evoe umſchallte die Waͤn-
de , Leuchter und Stuͤhle drehten ſich in einem
Kreis herum , und unvollendete Lieder und
halbgeſtohlne Kuͤſſe erfuͤllten die Luft . Die
zerſtreuten Kammerherren , ohne Gedanken ,
in welchem frommen Hauſe ſie lebten , riefen
nach einer Karte zum Pharao — Die junge
Comteſſe , ihres jungfraͤulichen Zwanges , und
ihrer Gouvernantin uneingedenk , ſtelte ſich
mit dem geſtirnten Hofmarſchal in den einſa-
men Bogen des Fenſters , und dieſer genos
der ſuͤſſen Betaͤubung der Schoͤnen , ſo gut ,
als er vermochte . Der kindiſche Kammer-
junker verſuchte ſeinen Witz an dem ſchlaͤfrigen
Hofnarren , und alle Vortheile , die er uͤber ihn
er-
erhielt , erzaͤhlt’ er mit lautem Triumphe der
unaufmerkſamen Geſellſchaft — Aber alle
verachteten die harmoniſche Erinnerung des
Nachtwaͤchters , und uͤberſahen das politiſche
Gaͤhnen des Neuvermaͤhlten , und lachten alle
den Mond an . So taumeln oft die ver-
mumten Geſchoͤpfe einer Maskerade wider-
ſinniſch unter einander , vergeſſen ihre Ver-
kleidung , um nach dem Trieb ihrer Sinne
zu handeln — Rabbi Moſes zieht die verkap-
te Nonne zum ſchwaͤbiſchen Tanz auf , oder
fordert ein Stuͤck ſchmackhafte Cervelatwurſt .
Der lange Tuͤrke trinkt im falben Burgunder
die Geſundheit des allerchriſtlichſten Koͤnigs ,
und die ſtroherne Pyramide faͤngt an , Knaſter
zu rauchen .
Jtzt gieng der ungeduldige Ehmann in ſeine
einſame Studierſtube — verwuͤnſchte ſeine
laͤrmenden Gaͤſte , und rief alſo zum Amor :
„ O du maͤchtiger Sohn der Cythere ! haſt du
”mir deinen Schutz nur darum angebothen ,
F 4 ”und
”und mich deines Rathes gewuͤrdiget , um
”mich itzt deſto mehr zu kraͤnken , und mein
”dankbares Herz wider dich zu empoͤren ?
”Was hilft es , daß du mich nach den Reizun-
”gen meiner Wilhelmine haſt ſchmachten ge-
”lehret , und daß du mich durch ihr melodi-
”ſches Jawort begluͤckt haſt — Was hilft es ,
”daß mir dieſer Tag in der ſchoͤnſten Feyer
”entflohen iſt , wenn meine erſte Brautnacht
”langweilig und ungefeyert davon zieht ? Die
”laͤchelnde Morgenroͤthe wird mich ſpottend
”an die neue Bekanntſchaft einer Freud’ er-
”innern , die wider mein Verſchulden mir fremd
”geblieben iſt , und Wilhelmine wird mir mit
”ernſthaftem Laͤcheln in das Geſicht ſehn ,
”wenn ſie die gluͤckwuͤnſchenden Bauern , Frau
”Magiſterinn , gruͤßen . Dieſe Nacht , o Sohn
”der Venus , nur dieſe einzige Nacht , beherr-
”ſcheſt du noch mit dem Hymen in gemein-
”ſchaftlicher Ehre — So laß mir doch nicht
”durch das wilde Getoͤſe der geputzten Hoͤflin-
”ge,
”ge , und durch das Wiehern ihrer Pferde ,
”dieſe gluͤcklichen Stunden entziehen , die keine
”Macht vermoͤgend iſt , mir wieder zuruͤck zu
”fuͤhren , ſolten ſie einmal davon ſeyn ! „ Alſo
ſagte der klagende Magiſter , und brachte den
Stolz des kleinen Gottes in Bewegung .
Er freute ſich , daß der dankbare Vermaͤhlte ,
nicht trotzig auf die dienſtbare Huͤlfe des Hy-
men , des Amors Freundſchaft noch ſuchte ;
( o wuͤrde doch von keinem Vermaͤhlten des
Amors Freundſchaft fuͤr entbehrlich gehal-
ten . ) Guͤtig entſchloß er ſich , dem Verliebten
zu helfen , und den Jupiter und des Pantheons
verirrte Bewohner und Ritter und Pferde
hinaus zum Dorfe zu jagen . Welch ein he-
roiſch Unternehmen — Welch eine That !
Recht zu gelegener Zeit fiel dem kleinen Hel-
den der Trojaniſche Brand ein , der die trotzige
Garniſon der Griechen noͤthigte , den flam-
menden Platz zu verlaſſen , und dieſe ſo oft
F 5 be-
beſungene ſchreckliche Geſchichte , gab ihm eine
ſinnreiche Kriegsliſt an die Hand , die er mit
Gluͤck und Tapferkeit ausfuͤhrte . Er drehet
aus den Haͤnden des gefeſſelten Hymen die
hochzeitliche Fackel , die lichterloh brante , und
ſtahl ſich unvermerkt in die geruchduftende
Kuͤche des Pfarrherrn . Von der edlen Koch-
kunſt verlaſſen , die vor kurzem zwanzig ſchoͤ-
pferiſche Haͤnde darinnen beſchaͤftigte , ruht itzt
eine finſtere Traurigkeit unter ihren Gewoͤl-
ben . Auf dem warmen Heerde lag eine un-
gebrauchte Speckſeite in der aufgehaͤuften
Aſche verborgen , woran die ganze groſſe ge-
ſchwaͤnzte Armee des ſcherzhaften Maͤonides
ſich haͤtte ſaͤttigen koͤnnen . Dieſes ungeheure
Magazin ſteckte der freybeutiſche Amor , mit
abwaͤrts geſenkter Fackel in Brand . Auf
einmal flog es , durch die fettige Flamme be-
lebt , in die ſchwarze Eſſe , die ſich rauſchend
entzuͤndete — und ihr blutrothes Feuer dem
hohen Firmamente zuwaͤlzte — Es war ge-
ſchehen
ſchehen — Amor ſchuͤttelte ſeine Fluͤgel und
floh , und ſtelte ſich auf die knarrende Fahne
des Kirchthurms . Hier ſtund er , wie Nero ,
als er mit grauſamer Wolluſt ſeine Reſidenz
brennen ſah , und freute ſich ſeines gelunge-
nen Anſchlags , und erwartete den erſchreckli-
chen Ausgang — Und nun — o Muſe ! hilf mir
das Getuͤmmel beſchreiben , das in dem Hauſe
des Magiſters entſtund , als die graͤßliche feuer-
ſchreiende Stimme ſich uͤber das aufgeſchreckte
Dorf ausbreitete ! Das hohle furchtbare Ge-
toͤne der ſtuͤrmenden Glocken , die ein angſtvoller
Cantor unermuͤdet laͤutete — verkuͤndigten
den verzagten Matronen ihren Untergang ,
und das Geſchrey der Kinder , und das Po-
chen der Nachbarn und das Bellen der Hun-
de , machten die finſtere ungluͤckliche Nacht
noch ſchrecklicher . Von dem ſtummen Entſe-
tzen gefuͤhrt , kam die verlorne Nuͤchternheit
itzt wieder in die Verſamlung der Hochzeit-
gaͤſte
gaͤſte zuruͤck . Doch kaum begriffen ſie das
drohende Ungluͤck ihres betruͤbten Wirths ,
ſo flohen ſie ihn , als wahre Hofleute mit ei-
lenden Fuͤſſen , und nach einem kurzen gleich-
guͤltigen Lebewohl ! verlieſſen ſie alle das neue
Ehepaar in Thraͤnen . Aber , wie ehemals der
junge Aeneas ſeinen alten frommen Vater aus
dem flammenden Troja trug , ſo umfaſt itzt
der getreue Hofmarſchal ſeine weinende Cla-
riſſe , und durch die Liebe geſtaͤrkt , verachtete er
alle Gefahren . Das Feuer praſſelt ’ uͤber ſein
Haupt , und die Wellen des Fiſchbeinrocks
ſchlugen uͤber ſeine zerrißnen Haarlocken zuſam-
men — dennoch bracht’ er ſie gluͤcklich an ihre
ſichere Caroſſe , und uͤbergab ſie den Haͤnden
ihrer ſchuͤtzenden Zofe . Und wie der uner-
ſchrockene Weiſe gegenwaͤrtig in den groͤſten
Bedraͤngniſſen , ſich noch um Kleinigkeiten des
Lebens bekuͤmmert , oder ſo , wie der groſſe Lips
Tullian auf dem Richtplatze , da ſchon der
Stab gebrochen iſt , noch fuͤr ſeine Naſe be-
ſorgt,
ſorgt , um eine Priſe Rappee bat . Noch
ſchnupft’ er ihn mit ſuͤſſer Empfindung , in die-
ſer entſcheidenden furchtbaren Minute — reck-
te darauf mit einem Seufzer den Hals dar —
und befand ſich in der andern Welt , eh’ er nie-
ſen konte . Eben ſo nahm noch itzt der Hof-
marſchal drey verliebte Kuͤſſe von ſeiner beaͤng-
ſteten Schoͤne , und warf ſich mit unterdruͤck-
ter Sehnſucht in ſeinen fortſchallenden Schlit-
ten . Das Zeichen war gegeben , und nun
flogen alle die unbaͤndigen Pferde mit ihren
Rittern davon , die mit ſtillem Vergnuͤgen
uͤber ihre Sicherheit , oft nach der brennenden
Pfarre zuruͤck ſahn .
Kaum war die laͤrmende Verſammlung der
Goͤtter- und Menſchengeſtalten zum Dorfe
hinaus , ſo geboth Amor , das Feuer ſolte ver-
loͤſchen — und es verloſch . Zwar verkannte
der blinde Poͤbel die Huͤlfe des Amors , und
jauchzend dankten die Bauern ihre Rettung
einem
einem ſchwarzen Daͤmon , der es gewagt hatte ,
aufs prieſterliche Dach zu ſteigen , wo er , dem
Feuer zum Opfer , eine arme geraubte Najade
der Elbe , in den ſchwarzen Abgrund hinunter
ſties , daß ihre zerſchmetterten Glieder in einer
ſchmutzigen Kuͤche ein unbekantes Grabmaal
bedeckte .
Nun brachte der Gott der Liebe dem Hy-
men die hochzeitliche Lunte wieder zuruͤck ;
darauf gieng er Hand in Hand mit ihm , zu
dem getroͤſteten Verliebten , und ſammelte
ſeine entzuͤckten Dankſagungen in den leeren
Koͤcher ; denn der kleine Held hatte den Tag
uͤber , alle ſeine Pfeile verſchoſſen . Die noch
uͤbrige Nacht hindurch wachte ſeine hohe Per-
ſon an dem rauſchenden Brautbett ’ , und da
der Morgen anbrach , erhob er ſich froͤlich in
den Olymp auf den Strahlen der Sonne , die
zuerſt dem frohen Magiſter die Miſchung von
Schaam und gedemuͤthigter Sproͤdigkeit , auf
den
den Wangen ſeiner zufriedenen Schoͤne ſicht-
bar machten , und ihn zu neuen Morgenkuͤſſen
erweckten . Wie reizend blickte nicht die vol-
lendete Braut ihrem gluͤcklichen Sieger in
das maͤnliche Geſicht ! Gleich einer jungen
Roſe , die ſich unter dem ſchwarzen Gefieder
einer einzigen balſamiſchen Nacht entfaltet .
Der uͤberhangende Phoͤbus trift ſie in ihrem
vollen Schmucke an , und vergebens bemuͤhen
ſich ſeine brennenden Strahlen , ſie noch
mehr zu entwickeln .
Jtzt ſtund der kleine Amor vor ſeiner freund-
lichen Mutter , und erzaͤhlt’ ihr in ſcherzhafter
Prahlerey ſeine Kriegsliſt und ſeinen Triumph ,
daß ſeine Stimme durch den Olymp ſchallte ,
und ſelbſt die beſcheidenen Muſen ihm Bey-
fall zuwinkten . Jhr Laͤcheln loͤſte ſich in ei-
nem ſanften geiſtiſchen Sonnenſcheine auf ,
wovon ein goldener Blick in die Welt drang ,
und unter ſo vielen tauſend poetiſchen Seelen
die
die Meinige allein begeiſterte . Jch habe al-
les gethan , was meine Muſe befahl ; ich ha-
be das Elend des verliebten Magiſters , und
ſeine froͤliche Hochzeit beſungen , und hab’ ein
Werk verrichtet , das durch eine ſchoͤne Druk-
kerpreſſe vervielfaͤltigt , der Vergaͤnglichkeit
trotzen kan .
ENDE .