Deutscher
Novellenschatz.
Herausgegeben von
Paul Heyse und Hermann Kurz.
Band 23
Berlin
Globus Verlag
G. m. b. H.
1910
Inhalt:
Seite Das erfüllte Versprechen. Von Jacob Frey 1
Zwei Nächte. Von F. W. Hackländer 109
Streit in der Liebe und Liebe im Streit. Von
Ottilie Wildermuth 176
Der Säugling. Von Heinrich Horner 211
Streit in der Liebe und Liebe im Streit.
Von Ottilie Wildermuth.
Ottilie Wildermuth wurde am 22. Februar 1817 zu Rottenburg a. N. geboren, als ältestes Kind des Criminalraths Rooschüz, der im Jahre darauf als Oberamtsrichter nach Marbach versetzt wurde. Sie genoß dort außer dem Unterricht in der Volksschule nur die wohlthuende Einwirkung ihres geistig regsamen und durch gastlichen Verkehr belebten Elternhauses und vermählte sich im September 1843 mit Professor Wildermuth, Lehrer der Mathematik und der neueren Sprachen am Gymnasium zu Tübingen. Erst im Jahre 1847, nachdem sie nie daran gedacht hatte, für die Öffentlichkeit zu schreiben, wurde sie durch einen Scherz ihres Mannes veranlaßt, in einer Skizze das Leben der Kleinstadt zu schildern; dieser von ihrem Bruder ohne Nennung des Namens an das „Morgenblatt“ eingesandte Versuch fand so freundliche Aufnahme, daß sie ihr Talent, heiter und anspruchslos zu erzählen, nun eifriger ausbildete und ihren Namen bald in weiteren Kreisen, vorzüglich unter der Frauenwelt, bekannt und beliebt machte. Eine Gesammtausgabe ihrer Schriften erschien bei A. Kröner in 8 Bänden, im Jahre 1862, außerdem eine Reihe ansprechender Jugendschriften („Aus der Kinderwelt“, „Aus Schloß und Hütte“, „Aus Nord und Süd“ u. s. w.), sämmtlich in mehrfachen Auflagen, wie auch ihre „Bilder aus dem Frauenleben“, „Die Heimath der Frau“, „Bilder und Geschichten aus Schwaben“ und andere Erzählungen eine Reihe von Auflagen erlebt haben.
Ottilie Wildermuth hat mit glücklichem Tavt nie den Boden verlassen, auf welchen das Talent der Frauen mit seltenen Ausnahmen angewiesen ist: Heimath und Familie. Innerhalb dieses beschränkten Kreises aber, in der Sphäre ihrer eigenen Erlebnisse und Beobachtungen, hat sie eine Reihe
von Lebens- und Sittenbildern gezeichnet, die vom frischesten Humor und einer von krankhafter Sentimentalität freien Gemüthswärme durchweht sind und in ihrer einfachen, gesunden Wahrhaftigkeit einmal werthvolle Urkunden für die Culturgeschichte ihrer Heimath bilden werden. Neben einigen vielleicht etwas zu hausbackenen Schilderungen, – wie viel muntere Laune in ihren „schwäbischen Pfarrhäusern“, wie viel schlichte Anmuth in so manchem anderen ihrer schwäbischen Genrebilder. Was ihnen oft zur letzten novellistischen Abrundung fehlt – wie denn auch die von uns ausgewählte originelle Ehstandsgeschichte in der Hand eines erfindungsreicheren Dichters sich noch zu größerer Wirkung hätte entwickeln lassen – wird durch den Reiz fein beobachteter Wirklichkeit ersetzt, der sich vielfach zur vollen poetischen Wahrheit steigert und uns erfreulicher anmuthet, als anspruchsvollere Schöpfungen mancher ihrer berühmteren Colleginnen.
Die Nachbarskinder.
Mitten im Dorf stand des Schultheißen Haus, an den rothen Jalousieläden und dem zweistöckigen Bau zu unterscheiden von den Bauernhäusern, auch wenn der Herr Schultheiß nicht gerade sein Pfeifchen unter dem Fenster dampfte. Er war nicht eben, was man einen Herren Schultheiß nennt, er stammte vom Dorf und war in seiner Jugend hinter dem Dungwagen einhergeschritten, so gut wie Einer, aber er liebte jetzt mit den Herrn der Oberamtsstadt auf vertrautem Fuß zu stehen, sein selbstgezogener Wein und die Strauben und Küchlein der Frau Schultheißin standen in gutem Geruch.
Neben des Schultheißen Haus stand ein sehr anspruchsloses Bauernhaus, einstöckig, mit getheilter Thüre, dessen stattliche Scheune, in der der Dreschertrakt noch bis Lichtmeß tönte, allein beurkundete, daß es einem „rechten“, das heißt, vermöglichen Mann gehörte. Hinter dem Hause lag ein Gärtchen mit Salat und Krautsetzlingen bepflanzt, auch mit etlichen Sonnenblumen
geschmückt, der Eingang aber führte zwischen einer Gülle und Dunglege zur Hausthür, wie das schon zu des Ahnens Zeiten gewesen war; zwar war „iabot“ (jezuweilen) ein Kind des Hauses in die Gülle gefallen, weil aber noch keins darin ertrunken war, so dachte niemand daran, die Sache zu ändern, der Besitzer des Hauses am wenigsten, seine Buben sollten aufpassen lernen, und sein Töchterlein, die Liesbeth, war ein gesetztes und vorsichtiges Kind, der nicht so leicht ein Ungeschick begegnete.
Des Schultheißen einziger Sohn hieß Georg, ein aufgeweckter Bursch, aber ein durchtriebener Schelm und so übermüthig und muthwillig, wie nur je der Sohn eines Machthabers, zumal, wenn er der einzige ist. Wenn ihn die Würde seines Vaters auch nicht vor gelegentlichen Prügeln sicherte, so wäre er ohne diese Würde gewiß schon lang todtgeschlagen worden, denn alle Streiche, die Simson vor Zeiten den Philistern gespielt, sind nichts gegen die Possen, die er, wenn ihn seine tolle Laune ankam, an Freunden und Feinden verübte.
Was war nur das für eine Geschichte, als er an einem stillen Nachmittag, wo die Leute auf dem Felde waren, sämtliche Schweine losließ und von dem oberen Boden aus der blutigen Schlacht zusah, die es absetzte, bis jeder Eigenthümer die seinigen wieder aufgefunden hatte!
Und wie er's angegriffen hatte, der Frau Müllerin ihre Staatshaube mit den handfesten Rosenknospen und
krebsrothen Bändern zu stehlen, das weiß kein Mensch, aber aus dem Kamin des ärmlichen Häuschens, das die blutarme Schwester der Müllerin bewohnte, ragte eines schönen Morgens eine lange Stange mit einem Strohkopf, auf dem das obgedachte Prachtstück saß. Einem reichen Weingärtner hatte er im Herbst Fischlein in die Weinbütte praktiziert, was diesen in den schlimmen Verdacht brachte, daß er seinen Wein mit Flußwasser vermehre, und dem Bäcker eine Brille auf den Laden genagelt, damit man seine Wecklein dadurch sehen könne, — kurz, es gab Wenige im Dorf, die nicht ein Stücklein von seinem Muthwillen erzählen konnten. Und doch war ihm im Grunde keiner feind, wohl aber stimmten Alle betritt überein: „Der stirbt keinen rechten (natürlichen) Tod.“
Liesbeth, seines Nachbars Kind, hatte nicht am wenigsten von seinem Mutwillen zu leiden, und doch trugen die Streiche, die er ihr spielte, stets ein gewisses chevalereskes Gepräge, freilich Chevalerie in ihren rohesten Uranfängen. Es war ein altes Familienfest bei Schultheißens, das heißt, das große Schwein wurde geschlachtet, Liesbeth blieb zufällig unter der Hausthüre stehen; willst ums Würste singen? rief ihr Georg herüber. Liesbeth trat beleidigt zurück, das sollte man ihr nicht nachsagen, das war Sache der Bettelkinder. Wie sie aber Abends sich an die Kunkel setzen wollte, war ihr schönes, rothseidenes Band gestohlen und die Kunkel dafür mit Bratwürsten umwunden. Als sie erstmals ihr
Vieh zum Brunnen treiben wollte, waren ihr Andre zuvor gekommen und wollten nicht Platz machen, da bemerkte Georg ihre Verlegenheit und brach wie der rasende Roland mit lautem Geschrei unter das Vieh der Andern, das wie toll nach allen Seiten hinaussprang, so daß durchs ganze Dorf ein Rennen und Zetergeschrei anging, und führte siegreich Liesbeth's Kühe zum Brunnen. Er stahl auch der Frau Pfarrerin die schönsten Rosen, um sie Liesbeth zum Kirchgang zu bringen; diese aber, die den Diebstahl ahnte, wies das Sträußchen patzig zurück, und Georg warf zur Rache die Fenster ihres Kämmerleins mit den schönsten Äpfeln ein, die seine Mutter noch als Rarität gespart hatte.
Streit in der Liebe. Die Kinder wuchsen zu Leuten heran, Georg als ein stämmiger, etwas untersetzter Bursch mit offenen, frischem Gesicht, Liesbeth als ein feines, sauberes Mädchen, schlank von Wuchs und gar pünktlich und sorgsam in ihrem Anzug, der aber in keiner Linie die Kleiderordnung einer rechten Bäuerin überschritt. Wie die meisten Dorfkinder war sie sehr früh in alle materiellen Interessen des Lebens eingeweiht worden und wußte den Werth des Besitzes als Kind schon gar wohl zu schätzen. Das Pfarrtöchterlein, deren Elternhaus nie leer von Gästen wurde, erzählte ihr einmal vergnügt: Denk nur, wir haben sechs Onkel — Und mir hend
sieben Säu', rühmte Liesbeth dagegen, ihres Übergewichts gewiß. Sie war nie mit andern Kindern herumgesprungen, um ja nicht Kleider und Schuhe zu zerreißen, und je älter sie wurde, desto vorherrschender wurde dieser praktische Sinn. Man sagte ihr nach, sie gehe barfuß, sobald sie vor dem Dorf sei, um ihre Schuhe zu schonen, und wo sie im Grasen gewesen, da sei der Boden wie vom Barbier rasiert.
Georg dagegen war ein sorgloser, leichtsinniger Bursch, dem Alles, was theuer war, am besten gefiel und am besten schmeckte, rasch, hitzig und unbedacht, ein „Schußbartle“ nach dem Volksausdruck, und gescheidte Leute meinten, er und Liesbeth paßten nimmermehr zusammen, sie seien gar zu zweierlei; noch gescheidtere fanden das eben gut: Die können einander helfen; was er verthut, das kann sie hereinhausen.
In Wahrheit konnten die Zwei nicht von einander lassen, wie oft sie sich auch gegenseitig erzürnten. Georg verhöhnte Liesbeth, wo er konnte, wegen ihrer Sparsamkeit: einmal lud er ein Dutzend junge Bursche und Mädchen in ihrem Namen zum Karz (Spinnstube) ein. Liesbeth spann eben im Mondlicht wie das Waldfräulein, aber nicht aus Romantik, sondern um Öl zu sparen, da polterten ihre ungeahnten Gäste herein und lachten hell auf, als nicht einmal Licht in der Stube war; Georg kam hintendrein und klärte den Spaß auf, Liesbeth aber mußte, wohl oder übel, Licht anzünden und Apfelküchlein backen.
Ein andermal kamen drei alte Weiber aus dem Armenhaus und bedankten sich gar schön bei ihr für Speck und Fleisch, das sie ihnen geschickt hatte. Liesbeth wußte nicht, wie ihr geschah, sie führte als einzige Tochter den Haushalt des verwitweten Vaters und hatte die bestandsgestattete Rauchkammer ins Dorf. Man behauptete aber, sie lasse den Vater, wenn er Kraut esse, nur riechen am Speck, und habe so den ganzen Winter an einer Speckseite; wie würde sie nun Bettelweibern Speck und Fleisch schicken! Töricht erschrocken sah sie in der Rauchkammer nach — da war freilich eine bedeutende Lücke; — das hatte kein andrer Mensch, als der Georg gethan! nehmen konnte sie den Weibern das Fleisch nicht wieder, und so mußte sie mit sauersüßem Gesicht den Dank für ihre unfreiwillige Großmuth hinnehmen.
Der Georg aber sollte es büßen, und als er nach einer Weile mit pfiffigem Lachen über den Zaun herüberblickte, da sagte sie ihm in geläufigem und lichtvollem Vortrag die Wahrheit umsonst über sein faules und nichtsnutziges Leben und verhieß ihm ganz und gar keine lockende Zukunft.
Sonntag drauf wollte Georg auch trotzen, er schloß sich an des Adlerwirths Sohn an und zog an der Liesbeth Haus vorüber, andern Mädchen nach. Liesbeth war nicht vor dem Halt nicht am Fenster zu sehen, daheim aber fuhr sie herum wie unsinnig, und als Georg spät am Abend nach Hause kam, da
hatte sie, scheint's noch, Geschäfte im Hausgärtchen, sie sah ihn aber gar nicht, bewahre! Guten Abend! rief Georg hinüber. — Keine Antwort. Warum bist nicht auch spazieren gegangen? — Hab' noch gar nicht Zeit gehabt nur zum 'Nausgucken, meine Dote ist hier gewesen, sagte Liesbeth kurz. — Schön Wetter heut, hub etwas verlegen Georg wieder an, der nicht recht wußte, wie er anknüpfen sollte. — Freilich, schnurrte Liesbeth, wenn man mit so schönen Jungfern 'rumspaziert, ist's Wetter alleweil schön. — So, ich hab' glaubt, du habst heut gar nichts gesehen, woher weißt du's denn, mit wem ich spazieren gegangen bin? — Ha, wenn des Schulzen Bub des lumpigen Schuhmachers Mädle nachlauft, so kann man's erfahren, ohne zu gucken. — Ei, wenn du dich hättest sehen lassen, hättest du mit mir spazieren dürfen! — Ich mit dir? nicht mit einer Meßstang' möcht' ich dich anrühren. — Gelt, was man veracht, das hätt' man gern, lachte Georg und ging ins Haus. Am selben Abend aber trug er ihr noch den Wasserkübel heim und half ihr die flüchtigen Hühner einfangen, und der Friede oder doch Waffenstillstand war für eine Weile wieder geschlossen.
Georg wurde zum Soldaten ausgehoben und gab nicht zu, daß sein Vater ihn loskaufte; Liesbeth hatte einmal gesagt, als ein schmucker Gardist durchs Dorf ging: Da muß man doch Respect haben. Nun soll sie auch vor mir Respect lernen, dachte er und ließ sich nicht abhalten, wie auch die Leute meinten, so ein heiß-
grätiger Bursche tauge nicht unters Militär, wo man kuschen müsse. Er fugte sich wirklich zum Verwundern, und kleine Excesse in Trunkenheit ausgenommen, hielt er sich vortrefflich als Soldat; sein Obermann, der je und je den Herrn Schultheiß besuchte, meinte: Wenn wir Krieg hätten, so gäbe der einen General nichts desto schöners. Er war ein freigebiger Kamerad und theilte von dem Zuschuß zu seinem magern Sold, den ihm der Vater reichlich zufließen ließ, den andern gerne mit; so war er hoch angesehen unter den Kameraden.
Liesbeth hatte allerdings Respect, als er in der feinen Uniform, die er sich aus eigenem Beutel angeschafft, zum erstenmal am Sonntag einen Besuch machte, sie sprach im Gärtchen lange mit ihm und gestattete, daß er sich zu ihr auf die Hausbank setzte, aber doch war diese Militärzeit eine qualvolle für sie, weil sie beständig von Eifersucht verzehrt war. Wenn ihr Georg einen Gruß sagen ließ, so war ihre Antwort: Dem wird es ernst sein mit Grüßen, man weiß ja, wie die Soldaten mit den Stadtmägden herumscharmuzen, wird auch Eine haben, die ihm am Sonntag den Dreibätzner in den Sack giebt! Durch ähnliche Suggestivfragen suchte auch Georg muthmaßliche Treulosigkeiten seiner Geliebten zu erfahren; — wenn er dann heim kam, so hatte er den halben Tag zu thun, bis er sein Schätzchen versöhnte, die wegen allerlei eingebildeter Unthaten seinerseits mit ihm trutzte. War das gelungen und sie begleitete ihn Abends auf dem Rückweg zur Stadt, so fing sie schon
wieder an: Hättest noch nicht nöthig, fortzugehen, wirst Eine auf unterwegs bestellt haben. Oft ward er's auch müde, den Unterthänigen zu spielen, eine Rolle, die ohnehin nicht für ihn paßte, ließ sein ungnädiges Lieb stehen und ging in den Adler. Liesbeth blieb dann in irgend einem Versteck, von dem aus sie auf das Wirthshaus sehen konnte, ließ sich aber nirgends finden, und in den nächsten Tagen ließ sie ihm durch einen Kameraden sagen: er solle sich nur nicht einbilden, daß sie ihn einmal nehme, lieber wollte sie ins Wasser springen. Dieser Groll dauerte bis zu seinem nächsten Besuch, wo er die Wolken klärte, um Raum für neue zu machen.
Georg beschloß, diesem Elend ein Ende zu machen, aber wie? Ans Heirathen konnte er noch nicht denken, und sie gehen lassen, das war vollends unmöglich; wenn ich ganz gewiß wüßt', daß kein Andrer sie kriegt, so wollt' ich sie meinetweg mein Lebtag nimmer angucken, sagte er den Kameraden.
Er freute sich unbändig auf die Kirchweih; Liesbeth war noch immer seine Tänzerin gewesen, so konnte sie ihm diesmal, wo er Soldat war, nicht fehlen; da wollt er ihr einmal so recht in Güte sein Herz ausleeren.
Die Ballregeln auf dem Dorfe sind sehr einfach, und die zierlichen, goldeingelegten Büchlein am Gürtel, auf denen unsre jungen Damen ihre versagten Touren rühren, sind für Bauernmädchen ein entbehrliches Ge-
rät. Wer ein Mädchen zum Tanz führt, hat für den ganzen Abend ausschließlich das Recht auf sie, und nur selten und ungern wird einem andern Burschen ein Tanz gestattet. Nur bei Markttänzen oder Hochzeiten herrscht mehr Freiheit; diese Sitte, die uns sehr langweilig erscheint, verleiht dem Tanz etwas Stetes, Ehrenfestes, und schneidet viele Gelegenheit zu Händeln ab.
Verlobung. Georg hatte über die Kirchweih Urlaub genommen und war, um schneller nach Hause zu kommen, auf einem Wägelein 'nausgefahren; unglücklicher Weise war Schuhmachers Gustel, ein sauberes Mädchen vom Dorf, die in der Stadt diente, auch am selben Tag den gleichen Weg gegangen, und Georg in seiner Gutmüthigkeit hatte sie aufsitzen lassen. Das beleidigte Liesbeth, die es natürlich für Verabredung hielt, tödlich, und als Georg im schönsten Wichs sie zum Tanz laden wollte, gab sie ihm schnippigen Bescheid und ging mit ihrem Vetter Kaspar in ganz ungewöhnlichem Staat.
Georg kam ohne Tänzerin und setzte sich in eine Ecke des Saales mit seinem Wein, man hörte kein Wort von ihm, als den Ruf an die Kellnerin: Kätherle, noch einen Schoppen Fünfzehner! Liesbeth sah anfangs spöttisch zu ihm herüber, aber sie erschrak vor seinen wilden Blicken und sprach lauter und lebhafter, als ihre Art war, mit ihrem Tänzer. Eben als sie mit Kaspar
einen neuen Hopswalzer anheben wollte, stellte sich Georg in den Weg und streckte den Fuß aus, das tanzende Paar bemerkte es nicht und stürzte heftig zu Boden; Kaspar fuhr wüthend auf und packte Georg an der Gurgel, es entstand ein allgemeines Gemenge, Geschrei und Geprügel, Liesbeth war mit blutendem Kopf aufgehoben und heimgeführt worden. Der Wirth und der Schultheiß brachten mit vieler Mühe den Knäul der Streitenden auseinander; Kaspar blutete aus der Nase, Georg hatte eine Beule an der Stirn, wo ihn Kaspar's Faust getroffen, und der Wirth meinte, da es bei Keinem von Beiden einen edlen Theil getroffen, so werden sie sich im Frieden vergleichen können.
Liesbeth saß allein daheim und machte Umschläge um ihre Stirn, voll Zornes, wie sie glaubte, über den wüsten Georg, der sie so gezeichnet. Aber seltsam, eigentlich war sie viel besser aufgelegt, als vor dem Tanz, wo sie so schön geschmückt mit dem Kaspar ausgezogen war. Freilich trug sie ein blutig Liebeszeichen an der Stirn, aber ein Liebeszeichen war es doch, Georg hatte mit keiner Andern getanzt und die Schuhmachers Gustel nicht einmal angesehen! und ihr, ihr allein hatte er den Fuß gestellt, alle andern Paare waren ihm gleich, die hatte er ungehindert springen lassen. Aber doch sann sie darüber nach, wie sie ihm das recht vergelten könne.
Da hörte sie ein gewaltiges Rütteln und einen heftigen Stoß an die verschloßne Hausthür, und ehe sie
aufgestanden war, um nachzusehen, stand Georg vor ihr. Und du bist noch so frech und kommst in unsre Stube, nachdem du mich blessiert hast und in der Leute Mäuler gebracht? Im Augenblick geh, schalt Liesbeth, oder ich schrei', daß es das ganze Dorf hört! — Du schreist nicht, sagte Georg mit gepreßter Stimme und faßte sie am Hals mit beiden Händen, ich will der Plage einmal los sein; jetzt gleich im Augenblick schwörst mir, daß du mein Weib werden willst, oder willst zeitlich und ewig verloren sein, sonst erwürg' ich dich da auf dem Platz, ist mir all eins, wenn man mich nachher einmal köpft, dann ist's doch Fried'? — Laß mich! stöhnte zitternd das geängstete Mädchen, bist ja noch Soldat und kannst nicht heirathen. — Das laß du mich ausmachen, zu deinem Vater komm ich schon, bei dir aber bin ich, und d'mir's nicht versprichst, so mußt sterben.
Todtbleich mit bebenden Lippen versprach es Liesbeth, Georg forderte auch noch ein Ehepfand, sie gab ihm den silbernen Trauring der seligen Mutter. Kaum hatte ihn Georg am Finger, so stolperte der Vater auf dem Gang draußen, Georg stieg eilig durch das Fenster hinaus. Ist denn noch jemand dagewesen? fragte der Vater. — Des Schulzen Relling (Kater) war in die Stube geschlichen, sagte Liesbeth, ich hab' ihn aus dem Fenster hinaus gejagt. Sie ging in ihre Kammer und legte sich zu Bett, wie an allen Gliedern zerbrochen und von Fieberfrost geschüttelt, und doch murmelte sie vor dem Einschlafen in sich hinein: Und so ist's doch noch Keinem
um sein Mädle gewesen, daß er den Kopf dran gerückt hätt'; ich möcht' nur wissen, ob er mich erwürgt hätte!
Das war die Verlobung.
Es fiel Georg sehr schwer, wieder zum Militär zurückzugehen, wenn er auch seiner gewaltsam geworbenen Braut jetzt sicherer war als zuvor. Da starb unerwartet Liesbeth's Vater, und man fand es natürlich, daß Georg sich vom Militärdienst losmache und die Waise heirathe, die auf die förmliche Werbung des Schultheißen ihre Einwilligung gab. Ein feierlicher Handstreich wurde gehalten, bei dem mit der auf dem Dorf gewöhnlichen Offenheit die gegenseitige Mitgabe von Georges Vater und Liesbeth's Vormund in Gegenwart des Brautpaares besprochen wurde. Georg bekam sein Heirathgut in bares Geld, Liesbeth hatte ihr Vatererbe in Vieh und Gütern, beide Parteien vereinigten sich in Güte, und es herrschte zwangloses Vergnügen an der Verlobungstafel. Dem Georg war Alles recht, er war seelenvergnügt und mit der ganzen Welt versöhnt, dem Kaspar trank er ein mal um das andre zu. Am Abend ging er noch mit Liesbeth in das Bauerngut, das zu ihrem künftigen Besitz gehörte; er betrachtete sie freudetrunken, wie sie in der netten schwarzen Kleidung, in dem Häubchen, dessen breite Bänder ihr feines Gesichtchen einschlössen, an seiner Seite auch
einmal freundlich und ohne Widerstreben ging. Guck, fressen möcht' ich dich, rief er stürmisch und umfaßte sie mit einer Gewalt, daß sie mit leisem Schauer jener Verlobungsnacht gedachte, und hob sie hoch empor, leicht wie eine Feder. Laß mich! schrie sie, willst mich umbringen, wie damals, als der Vater noch dazu kommen ist? Das war keine gute Mahnung, Georg setzte sie schweigend zu Boden und ging mit ihr heim, ohne ein Wort zu reden.
Hochzeit. Nach vier Wochen war die Hochzeit, und allen Leuten schien es bedenklich, daß während der Trauung ein schweres Ungewitter ausbrach, so heftig, daß der Donner fast die Worte des Pfarrers übertönte. Georg nahm das nicht so schwer: wenn wir wetterscheu wären, so hätten wir einander gar nicht genommen, gelt, Schatz? rief er nachher lachend der Liesbeth zu.
Als sie am Altar sich die Hände reichten, suchte Liesbeth die ihrige obenhin zu bringen, das gilt auf dem Land für ein Zeichen, daß man die Oberhand in der Ehe behalte. Georg hatte nicht daran gedacht, als er aber bei Liesbeth die Absicht merkte, so legte er die seine obenauf, und bald wäre es zu förmlichem Ringen gekommen, wenn nicht ein ernster Blick des Pfarrers Einhalt gethan hätte. Die Stimmen der Zeugen konnten sich nicht darüber vereinen, welche Hand oben geblieben sei.
Liesbeth nahm den Regenschirm nicht an, den man ihr am Ausgang aus der Kirche bot. Aber daß Die ihr schön's Kleid nicht dauert im Regen, weinte eine der Brautjungfern. — 's bedeutet ja Reichthum, wenn's der Braut in Kranz regnet, sagte der Andre. — Ja so, dann glaub' ich's, sprach die Erste lachend.
Georg war glückselig beim Nachhausekommen. So, jetzt mußt mich erst haben! rief er neckisch seiner Braut zu und wirbelte mit ihr in improvisiertem Walzer um den Hochzeitstisch; er war wieder gut Freund mit aller Welt und warf den Musikanten Geld zu wie Heu. Liesbeth war stiller, ob aber Eines von Beiden auch nur einen Augenblick die heilige Bedeutung des Tages erwogen, glaube ich kaum.
Der Hochzeittag verlief ohne weitere Störung, als daß Liesbeth hier und da scharfe Blicke zur Seite warf, wenn ihr schien, daß Georg mit den Brautjungfern zu freundlich thue. Georg ward immer seliger, eine Seligkeit, an der freilich der Wein auch Antheil hatte, er versicherte Liesbeth: Guck, i bin a guter Kerle, der ällerbest' Kerle bin i, mit der Liebe, da kann mer mie um en Finger ‚rum wickeln. Die Braut aber antwortete wenig auf diese tröstliche Verheißung.
Ehstand. Ich weiß nicht, ob es einen Unterschied macht im ehelichen Leben, wenn die Frau den Mann einführt in
ihr Haus, während sonst der Mann es ist, der das Haus gründet und das Weib einführt. Edle Seelen werden gewiß immer demüthiger im Gefühl, viel gegeben zu haben, und es gibt solch angeborenen Adel in allen Ständen; Liesbeth hatte ihn nicht.
Ob es Liesbeth mit der Liebe versucht hat, die laut Georg's Verheißung solche Wunderdinge an ihm thun konnte, weiß man nicht. Sie las zwar, wie es bei ihrem Vater der Brauch gewesen, jeden Tag einen Morgen- und einen Abendsegen, in denen gar oft von Liebe die Rede war, mit diesem Leben hielt sie aber ihre Christenpflicht vollkommen erfüllt und lebte dazwischen nach eignem Gutdünken. Veränderlichkeit konnte Georg ihr nicht vorwerfen, denn sie konnte ihn als Weib nicht mehr plagen mit Eifersucht und griffigen Reden, denn sie als Braut gethan hatte.
Niemand hat je gehört, daß das Ehepaar einmal einerlei Meinung gehabt hätte. Liesbeth hatte die Stube gelassen, wie sie zu des Vaters Zeiten gewesen war: im Hintergrund der gewaltige Kachelofen mit dem württembergischen Wappen, an den Wänden festgenagelt die hölzerne Bank, davor ein weiß gefegter Tisch mit Fußbänkchen, eine Wanduhr in langem Gehäuse, ein Milchkasten, ein kleiner Spiegel, der alle Köpfe zu spitzen Chinesenköpfen verzog, an Gemälden: das über Jesum ergangene Bluturtheil, eine Darstellung des jüngsten Tages und ein Doctor Luther, dazu zwei hölzerne Stühle mit künstlich verwundenen Schlangenrücken, das war die
ganze Einrichtung, die Liesbeth zu jeder Zeit sauber erhalten hatte. Georg, des Schultheißen Sohn, dem der Herr Oberamtmann versprochen hatte, einmal bei ihm einzukehren, hätte gern eine hübschere, moderne Einrichtung gehabt: ein Kanapee, einen hartholzenen Tisch, gepolsterte Stühle; ein paar kolorierte Bilder mit dem Herzog Ulrich und Sturmfeder hatte er als ledig schon angeschafft. Liesbeth willigte durchaus in keine Neuerung, und als Georg dennoch sich wenigstens einen Lehnstuhl anschaffte, stellte sie den beharrlich in die fernste Ecke der Schlafkammer, und er mußte ihn jedesmal selbst herbeischleppen, wenn er sich drauf setzen wollte.
Georg konnte tüchtig schaffen, wenn's ihn ankam, aber des Schulzen Sohn hatte gearbeitet, was er wollte und wann er wollte, von dem Bauern aber erwartete sein Weib, die selbst bei keiner Arbeit zurückstand, daß er Alles und zu jeder Zeit arbeite. Liesbeth hatte den eigenthümlichen Erbhaß gegen Dienstboten, der sich je und je bei Frauen aller Stünde findet und das Unglück mancher Haushaltung ist. Nach ihrer Ansicht waren alle Dienstboten ein Diebsvolk, alle Taglöhner „faule Freßsäcke “, so sollte so viel wie möglich allein gearbeitet werden. Nach Georg's Geschmack war das nicht, bei ihm war morgen auch ein Tag, Liesbeth hatte aber ein unerreichtes Talent, ihm am Feierabend oder Nachts Alles aufzuzählen, was hätte geschehen sollen und nicht geschehen sei, und das ist eben keine wesentliche Beförderung der Gemüthsruhe. Dadurch, daß Liesbeth be-
ständig wegen der Feldarbeit keifte, hatte sie dieselbe in Georg's Augen zu ihrer Sache, nicht zu einer gemeinsamen gemacht, und er dachte nimmer daran, daß es sein eigner Schade sei, wenn er dem Weibe zum Trotz die nöthigste Arbeit liegen ließ.
Grob kann ich sein und das rechtschaffen, hatte er Liesbeth einmal versichert, aber trutzen, das kann ich nicht. Trutzen konnte dagegen Liesbeth meisterlich und mit seltener Ausdauer; sie übte diese Kunst reichlich: kein Wunder, wenn Georg auch Gebrauch von der seinigen machte und grob wurde und das rechtschaffen. Liesbeth kam sich die bravste und die unglücklichste Frau von der Welt vor, wenn sie den ganzen Tag sich's hatte sauer werden lassen, und der Mann, der gethan hatte, was er mochte, noch am Abend ins Wirthshaus ging. Georg trank, wie man zu sagen pflegt, keinen „bösen Wein“, er kam als der „best Kerle“ vom Adler heim, aber sie verstand es, ihn mit spitzigen Reden am Ende in eine wahre Berserkerwut zu bringen; dann tobte er wohl wie rasend, warf Schüsseln und Teller klirrend zu Boden, daß Liesbeth zitternd und regungslos in der Ecke saß, aber nie, im heftigsten Zorne nie, hat er Hand an sie gelegt, obwohl die Mißhandlung eines Weibes nach Dorfgesetzen für kein großes Vergehen gilt.
So konnte es im Dorf nicht verborgen bleiben, daß das Glück des Paares nicht groß sei; wehe aber Denen, die sich irgendwie einmischen wollten. Georg duldete nicht die leiseste Anspielung auf sein böses Weib,
und Liesbeth wußte andern Weibern, die etwa ihr Loos beklagten und den Georg tadelten, ihre Männer in einer Weise zu charakterisiren, daß sie keine Lust zur Fortsetzung des Gesprächs hatten. War Georg krank, so pflegte sie ihn mit einer Sorgfalt, einer Weichlichkeit beinahe, wie sie auf dem Dorf sonst selten ist, selbst ihre Sparsamkeit trat dann in Hintergrund, sie nahm keine Ausgabe, keine Versäumniß der Arbeit schwer, wenn es um seinetwillen nöthig war; Georg konnte nie sehen, wenn sie sich mit zu harter Arbeit plagte; freilich that er wenig, ihr die Sorge dafür abzunehmen, aber er hätte gern zehn Taglöhner gehalten, um ihr die Mühe zu ersparen, und wenn er ihr mit einem schweren Grasbündel begegnete, so nahm er ihn von ihrem Kopfe und trug ihn heim, eine für einen Bauern unerhörte Galanterie.
Trotz dieser jeweiligen Zärtlichkeit sank aber doch das Glück des jungen Hausstandes zusammen, noch eh es recht aufgebaut war, und zu derselben Zeit wankte auch des Schultheißen Haus und that einen großen Fall. Es war von dem Tode seines Weibes an, die kurz nach Georges Hochzeit starb, rasch mit ihm abwärts gegangen. Er hatte gern den Herrn gespielt, ein Haus gemacht, was auf dem Land manchmal noch mehr kostet, als in der Stadt, wo viel mit dem Schein abgemacht wird, und wollte immer für reicher gelten, als er war, was das sicherste Mittel ist, immer ärmer zu werden. Als der Schaden entdeckt wurde, war seine
redliche Amtsführung mehr als verdächtig; — er ward abgesetzt, und sein Vermögen reichte eben zur Deckung des Restes und für seinen notdürftigen Unterhalt hin.
Einen solchen Fall mit Gleichmuth oder gar mit Großmuth zu tragen, wäre auf dem Dorf, wo der Besitz die ganze Lebensstellung des Menschen bedingt, fast zu viel verlangt. Liesbeth wollte ihrem Mann nicht eben dies Unglück zum Vorwurf machen, aber es sollte ihn nach ihrer Ansicht fleißiger, sparsamer, demüthiger machen; Georg aber aus falscher Scham wollte jetzt gerade zeigen, daß er doch noch der Mann sei, und nahm jeden Tadel Liesbeth's als Vorwurf wegen seines Vaters Mißgeschick auf. Du bist die Bäuerin, sagte er, wenn sie ihm seine Verschwendung und Faulheit vorhielt, mich geht dein Sach nichts an, ich bin nur so ein Lumpenbube.
Mehr als Alles aber wurde Liesbeth von einer maßlosen Eifersucht verzehrt, zu der ihr der Mann in Wahrheit nie Grund gab; ihm waren andere Weiber gleichgültig; wenn er mit ihnen scherzte, so war es seinem Weib zum Trotz, oder um sie zu reizen. Sie aber stand oft noch um Mitternacht von ihrem Lager auf und schlich sich vor das Fenster des Wirthshauses, um zu spähen, ob er der Wirthin oder Kellnerin nicht schön thue; er, um Auftritte im Ort zu vermeiden, suchte immer lieber sein Vergnügen auswärts.
Natürlich ging es unter diesen Umständen mehr und mehr rückwärts mit dem Besitzstand, was auch
Liesbeth thun mochte, um ihn zusammenzuhalten; sie ward darüber immer erboster, immer griffiger, und er im Trotz des bösen Gewissens immer heftiger; keine gute Stunde zog mehr herauf über das gottverlaßene Haus.
Scheidung. Einmal schien es doch, als ob Georg sich fassen wolle; er blieb ein paar Abende daheim, bekümmerte sich mehr um die Feldarbeit und rüstete sich, am nächsten Markttage Frucht in die Stadt zu führen, weil sie eben hoch im Preise war. Liesbeth sah es nie gern, wenn er in die Stadt ging, doch wußte sie, daß ihr Widerspruch nichts ändere, daher begnügte sie sich nur mit Anspielungen, wie viel von dem Geld wohl unterwegs in Wirthshäusern bleibe und was für schöne Jungfern er unterwegs werde aufsitzen lassen. Er erwiderte nichts und machte sich fertig. Vor dem Abfahren ging er noch hinauf, Liesbeth hatte sich hinter den Küchenladen gestellt, um ihn gehen zu sehen, aber als er kam, rumorte sie in der Küche, als wäre sie in vollster Arbeit. Georg ging hinein und bot ihr die Hand zum Abschied; das war lange nicht geschehen, und Liesbeth sah ihn erstaunt, fast traurig an, eine seltsame Bewegung zuckte durch sein trotziges Gesicht. B'hüt die Gott, ich komm bald wieder, sagte er. — Ja, wenn's g'wiß ist, sagte Liesbeth halb im Scherz, wenn d'um Elfe noch nicht da bist, will ich eben in den Chausseegräben nach
dir gucken lassen. Das war eiskalt Wasser auf sein aufwallendes Herz, er wandte sich trotzig um und fuhr ab mit lautem Peitschenknallen, ohne auch nur einmal sich nach dem Haus umzusehen, wo Liesbeth noch lange hinter dem Küchenladen stand und ihm nachschaute.
Georg kam am Abend nicht zurück, auch nicht am folgenden Tag. Liesbeth's Bruder ging in die Stadt, um nach ihm zu fragen. Er hatte seinen Dinkel verkauft, Wagen und Pferde aber im Wirthshaus zurückgelassen, nebst einem Brief an sein Weib. Niemand wußte, wohin er gegangen.
Der Bruder brachte Liesbeth diese Kunde und den Brief, sie zitterte so, daß sie ihn nicht öffnen konnte, er mußte ihr ihn vorlesen; Georg war immer gut in der Feder gewesen. Der Brief lautete:
„Geliebte Elisabeth! Ich gehe fort in die weite Welt, vielleicht wirst Du nichts mehr von mir hören. Verzeih Dir's Gott, daß Du mich so hinaustreibst, denn es ist von Deinetwegen, daß ich fort muß und kann's nimmer aushalten daheim. Es ist mir wohl bewußt, daß ich meinerseits auch den Fehler gemacht habe, aber das weiß Gott, daß ich Dir hätte Alles zu lieb thun können, wenn Du mich mit Liebe behandelt hättest. Ich will mich jetzt allein in der Welt fortbringen, daß ich mir nicht mehr von meinem Weib darf das Essen vorwerfen lassen. Keinen Andern kannst Du nicht nehmen, denn wir sind doch noch Mann und Weib, und ich glaub's auch, daß
Du Dich mit Keinem einläßt, ich hab' jeder Zeit mehr Zutrauen gehabt zu Dir, als Du zu mir. Wenn Du in eine Noth kommst, so laß mich's wissen, dem Wirth in Senzheim, wo ich eingestellt hab', will ich's vermelden, wo ich hingehe. Und leb wohl, ich trag Dir nichts nach.
Dein getreuer
Georg.“
Als Liesbeth den Brief gehört und begriffen hatte, daß ihr Mann nicht wiederkomme, warf sie sich wie sinnlos auf die Erde und schrie zum Verzweifeln. Verwandte und Nachbarinnen sammelten sich, um sie zu trösten, der geeignetste Trost schien ihnen eben die Schlechtigkeit ihres Mannes: sei doch froh, daß er fort ist, dein Gut wär ja voll hin gewesen bei dem Verthuner. Endlich stand Liesbeth auf, und sie, die bis dahin nie geklagt, brach nun in eine Flut von Klagen und Schmähungen über ihren Mann los, daß selbst die beredtesten unter seinen Feinden dagegen verstummten. So, jetzt hab' ich euch meine Meinung gesagt, schloß sie, ihr alle aber haltet's Maul über ihn, meine Sache ist's allein, er hat Keinem nichts zu leide gethan, als mir.
Liesbeth suchte vergeblich von dem Wirth ihres Mannes Aufenthalt zu erfahren, er gab vor, ihn selbst nicht zu wissen. Ihr Bruder bestand darauf, eine Scheidungsklage einzuleiten, sie weigerte sich lange und ließ es erst geschehen, als sie hörte, daß sich Georg dann persönlich stellen müsse. Er wurde in den Zeitungen aufgerufen, sich zu Bereinigung der Sache per-
sönlich einzufinden, widrigenfalls er wegen böswilliger Verlassung geschieden werde.
Drei Tage vor dem festgesetzten Termin saß Liesbeth in ihrer Kammer, es war Nacht und gar still, Liesbeth blieb immer lange auf, sie hatte gar wenig Schlaf in den letzten Monaten. Da hörte sie das Bellen eines Hundes, den Ton kannte sie, es war der Sultan, Georges getreuer Hund. Das Haus war verschlossen, aber das Fenster noch offen, bei dem warmen Wetter, in tödtlichem Schreck sah sie Georges Kopf am Fenster, im Augenblick darauf hatte er selbst sich herein geschwungen.
Liesbeth stieß einen durchdringenden Schrei aus, so daß der nebenanwohnende Bruder eiligst herüber kam; er fand sie zitternd und bleich, wie sie die Hände vor sich ausstreckte und immer schrie: Bring mich nicht um, bring mich nicht um! Georg aber stand ruhig am Fenster und sagte: Was ist das für ein G'schrei, ich hab' ja nur fragen wollen, ob's Der da, auf Liesbeth deutend, ernst sei mit dem Scheiden. Liesbeth schwieg, der Schwager aber hub an und hielt dem Georg sein Sündenregister vor, so bündig und nachdrücklich, daß dieser nicht viel darauf erwidern konnte. Er that es auch nicht, nur als der Schwager zu Ende war, rief Georg zu Liesbeth hinüber: Dich frag' ich, du willst dich scheiden lassen? du? Er schritt auf sie zu, sie schrie aber wieder: Er bringt mich noch um! Endlich aber sagte sie trotzig: Du hast angefangen mit dem Scheiden, wo
du fortgegangen bist; ich bleib' dabei. — So thu ich's auch, sagte Georg, und ging. Er blieb bei seinem Vater, der ein elendes Kämmerlein bewohnte; Liesbeth fürchtete sich und schlief die Nacht bei der Schwägerin.
Nach drei Tagen war Liesbeth vor Oberamtsgericht beschieden, sie machte sich früh am Tage auf, das Körbchen am Arm, ohne das eine Bäuerin nie über Feld geht, wenn auch die Zeiten längs vorüber sind, wo „eine Schmierale“ für den Beamten darin lag. Wer sie seit ihrem Hochzeitsmorgen nicht mehr gesehen, hätte sie kaum mehr gekannt: schlaflose Nächte, kummervolle Tage und ein friedloses Gemüth hatten tiefe Furchen in dem noch jungen Gesicht gezogen; doch aber war sie mit ihrer aufrechten Haltung, ihrem sauberen, wohlgeordneten Anzug noch eine stattliche Bauersfrau zu nennen; sie sprach mit niemand, und ihr Gesicht verrieth keine Art von Bewegung, wie sie so geradeaus in stetem Schritt ihres Weges ging. Noch war sie nicht weit gegangen, als sie hinter sich fragen hörte: Wo 'naus so früh? Die Stimme war ihr nur zu wohl bekannt, sie brauchte sich nicht umzusehen, zumal da auch der Sultan an ihr in die Höhe sprang. — Nach Senzheim, erwiederte sie kurz. — Ist's auch erlaubt, daß man mitgeht? frug Georg, der sie eingeholt hatte. — Der Weg ist breit, ich hab' ihn nicht im B'stand (gepachtet), sagte sie kurz angebunden. So gingen sie des Wegs zusammen, sie hüben und Georg drüben, aber wie das so ging, vor Verlauf einer Viertelstunde wandelten sie
dicht nebeneinander. Horch, fing Georg an, so, wie ich b'richtet bin, scheid't man einen nicht, wenn Zwei von einander wollen, Eins von Beiden muß den schuldigen Theil machen. — Das wird gut finden sein, wer bei uns der schuldige Theil ist, sagte Liesbeth schnippisch. — Den schuldigen Theil heißt man den, der nicht mit dem andern Hausen geht; wenn dann ich aber wieder will? — So will ich nicht, sagte sie heftig. — Ja siehst, dann wirst eingesperrt, das ist nichts für ein Weibsbild, da will lieber ich der Schuldige sein, mir macht's so viel nicht aus. Liesbeth schwieg. Georg fragte nach dem Vieh, den Gütern, sie gab Antwort, und wer die Zwei des Weges dahin gehen sah miteinander, der hätte gedacht, ein einträchtiges Ehepaar besorge sein Geschäft zusammen.
Sie kamen an einen kleinen Bach am Weg, der vom Regen hoch angeschwollen war, Liesbeth wollte Schuh und Strümpfe ausziehen; — ach, was braucht's den Umstand, sagte Georg, nahm sie auf die Arme und trug sie hinüber.
So kamen sie zur Oberamtsstadt, betraten miteinander das Gerichtsgebäude und setzten sich nebeneinander auf die eine Bank in dem Parteienzimmer. Liesbeth wurde auf einmal sehr blaß. Was hast? fragte Georg, ist dir's weh? — Der Schlaf ist mir, glaub' ich, in Magen gefallen, sagte sie halblaut. Georg sprang ins nahegelegene Bäckerhaus und holte alten Wein und Wecken, was sie wieder zu Kräften brachte.
Sie hatten lang zu warten, endlich rief der Oberamtsrichter den Amtsdiener: Ist die Elisabeth Walter draußen, deren Scheidungsklage anhängig ist, und hat sich der Ehmann eingestellt? — Draußen ist kein streitiges Ehpaar, Herr Oberamtsrichter, zwei Leute sitzen in großer „Liberität“ beisammen, wird wohl ein Brautpaar sein, das Sporteln zahlen will.
Zu großem Erstaunen des Dieners fand sich doch, daß das einträchtige Paar die streitigen Eheleute waren, und wer die beredte Schilderung der Liesbeth über das Elend ihres Ehestandes und die Unthaten ihres Mannes anhörte, konnte auch daran nicht zweifeln. Georg konnte nicht viel widersprechen, es war Alles wahr, nur einmal meinte er, wenn man „falsch“zornig. werde bei so einer „Giftkugel“, so sei's kein Wunder. Habt Ihr von Anfang an einen Widerwillen gegen die Verbindung mit Eurer Frau gehabt? frug der Richter. — I, o nein, sell net, o wie oft hab' ich gesagt: Bethle, wenn i di nu fressa könnt! Hätt' i se sellesmol no g'fressa! setzte er mit einem schweren Stoßseufzer hinzu. — Ihr habt Euer Weib freiwillig und heimlich verlassen und verweigert auch jetzt noch die Fortsetzung der Ehe? — Ja, das thu' ich, ich glaub' nicht, daß ich's wieder prestieren könnt', wenn ich auch wollt. — Und Ihr, Elisabeth Walter, besteht auf der Fortsetzung der Ehe? — Ich bestehen! ja lieber in Neckar sprin-
gen! schrie diese erbos't, ich werde ihm noch nachlaufen; ja wohl da!
Vergebens suchte sie Georg durch Winke und Blicke zu bedeuten, daß das ja nur der Form wegen nöthig sei, sie konnte sich durchaus nicht dazu verstehen. Da nun beide Ehegatten auf der Scheidung bestanden, so konnte nach unsern Gesetzen der Scheidungsprozeß nicht voran gehen, und der Richter entließ sie mit einer nachdrücklichen Ermahnung zur Versöhnung, die ihm bei dem unverkennbaren Interesse Beider für einander nicht unmöglich schien.
Da Liesbeth sich lang nicht entschließen konnte, ihrerseits auf dem Zusammenleben zu bestehen und Georg eben so wenig sie als den sogenannten schuldigen Teil ins Gefängniß gehen lassen wollte, so zog sich der Prozeß noch lange hinaus. Gar manchmal wanderten die Zwei noch zusammen vor Amt, und immer trug Georg die Liesbeth über den Bach, trug ihr den Korb, bog die Zweige auseinander, die hätten ihr Gesicht streifen können, und hütete sie vor jeder Gefahr, die ihr etwa auf dem Weg begegnen konnte, und staunend und kopfschüttelnd sahen die Leute vom Dorf dem seltsamen Paar nach.
Liebe im Streit. Es kam endlich doch zur Scheidung, die Geschwister Liesbeth's hatten Alles gethan, sie zu fördern, und Georg
that nichts, sie zu hintertreiben, 's ging nimmer, versicherte er, wenn gute Freunde ihm zuredeten, er solle doch nicht so dumm sein, und von einem Weibe gehen, die „Sach genug“ habe; 's geht nicht, ich werd' nimmer anders und sie vollends gar nicht, 's ist besser, wir sind voneinander.
Als sie vom letzten Gang vom Sitz des Gerichtshofs, wo die Scheidung vollzogen worden war, zusammen heimkehrten, sagte Liesbeth spitzig: So, jetzt kannst nehmen, wen du willst. — Erst nicht, sagte Georg, ich bin der schuldig Theil, ich darf nicht heirathen, ohne deine Erlaubniß. — Ich heb' dich nicht, schnauzte sie mit glutrothem Gesicht. — Du darfst heirathen, wenn 'd willst, sagte Georg, aber, indem er sich mit geballten Fäusten vor sie hinstellte: guck, todt schlag' ich dich, maustodt, wenn 'd einen Andern nimmst. Schweigend zogen sie miteinander nach Haus, bis sie sich trennten vor Liesbeth's Hausthür.
Georg hatte nichts von seinem Weibe anzusprechen, er hatte nicht viel beigebracht und noch weniger etwas errungen. Er hatte immer besonders gut mit Pferden umgehen können und verdingte sich nun als Kutscher zu einer Herrschaft in der Stadt. Eh er ging, nahm Liesbeth, die karge Liesbeth, drei Wochen die Näherin ins Haus und ließ ihn mit Weißzeug neu ausstaffieren. In der Nacht nahm er noch Abschied von ihr, und sein
letztes Wort war wieder: Todt schlag' ich dich, wenn 'd einen Andern nimmst.
Georg war fort, und bald erfuhr man, er sei mit seinem Herrn nach Frankfurt. Liesbeth, die einigemal heimlich vor seiner Abreise in der Stadt gewesen war, hatte das zum voraus schon gewußt, sie hatte auch erfahren, daß der Herr außer seinem Kutscher noch einen jungen Burschen zur Bedienung mitnehme. Durch allerlei Schleichwege, befreundete Mägde u. dgl. wußte sie dessen Bekanntschaft zu machen, und sie versprach ihm jährlich ein reiches Geschenk, wenn er ihr immer von Zeit zu Zeit Nachricht über den Georg gebe, über Alles, was er thue, und besonders wenn er weibliche Bekanntschaften mache; nur die bestimmte Zusicherung, die ihr der Junge darüber gab, konnte sie etwas beruhigen.
Dem Georg fiel das Heirathen nicht ein, obwohl ihn Liesbeth mit rastloser Angst bewachte oder bewachen ließ. So oft er in die Gegend kam, kehrte er bei ihr ein und brachte alle Zeit, die er von seinem Dienst abwesend sein konnte, bei ihr zu. Gewöhnlich sprang ihm der Sultan voran, und wenn Liesbeth den bellen hörte, kehrte sie vom dringendsten Feldgeschäft um und ging nach Hause. Die Nachbarn behaupteten, ihr Kamin rauche nur dann recht, wenn der Georg da sei, sonst steige das ganze Jahr nur so ein dünnes Schwänzle in die Höh.
Georg hatte sehr einträgliche Dienste, und das Dorf erstaunte über die reichen Geschenke, die feinen
Tuchkleider, warmen Halstücher und seidenen Schürzen, die er der Liesbeth brachte oder schickte. Sie machte ihm darüber Vorwürfe: So kommst du zu nichts und bleibst der alte Lump. — Wenn ich nichts mehr hab', so verhältst du mich, sagte erlachend. — So? meinst? — Und doch zog sie mit besondrem Stolz die Sachen an und hatte nicht Ruhe, bis man sie darüber berufen und den Staat bewundert hatte.
So ging das lange Jahre fort. Georg hatte keinen Grund zur Eifersucht, Liesbeth bekümmerte sich um keinen Mann, die ihrige aber blieb rastlos wach. Der Fall kam freilich auch vor, daß Georg dienstlos war, und Ersparnisse konnte er jetzt noch so wenig machen, als vor Zeiten. Dann nahm er seine Zuflucht zu Liesbeth, als ob sich das von selbst verstände, und sie wohnten zusammen, arbeiteten zusammen und stritten sich zusammen, wie in den alten Tagen, bis Georg wieder eine Stelle fand.
Einmal, nach einer längeren Abwesenheit Georges, in tiefer Nacht hörte Liesbeth vor ihrer Thür das klägliche Winseln eines Hundes, sie sprang aus dem Bette und öffnete: es war der Sultan. Sie dachte an Geschichten, wo Hunde Hülfe zu Todten oder Verwundeten geholt, und zündete die Laterne an, um zu sehen, ob der Hund nicht auf eine Fährte leite, aber er blieb da und hatte, wie's schien, keinen Willen, als ins Haus zu kommen; er legte sich oben ruhig vor Liesbeth's Bett nieder, während er sonst in lustigem Aufhüpfen
und wildem Hin- und Herspringen die Ankunft seines Herrn verkündet hatte.
Mein Mann ist gestorben, sagte Liesbeth am andern Morgen zum Bruder. — Ach, was bildst dir ein, sagte der. — Und ich weiß gewiß, daß er todt ist, versicherte sie und rüstete ihre Trauerkleider.
Nach vierzehn Tagen erst kam der Todtenschein des Kutschers, der im Ausland gestorben war. Das Wenige, was er hinterlassen, hatte er seinem Weibe vermacht. Liesbeth hat von der Zeit an nie mehr helle und farbige Kleider getragen. Sie war noch wohlerhalten und hatte ihr Besitzthum durch Fleiß und Sparsamkeit wieder sehr gehoben daß es ihr jetzt noch nicht an Freiern gefehlt hätte. Aber sie sahen bald, daß da nichts zu hoffen war. Sie verkaufte ihre Güter und zog sich in die Hinterstube ihres Hauses zurück. Sie ist sehr alt geworden. Der Sultan blieb bis zu seinem Ende ihr einziger Gefährte, nachher blieb sie ganz allein.