Anekdoten.
Der abgefertigte Dichterling.
Ein Dichterling, vorlaut, anmaßend und ſpöt-
tiſch bei jeder Gelegenheit, fragte einſt im Geſpräch
einen Schriftſteller, der ihn in jeder Hinſicht weit über-
ſah, auf eine ſpöttiſche Weiſe, warum er nicht ein
A
Mal über den Mond ſchriebe? Den Mond, ant-
wortete der Gefragte ganz kalt, überlaſſe ich den
Dichtern und den Hunden: die Einen beſingen ihn,
die Andern bellen ihn an.
Der Bauer und der Oberſt, ſein Sohn.
Der Sohn eines Bauers, dem Pflug und Egge
nicht behagen wollten, faßte den Entſchluß, Soldat
zu werden; er nahm dem Vater das beſte Pferd
aus dem Stalle, ritt ohne Lebewohl davon, und
ließ ſich bei dem nächſten Regiment anwer-
ben. Ein bedeutender Krieg war eben ausgebro-
chen, der junge Martisſohn machte alle Feldzüge
mit, blieb von Wunden verſchont, ſchwang ſich
durch Tapferkeit und Glück immer höher empor,
erwarb ſich mehrere Orden, und kehrte nach dem
Frieden als Oberſt des Regimentes, mit welchem
er als Gemeiner ausmarſchirt war, in die Garniſon
zurück. Bisher hatte er ſeinem Vater keine Nach-
richt von ſich gegeben: jetzt, da er ihm mit Ehren
unter die Augen treten konnte, ſtellte er ein großes
Gaſtmahl an, lud die Vornehmſten der Stadt da-
zu ein, und ließ ſeinen Vater aus ſeinem Dorfe
ebenfalls dazu holen. Der Alte, höchlich verwun-
dert, wollte die Ehre durchaus ablehnen, da er nicht
begreifen konnte, wie er dazu käme. Jndeſſen halfen
alle ſeine Gegenvorſtellungen nichts, und er mußte
an der Tafel den Platz neben dem Wirthe ein-
nehmen.
Nach beendigter Mahlzeit, als die Becher wak-
ker im Kreiſe umhergegangen, und der Alte ungemein
fröhlich und ſelig geworden war, gab ſich endlich
der Oberſt, als ſeinen entflohenen Sohn zu er-
kennen.
Wie, was! ruft der Alte, Du biſt der Fritz? Du
mein Sohn? Ja, Du biſt es, ich erkenne Dich.
Aber, daß Du mir damals mein beſtes Pferd aus
dem Stalle geritten haſt, höre Junge, das kann ich
Dir nicht verzeihen, dafür mußt Du doch noch was
haben! Mit dieſen Worten lief er nach dem Stock,
und wer weiß, was geſchehen wäre, wenn er ihn
an ſeinem Orte gefunden hätte.
Aus dem Leben des Hofraths Herz.
1.
Der verſtorbene Hofrath Herz war bekanntlich
ein ſehr witziger Kopf, und gab öfters, da ihm
Geiſtesgegenwart im hohen Grade eigen war, ſchnelle
und treffende Antworten. Es iſt Schade, daß man
keine Sammlung derſelben beſitzt. Einzelne werden
hin und wieder noch von ihm erzählt, wie z. B.
folgende:
A 2
Einſt kam er zu einem ſeiner Kranken, mit wel-
chem er ſich eine kurze Zeit zu unterhalten pflegte.
Die Rede war heute von der hohen Stufe der Bil-
dung, deren man ſich jetzt erfreue, und von der Er-
ziehungsmethode der Neueren. Unſere Ältern, ſagte
unter andern der Kranke, haben uns zuviel lernen
laſſen. Ganz trocken fiel Herz ein: „Nun, was
mich betrifft, ſo kann ich mich darüber eben nicht
beſchweren!
2.
Herz war bekanntlich Arzt an dem hieſigen jü-
diſchen Krankenhauſe. Jn demſelben befand ſich
einſt ein alter Pole, der ihm, wie ungebildete Kranke
wohl zu thun pflegen, ſehr viel zu ſchaffen machte.
Bei einem Beſuche redete Herz ihn mit den Wor-
ten an: Nun, was gibt es denn heute Neues zu
klagen? —
Ach, ich bin ſehr krank! erwiederte der Pole; —
ſehen Sie doch nur, Herr Hofrath, wie mir der
Schweiß von oben herunter läuft. —
H. Aber mein Gott, ſoll denn der Schweiß etwa
von unten hinauf laufen? — Habt nur Geduld!
Beſſer, Jhr ſchwitzt, als ich. Mich hat geſtern ſchon
die Angſt, Jhr möchtet heute nicht ſchwitzen, in
Schweiß gebracht.
(Es war dieß nämlich ein erwünſchter kritiſcher
Schweiß.)
Brauche ich denn das zu leiden, Herr Hofrath?
fragte der Kranke.
Herz ſtutzte bei dieſer Frage. — Jch meine, er-
klärte ihm der Patient, ob ich mich wohl abtrock-
nen darf?
2.
Zwei Schüler fanden ſich einſt vor der Woh-
nung des Hofraths Herz ein, als er gerade, von ih-
nen ungeſehen, mit der Pfeife im Fenſter lag, und
ein unbemerkter Zeuge ihres Geſpräches ward. Sie
konnten nicht einig werden, wer von ihnen hinauf
gehen ſollte. Beide! ſagte der Eine, das iſt un-
ſchicklich: gehe Du dreiſt hinauf, Du bekommſt ge-
wiß etwas. Das kann ich nicht, erwiederte jener;
er möchte mich kennen, ich habe kürzlich erſt etwas
von ihm erhalten. Dieß Debattiren dauerte eine
geraume Zeit, endlich wurden ſie einig, gemein-
ſchaftlich ihr Glück zu verſuchen. Aber vor der
Thür des Zimmers ſank dem Einen der Muth, leiſe
öffnete er daſſelbe und ſtieß ſeinen Kameraden
hinein. Dieſer zum Tode erſchrocken, fing an zu
weinen, und entſchuldigte ſich damit, daß ihm der
andere gewaltſam hinein geſtoßen habe. Sey ruhig,
mein Söhnchen, erwiederte Herz, ich werde Dich
ganz gemächlich wieder hinaus werfen!
Der Buffo und das da capo.
Ein italieniſcher Buffo gab hier einige Male
Jntermezzo’s, aber, da er der deutſchen Sprache
nicht mächtig war, in ſeiner Mutterſprache. Als
er eine Arie geſungen hatte, die ſo allgemeinen Bei-
fall fand, daß man da capo rief, erhob ſich im
Parterre eine mißbilligende Stimme: Wozu ſoll
denn das da capo? der Menſch verſteht ja kein
Deutſch!
Das Herausrufen zu rechter Zeit.
Ein herumreiſender Schauſpieldirektor wählte zu
ſeinen Vorſtellungen ein Lokal, an welchem man mit
Recht auszuſetzen hatte, daß es, im Verhältniß zu
der ſchauluſtigen Menge, nicht groß genug ſey. Zu
Ende des erſten Aktes rief man den Direktor her-
aus. — Gott ſei Dank! rief einer der Zuſchauer,
ſo kommt doch wenigſtens einer heraus, das Haus
iſt ohnehin zu klein.
Der Taufſchein.
Ein Jſraelit, der zur chriſtlichen Religion über-
trat, verlangte von dem Prediger ſeinen Taufſchein,
bat aber zu gleicher Zeit, der Prediger möge ſeinen
alten Namen, unter dem er als Kaufmann bekannt
ſey, Abraham Moſes & Comp., hinein ſetzen. Recht
gern erhielt er zur Antwort, aber ich dächte, wir
ſchrieben Jſaak und Jakob auch noch dazu!
Die allzugroße Familie.
Ein polniſcher Jude kam zu einem chriſtlichen
Prediger, und meldete ihm, daß er Willens ſey ſich
taufen zu laſſen. Der Prediger, der wohl merkte,
daß mehr der Eigennutz, als die wahre Überzeug-
ung ſeinen Proſelyten antreibe, beſchloß ihn auf
eine Probe zu ſtellen. Er fragte ihn, ob er denn
auch wirklich von der Vortrefflichkeit des chriſtlichen
Glaubens überzeugt ſey? Die Antwort war: Ja. —
Ferner, ob er auch wohl im Stande ſey, etwas für
denſelben zu leiden und zu dulden, und, ob er ſich
wohl einer Prüfung ſeiner Standhaftigkeit unter-
werfen wolle? Auch dazu war der Proſelyt erbö-
tig. Nun rief der Pfarrer ſeinen Knecht herein,
und befahl ihm, dem Übergänger, auf ſein jedesma-
liges Ja, drei Hiebe zu geben. Dieſem aber kündigte
er an, daß er bei jedem chriſtlichen Heiligen, den
er anerkennen würde, die ſo eben ausgeſprochene
Prüfung erdulden müſſe. Darauf nannte er den
Johannes; der Neubekehrte bequemte ſich zum Ja-
und bekam drei Hiebe: beim Petrus und Paulus
ging es eben ſo. Aber nun rief der Märterer mit
wehmüthiger Miene aus: Ach, Herr Prediger, hö-
ren Sie auf, hören Sie auf, die Familie iſt mir
doch zu groß; wir wollen es lieber beim Alten laſſen.
Der billige Zahnarzt.
Ein Landmann kam zu einem herumziehenden
Zahnarzt, um ſich einen Zahn ausnehmen zu laſ-
ſen. Unglücklicher Weiſe faßte der Künſtler zwei für
einen, beſänftigte aber auf der Stelle ſeinen aufge-
brachten Patienten durch die Verſicherung, daß er ſich
doch nur für einen bezahlen laſſen wolle.
Der Magister convivii.
Bei einem Trinkgelage ergriff der Magister con-
vivii, ehe man die Gläſer noch füllte, eine volle
Weinflaſche, und gebot ſeinen Gefährten, alles nach-
zuahmen, was er ihnen zeigen würde. Er machte
darauf alle nur erdenklichen Manual-Operationen,
drehte die Flaſche bald nach oben, bald nach unten,
legte ſie um, richtete ſie wieder auf, ſchwenkte ſie
trotz dem gewandteſten Fahnenträger oder Tam-
bourmajor um und über dem Kopfe u. ſ. w. La-
chend wurde ihm alles nachgemacht, bis man ihn
endlich um die Erklärung aller dieſer Ceremonien
bat, welche er folgendermaßen gab:
Meine Freunde! Jch habe damit nur im Vor-
aus alle die Revolutionen andeuten wollen, welche
die Flaſche bei uns hervorbringen wird, und gleich-
ſam vorher Repreſſalien gebraucht. Denn den Einen
von uns wird ſie zum vierten Theil, den Andern
halb, den Dritten ganz umwerfen; aber, ſeht her,
Freunde! ſie hat keinen Schaden gelitten, trotz al-
ler dieſer poſſierlichen Bewegungen. Sie hat dabei
nicht das mindeſte verloren, ſondern iſt geblieben,
was ſie war. Und das hat ſie mir zu verdanken,
denn ich habe, da ſie mir überlaſſen war, alle mög-
liche Sorgfalt für ihre Erhaltung getragen. Über-
laſſen Sie Sich, meine Freunde, auch meiner Füh-
rung, und ich will dafür Sorge tragen, daß der
viertel, halb und ganz Selige unbeſchädigt bleibe. —
Ergo bibamus!
Die ſchreckliche und gute Nachricht.
Von ungefähr traf Jemand in einer Geſellſchaft
einen Fremden, und erfuhr, daß er eben aus der
Stadt komme, in welcher ſein alter Vater lebte. Er
redete ihn an, und erkundigte ſich, ob ihm dieſer
vielleicht bekannt ſey? Die Antwort lautete: O ja,
ich habe ſogar die Ehre, ihn genauer zu kennen,
und öfters bei ihm zu Mittag gegeſſen. Wie geht
es ihm denn, fragte der Sohn, wie lebt er? Hof-
fentlich doch gut?
D. Fremde. So, daß ich wünſche, alle böſe
Menſchen mögen ein ſolches Leben führen, wie Jhr
Herr Vater!
D. Sohn. Wie ſo? Sie erſchrecken mich! Jſt
denn mein Vater etwa krank?
D. Fremde. Gott bewahre! Er iſt ſo geſund,
wie ein Fiſch!
D. Sohn. Oder hat er vielleicht ein bedeutendes
Unglück gehabt?
D. Fremde. Jm Gegentheil. Er hat erſt vor
ganz kurzer Zeit einen nicht unbedeutenden Gewinn
in der Lotterie gemacht.
D. Sohn. Aber, wie ſoll ich mir denn Jhren
ſonderbaren Wunſch erklären?
D. Fremde. Jhr Herr Vater iſt vom frühen
Morgen an nur darauf bedacht, wie er Gutes um
ſich her verbreiten könne. Er führt ein ſtilles häus-
liches Leben, und findet ſein höchſtes Glück nur
darin, das Glück anderer Menſchen zu befördern.
Sind Sie nicht auch der Meinung, daß man zu
wünſchen hätte, alle böſe Menſchen möchten ein ſol-
ches Leben führen?
Der Willkommen auf dem Poſtwagen.
Auf einem Poſtwagen befanden ſich zwei Paſſa-
giere ziemlich wohl, da ſie in ihrer Mitte eine
ſchöne gefällige Paſſagierinn hatten. Man wettei-
ferte von beiden Seiten, der Reiſegefährtinn die Zeit
durch alle nur erſinnliche Späßchen ſo angenehm
als möglich zu vertreiben. So ward man bald be-
kannt, und die anbrechende Nacht fand unſer Klee-
blatt in der angenehmſten Stimmung. Es war im
Herbſt, und die Witterung ziemlich rauh und kalt.
Beide Paſſagiere waren menſchlich genug, alle Sorge
zu tragen, daß die holde Schöne nicht friere, daher
rückten ſie ihr immer näher. Aber beide Reiſende
waren auf eine kalte Nacht ganz und gar nicht
vorbereitet, und die Schöne war artig genug, ſie
herzlich zu bedauern, da ſie ſelbſt mit einem guten
Pelzmantel, nach der damaligen Mode, mit Schlit-
zen von beiden Seiten, verſehen war. — Die Un-
terhaltung nahm nach und nach ab; die Stunde
des Schlafes rückte heran, und es fehlte den beiden
Jünglingen nur der Mohnkopf auf dem Haupte,
oder ein Mohnkopf in der Hand, um einem Sohne
der Nacht ganz ähnlich zu ſeyn. Da geſchah es
von ungefähr, ſey es nun durch die Macht des
Morpheus oder durch eine andere natürliche Ur-
ſache, daß der eine Paſſagier, den zu frieren ſchien,
für ſeine halb von Kälte erſtarrte Hand in dem ihm
zunächſt befindlichen Schlitze einen Zufluchtsort ſuchte.
Man müßte nie in einer ähnlichen Verſuchung ge-
weſen ſeyn, um nicht zu wiſſen, wie wohl es be-
kömmt, wenn man in einer kalten Herbſtnacht
auch nur eine Hand auf ſolche Art unterbringen
kann. Aber auch dem zweiten Reiſenden ſchien die
Gelegenheit günſtig, und er fand ebenfalls für eine
von ſeinen Händen in dem andern Schlitz einen
Schlupfwinkel. War nun unſerer Schönen ebenfalls
eine reichliche Portion Mohnkörner in die Augen
geſtreut, oder war ſie menſchlich — genug, dieß
von ihren beiden Nachbarn geſchehen zu laſſen,
darüber wollen wir nicht entſcheiden. — Unglücks-
fälle gibt es überall, und ſo wollte das Ungeſchick,
daß ſich beide Hände hier begegneten. Da rief der
zuletzt Angelangte dem anderen einen freundlichen
Willkomm zu, und fragte ihn: Aber ſagen Sie
mir doch, wie geht es denn zu, daß Sie früher an-
gekommen, als ich, da wir doch zu gleicher Zeit
ausgefahren ſind?
Die geizige Tante und der witzige
Verwandte.
Zur Eröffnung eines Teſtamentes hatten ſich
ſämmtliche Competenten bei der Schweſter des Ver-
blichenen, einer eben ſo reichen, als geizigen Tante,
verſammelt. Die dazu erforderliche Gerichtsperſon
ward wahrſcheinlich durch einen heftigen, anhalten-
tenden Regenguß, der ſo eben eintrat, abgehalten,
zu erſcheinen. Alle Verwandte ſaßen wartend da,
ohne daß ihnen die Wirthinn auch nur einen Trunk
Waſſers angeboten hätte. Der Bruder derſelben,
ein ſehr witziger Kopf, äußerte bei dieſer Gelegen-
heit: es iſt doch ein großes Vergnügen, wenn der
Regen gleichſam vom Himmel herabſtürzt, ſo trok-
ken zu ſitzen, wie wir hier! —
Der Bußtag und der große Suͤnder.
Wie? redete ein Freund den andern an, dem er
auf der Straße begegnete, es iſt heute Bußtag, und
Sie großer Sünder ſind nicht in der Kirche? —
Ach, entgegnete der Andere, ich weiß es gar
wohl, daß ich ein ſo großer Sünder bin, daß ſelbſt
ein ganzes Bußjahr bei mir nicht ausreichen wird,
was ſoll mir denn da der Buß tag helfen?
Der Pſeudo-Graf.
Ein gefährlicher Betrieger, der überall umher-
reiſete, ſich für einen Grafen ausgab, und falſche
Staatspapiere fabricirte und verbreitete, ward endlich
ertappt. Seiner Verbrechen überführt, geſtand er
auch alles ein, und ſetzte ganz kaltblütig hinzu: Da
es mit dem Hochgeboren nicht vorwärts wollte, ſo
wird doch wohl wenigſtens Hochgeſtorben daraus
werden!
Der wachſame Hund und der geizige
Banquier.
Ein Banquier, als ein großer Geizhalz bekannt,
brachte einſt ſeinen Lieblingshund mit in eine Geſell-
ſchaft. Ein witziger Kopf und guter Bekannter von
ihm, der es ſich oft herausnahm, ihn ein wenig zu
necken, ſagte: Hören Sie, das muß wohl ein ſehr
wachſamer Hund ſein! Der Geizhals wollte wiſſen,
woher er dieß vermuthe? „Ei, das ſieht man dem
Thiere an!‟ — Anſehen? Wie ſo? — Allerdings,
der Hund ſieht ja aus, als ob er vor Hunger nicht
ſchlafen könnte.
Die wohlfeile Muſik.
Auf dem Spaziergange, unweit eines Stadt-
grabens, ſagte ebenderſelbe Banquier zu dieſem ſei-
nem witzigen Freunde: Das Geſchrei der Fröſche iſt
für mich die angenehmſte Muſik; ich höre es ſehr
gern. — Das glaube ich wohl, antwortete ſein
Freund, denn ſie gehen nicht mit dem Notenblatt
herum.
Der gut aufbewahrte Dukaten.
Als dieſer Geizige einſt einen Dukaten bekam,
äußerte er, er wiſſe nicht, wo er den Dukaten hin-
ſtecken ſollte, daß er ihn nicht, ſtatt eines Groſchens,
einem Armen gäbe. — Stecken Sie ihn doch, fiel
der Witzling ein, nur unter die Groſchen in ihre
Taſche.
Großer Fehler des Malers.
Der ebengenannte Witzling war einſt bei ſeinem
Freunde, in deſſen Wohnung, und erblickte das
Gemälde deſſelben. Aber, rief er aus, der Maler
hat einen groben Fehler begangen, welcher Sie ganz
unkenntlich macht; er hat ſie im ſchwarzen Hut
und weißen Halstuch gemalt; den ſchwarzen Hut
hätte er weiß malen müſſen, und das weiße Halstuch
ſchwarz, dann wären Sie zum Sprechen getroffen.
Lobenswerthe Oekonomie.
Als dieſer reiche Geizhals auf dem Todbette lag,
beſuchte ihn der Arzt, und gab ihm zu verſtehen,
daß er ihn für ſehr bedeutend krank halte. Jch
werde ihnen noch etwas anderes verſchreiben, fügte
er hinzu; es iſt zwar eine ſehr theure Medizin, in-
deſſen kann ſie vielleicht doch noch helfen! — Er
verſchrieb ſie, und gab das Recept dem Diener,
um es ſogleich machen zu laſſen. Der Kranke aber
gab in demſelben Nu dem Diener einen Wink, und
zeigte ihm pantomimiſch, damit es der Arzt nicht
merke, daß er nur die Hälfte beſtellen ſolle.
Die Kunſtreiſe.
Ein als Witzling bekannter, alter polniſcher
Jude, der ehedem alle Meſſen bezog, entſchloß ſich,
da es keine Geſchäfte für ihn mehr auf der Meſſe
gab, eine Reiſe nach Deutſchland zu machen, um
ſeine Verwandten aufzuſuchen, und ihre Hülfe in
Anſpruch zu nehmen. Ein Kaufmann, der ihn
kannte, traf denſelben in Berlin, und befragte ihn
um die Urſache ſeiner Reiſe in ſeinem hohen Alter.
Jch mache eine Kunſtreiſe war die Antwort. —
Eine Kunſtreiſe? Was ſoll das heißen? Sie wa-
ren ja, ſo viel ich weiß, nie Künſtler. — Ganz
recht, erwiederte der Jude, eben das iſt aber die
Kunſt. Sehen Sie, ich bin aus meiner Heimath,
180 Meilen von hier, mit 4 polniſchen Gulden ab-
gereiſt, bin hier bereits vier Wochen, und werde
von
von hier über Hamburg nach Amſterdam gehen, ohne
irgend eine Ausſicht auf Geld. Das, denke ich, kann
man bei meinem Alter doch wohl eine Kunſtreiſe nen-
nen, welche ſo leicht Niemand nachahmen wird.
Das ſinkende Haus.
Als ebenderſelbe eine Zeit lang in Deutſchland
geweſen war, ohne daß er Luſt geäußert hätte, nach
Hauſe zurückzukehren, ſchrieb ihm ſeine alte Frau,
ſie lebe in nicht geringer Angſt, denn das Haus,
worin ſie wohne, ſinke ſichtlich. Sichtlich! ſchrieb
er ihr zur Antwort, das will ich wohl glauben;
aber es wird ſich wahrſcheinlich bei der Unterſu-
chung ergeben, daß nicht das Haus ſinkt, ſondern
der Unflath vor dem Hauſe ſich häuft.
Sprachlos, und doch noch witzig.
Vom Schlage getroffen lag N. ganz ſprachlos
da. Man reichte ihm eine Tafel hin, und er ſchrieb
mit vieler Mühe mehrere Schuldner darauf. Man
gab ihm zu verſtehen, er möchte auch Gläubiger, die
er doch wahrſcheinlich auch haben würde, aufzeich-
nen. Das mögen meine Gläubiger thun, ſchrieb er
wieder, wenn ſie ſo ſprachlos, wie ich, daliegen
werden.
B
Die Probe.
Ein polniſcher Jude ward auf der Meſſe von
einem deutſchen Kaufmann an ſeinen Laden heran-
gerufen, ob ihm gleich der Pole ſchon vor einigen
Tagen erklärt hatte, daß er nie wieder mit ihm
handeln werde, weil er ſich mit den von ihm gekauf-
ten Waaren ſo abſcheulich betrogen gefunden habe.
Hört, ſagte der deutſche Kaufmann, ihr könnt
mich dieſe Meſſe probiren, ihr ſollt mit mir zufrie-
den ſeyn. — Hört, erwiederte der Pole, habt ihr
ſchon geſehen, wie man einen Gold- oder Silber-
barren probirt? So möchte ich euch auch probiren.
— Wer in der Oſtermeſſe ein Betrieger war, wird
in der Michaelismeſſe wohl ein Schurke, aber
ſchwerlich ein ehrlicher Mann ſeyn!
Origineller Briefwechſel eines zaͤrtlichen
Paares.
Ein polniſcher Jude, der, ſeiner Handelsgeſchäfte
wegen, von ſeiner Frau entfernt lebte, und der
Schmachtenden keine Hoffnung geben konnte, bald
zurück zu kommen, mußte darüber in ihren Briefen
die bitterſten Vorwürfe leſen. Unter andern hieß es
in einem derſeiben: Mein erſter, ſelig verſtorbener
Mann blieb, wenn er verreiſen mußte, doch nur
Monate lang von mir entfernt, Du hingegen biſt
nun ſchon im zweiten Jahre auf Reiſen, und ſcheinſt
ganz vergeſſen zu haben, daß ich noch ein junges
Weib bin — — u. ſ. w. — Der Geſcholtene erwie-
derte ihr: Die beiden Gedankenſtriche, welche in Dei-
nem Briefe auf das junge Weib folgen, habe ich ſehr
wohl verſtanden; indeſſen wäre auch einer hinrei-
chend geweſen, um mir lebhaft zu denken, was Du
dabei gedacht haſt. Was deinen ſeligen Mann be-
trifft, der, wie Du mir zu verſtehen gibſt, Dich
mehr geliebt hat, als ich, ſo habe ich nichts dage-
gen, wenn Du Dich, im Falle dir die Zeit zu lang
werden ſollte, zu ihm begeben willſt. — So war
denn der Briefwechſel dieſer beiden Leutchen nichts,
als ein ununterbrochener Hader und Zank, beſonders
aber verſtand die Frau die Briefe ihres Mannes
beſtändig unrecht, oder ſtellte ſich wenigſtens ſo, als
ob ſie ſie nicht verſtände, und antwortete ihm in
der Regel ganz verkehrte Dinge darauf, und dadurch
ward dieſer endlich veranlaßt, ihr folgenden drol-
ligen Einfall zu ſchreiben: Jch wünſche, daß der
Teufel mich holen möchte; denn wenn ich Dir
ſchriebe, ich wünſche, daß der Teufel Dich holen
möchte, ſo würdeſt Du doch nur das Entgegenge-
ſetzte leſen.
B 2
Die Spieldoſe auf einer Waſſerparthie.
N. beſuchte auf einer Reiſe mit einem Freunde
den berühmten Garten zu Wörlitz. Dort wurde
unter andern eine Waſſerparthie gemacht. Unſer
Reiſender war ein zu würdiger und allgemein aner-
kannt biederer Mann, als daß man ihm die kleine
Schwäche, im Aeußern gern glänzen zu wollen,
und z. B. deswegen ſehr theure Ringe und andere
Koſtbarkeiten zu tragen, nicht zu gut halten und ſie
verzeihlich finden ſollte. Er ließ eine Doſe mit
einem Spielwerk in der Taſche oder aus der Taſche
ſpielen. Da er wohl vermuthen konnte, daß die
Schiffer noch nie dergleichen gehört oder geſehen
hätten, und durch die ungekannten Töne vielleicht
gar, wie die Mohren in der Zauberflöte, verwun-
derungsvoll zum Tanzen gereizt werden könnten;
wenn der kleine Schiffsraum es nur geſtattete, ſo
hoffte er, ſich an ihrer Ueberraſchung zu weiden.
Er ſtellte ſich daher ganz unwiſſend, und fragte,
was denn das für Muſik ſey? Wir ſind, erwiederte
einer der Neptunsgeſellen, hier nicht weit von einem
Dorfe, und das, was wir hören, kommt vom Amts-
vieh her! —
Der abgeſchaffte Monat April.
Ein Einfaltspinſel, der ſtets etwas neues wiſſen
wollte, und faſt alles glaubte, was man ihm auf
zu bürden beliebte, lag mit einem Pfeifchen Tabak
im Fenſter, und fragte einen vorübergehenden Be-
kannten, ob es nichts neues gäbe? Allerdings, gab
dieſer zur Antwort, wiſſen Sie denn noch nicht, daß
der Fürſt den Monat April, der ſchlechten Witterung
wegen, ganz abſchaffen will? — Oho, das glaube
ich doch nicht, rief der ſonſt ſo Leichtgläubige aus,
lieber laſſen ſich die Menſchen den Mai, als den
April nehmen. Zudem ſind ja die meiſten Mieths-
kontrakte im April um, und da würde es gehen, wie
bei allen Neuerungen, es würden nur Unordnungen
folgen. Man laſſe Alles hübſch beim Alten, unſere
weiſen Vorfahren waren auch keine Narren!
Der ehrliche Antiquar.
Ein Antiquar, dem Jemand nach und nach meh-
rere Bücher zum Verkauf brachte, merkte endlich,
daß dieſer wohl nicht auf die ehrlichſte Art dazu ge-
kommen ſey, und nahm ſich vor, nichts mehr von
demſelben zu kaufen. Als der Verkäufer bald dar-
auf mit dem dreizehnten Bande eines Werkes, das
aus weit mehr Bänden beſteht, wieder kam, gab er
ihm denſelben zurück, und ſagte: Freund, dieß Buch
können Sie ja beſſer anbringen, als ich, denn der,
dem es fehlt, bezahlt es gewiß am beſten, ich aber
weiß nicht, wem es fehlt! —
Die wohlfeilen Eide.
Auf einem Kaffeehauſe an einem Meßplatze ka-
men während der Meſſe viele Käufer und Verkäu-
fer zuſammen, und ſchloſſen manchen Handel da-
ſelbſt ab. Ein Galanteriehändler bot einſt einen
ſchönen Brillantring feil, und war mit dem Käufer
um zwei Louisd’or, die er noch verlangte, nicht ei-
nig. Er hatte geſchworen, den Ring nicht zu ver-
kaufen, wenn er nicht die zwei Louisd’or noch be-
käme. Nun, da Sie geſchworen haben, erwiederte
der Käufer, ſo laſſen Sie uns die zwei Louisd’or
noch theilen; ich lege noch einen zu meinem Gebot.
Nach einiger Weigerung willigte der Galanterie-
händler ein, und der Handel ward abgeſchloſſen.
Ein Dritter, der zugegen war, ſagte, nachdem der
Verkäufer ſich entfernt hatte, zum Käufer: den
Ring haben Sie, wie ich glaube, wohlfeil genug
bekommen, aber den Eid haben ſie zu theuer be-
zahlt! — Den Eid? Wie ſo? — Sie haben ihm,
weil er geſchworen hatte, einen Louisd’or zugelegt,
aber ich verſichere Jhnen, der Mann verkauft für
einen Louisd’or ein Dutzend ſolcher Eide!
Der unſchaͤtzbare Solitair.
Auf demſelben Kaffeehauſe brachte Jemand einen
ſeiner Meinung nach ſehr koſtbaren Stein zum Vor-
ſchein, zeigte ihn einem Juvelier, der eben zugegen
war, und fragte nach dem Werthe deſſelben. Dieſer,
der ihn auf den erſten Blick für unächt erkannte,
ſagte ſehr ernſthaft: Dieſer Stein iſt gar nicht zu
ſchätzen, es ſey denn, daß noch einer da wäre, der
ihm ähnlich iſt; dann könnte man ſagen: es iſt
einer ſo viel werth, als der andere.
Der Toͤlpel meinte es gut.
Unter ſo manche Wundermittel, die gegen das
viertägige Fieber, in Polen beſonders, noch im Rufe
ſtehen, gehört auch irgend ein kleinerer Fiſch, der
in dem Bauche eines größeren unverſehrt aufgefun-
den wird. Dieſen pulveriſirt man und nimmt ihn
eßlöffelweiſe als ein probates Mittel. Ein Tölpel
von Sohn, der ſeiner Mutter oft Fiſche zubereiten
mußte, war ſo glücklich, ein ſolches verſchlucktes
Fiſchchen zu entdecken. Außer ſich vor Freuden, lief
er zu ihr, und rief: Ach, liebe Mutter, wenn Du
doch das viertägige Fieber bekämeſt! ich möchte gar
zu gern den Verſuch machen, ob dieß wirklich ein
probates Mittel ſey.
Der zuckerſuͤße Courmacher.
Ein zuckerſüßer Courmacher aller Damen wurde
auf der Promenade, als er eine Schöne begleitete,
von einem Bettler, der ihn um eine Gabe anſprach,
verfolgt, und in ſeiner gar wichtigen Unterhaltung
geſtört. Er griff in die Taſche, fand aber alles,
wie nicht ſelten, auch dieß Mal wüſt und leer. Auf
Ehre! rief er unwillig aus, einen Louisd’or wollte
ich darum geben, wenn ich einen Groſchen bei mir
hätte!
Hans Ueberall.
Wo es nur etwas zu ſehen oder zu hören gab,
da fand ſich Hans unfehlbar ein, und drängte ſich
auf eine anſtändige oder unanſtändige Weiſe, ihm
gleich viel, überall ein. Wiederholte Unannehmlich-
keiten und Beleidigungen, die ihm widerfuhren, blie-
ben fruchtlos. Einſt wurde der Befehl gegeben, zur
Generalprobe der damaligen großen Oper keine Zu-
ſchauer zuzulaſſen. Deſſen ungeachtet wußte ſich Hans
durch ein Trinkgeld den Eingang zu verſchaffen. Es
dauerte aber nicht lange, ſo erſchien der wachhabende
Offizier, und erbot ſich, ihn hinaus zu begleiten, wenn
er geneigt ſeyn ſollte, ſich gefälligſt hinaus zu begeben.
Da er aber, unartig genug, ſich deſſen weigerte, ward
er ganz anſtändig hinaus geworfen. Auf dem Wege
traf ihn ein Bekannter, der den Verdruß auf ſeinem
Geſichte las, und ihn um die Urſache befragte. Of-
fenherzig genug, erzählte Hans das Geſchehene, und
ſetzte noch hinzu: es ärgere ihn am meiſten, daß es
nicht einmal die Oper ſelbſt, ſondern nur die Gene-
ralprobe geweſen ſey, aus der man ihn transportirt
habe. Freund, ſagte ihm ſein Bekannter, das geht
ja ganz natürlich zu. Was iſt denn eine General-
probe anders, als eine Probe alles deſſen, was in
der rechten Oper gemacht werden ſoll? So hat man
denn auch die Probe gemacht, wie man Dich in der
Oper ſelbſt hinauswerfen wird!
Die Reue.
Als wir noch Brautleute waren, ſagte eine Frau
bei einem ehelichen Zwiſte zu ihrem Manne, hielt
ich dich für einen ganz anderen Menſchen. Als
Jüngling hielt ich dich für einen Mann, der noch
als Mann würde Jüngling ſeyn können. — Nun,
mein Kind, erwiederte der Herr Gemahl, eben ſo
bitter ſcherzend, ſo war doch der Jrrthum nicht ſo
groß, als wenn man einen Engel wähnte, und
einen Teufel findet. Als du noch Braut warſt,
liebte ich dich ſo innig, daß ich dich vor lauter
Liebe hätte aufeſſen können, und es thut mir herz-
lich Leid, daß ich es nicht wirklich gethan habe.
Der liſtige Tod.
Jn Polen lebte ein Rabbi, der weit und breit in
dem Rufe eines großen Kabbaliſten ſtand, und auf
dieſe Art gar gewaltige Wunderdinge that, beſonders
an denjenigen, welchen es an Glauben nicht fehlte.
Er unternahm nicht nur die Heilung aller Krank-
heiten, ſondern er wagte es ſogar, ſelbſt dem Tode
das Handwerk zu verderben. Aus allen Gegenden
kamen Unglückliche an, die ihre Zuflucht in ſolchen
Fällen zu ihm nahmen. Nicht weit von dem Wohn-
orte dieſes Rabbi in einem Flecken erkrankte einſt
plötzlich ein Mann, und zwar ſo, daß der Arzt we-
nig Hoffnung zur Wiederherſtellung gab. Seine
arme geängſtigte Frau ſchickte ihren Sohn in der
größten Eile zu dem Kabbaliſten, und ließ ihn fle-
hentlich bitten, ihren Mann zu retten. Der Sohn
langte an, und forderte von dem Rabbi, mit Thrä-
nen in den Augen, Hülfe für ſeinen Vater. Dieſer
hörte die Bitte an, entfernte ſich darauf aus dem
Zimmer, kam aber bald zurück, und ſprach zu dem
jungen Menſchen: Laufe nur nach Hauſe, und ſage
deiner Mutter, ihr Mann ſey außer Gefahr. Vol-
ler Freuden und athemlos überbrachte der Sohn die
Nachricht, aber der Jubel dauerte nicht lange, denn
in der folgenden Nacht ward der Zuſtand des Kran-
ken noch weit ſchlimmer, und der Arzt gab alle
Rettung auf. Mein Sohn, ſprach die Mutter, deren
Hoffnung auf den Wundermann noch nicht unterge-
gangen war, mit dem Anbruch des Tages mußt du
noch ein Mal zu dem Rabbi wandern, und ihm ſa-
gen, daß der Vater noch weit kränker geworden ſey.
Abermals ließ der Rabbi ihn etwas warten, als er
ſeinen Auftrag ausgerichtet hatte, und ſchickte ihn
dann mit der troſtreichen Nachricht zurück, daß dem
Kranken der Todesengel nichts anhaben könne, weil er
ihm das Meſſer Die alten Juden ſtellten nämlich den Tod in der
Geſtalt eines Engels vor, und gaben ihm, ſtatt der Senſe,
ein großes Meſſer in die Hand, womit er ſeine Funktion
verrichtete. weggenommen habe. Noch ſchnel-
ler, als das erſte Mal, langte der Sohn mit dieſer
frohen Kunde zu Hauſe an; aber ſie beſtätigte ſich
ſehr ſchlecht, denn ſchon nach einigen Stunden ging
der Alte in die Ewigkeit. Troſtlos forderte die eben
ſo unglückliche als abergläubige Mutter ihren Sohn
auf, dem Rabbi wenigſtens die Todesnachricht zu
überbringen, und ſich zu erkundigen, wie dieß zuge-
gangen ſey, da er doch vorgegeben, dem Tode das
Meſſer genommen zu haben. Aber, ſich ganz ver-
wundert ſtellend, ſprach der verlegene Rabbi: Sage
deiner Mutter nur, das Meſſer hätte ich allerdings
in Beſchlag genommen, es könne daher nicht anders
ſeyn, der ſo liſtige Todesengel müſſe den Seligen
gewürgt haben.
Die Rettung durch verſtorbene Aeltern in
Hundsgeſtalten.
So wie es bei den Griechen Dämonen und Schutz-
geiſter gab, ſo gab es dergleichen, nur mit ungleich
mehr Modifikationen, auch unter den alten Juden.
Unter andern herrſchte der Glaube, daß verſtorbene
Ältern auf ihre Kinder immer noch ein wachſames
Auge hätten, und ihnen im Augenblicke der Gefahr
unter allerlei Geſtalten, je nachdem ſie erforderlich
wären, erſcheinen könnten. Da gibt es nun eine
Menge recht drolliger Anekdoten, wovon folgende
als Probe dienen mag:
Auf dem Gute eines polniſchen Edelmannes leb-
ten zwei Juden, die den Krug gemeinſchaftlich ge-
pachtet hatten. Da ſie aber ſchon mehrmals, der
eingetretenen Feiertage wegen, ihre Pflichten ge-
gen den Edelmann nicht erfüllt hatten, ſo ward
dieſer endlich, bei einer ähnlichen Gelegenheit, ſo
erbittert, daß er ſie zu einer Züchtigung verur-
theilte. Alle vorgebrachte Entſchuldigungen blieben
ohne Wirkung, es ward ein Bund Stroh herbeige-
bracht, und ſchon ſtand der Vogt mit der Peitſche
ſchlagfertig, als einer der Diener hereintrat, und
dem Edelmanne, einem leidenſchaftlichen Jäger, ei-
nen Brief von ſeiner Braut überreichte, welcher von
zwei ausgeſucht ſchönen Jagdhunden begleitet war.
Voll Freude über den lieben Brief, und auch wohl
wahrſcheinlich über die noch lieberen Hunde, erließ
er den beiden armen Sündern die Strafe, mit dem
Bemerken, daß ſie es den beiden Hunden zu danken
hätten, ſo glücklich davon gekommen zu ſeyn.
Dankend blickten beide auf dem Wege nach Hauſe
gen Himmel. Wer weiß, ſprach der Eine, wer weiß,
was wir hätten leiden müſſen, wenn der Zufall nicht
in dieſem Augenblick die beiden Hunde herbeigeführt
hätte! — Sünder und Tölpel! rief ihm der Andere
zu, glaubſt du denn, daß es wirkliche Hunde waren?
Ja, der Geſtalt nach, allerdings, aber unſere Schutz-
geiſter waren es, ohne Zweifel der eine Hund dein,
der andere mein Vater!
Die fehlgeſchlagene und ſchaͤdliche Huͤlfe.
Jn die ſchöne und tugendhafte Tochter eines
Glaſermeiſters verliebte ſich ein junger Mann, und
da er in gutem Rufe ſtand, ſo ward ihm die Er-
laubniß von den Ältern des Mädchens, ſie nach
Belieben zu beſuchen. Beide aber, das Mädchen
ſowohl, als der junge Mann, konnten ſich in ihrer
gegenſeitigen Liebe nicht mehr gleichen, als ihre Lage
darin vollkommen gleich war, daß ſie beide ganz
ohne Vermögen waren. Eines Tages hörte der
junge Mann von dem Vater ſeiner Geliebten die
bitterſten Klagen, daß ihn ſeine Profeſſion nicht
mehr ernähren wolle. Seit dem großen Hagel-
ſchlage, der ſo viele Scheiben heimgeſucht, habe er,
außer unbedeutenden Laternengläſern, faſt gar nichts
zu thun gehabt. Der Liebhaber ward von der Noth
der Familie gar ſehr gerührt, und empfand ſein Un-
vermögen zu helfen deſto ſchmerzhafter, je größer
ſein guter Wille war. Da kam ihm der Einfall,
dem Vater ſeiner Geliebten auf eine beſondere Art
zu helfen, und er beſchloß, denſelben ſo bald als
möglich auszuführen. Am folgenden Abende bat er
mehrere junge Bekannte und Freunde zu ſich, und
ſchaffte eine großmächtige Bowle Punſch an, die bis
in die ſpäte Nacht ausdauerte. Als ſich nun die
Geſellſchaft ziemlich voll gepunſcht hatte, erzählte er
die unglückliche Lage jenes Glaſermeiſters, und for-
derte ſeine Gefährten auf, in dem von der Wohnung
des Glaſermeiſters nicht weit gelegenen Hauſe eines
reichen Banquiers alle Fenſter einzuwerfen, um dem
armen Manne zu einem Verdienſt zu helfen. Das
iſt ein köſtlicher Einfall, rief der ganze Chor ein-
ſtimmig aus, laßt uns raſch zur That ſchreiten,
ehe uns die Nacht verläßt, die unſerem Vorhaben
ſo günſtig iſt! — Geſagt, gethan, und der künſt-
liche Hagel hauſte noch weit ärger unter den ſchö-
nen Spiegelſcheiben, als jener natürliche. Jn der
ganzen Front des Hauſes blieb kein Fenſter unver-
nichtet.
Nach einigen Tagen ging unſer verliebter Haus-
freund zu ſeiner Geliebten, in der Hoffnung, ihren
Vater in einer beſſeren Stimmung zu finden, als
diejenige war, in der er ihn verlaſſen hatte; aber
ſtatt deſſen erzählte ihm ſein Mädchen mit Thrä-
nen, daß ihrem Vater ein großes Unglück getroffen
habe. Es ſeyen nämlich einem reichen Banquier in
der Nachbarſchaft in einer Nacht alle Fenſterſcheiben
im Hauſe eingeworfen, und ihr Vater müſſe dieſe alle
ohne Bezahlung machen, da er mit dem Banquier in
einem Jahr-Kontrakt ſtehe, nach welchem er für eine
keines Weges bedeutende Summe alle Glaſerarbeit,
die im Hauſe nothwendig ſey, anfertigen müſſe. —
Man kann ſich die Beſtürzung des jungen Mannes
leicht denken, der nun bei allen Verwünſchungen
der Thäter ſtill ſchweigen, und um ſich nicht zu
verrathen, wohl gar auf ſich ſelbſt noch mit ſchim-
pfen mußte.
Große Veraͤnderung der Zeit.
Jn Breslau lebte eine jüdiſche Familie unter
dem Namen Kuh, aus welcher unter andern auch ein
im vorigen Jahrhunderte beliebter Dichter ab-
ſtammte. Einige Glieder dieſer Familie traten ſpä-
ter zur chriſtlichen Religion über. Ein Witzling
nahm davon Gelegenheit, zu äußern: Wie ſich
doch die Zeiten geändert haben, ehemals taufte man
die Milch, jetzt tauft man die Kühe ſelbſt.
Replik und Gegenreplik.
Eine ähnliche Anekdote, die vielleicht die Mut-
ter oder die Tochter der vorhergehenden ſeyn mag,
iſt folgende:
Ein iſraelitiſcher Gelehrter kehrte auf einem Spa-
ziergange mit einem chriſtlichen gelehrten Freunde an
einem öffentlichen Ort ein, und ließ ſich Kaffee rei-
chen. Der Chriſt machte die Bemerkung, daß die
Milch zum Kaffee ſehr getauft ſey. Ei, ei, mein
Freund, erinnerte ihn ſein Begleiter, wie kann man
ein ſo heiliges Wort alſo mißbrauchen. — Nun,
erwiederte der Chriſt, wenn von Dukaten die Rede
wäre, ſo würde ich ſagen, ſie ſeyen beſchnitten!
Die witzige Juͤdinn.
Eine jüdiſche ſehr witzige Dame ging in Beglei-
tung eines chriſtlichen Freundes, eines Profeſſors,
auf einer Promenade ſpazieren. Der Profeſſor ward
von
von einem äußerſt zudringlichen Bettler verfolgt,
der, obgleich mehrmahls mit Heftigkeit abgewieſen,
dennoch nicht von ihm ließ; wie es denn überhaupt
die Maxime eines Bettlers von Profeſſion zu ſeyn
ſcheint, Herren, die in Begleitung von Damen ſich
öffentlich zeigen, vorzüglich in Contribution zu ſetzen.
Nach vielen vergeblichen Verſuchen, die Hartherzig-
keit des Profeſſors zu beſiegen, brach endlich der
Bettler in die Worte aus: Mein Herr, um der
Wunden Jeſu willen, bitte ich um ein Almoſen.
Sey es nun, daß dieſe Worte das Jhrige leiſteten,
oder daß der Profeſſor kein anderes Mittel vor Au-
gen ſah, um ſich den Zudringlichen vom Halſe zu
ſchaffen, genug, er zog die Börſe, um ihn zu befrie-
digen. Erlauben Sie, mein Herr Profeſſor, ſprach
die Dame, und hielt ihn zurück, die Wunden Jeſu
muß ich bezahlen.
Der Polizeibeamte und ſein Arreſtant.
Ein Polizeibeamte hatte auf der Gränze des
Landes eine Diebsbande aufgehoben, und transpor-
tirte ſie geſchloſſen und zu Wagen nach einer nahen
Stadt. Als man unter Weges durch ein Dorf fuhr,
hatte einer der Gefangenen die Tabakspfeife im
Munde, und rauchte. Der Polizeibeamte ritt an
ihn heran, und verwies ihm das Rauchen, ſo lange
C
er im Dorfe ſey. Nun, erwiederte der Kerl, Herr
Polizei-Jnſpektor, Sie ſind ein vernünftiger Mann,
ſagen Sie doch, was habe ich denn zu befürchten?
Daß man mich arretirt? Das kann man thun,
daraus mache ich mir nichts.
Lebensrettung, durch ein originelles Gebet.
Zu einem Juden, der von der Meſſe nach Hauſe
wanderte, geſellte ſich ein abgedankter ſchnurrbärti-
ger Kriegsknecht, und bot ſich ihm zum Reiſegefähr-
ten an. Da beider Weg derſelbe war, ſo hatte der
Jude nichts dagegen, und ſetzte in ſeiner Begleitung
die Reiſe fort. Die Straße führte durch eine Heide.
Faſt in der Mitte derſelben packte aber der Soldat
den Juden, und forderte ihm ſeine Barſchaft ab,
mit der Drohung, wenn er ſie verweigere, ihm das
Leben zu nehmen. Höre, ſprach der Jude, der noch
ein junger raſcher Kerl war, gutwillig gebe ich dir
mein Geld nicht, erſt will ich mich wehren; da du
aber ein alter Soldat biſt, und ſtärker, als ich, ſo
wirſt du wahrſcheinlich ſiegen, und mich dann um-
bringen. Darum vergönne mir, daß ich zu dem
Gott meiner Väter noch ein kurzes Gebet ſenden
möge. Das bewilligte ihm der Soldat. Mit lau-
ter Stimme begann nun der Jude: »Lieber Gott,
bleib’ du nur neutral, ſtehe weder mir, noch ihm
bei, dann ſollſt du dein blaues Wunder ſehen.«
Und kaum hatte er geendigt, ſo ſprang er auf den
Räuber zu, der durch das ſonderbare Gebet ſchon
beſtürzt geworden war, und warf ihn mit leichter
Mühe zu Boden. Siehſt du, Spitzbube, fuhr er
fort, jetzt ſteht dein Leben in meiner Hand, ich
könnte gerechte Vergeltung üben, aber ich will dir
verzeihen, wenn du mir verſprichſt, mich ruhig mei-
nes Weges ziehen zu laſſen. Der Soldat gelobte
mit Freuden alles, was der Jude von ihm forderte,
und war herzlich froh, ſo gut davon gekommen zu
ſeyn.
Der ſchadenfrohe Wirth und der witzige
Gaſt.
Ein armer polniſcher Jude, der auf Reiſen war,
kam am Sabbath in eine Stadt, und erhielt von
den Vorſtehern der dortigen Judenſchaft, wie es frü-
her Sitte war, eine Anweiſung zum Mittageſſen
bei einem reichen iſraelitiſchen Einwohner. Er fand
ſich zur rechten Zeit ein, und es ward ihm, obwohl
ungern, von ſeinem Wirth ein Platz am Tiſche an-
gewieſen. Die Suppe ward aufgetragen; der Haus-
herr genoß zuerſt davon, und verbrannte ſich, da
ſie noch ſehr heiß war, die Zunge dermaßen, daß
ihm die Thränen aus den Augen liefen. Was
C 2
iſt Jhnen, fragte ſein Gaſt, ich ſehe, daß Sie wei-
nen. Der Wirth, der ſeinem unwillkommenen Gaſt
einen Poſſen ſpielen wollte, unterdrückte ſeinen
Schmerz, und ſprach: Dieſe Thränen fließen dem
Andenken meines Vaters; dieſe Suppe war ſein
Leibgericht, und ich kann ſie nicht ſehen, ohne über
ihn zu weinen. Der arme Pole ſagte einige Worte
des Troſtes, griff ganz unbefangen zu ſeinem Löffel,
und — hatte gleiches Schickſal mit ſeinem Wirthe.
Aber was iſt euch denn, fragte dieſer, als er ſeine
Thränen gleichfalls rinnen ſah, ihr weint ja auch?
Ach, ſprach der Jude, ich weine ebenfalls über Jhren
Vater, und zwar, daß er einen ſolchen Schelm, wie
Sie, in die Welt geſetzt hat.
Der Fuͤrſt und ſein Hofnarr.
Ein Fürſt hatte auf einer Reiſe im Winter ſei-
nen Hofnarren mitgenommen, der ihm unter Weges
die lange Weile durch ſeine Poſſen vertreiben ſollte.
Jndeſſen machte es der Narr zu arg; er ſcherzte ſo
lange, bis die fürſtliche Geduld riß, und ihm ſein
Gebieter befahl, zur Strafe während der nächſten
Meile in puris naturalibus auf dem Kutſchbocke zu
ſitzen. Kein Proteſtiren half, der Narr mußte dem
gnädigſten Befehle gehorchen.
Die Meile war zurückgelegt, und dem Märterer
der Wahrheit ward die Erlaubniß, ſich wieder an-
zukleiden und ſeinen vorigen Platz im Wagen
einzunehmen. Lachend fragte ihn der Fürſt, wie
ihm die Lection bekommen ſey? Mit dem ruhigſten
Geſichte von der Welt, antwortete der Narr: Mein
Troſt war es, daß Ew. Durchlaucht ſich in einer
Lage befanden, die der meinigen, wenn auch im um-
gekehrten Verhältniß, ganz ähnlich war.
Wie ſo? — fragte der überraſchte Fürſt.
Ew. Durchlaucht hatten den ganzen Körper ge-
gen die Kälte wohl verwahrt, nur mit der Naſe
wollte es nicht gelingen; dieſe mußte alles Unge-
mach erdulden. Mit mir war es umgekehrt der
Fall; den ganzen Leib mußte ich dem Froſte Preis
geben, während ein gewiſſer Theil, auf dem ich ſaß,
nichts davon empfand. Wie gern hätte ich meinem
gnädigſten Herrn damit aus der Noth geholfen!
Der Fuͤrſt und der Poſtillon.
Ein Fürſt reiſte incognito unter dem Namen
eines gewiſſen Barons. Eilboten flogen vor ihm
her, um auf jeder Station für die nöthigen Pferde
zu ſorgen, damit die Reiſe durch nichts verzögert
würde. Einem Poſtillon ward von ſeinem Poſtmei-
ſter angekündigt, daß er ſich bereit halten ſolle, um
einen durchreiſenden Fürſten zu fahren. Die beſten
Ermahnungen folgten, ſich ja keine Verzögerung zu
erlauben, damit Sr. Durchlaucht keine Urſache zu
klagen fänden, und demnächſt machte ihm der Poſt-
meiſter die Hoffnung, ein reichliches Trinkgeld zu
erhalten. Niemand war froher als der Poſtillon.
die freudige Nachricht wirkte ſo ſtark, daß er, in
dem bezaubernden Gedanken an die bevorſtehende
reiche Spende, raſch ins Wirthshaus eilte, und ſich
auf Rechnung derſelben trefflich bene that.
Nach Verlauf einiger Stunden kam die erſehnte
Extrapoſt an. Ein Poſtoffiziant ſprengte voran,
ſprang vom Pferde, und rief: Raſch, die Pferde
für den Herrn Baron von N. Der Poſtillon, in
der Meinung, der Fürſt werde auch bald kommen,
zögerte, aber der zürnende Poſtmeiſter trieb ihn zur
Erfüllung ſeiner Pflicht. Murrend ſpannte er ſeine
Pferde vor, traurig ſetzte er ſich in den Sattel und
fuhr davon. Dahin war die Freude, vernichtet die
Hoffnung auf das reichliche Trinkgeld, einem anderen
ſollte nun dieſes zu Theil werden. Jm Ärger über
ſein Mißgeſchick vergaß er ſeine Pferde anzutreiben,
die immer langſamer und langſamer gingen. Dem
Fürſten fiel dieß am Ende auf; er konnte ſich nicht
enthalten, den Schwager darüber zu befragen. Wo-
her kommt es, rief er ihm zu, daß du ſo ſchlecht
fährſt, biſt du etwa krank, oder iſt eines deiner
Pferde krank?
Ach nein, erwiederte der Poſtillon, krank bin ich
ſo wenig, als meine Pferde es ſind, aber verdrieß-
lich bin ich.
D. F. Verdrießlich? Warum denn?
D. P. J, da hatte mir der Poſtmeiſter heute
morgen geſagt, ich ſollte einen Fürſten fahren. Jch
habe nun ſchon im Wirthshauſe auf das Trinkgeld
eine artige Zeche gemacht. Da kamen Sie, ich muß
Sie fahren, und wenn nun unterdeſſen der Fürſt
kommt, ſo wird mir mein Kamerad das ſchöne
Trinkgeld vor der Naſe weg nehmen.
D. F. Was hätte dir der Fürſt wohl zum
Trinkgeld gegeben?
D. P. Wenigſtens doch einen Dukaten.
D. F. Nun, wenn ich dir auch einen Dukaten
gebe, ſo biſt du ja entſchädigt.
D. P. Was? Sie wollen mir auch einen Du-
katen geben? Da mag der Fürſt zum Teufel fah-
ren, was kümmerts mich?
Und damit trieb er ſeine Pferde an, und fuhr
luſtig davon.
Der gefaͤllige Wirth.
Eine Geſellſchaft verabredete ſich, zu einem Re-
ſtaurateur zu gehen, und ſich einen frohen Abend
zu machen. Man war vergnügt und ausgelaſſen
luſtig bis in die ſpäte Nacht. Als aber beim Weg-
gehen die Rechnung gefordert ward, brachte dieſe all-
gemein eine ernſthafte Stimmung hervor, denn ſie
war übertrieben hoch. Es gibt, ſagte einer der
Gäſte, Geſellſchaften, die auf Abentheuer ausgehen;
wir ſind auf einen theuern Abend losgegangen.
Beim Abſchied bat der Wirth, ihn bald wieder zu
beſuchen. Zu einem Manne, der ſo ehrlich und ge-
fällig iſt, wie Sie, kehrt man gern wieder, entgeg-
nete ein Anderer. Jn den Speiſen haben wir Salz
und Pfeffer vermißt, Sie waren aber ehrlich genug,
uns beides in der Rechnung zu geben. Zudem ſind
ſie ein gefälliger Mann, ſie wollen mit ihren Gä-
ſten lachen: Wer zuletzt lacht, lacht am beſten!
Die warnende Ueberſchrift eines Gaſthofs.
Jn einer altdeutſchen kleinen Stadt ſtand über
der Thüre eines Gaſthofes die Überſchrift:
»Geſegnet wirſt du ſeyn, wenn du ankommſt,
»und geſegnet, wenn du ausgeheſt.«
Zwei Freunde, die auf gemeinſchaftliche Koſten
reiſten, kehrten daſelbſt ein, um ſich einige Tage in
dem Städtchen aufzuhalten. Der Eine, der viel
Welt- und Menſchenkenntniß beſaß, äußerte ſo-
gleich beim Anblick dieſer Überſchrift, daß er keinen
guten Begriff von dieſem Gaſtwirthe habe: da, wo
der Segen vor dem Hauſe ſtehe, pflege der Fluch
im Hauſe zu reſidiren. Und in der That beſtätigte
der Erfolg dieſe Prophezeiung: man fand bei der
Abreiſe eine nichts weniger als geſegnete Rechnung,
denn außerdem, daß alle Preiſe mehr als übertrie-
ben hoch aufgeführt waren, fanden ſich ſelbſt Dinge,
die man weder verlangt noch erhalten hatte, auf die-
ſer ſaubern Rechnung und, gleichſam als Zugabe,
ein kleiner Jrrthum im Addiren, es verſteht ſich,
zum Vortheil des Wirthes. Ob man ſich gleich vor-
nahm, dieſe Gemeinheit ungerügt durchgehen zu laſ-
ſen, ſo wollte man doch wenigſtens zeigen, daß man
des Wirthes Betriegerei eingeſehen habe, und ließ
ihm auf dem Tiſche folgende Zeilen offen zurück:
»Geſegnet wirſt du ſeyn, wenn du ankommſt,
»und geprellt, wenn du ausgeheſt.«
Beſonders beſtätigt ſich die Wahrheit unſers Tex-
tes bei dem Wein, den du getrunken und nicht ge-
trunken. Der, den du getrunken, iſt eben ſo ſchlecht,
als der Preis hoch, und das will viel ſagen; der,
den du in der Rechnung findeſt, und weder erhalten
noch getrunken haſt, kann aber wohl in der Güte
mit dem Preiſe im Verhältniß ſtehen, das iſt mög-
lich. Der Rechnungsſehler, der beim Zuſammenzäh-
len in der Summe ſich findet, iſt verzeihlich, denn:
Zu einem ſo muſterhaften Barbiren
Gehört ein ſo vortreffliches Addiren.
Boshafter Willkommen.
Jn einer kleinen Stadt wohnte ein Mathemati-
ker, der nur für ſeine Wiſſenſchaft lebte, und ſich
weder um große noch kleine Welthändel, noch um
irgend eine Begebenheit kümmerte, die nicht in ſein
Fach ſchlug. Der Eigenthümer des ſehr baufälligen
Hauſes bemühte ſich vergebens ſeine nähere Bekannt-
ſchaft zu machen; zu wiederholten Mahlen hatte frei-
lich der Gelehrte dem faſt zudringlich gewordenen
Wirth einen Beſuch verſprochen, allein es kam nie
zur Ausführung. Eines Tages war unſer Mathe-
matiker in Triangeln und Quadraten bis über die
Ohren verſunken; plötzlich brach der Boden ſeines
Zimmers auf der Stelle, wo er ſaß, durch, und er
ſtürzte mit ſeinem mathematiſchen Apparat ſehr un-
mathematiſch in des Wirthes Zimmer hinab, ohne
ſich bedeutend zu beſchädigen. Der Wirth rief dem
Mathematikus ganz gelaſſen zu: (vielleicht war es
die Wirkung des Schreckens ſelbſt) Seyn Sie mir
tauſend Mahl willkommen; wenn es ſich nicht ſo ge-
fügt hätte, würde ich wahrſcheinlich der Ehre Jhres
Beſuches mich noch nicht erfreut haben. Da Sie
unangemeldet gekommen ſind, (es war in der Mit-
tagsſtunde) ſo werden Sie ſchon vorlieb nehmen
müſſen. — Ohne ſich an etwas zu kehren, fragte
ihn der Mathematiker: Haben Sie nicht geſehen,
wo mein Zirkel geblieben iſt?
Der Tauſchhandel.
Ein Gascogner wollte den Handel nicht länger
fortſetzen. Da der Ausverkauf damals noch unbe-
kannt war, ſo kam er auf den weiſen Einfall, meh-
rere verlegene Artikel verſchiedenen Commiſſionären
zur Meſſe mit zu geben. Einen bedeutenden Vor-
rath von rothen Strümpfen, die weiland in der
Mode waren, gab er einem Kaufmanne, der zur
Meſſe reiſte, in Commiſſion, und verſprach ihm
einen guten Rabatt, wofern er ſie anbrächte, gab
ihm auch die Vollmacht, auf irgend einen andern
Artikel zu tauſchen, und allenfalls Geld zu zu geben,
wenn er es vortheilhaft fände. Einem zweiten Kauf-
manne, der dieſelbe Meſſe bezog, gab er unter der-
ſelben Bedingung eine Partie buntſtreifiger Schlaf-
mützen, die ebenfalls aus einem vorigen Säkulum
waren, und keinen Käufer mehr fanden. Beide Com-
miſſionäre trafen auf der Meſſe zuſammen, und
nicht wiſſend, daß dieſe Artikel aus einer und derſel-
ben Quelle kämen, boten ſie dieſelben einander an.
Sie wurden auf einen Tauſchhandel einig, jedoch
mußte derjenige, der die rothen Strümpfe hatte,
auf die bunten Mützen 50 Thaler zugeben. Nach
Beendigung der Meſſe erhielt unſer Gascogner beide
Artikel zurück, und mußte außer der Koſtenrechnung
noch 50 Thaler zahlen.
Etwas ähnliches mag auch wohl bisweilen bei
unſern nicht gascogniſchen Papierhändlern Statt
finden. — Geſchworne und ungeſchworne Mäkler
nehmen ihre Gebühren, obgleich die Committenten
ſtatt verlegener rother Strümpfe, buntſtreifige Kap-
pen — freilich ohne Schellen — erhalten.
Der witzige Pole und ſeine reichen Ver-
wandten.
Ein armer Pole pflegte ſeine reichen Verwand-
ten in einer deutſchen Hauptſtadt alle zwei oder
höchſtens drei Jahre mit ſeiner Gegenwart heimzuſu-
chen, und wußte ſtets dringende Urſacheu anzuge-
ben, ihre Hülfe in Anſpruch zu nehmen. Einige
Mahle ſchon hatte er vorgeſchützt, eine Tochter unter
die Haube und an den Mann bringen zu müſſen.
Als er nach mehreren Jahren wiederkam und unter
demſelben Vorwand um Unterſtützung bat, ſagte ihm
einer ſeiner Verwandten: Jhr ſcheint vergeſſen zu
haben, daß Jhr uns zum Troſt einſt ſagtet, Jhr
hättet nur vier Töchter, und dieſe haben wir ja
bereits verſorgt! Einen Augenblick ſtutzte der Pole,
indeſſen faßte er ſich bald und erwiederte: Es iſt
freilich wahr, daß ich vier Töchter habe, aber meine
Frau hat gleich nach der Hochzeit mit einem Mäd-
chen unrichtige Wochen gehalten, und da iſt mir
eingefallen, daß ich doch wohl der nächſte Erbe mei-
ner Tochter ſeyn muß.
Die Heirath aus Rache.
Zum vierten Mahle verheirathete ſich ein als
Witzling bekannter Mann und zwar mit der vier-
ten Tochter einer Wittwe, deren er drei ſchon geehe-
licht und nicht lange nachher begraben hatte. Sage
mir, redete ihn ein Freund an, iſt es denn wahr,
daß du die dritte Schweſter deiner Frau heiratheſt?
du ſiehſt ja offenbar, daß du kein Glück in dieſer
Familie haſt! — Kein Glück! erwiederte dieſer.
Höre, ich will es dir geſtehen, ich hege einen unaus-
löſchlichen Haß gegen dieſe Familie, und ruhe nicht
eher, bis ich ſie mit der Wurzel ausgerottet haben
werde. Daher bin ich auch bereits feſt entſchloſſen,
wenn mir die vierte Tochter gleichfalls ſterben ſollte,
die zugleich die letzte iſt, unfehlbar die Mutter ſelbſt
noch zu heirathen.
Der gute Eſſer und noch beſſere Trinker.
Nach der Beobachtung eines alten Weiſen ſoll
der Menſch im Allgemeinen bis zum Alter von 60
Jahren mehr Speiſe als Getränk zu ſich nehmen;
nach dem 60 ſten Jahre aber ſoll es ſich umgekehrt
verhalten.
Ein reicher Mann, der gern Fremde an ſeinem
Tiſche ſah, verband mit ſeiner Gaſtfreundſchaft auch
die Tugend der Wohlthätigkeit; er nöthigte nicht
ſelten arme Durchreiſende zur Tafel, die er nicht
nur ſättigte, ſondern deren Umſtände er auch in
der Regel ſehr fein zu erforſchen ſuchte, um ſie
dann nie ohne einige Hülfe zu entlaſſen. Da
man wußte, daß er ein Freund von jovialen,
fröhlich gelaunten und witzigen Menſchen war, ſo
pflegten ſich dergleichen Gäſte alle Mühe zu geben,
ihm ſo zu erſcheinen, und einen oder den andern
witzigen Einfall beſtmöglichſt anzubringen. So be-
merkte einſt ein ſolcher durchreiſender Gaſt: er ver-
muthe, daß er durch ſein Eſſen und Trinken auf-
falle. Da ich beides im reichlichen Maße genieße,
ſo werden Sie, ſagte er zum Wirth, nach jener Be-
merkung eines alten Weiſen über mein Alter nicht
einig werden können, ob es über oder unter 60 Jahr
ſeyn mag. Fügen Sie aber der Beobachtung des
alten Weiſen eine andere hinzu, nämlich die: daß das
letzte Gewitter im Jahre, wenn Sommer in Win-
ter übergeht, in der Regel das ſtärkſte iſt, ſo wird
Jhnen klar werden, das ich heute aus dem 60 ſten
Jahre ſcheide, und daher in beidem, im Eſſen und
Trinken, gleichviel leiſten kann.
Die betrogene Betrieger.
Ein luſtiger Burſche, der im zweiten Stockwerke
wohnte, hatte gegenüber in demſelben Geſchoß ein lie-
bes Mädchen, mit dem er häufig liebäugelte. Dieß
würden wir uns nun wohl gefallen laſſen, da wir ſelbſt
(welche Offenherzigkeit) in unſerer Jugend kein Koſt-
verächter waren; aber auch in dem dritten Stockwerke
gegenüber gab es für ihn eine Liebſchaft, und ſo ge-
rieth er in eine Verlegenheit, aus der er ſich ſehr weiſe
zu retten wußte. Als er einſt mit der Liebſchaft des
zweiten Stockwerks ein Rendezvous hatte, ſagte er
ihr, er fürchte, daß ihr guter Ruf darunter leiden
möchte, wenn die Nachbarn bemerkten, daß er ihr
unaufhörlich Küſſe hinüber würfe: da er es aber un-
möglich unterlaſſen könne, ſo würde er ſie in Zukunft
nach dem dritten Stockwerke richten. Sein treues
Mädchen war damit ſehr zufrieden, und machte nur
noch die Bedingung, daß ſie die Erwiederung eben-
falls nach dem dritten Stockwerke richten würde. Er
willigte ein, und auch ſie hatte ihren Zweck, und
zwar denſelben, dadurch erreicht. —
Die Kunſt, das Griechiſche zu conſerviren.
Ein Magiſter auf einer angeſehenen hohen Schule
hatte das eben nicht unerhörte Unglück, ſich den gei-
ſtigen Getränken ſo ſehr zu ergeben, daß er, als zu
ſeinem Amte fernerhin unbrauchbar, verabſchiedet,
und, was die Hauptſache war, penſionirt wurde,
worüber er ſich indeſſen, ſelten nüchtern, eben
keine Sorgen machte. Man bewunderte an ihm,
daß er, wenn er auch übervoll war, dennoch
die gründlichſte Kenntniß der griechiſchen Sprache
zeigte. Es iſt zum Erſtaunen, rief einſt jemand aus,
daß dieſer Menſch bei ſeiner Lebensart das Griechi-
ſche ſo außerordentlich conſervirt hat, da er es doch
bereits ſeit ſo vielen Jahren nicht mehr übt! Das
wundert mich nicht im mindeſten, erwiederte ein An-
derer, im Spiritus conſervirt man ja ſo manches!
Der merkwuͤrdige gelehrte Diebſtahl.
Jn einer Geſellſchaft brachte jemand mehrere
witzige Einfälle vor, und ließ es ſich gefallen, daß
ſie als ſein Eigenthum belobt und belacht wurden.
Einen andern Witzling, der dabei zugegen war, ver-
droß dieß ſo ſehr, daß er ſich nicht enthalten konnte,
bei einer ſolchen Gelegenheit über den ſogenannten
gelehrten Diebſtahl zu ſprechen. Stellen Sie Sich
vor, fuhr er zu ſeinem Nebenbuhler fort, dieſe Be-
triegerei geht jetzt ſo weit, daß die witzigen Einfälle,
die Sie nur ſo eben hatten, Jhnen ſchon vor zwei
Monaten geſtohlen, und gedruckt worden ſind.
Der
Der witzige Optikus.
Ein nicht unbedeutender Mann ließ einen jüdi-
ſchen Optikus mit Brillen zu ſich kommen. Nachdem
er manche verſucht und endlich eine gefunden hatte,
welche ſeinen Augen zuſagte, rief er aus, indem
er den Optikus damit beäugelte: Dieſe hier iſt gut,
man kann ſogar dem, welchen man damit anſieht,
bis in die Seele ſchauen, und ſehen, daß er ein Be-
trieger iſt! Dieſer plumpe Witz verdroß den Opti-
kus. Erlauben Sie mir die Brille, entgegnete er,
nahm ſie, ſetzte ſie auf und ſah jenen ſcharf dadurch
an: Wahrlich, Sie haben ganz Recht! Wir ſchei-
nen Augen von gleicher Beſchaffenheit zu haben.
Gleiches Schickſal.
Jn einer Geſellſchaft erzählte jemand aus ſeinem
Leben, wie er bei großer Armuth früher mit man-
chen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Bei mei-
nem Studium, ſagte er, habe ich für meine Erhal-
tung ſelbſt ſorgen müſſen; ſo erinnere ich mich noch
ſehr lebhaft an die erſten acht Groſchen, die ich mir
durch das Abſchreiben von vier Bogen eines Manu-
ſkriptes verdiente. Jch habe in meinem Leben, er-
wiederte ein in der Geſellſchaft befindlicher reicher
Mann, viele Tauſende durch Abſchreiben verdient,
und zwar dadurch, daß ich ſo manches, was man
von mir verlangte, abgeſchrieben habe.
D
Die Hinterfuͤße.
Es beklagte ſich jemand, daß man ihm höhere
Abgaben, als er für recht und billig halte, aufle-
gen wolle. Sie müſſen ſich, erwiederte ein Anderer,
auf die Hinterfüße ſetzen! — Auf die Hinterfüße?
erwiederte jener empfindlich, — das können Sie
wohl thun! —
Der fette Weinkeller und die magere
Antwort.
Jn einem kleinen Zirkel von guten Bekannten
erzählte jemand, daß ſein Weinkeller ſich jetzt in
ſehr guten Umſtänden befände, und nannte alle
möglichen Sorten der köſtlichſten Gewächſe, die er
gegenwärtig im Keller habe.
Sagen Sie mir doch, fragte ihn jemand, für
welchen Preis kann man ſich Jhre Freundſchaft er-
werben? —
Wenn man mich, erwiederte jener, recht oft
beſucht, und vorlieb nimmt mit einem Glaſe Waſ-
ſer! —
Der junge Arzt, ein wahrer Hippokrates.
Ein junger Arzt und noch jüngerer Praktikus
hielt ſich etwas zu früh für mehr, als er wirklich
war, und ſprach ſchon, keck genug, von ſeinen Beob-
achtungen und Erfahrungen. Man hätte dieß nun
freilich leicht geſchehen laſſen können, wenn er nur
nicht zu kühn geworden wäre, und ſich bisweilen
Beobachtungen und Erfahrungen im ſtrengſten Sinne
ſelbſt zu machen — — ſie dem Druck zu übergeben
und dem ärztlichen Publikum vorzulegen erlaubt
hätte. Ein Rezenſent ließ ſich über ein neu erſchie-
nenes Machwerk dieſer Art folgender Maßen aus:
An dem Verfaſſer iſt ein guter Dichter verloren
gegangen; er hat eine ſehr lebhafte Einbildungs-
kraft, vermöge welcher er Dinge ſieht, die vor ihm
noch niemand geſehen hat, und nach ihm ſchwerlich
jemals einer ſehen wird; ſein praktiſcher Blick iſt,
ohne ihm Argusaugen zu zu ſchreiben, gar nicht denk-
bar. Seine Krankengeſchichten erreichen die des Alt-
meiſters Hippokrates, wenigſtens in einem Punkt, und
zwar in folgendem: Vater Hippokrates hat bei der
Beſchreibung dieſer oder jener Krankheit nie unter-
laſſen, die Witterung, die Luft, beſonders aber die
blaſenden Winde zu beſchreiben; unſer junger Hippo-
krates ahmt dieß nun in ſo fern nach, daß wir den
Wind wenigſtens — in ſeinen Krankengeſchichten
nicht vermiſſen.
D 2
Die neue Oper, ein Meiſterſtuͤck.
Ein talentvoller Virtuos, der ſich größten Theils
mit Komponiren beſchäftigte, konnte es, trotz ſeines
Fleißes, dennoch nicht dahin bringen, ſeine nichts
weniger als glänzenden Umſtände zu verbeſſern.
Seine Arbeiten fanden zwar Beifall, aber die Mu-
ſik hatte zur Zeit den höchſten Gipfel erreicht; man
verlangte mehr als bloß das Gefällige. Das lär-
mende, rauſchende, was das Trommelfell erſchütterte,
machte keine Epoche mehr; auf den Geiſt ſelbſt
mußte der Komponiſt zu wirken verſtehen, und das,
was dazu unbedingt erforderlich iſt, war es eben,
was unſerm Virtuoſen abging, nämlich ſelbſt ruhi-
gen Geiſtes zu ſeyn, vielmehr ſah man überall in
ſeinen Arbeiten deutliche Spuren vom Gegentheil.
Wie konnte dieß aber auch anders ſeyn? Jhm war
Sokrates angebliches Schickſal zu Theil geworden,
von einer Xantippe beherrſcht zu werden. Längſt ſchon
war die Jdee bei ihm zur Reife gelangt, dieſem ewi-
gen Streit und Zank ein Ende zu machen, und ſich
durch die Entfernung ſeines Poltergeiſtes Ruhe zu
verſchaffen, aber dazu fehlte es ihm am Beſten: er
wußte das Kapital nicht herbeizuſchaffen, welches
ſein Quälgeiſt ihm als Mitgift zugebracht, und ohne
welches er nicht weichen zu wollen deutlich genug
erklärt hatte.
Die Noth hat oft ſchon Wunder gethan, und
hier beſtätigte ſich dieſe Erfahrung abermals. Der
Unglückliche kam auf den Einfall, eine große Oper
nach dem Geſchmack des Tages zu komponiren, und
den Gewinn, den ihm dieſe Arbeit verſchaffen würde,
wollte er dazu anwenden, ſich Ruhe zu erkau-
fen. Raſtlos arbeitete nun der in der bloßen Hoff-
nung ſchon Glückliche Tag und Nacht unermüdet,
und wenn ihm ſonſt ſein Polter- und Plagegeiſt hin-
derlich war, ſo ward er ihm jetzt gerade umgekehrt
ein Sporn zur Thätigkeit und zur Beſchleunigung
ſeiner Arbeit.
Als er eben im Begriff war, ſeine nun faſt
vollendete Oper zu ſchließen, hauſte und tobte ſeine
liebe Ehehälfte wie eine Raſende um ihn her, aber
ihm ſo zum Heil, als früher zur Verzweiflung, denn
ſie regte die Jdee in ihm auf, das Stück mit einem
Furienchor zu beendigen, und es entſtand ein Mei-
ſterſtück.
Noch war kaum die letzte Reihe vom blinkenden
Streuſand getrocknet, ſo überreichte er ſchon mit der
größten Gelaſſenheit das eben vollendete Werk ſei-
nem allezeit marſchfertigen Weibchen, mit dem An-
trag, ob es ihr gefällig ſey, dieſes Werk ſtatt des
Kapitals, welches er ihr auszuzahlen hätte, anzu-
nehmen, in Ruhe und Frieden zu ſcheiden und ihm
ſeine Ruhe wieder zu ſchenken. Gut, fiel die Ueber-
raſchte, mit bitterer Gleichgültigkeit und mit Krokodill-
thränen im Auge, ſchnell ein, ich nehme es an, doch
mit der Bedingung, daß es mir frei ſtehe, dieſes
Machwerk erſt Kennern zur Durchſicht und Beur-
theilung vorzulegen. Auch dieß ließ ſich der Hoff-
nungsvolle gefallen.
Allgemein fiel das Urtheil der Kenner dahin
aus, daß ſie ohne Bedenken in den Vorſchlag ein-
willigen ſolle, allgemein war man darüber einig,
daß aus der Feder dieſes Komponiſten noch nie et-
was beſſeres gefloſſen ſey. Tauſende von Virtuoſen,
ſagt man, beneiden dieſem in ſo hohen Grade Glück-
lichen ſein großes muſikaliſches Talent.
Fabeln.
Die ſtolzen und gedemuͤthigten Pferde.
Zwei vor einem belaſteten gewöhnlichen Schlitten
geſpannte Pferde zogen ihre Laſt im ruhigen Schritt
vor einem Hauſe vorbei, wo ein prachtvoller Jagd-
ſchlitten ſtand, deſſen Pferde aufs ſchönſte geſchmückt
waren. Verächtlich ſahen dieſe den vorbeiſchleichen-
den, ganz ſchmuckloſen Pferden nach, und machten
ihre Gloſſen darüber ſo laut, daß jene ihr Hohnge-
lächter bemerkten. Sie aber tröſteten ſich einander
mit den Worten: Laß ſie doch ſpotten, laß ſie nur
lachen; wer am ſpäteſten lacht, lacht am beſten.
Nach Verlauf einiger Stunden kamen die bela-
ſtet geweſenen Pferde ganz leer durch eine Straße
zurück, welche durch eine Menge Menſchen verſperrt
war. Neugierig blickten auch ſie hin, und ſahen die
beiden geſchmückten Pferde athemlos vor dem pracht-
vollen Schlitten darnieder liegen. Hoho! Jhr Un-
bedachtſamen, wer iſt nun beſſer daran? riefen ſie
ihnen zu, merkt ihr es jetzt, daß das Glänzende
nicht das Beſſere iſt, und daß man mit langſam
gehen am weiteſten kommt!
Der ehrliche Gevatter, oder die Reiſe
nach dem Himmel.
Zur Zeit, als die ſchwarze Kunſt, die Zauberei
und die Zauberer noch im Flor waren, lebte ein
ſehr berühmter Wundermann dieſer Art, zu welchem
man in jedem nur erdenklichen Mißgeſchick, bei al-
len Zweifeln und Bedenklichkeiten ſeine Zuflucht
nahm. Er hatte ſich nicht nur bei Menſchen, von
welchen man es leicht glauben könnte, das größte
Zutrauen erworben, ſondern ſelbſt bei ſolchen, von
denen es nicht leicht zu glauben war.
Nachfolgende Erzählung, die ich wenigſtens nie
gedruckt geleſen habe, wird doch hoffentlich ſo viel
Glauben verdienen, ich ſage, eben ſo viel Glauben,
als dergleichen, die wirklich gedruckt ſind.
Zwanzig Meilen weit kam zu Fuß ein ſehr be-
kümmerter Vater, welcher das fünfte Kind aus ſei-
ner Ehe bereits hatte begraben laſſen, zu dem Zauber-
meiſter her gewandert, von ihm die Urſache zu er-
fahren, warum er ſo unglücklich ſey, keines ſeiner,
geſund und wohlgeſtaltet zur Welt gekommenen
Kinder am Leben erhalten zu können. Jch bin
mir keiner Sünde bewußt, die eine ſolche Strafe
des Himmels verdiente, ſagte er innigſt gerührt zu
dem Wundermann, der ſeine Beichte aufmerkſam
anhörte.
Bewußt, — nahm der berühmte Zauberer das
Wort — bewußt ſeyd ihr euch freilich ſolcher Sünde
nicht, ſo wie es dergleichen mehrere gibt, welche die
Menſchen täglich begehen, ohne ſich ihrer klar und
deutlich bewußt zu ſeyn. Ziehet nur in Frieden nach
Hauſe; eure Sara wird euch einen Sohn gebären, doch
erhalten werdet ihr ihn nur, wenn ihr bei der Wahl
eines Gevatters auf weiter nichts ſehet, als auf die
Redlichkeit deſſelben, und keine Nebenabſichten, wie
ihr bis jetzt gethan, (und die Menſchen zu thun pfle-
gen) damit verbindet. Befolget ihr meinen Rath
nicht, ſo werdet ihr auch dieſen und zwar euren letz-
ten Sohn wieder dahin ſcheiden ſehen müſſen.
Mit dem Verſprechen, alles zu befolgen, ver-
neigte ſich der Hoffnungsvolle, dankte dem prophe-
thiſchen Graukopf, der durchaus keine Belohnung an-
nehmen wollte, und machte ſich wieder auf den Weg,
auch ſeiner treuen Ehehälfte dieſen weiſen Rath und
Troſt zu überbringen.
Wirklich ging die Prophezeiung in Erfüllung:
bald befand ſich die bis jetzt unglückliche Mutter
in geſegneten Umſtänden, und ſchenkte ihrem Manne
einen beſonders muntern Knaben. Seines Verſpre-
chens eingedenk dachte nun der glückliche Vater an
weiter nichts, als einen Gevatter aufzuſuchen, der
ſeinem Verſprechen ganz entſprechen würde.
Weit mehr Schwierigkeiten aber, als er zu fin-
den geglaubt hatte, ſtellten ſich bei der Wahl ein,
denn es galt jetzt, einen Mann in ſeiner Bekannt-
ſchaft zu ſuchen, dem er das Prädikat eines ganz
redlichen Mannes beilegen durfte. Die Sache war
ihm zu wichtig, und er glaubte bei der Wahl nicht
ängſtlich genug ſeyn zu können; ſo hatte er denn an
dem Einen dieſes, an dem Andern jenes auszuſetzen.
Da er nun durchaus mit ſich ſelbſt nicht einig wer-
den konnte, ſo entſchloß er ſich, alles dem Zufall
zu überlaſſen, und den erſten beſten Armen, wenn
auch Unbekannten, auf den er ſtoßen würde, zu
wählen, und ſo machte er ſich auf den Weg, den
gefaßten Entſchluß auszuführen.
Bereits mochte er eine halbe Meile vom Thore
ſeines Wohnortes entfernt ſeyn, ohne auch nur eine
menſchliche Geſtalt geſehen zu haben, als er plötzlich
im Gebüſch, wie dahin gezaubert, einen Wanderer
erblickte, der an einem kriſtallhellen Bache ſaß und
auszuruhen ſchien. Groß war ſeine Freude über
dieſe Entdeckung, aber eben ſo groß, wo nicht grö-
ßer noch, war eine gewiſſe Angſt, eine Bangigkeit,
die ihn bei dem Anblick dieſes Fremden überfiel, und
die er ſich nicht zu erklären wußte. Deſſen ungeach-
tet eilte er mit verdoppelten Schritten ſeinem Ziele
raſtlos entgegen.
Grüße euch Gott, mir erwünſchter Wanderer!
Ruht ihr ein wenig aus?
Gott danke euch! Ruhen kann und darf ich
nicht, ſo lange die Welt ſteht. Aber würdet ihr
mich wohl einen Erwünſchten noch nennen, wenn
ihr mich kenntet?
Das hoffe ich wenigſtens, erwiederte der durch
dieſe Worte noch mehr geängſtigte Vater. Schon
euer Aeußeres empfiehlt euch.
Wenn ihr es noch nie erfahren habt, daß das
Aeußere trügt, ſo wünſche ich, daß ihr es nie er-
fahren möget! — Aber ihr ſeht ſo ſehr bekümmert
aus, ſagt mir, was geht euch ab? Welches Ge-
ſchäft, welcher Wunſch hat euch von Hauſe geführt?
Dieß ſagte der Wanderer mit ſo viel Herzlich-
keit und Theilnahme, daß unſerm Bedrängten die
Frage ſehr willkommen war, da ihm beſonders das
äußere Anſehen des Fremden, wenn gleich eine ge-
wiſſe Art von Bangigkeit, dennoch zugleich auch ei-
nen hohen Grad von Zutrauen eingeflößt hatte,
und ohne weiteres Fragen entdeckte er unverhohlen,
— denn das volle Herz wünſcht ja nichts ſo ſehn-
lich, als ſich ausſchütten zu können — was wir be-
reits wiſſen, und endigte ſeine Erzählung mit dem
Antrag, der Fremde möge ihm als Gevatter beiſte-
hen, weil er glaube, ganz den Mann, den er ſuche,
den ſtrengen, rechtlichen Mann, den er brauche, in
ihm gefunden zu haben.
Der bin ich, und mehr noch als ihr es glaubt!
rief jener aus. Da ihr, ohne mich weiter kennen zu
wollen, ein ſo heiliges Geſchäft mir aufgetragen,
ſo werde ich euch folgen und mich erſt beim Schei-
den — zu erkennen geben.
Schwerlich gab es in dieſem Augenblick jemand,
der zufriedener mit ſich ſelbſt geweſen wäre, als
unſer ſchon in der Hoffnung glückliche Vater. Mit
Freuden wurde der Weg zurückgelegt, und der neue
Herr Gevatter fand bei der ohnehin gaſtfreundlichen
Wirthinn die beſte Aufnahme. Als dieſe aber hörte,
wie und auf welche Art der Herr Gevatter ange-
worben, da ward ihre Neugierde ein wenig rege.
Wer mag es wohl ſeyn? Woher kam er? Wohin
geht er? Warum mag er ſich nicht zu erkennen ge-
ben wollen? Dieß waren ihre Fragen. Daß er ein
redlicher Mann ſey, dafür ſprach auch bei ihr ſein
Aeußeres.
Doch die Hoffnung, ihre Neugierde bald befcie-
digt zu ſehen, indem die feierliche Handlung auf
den folgenden Tag beſtimmt war, gab ihr einige
Beruhigung.
Kaum war der Tag angebrochen, ſo begannen auch
ſchon die Zubereitungen zur bevorſtehenden Feierlich-
keit, von welchen manche darauf berechnet waren,
den unbekannten Herrn Gevatter zu ehren, was
dieſem nicht entgangen war. Als nun der glückliche
Vater ſeinem Gaſte den Morgenbeſuch abſtattete,
kam ihm dieſer mit der Anrede entgegen: Wie ge-
rufen iſt mir eure Erſcheinung, denn ich habe euch
etwas zu eröffnen, bevor ich die Function verrichte,
zu der ihr mich gewählt. So hört denn, und ſeyd
gefaßt auf das, was ihr hören werdet.
Jch bin nicht, was ihr glaubt, ich bin kein wirk-
licher Menſch, ich bin höherer Natur. Meine ei-
gentliche Exiſtenz iſt nicht auf Erden, ob ich gleich
von ihr unzertrennlich bin. Daß ich euch in menſch-
licher Geſtalt erſcheine, iſt die Wirkung der magi-
ſchen Künſte jenes Zauberers. Jedem Menſchen er-
ſcheine ich bei ſeiner Geburt, wenn gleich nicht in
dieſer Geſtalt. Erſchreckt nicht, ich erſcheine zu eu-
rem Beſten, ich bin der Tod! Jetzt hängt es von
euch noch ab, ob ich die Gevatterſtelle vertreten ſoll
oder nicht.
Die Verlegenheit, die Angſt und der Schreck,
welchen dieſe Erklärung hervorbrachte, läßt ſich leich-
ter denken, als beſchreiben. Doch ſchnell ſich zur
Standhaftigkeit ermannend, erwiederte der Erſchrok-
kene: Jch nehme darum meine Einladung keines
Weges zurück. Wie wir täglich ſehen, ſeyd ihr ſtrenge,
ehrlich und redlich, denn euch trifft ja der Vorwurf
nicht, daß ihr nach Gunſt handelt; bei euch gilt ja
kein Unterſchied der Perſon. Heute in des Fürſten
Pallaſt, morgen in der Bauerhütte einzukehren, und
ſo niemand zu verſchonen, das ehrt euch. Dank ſey
es dem großmüthigen Zauberer, der mir euch zuge-
führt; ihr ſeyd und bleibt mein Gevatter, nur bleibe
das Geheimniß eurer Perſon unter uns.
Nachdem der heilige Aktus der Taufe vorbei
war, blieb auch der mächtige Gevatter, um niemand
aufzufallen, zu einer Collation noch zurück, und
wohnte, wie bei Sara die Engel, dem Feſte bei.
Sein Wirth unterhielt ſich dabei faſt unaufhörlich
mit ihm, und erfuhr in der That ſo manches Ge-
heimniß, wovon ſich hienieden unſere Philoſophie
nichts träumen läßt.
Hier äußerte im vertraulichen Geſpräch unſer
Wirth den nicht geringen Wunſch, ſeinen Gaſt auf
der Reiſe nach dem Himmel begleiten zu dürfen,
wenn auch nicht um dort zu bleiben, ſo doch um
ſich ein wenig daſelbſt umſehen zu können, und er
hörte nicht auf, in den Herrn Gevatter zu drin-
gen, bis dieſer einwilligte. Die Reiſe ward auf die
bevorſtehende Nacht feſtgeſetzt.
Ohne daß etwa Kanonenſchüſſe dieſe Luſtfahrt
verkündigt hätten, ging ſie vielmehr ganz im Stil-
len zur beſtimmten Zeit vor ſich, und eben ſo glück-
lich von Statten, wie die Reiſe, die weiland Herr
Cleophas in Geſellſchaft des berühmten Asmodi oder
hinkenden Teufels machte.
Jn einem Nu war die Pforte des Himmels, die
aus Feuerſäulen beſtand und frei in den Lüften
ſchwebte, erreicht. Schon dieſer Anblick verſetzte den
Neugierigen in Erſtaunen und Verwunderung, und
mit zitternder Stimme fragte er: Lieber Herr Ge-
vatter, müſſen wir denn durch dieſe feurige Pforte
ſchreiten? Könnten wir ſie nicht lieber umgehen?
Umgehen? nahm der Gevatter das Wort; nein,
mein Freund, das geht nicht, davon weiß man im
Himmel nichts! Und blicke doch nur hin, gewahrſt
du nicht rechts und links neben der brennenden Pforte
die hochaufbrauſende, wie vom wüthendſten Sturm
bewegte See, die einen bei weiten fürchterlich-ſchö-
neren Anblick noch gewährt, als die brennende Pforte
ſelbſt? Sey unverzagt, ich verſpreche dir, dich ohne
allen Schaden wieder zurückzuführen, und ich werde
dir Wort halten. Dieſe Pforte, die dir brennend
erſcheint, iſt es nur durch eine ganz eigene Erleuch-
tung, die du bald näher kennen lernen ſollſt. Hier
gab der Gevatter Tod ein Zeichen mit ſeiner Rech-
ten, worauf ſich die Pforte öffnete, und ein unge-
heuer großer Saal ſich zeigte, in welchem eine un-
überſehbare Menge von brennenden Lampen ſtand.
Nein, ſo etwas hat noch nie mein Auge geſehen!
rief verwunderungsvoll ſein Begleiter aus. Aber
darf ich wohl fragen, mein lieber Herr Gevatter,
wem zu Ehren dieſe Lampen brennen, oder welche
andere Bedeutung ſie vielleicht haben? Denn ich
bemerke, daß manche ſchon halb, mehrere ganz im
Verlöſchen ſind, während die übrigen noch hell und
leuchtend brennen.
Der gefällige Herr Gevatter ließ ſich auch hierin
bereitwillig finden, und gab folgende Erklärung.
Alle hier brennende Lampen ſind nichts mehr
und nichts weniger, als lebende Menſchen, das heißt,
jeder lebende Menſch hat hier ſein Lämpchen, und
nach dem Brennſtoffe, welcher ſich in einer oder der
andern befindet, hat der Menſch, dem ſie angehört,
noch zu leben. Verliſcht eine, ſo iſt dieß ein Befehl
für mich, ihren Angehörigen zu expediren; ſiehe dort
ſo eben eine im Verlöſchen, und ich werde mich bald
auf den Weg machen müſſen, um mein Amt zu
verrichten.
Das muß ich geſtehen, lieber Herr Gevatter, ich
bin euch gar ſehr verbunden für alles das Schöne,
Große und Erhabene, welches ich durch euch in ſo
kurzer Zeit geſehen und erfahren habe, aber erlaubt
mir noch eine Frage? Wäre es euch auch wohl
möglich und gefällig, mich meine eigene Lebenslampe
ſchauen zu laſſen? Jch bitte flehentlich darum.
Aber der Gevatter Tod ſchüttelte bedenklich den
Kopf. Allerdings, ſagte er, wäre es mir möglich
und könnte es mir auch gefällig ſeyn, euch eure Le-
benslampe zu zeigen, aber wenn ihr meinem Rathe
folgen wollt, ſo unterdrückt dieſe Neugierde. Glaubt
mir, ſo wie alles zum Wohle des Menſchen einge-
richtet iſt, ſo iſt es nicht minder eine große Wohl-
that für ihn, daß er nicht weiß, wie lange ſein Le-
benslämpchen noch zu brennen hat.
Das mag immerhin ſeyn, erwiederte der Neu-
gierige. Jch erkenne dieſe große Wahrheit zwar
ſelbſt, aber ich verſichere euch, liebſter Gevatter, ihr
werdet mich ſehr gefaßt ſehen, wenn auch der Brenn-
ſtoff meines Lämpchens auf die Neige ginge. Schreck-
liche
liche Gewißheit iſt bei weiten nicht ſo peinigend,
als marternde Ungewißheit.
Nun, rief Gevatter Tod, wenn ihr denn durch-
aus nicht anders wollt, ſo geſchehe euer Wille; er
gab hier ein Zeichen mit der Hand, ein Lämpchen
trat aus der zahlloſen Menge hervor, und — unſer
Neugierige ſank in Ohnmacht, denn die Lampe war
nahe an der Neige.
Jſt das die Faſſung, rief Gevatter Tod, die ihr
mir verſprochen habt? Glaubt aber nicht, daß mich
dieß im geringſten überraſcht; ich habe es oft erfah-
ren und erfahre es noch täglich, daß gerade die,
welche ſich ſo gleichgültig ſtellen, und mit ihrer
Faſſung prahlen, daß gerade die es ſind, welche
im letzten Augenblick ſich gar ſehr widerſprechen, und
daß der Menſch da erſt recht in ihnen auflebt, wo
er aufhören ſollte.
Zürnt nicht, mein großmüthiger Herr Gevatter!
begann der Arme, der ſich indeſſen wieder erholt
hatte. Jhr würdet es mir gewiß keinen Augenblick
verargen, wenn ihr mich bei der Entdeckung, daß
meines Lebens Ziel ſo nahe iſt, erſchrecken ſahet,
wenn ihr wüßtet, wie viel Gutes zu thun ich mir
noch vorgenommen habe, ehe ich von dannen gehe,
wie viel Gelübde ich noch zu löſen habe. Alles die-
ſes habe ich nur darum aufgeſchoben, weil ich das
Ende meines Lebens noch für weit entfernt hielt.
E
Dieß allein iſt der Grund, warum ihr mich ſo ge-
faßt nicht findet, als ich es zu ſeyn verſicherte; dieß
iſt aber auch der Grund, der mich bewegt, euch die
letzte meiner Bitten zu nennen, welche darin be-
ſteht, mir behülflich zu ſeyn, mein Lebenslämpchen
etwas zu verlängern, da es ja ganz in eurer Macht
ſteht, mein lieber Herr Gevatter, vom Brennſtoff
der anderen Lampen etwas abzunehmen und ihn zur
meinigen hinzu zu thun.
Hier nahm der Herr Gevatter eine ernſthafte
Miene an. Jhr ſcheint ganz zu vergeſſen, wo ihr
ſeyd, fuhr er ſeinen Begleiter an, ſo handelt man
hier nicht. Jhr ſcheint beſonders vergeſſen zu haben,
warum ihr mich, nach eurer eigenen Erzählung, zum
Gevatter gewählt habt. Das iſt ſo recht echt menſch-
lich! Braucht ihr, wenn es euer Eigennutz erheiſcht,
einen ehrlichen Mann, ſo ſucht ihr ihn mühſam auf;
habt ihr ihn aber gefunden und genützt, ſo verlangt
ihr, daß er auf Koſten ſeiner Ehrlichkeit, auf
Koſten anderer Menſchen, euretwegen ein Schurke
ſey, daß er ſich für euch zu tauſend Teufeleien ver-
leiten laſſen ſoll. — Was ihr mir da von allem Guten
vorſchwatzt, welches ihr euch zu thun noch vorgenom-
men, iſt ein ſo altes Lied, daß es auf mich nicht
mehr den mindeſten Eindruck macht. Wir kennen
eure Politik, die euch in Noth und Gefahr alles
mögliche verſprechen läßt, und dann, nachdem ſie
überſtanden, euch die Erlaubniß gibt, des Ver-
ſprochenen nicht weiter zu gedenken. —
Auf! ich muß fort! Jch will euch nicht länger
hören; ich will euch wieder dahin bringen, wohin
ihr gehört. Jhr verdient nicht, da zu ſeyn, wo ihr
ſeyd. Thut nur ſo viel Gutes noch, als ihr zu thun
Zeit habt, löſet ſo viel Gelübde, als euch eure Zeit
erlaubt; mehr wird von euch nicht verlangt. Und
in einem Nu befand ſich der Unbefriedigte wieder an
Ort und Stelle, und beweinte ſeine verwünſchte Neu-
gier.
Die Axt ohne Stiel.
Eine Axt, mit der man Bäume zu fällen pflegte,
erzählt eine Fabel in einer hebräiſchen Schrift, flog
einſt ohne Stiel in einem Walde umher, und alle
Bäume wurden von Angſt und Furcht ergriffen,
weil ſie oft geſehen, wie gefährlich ein ſolches
Werkzeug ſey. Was zittert ihr, rief da ein alter,
weiſer Baum, wiſſet, daß uns die Axt nur
dann gefährlich wird, wenn wir den Stiel dazu
liefern! —
Jhr, die ihr über einen Tyrannen ſchreiet, be-
denkt doch, daß er nur die Axt iſt, ihr aber den
Stiel dazu hergebet.
E 2
Der Kongreß im Reich der Thiere.
Zum Löwen kam eine Deputation, ein großes Un-
glück an zu zeigen, und ein noch größeres zu verhüten.
Großmächtigſter, begann die Rede, es hauſt der Tod
in unſerm Reiche fürchterlich, und rafft, neuerdings
mehr als jemals, ein Mitglied nach dem andern
weg. Zeus zürnt ſicher nicht umſonſt, und eine
ſtrenge Unterſuchung, wer in unſerer Republik durch
begangene Sünde ein ſolches Ungemach über uns
herbei gerufen haben mag, möchte wohl nöthig
ſeyn.
Euer Wille geſchehe, ſprach der Löwe; Fuchs,
Haſe, Tyger und Krokodill mögen einen engern
Ausſchuß bilden, und baldmöglichſt erwarte ich Be-
richt.
Raſch genug ward durch Eilboten im ganzen
Thierreiche ein Vorladungsedikt zu einem Termin
bekannt gemacht, und einem jeden ernſtlich anbefoh-
len, vor der hochlöblichen Kommiſſion zu erſcheinen,
mit der Warnung, daß derjenige, welcher, ohne durch
Krankheit, oder ſonſt dringende Umſtände, abgehalten
zu werden, ausbliebe, als ſchuldig, als Rebell und
ungehorſam erklärt werden würde.
Der Präſes Fuchs, als ganz großer Redner an-
erkannt, hielt in jedem Termin den Vorgeladenen eine
der Sache ſelbſt und ſeinem ehrlichen Fuchskarakter
angemeſſene Rede, deren Thema vorzüglich der Werth
der Ehrlichkeit, der Aufrichtigkeit und Wahrheit zu
ſeyn pflegte. Dann hielt die zweite Rede der dreiſte
Haſe, und ſprach über Muth und Standhaftigkeit,
über die Feigheit, begangene Sünden aus Furcht vor
der Strafe nicht eingeſtehen zu wollen. Darauf nahm
der gerechte Tyger das Wort, über den Werth des
Mitleidens, der Erbarmung und der Schonung ſeiner
Nebengeſchöpfe, und den Beſchluß machte das ge-
fühlvolle Krokodill, deſſen Rede im Weſentlichen
der ſeines Vorgängers ganz gleich war, nur mit
dem Unterſchiede, daß es ſeinen Vortrag mit einem
Thränenſtrome würzte, und alle Herzen gar ſehr da-
durch erweichte.
Dennoch verſtrich, trotz aller dieſer weiſen Anſtal-
ten und herzergreifenden Reden, ein Termin nach dem
andern, ohne daß man weder beim Wolf, noch beim
Bären, weder beim Elephanten, noch beim Kameel
u. ſ. w. im Lebenswandel etwas entdecken konnte,
was widernatürlich — ſündlich wäre.
Schon war man zum letzten Termin geſchrit-
ten, zu dem ſich dieß Mahl eine beſonders große
Menge von Zuhörern zur Rechten und Linken verſam-
melte. Der letzte Jnkulpat erſchien: es war das
Schaf. Daß dieſes ſchuldig erklärt werden mußte,
ſchloß alles, was nur ein wenig Logik hatte, theils
a priori, theils a posteriori ſchon im voraus. Be-
vor aber noch zur Tagesordnung geſchritten wurde,
fand der ehrliche Fuchs es höchſt nöthig, die Kom-
miſſion zu einer geheimen Sitzung einzuladen, und
hielt in derſelben folgende, nach den Regeln der neue-
ſten Rhetorik, wohlgeordnete Rede:
Meine Herren Kollegen!
Mit der bevorſtehenden letzten Unterſuchung be-
ſchließen wir das uns gewordene, ſo ehrenvolle, als
heilige Geſchäft. Wir dürfen zur eigenen Genug-
thuung uns wohl geſtehen, daß wir alle Kräfte an-
gewendet und nichts vernachläſſigt haben, uns der
Ehre würdig zu machen, die uns zu Theil gewor-
den. Auch krönt der Erfolg unſern unermüdeten
Fleiß und unſere Arbeit. Denn es ſteht feſt, und
iſt nicht dem mindeſten Zweifel unterworfen, daß
das geſuchte Verbrechen im Schafe ſich finden laſ-
ſen muß, da wir bisher durch unſere ſtrenge und ge-
rechte Unterſuchung, wobei wir ſo gewiſſenhaſt als
unpartheiiſch zu Werke gegangen, nichts entdeckt ha-
ben, was den Vorgeladenen zur Laſt gelegt werden
konnte, und alle und jeden als unſchuldig anerkennen
mußten. Wir könnten füglich die Unterſuchung als
beendigt anſehen, wenn wir nicht, um die republika-
niſche Freiheit und Ordnung zu erhalten, wenigſtens
die äußere Form beobachten müßten. So wollen
wir denn unſere Unpartheilichkeit öffentlich darthun
und den Sünder dennoch hören, wenn es auch nur
der Form wegen geſchieht.
Sehr weiſe! riefen Tyger und Krokodill einſtim-
mig; ſehr weiſe! wiederholte der beherzte Haſe, nach-
dem er ſich einige Mahle erſt umgeſehen hatte, und
ſo begab man ſich in gewöhnlicher Ordnung in den
überfüllten Saal zur Sitzung.
Das Schaf erſchien. Von ſeinem Sitze erhob
ſich der Fuchs, und hielt abermahls eine wohlgeord-
nete Rede, worin die Ermahnung, vor Gericht die
Wahrheit zu ſagen, und wie man ſich durch ein
freiwilliges Geſtändniß die Strafe erleichtern könne,
das Weſentliche war.
Das kluge Schaf verſtand weder den Redner noch
die Rede; es wußte nicht ein Mahl, warum es ſich
handelte, zitterte, ſeiner Schafnatur gemäß, wie
ein Eſpenlaub, und geſtand endlich ſo ganz ſchaf-
köpfig, daß es ſich einer gar großen Sünde bewußt
und bereit ſey, ſie freiwillig zu bekennen. — Hört!
Hört! erſcholl es, triumphirend ſahen die Kommiſſarien
einander an, und in der Verſammlung entſtand ein
ſo lautes Gemurmel, daß Stille geboten werden
mußte. Als dem Schafe das Wort überlaſſen
war, herrſchte eine Todtenſtille rings im Saale.
Es war, ſo begann das unglückliche Schaf,
am Ende des Monats April; Felder, Fluren, Wie-
ſen und Haine lagen noch im tiefen Schnee begra-
ben, und ich ſah mich dem ſchrecklichen Hungertode
Preis gegeben. Schon war mir der dritte Tag im
ſtrengſten Sinne als Faſttag vergangen, da zog ein
armer Wanderer aus fremdem Lande vorüber, welcher
mit Gras, bei uns noch von keinem Auge geſehen,
ſeine Schuhe ausgeſtopft hatte. Welch reizender
Anblick für meinen leeren Schafsmagen. (Hört!
Hört!) Da ich ſah, daß ein Theil des Überfluſſes
aus ſeinem Schuh herausgedrängt wurde, ſo ſchlich
ich mich unbemerkt ihm auf dem Fuße nach, ſtahl
ihm den Überfluß, (Hört! Hört!) um vor dem Hun-
gertode mich zu retten, fühlte mich neu erquickt und
ſpürte neues Leben.
Welcher Frevel! rief der Tyger. Und da ſoll
Kronion nicht zürnen, und mit ſeinem mächtigen
Donner drein ſchlagen? ſetzte das Krokodill mit
einem Thränenſtrom hinzu. Bedenklich ſchüttelte
der Haſe nur den Kopf und ſchwieg bedeutungs-
voll. Aber deſto lauter ſprach der Fuchs über die
Abſcheulichkeit einer ſolchen Gräuelthat, über Jupi-
ters gerechte Rache und über die unſchuldigen Opfer,
die der ſchweren Sünde wegen fallen mußten. Tod!
Tod! erſcholl es von allen Seiten. Man verurtheile
den Böſewicht, lebendig dem Wolfe vorgeworfen zu
werden, rief ein Wolf mit veränderter, unkenntlicher
Stimme.
Da der Lärm zu groß ward, gebot abermals
der Fuchs Stille. Zum Verurtheilen, ſprach er, ſind
wir nicht gewählt, das liegt außer unſerm Beruf.
Wir müſſen dem großmächtigen Löwen Bericht ab-
ſtatten, wir können ihm nicht vorgreifen, ſondern
wollen ruhig das Urtheil von ihm erwarten. Das
Schaf wurde abgeführt, gefänglich ſtrenge beobach-
tet, und hiermit ward dieſe letzte Sitzung und die
ſo wichtige Unterſuchung geſchloſſen.
Nach einigen alten, ſehr bedeutenden Sprüchwör-
tern, z. B.: »Kleine Diebe hängt man, die großen
läßt man laufen,« oder: »Wenn man jemanden
hängen will, findet ſich der Strick von ſelbſt,« —
leidet es keinen Zweifel, daß das Schaf, ſo un-
ſchuldig es auch war, zum Tode verurtheilt ward;
ob aber dadurch das Sterben verringert, ob es etwa
gar dadurch vermehrt worden ſey? darüber ſchweigt
dieſe Fabel und wir thun daſſelbe! Fiat applicatio!
Satyriſche Blitze.
Ein ſatyriſcher Beobachter machte die Bemer-
kung, daß wohl ehedem Wohlthun weit allgemeiner
und nichts ſo ſeltenes geweſen ſeyn müſſe, als jetzt,
da alte Zeitungen dergleichen gar nicht erwähnten;
vermuthlich aus dem Grunde, weil man doch in
Zeitungen etwas nicht allgemein bekanntes zu fin-
den hofft.
Wodurch unterſcheidet ſich ein Herr, der gnädig
iſt, von einem gnädigen Herrn?
Antwort. Gnädige Herren werden, ſeltene Aus-
nahmen abgerechnet, geboren, Herren, die gnädig
ſind, aber erzogen.
Anders iſt das Verhältniß zwiſchen einer gnädi-
gen Frau und einer Frau, die gnädig iſt, beide wer-
den nicht geboren — ſondern gemacht.
Es gibt Geſellſchaften, deren Unterhaltung ein
ewiger Streit iſt; Schade nur, daß ihr ewiger Streit
keine Unterhaltung gewährt.
à la Momus.
Hätte Zeus den Weibern, wie den Hühnern, die
Gabe verliehen, Eier zu legen, ſo würde es alsdann
von dem Manne abhangen, ob ſein Weibchen die
Eier ausbrüten, oder ihm einen Eierkuchen daraus
backen ſollte. Nur finden wir für nöthig, uns das
Gackern bei jedem Ei zu verbitten, um am Gehör
nicht etwa Schiffbruch zu leiden.
Der N., ſagt man allgemein, habe den Verſtand
verloren! Man ſey nur ruhig, und verſpreche dem
ehrlichen Finder keine zu große Belohnung: es gibt
keinen ſo unehrlichen Finder, daß er ihm denſelben
nicht wiederbringen ſollte!
Folgende Warnungsanzeige las man in einem
öffentlichen Blatte: »Jch warne hiermit einen Je-
den, mir etwas zu borgen, ich bezahle niemand.
Ehrlichmann.
Köpfe aus Gold und Silber in der Taſche, nützen
gegenwärtig mehr, als der beſte Kopf auf dem Rumpfe.
Kommt die Weisheit vor dem Bart,
Jſt ſte nicht von guter Art.
Ein Männchen, das ich heut im Speiſehauſe fand,
War mir ausnehmend int’reſſant:
Es war ſo klein, es konnt’ in meiner Taſche wohnen,
Und aß ſechs große Portionen.
An den Redakteur eines Wochenblattes.
Jch habe Dir Witz zugeſchickt: Du behaupteſt,
Du hätteſt keinen erhalten. — Jch habe Dir Ver-
ſtand zugeſchickt: ich behaupte, Du habeſt keinen er-
halten.
An eine ſehr junge Schoͤne.
Chlorinde, wie? — du fliehſt vor meinen Küſſen?
Ha, Loſe, ſollteſt du es etwa wiſſen,
Daß Mädchen, die vor’m Männerkuß ſich ſträuben,
Nie ungeküſſet bleiben?
Ein Quentchen Vernunft auf einer, und ein
Zentner Thorheit auf der andern Seite der Wage,
— die Vernunft bleibt in der Tiefe, wenn die Thor-
heit bis zum Himmel ſteigt.
Dr.
Dr. N. iſt krank; mehrere ſprechen von naher
Gefahr. Doch zum Troſt ſey es geſagt: die mei-
ſten dieſer mehreren ſind ſelbſt Ärzte, und ſehen nahe
Gefahr, je mehr es mit ihm zur Beſſerung geht. —
Aus einem freundſchaftlichen Zirkel empfahl ſich
Jemand, um noch ein dringendes Geſchäft abzuma-
chen. Sie werden doch nicht etwa auf einen Abweg
gehen wollen? rief ein Freund ihm zu. Seyn Sie
darüber ganz ruhig, war die Antwort, wenn ich das
wollte, ſo würde ich, um ſicher zu gehen, mir Jhre
Begleitung ausgebeten haben, denn Jhre Wege ſind
nicht meine Wege. —
Beim härt’ſten Froſt vernahm mein Ohr
Geſang von einem Schülerchor.
Es war ein Anblick zum Erbarmen!
Jn Lumpenhüllen ſchlotterten die Armen,
Faſt zugefroren war des Mundes Thor,
Und Eulentöne zitterten hervor.
Wer ließ ſich ſingen dieſe Jammerlieder?
Wer anders denn als fromme, heil’ge Brüder!
Ein Müßiggänger blieb vor einem Redoutenſaal
ſtehn,
Um die verſchiedenen Masken anfahren zu ſehn.
F
Er machte darüber allerhand Gloſſen:
Die ſchönſten Masken waren ihm Narrenpoſſen.
Oft macht’ er Bewegung, um weiter zu gehn,
Und dennoch blieb er aus Neugier ſtehn.
Nun geh’ ich ohne längern Aufenthalt!
So dacht’ er: denn es war grimmig kalt.
Hier länger zu weilen, müßt’ ich mich ſchämen,
Nur den einen Wagen will ich in Augenſchein nehmen.
Ein Engel ſtieg aus dem Wagen heraus;
Noch immer iſt’s mit ſeiner Neugier nicht aus;
Denn dieſer, der ihm folgt, iſt ſonder Zweifel,
Der Beelzebub ſelber, der leibhafte Teufel.
Hiermit ließ er ſich nun endlich begnügen,
Bemerkend, daß die Teufel jetzt fahren, nicht mehr
fliegen. —
Thor! Dieſe Gloſſe iſt nicht neu! Vor hundert
Jahren
Sah man ſchon arme Teufel gehn, die reichen
fahren.
Den Splitterrichtern geht es ſo in unſern Tagen,
Man hört ſie gewaltig über menſchliche Thorheit
klagen,
Und können ſich ſelbſt doch von eigenen Schwächen
nicht trennen.
Verzeiht! wenn wir Euch die Thoren der Thoren
nennen.
Seyd ehrlich und Jhr werdet als Wahrheit geſtehen:
Was Jhr heute ſeht, haben ſchon geſtern die Alten
geſehen.
Wißt Jhr denn nicht, daß Thorheit der Menſchen
älteſter Adel?
Wollt Jhr weiſe ſeyn, huldigt ihr, oder Euch ſelbſt
trifft der Tadel!
Zu der eigenen, mannichfachen und lobenswer-
then Art und Weiſe, wie die iſraelitiſche Gemeinde
für ihre Armen ſorgt, gehört auch der überall ein-
geführte Gebrauch, daß ſich die letzteren auf dem
Kirchhofe einfinden, wenn ein Wohlhabender beer-
digt wird, wo die Hinterbliebenen öfters bedeutende
Summen ſpenden. Bei der Beerdigung eines rei-
chen Banquiers, der erſt kurz vor ſeinem Tode große
Verluſte erlitten, weil er auf das Steigen eines aus-
wärtigen Staatspapieres zur Unzeit ſpekulirt hatte,
äußerte ein Witzling: (denn dieſe gibt es bei allen
Gelegenheiten, ſowohl in Freuden, als in Leiden)
die Armen hätten bei weiten beſſer ſpekulirt, als
der Selige — ſie ſpekulirten auf herunter! —
Als bei einer andern Beerdigung eines wohlha-
benden Mannes ein unverſchämter Armer weniger
bekam, als er vermuthet hatte, zeigte er die Gabe
einem andern Armen, mit der Bemerkung: ob es
F 2
wohl der Mühe werth ſey, den lieben Gott zu bit-
ten, einen Reichen ſterben zu laſſen?
Bei der Beerdigung eines Reichen, der in ſeinem
Leben den Armen kaum die Broſamen von ſeiner
Tafel vergönnt hatte, hörte man einen Witzling ſa-
gen: man dürfe nicht befürchten, daß dieſer Todte
ſcheintod ſey und lebendig begraben werde, denn
wäre auch nur ein Fünkchen Leben in ihm, ſo würde
er gewiß nicht zulaſſen, das liebe Geld in Almoſen
zu verſchwenden.
Wer der Erfinder des Schachſpiels auch geweſen
ſeyn mag, ein galanter Mann war er gewiß. Wel-
chen Spielraum hat er der Dame in ihren Gängen
nicht eingeräumt, welche Freiheit ward ihr nicht be-
ſchieden! So ſcherzte eine Schöne, mit dem Zuſatze:
wie wenige von unſern Männern ſind wohl ſo ga-
lant! Nicht zufrieden damit, unſere Gänge zu be-
ſchränken, möchten ſie ſie wohl gar jedes Mahl im
voraus wiſſen. — Mein Kind, erwiederte der weiſe
Mann der ſcherzenden ſchönen Frau, wenn alle
Männer vor Nebengängen ſo ſicher wären, als es
der Erfinder war, oder wenn unſere Damen aus
derſelben Maſſe, wie jene, verfertigt wären, könnte
und würde man ohne Zweifel eben ſo galant ſeyn.
— Auch ſind unſere Ritter nicht, wie jene, aus El-
fenbein, wohl aber aus Fleiſch und Bein.
Vier und zwanzig Grad.
Jm ſündigen denkt man weder an Ziel noch an
Maß, droht aber der Himmel mit Froſt oder Hitze
heimzuſuchen, da wird von Graden geſprochen.
Der witzige Nachtwaͤchter.
Sie haben meinen Hund in voriger Nacht in
Furcht und Angſt geſetzt, ſagte der Nachtwächter
zu einem lockern Burſchen, hörten Sie nicht, wie
fürchterlich er bellte? Es iſt wahr, antwortete die-
ſer, ſo habe ich ihn noch nie bellen hören. Jch bin
dieß an Jhrem Hunde garnicht gewohnt. — Wo-
her es kam, will ich Jhnen wohl erklären. Sie ſind
geſtern gegen ein Uhr ſchon nach Hauſe gekommen:
das iſt der Hund an Jhnen nicht gewohnt, weil Sie
ſonſt erſt gegen vier Uhr Morgens zu kommen
pflegen.
Etwas zu haſtig griff ein Mitglied einer Ge-
ſellſchaft, welche ſich zur Feier eines Feſtes bei einem
frohen Mahle verſammelt hatte, in das herumge-
hende Eis. Es ſcheint faſt, ſagte ihm ſein Freund
und Nachbar, als wenn Sie auf Jhrem Teller
Schlittſchuh laufen wollten.
Wie geht es zu, fragte Jemand, daß unſere Lei-
chenreden alle ſo kurz ſind? Sehr natürlich, war
die Antwort, es wird ja nur von den Tugenden der
Verblichenen darin geſprochen.
Sehr wichtiger Druckfehler, der haͤufig
vorkommt.
Statt »gemeinnützig« lies »gemeineigen-
nützig.« —
Das menſchliche Herz iſt ein Blumengarten, deſ-
ſen Boden unaufhörlich verbeſſert werden muß. Der
Hofgärtner Tugend darf nie ermüden, das Unkraut
beſonders fleißig auszurotten.
Die Unvollkommenheiten der Menſchen aus dem
Grunde zu verbeſſern, iſt kein Werk der Menſchen,
hat man von jeher behauptet! — Wohl aber zu
verſchlimmern, hätte man, meiner Meinung nach,
hinzuſetzen ſollen.
Der N. iſt ein wahrer Sokrates, welcher ſehr weiſe
ſagte: er wiſſe allein dieſes, daß er nichts wüßte.
Das weiß nun N. zwar nicht von ſich ſelbſt, noch
weit weniger hat er es laut behauptet — doch wir
wiſſen, daß er nichts weiß.
Jgnatius Loyola, der Stifter des Jeſuitenordens,
ſchloß die Weiber von der Aufnahme in dieſen Or-
den aus. Jch bin in meiner Praxis auf Weiber ge-
ſtoßen, die es ſehr wohl verdient hätten, zu dieſem
Orden zu gehören! —
Jn welchem Sinn ſoll ich dieß nehmen? fragt
der Leſer.
Jn welchem Du willſt, Du irreſt nicht! antwor-
tet der Verfaſſer.
»Der Verſtand hat ſowohl ſeine nebeligen Tage,
»als die Welt, und ein Menſch, der den meiſten Geiſt
»hat, iſt des Tages wohl zwanzig Mahl ein Thor.«
Worte eines alten ſcharfſinnigen Schriftſtellers.
Man könnte etwa daraus ſchließen wollen, daß
demnach die Menſchen, die den wenigſten Geiſt ha-
ben, des Tages über wenigſtens vierzig Mahl Tho-
ren ſind. Dem iſt aber nicht ſo. Sie ſind es nur
Ein Mahl — in ihrem ganzen Leben!
Wenn der große Mann fällt, hält ſich auch der
Allerkleinſte für größer.
Die Unglücklichen meinen es mit und unter ein-
ander bei weiten beſſer, als die Glücklichen. — Eine
weiſe Einrichtung! Hierin liegt Troſt und Beruhi-
gung für den Unglücklichen und Demüthigung für
die Glücklichen.
Wenn das Getreide gut und am beſten ſteht, fin-
det ſich auch eine größere Menge Unkraut ein. So
iſt es wohl nicht ſelten mit dem Menſchen der Fall:
wenn es recht gut und am beſten mit ihm ſteht, ſo
ſind wilde und ausgelaſſene Leidenſchaften nichts
Ungewöhnliches.
à la Anacreon.
Eher kann es der Welt an Wein und berau-
ſchendem Getränk überhaupt fehlen, als es in der
Welt an Urſachen und Bewegungsgründen, ſich zu
berauſchen, fehlen wird: Ergo bibamus!
Memorabilia,
ſeltene Eigenheiten und Zufälle berühmter
Gelehrten aͤlterer Zeit.
Zur Zeit, als ich noch ohne alle Auswahl, im
ſtrengſten Sinne, alles las, was mir vorkam, hielt
ich ſo manches zu notiren der Mühe werth. Weil
ich damals fleißig las, ſammelten ſich meine No-
tizen gar ſehr an, bis ich endlich mich genöthigt ſahe,
ſtrenger in der Auswahl zu werden, beſonders da
ich mit meiner Zeit wirthlicher umzugehen für gut
fand.
Die hier folgenden Denkwürdigkeiten ſind noch
ein Überbleibſel jener Sammlung. Jch glaube, daß
ſolche einige Unterhaltung gewähren werden, denn
mehr als dieß ſollen ſie nicht leiſten. Wer jene
Männer nicht kennt, und mehreres von ihnen und
ihren Schriften zu wiſſen wünſcht, muß ſich gefal-
len laſſen, Jöchers Gelehrten-Lexicon nachzuſchlagen.
Für den aber, der die Quelle aufzufinden weiß, ſind
dieſe Blätter nicht.
Jch notirte mir zur Zeit nur dasjenige, was mir
der Mühe werth ſchien, für mich und keinen An-
dern. Selbſt die Gründe, warum ich mir damals,
dieß oder jenes aufzeichnete, ſind mir nicht mehr leb-
haft genug erinnerlich, und zum Theil ganz verlo-
ſchen. Sollte ich die geleſenen Werke jetzt wieder
durchleſen, ſo würde ich mir, davon bin ich völlig
überzeugt, ganz andere Dinge aufzeichnen.
Auch ſtehe ich nicht ganz dafür, daß ſich ſo
mancher Fehler eingeſchlichen haben mag; jedoch
dürften dieſe Fehler wohl nicht bedeutend ſeyn. Da
ich aber die Quellen, aus welchen ich geſchöpft, größ-
ten Theils nicht mehr weiß, ſo kann ich zur Berichti-
gung derſelben nichts thun.
Einzelne Bemerkungen uͤber Toleranz.
Mögen immerhin folgende Gedanken, welche ich
unter meinen Notizen finde, wie aus den Wolken
gefallen, oder, wie man zu ſagen pflegt, wie vom
Zaune gebrochen, da ſtehen. —
Die Zeit, in der wir leben,
Muß die Entſchuld’gung geben.
»Je mehr bevölkert ein Land iſt, deſto reicher iſt
es. Man ſieht hieraus, wie wichtig es ſey, daß
eine Regierung bei Fremden nicht auf die Religion
ſieht, in ſo fern ſie nur eine ſolche Religion haben,
welche die Arbeit befiehlt und den Gehorſam pre-
digt.«
Ein Schriftſteller aus alter Zeit, der ſelbſt Ka-
tholik war, ſagt bei Gelegenheit der Verfolgung der
Proteſtanten: »Der Glaube in der Religion iſt eine
»innere Überzeugung, die von Gott kommt. Kann
»man nun wohl den Menſchen durch Verbannung,
»Gefängniß, Feuer, Rad und Galgen einen ſolchen
»Glauben beibringen? Gewiß, niemand wird ſich
»dieſes zu behaupten getrauen. Aber man kann
»durch dergleichen Leib- und Lebensſtrafen dieſelben
»zu gewiſſen Unternehmungen nöthigen, welche wider
»ihre Einſichten und die Empfindungen ihres Ge-
»wiſſens laufen. Die Verfolgung hilft alſo zu
»nichts, als daß ſie die Menſchen ſündigen machet.
»Nun aber frage ich, ob es Gott wohl gut heißen
»könne, daß man die Verbrechen vermehre? Man
»wird ſolches mit Nein zu beantworten gezwungen
»ſeyn. Und ich befinde mich daher daraus zu ſchlie-
»ßen berechtigt, daß es ein offenbarer Widerſpruch
»ſey, daß Gott ſolche Mittel, welche auf Sünde
»abzielen, genehmigen ſollte, das göttliche Geſetz
»verbindet uns alſo zur Toleranz in Religionsſa-
»chen. Den großen Herren ſteht auch über dieß kein
»Verfolgungsrecht zu; woher ſollten ſie es wohl ha-
»ben? Sie müßten daſſelbe entweder von ihrer
»Würde ableiten, oder mit der Völker Einwilligung
»erworben haben. Von ihrer Würde können ſie es
»aber nicht hernehmen, weil dieſe ihnen nur die Macht
»gibt, die öffentliche Ruhe und Ordnung, welcher
»aber die Verfolgungen gerade entgegengeſetzt ſind,
»zu erhalten. Aus der Einwilligung der Völker
»kann es ihnen auch nicht kommen; denn es iſt nicht
»wahrſcheinlich, daß ſich die Menſchen des aller-
»ſchönſten und allerwichtigſten Vorrechtes hätten be-
»rauben wollen, welches ohne Zweifel in der Freiheit
»beſteht, Gott auf die Weiſe zu dienen, wie es einem
»jeden am beſten zu ſeyn ſcheint u. ſ. w.«
Hieraus (ſetzt der Verfaſſer noch hinzu) läßt
ſich ſchließen, daß ſowohl die Religion ſelbſt,
als auch die wahre Staatsklugheit eine vollkom-
mene Toleranz erheiſchen.
»Die wahre Religion zwingt die Menſchen nur
durch Reizungen der Liebe und der Tugend. Die
Wahrheit hat, um ſich zu erhalten, weiter nichts
nöthig, als nicht unterdrückt zu werden, ſelbſt zu
unterdrücken aber braucht ſie zu ihrer Ausbreitung
niemals.«
»Die Bekehrung der Ungläubigen muß man
Gott überlaſſen, die Anzahl der Rechtgläubigen zu
vermehren, muß ſich darauf beſchränken, dieſe An-
zahl in ſich ſelbſt zu vermehren.«
»Was die verſchiedenen Meinungen in der Re-
ligion ſelbſt betrifft, ſo glaube ich, daß es gut ſey,
deßhalb eine unumſchränkte Freiheit zu geſtatten.
Eines Theils erfordert ſolches eine vernünftige all-
gemeine Gewiſſensfreiheit, und andern Theils ge-
reicht es der wahren Religion zum Nutzen, indem
ihre Lehrer dadurch zu einer näheren Prüfung auf-
gemuntert und wachſam gehalten werden. Auch ver-
liert die Wahrheit dadurch, daß ſie beſtritten wird,
niemahls, ſondern erhält vielmehr einen neuen Glanz,
wenn nur ihre Vertheidiger weiſe ſind.«
»Man findet keine Religion, die ſich in Anſe-
hung der Sittenlehre weit von den übrigen entfernte.
Alſo
Alſo können ſie in Anſehung des Staates alle für
gleich gehalten werden, und man läßt folglich einem
jeden die Freiheit, auf was für einem Wege er dem
Himmel zugehen will. Wenn er nur ein guter Bür-
ger iſt, wird weiter nichts von ihm verlangt.
»Der falſche Eifer iſt ein Tyrann, der die Län-
der von Einwohnern entblößt, die Religionsduldung
iſt eine zärtliche Mutter, welche für ſie ſorgt und
ſie blühend macht.«
(Die Fortſetzung der Notizen über Toleranz ſoll im nächſten
Bändchen folgen.)
Es iſt nichts Neues unter der Sonne; was jetzt
vorgeht, hat ſich unter gewiſſen Bedingungen auch
früher ſchon zugetragen.
Von einer Religion zur andern über zu gehen, die
neue zu verlaſſen, und wieder zur alten zurück zu keh-
ren, das war ehedem bei weiten häufiger, als es
gegenwärtig iſt. Die Modifikation und zugleich
das Merkwürdigſte dabei ſcheint mir unter andern
beſonders Folgendes zu ſeyn: erſtens, es waren der-
gleichen religiöſe Spaziergänger vor Alters denkende
G
Köpfe und gelehrte Männer; — zweitens, derglei-
chen Übergänge wurden ſelbſt gegen den zeitigen
Vortheil unternommen.
So ließ d’Ablancourt, ein franzöſiſcher Gelehr-
ter des ſiebzehnten Jahrhunderts, eine ſehr vortheil-
hafte Partie, die er ſelbſt gewünſcht hatte, durch
den Übertritt zu einer andern Religion im Stich,
und als er ſpäter zur erſten Religion zurückkehrts,
gab er die Ausſicht auf eine Stelle auf, die ihm
jährlich fünf bis ſechs tauſend Livres Einkünfte ge-
bracht haben würde.
Fälle dieſer Art ſind freilich in unſeren Tagen
ſeltener. — —
Unter andern Seltenheiten, die er beſaß, war
auch die, daß er der Meinung war, es ſey verdienſt-
licher, gute Bücher zu überſetzen, als neue zu ſchrei-
ben, die größten Theils nur Wiederholungen von je-
nen zu ſeyn pflegten.
Eine Abhandlung von ihm, die er nach einer
Unterredung über die Unſterblichkeit der Seele ſchrieb,
mag wohl wichtig ſeyn: er behauptete nämlich, daß
nur die Religion, aber nicht die natürliche Vernunft
die Unſterblichkeit der Seele lehre.
Daß ſich von jeher denkende Köpfe gefunden,
denen die Wahrheit über alles ging, was ihnen die
Welt geben konnte, braucht wohl nicht erſt nachge-
wieſen zu werden. Alle Jahrhunderte haben ſolche
Männer auf zu weiſen, und die folgenden Jahrhun-
derte werden ſtets deren auf zu weiſen haben. Daher
kann und wird die Wahrheit nie von irgend einer
menſchlichen Macht ganz unterdrückt werden.
Den größten Verfolgungen waren gewöhnlich die
Theologen ausgeſetzt, ſobald ſie ſich unterſtanden,
auch noch ſo unbedeutend, von dem gewöhnlichen
Schlendrian abzuweichen.
Aber einen vollkommen tragi-komiſchen Anblick
gewährt es, wenn man auf dergleichen Sachen, die
zu der bitterſten Verfolgung Gelegenheit und Grund
abgeben mußten, den Blick richtet. Fühlte ich mich
ſtark genug dazu, ich würde ein beſonderes Werk
veranſtalten, worin nur die Verfolgungen der Ge-
lehrten aller Zeiten unter einander und die Gründe
dazu aufgenommen werden ſollten; ich bin überzeugt,
die Leſer würden im Zweifel ſeyn, ob ſie lachen oder
weinen ſollten.
Jm Jahre 1670 ſchrieb ein Prediger und Doktor
der Theologie, Balthaſar Becker, einen Commentar
über den Heidelbergiſchen Katechismus, unter dem
Titel: »Die rechte Speiſe der Vollkommenen.« und
ward heftig verfolgt, weil er darin Folgendes auf-
geſtellt hatte.
1) Adam ſey vergänglich geſchaffen worden. 2)
G 2
Er ſey geſchaffen worden, um ewig in dem irdiſchen
Paradieſe zu leben, ohne daß er nöthig gehabt, in
den Himmel, oder in einen glückſeligeren Zuſtand,
als ſein damaliger geweſen, verſetzt zu werden. 3)
Der Eva wären die natürlichen Eigenſchaften der
Schlange, ihrer Verſucherinn, unbekannt geweſen,
und ſie habe ihre Rede für natürlich gehalten. 4)
Die Juden und Türken beteten den wahren Gott an,
ob ſie ihn gleich nicht ſo anbeteten, wie man ihn an-
beten müſſe. 5) Dasjenige, was wir von der Erde
wüßten, ſey weit weniger als was wir nicht wüßten.
6) Die Feier des Sabbaths am erſten Tage der Woche
ſey keine göttliche, ſondern menſchliche Verordnung.
Wer befindet ſich hier nicht, wie ſchon geſagt,
in einer ſolchen Stimmung, worin es ſchwer zu ent-
ſcheiden iſt, ob man mit Demokrit oder Heraklit ein-
ſtimmen ſoll?
Nicht beſſer ging es Becker mit einer andern
Schrift, worin er behauptete, daß die Kometen kei-
nes Weges erſchienen, um bevorſtehende Unglücks-
fälle anzukündigen.
Aber ſeinen gänzlichen Untergang zog er ſich zu
durch ein Werk unter dem Titel: »Die bezauberte
Welt u. ſ. w.« worin er, man denke! den Teufel
ſelbſt (Gott ſey bei uns!) angriff, und ſogar keck
genug war, ihn, wenn er ſich beleidigt hielt, heraus
zu fordern, ſeinen Angreifer zu züchtigen, und ſeine
Macht, die er ihm abgeſprochen, an ihm zu bewei-
ſen. Da er aber auf dieſe förmliche Herausforder-
ung ſich nicht geſtellt hat, ſo urtheilen wir, daß er,
der Teufel ſelbſt, den Zweikampf nicht billigt.
Gegen die bezauberte Welt erſchien eine große
Anzahl von Gegenſchriften, die alle die Rechte des
Teufels vertheidigten. Gottlob! jetzt haben derglei-
chen Teufeleien ein Ende, obgleich hier und dort der
Teufel noch, wie zuvor, ſein Weſen treibt.
Leo Alatius, ein geborner Grieche von der Jn-
ſel Chios, der ſich im Beginnen des ſiebzehnten Jahr-
hunderts zu Rom den ſchönen Wiſſenſchaften wid-
mete, ward einſt vom Pabſte Abexander dem Sie-
benten gefragt, warum er nicht in den geiſtlichen
Stand treten wolle? Damit ich heirathen kann,
wenn es mir beliebt, war ſeine Antwort. Allein
warum heirathet ihr denn nicht? verſetzte der
Pabſt. Damit ich, erwiederte Alatius, ein Geiſt-
licher werden kann, wenn ich auf den Einfall gera-
then ſollte!
Mathurin Regnier, Kanonikus zu Chartres, zu
ſeiner Zeit berühmt durch ſcherzhafte und ſatyriſche
Schriften, führte in ſeiner Jugend ein zügelloſes,
ausſchweifendes Leben. Die Folge davon war, daß
er im vierzigſten Jahre ſtarb, nachdem er ſeit dem
dreißigſten ſchon alle Schwachheiten des Alters er-
duldet hatte. Er hat ſich ſelbſt folgende Grabſchrift
geſetzt:
»Jch habe ohne Nachdenken gelebt, und mich dem
»guten Geſetz der Natur ohne Zwang überlaſſen:
»es wundert mich alſo gar ſehr, wie der Tod an
»mich denken konnte, da ich niemals an ihn ge-
»dacht habe.«
Der Mann auf ſeinem Poſten.
Johann Rotrou, ein im ſiebzehnten Jahrhun-
dert bekannter und geſchätzter dramatiſcher Dichter,
lebte zu Dreux, wo er mehrere öffentliche Ämter be-
kleidete.
Als im Jahre 1650 in ſeinem Wohnorte eine
anſteckende Krankheit herrſchte, die täglich an 30
Menſchen wegraffte, bat ihn ſein Bruder, der ſich
damals in Paris aufhielt, ſehr dringend, er möchte,
um ſein Leben zu retten, zu ihm kommen. Deſ-
ſen ungeachtet weigerte ſich Rotrou ſtandhaft, ſei-
nes Bruders Bitte zu erfüllen, weil ſeine Ge-
ſchäfte es nicht erlaubten, weil er der Einzige
wäre, der bei der Abweſenheit des Generallieu-
tenants und nach dem Tode des Bürgermeiſters,
für die Bedürfniſſe der Stadt ſorgen, und die
Polizei und gute Ordnung handhaben könnte. Die
Gefahr, ſchrieb er, iſt ſo groß, daß ſo eben die
Glocken für die zwei und zwanzigſte Perſon läuten,
die heute geſtorben iſt. Dieſes wird auch für mich
geſchehen, wenn es Gott gefallen ſollte.
Einige Tage darauf ſtarb auch er an dieſer Krank-
heit in einem Alter von noch nicht 41 Jahren.
Braver Rotrou! Was würdeſt du geſagt haben,
wenn du im Jahre 1806 geſehen hätteſt, wie Men-
ſchen Ämter und Stellen aller Art im Stiche ließen,
und da, wo die Gefahr doch wohl mit der, welcher
du dich ausſetzteſt, nicht zu vergleichen war, nur
an ſich und an nichts weiter dachten, und ihr Heil
in der Flucht ſuchten; wo ſelbſt Ärzte ihre Kran-
ken in Verzweiflung ließen, und davon eilten! Da
indeſſen alles in der Welt ſeine guten Seiten hat,
ſo wäre es ja auch wohl leicht möglich, daß die
Abweſenheit mancher Ärzte ihr Gutes gehabt ha-
ben könnte. Nur ſind diejenigen nicht zu dieſer
Klaſſe zu rechnen, welche aus politiſchen Abſichten
oder ähnlichen Motiven zu flüchten ſich weislich ent-
ſchloſſen hatten.
Claude Perrault, ein berühmter franzöſiſcher Ge-
lehrter des 17ten Jahrhunderts, zeigte ſchon früh
einen ausgezeichneten Hang zu den Wiſſenſchaften,
vorzüglich zu den ſchönen Künſten. Ganz beſondere
Kenntniſſe beſaß er in der Arzeneiwiſſenſchaft und
Mechanik. Die erſte war ſein eigentlicher Beruf,
die andere ſeine herrſchende Neigung, und die meiſte
Epoche hat er in der Baukunſt gemacht, über die er
bedeutende Werke lieferte.
Despreaux, den er ſich durch ſeine Satyren zum
bitterſten Feinde gemacht hatte, rächte ſich dadurch,
daß er den vierten Geſang ſeiner Dichtkunſt mit
einigen, auf ihn zielenden Verſen anfing, deren Jn-
halt ungefähr folgender iſt:
»Zu Florenz lebte vormals ein Arzt, der, wie
»man ſagt, ein gelehrter Windbeutel und berühm-
»ter Meuchelmörder war. Jhm allein ſchrieb man
»daſelbſt lange Zeit das allgemeine Elend zu.
»Hier forderte ein verwaiſter Sohn ſeinen Vater
»von ihm zurück; dort beweinte ein Bruder den
»durch Gift hingerichteten Bruder. Der eine ſtirbt,
»weil er ihm alles Blut wegließ, der andere, weil
»er ihn mit Sennesblättern vollſtopfte. Bei ſei-
»nem Anblicke verwandelte ſich der Schnupfen in
»Seitenſtechen, und durch ſeine Vermittelung ging
»der Kopfſchmerz bald in Wahnſinn über. Endlich
»verließ er, allgemein verabſcheuet, die Stadt. Der
»Einzige, der von ſeinen nicht gemordeten Freun-
»den übrig geblieben, war ein reicher Abt, der,
»bis zum Närriſchwerden für die Baukunſt ein-
»genommen, ihn in ſeinen prächtigen Pallaſt führte.
»Hier ſcheint es ſogleich, als wäre unſer Arzt
»bei der Baukunſt geboren und erzogen worden.
»Schon redet er vom Bauweſen, wie ein Man-
»ſard. Er tadelt den Vordertheil des Saales,
»den man erhöhet hat, beſtimmt dem zu dunkeln
»Vorzimmer einen andern Platz, und lobt Wen-
»deltreppen von einer andern Art. Sein Freund
»ſieht es ein, und läßt einen Baumeiſter holen.
»Dieſer kommt, hört und beſſert ſich. Doch, um
»eine ſo wunderbare Geſchichte kurz zu faſſen,
»unſer Meuchelmörder entſagt ſeiner unmenſchli-
»chen Kunſt, nimmt das Richtſcheit und das
»Winkelmaß in die Hand, und wird aus einem
»ſchlechten Arzt ein vortrefflicher Baumeiſter.«
Perrault beſchwerte ſich über dieſe Satyre, allein
ſeine Beſchwerde half ihm zu keiner andern Genug-
thuung, als daß Despreaux folgendes, noch beißen-
dere Epigramm auf ihn dichtete:
»Es iſt wahr, ich habe in meinen Verſen geſagt,
»daß ein berühmter Meuchelmörder die unfrucht-
»bare Wiſſenſchaft des Galen verlaſſen habe, und
»daß aus einem unwiſſenden Arzt ein geſchickter
»Baumeiſter geworden ſey. Aber nie hatte ich
»die Abſicht, von dir zu ſprechen, Perrault!
»Meine Muſe druckt ſich ſehr genau aus: Du
»biſt, ich geſtehe es, ein unwiſſender Arzt, aber
»kein geſchickter Baumeiſter!«
Etwas zur Ahndungsgeſchichte.
John Donne, geboren zu London gegen das Ende
des 16ten Jahrhunderts, war daſelbſt Dechant an
der St. Pauls Kirche. Unter andern hat er auch
zur Vertheidigung des Selbſtmordes geſchrieben, den
er unter gewiſſen Umſtänden für erlaubt hielt.
Sir Robert Drury hatte einſt Donne mit nach
Paris genommen, der ſeine Frau in andern Umſtän-
den in London zurückließ. Jn Paris erſchien ſie ihm
am hellen Tage, mit ſehr traurigem Antlitz und ei-
nem todten Kinde auf dem Arme. Drury, dem
Donne ſeine Viſion erzählte, hielt ſie für bloße Ein-
bildung, ſchickte aber doch, um ſeinen Freund zu be-
ruhigen, einen Bedienten nach London, der in 12 Ta-
gen mit der Antwort zurückkam, daß Donne’s Frau
an eben dem Tage und in eben der Stunde, wo
Donne die Erſcheinung gehabt hatte, von einem
todten Kinde entbunden ſey, und ſie ſelbſt ſich noch
ſehr ſchwach befinde.
Peter Bembo, der in der Mitte des 16ten Jahr-
hunderts als Kardinal ſtarb, führte, ehe er in den
geiſtlichen Stand trat, mit einem ſeiner Verwandten
einen Prozeß.
Eines Tages wollte er dem Gerichte eine Schrift
zum Beſten ſeiner Sache vorlegen, und ging, wie
gewöhnlich, erſt zu ſeiner Mutter, um ihr einen gu-
ten Morgen zu wünſchen. Als er ihre Frage, wo-
hin er gehen würde, beantwortet hatte, beſchwor ſie
ihn, nicht aus zu gehen, und erzählte ihm, daß ihr
in der vergangenen Nacht geträumt habe, er ſey auf
der Straße mit ſeinem Gegner in einen Wortwech-
ſel gerathen und durch mehrere Stiche verwundet
worden. Bembo lachte und ging dennoch aus; aber
er begegnete wirklich bald ſeinem Gegner, gerieth
mit ihm in einen Wortwechſel, und wurde von ihm
durch mehrere Dolchſtiche gefährlich verwundet.
Karl der Sechſte beſaß von Jugend auf ein me-
lancholiſches Temperament, und ward gegen das
Ende ſeines Lebens völlig raſend. Als er einſt mit
einem Heer auf dem Marſch gegen Herzog Johann
den Fünften von Bretagne war, kam es ihm vor,
als wenn aus einem Walde ein ſchwarzer Mann
hervorträte, und, ſein Pferd beim Zügel faſſend,
ihm zuriefe; »Elender König, wo willſt du hin?
Du biſt verrathen!« Da traf es ſich, daß ein Rei-
ter, der auf dem Pferde eingeſchlafen war, ſeine
Lanze auf die Sturmhaube des Königs fallen ließ.
Karl, durch die vermeintliche Erſcheinung ſchon ſehr
erſchreckt, glaubte nun, die Lanze ſey abſichtlich
auf ihn gerichtet geweſen; er gerieth darüber in eine
ſolche Wuth, daß er den Degen zog, verſchiedene
ſeiner Leute niederſtieß, und in der Raſerei mit dem
Pferde in einen Graben ſtürzte.
Eine andere Begebenheit machte ihn aufs neue
raſend. Als im Jahre 1393 das Beilager eines Vor-
nehmen vom Hofe gefeiert wurde, wollte demſelben
der König unerkannt beiwohnen, und wählte mit
fünf von ſeinen Höflingen, die von gleicher Größe
mit ihm waren und ihn begleiten ſollten, den Anzug
eines Waldgottes. Es blieb indeſſen nicht verſchwie-
gen, daß der König ſich unter ihnen befände, und
der Herzog von Orleans trat, um ihn beſſer zu er-
kennen, mit einem Lichte in der Hand hinzu. Un-
glücklicher Weiſe fiel aber ein Funke in die rauhe,
mit Pech beſtrichene Kleidung eines der Waldgötter,
und in einem Augenblick ſtanden ſie alle, die ſich
einander helfen wollten, in vollen Flammen. Vier
von ihnen mußten den ſchmählichen Feuertod ſter-
ben, nur der König und noch einer wurden gerettet.
Der Erſtere ward jedoch dadurch abermals in ſeine
traurige Geiſteszerrüttung verſetzt, welche bis an das
Ende ſeines Lebens ihn nicht wieder verlaſſen hat.
Dionyſe de Sallo, Herr de la Courdraye, lebte
im 17ten Jahrhunderte zu Paris, ſeinem Geburts-
orte, als Parlamentsrath, und iſt auch als Schrift-
ſteller nicht unbekannt.
Von ſeinem Karakter bekommt man durch fol-
gende Erzählung eine hohe Meinung.
Jm Jahre 1662 war in Paris eine große Hun-
gersnoth. An einem Sommerabende dieſes Jahres
ging Sallo, nur von einem kleinen Bedienten beglei-
tet, ſpazieren, als er von einem Menſchen angefal-
len wurde, der ihm mit der Piſtole in der Hand
ſeine Börſe abforderte, doch geſchah dieß mit einem
ſolchen Zittern, daß Sallo wohl bemerken konnte,
der Räuber ſey in ſeinem Handwerke noch ungeübt.
Jhr kommt nicht an den rechten Mann, ſprach er
ganz gelaſſen zu ihm, ich habe nur drei Piſtolen
bei mir, die ich euch indeſſen gern geben will. Ohne
das Geringſte weiter zu verlangen, nahm der Unbe-
kannte das Geld, und eilte davon. Sallo aber ſandte
ihm ſeinen Bedienten nach, mit dem Auftrag, zu
ſehen, wo er bleibe. Als dieſer dem Menſchen durch
drei oder vier kleine Straßen nachgeſpürt hatte, ſah
er ihn in das Haus eines Bäckers treten, wo er ein
großes Brot kaufte und eine der Piſtolen verwech-
ſelte. Nicht weit von dieſem Bäcker ging er in ein
anderes Haus, und ſtieg daſelbſt in das vierte Geſchoß
hinauf. Die Stube, in welche er ſich begab, war
nur ſchwach von dem Schimmer des Mondes er-
hellt, und der Bediente, der ſich nachgeſchlichen hatte,
bemerkte, wie er das Brot in das Zimmer warf,
und zu ſeiner Frau und ſeinen Kindern mit von
Thränen erſtickter Stimme ſagte: Eſſet, hier iſt
Brot, das mir theuer zu ſtehen kommt; ſättigt euch
daran und quälet mich nicht mehr; in den nächſten
Tagen werde ich gehängt werden, und ihr werdet
Schuld daran ſeyn. Seine Frau, die auch weinte,
beſänftigte ihn, ſo gut ſie es vermochte, nahm das
Brot und gab es vier armen, halbnackten Kindern,
die vor Hunger ganz kraftlos waren.
Am andern Morgen um fünf Uhr ließ ſich Sallo,
dem der Bediente alles erzählt hatte, von dieſem
nach der Wohnung des Mannes führen. Zuvor er-
kundigte er ſich in der Nachbarſchaft nach ihm, und
erfuhr, daß er ein Schuhmacher ſey, ein guter, ehr-
licher Menſch, ſehr dienſtfertig, aber Vater einer
zahlreichen Familie und äußerſt arm. Darauf ging
er zu ihm hinauf und klopfte an ſeine Thüre. Der
Unglückliche öffnete ſie ſelbſt, erkannte ihn, warf ſich
zu ſeinen Füßen und flehete, ihn nicht zu verderben.
Macht keinen Lärm, ſagte Sallo, in dieſer Abſicht
komme ich nicht zu euch. Jhr treibt ein ſchlimmes
Handwerk, fuhr er fort, das euch das Leben koſten
wird, wenn ihr es fortſetzet. Da habt ihr 30 Piſto-
len, die ich euch ſchenke, kaufet Leder dafür und ar-
beitet, damit ihr das Leben eurer Kinder erhaltet,
aber gebet ihnen nicht ein ſo ſchlechtes Beiſpiel, wie
das iſt, was ihr geſtern vorgenommen.
Bemerkenswerthe Eigenheiten.
Leo Alatius bediente ſich vierzig Jahre lang
einer und derſelben Feder; als er ſie endlich verlor,
ward er ſo ſehr darüber betrübt, daß er ſich der
Thränen nicht enthalten konnte.
Johann Rotrou, ſagt die Fama des 17ten Jahr-
hunderts, hatte eine unwiderſtehliche Leidenſchaft für
das Spiel. Um zu verhindern, daß er ſein Geld auf
ein Mahl verſpielte, bewahrte er es in einem Bün-
del Reiſig auf, welches er verſchloſſen hielt. Hatte
er nun Geld nöthig, ſo mußte er das Bündel ſchüt-
teln, damit etwas herausfalle; weil ihm aber dieß
eine ärgerliche Mühe war, ſo trieb er es nicht lange,
und ward dadurch verhindert, alles auf ein Mahl her-
aus zu nehmen.
Jakob Grether, ein in der letzten Hälfte des
16ten Jahrhunderts lebender Jeſuit, ein Schwabe
von Geburt, war als theologiſcher Schriftſteller zu
ſeiner Zeit ſehr berühmt. Seine ausgezeichneten
Kenntniſſe waren mit einer ſeltenen Beſcheidenheit
verbunden, und er war ein ſolcher Feind von Lobes-
erhebungen, die man ihm machte, daß er den Be-
wohnern ſeiner Vaterſtadt, die ſein Bildniß wünſch-
ten, um es auf ihrem Rathhauſe auf zu ſtellen, zur
Antwort gab: wenn ſie ſein Bildniß haben wollten,
ſo dürften ſie nur einen Eſel malen laſſen.
Folgte mancher Maler dieſem Rathe, ſo würde
die Klage über vermißte Ähnlichkeit vielleicht ſeltener
werden.
Richard Simon, ein gelehrter franzöſiſcher Geiſt-
licher des 17ten Jahrhunderts, der ſehr viel geſchrie-
ben hat, lag beim Studieren gewöhnlich auf einem
dicken Teppich und einigen Kiſſen; zur Seite hatte
er auf der Erde ein Tintefaß, Papier und die Bü-
cher, welche er zum Nachſchlagen gebrauchte. Er
aß ſelten des Abends, und lebte ſo mäßig, daß er
kaum hinlängliche Nahrung zu ſich nahm.
Gilles Menage, Parlaments-Advokat in Paris,
ſchrieb unter andern ein Werkchen gegen die franzö-
ſiſche Akademie, worüber ein anderer damaliger Ge-
lehrter urtheilte: »Dieſe Schrift verdiene, daß man
ihren Verfaſſer verurtheile, ein Mitglied der Akade-
mie zu werden, ſo wie man einen Mann, der einem
Mädchen die jungfräuliche Ehre geraubt habe, ver-
urtheile, daſſelbe zu heirathen.
Er
Er hatte ſich durch ſeine literariſchen Streitig-
keiten viele Feinde zugezogen. Ein gewiſſer de la
Monnaye hatte Anmerkungen zu einem ähnlichen
Pamphlet des Menage geſchrieben, die er aber bei
deſſen Leben nicht herausgeben wollte, um jeden
Streit mit ihm zu vermeiden. Als nach Menage’s
Tode ein heftiger Feind deſſelben ihn überreden
wollte, ſeine Anmerkungen jetzt bekannt zu machen,
lehnte er es ab, und gab ſcherzhaft zur Antwort:
Wir wollen jetzt den guten Menage zufrieden laſſen;
er war ein zu braver Mann, als daß man ihm
nicht gut ſeyn müßte. Laſſen wir den nun auch
ruhen, deſſen Verſe und Proſa uns ſo oft eingeſchlä-
fert haben.
König Alphons von Neapel, der Wiſſenſchaft
und Gelehrte ungemein liebte, ſandte einſt einen be-
rühmten Gelehrten, Namens Antonio Panornita,
nach Venedig, um die Venetianer zu erſuchen, ihm
nur einen Knochen aus dem Arme des Livius zu
ſchicken. Er war ſo glücklich, ſeinen Wunſch erfüllt
zu ſehen.
Jean Mery, ein berühmter franzöſiſcher Wund-
arzt, kam im achtzehnten Jahre nach Paris, um
daſelbſt im Hôtel-Dieu unterrichtet zu werden. Er
beſaß eine ſolche Liebe zu ſeiner Kunſt, daß er ſich
H
nicht mit den Übungen am Tage begnügte, ſondern,
ſo oft er konnte, todte Körper ſtahl, die er in ſei-
nem Bette verbarg, und während der Nacht zer-
gliederte.
Hieronymus Fracaſtor, als Arzt und Gelehrter
berühmt, lebte am Ende des 15ten und im Anfang
des 16ten Jahrhunderts.
Bei ſeiner Geburt fand man, daß ſeine Lippen bis
auf eine kleine Öffnung zuſammengewachſen waren,
und ſie mußten erſt von einem Wundarzt auseinan-
der geſchnitten werden.
Als Kind trug ihn ſeine Mutter einſt auf dem
Arme; ſie ward von einem Blitzſtrahl getroffen und
getödtet, er aber nicht im geringſten beſchädigt.
Dieſe ſämmtlichen Memorabilien, die meine geneigten Leſer
gleich am als eine Zugabe anzuſehen haben, ſind hiemit
bei weiten noch nicht geſchloſſen. Es wird darauf ankom-
men, ob ſie wohlgefällig aufgenommen werden, und in
dieſem Falle werde ich in meinem ferneren Ausverkauf da-
mit fortfahren.