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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1827.

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VII.

Ich werde mich Deinem Urtheile blos stellen,
lieber Chamisso, und es nicht zu bestechen su-
chen. Ich selbst habe lange strenges Gericht an
mir selber vollzogen, denn ich habe den quälen-
den Wurm in meinem Herzen genährt. Es schweb-
te immerwährend dieser ernste Moment meines
Lebens vor meiner Seele, und ich vermocht' es
nur zweifelnden Blickes, mit Demuth und Zer-
knirschung anzuschauen -- Lieber Freund, wer
leichtsinnig nur den Fuß aus der geraden Strasse
setzt, der wird unversehens in andere Pfade ab-
geführt, die abwärts und immer abwärts ihn
ziehen; er sieht dann umsonst die Leitsterne am
Himmel schimmern, ihm bleibt keine Wahl, er
muß unaufhaltsam den Abhang hinab, und sich
selbst der Nemesis opfern. Nach dem übereil-
ten Fehltritt, der den Fluch auf mich geladen,
hatt' ich durch Liebe frevelnd in eines andern



VII.

Ich werde mich Deinem Urtheile blos ſtellen,
lieber Chamiſſo, und es nicht zu beſtechen ſu-
chen. Ich ſelbſt habe lange ſtrenges Gericht an
mir ſelber vollzogen, denn ich habe den quälen-
den Wurm in meinem Herzen genährt. Es ſchweb-
te immerwährend dieſer ernſte Moment meines
Lebens vor meiner Seele, und ich vermocht’ es
nur zweifelnden Blickes, mit Demuth und Zer-
knirſchung anzuſchauen — Lieber Freund, wer
leichtſinnig nur den Fuß aus der geraden Straſſe
ſetzt, der wird unverſehens in andere Pfade ab-
geführt, die abwärts und immer abwärts ihn
ziehen; er ſieht dann umſonſt die Leitſterne am
Himmel ſchimmern, ihm bleibt keine Wahl, er
muß unaufhaltſam den Abhang hinab, und ſich
ſelbſt der Nemeſis opfern. Nach dem übereil-
ten Fehltritt, der den Fluch auf mich geladen,
hatt’ ich durch Liebe frevelnd in eines andern

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[[82]/0110] VII. Ich werde mich Deinem Urtheile blos ſtellen, lieber Chamiſſo, und es nicht zu beſtechen ſu- chen. Ich ſelbſt habe lange ſtrenges Gericht an mir ſelber vollzogen, denn ich habe den quälen- den Wurm in meinem Herzen genährt. Es ſchweb- te immerwährend dieſer ernſte Moment meines Lebens vor meiner Seele, und ich vermocht’ es nur zweifelnden Blickes, mit Demuth und Zer- knirſchung anzuſchauen — Lieber Freund, wer leichtſinnig nur den Fuß aus der geraden Straſſe ſetzt, der wird unverſehens in andere Pfade ab- geführt, die abwärts und immer abwärts ihn ziehen; er ſieht dann umſonſt die Leitſterne am Himmel ſchimmern, ihm bleibt keine Wahl, er muß unaufhaltſam den Abhang hinab, und ſich ſelbſt der Nemeſis opfern. Nach dem übereil- ten Fehltritt, der den Fluch auf mich geladen, hatt’ ich durch Liebe frevelnd in eines andern

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1827, S. [82]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2754/110>, abgerufen am 29.03.2024.