Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite
VIII.

Es gesellte sich bald ein Fußgänger zu mir, welcher mich
bat, nachdem er eine Weile neben meinem Pferde geschritten
war, da wir doch denselben Weg hielten, einen Mantel, den
er trug, hinten auf mein Pferd legen zu dürfen; ich ließ es
stillschweigend geschehen. Er dankte mir mit leichtem An-
stand für den leichten Dienst, lobte mein Pferd, nahm daraus
Gelegenheit, das Glück und die Macht der Reichen hoch zu
preisen, und ließ sich, ich weiß nicht wie, in eine Art von
Selbstgespräch ein, bei dem er mich blos zum Zuhörer hatte.

Er entfaltete seine Ansichten von dem Leben und der Welt,
und kam sehr bald auf die Metaphysik, an die die Forderung
erging, das Wort aufzufinden, das aller Räthsel Lösung sei.
Er setzte die Aufgabe mit vieler Klarheit aus einander und
schritt fürder zu deren Beantwortung.

Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich erkannt habe,
seitdem ich den Philosophen durch die Schule gelaufen, daß
ich zur philosophischen Spekulation keineswegs berufen bin,
und daß ich mir dieses Feld völlig abgesprochen habe; ich
habe seither Vieles auf sich beruhen lassen, Vieles zu wissen
und zu begreifen Verzicht geleistet, und bin, wie Du es mir
selber gerathen, meinem geraden Sinn vertrauend, der Stimme
in mir, so viel es in meiner Macht gewesen, auf dem eigenen
Wege gefolgt. Nun schien mir dieser Redekünstler mit gro-
ßem Talent ein fest gefügtes Gebäude aufzuführen, das in sich
selbst begründet sich emportrug, und wie durch eine innere
Nothwendigkeit bestand. Nur vermißt' ich ganz in ihm, was
ich eben darin hätte suchen wollen, und so ward es mir zu
einem bloßen Kunstwerk, dessen zierliche Geschlossenheit und
Vollendung dem Auge allein zur Ergötzung diente; aber ich

VIII.

Es geſellte ſich bald ein Fußgänger zu mir, welcher mich
bat, nachdem er eine Weile neben meinem Pferde geſchritten
war, da wir doch denſelben Weg hielten, einen Mantel, den
er trug, hinten auf mein Pferd legen zu dürfen; ich ließ es
ſtillſchweigend geſchehen. Er dankte mir mit leichtem An-
ſtand für den leichten Dienſt, lobte mein Pferd, nahm daraus
Gelegenheit, das Glück und die Macht der Reichen hoch zu
preiſen, und ließ ſich, ich weiß nicht wie, in eine Art von
Selbſtgeſpräch ein, bei dem er mich blos zum Zuhörer hatte.

Er entfaltete ſeine Anſichten von dem Leben und der Welt,
und kam ſehr bald auf die Metaphyſik, an die die Forderung
erging, das Wort aufzufinden, das aller Räthſel Löſung ſei.
Er ſetzte die Aufgabe mit vieler Klarheit aus einander und
ſchritt fürder zu deren Beantwortung.

Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich erkannt habe,
ſeitdem ich den Philoſophen durch die Schule gelaufen, daß
ich zur philoſophiſchen Spekulation keineswegs berufen bin,
und daß ich mir dieſes Feld völlig abgeſprochen habe; ich
habe ſeither Vieles auf ſich beruhen laſſen, Vieles zu wiſſen
und zu begreifen Verzicht geleiſtet, und bin, wie Du es mir
ſelber gerathen, meinem geraden Sinn vertrauend, der Stimme
in mir, ſo viel es in meiner Macht geweſen, auf dem eigenen
Wege gefolgt. Nun ſchien mir dieſer Redekünſtler mit gro-
ßem Talent ein feſt gefügtes Gebäude aufzuführen, das in ſich
ſelbſt begründet ſich emportrug, und wie durch eine innere
Nothwendigkeit beſtand. Nur vermißt’ ich ganz in ihm, was
ich eben darin hätte ſuchen wollen, und ſo ward es mir zu
einem bloßen Kunſtwerk, deſſen zierliche Geſchloſſenheit und
Vollendung dem Auge allein zur Ergötzung diente; aber ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0076" n="[58]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#b">VIII.</hi> </hi> </head><lb/>
        <p>Es ge&#x017F;ellte &#x017F;ich bald ein Fußgänger zu mir, welcher mich<lb/>
bat, nachdem er eine Weile neben meinem Pferde ge&#x017F;chritten<lb/>
war, da wir doch den&#x017F;elben Weg hielten, einen Mantel, den<lb/>
er trug, hinten auf mein Pferd legen zu dürfen; ich ließ es<lb/>
&#x017F;till&#x017F;chweigend ge&#x017F;chehen. Er dankte mir mit leichtem An-<lb/>
&#x017F;tand für den leichten Dien&#x017F;t, lobte mein Pferd, nahm daraus<lb/>
Gelegenheit, das Glück und die Macht der Reichen hoch zu<lb/>
prei&#x017F;en, und ließ &#x017F;ich, ich weiß nicht wie, in eine Art von<lb/>
Selb&#x017F;tge&#x017F;präch ein, bei dem er mich blos zum Zuhörer hatte.</p><lb/>
        <p>Er entfaltete &#x017F;eine An&#x017F;ichten von dem Leben und der Welt,<lb/>
und kam &#x017F;ehr bald auf die Metaphy&#x017F;ik, an die die Forderung<lb/>
erging, das Wort aufzufinden, das aller Räth&#x017F;el Lö&#x017F;ung &#x017F;ei<choice><sic/><corr>.</corr></choice><lb/>
Er &#x017F;etzte die Aufgabe mit vieler Klarheit aus einander und<lb/>
&#x017F;chritt fürder zu deren Beantwortung.</p><lb/>
        <p>Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich erkannt habe,<lb/>
&#x017F;eitdem ich den Philo&#x017F;ophen durch die Schule gelaufen, daß<lb/>
ich zur philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Spekulation keineswegs berufen bin,<lb/>
und daß ich mir die&#x017F;es Feld völlig abge&#x017F;prochen habe; ich<lb/>
habe &#x017F;either Vieles auf &#x017F;ich beruhen la&#x017F;&#x017F;en, Vieles zu wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und zu begreifen Verzicht gelei&#x017F;tet, und bin, wie Du es mir<lb/>
&#x017F;elber gerathen, meinem geraden Sinn vertrauend, der Stimme<lb/>
in mir, &#x017F;o viel es in meiner Macht gewe&#x017F;en, auf dem eigenen<lb/>
Wege gefolgt. Nun &#x017F;chien mir die&#x017F;er Redekün&#x017F;tler mit gro-<lb/>
ßem Talent ein fe&#x017F;t gefügtes Gebäude aufzuführen, das in &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t begründet &#x017F;ich emportrug, und wie durch eine innere<lb/>
Nothwendigkeit be&#x017F;tand. Nur vermißt&#x2019; ich ganz in ihm, was<lb/>
ich eben darin hätte &#x017F;uchen wollen, und &#x017F;o ward es mir zu<lb/>
einem bloßen Kun&#x017F;twerk, de&#x017F;&#x017F;en zierliche Ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit und<lb/>
Vollendung dem Auge allein zur Ergötzung diente; aber ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[58]/0076] VIII. Es geſellte ſich bald ein Fußgänger zu mir, welcher mich bat, nachdem er eine Weile neben meinem Pferde geſchritten war, da wir doch denſelben Weg hielten, einen Mantel, den er trug, hinten auf mein Pferd legen zu dürfen; ich ließ es ſtillſchweigend geſchehen. Er dankte mir mit leichtem An- ſtand für den leichten Dienſt, lobte mein Pferd, nahm daraus Gelegenheit, das Glück und die Macht der Reichen hoch zu preiſen, und ließ ſich, ich weiß nicht wie, in eine Art von Selbſtgeſpräch ein, bei dem er mich blos zum Zuhörer hatte. Er entfaltete ſeine Anſichten von dem Leben und der Welt, und kam ſehr bald auf die Metaphyſik, an die die Forderung erging, das Wort aufzufinden, das aller Räthſel Löſung ſei. Er ſetzte die Aufgabe mit vieler Klarheit aus einander und ſchritt fürder zu deren Beantwortung. Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich erkannt habe, ſeitdem ich den Philoſophen durch die Schule gelaufen, daß ich zur philoſophiſchen Spekulation keineswegs berufen bin, und daß ich mir dieſes Feld völlig abgeſprochen habe; ich habe ſeither Vieles auf ſich beruhen laſſen, Vieles zu wiſſen und zu begreifen Verzicht geleiſtet, und bin, wie Du es mir ſelber gerathen, meinem geraden Sinn vertrauend, der Stimme in mir, ſo viel es in meiner Macht geweſen, auf dem eigenen Wege gefolgt. Nun ſchien mir dieſer Redekünſtler mit gro- ßem Talent ein feſt gefügtes Gebäude aufzuführen, das in ſich ſelbſt begründet ſich emportrug, und wie durch eine innere Nothwendigkeit beſtand. Nur vermißt’ ich ganz in ihm, was ich eben darin hätte ſuchen wollen, und ſo ward es mir zu einem bloßen Kunſtwerk, deſſen zierliche Geſchloſſenheit und Vollendung dem Auge allein zur Ergötzung diente; aber ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/Yw_7531_1
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/Yw_7531_1/76
Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839, S. [58]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/Yw_7531_1/76>, abgerufen am 25.04.2024.