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Abschatz, Hans Assmann von: Poetische Ubersetzungen und Gedichte. Leipzig, 1704.

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An Titul
Herrn Christoff Bronzini von Ancona.

TErpsichore, allhier betrachtet als eine solche Krafft oder
Wissenschafft/ vermittelst deren unser Gemütt etwas be-
greiffet/ und was es also in Gedancken gefasst/ nach den Gese-
tzen der Reim-Kunst ferner vorstellet und ausbildet/ kan (wo ich
nicht irre) diesen gegenwärtigen Schertz- oder ungereimten
Reimen zur Mutter oder Amme gestellet werden/ weil selbige
nach dem Zeugnis Callimachus und Virgilius, da sie die Aemter
und Verrichtungen der Musen austheilen/ mit annehmlichen
lustigen Sachen bemühet ist/ und die Regungen der Menschen
beweget/ beherrschet und vermehret. In solcher Meinung be-
stätigt mich die Erzehlung der Poeten/ welche die mehr-benenn-
te Terpsichore zu einer Mutter der mangelhafften aber zu-
gleich schönen Sirenen oder Wasser-Frauen machen/ und durch
diese den süssen Klang der lieblichen Stimme oder wohlgesezten
Worte/ welche das menschliche Gemütte so anmuttig einnehmen
und verändern/ verstehen. Also soll Terpsichore nicht ein
heuchlerisches Schmeicheln/ welches den Ulysses und seine Ge-
färten zu ihrem Verderb und Untergang einschläffern solte/ son-
dern ein solch hellklingendes und hochsteigendes Lob/ als das
Frauenzimmer verdienet/ zu ihrer Ergötzung erschallen lassen:
Allermaßen/ wenn wir den Ursprung des Nahmens Terpsichore
untersuchen wolten/ uns auch selbter das Ausputzen oder Ver-
schönern der Mägdgen/ dessen diejenigen/ welche durch Zufall
oder Geburt einen Mangel zu haben scheinen/ am meisten benö-
thigt wären/ an die Hand geben/ und endlich auff die Anleitung
des klugen Seneca bringen würde/ welcher saget: Lehre die Ehe-
Männer/ wie einer mit derjenigen leben solle/ die er Jungfrau
geheyrathet/ wie mit denen/ die vorhin in anderwertiger Ehe
gelebet/ wie mit einer Reichen/ wie mit einer Armen/ und so fort
an: damit ein jeder mit seiner Wahl vergnüget sey. Ich ge-
stehe zwar/ daß dieser Welt-Weise/ den ich in allen diesen Kling-
Gedichten zum Führer nehme/ nicht von allen Gebrechen redet/
bescheide mich aber/ daß in allen einzelen Sachen und Fällen
Gesetze stellen ein unendliches und unbegreiffliches Werck ist.
Ich habe indeß aus angeregten Ursachen diese meine Arbeit

mit
An Titul
Herrn Chriſtoff Bronzini von Ancona.

TErpſichore, allhier betrachtet als eine ſolche Krafft oder
Wiſſenſchafft/ vermittelſt deren unſer Gemuͤtt etwas be-
greiffet/ und was es alſo in Gedancken gefaſſt/ nach den Geſe-
tzen der Reim-Kunſt ferner vorſtellet und ausbildet/ kan (wo ich
nicht irre) dieſen gegenwaͤrtigen Schertz- oder ungereimten
Reimen zur Mutter oder Amme geſtellet werden/ weil ſelbige
nach dem Zeugnis Callimachus und Virgilius, da ſie die Aemter
und Verrichtungen der Muſen austheilen/ mit annehmlichen
luſtigen Sachen bemuͤhet iſt/ und die Regungen der Menſchen
beweget/ beherrſchet und vermehret. In ſolcher Meinung be-
ſtaͤtigt mich die Erzehlung der Poeten/ welche die mehr-benenn-
te Terpſichore zu einer Mutter der mangelhafften aber zu-
gleich ſchoͤnen Sirenen oder Waſſer-Frauen machen/ und durch
dieſe den ſuͤſſen Klang der lieblichen Stimme oder wohlgeſezten
Worte/ welche das menſchliche Gemuͤtte ſo anmuttig einnehmen
und veraͤndern/ verſtehen. Alſo ſoll Terpſichore nicht ein
heuchleriſches Schmeicheln/ welches den Ulyſſes und ſeine Ge-
faͤrten zu ihrem Verderb und Untergang einſchlaͤffern ſolte/ ſon-
dern ein ſolch hellklingendes und hochſteigendes Lob/ als das
Frauenzimmer verdienet/ zu ihrer Ergoͤtzung erſchallen laſſen:
Allermaßen/ wenn wir den Urſprung des Nahmens Terpſichore
unterſuchen wolten/ uns auch ſelbter das Ausputzen oder Ver-
ſchoͤnern der Maͤgdgen/ deſſen diejenigen/ welche durch Zufall
oder Geburt einen Mangel zu haben ſcheinen/ am meiſten benoͤ-
thigt waͤren/ an die Hand geben/ und endlich auff die Anleitung
des klugen Seneca bringen wuͤrde/ welcher ſaget: Lehre die Ehe-
Maͤnner/ wie einer mit derjenigen leben ſolle/ die er Jungfrau
geheyrathet/ wie mit denen/ die vorhin in anderwertiger Ehe
gelebet/ wie mit einer Reichen/ wie mit einer Armen/ und ſo fort
an: damit ein jeder mit ſeiner Wahl vergnuͤget ſey. Ich ge-
ſtehe zwar/ daß dieſer Welt-Weiſe/ den ich in allen dieſen Kling-
Gedichten zum Fuͤhrer nehme/ nicht von allen Gebrechen redet/
beſcheide mich aber/ daß in allen einzelen Sachen und Faͤllen
Geſetze ſtellen ein unendliches und unbegreiffliches Werck iſt.
Ich habe indeß aus angeregten Urſachen dieſe meine Arbeit

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[180/0280] An Titul Herrn Chriſtoff Bronzini von Ancona. TErpſichore, allhier betrachtet als eine ſolche Krafft oder Wiſſenſchafft/ vermittelſt deren unſer Gemuͤtt etwas be- greiffet/ und was es alſo in Gedancken gefaſſt/ nach den Geſe- tzen der Reim-Kunſt ferner vorſtellet und ausbildet/ kan (wo ich nicht irre) dieſen gegenwaͤrtigen Schertz- oder ungereimten Reimen zur Mutter oder Amme geſtellet werden/ weil ſelbige nach dem Zeugnis Callimachus und Virgilius, da ſie die Aemter und Verrichtungen der Muſen austheilen/ mit annehmlichen luſtigen Sachen bemuͤhet iſt/ und die Regungen der Menſchen beweget/ beherrſchet und vermehret. In ſolcher Meinung be- ſtaͤtigt mich die Erzehlung der Poeten/ welche die mehr-benenn- te Terpſichore zu einer Mutter der mangelhafften aber zu- gleich ſchoͤnen Sirenen oder Waſſer-Frauen machen/ und durch dieſe den ſuͤſſen Klang der lieblichen Stimme oder wohlgeſezten Worte/ welche das menſchliche Gemuͤtte ſo anmuttig einnehmen und veraͤndern/ verſtehen. Alſo ſoll Terpſichore nicht ein heuchleriſches Schmeicheln/ welches den Ulyſſes und ſeine Ge- faͤrten zu ihrem Verderb und Untergang einſchlaͤffern ſolte/ ſon- dern ein ſolch hellklingendes und hochſteigendes Lob/ als das Frauenzimmer verdienet/ zu ihrer Ergoͤtzung erſchallen laſſen: Allermaßen/ wenn wir den Urſprung des Nahmens Terpſichore unterſuchen wolten/ uns auch ſelbter das Ausputzen oder Ver- ſchoͤnern der Maͤgdgen/ deſſen diejenigen/ welche durch Zufall oder Geburt einen Mangel zu haben ſcheinen/ am meiſten benoͤ- thigt waͤren/ an die Hand geben/ und endlich auff die Anleitung des klugen Seneca bringen wuͤrde/ welcher ſaget: Lehre die Ehe- Maͤnner/ wie einer mit derjenigen leben ſolle/ die er Jungfrau geheyrathet/ wie mit denen/ die vorhin in anderwertiger Ehe gelebet/ wie mit einer Reichen/ wie mit einer Armen/ und ſo fort an: damit ein jeder mit ſeiner Wahl vergnuͤget ſey. Ich ge- ſtehe zwar/ daß dieſer Welt-Weiſe/ den ich in allen dieſen Kling- Gedichten zum Fuͤhrer nehme/ nicht von allen Gebrechen redet/ beſcheide mich aber/ daß in allen einzelen Sachen und Faͤllen Geſetze ſtellen ein unendliches und unbegreiffliches Werck iſt. Ich habe indeß aus angeregten Urſachen dieſe meine Arbeit mit

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Zitationshilfe: Abschatz, Hans Assmann von: Poetische Ubersetzungen und Gedichte. Leipzig, 1704, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/abschatz_gedichte_1704/280>, abgerufen am 28.03.2024.